Frau Regel Amrain und ihr Jüngster - Gottfried Keller - E-Book

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster E-Book

Gottfried Keller

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Beschreibung

Kellers Novelle über einen Jungen, der von seiner Mutter zu einem stabilen Charakter erzogen wird: Nachdem der Vater als Spekulant enttarnt worden und nach Amerika geflohen war, übernimmt Frau Regula Amrain den Steinbruch ihres Mannes und konzentriert sich auf die Erziehung ihres jüngsten Sohnes Fritz, den sie zu einem starken und ehrenvollen Charakter ausbilden lässt. Als der Vater schließlich zurückkehrt, übernimmt der Sohn liebevoll die Erziehung des Vaters.-

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Gottfried Keller

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster

Saga

Frau Regel Amrain und ihr JüngsterCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1856, 2020 Gottfried Keller und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726555110

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster.

Regula Amrain war die Frau eines abwesenden Seldwylers; dieser hatte einen grossen Steinbruch hinter dem Städtchen besessen und seine Zeitlang ausgebeutet, und zwar auf Seldwyler Art. Das ganze Nest war beinahe aus dem guten Sandstein gebaut, aus, welchem der Berg bestand; aber das Schuldenwesen, das auf den Häusern ruhte, hatte von jeher recht eigentlich schon mit den Steinen begonnen, aus denen sie gebaut waren; denn nichts schien den Seldwylern so wohl geeignet als Stoff und Gegenstand eines muntern Verkehrs, als ein solcher Steinbruch, und derselbe glich einer in Felsen gehauenen römischen Schaubühne, über welche die Besitzer emsig hinwegliefen, einer den andern jagend.

Herr Amrain, ein ansehnlicher Mann, der eine ansehnliche Menge Fleisch, Fische und Wein verzehren musste und mächtige Stücke Seidenzeug zu seinen breiten, schönen Westen brauchte, himmelblaue, kirschrote und grossartig gewürfelte, war ursprünglich ein Knopfmacher gewesen und hatte auch die eine und andere Stunde des Tages Knöpfe besponnen. Als er aber mit den Jahren gar so fest und breit wurde, sagte ihm die sitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er überhaupt den rechten Phäakenaufschwung genommen: die rote Sammetweste, die goldene Uhrkette und den Siegelring, liquidierte er die Knopfmacherei und übernahm in einer wichtigen Hauptsitzung der Seldwyler Spekulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die angemessene bewegliche Lebensweise gefunden, indem er mit einer roten Brieftasche voll Papiere und einem eleganten Spazierstock, auf welchem mit silbernen Stiften ein Zollmass angebracht war, etwa in den Steinbruch hinaus lustwandelte, wenn das Wetter lieblich war, und dort mit dem besagten Stocke an den verpfändeten Steinlagern herumstocherte, den Schweiss von der Stirn wischte, in die schöne Gegend hinausschaute und dann schleunigst in die Stadt zurückkehrte, um den eigentlichen Geschäften nachzugehen, dem Umsatz der verschiedenen Papiere in der Brieftasche, was in den kühlen Gaststuben auf das beste vor sich ging. Kurz, er war ein vollkommener Seldwyler bis auf die politische Veränderlichkeit, welche aber die. Ursache seines zu frühen Falles wurde. Denn ein konservativer Kapitalist aus einer Finanzstadt, welcher keinen Spass verstand, hatte auf den Steinbruch einiges Geld hergegeben und damit geglaubt, einem wackern Parteigenossen unter die Arme zu greifen. Als daher Herr Amrain in einem Anfall gänzlicher Gedankenlosigkeit eines Tages höchst verfängliche liberale Redensarten vernehmen liess, welche ruchbar wurden, erzürnte sich jener Herr, mit Recht; denn nirgends ist politische Gesinnungslosigkeit widerwärtiger, als, an einem grossen, dicken Manne, der eine bunte Sammetweste trägt! Der erboste Gönner zog daher jählings sein Geld zurück, als kein Mensch daran dachte, und trieb dadurch vor der Zeit den bestürzten Amrain vom Steinbruch in die Welt hinaus.

Man wird selten sehen, dass es grossen, schweren Männern schlecht ergeht, weil sie eine durchgreifende und überzeugende Gabe besitzen, für ihren anspruchsvollen Körperbau zu sorgen, und die Nahrungsmittel können sich demselben nicht lange entziehen, sondern werden von dem Magnetgebirge des Bauches mächtig angezogen. So frass sich der landflüchtige Amrain auch glücklich durch die Fernen; und obgleich er nichts Grosses mehr wurde, ass und trank er doch irgendwo in der Fremde so weidlich wie zu Hause.

Doch den Seldwylern, welche jetzt ratschlagten, welcher von ihnen nun am tauglichsten wäre, eine Zeitlang, die Honneurs am Steinbruch zu machen, wurde abermals ein Strich durch die Rechnung gezogen, als die zurückgebliebene Ehefrau des Herrn Amrain unerwartet ihren Fuss auf den Sandstein setzte und kraft ihres herzugebrachten Weibergutes den Steinbruch an sich zog und erklärte, das Geschäft fortsetzen und möglicherweise die Gläubiger ihres Mannes befriedigen zu wollen. Sie tat dies erst, als derselbe schon jenseits des Atlantischen Weltmeers war und nicht mehr zurückkommen konnte. Man suchte sie auf jede Weise von diesem Vorhaben abzubringen und zu hindern; allein sie zeigte eine solche Entschlossenheit, Rührigkeit und Besonnenheit, dass nichts gegen sie auszurichten war und sie wirklich die Besitzerin des Steinbruches wurde. Sie liess fleissig und ordentlich darin arbeiten unter der Leitung eines guten fremden Werkführers und gründete zum erstenmal die Unternehmung statt auf den Scheinverkehr auf wirkliche Produktion. Hieran wollte man sie nun erst recht behindern; allein es war nicht gegen sie aufzukommen, da sie als Frau und sparsame Mutter keine Ausgaben hatte, im Vergleich zu den Herren von Seldwyla, und daher auf die einfachste Weise imstande war, alle Stürme abzuschlagen und alle begründeten Forderungen zu bezahlen. Aber dennoch hielt es schwer, und sie musste Tag und Nacht mit Mut, List und Kraft bei der Hand sein, sinnen und sorgen, um sich zu behaupten.

Frau Regel hatte von auswärts in das Städtchen geheiratet und war eine sehr frische; grosse und handfeste Dame mit kräftigen schwarzen Haarflechten und einem festen, dunklen Blick. Von ihrem Manne hatte sie drei Buben von ungefähr zehn, acht und fünf Jahren, welche sie oftmals aufmerksam und ernsthaft betrachtete, darüber sinnend, ob dieselben auch wert seien, dass sie das Haus für sie aufrechthalte, da sie ja doch Seldwyler wären und bleiben würden. Doch weil die Bursche einmal ihre Kinder waren, so liess die Eigenliebe und die Mutterliebe sie immer wieder einen guten Mut fassen, und sie traute sich zu, auch in dieser Sache das Steuer am Ende anders zu lenken, als es zu Seldwyl Mode war.

In solche Gedanken versunken sass sie einst nach dem Nachtessen am Tische und hatte das Geschäftsbuch und eine Menge Rechnungen vor sich liegen. Die Buben lagen im Bette und schliefen in der Kammer, deren Türe offen stand, und sie hatte eben die drei schlafenden kleinen Gesellen mit der Lampe in der Hand betrachtet und besonders den kleinsten Kerl ins Auge gefasst, der ihr am wenigsten glich. Er war blond, hatte ein keckes Stumpfnäschen, während sie eine ernsthafte gerade, lange Nase besass, und statt ihres strenggeschnittenen Mundes zeigte der kleine Fritz trotzig aufgeworfene Lippen, selbst wenn er schlief. Dies hatte er alles vom Vater, und es war das gewesen, was ihr eben so wohl gefallen hatte, als sie ihn heiratete, und was ihr jetzt auch an dem kleinen Burschen so wohlgefiel und doch so schwere Sorgen machte. Wenn eine Gesichtsart einem einmal wohlgefällt, so hilft hiegegen kein Kraut; deswegen war Frau Amrain froh, dass der Alte weg war und sie ihn nicht mehr sah; aber er hatte ihr in dem jüngsten Kinde ein treues Abbild seiner äusseren Art hinterlassen, welches sie nie genug ansehen konnte.

Über diesen Sorgen traf sie der Werkführer oder oberste Arbeiter, der jetzt eintrat, um mit ihr die Angelegenheiten und den Bestand der Geschäfte durchzusehen und manche wichtige Dinge zu besprechen. Es war ein hübscher und unternehmender Bursche von schlankem, kräftigem Körperbau, mässig in seiner Lebensweise, fleissig und ausdauernd und dabei in seinen Gedanken von einer gewissen einfachen Schlauheit, welche zusammen mit den erklecklichen Eigenschaften seiner Meisterin eben das Geschäft in gutem Gange erhielt und die gedankenlosen Spitzsindigkeiten der Seldwyler zuschanden werden liess. Inzwischen war er aber ein Mensch und dachte daher vor allem an sich selber; und in diesem Denken hatte er es nicht übel gefunden, selber der Herr und Meister hier zu sein und sich eine bleibende Stätte zu gründen, daher auch in aller Ehrerbietung der Frau Regula wiederholt nahegelegt, eine gesetzliche Scheidung von ihrem abwesenden Manne herbeizuführen.

Sie hatte ihn wohl verstanden; doch widerstrebte es ihrem Stolz, sich öffentlich und mit schimpflichen Beweisgründen von einem Manne zu trennen, der ihr einmal wohlgefallen, mit dem sie gelebt und von dem sie drei Kinder hatte; und in der Sorge für diese Kinder wollte sie auch keinen fremden Mann über das Haus fetzen und wenigstens die äussere Einheit desselben bewahren, bis die Söhne herangewachsen wären und ein unzersplittertes Erbe aus ihrer Hand empfangen könnten; denn ein solches gedachte sie trotz aller Schwierigkeiten zusammenzubringen und den Hiesigen zu zeigen, was da Brauch sei, wo sie hergekommen.Sie hielt daher den Werkführer knapp im Zügel und brachte sich dadurch nur in grössere Verlegenheit; denn als derselbe ihren Widerstand und ihren festen Charakter ersah, verliebte er sich förmlich in sie und gedachte erst recht seine Wünsche zu erreichen. Er änderte also sein Benehmen, dass er, statt wie bisanher ehrbar um ihre Hand als Meisterin sich zu bewerben, nun um ihre Person schmachtete, wo sie ging, und sie stets mit verliebten Augen ansah, wo es immer tunlich war. Dies schien für ihn eine zweckdienliche Veränderung, da die eigentliche Verliebtheit in die Person eines Menschen denselben viel mehr besticht und bezwingt als alle noch so ehrbaren Heiratsabsichten. Wenn nun Frau Regel auch nicht die Haltung verlor und sich in ihn nicht wieder verliebte, so wurde es doch schwerer für sie, ihn abzuwehren, ohne mit ihm zu brechen und ihn zu verlieren, und es ist bekanntlich eine Hauptliebhaberei der Frauen, sich nützliche Freunde und Parteigänger zu erhalten, wenn es immer geschehen kann ohne grosse Opfer.