Frau Regel Amrain und ihr Jüngster - Gottfried Keller - E-Book

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster E-Book

Gottfried Keller

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

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Gottfried Keller

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster

Novelle

Gottfried Keller

Frau Regel Amrain und ihr Jüngster

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962812-75-1

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Frau Re­gel Am­rain und ihr Jüngs­ter

Dan­ke

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Ali­ce im Wun­der­land

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Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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Frau Regel Amrain und ihr Jüngster

Re­gu­la Am­rain war die Frau ei­nes ab­we­sen­den Seld­wy­lers; die­ser hat­te einen großen Stein­bruch hin­ter dem Städt­chen be­ses­sen und sei­ne Zeit lang aus­ge­beu­tet, und zwar auf Seld­wy­ler Art. Das gan­ze Nest war bei­na­he aus dem gu­ten Sand­stein ge­baut, aus wel­chem der Berg be­stand; aber das Schul­den­we­sen, das auf den Häu­sern ruh­te, hat­te von je­her recht ei­gent­lich schon mit den Stei­nen be­gon­nen, aus de­nen sie ge­baut wa­ren; denn nichts schi­en den Seld­wy­lern so wohl ge­eig­net als Stoff und Ge­gen­stand ei­nes mun­tern Ver­kehrs als ein sol­cher Stein­bruch, und der­sel­be glich ei­ner in Fel­sen ge­haue­nen rö­mi­schen Schau­büh­ne, über wel­che die Be­sit­zer em­sig hin­weg­lie­fen, ei­ner den an­dern ja­gend.

Herr Am­rain, ein an­sehn­li­cher Mann, der eine an­sehn­li­che Men­ge Fleisch, Fi­sche und Wein ver­zeh­ren muss­te und mäch­ti­ge Stücke Sei­den­zeug zu sei­nen brei­ten schö­nen Wes­ten brauch­te, him­melblaue, kirsch­ro­te und groß­ar­tig ge­wür­fel­te, war ur­sprüng­lich ein Knopf­ma­cher ge­we­sen und hat­te auch die eine und an­de­re Stun­de des Ta­ges Knöp­fe be­spon­nen. Als er aber mit den Jah­ren gar so fest und breit wur­de, sag­te ihm die sit­zen­de Le­bens­art nicht mehr zu, und als er über­haupt den rech­ten Phä­aken­auf­schwung ge­nom­men: die rote Sam­met­wes­te, die gol­de­ne Uhr­ket­te und den Sie­gel­ring, li­qui­dier­te er die Knopf­ma­che­rei und über­nahm in ei­ner wich­ti­gen Haupt­sit­zung der Seld­wy­ler Spe­ku­lan­ten je­nen Stein­bruch. Nun hat­te er die an­ge­mes­se­ne be­weg­li­che Le­bens­wei­se ge­fun­den, in­dem er mit ei­ner ro­ten Brief­ta­sche voll Pa­pie­re und ei­nem ele­gan­ten Spa­zier­stock, auf wel­chem mit sil­ber­nen Stif­ten ein Zoll­maß an­ge­bracht war, etwa in den Stein­bruch hin­aus lust­wan­del­te, wenn das Wet­ter lieb­lich war, und dort mit dem be­sag­ten Sto­cke an den ver­pfän­de­ten Stein­la­gern her­um­sto­cher­te, den Schweiß von der Stirn wisch­te, in die schö­ne Ge­gend hin­aus­schau­te und dann schleu­nigst in die Stadt zu­rück­kehr­te, um den ei­gent­li­chen Ge­schäf­ten nach­zu­ge­hen, dem Um­satz der ver­schie­de­nen Pa­pie­re in der Brief­ta­sche, was in den küh­len Gast­stu­ben auf das bes­te vor sich ging. Kurz, er war ein voll­kom­me­ner Seld­wy­ler bis auf die po­li­ti­sche Verän­der­lich­keit, wel­che aber die Ur­sa­che sei­nes zu frü­hen Fal­les wur­de. Denn ein kon­ser­va­ti­ver Ka­pi­ta­list aus ei­ner Finanz­stadt, wel­cher kei­nen Spaß ver­stand, hat­te auf den Stein­bruch ei­ni­ges Geld her­ge­ge­ben und da­mit ge­glaubt, ei­nem wa­ckern Par­t­ei­ge­nos­sen un­ter die Arme zu grei­fen. Als da­her Herr Am­rain in ei­nem An­fall gänz­li­cher Ge­dan­ken­lo­sig­keit ei­nes Ta­ges höchst ver­fäng­li­che li­be­ra­le Re­dens­ar­ten ver­neh­men ließ, wel­che ruch­bar wur­den, er­zürn­te sich je­ner Herr mit Recht; denn nir­gends ist po­li­ti­sche Ge­sin­nungs­lo­sig­keit wi­der­wär­ti­ger als an ei­nem großen di­cken Man­ne, der eine bun­te Sam­met­wes­te trägt! Der er­bos­te Gön­ner zog da­her jäh­lings sein Geld zu­rück, als kein Mensch dar­an dach­te, und trieb da­durch vor der Zeit den be­stürz­ten Am­rain vom Stein­bruch und in die Welt hin­aus.

Man wird sel­ten se­hen, dass es großen schwe­ren Män­nern schlecht er­geht, weil sie eine durch­grei­fen­de und über­zeu­gen­de Gabe be­sit­zen, für ih­ren an­spruchs­vol­len Kör­per­bau zu sor­gen, und die Nah­rungs­mit­tel kön­nen sich dem­sel­ben nicht lan­ge ent­zie­hen, son­dern wer­den von dem Ma­gnet­ge­bir­ge des Bau­ches mäch­tig an­ge­zo­gen. So fraß sich der land­flüch­ti­ge Am­rain auch glück­lich durch die Fer­nen; und ob­gleich er nichts Gro­ßes mehr wur­de, aß und trank er doch ir­gend­wo in der Frem­de so weid­lich wie zu Hau­se.

Doch den Seld­wy­lern, wel­che jetzt rat­schlag­ten, wel­cher von ih­nen nun am taug­lichs­ten wäre, eine Zeit lang die Hon­neurs am Stein­bruch zu ma­chen, wur­de aber­mals ein Strich durch die Rech­nung ge­zo­gen, als die zu­rück­ge­blie­be­ne Ehe­frau des Herrn Am­rain un­er­war­tet ih­ren Fuß auf den Sand­stein setz­te und kraft ih­res her­zu­ge­brach­ten Wei­ber­gu­tes den Stein­bruch an sich zog und er­klär­te, das Ge­schäft fort­set­zen und mög­li­cher­wei­se die Gläu­bi­ger ih­res Man­nes be­frie­di­gen zu wol­len. Sie tat dies erst, als der­sel­be schon jen­seits des At­lan­ti­schen Welt­meers war und nicht mehr zu­rück­kom­men konn­te. Man such­te sie auf jede Wei­se von die­sem Vor­ha­ben ab­zu­brin­gen und zu hin­dern; al­lein sie zeig­te eine sol­che Ent­schlos­sen­heit, Rüh­rig­keit und Be­son­nen­heit, dass nichts ge­gen sie aus­zu­rich­ten war und sie wirk­lich die Be­sit­ze­rin des Stein­bru­ches wur­de. Sie ließ flei­ßig und or­dent­lich dar­in ar­bei­ten un­ter der Lei­tung ei­nes gu­ten frem­den Werk­füh­rers und grün­de­te zum ers­ten Mal die Un­ter­neh­mung, statt auf den Schein­ver­kehr, auf wirk­li­che Pro­duk­ti­on. Hieran woll­te man sie nun erst recht be­hin­dern; al­lein es war nicht ge­gen sie auf­zu­kom­men, da sie als Frau und spar­sa­me Mut­ter kei­ne Aus­ga­ben hat­te, im Ver­gleich zu den Her­ren von Seld­wy­la, und da­her auf die ein­fachs­te Wei­se im­stan­de war, alle Stür­me ab­zu­schla­gen und alle be­grün­de­ten For­de­run­gen zu be­zah­len. Aber den­noch hielt es schwer, und sie muss­te Tag und Nacht mit Mut, List und Kraft bei der Hand sein, sin­nen und sor­gen, um sich zu be­haup­ten.

Frau Re­gel hat­te von aus­wärts in das Städt­chen ge­hei­ra­tet und war eine sehr fri­sche, große und hand­fes­te Dame mit kräf­ti­gen schwar­zen Haar­flech­ten und ei­nem fes­ten dunklen Blick. Von ih­rem Man­ne hat­te sie drei Bu­ben von un­ge­fähr zehn, acht und fünf Jah­ren, wel­che sie oft­mals auf­merk­sam und ernst­haft be­trach­te­te, dar­über sin­nend, ob die­sel­ben auch wert sei­en, dass sie das Haus für sie auf­recht­hal­te, da sie ja doch Seld­wy­ler wä­ren und blei­ben wür­den. Doch weil die Bur­schen ein­mal ihre Kin­der wa­ren, so ließ die Ei­gen­lie­be und die Mut­ter­lie­be sie im­mer wie­der einen gu­ten Mut fas­sen, und sie trau­te sich zu, auch in die­ser Sa­che das Steu­er am Ende an­ders zu len­ken, als es zu Seld­wyl Mode war.

In sol­che Ge­dan­ken ver­sun­ken, saß sie einst nach dem Nachtes­sen am Ti­sche und hat­te das Ge­schäfts­buch und eine Men­ge Rech­nun­gen vor sich lie­gen. Die Bu­ben la­gen im Bet­te und schlie­fen in der Kam­mer, de­ren Türe of­fen­stand, und sie hat­te eben die drei schla­fen­den klei­nen Ge­sel­len mit der Lam­pe in der Hand be­trach­tet und be­son­ders den kleins­ten Kerl ins Auge ge­fasst, der ihr am we­nigs­ten glich. Er war blond, hat­te ein keckes Stumpf­näs­chen, wäh­rend sie eine ernst­haf­te gra­de lan­ge Nase be­saß, und statt ih­res streng ge­schnit­te­nen Mun­des zeig­te der klei­ne Fritz trot­zig auf­ge­wor­fe­ne Lip­pen, selbst wenn er schlief. Dies hat­te er al­les vom Va­ter, und es war das ge­we­sen, was ihr eben so wohl ge­fal­len hat­te, als sie ihn hei­ra­te­te, und was ihr jetzt auch an dem klei­nen Bur­schen so wohl ge­fiel und doch so schwe­re Sor­gen mach­te. Wenn eine Ge­sichts­art ei­nem ein­mal wohl­ge­fällt, so hilft hie­ge­gen kein Kraut; des­we­gen war Frau Am­rain froh, dass der Alte weg war und sie ihn nicht mehr sah; aber er hat­te ihr in dem jüngs­ten Kin­de ein treu­es Ab­bild sei­ner äu­ße­ren Art hin­ter­las­sen, wel­ches sie nie ge­nug an­se­hen konn­te.

Über die­sen Sor­gen traf sie der Werk­füh­rer oder obers­te Ar­bei­ter, der jetzt ein­trat, um mit ihr die An­ge­le­gen­hei­ten und den Be­stand der Ge­schäf­te durch­zu­se­hen und man­che wich­ti­ge Din­ge zu be­spre­chen. Es war ein hüb­scher und un­ter­neh­men­der Bur­sche von schlan­kem kräf­ti­gem Kör­per­bau, mä­ßig in sei­ner Le­bens­wei­se, flei­ßig und aus­dau­ernd und da­bei in sei­nen Ge­dan­ken von ei­ner ge­wis­sen ein­fa­chen Schlau­heit, wel­che zu­sam­men mit den er­kleck­li­chen Ei­gen­schaf­ten sei­ner Meis­te­rin eben das Ge­schäft in gu­tem Gan­ge er­hielt und die ge­dan­ken­lo­sen Spitz­fin­dig­kei­ten der Seld­wy­ler zu­schan­den wer­den ließ. In­zwi­schen war er aber ein Mensch und dach­te da­her vor al­lem an sich sel­ber, und in die­sem Den­ken hat­te er es nicht übel ge­fun­den, sel­ber der Herr und Meis­ter hier zu sein und sich eine blei­ben­de Stät­te zu grün­den, da­her auch in al­ler Ehr­er­bie­tung der Frau Re­gu­la wie­der­holt na­he­ge­legt, eine ge­setz­li­che Schei­dung von ih­rem ab­we­sen­den Man­ne her­bei­zu­füh­ren.

Sie hat­te ihn wohl ver­stan­den; doch wi­der­streb­te es ih­rem Stolz, sich öf­fent­lich und mit schimpf­li­chen Be­weis­grün­den von ei­nem Man­ne zu tren­nen, der ihr ein­mal wohl­ge­fal­len, mit dem sie ge­lebt und von dem sie drei Kin­der hat­te; und in der Sor­ge für die­se Kin­der woll­te sie auch kei­nen frem­den Mann über das Haus set­zen und we­nigs­tens die äu­ße­re Ein­heit des­sel­ben be­wah­ren, bis die Söh­ne her­an­ge­wach­sen wä­ren und ein un­zer­split­ter­tes Erbe aus ih­rer Hand emp­fan­gen könn­ten; denn ein sol­ches ge­dach­te sie trotz al­ler Schwie­rig­kei­ten zu­sam­men­zu­brin­gen und den Hie­si­gen zu zei­gen, was da Brauch sei, wo sie her­ge­kom­men. Sie hielt da­her den Werk­füh­rer knapp im Zü­gel und brach­te sich da­durch nur in grö­ße­re Ver­le­gen­heit; denn als der­sel­be ih­ren Wi­der­stand und ih­ren fes­ten Cha­rak­ter er­sah, ver­lieb­te er sich förm­lich in sie und ge­dach­te erst recht sei­ne Wün­sche zu er­rei­chen. Er än­der­te sein Be­neh­men, al­so­dass er, statt wie bis an­her ehr­bar um ihre Hand als Meis­te­rin sich zu be­wer­ben, nun um ihre Per­son schmach­te­te, wo sie ging, und sie stets mit ver­lieb­ten Au­gen an­sah, wo es im­mer tun­lich war. Dies schi­en für ihn eine zweck­dien­li­che Ver­än­de­rung, da die ei­gent­li­che Ver­liebt­heit in die Per­son ei­nes Men­schen den­sel­ben viel mehr be­sticht und be­zwingt als alle noch so ehr­ba­ren Hei­rats­ab­sich­ten. Wenn nun Frau Re­gel auch nicht die Hal­tung ver­lor und sich in ihn nicht wie­der ver­lieb­te, so wur­de es doch schwe­rer für sie, ihn ab­zu­weh­ren, ohne mit ihm zu bre­chen und ihn zu ver­lie­ren, und es ist be­kannt­lich eine Haupt­lieb­ha­be­rei der Frau­en, sich nütz­li­che Freun­de und Par­tei­gän­ger zu er­hal­ten, wenn es im­mer ge­sche­hen kann ohne große Op­fer.