9,99 €
Hamburg, 1954. Als Elly Mutter wird, während Peter auf See verschollen ist, zerreißt man sich im Sender das Maul über sie. Auch mit der Idee einer Spieleshow beißt sie zunächst auf Granit, die Männerbünde halten zusammen. Es wird sogar behauptet, die Show sei gar nicht Ellys Idee gewesen. Doch sie setzt sich zur Wehr, und so startet die erste deutsche Spieleshow, live aus den neuen Studios des NWDR. Für Elly scheint nun alles möglich, sogar ein Besuch der jungen Romy Schneider in ihrer neuen Talkshow winkt. Bis plötzlich ihr Vater vor der Tür steht. Das Familienunternehmen steht vor dem Ruin, er braucht die Hilfe seiner Tochter. Muss Elly nun doch ihren großen Traum aufgeben?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 412
Hamburg, 1954. Als Elly Mutter wird, während Peter auf See verschollen ist, zerreißt man sich im Sender das Maul über sie. Auch mit der Idee einer Spieleshow beißt sie zunächst auf Granit, die Männerbünde halten zusammen. Es wird sogar behauptet, die Show sei gar nicht Ellys Idee gewesen. Doch sie setzt sich zur Wehr, und so startet die erste deutsche Spieleshow, live aus den neuen Studios des NWDR. Für Elly scheint nun alles möglich, sogar ein Besuch der jungen Romy Schneider in ihrer neuen Talkshow winkt. Bis plötzlich ihr Vater vor der Tür steht. Das Familienunternehmen steht vor dem Ruin, er braucht die Hilfe seiner Tochter. Muss Elly nun doch ihren großen Traum aufgeben?
Steffi von Wolff weiß, wovon sie schreibt. Nach einer Ausbildung zur Hotelkauffrau begann sie 1991 beim Hessischen Rundfunk zunächst als Redaktionsassistentin, später als Reporterin, Moderatorin und Redakteurin bei hr3. Sie lebt in Hamburg und ist Autorin zahlreicher Romane in der humorvollen Frauenunterhaltung. Zuletzt hat sie für Aufbau die Saga »Die Frauen vom Nordstrand« als Marie Sanders geschrieben.
LÜBBE
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Originalausgabe
Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Katharina Rottenbacher, Berlin
Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München
Umschlagmotiv: © Shelley Richmond/Trevillion Images
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-4242-9
luebbe.de
lesejury.de
Hamburg, April 1954
Elly drehte sich vor dem Standspiegel. Das neue ziegelrote Kleid stand ihr ausgesprochen gut. Sorgfältig zog sie ihre Lippen nach und begutachtete das Ergebnis. Er war schon sehr rot, der neue Rouge G von Guerlain, aber er passte wunderbar zur Kleidfarbe, außerdem rühmte sich der Hersteller damit, dass diese Neuheit lange auf den Lippen halten sollte. Das ersparte das ewige Nachziehen.
Aus dem Radio ertönte »Seemann, wo ist deine Heimat«, und Will Glahé begleitete den Chor mit seinem Akkordeon. Elly schlüpfte in ihre schwarzen bequemen Pumps, die gut zum gleichfarbigen Ledergürtel passten, und überprüfte ihre Frisur. Sie hatte sich an einer Banane probiert, und ihre Frisur sah damit wirklich passabel aus. Noch einige Tropfen Diorissimo – Elly liebte den Maiglöckchenduft des Parfums – und sie war ausgehfertig. Ihr schwarzer Persianermantel passte wunderbar zum Kleid, und sie fühlte sich für die Feier zum vierzigsten Geburtstag ihres Chefs Paul Winterstein gewappnet.
Außer ihr waren noch einige andere Kolleginnen und Kollegen eingeladen, und Elly freute sich auf einen schönen Abend. Sie nahm ihre Handtasche und verließ die Wohnung. Bis zu Paul Wintersteins Haus waren es nur ein paar Gehminuten.
Elly ließ sich Zeit. Sie liebte die Abendstunden in ihrer Heimatstadt. Wenn der Tag zur Neige ging und der Abend Einzug hielt, wenn die Straßenlaternen ihr sanftes Licht verbreiteten und die Scheinwerfer der Automobile aufleuchteten.
Besonders gern ging sie dann über die Reeperbahn und durch die benachbarten Straßen. Die Große Freiheit leuchtete in allen Farben, es blinkte und glitzerte, und auf dem Kiez herrschte diese einzigartige Stimmung, die es sonst nirgendwo gab. Es war eine Mischung aus Lebensfreude, Lachen, Freiheit und natürlich auch Sünde. Die leichten Mädchen standen freizügig bekleidet an den Ecken und boten ihre Dienste an, junge Leute liefen untergehakt herum und verbreiteten Fröhlichkeit, Seemänner gingen rauchend an den Etablissements vorbei und blieben stehen, wenn die Koberer sie mit den Reizen der Damen im Inneren locken konnten.
Kurze Zeit später stand Elly im Abendrothsweg vor Paul Wintersteins Haus, das zwischen all den prächtigen hohen Jugendstilbauten mit den hübschen Fassaden fast klein wirkte. Es war eines der Häuser, das früher allein gestanden hatte, in einer Zeit, als Eppendorf und Hoheluft sowie einige andere Stadtteile noch die Landsitze der besser Betuchten waren. Einzelne Häuser, umgeben von Wald, breite Wege, über die man mit dem Einspänner aus der Stadt gefahren war, um fürs Wochenende Ruhe und Erholung zu finden.
Ein Dienstmädchen in schwarzem Kleid und weißer Servierschürze öffnete die Haustür und nahm Elly den Persianer ab.
Sie schaute sich um. Gemütlich wirkte es hier. Dort stand eine alte Truhe mit der Jahreszahl 1791, wahrscheinlich war sie mal für die Aussteuer einer jungen Frau bestückt worden, darüber ein Spiegel mit reich verziertem Goldrahmen. Auf dem alten Dielenboden lagen bunte Teppiche, an den Wänden waren grüne und rote Tütenlampen angebracht, die ein heimeliges Licht verbreiteten.
Am schönsten aber war der riesige silberne Kandelaber, der vor dem Spiegel auf der Truhe stand. Bestimmt vierzig Kerzen brannten hier, und durch den Spiegel wirkte es, als wären es Hunderte.
Eine Flügeltür mit Sprossenfenstern führte ins Wohnzimmer. Sie stand offen, und Elly ging suchend weiter. Da war Paul Winterstein. Schick sah er aus in seinem grauen Anzug und dem weißen Hemd. Neben ihm stand seine Frau Annerose, die Elly schon vor einiger Zeit kurz kennengelernt hatte und die ihr sehr sympathisch war.
Annerose Winterstein war einige Jahre jünger als ihr Mann und sehr hübsch. Ihre grazile Figur wurde von einem dunkelgrünen, eng anliegenden ärmellosen Kleid umschmeichelt, dazu trug sie moderne bunte Ohrgehänge und Armreifen, die an unbeschwerte sonnige Urlaubstage an der Côte d’Azur erinnerten. Das hellblonde Haar war hochgesteckt, der Pony fiel leicht ins Gesicht. Immer wieder lächelte Annerose ihren Mann an und zeigte makellos weiße Zähne. Sie verkörperte das Bild einer jungen, hübschen Ehefrau, die für ihre Familie da war, aber sie war kein Heimchen, so wie das viele Männer heutzutage wollten.
Wenn Elly manchmal in der Stadt ehemalige Schulkameradinnen traf, die in jungen Jahren schon mehrfache Mütter waren, erschreckte sie mitunter. Sie sahen so müde und ausgelaugt aus, dass Elly sie am liebsten sofort unterstützen würde. Ja, Kinder machten nun mal Arbeit, und wer nicht in der privilegierten Situation war, sich eine Haushaltshilfe und ein Kindermädchen leisten zu können, war Tag und Nacht beschäftigt. Elly dachte an schlaflose Nächte – dabei hatte sie nur eine Tochter und nicht drei oder vier Kinder wie manche.
So wollte Elly nicht werden. War ein Kind da, war nichts mehr so wie vorher, so ein Baby war ein egoistisches kleines Wesen und forderte, wenn man Pech hatte, rund um die Uhr, und das hatte Mariechen auch getan. In den ersten Wochen nach der Geburt hatte sie Tag und Nacht geschrien, wollte herumgetragen und gefüttert und begluckt werden, und manchmal hatte Elly gedacht, dass sie alles dafür geben würde, endlich mal wieder eine ganze Nacht durchschlafen zu können. Zum Glück war ihre Mutter zur Stelle und kümmerte sich tagsüber um das kleine Bündel, ging spazieren und gab Fläschchen. Liebend gern hätte Elly gestillt, aber es wollte und wollte nicht klappen, und irgendwann hatte sie mit der Hebamme beschlossen, es nun sein zu lassen. Marie wuchs und gedieh auch so ganz hervorragend. Elly war froh, ihre Mutter an ihrer Seite zu haben, und wusste das sehr zu schätzen. Auch dass es Greta gab, ein junges Ding, das unbedingt in der großen Stadt arbeiten wollte. Sie kümmerte sich um den Haushalt und um Mariechen.
Hier tobten die drei Kinder von Wintersteins herum, das jüngste Töchterchen noch auf wackeligen Speckbeinchen und in einem entzückenden rosa Kleidchen mit Schleife im Haar.
In diesem Moment hatte Paul Winterstein Elly entdeckt und kam mit seiner Frau auf sie zu.
»Fräulein Bothsen, wie schön, dass Sie da sind«, sagte er und schüttelte ihr die Hand. »Meine Frau Annerose haben Sie ja schon kennengelernt, als sie mal bei uns im Sender war.«
Annerose Winterstein lächelte Elly freundlich an und gab ihr die Hand. »Prima, dass Sie es einrichten konnten«, sagte sie herzlich. »Mein Mann redet so viel über Sie, dass ich schon fast eifersüchtig werden könnte.«
»Also Rose, bitte, so was musst du doch nicht sagen. Fräulein Bothsen ist nun mal einfach ein Gewinn für mich und den ganzen NWDR, und ich bin froh, dass wir sie haben.«
»Ich mache Scherze, Paul«, sagte Annerose und lachte. »Elly, ich bin Annerose. Was möchten Sie denn trinken? Wir haben Pfirsichbowle, Wein und Bier, oder möchten Sie was ganz Außergewöhnliches probieren, vielleicht einen Absinth-Cocktail oder etwas, das wirklich nicht jeder kennt, nämlich den Hollywood-Cocktail?«
»Den kenne ich tatsächlich nicht, was ist das?«, fragte Elly.
»Zitrone, Zuckersirup, Ei, Whisky, Vermouth und zerstoßenes Eis. Was sagen Sie?«
»Da sag ich nicht Nein. Aber nur einen«, sagte Elly, die mit Alkohol immer vorsichtig war.
»Kommen Sie mit, wir lassen Ihnen einen mixen.« Sie zog Elly mit sich in den angrenzenden Raum. Wieder musste man durch eine Flügeltür gehen, die mit bunten Jugendstilscheiben reich verziert war. Eine breite Glasfront gewährte einen Blick in einen verwunschen wirkenden Garten mit Terrasse.
»Das ist das eigentliche Wohnzimmer«, sagte Annerose. »Wir haben alles ein bisschen umgeräumt, damit nachher Platz zum Tanzen ist. Und nun bekommen Sie Ihren Cocktail.« Sie gingen zu zwei Kellnern im Frack, die gekonnt mit den Shakern umgingen, sie hoch in die Luft warfen und wieder auffingen. In der Ecke stand eine große Musiktruhe mit Plattenspieler, Tonbandgerät und Radio. Lothar, ein Kollege aus der Regie, machte sich gerade daran, eine Platte aufzulegen, kurz darauf ertönte Doris Days »Secret Love«.
Um Lothar herum standen einige Gäste und bewunderten das tolle Stück, das in edlem Holz gehalten war.
»Das ist unsere neueste Errungenschaft«, erklärte Annerose lächelnd. »Die Kinder können nicht genug davon kriegen und drehen ständig an den Knöpfen. Aber noch schlimmer ist es mit unserem Fernsehgerät. Jeden Nachmittag wollen sie, dass ich es anschalte. Unser Ältester sagt ganz altklug, wir müssten doch über Vatis Arbeit Bescheid wissen. Was will man da dagegenhalten?«
Elly lachte auf. »Ein kluger Junge. Und er hat recht«, sagte sie.
»Trotzdem ist es ein Kreuz«, seufzte Annerose. »Aber mein Mann wollte unbedingt solch ein Gerät. Und wie ich ihn kenne, wird er nächstes Jahr, wenn Grundig sein neuestes Gerät rausbringt, den schrägen Max, einer der Ersten sein. Er hat es sich schon im Katalog angekreuzt.«
»Aber Sie haben doch jetzt alles«, sagte Elly verwundert.
»Aber noch keinen Zehnfach-Plattenwechsler«, erklärte ihr Annerose gespielt resigniert und verdrehte die Augen.
»Aber das ist doch dufte«, meinte Elly. »Und wenn er ihn zu Hause nicht mehr haben darf, weil es Ihnen zu viel wird, kommt das Teil zu uns in den Sender wie die gute Rowenta.«
Vor einiger Zeit hatte Paul Winterstein eine sehr komplizierte Kaffeemaschine in die Küche des Senders geschafft, weil Annerose mit dem unpraktischen Teil nicht zurechtkam und es als tickende Zeitbombe bezeichnet hatte.
»Ich nehme Sie beim Wort«, lachte Annerose. »Andererseits haben Sie ja genug Leben und Musik im Funk.«
»Das ist allerdings wahr«, musste Elly zugeben. »Und endlich genug Platz und in den Studios nicht mehr unerträgliche Hitze unterm Dach!«
Sie waren im Oktober 1953 in das neu gebaute Funkhaus nach Lokstedt gezogen, was eine große Erleichterung für alle bedeutete. Endlich hatte man anstelle der Hochbunker, in denen sie anfangs arbeiten mussten, richtige Büros, große Fenster, funktionierende Fahrstühle, und kein Geschrei der Menschen vom Jahrmarkt, dem Hamburger Dom, drang in die Studios. Aber am schlimmsten war die Hitze gewesen, die durch die vielen Scheinwerfer entstanden war. Manchmal hatte man über fünfzig Grad Celsius gemessen. Trotzdem war die Zeit auf dem Heiligengeistfeld schön gewesen. Man hatte viel gearbeitet und viel gelacht, man hatte neue Formate erfunden und umgesetzt. Nun ging es in Lokstedt weiter.
»Hallo, Elly!«, rief Lothar. »Nachher gibt’s richtige Musik, dann musst du mit mir tanzen.«
Elly zwinkerte ihm zu und nickte. »Aber klar doch!«, rief sie. Sie mochte den zwanzigjährigen Kollegen, der erst vor Kurzem im Funk angefangen hatte, sehr. Es war unter den direkten Kollegen ein offenes Geheimnis, dass Lothar sich zu Männern hingezogen fühlte, und er wohnte in wilder Ehe, wie er sagte, mit seinem Cousin zusammen, der aber bald heiraten würde. Man redete im Sender nicht über die 175er, wie sie genannt wurden, weil eben dieser Paragraf die gleichgeschlechtliche Liebe verbot. Und man sprach auch nicht darüber, weil man die Kollegen schützen wollte.
Elly hatte sich früher über solche Dinge keine Gedanken gemacht, weil sie damit schlicht noch nie konfrontiert worden war. Ihr behütetes Leben im feinen Stadtteil Harvestehude hatte für »so was« keinen Platz gehabt, da war es nur um Luxus und Mode und Sommerfrische gegangen. Doch seitdem sie beim NWDR arbeitete, hatte sich das von Grund auf geändert. Da traf sie ständig neue Menschen, es blieb nicht aus, dass man viel mitbekam und darüber nachdachte.
Sie begriff nicht, warum man die Menschen nicht so leben ließ, wie sie gerne wollten. Wem schadete es denn, wenn ein Mann homosexuell war? Diese angebliche, von der Kirche und der Welt angeprangerte Sünde! Ihre Schwester Kari wohnte im turbulenten Berlin mit einer Frau zusammen und hatte Elly und der Mutter vor einiger Zeit erzählt, dass sie Frauen liebte. Magdalena war erst etwas durcheinander gewesen, hatte sich aber relativ schnell gefangen. Seitdem sie ihren Mann verlassen hatte, war sowieso einiges anders geworden. Sie hatte nach und nach ein eigenes, nie gekanntes Selbstbewusstsein entwickelt und genoss das neue Leben und ihre Freiheit in vollen Zügen. Sie hatte eine schöne Wohnung in der Nähe des Universitätskrankenhauses in der Curschmannstraße bezogen.
Ellys Vater Benedikt war nun schon einige Male bei seiner Frau gewesen und hatte sie angefleht, zurückzukommen, aber Magdalena blieb hart. Nein hieß nun mal nein.
Wenn Magdalena nicht auf ihre kleine Enkeltochter aufpasste, half sie ihrem Bekannten Gustav Smolka in dessen Hotel in der Isestraße. Dort hatte sie kurz nach ihrem Auszug aus dem großbürgerlichen Haus im Harvestehuder Weg vorübergehend gewohnt. Magdalena überarbeitete die Speisekarte und diskutierte mit den Köchen das Frühstücksangebot und das Weinsortiment. Heute Abend war Marie bei ihrer Großmutter in Eppendorf, gar nicht weit vom Abendrothsweg entfernt. Morgen war Sonntag und Elly hatte frei. Sie freute sich auf einen lustigen Abend mit netten Menschen und vor allen Dingen darauf, morgen auszuschlafen und dann lange mit ihrer Mutter und Marie zu frühstücken.
»Einmal Hollywood bitte«, sagte Annerose nun zu einem der Barkeeper.
»Immer gerne, gnädige Frau«, sagte er und lächelte die beiden Frauen an. Er war ein sympathischer junger Mann mit einem offenen Gesicht und schönen Augen, einer Haartolle und von schlanker Statur.
Elly lächelte verhalten zurück. Sie wollte nicht, dass sich irgendein Mann falsche Hoffnungen machte. Ihr Herz gehörte nun mal Peter. Peter Woltherr, den sie so unglaublich liebte und er sie auch. Seit Monaten war er auf See, und sie hatte nun schon länger nichts von ihm gehört. Von Mariechen wusste er noch nichts. Elly hatte nicht gewollt, dass er sich Sorgen machte, nachdem sie kurz vor seiner Abreise festgestellt hatte, dass sie schwanger war.
Seitdem Peter auf See war, hatten einige Männer versucht, ihr näherzukommen, und ihr Avancen gemacht, aber sie hatte das stets weggelächelt und war auf Abstand gegangen. Sie würde nicht im Traum daran denken, den Mann, den sie über alles liebte, zu betrügen.
Elly versuchte, wenigstens heute Abend nicht an Peter zu denken. Einmal wollte sie abgelenkt sein von der Sorge um ihn. Er hatte viel zu lange nicht mehr aus Übersee geschrieben. Sie wusste natürlich, wie unglaublich lange Post brauchte – wenn sie denn überhaupt ankam. Sie war schon in der Speicherstadt bei der Reederei gewesen, und dort hatte man ihr versichert, dass alles in Ordnung sei. Das Schiff würde gerade eine sehr lange Strecke fahren, ohne Landgang. Sobald man etwas höre, bekäme sie Bescheid, hatte man Elly versichert.
Nun nahm sie den Drink entgegen und nickte dem Barkeeper freundlich zu. »Vielen Dank.«
»Aber gern. Lassen Sie es sich schmecken.« Immer noch lächelte er ihr zu, und Elly lächelte höflich zurück. Aber dann drehte sie sich um und schaute nach Kolleginnen und Kollegen.
»Elly, da bist du ja! Wir dachten schon, dass du nicht mehr kommst!« Stupsi, die Sekretärin von Paul Winterstein, stand vor ihr, ein Sektglas in der Hand.
»Wir sind alle da drüben, komm mit.« Mit der freien Hand zog sie Elly mit sich zu einer heiteren Runde, die offensichtlich Spaß hatte und sie mit großem Hallo begrüßte.
Elly stieß mit den Kollegen an, dann wandte sie sich zu Stupsi.
»Du siehst ja toll aus heute«, sagte sie.
»Danke«, meinte Stupsi und drehte sich. »Ich dachte, für den Ehrentag vom Chef schmeiß ich mich mal in Schale.«
Sie trug ein schwarzes Kleid, das eng den Oberkörper umschloss und ab der Taille weiter wurde. Der schwarze Satin glänzte mit den großen Simili-Ohrringen und dem glitzernden Gürtel um die Wette. Ihre Haare hatte Stupsi mit einem silbernen Band gebändigt, und silbern waren auch ihre Pumps.
Stupsi arbeitete für Paul Winterstein in der Unterhaltungsredaktion und erledigte im Sender einfach alles, was so anfiel – einschließlich Geburtstagserinnerungen für Frau und Kinder, Geschenkbesorgungen, Prospektanforderungen beim Reisebüro für den Urlaub und Blumen zum Hochzeitstag.
»Ohne Sie wäre ich kein ganzer Mensch, Stupsi«, pflegte Paul Winterstein immer zu sagen, wenn es hektisch wurde und Stupsi herumwirbelte, dennoch alles im Griff hatte und dann auch noch wusste, wo sein Pfeifentabak lag und wo er die Lesebrille hingelegt hatte, die er seit einiger Zeit brauchte.
Paul Winterstein stellte sich nun in die Mitte des Raums und begrüßte offiziell die Gäste, wünschte einen schönen Abend und viel Vergnügen.
»Das Buffet ist eröffnet«, erklärte er, und die Leute warteten nicht lange, sondern begaben sich eifrig zu den Leckereien, die auf einer langen Tafel aufgebaut worden waren.
»Ich habe extra den ganzen Tag lang nichts gegessen«, sagte ihre Kollegin Ina, und Elly nickte. »Ich auch nur wenig.«
»Auf, auf, schnappt euch einen Teller und dann nichts wie ran an die Buletten, solange noch was da ist!«, rief Lothar fröhlich und hakte sich bei Elly unter. »Schöne Frau, darf ich’s wagen, Ihnen zu sagen, dass Sie hier die Schönste sind, deshalb entführ’ ich Sie geschwind …«
»Ach du Quatschkopf«, lachte Elly.
Sie nahmen sich Teller und schauten, was es so gab: kleine Blätterteigpastetchen mit Ragoût fin, Ochsenschwanzsuppe, Hamburger Aalsuppe und Zwiebelsuppe, Brötchenkränze mit Sesam, Kümmel und Mohn bestreut, Waldorfsalat, Kartoffelsalat, Nudelsalat, natürlich alles mit viel Mayonnaise. Da standen Schüsseln mit gebackenem Schinken und Ananas, Kalbshirn mit Sardellen, Nierenspieße, Tomateneier auf Toast, gefüllte Artischocken, Serbisches Reisfleisch und Gemüsereis, verschiedene Braten mit dicken Soßen, gebratenem Fisch und allerhand mehr. Auch die Nachtische konnten sich sehen lassen. Hamburger Rote Grütze mit Vanillesoße, Schokoladenpudding mit geschlagener Sahne, Sandkuchen, Streuselkuchen und köstlich aussehendes Gebäck. In einer kleinen Kühlbox warteten Schokoladen-, Vanille- und Erdbeereis. Die Krönung bildete eine Riesentorte, auf die eine goldene 40 gesteckt war. Sicher würde Paul Winterstein sie später anschneiden.
Lothar häufte seinen Teller so voll, als würde morgen der nächste Krieg ausbrechen.
»Ich weiß, ich benehme mich gerade nicht wie ein Gentleman«, sagte er. »Aber bei Essen kann ich einfach nicht anders. Das ist, seitdem wir damals tagelang im Luftschutzkeller waren und nichts zu essen und nichts zu trinken hatten«, erklärte er.
»Ich verstehe dich ja«, sagte Elly, die von den dramatischen Tagen wusste. »Aber du könntest wenigstens langsam essen.«
»Nein, kann ich nicht«, sagte Lothar mampfend. »Dann ist vielleicht gleich nichts mehr da. Oh, lecker, dieser Kartoffelsalat. Mhm, da sind ja auch heiße Bockwürste, wie herrlich, und Senf!« Obwohl sein Teller noch halb voll war, füllte er schon wieder nach. Elly ließ ihn gewähren. So viele hatten im Krieg Schlimmes erlebt und ihre Päckchen zu tragen. Sollte Lothar doch essen, wenn es ihm guttat.
Sie selbst langte auch ordentlich zu, alles schmeckte fantastisch. Nur die fetten, öligen Salate vermied sie. Aber die Ochsenschwanzsuppe war ein Gedicht, die Braten ebenfalls, und natürlich kostete sie auch vom Ragoût fin, über das sie einige Tropfen Worcestersoße und ein paar Spritzer Zitrone gab. Zum Nachtisch wählte sie Eis mit heißer Schokoladensoße, die in einem Topf vor sich hinblubberte. Herrlich! Sie stellte sich wieder zu den anderen und man sprach über dieses und jenes.
»Vielleicht finde ich ja heute den Mann fürs Leben«, flüsterte Stupsi Elly zu. »Ich hab schon einen ausgeguckt.«
»Ach«, gab Elly zurück. »Wen denn?«, fragte sie dann neugierig und musste grinsen. Seit ein paar Wochen redete Stupsi nur noch davon, dass sie nun doch einen Mann und eine Familie haben wollte.
»Nicht, dass ich dann aufhören möchte zu arbeiten, aber ich will mein Leben irgendwie ordnen«, hatte sie Elly erzählt. »Und ich möchte ein Kind, besser noch zwei.«
»Du willst wirklich heiraten?«, hatte Elly gefragt. »Was ist, wenn dein Mann dir verbietet zu arbeiten? Oder du ein Konto eröffnen willst, da brauchst du seine Unterschrift. Oder …«
»Ich weiß, ich weiß.« Stupsi hatte die Augen verdreht. »Du wieder. Hast ja recht.«
»Weißt du nicht mehr, was mit Helga war?«
Stupsi hatte genickt. »Doch, sicher, klar.«
Helga Overdiek hatte als Sekretärin beim NWDR gearbeitet und war sehr beliebt gewesen. Sie war fleißig, pünktlich, hatte immer ein nettes Wort parat und war einfach eine geschätzte Kollegin. Nachdem sie ihren Verlobten geheiratet hatte, war der zu Helgas Vorgesetztem gegangen und hatte die Stelle gekündigt, ohne dass Helga davon etwas wusste. Sie war dann noch einmal im Sender gewesen und hatte ihre persönlichen Dinge abgeholt, und man hatte ihr angesehen, dass ihr der Abschied nicht leichtfiel.
Elly hatte nur den Kopf geschüttelt. Dass so was möglich war!
»Geh doch einfach einen Schritt nach dem anderen. Such dir einen netten Freund, dann sieh weiter«, schlug sie nun vor. »Jedenfalls habe ich keine Lust darauf, dich als Kollegin zu verlieren, nur weil ein Herr sein Recht einfordert.«
Stupsi seufzte. »Das stimmt.«
Etwas später wurden andere Platten aufgelegt. Elly hatte das, was nun lief, noch nie gehört.
»Hat ein Freund aus Amerika mitgebracht. Rock ’n’ Roll nennt sich das!«, rief Lothar. »Komm in meine Arme, tanz mit mir!«
Das ließ Elly sich nicht zweimal sagen. Sie hatte zwar keine Ahnung, wie man zu dieser Musik tanzen sollte, aber sie ließ sich einfach mitreißen.
»Das müssen die Kollegen vom Radio mal spielen, die ollen Herren in den oberen Etagen fallen tot um«, rief Lothar und wirbelte Elly im Kreis herum.
Kurz fummelte jemand am Plattenspieler herum, und schon erklang das nächste Lied.
»Das ist Bill Haley! Rock Around the Clock«, schrie Lothar, und sie tanzten weiter.
Elly hatte noch nie so eine Begeisterung in einem Musikstück gehört. Man konnte gar nicht anders, man musste tanzen. So ging es auch allen anderen.
»Uuuuuuuuuh!«, machten nun alle und sprangen in die Luft. Nach dem zweiten Refrain konnten sie es dann auch schon mitsingen. Auch Stupsi hatte sich hinreißen lassen, tanzte ausgelassen mit einem jungen Mann und ließ sich herumwirbeln.
Was für ein wunderbarer Abend!
»Nimm noch ein Butterhörnchen, Kind«, sagte Magdalena am nächsten Morgen. Elly gähnte. Sie hatte natürlich doch mehr als einen Cocktail getrunken und war erst gegen fünf Uhr in der Wohnung ihrer Mutter angekommen. Entsprechend dröhnte ihr jetzt der Schädel. Aber der Abend war es wert gewesen. Sie hatten solchen Spaß gehabt!
»Danke, Mama.« Sie stellte das Fläschchen ab, mit dem sie Marie gerade gefüttert hatte, hob ihre Tochter hoch und klopfte ihr auf den Rücken, damit sie ein Bäuerchen machte.
»Du hast Kopfweh«, konstatierte Magdalena wissend. Sie konnte an Ellys Gesicht ablesen, was los war. Genau so war es mit Ellys Schwester Kari. Lediglich ihr Sohn York trug seine Gefühle nicht nach außen. Nur wenn er einen über den Durst getrunken hatte, brach es manchmal aus ihm heraus. In solchen Situationen wurde er wütend, unbeherrscht, und man suchte lieber das Weite.
Elly lächelte ihre Mutter an.
»Du hast recht. Mir dröhnt der Kopf«, sagte sie. »Aber ich bin ja selbst schuld.«
»Ach, Hauptsache, der Abend war schön«, erklärte Magdalena.
»Das war er. Ich bin wirklich froh, einen Chef wie Paul Winterstein zu haben. Seine Frau ist auch riesig nett. Und sie haben ein wunderhübsches Haus.«
Elly stand auf und trug Mariechen hin und her, und kurze Zeit später war die Kleine eingeschlafen. Vorsichtig legte Elly sie in ihre Wiege und deckte sie zu.
»So, du kleine Tyrannin«, sagte sie leise und strich Marie über die Wange. Eine tiefe Liebe durchzog sie, am liebsten hätte sie ihre kleine Tochter mit Küssen überflutet, aber dann wäre Marie wieder aufgewacht. Also ging Elly leise zu ihrer Mutter zurück.
Sie gähnte und war unglaublich dankbar, dass sie heute frei hatte.
»Leg dich ruhig noch ein bisschen hin«, sagte Magdalena. »Du siehst ja aus, als würdest du gleich im Stehen einschlafen. Ich kümmere mich um unseren kleinen Engel, wenn er wach wird.«
Elly setzte sich. »Nur noch ein Butterhörnchen mit Gelee. Dann nehme ich dein Angebot an. Ach, Mami, vielleicht ziehe ich einfach ganz zu dir. In St. Georg in Peters Wohnung mopse ich mich nur.« Peter hatte ihr vor seiner Abreise vorgeschlagen, in seiner Wohnung zu wohnen. Aber bei ihrer Mutter war es natürlich viel bequemer!
»Das wäre wunderbar, ich würde mich freuen«, sagte Magdalena.
»Ich könnte einen Kollegen im Sender fragen, auch ein Bekannter von Peter, ob der bis auf Weiteres in der Wohnung wohnen will«, überlegte Elly. »Lars heißt er. Er sucht schon lange. Vielleicht wäre das was für den Übergang. Dem Vermieter muss ich es ja gar nicht sagen. Aber ich werde sie nicht kündigen, obwohl ich die Vollmacht habe. Peter muss ja eine Bleibe haben, wenn er zurückkommt …« Gleich morgen würde sie sich darum kümmern. »Dann ist das abgemacht, Mami.«
Kurze Zeit später lag sie im Bett der Mutter, und Magdalena deckte sie liebevoll zu. Sie schloss die Augen, und eine Sekunde später war sie eingeschlafen.
»Ist es nicht wundervoll, dass wir mittlerweile Büros mit Fenstern haben?«, fragte Stupsi am Montag, während sie die Treppen im neuen Funkhaus in Lokstedt hochliefen. »Ich hätte damit ehrlich gesagt gar nicht mehr gerechnet und mich auch nicht gewundert, wenn man die vergessen hätte.«
»Dazu ein Fahrstuhl, der funktioniert und nicht um fünf Uhr nachmittags ausgeschaltet wird«, nickte Elly.
»Und eine anständige Belüftungsanlage in den Studios. Wie habt ihr das im Bunker bloß da drinnen ausgehalten?«, fragte Stupsi.
»Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich immer Durst hatte. Immer, egal wann.«
Sie lachten, grüßten entgegenkommende Kollegen und waren guter Dinge.
»Was sagt denn Don Clemente dazu, dass du seine Sendung nicht mehr betreuen wirst?«, wollte Stupsi wissen.
Don Clemente war der Spitzname des Fernsehkochs Clemens Wilmenrod, den Elly seit seinem Start beim Sender betreute und der mittlerweile große Berühmtheit erlangt hatte. Sie hatte es geschafft, ihn und seine schwierige Frau Erika, die sich immer in alles einmischte, unter ihre Fittiche zu nehmen. Seitdem lief die Sendung mehr oder weniger reibungslos. Nur dann und wann flog mal ein Ei oder Brot in die Luft, wenn Don Clemente einen seiner Anfälle bekam. Daran hatten sich aber alle inzwischen gewöhnt.
Elly zuckte die Achseln. »Er weiß es noch nicht. Der Chef hat gesagt, wir sollen es ihm und Erika so spät wie möglich sagen, sonst dreht er durch. Du weißt doch, wie er ist.« Sie verdrehte die Augen. »Bei Wilmenrod wird eben alles zum Drama.«
»Aber du hattest ihn gut im Griff«, sagte Stupsi und schloss die Tür zu ihrem Büro auf. »Machen wir zusammen Mittagspause?«
»Gern«, nickte Elly. »Um eins unten?«
»Um eins unten«, sagte Stupsi.
In ihrem Büro angekommen, öffnete Elly erst mal ein Fenster. Auch wenn sie nun schon seit Oktober letzten Jahres in Lokstedt in den neuen Gebäuden waren, roch es immer noch nach Farbe und Holzöl und Linoleum, einfach neu eben. Dazu kam täglich der Geruch der Putzmittel; ab achtzehn Uhr strömten die guten Geister durch die Räume und wienerten und wischten alles rein.
Elly schaute in ihr Postfach und bekam Herzklopfen, als sie die Dienstpläne für den nächsten Monat sah. Paul Winterstein hatte ernst gemacht und sie tatsächlich für die Vorbereitung einer wöchentlichen Talkshow eingesetzt. Außerdem würde sie die Planung und das ganze Drumherum für die »Familie Schölermann« übernehmen, die Ende September zum ersten Mal über die Bildschirme flimmern sollte. Mehrere Kollegen hatten dieses Konzept entwickelt. Die Schauspieler waren mit viel Überlegung sorgfältig ausgesucht worden, man wollte ein echtes, wiedererkennbares Bild der deutschen Durchschnittsfamilie schaffen, und die Zuschauer sollten das Gefühl haben, dass die Schölermanns bei ihnen im Wohnzimmer wären. Lange hatte man über die Namen nachgedacht und sich letztendlich für Matthias und Trude entschieden, die Kinder hießen Eva, Heinz und Joachim.
»Die Leute sollen sich sozusagen selbst sehen«, lautete eine der Vorgaben, deswegen sollten normale Alltagsgeschichten normaler Menschen erzählt werden. Ganz nach amerkanischem Vorbild sollte die erste deutsche Fernsehserie gestaltet werden.
»Du meine Güte«, hatte Elly zu Stupsi gesagt. »Wie soll ich denn feststellen, ob eine Folge wie in der Wirklichkeit ist? Die Schölermanns haben doch gar kein Personal und wohnen in einer Wohnung …«
Stupsi hatte gelacht. »Da kommt das vornehme Töchterchen durch. Das hast du noch nicht ganz abgelegt.«
»Quatsch mit Soße.« Elly hatte mit Nachdruck den Kopf geschüttelt. »Aber ich muss es doch richtig beurteilen.«
»Der Chef wird sich schon was dabei gedacht haben, dass er dich dafür einsetzt«, hatte Stupsi gemeint. »Außerdem sagst du doch immer, dass du hier so viel lernst.«
Das stimmte. Trotzdem war Elly unsicher. Dass Herr Winterstein sie für die Schölermanns vorgeschlagen hatte, war nicht überall auf Gegenliebe gestoßen.
»Schon wieder das Fräulein Bothsen«, hörte man auch jetzt noch oft. Elly versuchte drüberzustehen, aber es gelang ihr nicht immer.
»Zieh dein Regenmäntelchen an und lass es an dir abperlen«, sagte Ellys Mutter Magdalena stets, wenn die Tochter ihr Leid klagte. »Und hör auf zu jammern, du hast dir das alles selbst zuzuschreiben. Du könntest nämlich gerade in einem deiner Salons in Thies’ und deinem Haus sitzen und dir Gedanken über das nächste Festessen machen.«
»Gott steh mir bei«, sagte Elly dann mit Inbrunst.
Heute Nachmittag würde sie sich mit Ruprecht Essberger treffen, der bei den Schölermanns Regie führen würde. Sie kannte ihn noch nicht, nur aus Erzählungen der Kollegen. Ein stiller Mann wohl, wortkarg und brillant in dem, was er tat. Essberger war, so sagte Paul Winterstein immer, ein Ideenwunder, ständig kam er mit neuen Vorschlägen und war stets überzeugt von dem, was er vorschlug.
»So viel Sendezeit haben wir nicht, werter Kollege«, hatte Winterstein erst letzte Woche gesagt. »Und aufnehmen auf Film und später senden ist zu teuer. Machen wir doch einen Schritt nach dem anderen.«
Elly seufzte. Hoffentlich würde sie mit Essberger auskommen. Es war oft problematisch mit den männlichen Kollegen. Die Frauen beim NWDR wurden nicht so ernst genommen wie die Männer, und die wenigsten von ihnen hatten verantwortungsvolle Posten. Immerhin waren die anzüglichen Bemerkungen weniger geworden und hielten sich im Rahmen. Paul Winterstein hatte einem übergriffigen Mitarbeiter fristlos gekündigt und in einer anschließenden Sitzung lautstark klargemacht, dass er ein solches Verhalten unter keinen Umständen duldete. Das hatte gesessen, aber so ganz konnten die Herren der Schöpfung es dann doch nicht lassen.
Elly hatte gehofft, dass die Situation mit ihrer Schwangerschaft besser werden würde, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es nun die Kolleginnen waren, die schwierig wurden. Gerade die älteren waren nicht davon angetan, dass einer der Chefs beim NWDR eine junge unverheiratete Mutter beschäftigte und dann auch noch so in den Himmel hob.
Elly hatte vorher mit Paul Winterstein besprochen, wie man die Tatsache, dass sie ein Kind bekam, öffentlich machte. Schließlich hatten sie sich dafür entschieden, mit offenen Karten zu spielen. Winterstein hatte wie stets kühl und besonnen alles zur Kenntnis genommen und genauso kühl und besonnen die Kollegen darüber informiert.
»Ich bitte alle Anwesenden, Fräulein Bothsen keine Schwierigkeiten zu machen und ihr genauso respektvoll zu begegnen, wie ich das von Ihnen allen gewohnt bin. Wer damit ein Problem hat, kann gerne zu mir kommen und sich davon überzeugen lassen, dass es gar kein Problem gibt.«
Das hatte gesessen, und die älteren Sekretärinnen, die die Nase über »so etwas« rümpften, rümpften sie, ohne dass jemand das mitbekam, und man war natürlich und selbstredend zuckersüß zu Elly. Und tatsächlich ebbten das Geschwätz und die Mutmaßungen, dass bestimmt bald das nächste Bankert kommen würde, irgendwann ab. Elly war gleichbleibend freundlich zu jedermann, sie hatte gar keine Zeit, sich um Klatsch und Tratsch zu kümmern. Mit Feuereifer war sie bei allem bei der Sache, nichts war ihr zu viel.
Sie machte sich Notizen zu den Schölermanns, da musste sie unbedingt auch mal mit den Buchautoren Alexandra und Rolf Becker sprechen; es musste ja geklärt werden, was gesendet wurde. Sie musste sich selbst einen Ablaufplan mit den wichtigsten und weniger wichtigen Punkten anlegen, unbedingt.
Es war Elly vor sich selbst richtiggehend peinlich, dass sie so wenig vom Alltag einer Durchschnittsfamilie wusste. Sie hatte keine Ahnung, was gegessen und worüber beim Abendbrot geredet wurde. Sicher, Elly hatte mit Ingrid längere Zeit in dem einfachen Hotel über der Hong-Kong-Bar gewohnt, dort hatten sie sich auch selbst versorgt, aber sie kannte den typischen Familienalltag einer ganz normalen Familie nicht. Morgens aufstehen, Frühstück bereiten, ja, das ging schon, aber worüber redeten die Leute? Welche Sorgen hatten sie innerhalb der Familie?
Sie seufzte. Da hatte sie sich ja auf was eingelassen! Dennoch und trotzdem würde sie sich durchbeißen. Elly war ehrgeizig. Aber die Sendung bereitete ihr Kopfzerbrechen.
Wer könnte ihr da nur behilflich sein, ohne dass sie sich zum Gespött der Leute machte? Sie hörte die Kollegen schon über sie herziehen. Das verwöhnte Töchterchen stößt an seine Grenzen, hab ich mir doch gleich gedacht.
Sie stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Nun, sie könnte offen und ehrlich …
Auf dem Flur hörte sie Stimmen und Rumoren, jemand fragte: »Du hier? Wie kommt es?« Elly stand auf und öffnete ihre Bürotür – und sah sich Stupsi gegenüber, die einen großen Karton in der Hand hielt.
»Stupsi«, sagte Elly verwirrt.
»Ha!«, machte Stupsi. »Dein Gesicht ist Gold wert. Mach mir doch mal bitte die Tür auf.« Sie nickte auf die geschlossene Tür, die zu einem noch unbenutzten Büroraum neben Ellys Büro führte. Verdutzt tat Elly, was Stupsi sagte.
»Äh«, sagte sie und folgte Stupsi ins Büro. »Du arbeitest jetzt hier unten?«
Stupsi nickte. »Gut erkannt, du Dusselchen. Da staunst du aber, was?«
»In der Tat«, nickte Elly.
»Der Chef wollte das so«, sagte Stupsi vergnügt.
»Aha«, machte Elly und runzelte die Stirn. »Arbeitest du nicht mehr für ihn?«
»Oh doch, aber nicht nur. Denn, und nun wirst du mir gleich um den Hals fallen, ich habe ihm letztens, nachdem er mit dem Diktieren fertig war, ein bisschen was von dir und deinen Bedenken wegen der Schölermanns erzählt.« Sie grinste.
Elly wurde blass. »Oh Gott, wieso denn? Was soll er denn von mir denken? Dass ich zu blöde bin, mich in eine deutsche Familie reinzuversetzen?«
»I wo«, winkte Stupsi ab. »Der Chef ist ja nicht dumm. Der hat sich so was schon gedacht. Also wurde ich ins Boot geholt, ganz einfach. Das Durchschnittsmädchen von nebenan, das sich übers Böden Bohnern genauso unterhalten kann – und das ist mein Vorteil, weil ich so gerne die herrlichen Klatschzeitungen lese – wie über prominente Persönlichkeiten. Ab sofort, verehrtes Fräulein Bothsen, arbeiten wir gemeinsam für die Schölermanns und für deine Talkshow. Wir werden das Kind schon schaukeln, was meinst du?«
Erwartungsvoll sah sie Elly an.
Die strahlte. »Ich könnte dich vergolden, Stupsi, nein, ich könnte dich in Gold aufwiegen! Oh, sind das wunderbare Neuigkeiten, aber du bist wohl … du bist wohl übergeschnappt, das einfach so anzustreben, und dann gelingt es dir auch noch!«
Sie konnte gar nicht anders, die Tränen kamen. Freude und Erleichterung gleichzeitig breiteten sich in Elly aus, und sie umarmte Stupsi spontan.
»Ich freue mich so«, sagte sie und drückte die Kollegin an sich.
»Und ich mich erst«, antwortete Stupsi fröhlich. »Ist zwar mehr Arbeit, aber …«
»… wir helfen uns einfach gegenseitig«, vervollständigte Elly den Satz. »Der Chef wird sich nicht beschweren können.«
»Aber weißt du, was wirklich drollig ist?«, fragte Stupsi. »Rate mal, wer jetzt für Don Clemente zuständig ist!«
»Hm … ich komm nicht drauf«, sagte Elly, die in Gedanken sämtliche infrage kommenden Kolleginnen und Kollegen durchgegangen war.
»Tadaaa! Linda Grüneberg«, sagte Stupsi.
»Nein!«
»Doch. Sie war die Einzige, die nicht gleich Nein geschrien hat. Du weißt doch, Linda will hoch hinaus und versucht alles, um bei Winterstein wieder lieb Kind zu sein.«
Die Kollegin Grüneberg hatte sich Elly gegenüber äußerst unfein benommen, indem sie Zuschauerreaktionen falsch und negativ wiedergegeben und Lobbriefe verheimlicht hatte, weil sie auch so gerne ins Fernsehen wollte. Paul Winterstein hatte sie ganz schön zusammengestaucht, als das alles rauskam, und Linda war erst mal in eine sterbenslangweilige Abteilung versetzt worden, nämlich ins Archiv. Ganz offenbar witterte sie nun eine neue Chance.
»Um Himmels willen«, sagte Elly. »Das weiß ich jetzt schon, dass das nicht gut geht. Wilmenrods Frau Erika Hahn und Linda Grüneberg zusammen, das gibt Tote. Die kratzen sich gegenseitig die Augen aus, weil jede recht haben will.«
Stupsi nickte. »Sehe ich genauso.« Sie sah sich in ihrem neuen Büro um. »Schön, dass wir quasi nebeneinandersitzen. Wollen wir die Verbindungstür aufmachen?«, meinte sie dann, und Elly nickte. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir richtige Büros haben, ohne Stahltüren und mit Pflanzen. Du brauchst auch unbedingt einen Gummibaum.«
»Bloß nicht«, wehrte Elly ab. »Ich konnte mit Topfpflanzen noch nie was anfangen. Meine Mutter hatte daheim ein ganzes Beet nur mit Sukkulenten und einen Wintergarten mit tropischen Pflanzen und überall Orchideen.«
»Wundervoll«, befand Stupsi.
»Schrecklich«, konterte Elly.
»Eine kleine Stechpalme wird dich nicht umbringen, es macht das Büro gleich viel wohnlicher. Ich gieße sie auch. Immerhin haben wir jetzt richtiges Tageslicht«, beschloss Stupsi. »Lass mich nur machen. Also ich würde sagen, ich packe mal meinen Krempel aus, dann komm ich zu dir rüber und wir besprechen alles, was so anliegt.«
»Das ist wunderbar. Ich besorge uns Kaffee.«
»Dufte. Wie schön, dass wir unsere gute Rowenta mitgenommen haben.«
Stupsi stellte ihren Karton auf den nagelneuen Schreibtisch.
»Meine Schreibmaschine fehlt noch«, stellte sie fest. »Sonst scheint alles da zu sein. Halt, Stenoblöcke muss ich bestellen. Durchschlagpapier brauch ich auch. Oh, ich hab ja auch einen Rollschrank, das ist toll für die Aktenordner. Ach so, einmal pro Woche ist eine Sitzung mit dem Chef, er will über das, was wir uns so ausdenken, genaustens informiert werden.«
Elly nickte. Sie war so unsagbar froh, dass Stupsi da war.
Die begann, ihre Kiste auszupacken. »Ich komm dann gleich rüber«, sagte sie fröhlich, und Elly ging in ihr Büro zurück.
»Mit den Schölermanns sehe ich keine Probleme«, sagte Stupsi eine Stunde später, als Elly und sie zusammensaßen. »Wir haben ja Autoren für die Sendungen, wir müssen uns das nur vorlegen lassen und Ja oder Nein sagen, das kriegen wir schon hin. Da sprechen wir mit den Autoren, ich läute die nachher mal an, am besten, die beiden kommen ins Funkhaus, da können wir alles bereden. Für die ersten drei Sendungen gibt’s auch schon grobe Konzepte. Aber schauen wir uns erst mal die Personen an, damit wir die kennenlernen.«
Stupsi hatte sich gut vorbereitet und zog einige Seiten aus einer Mappe, die dicht mit der Maschine beschrieben waren.
»Der Vater, Matthias Schölermann, ist in den ersten Folgen ein einfacher Angestellter, der erst ein wenig aufsteigt, aber dann seine Arbeit verliert, woraufhin er eine Pension eröffnet. Kommen wir zur Mutter, Trude Schölermann. Die ist eine schlichte, strebsame Hausfrau und nur für ihre Familie da. Der ältere Sohn heißt Heinz. Er arbeitet in einer Autowerkstatt. Er verliebt sich in die falsche Frau, deshalb falsch, weil sie älter ist als er, und seine Eltern lehnen sie ab. Eine Tochter gibt’s auch, Eva. Die geht anfangs noch zur Schule und beginnt dann eine Ausbildung zur Schneiderin. Später verlobt sie sich. Dann hätten wir das Nesthäkchen der Schölermanns, nämlich Joachim, genannt Jockeli. Der geht noch zur Schule und heckt manchmal ziemliche Dummheiten aus. Konntest du mir folgen?«
»Ja, sicher«, sagte Elly. »So weit hab ich alles verstanden, falls du das meinst. So schwer war das nun nicht.«
»Das ist gut«, erwiderte Stupsi und schob ihre Eyecat-Brille auf der Nase zurecht. »Wir werden es wohl fertigbekommen, uns die Ideen der Autoren anzuhören, ein bisschen Drama, dann Liebe, was koch ich morgen, ich brauche neue Perlonstrümpfe, was soll nur werden, wenn Vater arbeitslos ist, und so weiter und so weiter.«
Elly nickte. Plötzlich kam es ihr gar nicht mehr so schwer vor, an diesem Konzept und den Drehbüchern zu arbeiten, das sagte sie auch Stupsi.
»Ist doch klar wie Kloßbrühe«, entgegnete die. »Das ist, weil zu zweit alles leichter geht. Ist übrigens auch mit ein Grund, warum ich so froh war, dass der Chef gesagt hat, ich soll zu dir runterziehen, ich bin nämlich eigentlich auch keine Einzelgängerin, sondern arbeite lieber mit anderen. Wir werden das Kind schon schaukeln, Elly. Apropos, wie geht’s denn Mariechen?«
»Sie wächst und gedeiht«, erzählte Elly. »Ich bin wirklich froh, dass ich Mama und Greta habe. Die sind Gold wert. Sonst könnte ich gar nicht so viel arbeiten.«
»Die Brunsen mokiert sich übrigens bei jeder sich bietenden Gelegenheit über diesen unhaltbaren Zustand, dass der NWDR eine ledige Mutter beschäftigt. Ein Skandal, unglaublich«, äffte Stupsi Esther Brunsen aus dem Personalbüro nach. »Dabei, das hat mir Irene Koss erzählt, war sie nach dem Krieg ein Amiliebchen und hat einen unehelichen Sohn von einem Schwarzen bekommen, den der dann einfach mit nach South Carolina oder sonstwohin genommen hat.«
»Ach!«, rief Elly. »Aber über mich herziehen, das gefällt mir. Na ja, ich versuch, drüberzustehen.«
»Du, sag mal, Elly, was gibt’s Neues von Peter?«
Das kam so überraschend, dass Elly überrumpelt war und ihr Tränen in die Augen schossen.
»Nichts«, sagte sie dann leise. »Ich war schon einige Male in der Reederei, aber die sagen nur, dass sie seit Wochen keinen Kontakt haben. Ich werde nächste Woche noch mal hingehen.«
Stupsi streichelte ihren Arm. »Nimm die Sorgen nicht auf Vorschuss. Wenn was wäre, hättest du doch Bescheid gekriegt.«
»Aber wenn kein Kontakt besteht, wie soll man da denn Bescheid kriegen?«
»Hm. Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht. Aber ich gehe am liebsten vom Besten aus. Das sagt mir, dass alles in Ordnung ist. Du musst einfach abwarten.«
Elly holte ein Taschentuch und schnäuzte sich. »Das sagt sich so einfach. Weißt du, immer wenn ich Mariechen auf dem Arm habe, sehe ich in Peters Augen. Diese Ähnlichkeit ist frappierend. Glaub mir, Stupsi, wenn Peter was zustößt, weiß ich nicht, was werden soll.«
»Unfug. Ihm stößt schon nichts zu«, sagte Stupsi mit fester Stimme. »Bitte denk nicht an so was.«
»Ich versuch es ja, aber manchmal ist es nicht so einfach.« Elly seufzte. »Lass uns von was Schönem reden. Du sagtest doch am Sonnabend auf der Feier beim Chef, du hättest dir schon einen Mann zum Heiraten ausgeguckt. Wer ist es denn? Du warst ja auch auf einmal weg …«
Stupsi errötete leicht. »Ich bin mit Benno zur Alster gelaufen, mitten in der Nacht«, erzählte sie.
»War Benno der, mit dem du den ganzen Abend getanzt hast?«
»Ja. Er tanzt sehr gut. Er küsst auch sehr gut«, flüsterte Stupsi.
»Ja, und dann?«
Stupsi stand auf und schloss die Bürotür.
»Muss ja nicht jeder alles mitkriegen. Tja, und dann sind wir zu ihm nach Haus gegangen.«
Elly machte große Augen. »Oh … ihr habt doch hoffentlich …«
Stupsi kicherte. »Nein, nein, es ist nicht so, wie du denkst. Benno ist ein feiner Kerl mit Ehrgefühl im Leib. Ach, er ist einfach wunderbar. Wir haben uns bis morgens um vier Uhr unterhalten und …«
»Wirklich nur unterhalten?«, fragte Elly mit gerunzelter Stirn.
»Auf Ehre. Also, geküsst haben wir uns zwischendurch schon, aber weiter sind wir nicht gegangen. Wobei …« Sie seufzte. »Wobei ich wirklich nicht weiß, warum man immer bis zur Ehe warten soll. Bei dir funktioniert es doch auch.«
»Dass ich nicht lache, Stupsi. Du weißt, was es im Funk für ein Gerede gab, als man mir die Schwangerschaft angesehen hat, und auch schon vorher. Wenn Herr Winterstein sich nicht so für mich eingesetzt hätte, wer weiß, ob ich dann überhaupt noch hier arbeiten würde.«
»Das hat der Chef auch ganz richtig gemacht«, nickte Stupsi. »Trotzdem finde ich das mit dem Sex vor der Ehe ungerecht. Wie soll man denn wissen, ob man zueinander passt, wenn man sich nicht vorher ausprobiert?«
»Da hast du natürlich nicht unrecht, und ich finde auch, dass das ziemlich altmodische Moralwerte sind, immerhin leben wir nicht mehr im 19. Jahrhundert«, musste Elly zugeben. »Der Mann darf sich vor der Ehe austoben, denn er muss sich ja dann auskennen, aber die Frau soll sittsam daheim sitzen und gilt als leichtes Mädchen, wenn sie sich vor der Hochzeit mit einem Mann einlässt.«
Stupsi nickte. »Genau so ist es, genau so. Hach, mal schauen, wie es mit Benno und mir weitergeht. Morgen Abend sehen wir uns einen Film an, danach hat er mich zum Essen eingeladen.«
»Wie schön«, sagte Elly. »Und was macht Benno beruflich?«
»Er möchte Rechtsanwalt werden und studiert seit Kurzem in Hamburg. Nächsten Monat wird er fünfundzwanzig. Also ist er ein Jahr älter als ich. Er ist ein Neffe von Annerose Winterstein. Du, Elly, ich glaub wirklich, ich hab mich verliebt.«
»Ach, Stupsi, das ist doch wunderbar«, fand Elly und lächelte die Kollegin an. »Verliebt sein ist etwas Herrliches.« Und dann musste sie wieder an Peter auf hoher See denken und seufzte innerlich. Hoffentlich würde sie bald etwas hören.
»Mit den Schölermanns müssen wir im Moment nichts mehr besprechen, da bestellen wir also wie gesagt die Autoren ein und am besten auch den Regisseur, den …«
»Herrn Essberger, der kommt heute Nachmittag, mit ihm habe ich schon telefoniert.«
»Prima, dann fragen wir ihn, wie er sich das alles vorstellt. Vielleicht haben die beiden Autoren ja dann auch Zeit, ich läute sie mal direkt an, die Nummer hab ich.«
Kurze Zeit später stand fest, dass Alexandra und Rolf Becker abkömmlich waren und um sechzehn Uhr zu dem Termin mit dem Regisseur erscheinen würden.
»So. Nachdem nun das weitere Vorgehen wegen der Schölermanns steht, tadaaa, wirst du mich gleich wieder vergolden wollen.«
»Warum?«, fragte Elly.
Stupsi zog einen Stapel Unterhaltungsillustrierte aus einer Mappe. »Weil ich mich so brillant auf meine Arbeit mit dir vorbereitet habe. Hier, bitte. Die Constanze, die Deutsche Film-Illustrierte, Quick, Der Stern, die Revue, die Er …«
»Ach, diese Zeitschrift für den Mann?«
»Genau. Weil die Männer ja so ganz anders sind als die Frauen. Welcher ist der beste Cognac, welche Sakkos trägt man, was raucht man und so weiter. Hier ist noch die Stuttgarter Illustrierte und … ach, wir schauen einfach mal alle durch.«
Sie breiteten die vielen Illustrierten auf dem Schreibtisch aus. Überall prangten die Konterfeis von Schauspielern und anderen Berühmtheiten.
»Oh, Curd Jürgens«, sagte Elly und suchte im Magazin nach der Titelgeschichte des Schauspielers. »Hat er nicht wunderbare Augen? Auch sonst ist es ein klasse Typ.«
»Das finden so ziemlich alle Frauen, die ich kenne«, lachte Stupsi. »Warst du im Januar in einem Lichtspielhaus? Da lief ›Meines Vaters Pferde‹ mit ihm. Ganz wundervoll.«
»Nein, war ich nicht«, bekam sie von Elly erklärt.
»Ich finde ihn auch hinreißend. Er dreht ja viele Filme momentan, ich hab gelesen, dass er auch in der Verfilmung vom Orient-Express mitgespielt hat … mit Eva Bartok. Du!«, rief Stupsi nun aufgeregt. »Für wann ist deine erste Sendung geplant?«
»Das weiß ich noch nicht, das muss alles mit Herrn Winterstein bespro…«
Stupsi unterbrach sie mit glänzenden Augen. »Weißt du was? Wir laden Curd Jürgens ein!«
Elly wurde blass. »Curd Jürgens? Du bist wohl nicht bei Trost.«
»Papperlapapp, natürlich bin ich bei Trost. Er wird heulen vor Glück, weil er in der deutschlandweit ersten Talkshow, wie man das ja in Amerika und nun auch hier nennt, eingeladen ist. Übrigens finde ich es herrlich, dass wir Talkshow sagen und nicht Fernsehdebatte. Das klingt schrecklich langweilig. Und das ist doch Publicity oder wie das heißt, für den neuen Film von Curd Jürgens.« Stupsi machte sich aufgeregt Notizen.
»Du Unke. Als Nächstes laden wir die Kaiserin Soraya ein«, gluckste Elly.
»Lach nicht!«, wurde sie von Stupsi ermahnt. »Wir brauchen natürlich hochkarätige Gäste. Glaub mir. Hach, wir machen jetzt einfach mal eine Liste, los.«
Eifrig machten sie sich ans Werk und hatten eine Stunde später viele prominente Namen aufgeschrieben.
»Jetzt brauchen wir nur noch das Wichtigste«, stöhnte Elly. »Nämlich ein Sendungskonzept. Die Vorgaben hat Herr Winterstein mir schon genannt.« Sie holte ihre Notizen hervor. »Alles wird live gesendet, wir beginnen mit einer Stunde pro Woche am Freitag um neun Uhr abends, dann sieht man weiter. Wenn die Sendung gut bei den Zuschauern ankommt, wird die Häufigkeit erhöht, die Sendezeit kann auch verändert werden. Anfangs also eine Stunde pure Unterhaltung mit dem jeweiligen Gast. Du hast recht, wir müssen mit einem großen Namen anfangen, es muss jemand sein, den ganz Deutschland kennt.«
Stupsi stand auf und lief im Büro umher. »Du, letztens hab ich was über eine Caterina Valente gelesen. Ich glaub, die wird mal ein Star. Solche Leute müssen wir einladen, damit es dann heißt: Durch die Talkshow mit Elly Bothsen sind Sie berühmt geworden. Oder Heinz Rühmann. Der ist bestimmt lustig. Jedenfalls dreht er lustige Filme. Ich höre die Leute schon fragen: Habt ihr die Sendung mit Elly Bothsen gestern gesehen? War es nicht unglaublich spannend, was Curd Jürgens da erzählt hat? Und der Hans Albers – ja, den brauchen wir auch – und Vico Torriani, und dann brauchen wir auch Gäste, die viele einfach süß finden. Schauspielernde Jugendliche oder Kinder, kannst du dich noch an Shirley Temple erinnern? ›Ein süßer Fratz‹ oder so hieß ein Film von ihr, ach, Elly, wir werden dich so berühmt machen, dass du irgendwann selbst in eine Talkshow eingeladen wirst, oder vielleicht heiratest du ja einen der Könige, die wir einladen, das wäre doch was. Ihre Königliche Hoheit Elisabeth von … von … von …«
»Woltherr«, gab Elly stirnrunzelnd zurück. »Ich möchte keinen König, ich möchte nur Peter.«