Fried im Kopf - Corinne Maiocchi - E-Book

Fried im Kopf E-Book

Corinne Maiocchi

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Beschreibung

Ein Mann Eine Frau Und ein eitler Amor Ein See in Schweden Eine Hütte Und Fried im Kopf Was passiert, wenn eine bindungsscheue Malerin auf einen erfolgsverwöhnten Lokalpolitiker trifft? Nicht viel, normalerweise. Ganz anders jedoch, wenn bei der Begegnung ein ehrgeiziger Amor seine Hände und Flügel im Spiel hat. Dann können Mann und Frau bald nicht mehr voneinander lassen und eine abenteuerliche Reise Richtung Liebe beginnt. Zum Glück haben die beiden mit Erich Frieds Liebesgedichten einen weisen Reiseführer im Gepäck. Was ist Liebe? Hat sie (immer) ein Verfallsdatum? Ist man vielleicht irgendwann zu alt dafür? Und wie war das nochmals mit der Treue? Auf all diese ernsthaften Fragen findet diese heitere Novelle durchaus tiefgründige Antworten.

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Für Wolfram

Inhaltsverzeichnis

Was es ist: Teil I

Was es ist: Teil II

Was es ist: Teil III

Aber solange ich atme: Teil I

Aber solange ich atme: Teil II

Aber solange ich atme: Teil III

Der Weg zu dir: Teil I

Der Weg zu dir: Teil II

Der Weg zu dir: Teil III

Was es ist: Teil IV

Was es ist: Teil V

Was es ist: Teil VI

Was es ist: Finale

Der alte Mann und der Hund: Erster und letzter Teil

Epilog

Nachtgedicht

Wie du solltest geküsset sein

Das Wort zum Schluss

Die Autorin

Was es ist

Teil I

Es ist, was es ist. Sagte in meinem Fall schliesslich der Verstand.

Anstelle der Liebe. Welche ich zum Schweigen gebracht hatte. Mit Gewalt. Bis ihr wohlklingendes Lied verstummt. Um den verstimmten Klängen der Angst und ja, nennen wir das Kind ruhig beim Namen, der Feigheit zu weichen.

Meine Güte, ich werde mich hier nicht rechtfertigen. Das ist doch verständlich, menschlich, zutiefst. Was hätte ich denn machen sollen? Alles aufs Spiel setzen? Es geht hier nicht nur um Besitztum. Es geht um Verletzte, die man hinterlassen hätte. Und um mein Lebenswerk und meinen Ruf. Und ja, von mir aus halt, ein bisschen auch um das Haus. Und den Garten. Den Bentley und den Porsche.

Herrgott, ich weiss, meine Frau hätte damit nicht umgehen können. Nie und nimmer. Hätte die Zurückweisung nicht ertragen. Hätte in ihrer Wut stattdessen alle gegen mich aufgebracht: die Kinder, die Familie, die ganze Gemeinde. Man hält nicht viel von Ehebrechern hier. Zumindest nicht von denen, die sich erwischen lassen. Oder die, schlimmer noch, gar ihre Familie verlassen. Man bricht genüsslich den Stab über solch mittelalte Trottel. Welche von der Liebe in fortgeschrittenem Alter noch einmal gestreift und somit zum Narren gemacht.

Ich hatte keine Ambitionen, betreffend Liebe. Lange nicht mehr. Zwanzig Jahre Ehe hatten mich immunisiert, so schien es, gegen diese Naturgewalt. Tatsächlich funktionierten wir tadellos auch ohne sie, meine Frau und ich: Jeder hatte sein eigenes Leben und sein eigenes Zimmer: ich das Geschäft und die Politik und meine Frau das Haus und ihr Tennis. Das Bankkonto und die Kinder hatten wir gemeinsam. Manchmal schaute ich anderen Frauen hinterher, und dabei beschlich mich eine leise Melancholie. Ein schwaches Sehnen nach etwas, was längst Vergangenheit war. Aber ansonsten fehlte es mir an nichts.

Stimmte somit gerne ein in den Chor der Verständnislosen. Wenn wieder jemand ausscherte. Und schüttelte abschätzig den Kopf. Über jene, die Vernunft und Verstand kaltstellten. Und sich für einen Neuanfang entschieden. Familie und Besitz verliessen, um irgendwo in der Stadt in eine Einzimmerwohnung zu ziehen. Jeglichem Status und jeglicher Sicherheit entsagend. Einzig entschädigt mit dem Ausblick auf die Fata Morgana Liebe.

Lebte jahrelang so. Und lebte angenehm. In diesem satten, selbstgefälligen Korsett.

Bis zu jenem Abend.

Ich hatte sie beinahe dreissig Jahre lang nicht gesehen. Und in all den Jahren nicht ein einziges Mal an sie gedacht. Obwohl ich damals hoffnungslos in sie verliebt gewesen war. Wie alle Jungs unserer Klasse in sie verliebt gewesen waren.

Aber so ist Liebe nun mal in jungen Jahren: akut und unmittelbar an einem Tag, und am nächsten Tag vorbei und verschwunden. Und niemand, der sich darüber wundert oder einem einen Strick draus dreht.

Wir gingen aufs Gymnasium eines ziemlich idyllischen Vororts. Waren alle wohlbehütet. Ausser sie. Auf ihren Armen waren blaue Flecken zu sehen. Immer wieder aufs Neue. Wir munkelten und wussten nichts. Es sei der Stiefvater und die Mutter trinke. Die üblichen Verdächtigungen halt.

Wir Jungs schauten sowieso nicht gern auf die Flecken. Sondern lieber auf ihr Haar und ihren Hintern. Beide zusammen geisterten durch meine Tagträume. Einmal sogar, küsste ich sie nachts im Traum. Sie roch nach Kirschen. Nach diesen gelb-roten, die damals bei uns im Garten wuchsen, und ich direkt ab Baum ass samt Stein. Völlig echt schien dieser Kuss in jener Nacht. Süss wie Kirschen essen. Und lief am nächsten Morgen rot an, als ich sie sah.

Aber sie interessierte sich nicht für mich.

Für keinen von uns.

Brav bebrillte Gymnasiasten, die in der Pause über Homo faber diskutierten und samstags mit ihren Vätern im Cabriolet ausfuhren, waren nicht ihr Ding. Sie las im Unterricht Philippe Djian, Betty Blue, während vor dem Schulhaus tätowierte Typen, lässig auf ihren Motorrädern hockend, auf sie warteten.

Mit ihr hat es kein gutes Ende genommen. Bestimmt nicht, dachte ich.

Wie ich in Gedanken die alte Klasse durchging.

Genugtuung fühlend.

Späte Gehässigkeit eines Unerhörten.

Und ging festen und aufrechten Schrittes Richtung Restaurant.

Es waren beinah alle gekommen. Von denen, die noch lebten. Zwei Krebsfälle, ein Unfall und ein Suizid, das Leben kann grausam schnell zu Ende sein. Die Überlebenden jedoch allesamt glückliche Gewinner. Zumindest heute Abend, die Fassade gründlich poliert und lackiert. Bei einem Klassentreffen lässt sich keiner lumpen. Und prostete mich ebenfalls fidel durch all den Frohsinn und durch die unfroh gealterten Gesichter.

Bis sie plötzlich vor mir stand.

Aus dem Nichts.

Einfach so.

Als wären nicht dreissig Jahre vergangen.

Und mich anlachte. Ich in ihr Gesicht blickte. Auf dem sich Fältchen und Falten frech verteilten. Selbstverständlich und unkaschiert, und die Augen noch immer tiefblau. Konnte nicht aufhören sie anzusehen, anzustarren. Und wieder das gleiche zu fühlen wie damals vor drei Jahrzehnten. Nur heftiger, stärker. Ach du Schande, wie das jetzt klingt; der reine Schmalz und dabei verachte ich Kitsch, vor allem sprachlicher Art.

Konnte es doch selbst nicht glauben.

Dieses Gefühl.

Ein Sturm aus dem Nichts.

Ohne Vorboten.

Das ist verrückt, dachte ich.

Es war verrückt.

Ich war verrückt geworden.

In einer einzigen Sekunde.

Und hatte dabei diesen einen, blödsinnigen Gedanken im Kopf: «Was für eine Megastute.» Ja, das dachte ich wirklich. «Megastute», obwohl ich normalerweise nicht so vulgär zu denken pflege.

Setzten uns beim Essen wie selbstverständlich nebeneinander. Überliessen den Smalltalk den andern. Ich wollte alles über sie wissen. Fragte sie Löcher in den Bauch. Sie konnte packend erzählen. Ohne zu langweilen: Nein, sie habe keinen Wilden geheiratet. Der letzte dieser Art habe ihr mit neunundzwanzig Jahren das Herz gebrochen. Oder immerhin beinahe. Daraufhin habe sie beschlossen, die Richtung zu ändern und zu heiraten. Einen Ehrenmann. Todlangweilig und steinreich. Der Klassiker. Nur habe sie sich dann nicht klassischerweise einen Liebhaber zugelegt. Sondern zu malen begonnen. Verhalten zuerst, aber bald schon mit Leidenschaft und mit zunehmendem Können und schliesslich mit Erfolg. Vor einiger Zeit habe sie den Ehrenmann verlassen. Er hatte es mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen. Offensichtlich war er von der Monogamie gelangweilt. Zudem erschien es ihr nicht richtig, sich in seinem Leben breit zu machen, ohne ihn zu lieben. Aufrichtig zu lieben. Und ihn stattdessen nur gern zu haben.

Und wollte es deshalb nochmals versuchen: mit den heftigen Gefühlen. Den gefährlichen und angsteinflössenden, die gleichwohl so faszinierend und fesselnd. Obwohl ihr das ein gewagtes Abenteuer schien. Vor dem sie einen Riesenschiss hatte. Wie sie ohne Umschweife zugab. Und mir dabei direkt in die Augen sah.

Ich staunte über diesen Lebenslauf. Der ohne Bitterkeit vorgetragen. Dafür mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Deshalb also standen ihr die Jahre so gut. Und deshalb also glänzten ihre Augen. Wie damals. Ich kippte derweil ein Glas Wein nach dem andern. Liess sie mit zunehmendem Rausch berauschender werden. Und anziehender. Meine Stute. Und als sie nach geschlossener Erzählung nach meinem Leben fragte, hatte mich dieses bereits zum verliebten Narren gemacht.

Wovon um Himmels Willen konnte ich dieser Frau erzählen? Womit sie beeindrucken? Wie sie überzeugen, dass ich der einzig Richtige für sie und ihr neuerliches Wagnis Liebe war?

Wohl kaum mit meinem Luxuswagen.

Auch nicht mit meinem Unternehmen. Obwohl es florierte. Und das nicht zu schlecht.

Und bestimmt nicht mit meiner Karriere als Lokalpolitiker.

Alles oberflächlich, irgendwie. Mit einem Mal.

Schäbig beinahe.

Und die alten Werte nichtig.

Innerhalb weniger Stunden.

Trank deshalb ein weiteres Glas leer und erzählte von meinen Kindern.

Sie liess mich reden. Lange reden. Fragte hier nach und hakte dort ein. Ermutigte mich, sicheres Terrain zu verlassen: liess mich abschweifen und mich bald in Geschichten verlieren. Welche ich nie und nimmer hatte erzählen wollen. Wie die des Streits mit meiner Frau in der Hochzeitsnacht. Herrje, wie kläglich. Ich wollte diese Frau doch beeindrucken. Unter allen Umständen. Und faselte sie stattdessen ins Koma. Ohne Punkt und Komma. Mit beschämenden Geschichten. Ich Dummschwätzer. Redete weiter wie ein Wasserfall. Mit einer zu lockeren und stetig schwerer werdenden Zunge.

Erst der Aufbruch der Runde erlöste mich von meinem Redefluss.

Ich musste sie wiedersehn.

Schnell wiedersehn.

Egal, was sie von mir hielt.

Ich wollte diese Frau.

Faszinieren, für mich einnehmen, erobern.

Auf irgendeine Art.

Koste es, was es wolle.

Es kostete mich 9000 Franken.

Ein Klacks, ich hätte auch das Dreifache für das Bild bezahlt. Und dafür, wieder in ihrer Nähe zu sein. Wir tranken Kaffee in ihrem Atelier, auf ihrem Sofa sitzend. Obwohl mir ein Beruhigungstee besser bekommen wäre. Mein Herz schlug schnell und schwer, und die Kaffeetasse zitterte, wenn ich sie zum Mund führte. Es war wie verhext, ich war in ihrer Anwesenheit abermals ein Ausbund an Peinlichkeit. Was sie nicht weiter zu stören schien. Sich darauf beschränkte, mich zu fragen, weshalb ich so nervös sei. Und hörte mich tatsächlich antworten:

«Weil ich seit dreissig Jahren in dich verliebt bin.»

«Das passt», sagte sie augenzwinkernd. Und nach kurzer Pause: «Ich bin auch in dich verliebt. Wenn auch erst seit dreissig Stunden, so plus/minus.»

Schauten uns dabei in die Augen.

Und lachten endlich laut und lange.

Es war wie befürchtet, und es war nichts zu machen:

Ich war verrückt geworden.

Und sie zum Glück auch.