Früher war mehr Weihnachten - Horst Evers - E-Book

Früher war mehr Weihnachten E-Book

Horst Evers

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Beschreibung

Horst Evers erzählt die schönsten Weihnachtsgeschichten: Er berichtet von traumatischen Erlebnissen mit dem Weihnachtsmann und testet Geschenkideen, von Ich-selbst-ganz-nackig-mit-Schleife bis zur Smartphone-Stirnhalterung. Was nach drei «alkoholfreien Glühwein mit Schuss» auf der Eisbahn passiert, ist so lehrreich wie das, was uns der Romantik-Autodidakt für unsere Liebsten ans Herz legt. Und es bleibt Zeit für etwas Völkerkunde: Warum haben Eskimos dreißig Wörter für Schnee, aber keins für Schadenfreude? So komisch war Weihnachten noch nie – oder, wie Horst Evers es formuliert: «Trotzdem fand ich's als Erfahrung natürlich super.»

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Horst Evers

Früher war mehr Weihnachten

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Über dieses Buch

Horst Evers erzählt die schönsten Weihnachtsgeschichten: Er berichtet von traumatischen Erlebnissen mit dem Weihnachtsmann und testet Geschenkideen, von Ich-selbst-ganz-nackig-mit-Schleife bis zur Smartphone-Stirnhalterung. Was nach drei «alkoholfreien Glühwein mit Schuss» auf der Eisbahn passiert, ist so lehrreich wie das, was uns der Romantik-Autodidakt für unsere Liebsten ans Herz legt. Und es bleibt Zeit für etwas Völkerkunde: Warum haben Eskimos dreißig Wörter für Schnee, aber keins für Schadenfreude? So komisch war Weihnachten noch nie – oder, wie Horst Evers es formuliert: «Trotzdem fand ich’s als Erfahrung natürlich super.»

Über Horst Evers

Horst Evers, geboren 1967 in der Nähe von Diepholz in Niedersachsen, studierte Germanistik und Publizistik in Berlin und jobbte als Taxifahrer und Eilzusteller bei der Post. Er erhielt u.a. den Deutschen Kabarettpreis und den Deutschen Kleinkunstpreis. Jeden Sonntag ist er auf radioeins zu hören. Seine Geschichtenbände, zuletzt «Wäre ich du, würde ich mich lieben» (2013) und «Der kategorische Imperativ ist keine Stellung beim Sex» (2017), wie auch sein Roman «Alles außer irdisch» (2016) sind Bestseller. Horst Evers lebt mit seiner Familie in Berlin.

Lasst uns Weihnachten durch Kinderaugen sehen

Der Morgen des 23. Dezember. Ein Tag vor Weihnachten. Das Kind ist schon angemessen aufgeregt. Allerdings noch weniger wegen Heiligabend, sondern zunächst noch wegen der Vierundzwanzig. Morgen wird das letzte Türchen geöffnet. Fünfmal, denn es sind fünf Adventskalender. Zwei von den Großeltern, ein selbstgebastelter aus dem Hort, einer vom Patenonkel, und der fünfte, ja, von dem weiß eigentlich keiner so genau, wie der überhaupt in unseren Haushalt gekommen ist. Irgendwann Ende November war er plötzlich da. So, wie manche Dinge eben plötzlich da sind. Beispielsweise habe ich, soweit ich mich erinnere, noch nie in meinem Leben Besteck gekauft. Trotzdem hatte ich in allen meinen Wohnungen immer ausreichend Besteck. Keine Ahnung, warum. Es war irgendwie einfach immer da.

Alle Vierundzwanziger-Türchen der Adventskalender haben übrigens Druckstellen. So einige Druckstellen vom Fühlen. Meine Tochter behauptet felsenfest, sie wäre es nicht gewesen. Und ich glaube ihr, weil ich ein guter Vater bin. Einer, der seiner Tochter vertraut, der das, was sie sagt, ernst nimmt, dem Kind nicht aus Bequemlichkeit oder Universalmisstrauen irgendwas unterstellt. Ein Vater, der genau weiß, wie sehr so ein grundloser Verdacht eine Kinderseele verletzen kann, dem seine Tochter wichtiger ist als uneingedrückte Vierundzwanziger-Türchen und der darüber hinaus ja weiß, dass er sie selbst zerdrückt hat.

Ich mag Adventskalender. Schon immer. Das Erfühlen des Vierundzwanziger-Türchens ist eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen. Das gehört zu Weihnachten dazu. Nächstes Jahr mache ich das mit der Tochter gemeinsam. Gemeinsam Verbotenes zu tun, gehört zu den schönsten Sachen, die man als Familie zusammen unternehmen kann. Es fördert einfach Vertrautheit, Zusammenhalt und Geborgenheit. Vielleicht basteln wir dann auch unseren eigenen Adventskalender. Daran hatte ich immer Spaß. Obwohl meine Kalender wahrlich nicht alle so wirklich erfolgreich waren.

Im Alter von sechzehn Jahren habe ich mal extra einen Handarbeitskurs besucht, um für mich einen Adventskalenderoverall nähen zu können. Ein purpurroter Overall mit vierundzwanzig Türchen. Auf den Schultern zwei Halter für Kerzen. Den habe ich dann am ersten Dezember angezogen und bin damit zu meiner damaligen Freundin Claudia. Also, wir waren jetzt noch nicht wirklich zusammen. Also, genau genommen war sie sehr, sehr viel weniger mit mir zusammen als ich mit ihr. Mit diesem Ganzkörperadventskalender wollte ich jetzt allerdings mal Nägel mit Köpfen machen und ihr Herz für alle Zeiten oder doch zumindest bis über die Feiertage gewinnen. Jeden Tag, sagte ich ihr freudestrahlend, dürfe sie ein Türchen öffnen. Als Claudia jedoch den riesigen Hosenlatz mit der Vierundzwanzig sah, hat sie sich direkt von mir getrennt. Drücken oder fühlen wollte sie auch nicht. Nun ja, nicht jeder hatte eine glückliche, sorgenfreie Pubertät. Sechs Jahre zuvor, im Alter von zehn, habe ich mal vierundzwanzig Mäuse besorgt, um mit denen einen Adventskalender für unsere Katze zu basteln. Doch als ich sie in die Schachteln stecken wollte, sind sie mir irgendwie entwischt. Im Sommer hatten wir dann um die hundert Mäuse. Meine Mutter hat mir daraufhin verboten, weitere Adventskalender für die Katze zu basteln.

Meinen schönsten Adventskalender bekam ich jedoch im Alter von einundzwanzig. Mein damaliger Mitbewohner und alter Jugendfreund Markus hat ihn mir gebastelt. Vierundzwanzig kleine Säckchen, und in jedem steckte ein liebevoll handgedrehter Joint. Auf die Blättchen hatte er mit Lebensmittelfarbe kleine Weihnachtsmotive gemalt. Ein Kifferadventskalender. Damals sind wir jeden Morgen ganz früh aufgestanden, um ein neues Säckchen zu öffnen. Ich habe offen gestanden nicht mehr sehr viele Erinnerungen an diese Zeit. Außer dass das Säckchen mit der Vierundzwanzig echt ziemlich groß war. Unsere Tage damals hatten eine relativ klare Struktur. Irgendwann war es morgens, dann aber plötzlich auch abends und dann auf einmal wieder morgens. Zwischendrin hatte manchmal einer von uns Geburtstag. Zumindest haben wir das behauptet, um nicht abwaschen oder kochen zu müssen oder so. Ob da sonst noch was war? Wer kann das wissen? Wir haben, glaub ich, geredet, echt ziemlich viel geredet. Was auch immer. Vermutlich dies und das. Wenn man eine gemeinsame Kindheit in Diepholz in Niedersachsen hatte, geht einem nie der Gesprächsstoff aus. Und immer wieder sprachen wir wahrscheinlich auch von unserem schlimmen Weihnachtstrauma. Dem Tag, den nur wir wohl nie wieder vergessen würden.

 

Der Winter des Jahres 1972 war ein recht milder Winter. Ich war damals fünf Jahre alt. Meine Eltern hatten versprochen, mit mir am verkaufsoffenen Samstag vor dem dritten Advent ins Kaufhaus Seitz nach Diepholz zu fahren. Verkaufsoffener Adventssamstag. Bis 16.30 Uhr hatte das Kaufhaus auf. Der blanke Wahnsinn. Mein Großvater verurteilte das. Es verbitterte ihn, dass es immer weniger Zeiten gab, an denen man nicht von ihm verlangte, dass er irgendwas kaufte. «Irgendwann», prophezeite er düster, «irgendwann werden sie die Kaufhäuser an den Adventssamstagen auch noch bis 19.00 Uhr aufmachen. Dann haben sie es geschafft. Dann ist gar keine Besinnung mehr. Dann findet das ganze Weihnachten nur noch im Kaufhaus statt!»

Mein Großvater war ein notorischer Schwarzmaler. Das wussten alle in der Familie. Und eigentlich auch alle im ganzen Landkreis.

Das Kaufhaus Seitz war das größte Kaufhaus in ganz Diepholz. Das wäre es allerdings auch gewesen, wenn es kleiner gewesen wäre, denn es war das einzige Kaufhaus in Diepholz. Es hatte zwei Etagen und dazwischen eine Rolltreppe. 1972 die einzige Rolltreppe in ganz Diepholz und damit eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Mein Großvater verurteilte auch diese Rolltreppe:

«Irgendwann werden die Menschen gar nicht mehr selber gehen. Und dann wird die Evolution dafür sorgen, dass sich Füße und Beine wieder zurückentwickeln. Und weil auch keiner mehr arbeitet, werden sich Hände und Arme auch zurückentwickeln. Dann bestehen alle Menschen nur noch aus Kopf und dickem Bauch und rollen den ganzen Tag durch die Kaufhäuser!»

Am dritten Adventssamstag kam der Weihnachtsmann ins Kaufhaus Seitz. Das war eine große Geschichte. Dem konnte man nämlich dann direkt seine Wünsche sagen. Nur drei Wünsche. Die wichtigsten drei. Der Weihnachtsmann mochte es gar nicht, wenn man ihm mehr als drei Wünsche sagte. Das wussten alle Kinder von Herrn Seitz, dem Inhaber des Kaufhauses. Und der war sehr, sehr gut mit dem Weihnachtsmann befreundet. Zumindest sagte das Herr Seitz immer. Wir bewunderten ihn für diese Freundschaft.