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Seitenzahl: 85
Frank Wedekind
Frühlings Erwachen
Lektüreschlüssel XL
Von Martin Neubauer
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. Hrsg. von Thorsten Krause. Stuttgart: Reclam, 2013 [u. ö.]. (Reclam XL. Text und Kontext. 19043.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7951.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15448
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© 2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961249-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015448-9
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Bereits das von Franz Stuck verfertigte Titelbild zur ersten Ausgabe 1891 war dazu angetan, den ahnungslosen Leser in die Irre zu führen: Vor sanft geschwungenen Hügeln breitet sich gefällig eine Wiese mit Schlüsselblumen, Gänseblümchen und Buschwindröschen aus, zwei junge Bäume entfalten ihre knospenden Äste, eine Schwalbe segelt durch die Luft, eine andere sitzt auf dem Schriftzug des Titels: Frühlings Erwachen. Bild und Wort suggerieren in ihrem Miteinander eine harmlose Beschaulichkeit, ein Idyll, das bloß durch den in schwarzen Lettern wiedergegebenen Untertitel in Frage gestellt wird: »Eine Kindertragödie«.
Abb. 1: Titelbild der Erstausgabe 1891
Gewiss: Von Natur ist in Wedekinds Drama viel die Rede, allerdings von der Natur des Menschen und da von seinem Natürlichsten, der Sexualität. Frühlings Erwachen handelt von Kindern, die ihre Geschlechtlichkeit entdecken, und von Erwachsenen, die dies nicht dulden. Unter Berufung auf Anstand und Pflicht deformieren sie die Seelen der Jugendlichen, welche am Ende auf der Strecke bleiben: Zwei landen auf dem Friedhof, einer im Erziehungsheim; von dort bricht er aus, will sich töten, entscheidet sich aber dann doch für das Leben.
In den ersten zehn Jahren nach seiner Veröffentlichung galt Frühlings Erwachen als das Skandalstück par excellence. Das Interesse entzündete sich hauptsächlich an der angeblichen Unsittlichkeit: onanierende Jugendliche, einmal solo auf dem Abort, dann gemeinschaftlich als Wettspiel, Beischlaf auf dem Heuboden und homoerotische Annäherungsversuche in freier Natur – das alles erschien einem zeitgenössischen Theaterpublikum wenig zumutbar. Damit reagierte die öffentliche Diskussion allerdings nur auf einen einzigen Aspekt des sonst so facettenreichen Dramas: den Bruch von Tabus.
Später lieferte das Werk jenen Kräften, die sich für eine breitere Sexualaufklärung engagierten, die Munition für ihre Argumente. Dass Frühlings Erwachen jedoch mehr war als ein bloßes Thesenstück, zeigte sich im Verlauf des folgenden Jahrhunderts. Zwar mag im Zeitalter der sexuellen Befreiung das eine oder andere Handlungselement etwas angestaubt wirken, überlebt hat sich das Drama mit dem, was es angriff, aber keineswegs: Vieles ist nach wie vor zeitlos und vor allem unmittelbar berührend.
Die eigentliche Absicht des Theaterstücks übersahen in seinen ersten Jahren sowohl Gegner wie Befürworter. Dem Autor lag weniger daran, dass es als Instrument in einer außerliterarischen Diskussion über Sexualität und Aufklärung Furore machte, er wollte damit vielmehr Verständnis für die Leiden seiner jugendlichen Protagonisten wecken, es als »ein sonniges Abbild des Lebens«1 verstanden wissen, als Werk voller Humor – ein Aspekt, der seinem Publikum nicht immer klar vor Augen stand: »Ich glaube, dass das Stück umso ergreifender wirkt, je harmloser, je sonniger, je lachender es gespielt wird. […] Ich glaube, dass das Stück, wenn die Tragik und Leidenschaftlichkeit betont wird, leicht abstoßend wirken kann.«2
I,1: Zum 14. Geburtstag ihrer Tochter Frau Bergmann und WendlaWendla hat Frau Bergmann deren Kleid länger gemacht, erregt damit aber nur ihr Missfallen. In Wahrheit will die Mutter ihr heranreifendes Kind den begehrlichen Blicken der Männer entziehen. Über den eigentlichen Beweggrund der Mutter wird Wendla im Dunkeln gelassen – ihre körperlichen Veränderungen, ihr Hang zur Grübelei und die unbewusste Artikulation erotischer Vorstellungen machen klar, dass sie mitten in der Pubertät steckt.
I,2: Einige Gymnasiasten beklagen ihre Arbeitsüberlastung und eilen zu ihren Hausaufgaben. Nur Melchior und MoritzMelchior Gabor und sein Freund Moritz Stiefel machen sich auf einen Spaziergang. Bald fällt das Gespräch auf Fragen der Geschlechtlichkeit. Zunächst ist noch allgemein vom Schamgefühl und vom sexuellen Trieb bei Tier und Mensch die Rede, schließlich werden die beiden persönlicher: Man spricht von der ersten Erektion, von Träumen und nächtlichen Ergüssen. Melchior, um fast ein Jahr jünger, zeigt sich dabei als direkter, neugieriger, über die Zusammenhänge informierter und bietet seinem Freund an, ihn über die Geheimnisse der menschlichen Sexualität aufzuklären – ein Vorschlag, den Moritz nur in schriftlicher Form zu akzeptieren bereit ist.
I,3: Eine Szene, die ähnlich angelegt ist wie die vorangehende: Auch hier landet die Konversation – geführt von Wendla und ihren beiden Freundinnen Martha und TheaMartha und Thea – beim Thema der Liebe zwischen Mann und Frau. Das Sexuelle, das zuvor die Jungen irritiert hat, wird von den noch ahnungslosen Mädchen allerdings völlig ausgeklammert. Der vorbeigehende Melchior sorgt für einen Wechsel des Gesprächsthemas: Während er für die Mädchen eine respektvolle Erscheinung darstellt, sind die Meinungen über seinen Freund Moritz geteilt.
I,4: Moritz berichtet seinen Schulkameraden darüber, wie er in das leerstehende Konferenzzimmer des Gymnasiums eingedrungen ist und sich im dort aufliegenden Protokoll über sein Aufsteigen in die nächste Klasse informiert hat. Wäre er sitzengeblieben, so hätte er sich Moritz’ Selbstmordankündigungerschossen. Diese Ankündigung sorgt bei seinen Mitschülern nur für Spott – ausgenommen bei Melchior. Dessen Freundschaft zum leistungsschwächeren Moritz wird von zwei zufällig dazukommenden Lehrern verständnislos registriert.
I,5: Wendla und Melchior begegnen einander im Wald und beginnen ein Gespräch. Wendla und MelchiorWendla berichtet über die tätige Nächstenliebe, die sie und ihre Mutter armen Taglöhnerfamilien angedeihen lassen; Melchior vermutet dahinter nur blanken Egoismus. Die Szene mündet in einen Ausbruch von Gewalt, in dem sich sowohl der Masochismus von Wendla als auch der Sadismus von Melchior offenbaren: In einem Traum hat sich Wendla als Bettelkind gesehen, das von seinem Vater verprügelt wird; sie bittet Melchior, dasselbe mit ihr zu tun. Melchior ist zunächst bestürzt, schlägt sie aber doch mit einem Stock, schließlich sogar mit Fäusten, bevor er weinend das Weite sucht.
II,1: Moritz, den der schulische Leistungsdruck an die Grenze seiner Gesundheit getrieben hat, ist bei Vorverweise auf das EndeMelchior zu Besuch. Aus der Unterhaltung der beiden ergeben sich wichtige Vorverweise auf den weiteren Verlauf der Handlung: aus der Geschichte von der »Königin ohne Kopf«, die Moritz erzählt, auf sein eigenes Schicksal (vgl. III,7); aus dem Gespräch über Gretchen in Goethes Faust auf Wendlas Ende. Außerdem wird klar, dass Moritz die Ausführungen sehr beschäftigen, die Melchior für ihn zum Thema Sexualität verfasst hat.
II,2: Wendlas Schwester Ida ist zum dritten Mal Mutter geworden. Frau Bergmann tischt ihrer Frau Bergmann und der KlapperstorchTochter die alte Geschichte vom Klapperstorch auf, doch Wendla hat bereits begonnen, hinter diesem Ammenmärchen ein größeres Geheimnis zu wittern. Sie drängt die Mutter, es ihr mitzuteilen. Trotz mehrerer Anläufe kann sich Frau Bergmann nicht dazu durchringen, ihre Tochter über die menschliche Fortpflanzung aufzuklären, sondern ergeht sich in unverbindlich formulierten Allgemeinheiten, die zugleich auch Spiegel ihrer Spießbürgermoral sind: »Um ein Kind zu bekommen – muss man den Mann – mit dem man verheiratet ist … lieben – lieben sag ich dir – wie man nur einen Mann lieben kann!« (37,2–5).
II,3: Hänschen Hänschen Rilow: MasturbationsszeneRilow, ein Schulkollege von Melchior und Moritz, hat sich auf dem Abort eingeschlossen, um sich dort selbst zu befriedigen. Die Reproduktion eines Renaissance-Aktes von Palma il Vecchio, der ihm dabei zur Stimulation dient, versenkt er am Schluss in der Klomuschel.
Abb. 2: Jacopo Palma il Vecchio, Venus und Cupido, um 1515
II,4: Auf einem Heuboden kommt es zwischen Wendla und Melchior zur ersten intimen Begegnung.
II,5: Moritz hat Melchiors Mutter einen Brief zukommen lassen, in dem er ankündigt, vor dem unerträglichen Schuldruck nach Moritz’ FluchtplanAmerika flüchten zu wollen. Frau Gabor soll ihm dafür finanzielle Mittel bereitstellen, sonst werde er sich umbringen. Melchiors Mutter schreibt ihm einen Antwortbrief, in dem sie sein Ansinnen ablehnt, ihr Befremden über diese Selbstmordpläne ausdrückt, ihm aber zugleich auch Mut zu machen versucht.
II,6: Wendla durchstreift in der Morgensonne den Garten, noch ganz selig von ihrem Erlebnis auf dem Heuboden. Sie bedauert, davon niemandem erzählen zu können.
II,7: Moritz hat sich in die Natur zurückgezogen, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Den Lebensmüden beschäftigen Gedanken an seine Eltern, an seinen bevorstehenden Tod und seine Beerdigung, an seine Freundschaft zu Melchior; er bedauert, die Liebe nie kennengelernt zu haben. Diese Gelegenheit bietet sich in der Gestalt des aufreizenden und im Umgang mit Männern erfahrenen Künstlermodells Moritz und IlseIlse, das zufällig des Weges kommt – doch selbst sie vermag es nicht, Moritz ins Leben zurückzuholen. Wieder allein, verbrennt er Frau Gabors ablehnenden Brief: Sein Selbstmord ist beschlossene Sache.
III,1: Nach der Moritz’ SelbstmordVerzweiflungstat von Moritz hat sein Vater dessen Habseligkeiten durchstöbert und ist auf Melchiors handschriftliche Abhandlung »Der Beischlaf« gestoßen. Diesem Aufsatz wird die Mitschuld am Selbstmord von Moritz gegeben. – Die Szene zeigt nun, wie das Lehrerkollegium diesen Vorfall behandelt. Für Rektor Sonnenstich ist Melchiors Melchiors SchulausschlussSchulausschluss eine unumstößliche Notwendigkeit, da er das