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Als ich nach einigen Minuten zurückkam, hätte ich beinahe aufgeschrien vor Schrecken bei dem Anblick, der sich mir bot. Ulmer lag ohne Bewusstsein auf dem Boden, sein Käppi war ihm vom Kopf gefallen, und die Farbe seines Gesichts war die eines Toten. Eine furchtbare Angst und Verwirrung überfiel mich, als mir Ulmer auf meine Fragen keine Antwort gab. Seine Augen blickten erloschen unter den halbgeschlossenen Lidern gläsern hervor. Als ich nahezu eine Stunde ratlos neben ihm gesessen hatte, bemerkte ich von der Ferne einen weißen Punkt, der immer näher auf uns zukam. Es war ein Araber zu Pferd. Dieser machte, als er uns bemerkte, sofort kehrt und sprengte im Galopp davon. In dieser schrecklichen Situation durfte ich nicht mehr an Freiheit denken, da Ulmer nicht mehr marschfähig war. Kaum hatte ich mit Ulmer, der wieder Lebenszeichen von sich gab, die Gefahr unserer Gefangennahme besprochen, der gegenüber er ziemlich apathisch blieb, kam schon eine Schar fanatischer Araber, die uns umringten. . .
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Seitenzahl: 209
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Fünf Jahre Fremdenlegionär
in Algier, Marokko und Tunis
von
Chr. Müller
_______
Mit 53 Abbildungen und 1 Kartenskizze
Erstmals erschienen im Selbstverlag
Christian Müller, Stuttgart, 1925
__________
Vollständig überarbeitete Ausgabe.
Ungekürzte Fassung.
© 2021 Klarwelt-Verlag
www.klarweltverlag.de
Der Verfasser Chr. Müller.
Stuttgart, den 23. Juni 1911.
Das Erscheinen der vorliegenden Schrift, ist jetzt, nachdem die französische Fremdenlegion infolge der Verhandlungen des Reichstages wieder mehr in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten ist, sehr zu begrüßen. Der Verfasser schildert in anschaulicher Weise die Einrichtungen der Fremdenlegion sowie die vielseitigen und wechselnden Schicksale eines deutschen Legionärs und gewährt einen tiefen Einblick in die vielfach recht traurigen Verhältnisse dieser eines großen, europäischen Kulturvolkes nicht würdigen Truppe.
Die Schrift ist daher in hohem Maße geeignet, unsere jungen Landsleute vor unbedachten Schritten zu warnen und sie so vor körperlichem und moralischem Siechtum zu bewahren.
Das Präsidium des Württ. Kriegerbundes
Bundespräsident:
Referent:
v. Greiff.
Bürger.
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort.
Die Reise nach Marseille.
Nach Afrika.
Der erste Marsch.
Meine erste Wache.
Abgang ins Manöver nach Saida.
Abgang nach Bedeau.
Kapitel der Strafen.
Meine Flucht.
Zwölfstündige Fahrt nach dem Süden.
Wieder in Freiheit.
Der Dienst der compagnie montée.
Die Alfaernte.
Erste Rekognoszierung.
Die Gefahren einer Desertion in Marokko.
Mein Aufenthalt in Arzew.
Die Reise nach Sidi-Bel Abbés.
Nach Parmentier.
Ein 40ägiger Manövermarsch nach Tiaret.
Nach Sidi-Bel-Abbés zurück.
Eine Eisenbahnfahrt ins Blaue.
Quer durch Algerien nach Tunisie.
Nach Hadjeb el Aioun.
Von Kairouan nach Tunis.
Heimkehr.
Erklärung der im Text vorkommenden französischen Ausdrücke.
Nie in früheren Jahren ist so viel gesprochen und geschrieben worden über die Fremdenlegion als in letzter Zeit. Im deutschen und französischen Parlament war davon die Rede. Die Presse beschäftigt sich angelegentlich mit der Frage, ob es nicht Mittel und Wege gäbe, dieses für „la grande Nation“ so entwürdigende Institut abzuschaffen. Dieses Problem zu lösen wird den Weltmächten noch manche Schwierigkeiten bereiten, ich glaube aber kaum, dass Frankreich gewillt ist, dies altertümliche Söldnerinstitut aufzuheben. Kein Staat kann sich rühmen, eine derart wohlfeile Truppe zu haben, die dem Soldaten 8 Centimes Tagessold, Kleidung und Nahrung verabreicht, wofür er in den hässlichen, todbringenden Klimas wie Sahara, Dahomey, Tonkin, Madagaskar usw. sein Leben in die Schanze schlagen muss.
Als eine Schmach wird es schon lange von allen Nationen angesehen, dass unser westlicher Nachbar mit fremden Deserteuren eine französische Streitmacht bildet, um dieselbe vorzugsweise in ihren Kolonien als Kanonenfutter zu verwenden. Seit 80 Jahren besteht eine solche Söldnertruppe in den französischen Kolonien und hat in dieser Zeit, wie die Geschichte lehrt, die Hauptaufgabe gehabt, mit ihrem Blut die Siege Frankreichs zu erkämpfen. Keine Fahne Frankreichs weist so glorreiche Dekorationen auf, wie die Fahnen der Fremdenregimenter.
Dumme Jugendstreiche und sonstige Gründe führen Tausende seit Jahren nach Algier, wo die Mehrzahl einen schrecklichen Tod findet. Abenteurer, Deserteuren verlassen oft wegen Furcht vor geringfügigen Strafe ihre Heimat und ihr Regiment ohne Überlegung in leichtsinniger Weise, was sie nur zu bald aufs tiefste zu bereuen haben. Die Wenigen, die in die Heimat zurückkehren können, haben ihre Gesundheit eingebüßt und werden zumeist noch empfindlich bestraft. Bis zur Abgabe der Unterschrift wird dem Angeworbenen alles Gute versprochen, ist dieselbe geschehen, so sieht der junge Legionär schon in den ersten Tagen seine bittere Enttäuschung.
Die wirksamste Agitation in unserm Vaterland, aus dem mehrere Hundert junge Leute jährlich in die Fremdenlegion eintreten, ist die, dass man in Schulen, Vereinen, Regimentern und bei allen Anlässen Warnungen ergehen lässt.
Der Zweck der Veröffentlichung meiner Erlebnisse ist, meinen lieben Lesern eine wahrheitsgetreue Schilderung der barbarischen Zustände, der schlechten Behandlung und der erbärmlichen Belohnung vor Augen zu führen. Möge sich jeder junge Mann an dem im vorliegenden Buch erzählten Schicksal ein Exempel nehmen, damit er den Verlockungen zur Legion entgeht!
Stuttgart, im Juni 1911.
Der Verfasser.
Am Schlusse des Buches ist eine Erklärung der im Texte vorkommenden französischen Ausdrücke beigegeben.
Es war im November des Jahres 1894, als ich in Stuttgart zwei Österreicher kennen lernte, mit denen ich in einem Gasthaus zusammensaß. Ein fremder Herr gesellte sich zu uns und mischte sich alsbald in unsere Unterhaltung. Die „Dreyfuß-Affäre“, welche sich seinerzeit in Frankreich abspielte und das Tagesgespräch bildete, war auch der Mittelpunkt unserer Unterhaltung. Der fremde Herr behauptete Frankreich gut zu kennen, da er in französischen Diensten gestanden sei. Er zeigte uns denn auch seine Fotografie als Soldat in französischer Uniform. Wir lauerten gespannt seinen Worten, weil er uns die afrikanischen Verhältnisse in den schönsten Farben schilderte. Er musste bemerkt haben, dass wir ihm großes Interesse entgegenbrachten, und wir waren unvorsichtig genug, ihm zu verraten, dass wir nicht wenig Lust hätten, das Angenehme seiner Erzählung selbst durchzukosten. Der leichte Dienst, die rasche Beförderung, das billige Leben, der gute Wein, viel Freiheit, das alles verlockte uns, in französische Dienste zu treten. Als der Fremde uns verließ, wünschte er uns Glück und drückte jedem freundlich die Hand. Mein Entschluss war fertig; ohne weiteres zu denken verließ ich meine Stellung und ohne meine Angehörigen in mein gewagtes Vorhaben einzuweihen — denn dann wäre natürlich nichts daraus geworden — zog ich von dannen. Am andern Morgen suchte ich zuerst die beiden Österreicher auf und fand sie auch „reisefertig“. Es war am 1. Dezember 1894, ein freundlicher, sonniger Tag, als wir frohgemut der schönen Residenz und der Heimat adieu sagten; unterwegs plauderten wir von dem Schönen und Guten, das unser wartete. Inzwischen hatten wir die badische Grenze hinter uns und nach einem kleinen Imbiss, den wir in der Reisetasche mitführten, kamen wir in Straßburg an. Die an Sehenswürdigkeiten reiche Stadt und mein Bekanntenkreis verlangten einen längeren Aufenthalt. Am 4. Dezember nachmittags setzten wir unsere Reise fort über Colmar, Mülhausen, Altmünsterol und langten abends 8 Uhr in Belfort an. Beim Wagenwechsel in Altmünsterol schlichen wir uns von den deutschen Bahnbeamten ungesehen zwischen den Geleisen in den danebenstehenden Zug nach Frankreich. Im Coupé versteckten wir uns unter den Sitzplätzen und verharrten dort, bis der Zug sich in Bewegung setzte. In Petite Croix stieg ein französischer Arzt in unser Abteil ein, er redete uns an, wir konnten ihm aber, weil wir der französischen Sprache nicht mächtig waren, keine Antwort geben. Wir sagten zu ihm, wie uns der fremde Herr in Stuttgart instruiert hatte: „Nous voulons nous engager à la légion etrangère en Algérie.“ Als er diese Worte vernahm, kannte er unsern Plan und sagte: „Attendez jusqu‘ à Belfort.“ Es war Nacht geworden, ein kalter Regen peitschte gegen die Fenster, wenig dazu beitragend, um unsere Gemüter für das Kommende zu erheitern, denn schon begann es mir im stillen über meine heimliche Abreise von der Heimat Vorwürfe zu machen. Der Zug fuhr in Belfort ein. Wir stiegen aus und folgten dem Arzt, der uns in der Rue de la gare eine Wirtschaft anwies. Der Wirt bemerkte sofort, dass wir Deutsche waren, sprach mit uns deutsch und fragte, was uns nach Belfort führe. Ich sagte, dass wir hierhergekommen sind, um in die Legion engagiert zu werden. In der Meinung, dass Bewerber für Algier zechfrei gehalten werden, wie es uns von dem Herrn in Stuttgart versichert wurde, wollten wir uns unbezahlt entfernen. Wir wurden aber schnell eines andern belehrt. Die Wirtsleute und deren dienstbare Geister packten uns beim Ärmel und machten auf Französisch einen Mordsskandal.
Die Ruhe konnte erst wieder hergestellt werden, nachdem ich dem Wirt 5 Frs. einhändigte. Nach dieser ersten Enttäuschung verließen wir die Wirtschaft. Auf dem Weg zum Bahnhof fragten wir einen agent de police, wo die Freibillette zum Übernachten erhältlich sind, er gab uns zu verstehen, dass es zu spät sei. Wiederum mussten wir auf unsere Kosten ein Nachtquartier aufsuchen. Er bot uns seine Dienste an und begleitete uns zu dem in der Nähe des Bahnhofs gelegenen Gasthaus von Geschw. Müller, wo wir von den deutschen Frauen freundlich aufgenommen wurden. Sehr ermüdet, die Aufregung, das Gespanntsein auf das Kommende ließ mich nicht in Schlaf kommen.
Ich war froh, als der Tag graute. Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg zum Werbebüro. Bei der Mairie begegnete uns ein Offizier, ich hielt denselben an und bat um Auskunft, wo das Büro sich befindet, er schien mich nicht zu verstehen, denn er lief seinen Weg weiter. Bereits eine Stunde schlenderten wir in dem unfreundlichen alten Stadtteil und bei den Festungen herum, bis wir endlich von einem Wirt in der Nähe der Trainkaserne Bescheid erhielten.
In einem schmutzigen dunklen Winkel bemerkten wir das Rekrutierungsbüro, welches mit großen Buchstaben weithin sichtbar bezeichnet war. Beim Eintreten in das Dienstzimmer wurden wir freundlich begrüßt, bekamen Stühle angeboten und mussten warten bis der Militärarzt Visite abhielt. Nach einer halben Stunde erschien der Arzt, der tags zuvor in unserm Coupé die Fahrt nach Belfort machte. Wir wurden gemustert und für tauglich befunden, gleichzeitig mit noch drei jungen Leuten, die sich auch für die Legion anwerben ließen. Nun wies man uns in das daneben befindliche Zimmer, wo ein alter Infanterie-Kapitän an seinem Schreibtisch stand. Seine strengen Gesichtszüge flößten uns gewaltigen Respekt ein, vollends als er in militärischem Ton auf Deutsch uns Instruktionen erteilte, wie wir uns auf der Reise und im Regiment verhalten müssen. Wir hörten aufmerksam seine Ermahnungen an, beim Weggang drückte er jedem die Hand und wünschte uns eine gute Ankunft in Sidi-Bel-Abbés.
Vor der Türe wartete schon ein Korporal im Dienstanzug, um uns zur Intendantur zu führen, wo wir einen Kontrakt auf 5 Jahre lautend mit unserer Unterschrift beglaubigen mussten. Unter uns 6 Mann befand sich auch ein junger, schlechtgekleideter 17 jähriger Mensch, welcher erzählte, er sei schon 4 Wochen auf der Landstraße und könne keine Arbeit finden. Er war Sattler.
Aus diesem Grund habe er sich entschlossen, nach Afrika zu gehen, jedoch sein knabenhaftes, schwächliches und mageres Aussehen ließ befürchten, dass er den bevorstehenden Strapazen wohl nicht gewachsen sein dürfte.
Er erzählte ferner von seinem Schicksal: elternlos und arbeitslos habe er seine Vaterstadt Wien verlassen. Sein Name war Ladislaw.
Meine Befürchtung hat sich leider bestätigt. Den grässlichen Tod, den er nach einem Dienstjahr selbst suchte, werde ich später schildern.
Belfort und der Löwe.
Marseille: Fort St. Jean.
Nachdem ich nun für 5 Jahre verkauft war, und mit der Versicherung, von heute ab auf Staatskosten verpflegt zu werden, ging ich auf die Mairie, dort erhielt ich einen Schein für ein Mittag- und Abendessen, ebenso ein Quartierbillett. Hier schon muss ich bemerken, dass die Liebenswürdigkeiten der Anwerber und Offiziere, die Räumlichkeiten, überhaupt alles, nur Lockvögel für unerfahrene Bewerber der Fremdenlegion sind, bis zu dem Augenblick, wo man seine Unterschrift abgegeben hat. Ist das geschehen, o weh, wo sind jetzt die freundlichen Gesichter? Nichts von dem vielen Versprochenen wird eingelöst! Jammer und Elend öffneten mir die Augen, nur zu rasch war ich mir klar über den furchtbaren Schritt, den ich gewagt — es war zu spät. Schon beim Eintreten in das Speisehaus verging mir der Appetit, ich war neugierig, aus was meine Mahlzeit bestehen werde. Ein alter Invalide servierte uns und brachte einem jeden einen hochaufgetürmten Blechteller mit Brotsuppe und Kartoffeln. Als mir der mangelhaft gereinigte Essnapf vorgestellt wurde, verging mir der Appetit und unzufrieden verließ ich den Speisesaal und ging in das daneben befindliche Restaurant, um eine kräftige Suppe zu genießen.
Der Wirt wusste schon Bescheid, dass ich ein Bewerber der Legion bin. Er erzählte mir, dass er selbst 15 Jahre im 1. Regiment gedient habe, er sei Adjutant gewesen und habe sich in den Kolonien Tonkin, Dahomey und Sudan 5 Auszeichnungen erfochten, darunter die Medaille militaire, welche er in Kleinformat in seinem Rockkragenknopfloch am gelben mit zwei grünen Streifen durchwirkten seidenen Band trug. Der alte Krieger, eine magere kräftige Gestalt, sprach gut Deutsch, er gab mir verschiedene Anhaltspunkte auf die Reise mit, die Zeche schenkte er mir mit der Bemerkung, dass es ihn freuen würde, wenn ich nach Beendigung meiner Dienstzeit ihn wieder besuchen würde.
Ein fröhliches Wiedersehen wünschend nahm ich Abschied, suchte meine Waffenbrüder auf und fand sie am Ofen sitzend im Speisehaus.
Es war abends 8 Uhr, als man uns das Nachtlager anwies, es war ein altes von den Kugeln der Deutschen im Jahre 1870 durchlöchertes morsches Gebäude. Halsbrecherische Treppen führten zu den Räumlichkeiten empor; um unser Ziel zu erreichen brauchten wir ein Schächtelchen Zündhölzer. Ein halbes Dutzend von Schmutz und Ungeziefer starrender Betten harrte unser. Der Wind pfiff heulend durch die Dachziegel und klatschend fiel ein eisiger Regen darauf, dass es mir grauste. Ich konnte nicht viel schlafen, auch den andern ist es nicht besser gegangen. Mit einem unbeschreiblichen Gefühl stand ich bei Tagesgrauen auf und marschierte sinnend und frierend auf und ab. Um 8 Uhr legten wir unsere Decken zusammen und nahmen herzlich gerne von dieser unheimlichen Schlafstätte Abschied. Indessen kam ein Korperal, der uns nochmal zur Intendantur brachte, um die Aufnahmeformalitäten und das Signalement vollends zu erledigen.
Anschließend erhielt jeder von uns 3.75 Frs. Das war die Reisezehrung für die 10 stündige Fahrt nach Marseille. Der Korporal begleitete uns zur Bahn und während wir den Zug bestiegen, wartete er so lange, bis wir abgefahren waren. An ein Entweichen war von jetzt ab nicht mehr zu denken, denn die allgemeine Fahrkarte für die Legionssoldaten war gut erkennbar, so dass es unmöglich wäre, unbeachtet die Bahnsteigsperre zu passieren. Von Lyon ab benützten wir den Schnellzug und kamen über Valence, Avignon und Rognac bei Sonnenuntergang in Marseille an. Am Bahnhof wartete schon ein Sergeant auf uns, von diesem erkannt, mussten wir unsere Reisepapiere abgeben und ihm nachfolgen.
Einen unvergesslich schönen Anblick bot diese Stadt im Glanz der untergehenden Sonne, die über den Hafen und den Wald von Schiffsmasten herübergrüßte. Vom Bahnhof führte der Weg durch eine steile, schlecht gepflasterte Straße, durch die eine wimmelnde Menschenmenge dahinzog, bis wir am Transport-Sammelhaus ankamen. Es ist ein Gebäude, welches an Größe und Höhe das Belforter weit überragte. Nachdem wir nochmal verlesen waren, führte uns der Sergeant drei Treppen hoch hinauf in die Kantine der Angeworbenen. Einen Höllenlärm vernahm ich aus dem großen Saal, als ich die Türe öffnete, hier strömte ein hässlicher Geruch vermischt mit Tabakrauch heraus, vor dem ich angeekelt zurückwich. An langen Tischen saßen nahezu 100 Legionäre, die sich mit Kartenspielen die Zeit vertrieben und dabei den schweren Wein wie Wasser hinunterschlürften. Wir neue Ankömmlinge hatten kaum Zeit, etwas zu genießen, so musste alles antreten, um eine Decke für die Nacht in Empfang zu nehmen. Nochmal wurde ein Appell abgehalten, und so wie man gerufen wurde, ging einer hinter dem andern noch zwei Treppen empor, um in dem großen Schlafsaal irgendein Bett für sich zu belegen.
So viele Mäuse und Ratten wie dort habe ich nie in meinem Leben gesehen. An ein Schlafen war nicht zu denken, da man befürchten musste, mit denselben ernstlich in Konflikt zu kommen. Wir waren herzlich froh, als wir am andern Tag nach der Festung St. Jean übersiedelten. Dieses ist ein Sperrfort, durch das jahrzehntelang Frankreichs Kolonialtruppen ziehen. Dort fingen mir die Augen erst recht an aufzugehen, als ich in einer Höhe von 40 Metern den Meereswellen zuschaute und die schrecklichen Zustände beobachtete, die auf dem Fort herrschten. Hier hatte ich erstmal Gelegenheit das Wort „corvée“ kennen zu lernen, unter welchem man Arbeitsdienst versteht. In dieser Beziehung wird der junge Soldat gleich gut ausgebildet, da „corvées“„ den ganzen Tag auf der Festung auszuführen sind, z. B. Zusammenlesen der Steine, Kehren und Wassertragen; letztere ist auch im Regiment die unangenehmste und am meisten verhasste corvée. Lässt sich der junge Soldat das geringste Vergehen zuschulden kommen, wird er dem Kommandanten vom Fort gemeldet, dieser macht einen Bericht ans Regiment, so dass der Neuling gleich nach seiner Ankunft in Arrest wandert.
Die „Fütterung“ der bisher gut ernährten Legionäre lässt viel zu wünschen übrig. In großen Blechschüsseln wird das Essen aus der Küche geholt, inzwischen haben sich 10 Mann vereinigt und vertilgen mit wahrem Heißhunger den Inhalt der Schüssel. Da die meisten keine Essgeschirre besitzen wie Teller und Löffel, so nehmen sie ungeniert die Hände, was die andern Umsitzenden nicht im Geringsten genieren darf. Ehe ich mich besann, ob ich an dieser Mahlzeit teilnehmen solle, war die Schüssel schon leer. In dieser Herberge wo ein Entweichen ausgeschlossen ist, verbrachten wir zwei Tage.
Am 9. Dezember, nachmittags 3 Uhr, erfolgte die Einschiffung. Ohne Wehmut verließen wir die Stätte, in der wir wenig Schönes, wohl aber recht viel Unangenehmes erfahren hatten. Zur Überfahrt nach Oran war der Dampfer „Ville de Madrid“ ein altes aber großes Frachtschiff der Compagnie des Messageries Maritimes zur Abfahrt bereit. Großartig ist der Verkehr am Hafen, in welchem die kleinsten Fischerboote bis zu den größten Dampfern vor Anker lagen, die ihrer Ein- und Ausladung harrten. Ganze Straßenlängen bilden mächtige Lagerhäuser, in denen Produkte aller Länder aufgestapelt sind. Eisenbahngeleise ziehen sich den Hafen entlang, so dass aus den Schiffen und Lagerhäusern die Güter gleich in den Zug verladen werden können. Auf dem Weg zum Schiff redete keiner ein Wort, denn jeder war sich jetzt schon bewusst den dümmsten Streich seines Lebens gemacht zu haben. Mit dem Gedanken: „Werde ich meine liebe Heimat auch wieder sehen?“ bestieg ich den Dampfer, in den gerade Pferde eingeladen wurden. Nach einer Stunde wurden die Anker gelichtet und ein mächtiges Geheul aus der Dampfpfeife, das nervenerschütternd durch den Körper fuhr, war das Zeichen, dass der Dampfer sich in Bewegung setzte. Das überaus zahlreiche Publikum drängte sich in lebensgefährlicher Weise bis an den Rand des Wassers heran. In allen möglichen Farben wehten die Tücher und immer wieder aufs Neue erschallt auf beiden Seiten das unaufhörliche „au revoir“, bis das Schiff den Blicken entschwunden war. Ich durfte nicht an die Meinen denken, sonst hätte ich die Tränen nicht zurückzuhalten vermocht.
Gleich nach der Abfahrt wurden die Teppiche für die Nacht ausgeteilt. In der uns angewiesenen Kajüte wollte ich mir für die Nacht ein angenehmes Plätzchen aussuchen, aber ich hatte mich verrechnet. Auf der Treppe kam mir ein fäkalienartiger Geruch entgegen, so dass ich gezwungen war, plötzlich Halt zu machen, um mit gemischten Gefühlen in den Raum hinunterzuschauen. Dort, wo ich meine Lagerstätte für die Nacht aufschlagen sollte, sah ich Pferde, Rinder und Schafe in bunter Gesellschaft beisammen. Ich zog deshalb vor, zwischen Himmel und Wasser auf dem Verdeck die Nacht zuzubringen. Das Wetter war angenehm und mild. Als Ruheplätzchen wählte ich mir die Schiffstaue neben den Masten. Die Ernährung auf dem Schiff war bedeutend besser, doch dafür war der Appetit unter den ausgehungerten Legionären desto grösser.
Nach Mitternacht, während alles im besten Schlaf lag, passierte das Schiff die Meeresströmungen im Golf de Lyon. Wie eine Nussschale wurde das Schiff von den Wellen hin und her geschleudert; eine Welle, die mit aller Macht über das Verdeck schlug und uns vom Schlaf erweckte, verursachte eine große Panik unter denen, die dort schliefen. Ganz durchnässt mussten wir abziehen und flüchteten uns unter das Mittelschiff, wo wir uns einigermaßen gegen die häufigen Sturzseen, die über Bord schlugen, schützen konnten. Stehend verbrachten wir die Nacht, denn die Wellen spülten unaufhörlich über das Deck. Gegen Morgen hatte der Dampfer wieder ruhigen Seegang, alles atmete erleichtert auf, zumal uns die Sonne begrüßte, die dann auch den ganzen Tag auf den blauen Meeresspiegel herniederstrahlte.
Oran: Hafen und Fort Santa Cruz.
Sidi-Bel-Abbés: Kaserne des 1. Regiments.