Fylgorn: Hüter der Schatten - Jonas Nachtweber - E-Book

Fylgorn: Hüter der Schatten E-Book

Jonas Nachtweber

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Beschreibung

Fylgorn: Hüter der Schatten erzählt die Geschichte von Erik und Milena, die unversehens in einen uralten Kampf zwischen Licht und Dunkelheit geraten. In einem geheimnisvollen Turm, der zwischen den Welten existiert, werden sie mit ihren tiefsten Ängsten und dunkelsten Geheimnissen konfrontiert. Fylgorn, ein mächtiges Wesen mit dunklen Flügeln und leuchtenden violetten Augen, führt sie durch Prüfungen, die nicht nur ihre Stärke, sondern auch ihre Verbindung zueinander auf die Probe stellen.

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Vorwort

Der Autor Jonas Nachtweber, geboren im Jahr 2000, wuchs in einer kleinen Stadt nahe dem deutschen Mittelgebirge auf. Schon früh entwickelte er eine Faszination für düstere Geschichten und geheimnisvolle Welten, die ihn dazu inspirierten, seine eigenen Ideen zu Papier zu bringen. Als begeisterter Leser und kreativer Kopf schrieb er bereits in seiner Jugend Kurzgeschichten und entwarf komplexe, atmosphärische Szenarien.

Seine Freizeit verbringt Jonas gerne in der Natur, wo er Inspiration für seine Werke findet, oder mit Zeichnen und Skizzieren von Szenen, die später in seinen Geschichten lebendig werden. Seine Geschichten zeichnen sich durch starke emotionale Tiefe, intensive Charakterstudien und eine düstere, mystische Atmosphäre aus. Jonas lebt heute zurückgezogen und arbeitet an seinen nächsten Projekten, bei denen er immer wieder die Grenzen zwischen Licht und Schatten auslotet.

Titel: "Fylgorn: Hüter der Schatten"

Kapitel 1: Nebel und Schatten

Erik zog sich die Kapuze seines alten Hoodies über den Kopf und spähte in die Dämmerung der Großstadt. Es war einer dieser Tage gewesen, die sich anfühlten, als hätte man nur im Stand-by-Modus gelebt – stumpf, eintönig, nichts Besonderes. Die ganze Schicht im Lager hatte er Paletten gestapelt, Kisten sortiert und hin und wieder eine leise Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten geführt, der immer wieder rummeckerte, als sei er auf einer persönlichen Mission, Erik das Leben zur Hölle zu machen. "Wen juckt's", dachte Erik, als er mit einer Dose Pringles in der Hand den schmalen Gehweg entlang schlenderte. Das schummrige Licht der Straßenlaternen flackerte, wie üblich im Nebelviertel, und tauchte die Straße in ein tristes Zwielicht.

Erik trug Sonnenbrille, obwohl die Sonne schon lange untergegangen war. Es war nicht so, dass er cool aussehen wollte – okay, vielleicht ein bisschen –, aber in erster Linie versuchte er damit, sich abzuschirmen. Die Sonnenbrille war wie ein Schild, der ihn von der trüben Realität trennte, die ihn umgab. Es half, die kaputten Fassaden der heruntergekommenen Häuser auszublenden, die so aussahen, als würden sie beim nächsten Windstoß einfach in sich zusammenfallen.

Seine Sandalen klatschten leise auf den unebenen Pflastersteinen, während er weiterlief. Die Straßen waren ruhig, nicht einmal ein hupendes Auto störte die nächtliche Stille, was ungewöhnlich war für das Viertel. Erik blieb kurz stehen, rieb sich den Nacken und atmete tief durch. Es war dieser eigenartige Moment, wenn das Tagelicht verloschen und die Nacht noch nicht so richtig angekommen war. Er nahm einen tiefen Zug der kühlen Luft und spürte, wie etwas nicht stimmte. Der Gedanke war schwer in Worte zu fassen, aber es war, als würde etwas in der Dunkelheit lauern, etwas, das nicht in diese Welt gehörte.

Sein Blick wanderte die schmalen Gassen entlang, die sich in die Tiefe des Viertels zogen. Alles wirkte so still, zu still. Normalerweise liefen in dieser Ecke um diese Uhrzeit immer irgendwelche Leute herum. Jugendliche, die auf ihren Scootern Tricks ausprobierten, oder auch die mürrischen Nachbarn, die ihre Hunde ausführen und sich lautstark über den Müll im Innenhof beschwerten. Heute war es anders. Erik schob sich eine Handvoll Pringles in den Mund, zog die Schultern hoch und setzte seinen Weg fort. Wenn er sich beeilte, würde er noch rechtzeitig nach Hause kommen, um die Pizzalieferung von Lieferando nicht zu verpassen. Er hatte schon vor einer Stunde bestellt und verspürte mittlerweile den intensiven Drang, sich das fettige Stück Teig mit Käse reinzuziehen.

Gerade als er um eine Ecke bog, fiel sein Blick auf etwas Ungewöhnliches. Am Rand des Gehwegs, in der Nähe einer verdreckten Pusteblume, die sich zwischen dem Asphalt und der Bordsteinkante durchgekämpft hatte, lag eine Gestalt im Halbdunkeln. Eine Person, in sich zusammengesackt, als hätte sie die Kraft verlassen. Erik blieb stehen, sein Instinkt sagte ihm, einfach weiterzugehen – am besten die Augen schließen und einfach nichts wahrnehmen. Aber da war etwas an dieser Gestalt, das ihn nicht losließ. Sie schien anders zu sein, fremdartig und nicht ganz greifbar.

Erik ging ein paar Schritte auf die Gestalt zu. Es war ein Mann, das konnte er jetzt deutlich erkennen. Der Mann hatte wirres, schwarzes Haar, seine Kleidung war schmutzig und zerrissen. Aber es war nicht das Äußere, das Erik beunruhigte. Es war das, was der Mann murmelte, kaum hörbar, ein Flüstern, das beinahe im Wind unterging. "Fylgorn... sie kommen... Schatten." Erik kniff die Augen zusammen und zog die Stirn kraus. War der Typ einfach nur betrunken oder hatte er tatsächlich irgendetwas gesagt, das Sinn ergab?

"Hey, Mann, alles okay?" fragte Erik, seine Stimme klang etwas kratziger, als er es beabsichtigt hatte. Keine Reaktion. Der Mann schien nicht einmal zu bemerken, dass Erik dort stand. Seine Augen flackerten, als kämpfte er darum, das Bewusstsein zu behalten. Erik seufzte, warf die leere Pringles-Dose zur Seite und schob die Sonnenbrille auf die Stirn. "Verdammter Mist", murmelte er zu sich selbst. Es war sicher keine kluge Idee, sich einzumischen. Aber da war auch dieser Teil in ihm, der sich einfach nicht abwenden konnte.

Vorsichtig legte er eine Hand auf die Schulter des Fremden. "Hey, bleib wach, Kumpel." Die Haut des Mannes fühlte sich eigenartig kühl an, fast wie Marmor. Ein unangenehmes Schaudern lief über Eriks Rücken. Der Mann hob den Kopf ein wenig, öffnete die Augen, und Erik zuckte zusammen. Die Augen waren pechschwarz, tief und leer, als wäre dort nur Dunkelheit. In diesem Moment schien die Welt für eine Sekunde stillzustehen. Erik konnte sich nicht bewegen, sein Herz schlug schneller, während er in diese bodenlosen Augen starrte.

"Fylgorn...", flüsterte der Mann noch einmal. "Sie... kommen."

Erik runzelte die Stirn und spürte, wie eine unangenehme Kälte von dem Mann ausging. Er musste handeln, bevor der Typ ihm hier auf dem Gehweg wegbrach. Ohne groß zu überlegen, packte er den Mann unter den Armen und zog ihn mühsam hoch. Es war nicht einfach – der Kerl wog mehr, als es auf den ersten Blick aussah, und Erik hatte nicht gerade die Kraft eines Bodybuilders. Doch schließlich schaffte er es, ihn einigermaßen auf die Beine zu bekommen, und stützte ihn, während sie den schmalen Gehweg entlangwankten.

"Wohin soll ich dich bringen, Mann?" fragte Erik und schnaufte, während er den Mann halb schleppte, halb trug. Aber der Fremde gab keine Antwort, er schien wieder in einem seltsamen Halbschlaf zu sein. Erik stieß einen genervten Laut aus. "Super, na dann eben zu mir." Seine Wohnung lag nur ein paar Straßen weiter, und wenn er ehrlich war, fühlte er sich im Moment zu müde, um groß über Alternativen nachzudenken.

Als sie schließlich das alte Mietshaus erreichten, in dem Erik wohnte, sah es aus wie immer – runtergekommen, beschmiert mit Graffiti, und der Aufzug war natürlich wieder einmal kaputt. "Perfekt", murmelte Erik, während er den Mann die Treppen hochschleppte. Es war ein endloser Kampf gegen die Schwerkraft, aber nach gefühlten Stunden schaffte er es schließlich in den dritten Stock und zu seiner Wohnungstür.

Er drückte die Tür auf und bugsierte den Fremden ins Wohnzimmer, wo er ihn auf das alte, fleckige Sofa sinken ließ. "Nicht gerade ein Fünf-Sterne-Hotel, aber besser als die Straße, oder?" Erik schnappte nach Luft, rieb sich die Schultern und betrachtete den Mann, der jetzt still und reglos auf dem Sofa lag. Eine merkwürdige Unruhe kroch in ihm hoch. Wer zur Hölle war dieser Typ, und was hatte es mit dem Wort "Fylgorn" auf sich?

Erik schüttelte den Kopf, warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. Die Pizza würde bald ankommen. Vielleicht war das Beste, was er jetzt tun konnte, etwas zu essen und darüber nachzudenken, was er mit diesem mysteriösen Fremden anfangen sollte. "Ein scheiß Abend, um den Helden zu spielen", murmelte er zu sich selbst, griff nach seiner Sonnenbrille und setzte sie wieder auf, als wäre sie sein Schutzschild gegen all das, was noch kommen würde.

Kapitel 2: Der Fremde erwacht

Die Minuten zogen sich dahin, während Erik ungeduldig auf die Pizza wartete. Er saß auf seinem schäbigen Sessel, den er einst von einem Nachbarn übernommen hatte, der nach einer nächtlichen Party verschwunden war, und starrte gedankenverloren auf den Fremden, der bewusstlos auf seinem Sofa lag. Es herrschte eine beklemmende Stille im Raum, nur gelegentlich durch das ferne Geräusch eines vorbeifahrenden Busses unterbrochen. Erik konnte sich keinen Reim darauf machen. Er hätte einfach weitergehen sollen, wie es die meisten Leute in diesem Viertel getan hätten. Aber irgendetwas an dem Typen hatte ihn dazu gebracht, seine natürlichen Instinkte zu ignorieren.

Erik zog die Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen. Er spürte die Erschöpfung in jeder Zelle seines Körpers. "Warum zur Hölle mache ich das?" fragte er sich laut, ohne eine Antwort zu erwarten. Er trug eine ausgewaschene Jogginghose und ein altes Nike-T-Shirt, das er irgendwann auf einem Flohmarkt gefunden hatte. Das schlabberige Outfit passte perfekt zu seinem Zustand – müde, planlos, ziellos.

Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenzucken. Endlich. Die Pizza. Erik schob sich vom Sessel hoch, schnappte sich das Bargeld vom Küchentisch und öffnete die Tür, hinter der der Lieferando-Fahrer in seinem orangefarbenen Outfit wartete. Der Mann, der Erik einen müden Blick zuwarf, hielt eine Papiertüte hoch. "Eine Funghi-Pizza, extra Käse?" fragte er monoton. Erik nickte und reichte ihm das Geld. "Stimmt so", sagte er, nahm die Tüte entgegen und schloss die Tür, ohne ein weiteres Wort zu wechseln.

Er setzte sich mit der dampfenden Pizzaschachtel zurück auf den Sessel und öffnete sie. Der würzige Geruch der Pilze stieg ihm in die Nase, und sein Magen knurrte laut. Aber bevor er sich das erste Stück greifen konnte, fiel sein Blick wieder auf den Fremden. Eine leise Schuld nagte an ihm – da lag dieser Typ, möglicherweise am Ende seiner Kräfte, und hier saß er, bereit, alleine eine ganze Pizza zu verdrücken. Er seufzte, nahm das oberste Stück heraus und legte es auf einen Teller, bevor er den Teller auf den Couchtisch vor dem Sofa schob.

"Falls du irgendwann aufwachst... gibt's Pizza", murmelte er leise. Aber der Fremde rührte sich nicht, und für einen Moment überkam Erik eine bedrückende Angst. War der Mann überhaupt noch am Leben? Erik beugte sich vor und beobachtete den gleichmäßigen Auf- und Abgang der Brust des Mannes. Er lebte – zumindest das.

Erik nahm sich ein Stück Pizza und biss hinein. Die Wärme des Teigs und der kräftige Geschmack des Käses ließen ihn für einen kurzen Moment die ganze Situation vergessen. Doch das flaue Gefühl in seinem Magen verschwand nicht ganz. Wer war dieser Typ? Was meinte er mit "sie kommen"? Und was zur Hölle bedeutete "Fylgorn"?

Mit einem Mal spürte Erik, wie die Anspannung des Tages sich auf ihm abzuladen begann. Seine Muskeln schmerzten, der Rücken tat weh von der Schlepperei, und die Pizza, so lecker sie auch war, schien keinen richtigen Trost zu bieten. Stattdessen fühlte er sich schwer und verloren. Er lehnte sich im Sessel zurück, schaute zu dem Fremden und überlegte, ob es nicht besser wäre, einfach die Polizei anzurufen. Doch die Idee verwarf er sofort wieder – die Polizei hatte im Nebelviertel nicht den besten Ruf. Er konnte den Typen unmöglich in deren Hände geben, nicht, bevor er wusste, was hier wirklich los war.

In diesem Moment regte sich etwas. Der Fremde, der noch immer wie ein Schatten auf dem Sofa lag, stöhnte leise. Erik hielt inne, das halb gegessene Stück Pizza in der Hand, während seine Augen sich auf den Mann hefteten. Der Fremde öffnete langsam die Augen, und Erik sah wieder diese schwarze Tiefe, die so gar nicht menschlich wirkte. Es war, als würde man in den Nachthimmel starren, nur dass kein Stern die Dunkelheit durchbrach.

Der Mann versuchte sich aufzusetzen, stöhnte dabei vor Schmerzen. Erik legte das Stück Pizza auf die Pappschachtel zurück und sprang auf, um ihm zu helfen. "Hey, ganz ruhig, Mann", sagte er. Er griff unter die Arme des Fremden und half ihm in eine sitzende Position. Der Mann atmete schwer, als würde er gegen eine unsichtbare Last ankämpfen.

"Fylgorn...", flüsterte er wieder, und seine Stimme klang schwach, als sei jede Silbe ein Kampf. Erik setzte sich neben ihn auf die Sofakante, sah den Fremden fragend an. "Ja, du hast das schon mal gesagt. Was bedeutet das? Wer bist du?" fragte Erik und fühlte, wie seine Stimme ein wenig zitterte.

Der Fremde schloss für einen Moment die Augen, dann schien er all seine verbliebene Energie zu sammeln. "Ich... bin Fylgorn", murmelte er. Erik runzelte die Stirn, Unsicherheit machte sich breit. "Das ist dein Name? Fylgorn?" Der Fremde nickte schwach. "Ich komme... aus einer Welt, die zwischen dem Licht und der Dunkelheit liegt... einer Welt der Träume und Schatten."

Erik wollte lachen, aber irgendwie blieb ihm der Humor im Halse stecken. Das hier klang nach verdammt viel Fantasy-Kram, und doch – die Art, wie der Mann sprach, ließ keinen Raum für Zweifel. Es war echt, es war ernst. Etwas in Fylgorns Augen sagte Erik, dass es mehr als nur eine verrückte Geschichte war. Der Fremde sah Erik an, und für einen Moment schien sein Blick klarer zu werden. "Sie kommen", sagte er, und jetzt lag ein unmissverständlicher Ernst in seiner Stimme. "Die Jäger... sie werden mich finden. Sie werden uns beide finden."

Erik schluckte. Jäger? Wer zum Teufel waren diese Leute? Und warum jagten sie jemanden wie diesen Mann – Fylgorn, oder wie er sich nannte? Ein kalter Schauder kroch über Eriks Rücken. "Wovon zur Hölle redest du?", fragte er, während er unruhig mit den Fingern über die Knie rieb. "Wer sind diese Jäger? Warum sind sie hinter dir her?"

Bevor Fylgorn antworten konnte, ertönte plötzlich das ohrenbetäubende Hupen eines alten Autos von draußen. Erik sprang auf, ging zum Fenster und schob den Vorhang ein Stück zur Seite. Ein Oldtimer – rostig und klapprig, aber noch erkennbar ein Cadillac aus den späten Siebzigern – stand am Straßenrand, und zwei Männer stiegen aus. Sie trugen lange Mäntel, ihre Gesichter teilweise unter Hüten verborgen. Eine Gänsehaut breitete sich über Eriks Arme aus, als er sie beobachtete. Instinktiv wusste er, dass das die "Jäger" sein mussten, von denen Fylgorn gesprochen hatte.

"Verdammte Scheiße", fluchte Erik und drehte sich zu Fylgorn um, der noch immer schwer atmend auf dem Sofa saß. "Wir müssen hier weg. Jetzt." Fylgorns Blick schien für einen Moment in der Realität zu verweilen, und er nickte langsam. Erik schaute sich hektisch im Raum um, dann griff er nach einer Jacke, die über dem Stuhl hing, und warf sie über Fylgorns Schultern.

Erik spürte das Adrenalin in seinen Adern, als er Fylgorn auf die Beine half. Es war nicht leicht, den Mann durch das enge Treppenhaus zu bugsieren – seine Beine schienen kaum tragen zu wollen, und immer wieder schwankte er bedrohlich. Doch Erik wusste, dass sie keine Zeit hatten. Die Schritte der Männer waren bereits auf dem Weg nach oben zu hören.

Erik öffnete die Tür zum Treppenhaus, und sie schafften es gerade noch durch die Hintertür, als die Schritte näherkamen. Er fühlte sich wie in einem schlechten Film, als er Fylgorn die Treppe hinunter schleppte und versuchte, nicht an die Konsequenzen zu denken. Die Kälte der Nacht traf ihn wie ein Schlag, als sie schließlich auf die Straße traten. Erik blickte sich um, auf der Suche nach einem Weg, zu entkommen. Die Scheinwerfer eines alten Busses, der die Hauptstraße entlangfuhr, reflektierten in den Fenstern der Gebäude.

"Oh, das ist unsere Rettung", sagte Erik mehr zu sich selbst als zu Fylgorn. Er zog den Mann mit sich, so schnell er konnte, und winkte hektisch, als der Bus sich näherte. Der Fahrer, ein älterer Mann, der offensichtlich mehr als genug von seiner Schicht hatte, hielt dennoch an, und Erik schob Fylgorn in den Bus, bevor er selbst hineinsprang.

Mit einem tiefen Atemzug setzte sich Erik auf die hinterste Sitzbank, Fylgorn an seiner Seite. Der Bus setzte sich wieder in Bewegung, und die Jäger blieben irgendwo hinter ihnen zurück, zumindest für den Moment. Erik atmete schwer, spürte den kalten Schweiß auf seiner Stirn und den dumpfen Schmerz der Erschöpfung. Sein Blick wanderte zu Fylgorn, der mit geschlossenen Augen da saß, fast wie ein Wesen, das in einer anderen Welt verweilte.

"Ich hoffe wirklich, du bist es wert, Mann", murmelte Erik, während er in die Nacht hinausblickte, die sich unendlich und voller Gefahren anfühlte. Fylgorn öffnete leicht die Augen, sein Blick war klarer als zuvor, und er murmelte leise: "Du hast keine Vorstellung... davon, was auf dem Spiel steht."

Erik nickte nur stumm. Das war wohl die Wahrheit.

Kapitel 3: Im Schatten der Verfolger

Der Bus holperte durch die dunklen Straßen der Stadt, das Dröhnen des Motors und das Klappern der schlecht befestigten Fensterrahmen verschmolzen zu einem monotonen Hintergrundgeräusch. Erik spürte, wie seine Nerven in alle Richtungen zerrten. Er konnte nicht fassen, dass er hier saß – mit einem Fremden, der behauptete, aus einer anderen Welt zu stammen, während sie von mysteriösen Jägern verfolgt wurden. Das fühlte sich an wie ein schlechter Trip, ein Albtraum, aus dem er jeden Moment aufwachen musste. Aber es war kein Traum, es war alles echt.

Fylgorn saß mit geschlossenen Augen neben ihm, sein Kopf war auf die Rücklehne des Sitzes gesunken, und sein Atem ging flach. Erik beobachtete ihn, unsicher, wie lange der Mann es noch schaffen würde, sich aufrechtzuhalten. Fylgorn wirkte ausgezehrt, als hätte er sämtliche Energie verloren. Erik fragte sich, wie viel Zeit ihnen blieb, bevor die Jäger sie wieder aufspüren würden.

Der Bus rumpelte weiter durch die Stadt, während Erik unruhig in seinem Sitz hin- und her rutschte. Sie brauchten einen Plan – und zwar schnell. Der Bus fuhr eine Route, die durch einen alten Bahnhof führte, einen dieser vernachlässigten Knotenpunkte, die irgendwann zu einem Treffpunkt für zwielichtige Gestalten geworden waren. Erik erinnerte sich daran, dass dort auch eine öffentliche Toilette war. Es war kein besonders ruhiger oder sicherer Ort, aber vielleicht könnten sie sich dort kurz verstecken und überlegen, wie es weitergehen sollte.

Als der Bus sich dem Bahnhof näherte, zog Erik leicht an Fylgorns Arm. "Hey, wach auf", sagte er und rüttelte den Fremden ein wenig. Fylgorns Augen öffneten sich träge, und für einen Moment schien er zu versuchen, sich zu orientieren. Erik deutete zur Tür. "Wir müssen hier raus. Vielleicht finden wir einen sicheren Ort zum Verschnaufen."

Fylgorn nickte kaum merklich, als wäre es ein immenser Kraftaufwand, überhaupt zu reagieren. Erik wartete, bis der Bus am Bahnhof hielt, und zog Fylgorn mit sich. Sie stolperten aus der Tür, und Erik fühlte sofort den kalten Wind, der über den verlassenen Platz wehte. Der Bahnhof war kaum belebt; einige wenige Menschen, die meisten mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen oder gesenktem Blick, bewegten sich hastig, als wollten sie so schnell wie möglich verschwinden.

Die Toiletten des Bahnhofs lagen etwas abseits, ein unscheinbarer Eingang mit einem kaum lesbaren Schild. Erik spürte die Abneigung in sich aufsteigen, als sie auf die Tür zugingen. Er wusste, wie eklig diese Bahnhofs-Toiletten waren, und die Vorstellung, dort Zeit verbringen zu müssen, war alles andere als verlockend. Aber sie hatten keine Wahl – die Jäger würden jeden Moment wieder auftauchen, und hier konnten sie wenigstens kurz untertauchen.

Die Tür zur Toilette quietschte, als Erik sie aufstieß. Der Geruch traf ihn wie ein Schlag. Eine Mischung aus Urin, Schimmel und abgestandenem Wasser hing in der Luft, und Erik musste sich ein leises Würgen verkneifen. Die Fliesen an den Wänden waren gesprungen, und überall waren Schmierereien zu sehen – Namen, Symbole, Beleidigungen. Der Boden war übersät mit alten Papiertüchern, und der ekelhafte Gestank war fast unerträglich.

Erik zog Fylgorn hinter sich her in eine der Kabinen. Er schob die Tür zu, und das Schloss hakte kurz, bevor es einrastete. Fylgorn ließ sich schwer auf den Toilettendeckel sinken, während Erik sich gegen die Tür lehnte, seinen Kopf nach hinten legte und tief durchatmete, was in der stickigen Kabine jedoch nicht viel Erleichterung brachte.

"Das ist echt der absolute Tiefpunkt, weißt du?" sagte Erik leise, und ein ironisches Lächeln spielte kurz um seine Lippen. "In einer dreckigen Bahnhofstoilette mit einem mysteriösen Kerl, der von irgendwelchen Psycho-Jägern verfolgt wird. Genau das habe ich mir für mein Leben vorgestellt."

Fylgorn hob leicht den Kopf, seine Augen öffneten sich einen Spalt, und für einen Moment war ein schwaches Schmunzeln zu erkennen. "Du... scheinst... Humor zu haben... trotz allem", flüsterte er mühsam. Erik lachte trocken. "Ja, das nennt man wohl schwarzen Humor, wenn das Leben dich in den Abgrund zieht."

Er sah zu dem Toilettenpapier, das in einem alten, verrosteten Halter steckte. Die Hälfte der Rolle war abgerissen, und es sah aus, als hätte jemand versucht, es als Kopfkissen zu benutzen. Erik schüttelte den Kopf. "Verdammter Mist", murmelte er und riss ein paar Stücke ab, um den Griff der Toilette abzuwischen, bevor er sich darauf setzte. Er war erschöpft, und seine Muskeln schmerzten von dem Adrenalinschub und der körperlichen Anstrengung der letzten Stunden.

"Was... genau sind das für Leute?" fragte Erik schließlich und sah Fylgorn an. "Die, die hinter dir her sind. Warum verfolgen sie dich?"

Fylgorn hob den Kopf und blickte Erik direkt in die Augen. Die Dunkelheit in seinen Augen schien tiefer zu werden, während er sprach. "Sie nennen sich die Jäger der Dunkelheit. Ihre Aufgabe ist es, die Grenze zwischen den Welten zu wahren – zwischen unserer Welt und der Welt der Träume. Doch ihre Methoden sind... skrupellos. Für sie bin ich eine Bedrohung. Ein Wesen, das nicht existieren sollte."

Erik schluckte. "Du bist also... ein Wesen aus der Traumwelt?" fragte er vorsichtig, als wolle er sicherstellen, dass er richtig verstanden hatte. Fylgorn nickte langsam. "Ich bin... ein Fylgorn. Ein Wesen zwischen den Welten, ein Wächter. Meine Aufgabe ist es, das Gleichgewicht zu wahren, die Alpträume in Schach zu halten. Aber... die Dinge sind außer Kontrolle geraten."

Erik sah Fylgorn an und spürte einen Knoten in seiner Brust. Die Worte klangen, als kämen sie aus einem Fantasy-Buch, und doch fühlte es sich echt an – die Ernsthaftigkeit in Fylgorns Stimme, die verzweifelte Ruhe, mit der er sprach. "Warum bist du hier? Warum in dieser Welt?" fragte Erik schließlich, die Verwirrung und Angst in seiner Stimme unüberhörbar.

Fylgorn schloss die Augen und atmete tief durch, als kämpfte er gegen den Schmerz in seinem Körper. "Etwas hat die Grenze durchbrochen... Etwas Dunkles, das nicht hierher gehört. Ein Albtraumwesen, das in unsere Welt eingedrungen ist. Ich musste folgen, um es aufzuhalten. Aber die Jäger sehen mich als Teil des Problems, nicht als Lösung."

Erik lehnte sich zurück und rieb sich die Stirn. Die Situation war schlimmer, als er sich vorgestellt hatte. Nicht nur, dass sie von diesen "Jägern" verfolgt wurden, jetzt gab es auch noch irgendein Albtraumwesen, das in der Welt der Menschen sein Unwesen trieb. Und Erik steckte mitten in diesem ganzen Wahnsinn.

"Also... was machen wir jetzt?" fragte er, während er aufstand und das graue, fleckige Toilettenpapier betrachtete, das vor ihm auf dem Boden lag. Ein resigniertes Seufzen entwich ihm, als er sich wieder setzte. Er fühlte sich hilflos, gefangen in einer Situation, die weit über seinen Kopf hinausging. Fylgorn öffnete langsam die Augen, und Erik sah etwas in seinem Blick, das wie eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung wirkte.

"Wir... müssen einen Ort finden, wo ich mich erholen kann", sagte Fylgorn. "Einen Ort, fernab der Jäger. Nur dann kann ich genug Kraft sammeln, um das Albtraumwesen zu konfrontieren." Erik nickte, als hätte er die Antwort schon erwartet, auch wenn sie keinen konkreten Plan beinhaltete. "Okay", sagte er schließlich. "Aber wo zur Hölle sollen wir hingehen? Ich meine, ich kenne hier nicht gerade einen sicheren Rückzugsort."

Fylgorn lächelte schwach. "Vertraue mir", flüsterte er. "Es gibt Orte... die auch die Jäger nicht betreten können. Wir müssen nur den richtigen Weg finden."

Erik schloss die Augen für einen Moment und atmete tief ein, versuchte, die Panik und das überwältigende Gefühl der Verantwortung zu verdrängen. Er fühlte, wie seine Beine zitterten, sein Kopf schwirrte vor Gedanken. Das war nicht sein Kampf, das war nicht seine Welt. Und doch war er hier, gefangen in dieser schmutzigen Bahnhofstoilette, neben einem Wesen, das mehr wie ein Mythos als ein Mensch wirkte. Der Gestank von Urin und Schimmel lag immer noch schwer in der Luft, als Erik beschloss, dass er keine andere Wahl hatte, als weiterzumachen.

"Na gut, Kumpel", sagte er schließlich, stand auf und klopfte Fylgorn leicht auf die Schulter. "Dann lass uns mal sehen, ob wir hier lebend rauskommen."

Kapitel 4: Der Traumwandel

Erik half Fylgorn mühsam aus der Kabine, das Gewicht des anderen Mannes lastete schwer auf ihm, und seine Muskeln brannten unter der Anstrengung. Die Bahnhofstoilette war still – eine seltsame, fast erdrückende Stille, in der Erik jedes Rascheln und jeden Atemzug überdeutlich wahrnahm. Fylgorn wirkte schwach, seine Bewegungen fahrig, als würde jeder Schritt alle verbleibende Energie kosten. Erik fühlte die Verzweiflung in sich wachsen. Sie hatten keinen klaren Plan, keine Ahnung, wohin sie gehen sollten. Und doch blieb ihnen keine andere Wahl, als weiterzumachen.

"Wir müssen hier raus", flüsterte Erik und versuchte, nicht allzu laut zu sprechen, als sie die Toilette verließen. Die kühle Nachtluft traf sie wie ein Schock, als sie den Bahnhof hinter sich ließen. Es war fast unmenschlich still, nur das entfernte Brummen eines vorbeifahrenden Zuges war zu hören. Erik konnte nicht sagen, ob die Jäger immer noch hinter ihnen waren, aber das Gefühl, verfolgt zu werden, klebte wie ein schwerer Schatten an ihnen.

Sie fanden sich schließlich in einer kleinen Seitenstraße wieder, deren Straßenlaternen ausfielen oder flackerten. Erik setzte Fylgorn auf eine niedrige Mauer, die von Unkraut und Moos überwachsen war. Der Fremde stöhnte leise, und Erik spürte, wie hilflos er war – wie ein kleiner Spieler in einem großen Spiel, das weit über seine Vorstellungskraft hinausging. "Was jetzt?" fragte Erik, seine Stimme bebend vor Unsicherheit. "Du kannst nicht weitermachen, Mann. Was machen wir jetzt?"

Fylgorn sah zu ihm auf, und für einen Moment schien der Glanz in seinen dunklen Augen aufzublitzen. "Ich... ich muss in die Träume eintauchen", flüsterte er, und seine Worte schienen von einer tiefen Bedeutung getragen, die Erik nicht erfassen konnte. "Nur dort... kann ich die Kraft finden, die ich brauche."

Erik runzelte die Stirn, spürte, wie sein Herz schneller schlug. "In die Träume eintauchen? Was soll das heißen? Wie soll das uns helfen?" Fylgorn atmete tief ein und schloss die Augen, während seine Schultern schwer sanken. "Ich bin ein Fylgorn, ein Wesen der Traumwelt", flüsterte er. "In den Träumen finde ich meine wahre Stärke. Aber dafür... brauche ich deine Hilfe."

Erik spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. "Meine Hilfe?" fragte er unsicher. "Wie soll ich dir denn helfen?" Fylgorn öffnete die Augen, und in dem Moment schien etwas Übernatürliches in ihnen zu liegen, eine Tiefe, die Erik fast in ihren Bann zog. "Du musst mir den Zugang zu deinen Träumen gewähren", sagte er leise. "Ich brauche deine Seele als Brücke, um mich zu erholen. Nur so kann ich die Kraft sammeln, die wir brauchen, um weiterzukämpfen."

Erik starrte ihn an, und eine Mischung aus Angst und Misstrauen machte sich in ihm breit. "Meine Seele?" wiederholte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Du willst in meine Träume eindringen? Das klingt nach... totalem Wahnsinn." Aber Fylgorn sah ihn nur an, und in seinem Blick lag eine Ruhe, die Erik schwer begreifen konnte. "Es gibt keine andere Möglichkeit", sagte er schließlich. "Du hast mich gerettet, Erik. Und jetzt... brauche ich dich noch einmal."

Erik schluckte schwer. Der Gedanke, dass Fylgorn in seine Träume eindringen würde, ließ ihn erschaudern. Aber als er den erschöpften Fremden ansah, das seltsame, beinahe hoffnungslose Lächeln auf seinen Lippen, wusste er, dass es keinen anderen Weg gab. "Okay", flüsterte er schließlich und setzte sich neben Fylgorn auf die Mauer. "Was muss ich tun?"

Fylgorn sah ihn an, ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. "Schließe die Augen", sagte er leise. "Lass dich fallen. Vertraue mir." Erik atmete tief ein und schloss die Augen. Er fühlte, wie sein Herz wild schlug, spürte die Unsicherheit in sich, die Angst vor dem Unbekannten. Aber er hatte keine Wahl. Langsam ließ er seine Gedanken schweifen, versuchte, sich zu entspannen.

In dem Moment, als er die Augen schloss, spürte er eine Veränderung in der Luft um sich herum. Es war, als hätte jemand einen Schleier über die Welt gelegt, eine Schwere, die ihn nach unten zog, fort von der kalten Wirklichkeit, hinein in eine Welt, die sich seltsam vertraut, aber gleichzeitig völlig fremd anfühlte. Fylgorns Stimme drang durch den Nebel, tief und beruhigend. "Atme, Erik. Lass los."

Und dann begann die Welt sich zu verändern.

Erik fühlte, wie sein Körper leichter wurde, als würde er sich auflösen. Um ihn herum veränderte sich die Umgebung – die kühle Nachtluft, die schmutzigen Straßen des Nebelviertels, die flackernden Lichter – all das verblasste, verschwand, wurde ersetzt durch etwas anderes. Er spürte, wie sein Bewusstsein in eine neue Dimension gesogen wurde, eine Welt aus Schatten und Nebel, eine Welt, die so surreal war, dass sie nicht real sein konnte.