Gangster in der Aula - Frl. Krise - E-Book

Gangster in der Aula E-Book

Frl. Krise

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gangsters und Opfers «Seit gestern Abend schneit es. Aber der Schnee bleibt nicht liegen. Die Straßen sind voller Matsch und Granulat. In der überhitzten U-Bahn schmelzen die Schneeflocken auf den Mänteln, Wasser tropft auf die Sitze. Ich habe mich in eine kleine Pfütze gesetzt. Jetzt ist meine Hose nass. Ich hasse diese Jahreszeit. Nichts ist schlimmer als die Woche vor Weihnachten. Jetzt heißt es: Durchhalten bis zu den Weihnachtsferien.» Die Adventszeit neigt sich langsam dem Ende zu. Aber Frau Freitag ist alles andere als besinnlich zumute. Die Schüler stressen, die Kollegen husten, der Vertretungsplan wird immer länger. Und selbst Frl. Krise ist mit ihrem vorweihnachtlichen Dekofimmel kaum zu ertragen. Es kommt noch schlimmer: Drei Bankräuber, von der Polizei in Aktion überrascht, flüchten sich in die benachbarte Schule. Dort tobt gerade die Weihnachtsfeier. Schüler und Lehrer werden als Geisel genommen. Es dauert nicht lang, und die Nerven liegen blank. Auf beiden Seiten ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 430

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Frl. Krise • Frau Freitag

Gangster in der Aula

Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln

Roman

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Gangsters und Opfers

 

«Seit gestern Abend schneit es. Aber der Schnee bleibt nicht liegen. Die Straßen sind voller Matsch und Granulat. In der überhitzten U-Bahn schmelzen die Schneeflocken auf den Mänteln, Wasser tropft auf die Sitze. Ich habe mich in eine kleine Pfütze gesetzt. Jetzt ist meine Hose nass.

Ich hasse diese Jahreszeit. Nichts ist schlimmer als die Woche vor Weihnachten. Jetzt heißt es: Durchhalten bis zu den Weihnachtsferien.»

 

Die Adventszeit neigt sich langsam dem Ende zu. Aber Frau Freitag ist alles andere als besinnlich zumute. Die Schüler stressen, die Kollegen husten, der Vertretungsplan wird immer länger. Und selbst Frl. Krise ist mit ihrem vorweihnachtlichen Dekofimmel kaum zu ertragen.

Es kommt noch schlimmer: Drei Bankräuber, von der Polizei in Aktion überrascht, flüchten sich in die benachbarte Schule. Dort tobt gerade die Weihnachtsfeier. Schüler und Lehrer werden als Geisel genommen. Es dauert nicht lang, und die Nerven liegen blank. Auf beiden Seiten …

Über Frl. Krise • Frau Freitag

Frl. Krise, geboren 1948 am Niederrhein, arbeitete 40 Jahre lang an Gesamtschulen in Hessen und Berlin. Sie unterrichtete Kunst, Deutsch und Biologie. Ihr erstes Buch, «Ghetto-Oma», stand auf der Bestsellerliste.

 

Frau Freitag, geboren 1968, unterrichtet Englisch und Kunst an einer Gesamtschule. Ihre Bücher «Chill mal, Frau Freitag!», «Voll streng, Frau Freitag!» und «Echt easy, Frau Freitag!» standen allesamt auf der Bestsellerliste.

 

Weitere Veröffentlichungen:

Der Altmann ist tot

Übertrieben tot

Inhaltsübersicht

I. AktDienstag, 08.12., 7.15 UhrMittwoch, 09.12., 10.30 UhrDonnerstag, 10.12., 11.25 UhrFreitag, 11.12., 17.21 UhrSamstag, 12.12., 0.09 UhrII. AktIII. AktSonntag, 13.12., 0.17 UhrDonnerstag, 07.01., 16.26 Uhr

I. Akt

Dienstag, 08.12., 7.15 Uhr

Es riecht nach Bier und Pisse, wie jeden Morgen. U-Bahn-Fahren nervt.

«Dit jeht janich!», murmelt der Typ mir gegenüber nun schon seit zwei Stationen. Er schüttelt den Kopf. «Dit jeht janich.»

Niemand reagiert.

Ich auch nicht. Diese Irren in der U-Bahn … Und überhaupt die U-Bahn …

Seit gestern Abend schneit es. Aber der Schnee bleibt nicht liegen. Die Straßen sind voller Matsch und Granulat. Der Schnee auf den Mänteln schmilzt in den überhitzten U-Bahn-Waggons und tropft auf die Sitze. Ich habe mich in eine kleine Pfütze gesetzt. Jetzt ist meine Hose nass. Ich hasse diese Jahreszeit. Nichts ist schlimmer als die Wochen vor Weihnachten. Wenn man morgens rausgeht, ist es noch dunkel, und wenn ich aus der Schule komme, auch. Ständig friert man. Die Schüler und die Kollegen husten. Der Vertretungsplan wird immer länger. Jetzt heißt es nur noch durchhalten bis zu den Weihnachtsferien. Noch zwölf Tage. Noch dreiundvierzig Unterrichtsstunden. Und wahrscheinlich noch zehnmal Vertretung. Der Pommer, der macht sich doch bestimmt wieder ein paar schöne Tage zu Hause. Letzte Woche war der nur am Mittwoch da. Und diese Neue – Frau Meier-Mühlhoff – ist auch nicht besser. Noch kein halbes Jahr an unserer Schule und schon jede zweite Woche krank.

«Ihr könnt mich Nicki nennen … oder Niks – so nennt mich meine Band.» Niks, meine Band – oh yeah. Lehrerin – das mach ich doch nur als Hobby, eigentlich bin ich Musikerin. Blablabla … Und wie sie rumläuft! Die Hosen viel zu eng und immer in Turnschuhen. Jeden Tag ’ne neue Farbe. Und auf den Konferenzen – ich würde mich doch erst mal zurückhalten, wenn ich irgendwo neu anfange – aber nein, Frau Müller-Mühlhoff ist gleich voll dabei und lässt sich sofort in tausend Gremien wählen. Auf der ersten Gesamtkonferenz fragte sie doch echt, ob es denn an der Schule einen Chor gäbe. Der Fischer meinte Nein, und die blöde Brendel traute sich nicht zu sagen, dass sie seit fast einem Jahr versucht, die Schüler für eine Musik-AG zu begeistern. Mit mäßigem Erfolg. Rosa und Dilay aus meiner Klasse sind da auch nur ein paarmal hingegangen.

Am Morgen nach der Konferenz hingen in der ganzen Schule Plakate. «Unsere Schule sucht den Superstar». Und dann hat die Meier-Mühlhoff so eine Art Casting veranstaltet. Die Schüler waren alle ganz heiß drauf, sich anzumelden. Am Ende wurden nur zwölf Schüler ausgewählt. Rosa ist auch dabei. Dilay hat es nicht geschafft und musste eine Chemiestunde lang von Rosa und Melike getröstet werden.

Frau Brendel ist auch geknickt, denn seit Frau Meier-Mühlhoffs Chor angelaufen ist, kommt wohl fast niemand mehr in ihre Musik-AG. Sie hat aber Frau Nolte versprochen, bei unserer Kollegiumsfeier am Freitag etwas aufzuführen. Die Nolte sagt so was immer im Vorbeigehen: «Das Susannchen kann ja dann die Schüler ein paar Liedchen singen lassen, Frl. Krise macht die Deko und Frau Freitag backt mit ihrer Klasse Plätzchen.»

Plätzchen – den Zahn habe ich ihr gleich gezogen. Ich backe überhaupt nichts mit meiner Klasse. Wenn sie unbedingt will, dann kaufe ich ihr bei Aldi ein paar Kekse. Aber ich gehe bestimmt nicht mit sechsundzwanzig Schülern in die Küche. So eine Schnapsidee, die Weihnachtsfeier bei uns in der Schule zu machen. Sonst waren wir immer in irgendeinem Restaurant. Aber die Nolte meint, das sei zu unkommunikativ, und wir würden das kreative Potenzial unseres Kollegiums überhaupt nicht ausschöpfen. Und nun stresst sie uns alle schon seit Mitte Oktober mit dieser Scheißfeier.

«Dit jeht ja janich, janich, janich.» Der Mann auf der Bank mir gegenüber schüttelt den Kopf und kramt in einer Plastiktüte. Er sieht eigentlich ganz normal aus. Nicht wie ein Obdachloser. Er trägt eine gelbe Daunenjacke und Jeans. Die Jacke sieht teuer aus. «Janich, janich.» Dann guckt er plötzlich zu mir.

«Wat kiekst’n so?», schreit er mich an, und ich stehe sofort auf. Ich muss sowieso raus. Der Zug fährt langsam in den Bahnhof ein.

«Wat kiekst’n? Schlampe! Allet Schlampen! Dit jeht janich!»

Schlampe? Der spinnt ja wohl, mich hier so anzupöbeln. Aber ich sag mal lieber nichts. Nachher wird der noch handgreiflich – bei solchen weiß man ja nie. Ist mir nicht ganz geheuer – so ein zeternder Irrer im Nacken.

«WATT’N, SCHLAMPE??? HASTE DEINE TAGE, ODA WATT???», schreit er und spuckt dabei. Die Türen öffnen sich. Ich gucke ihm genau in die Augen.

«Nee. Hab ich nich!», zische ich ihn an. Dann setze ich einen lautlosen Pups frei, der sich olfaktorisch zu ihm ausbreiten wird, sobald die sich schließende Wagentür dem Gas den Weg in Richtung U-Bahnhof abgeschnitten hat. Blähungen und Pupse sind meine ständigen Begleiter, und der Einsatz dieser unsichtbaren Waffe ist mein einziger Spaß, seitdem ich aufgehört habe zu rauchen. Seit sechs Tagen gibt es in meinem Leben keine Zigaretten mehr. Seit sechs Tagen warte ich. Ich bin bereit, die wunderbare Welt der Nichtraucher zu erleben. Zu schmecken, zu riechen, zu atmen. Die Wunder können kommen. Bisher kamen nur Heißhunger, Blähungen und diese sehr, sehr schlechte Laune.

12.30 Uhr

Irgendwo in diesem Regal habe ich doch im letzten Jahr die Lichterketten abgelegt. In so einem Faltkarton von der Post, daran erinnere ich mich noch genau. Das Regal ist ein einziges Chaos. Jeder, der nicht weiß, wohin mit seinem Zeug im Lehrerzimmer, lädt es hier ab. In den unteren Fächern steht nichts von mir. Da muss ich wohl auf einen Stuhl klettern und auch ganz oben suchen.

Puh, schön staubig!

«Sorry, Frl. Krise, aber wenn du schon auf meinen Stuhl steigen musst, dann könntest du dir wenigstens die Schuhe ausziehen!»

«Oh! Stimmt! Tut mir leid, Olaf. Ganz kleinen Moment noch, ich will nur mal gucken, ob … ah, da ist er ja schon! Kannst du mir die Schachtel gerade mal abnehmen, bitte?»

Kollege Büchner, Verzeihung, Dr. Olaf Büchner guckt not amused, als er zögernd die Arme nach dem angestaubten gelben Karton ausstreckt. Dafür wische ich, nachdem ich vom Stuhl runtergesprungen bin, mit der Hand flüchtig über die Sitzfläche. Der soll sich mal nicht so anstellen, der Mann, meine Schuhe sind doch ganz sauber.

«Was ist da drin? Das ist so leicht.»

«Lichterketten. Für die Weihnachtsdekoration meiner Klasse!»

Olaf drückt mir den Karton in die Hand, dreht sich wortlos um und geht ans Spülbecken unserer kleinen provisorischen Küchenzeile. Jetzt wäscht der sich tatsächlich die Hände! Na ja, wenn man immer schwarze Hosen zu blütenweißen Hemden trägt, muss das wohl sein.

Weiße Hemden zu längeren grauen Haaren und ein gebräunter Teint, das macht was her … Schlecht sieht er nicht aus, dieser neue Kollege. Groß und schlank und dann immer so teure Lederjacken … Da könnten sich der Voss und der Pommer mal eine Scheibe von abschneiden. Die mit ihren karierten Hemden und den ausgebufften Jeans.

Olaf trocknet sich die Hände mit einem Tempotuch ab – das Handtuch ist ihm wohl zu eklig – und fragt: «Weihnachtsdeko in der Klasse? Dafür hast du Zeit?»

«Die Zeit muss man sich schon nehmen!», sagt Monika Nolte, die eine Tasse in die Spülmaschine stellt, und guckt streng.

Olaf gibt einen komischen Ton von sich. Nach Zustimmung hört sich das nicht an.

«In der Grundschule vielleicht!», sagt er dann.

Herr Dr. Büchner hat mit solchen Kindereien offensichtlich nichts am Hut – na ja, er ist ja auch Studienrat. Davon spricht er zwar nicht, aber man spürt es trotzdem. Ein schweres Schicksal hat ihn an unsere Schule verschlagen. Ich glaube, er kam aus Rheinland-Pfalz oder Hessen nach Berlin und konnte sich die Schule nicht aussuchen. In den ersten Wochen war er ziemlich geschockt – solche Schüler kannte er nur aus dem Fernsehen. Und erst das Leistungsniveau! Er unterrichtet Deutsch und Geschichte, zwei Fächer, in denen unsere Schüler nicht gerade brillieren. Und jetzt muss er auch noch Erdkunde geben. Ein Abstieg, in seinen Augen!

Das mit dem Doktor kam bei uns auch nicht so gut an. «Ist er Arzt?», fragten die Schüler völlig verständnislos, und einige Kollegen – besonders der Pommer – mokierten sich über seinen Titel.

Die Lichterketten sind miteinander verknotet. Typisch. Das kommt, wenn man die Sachen so lieblos wegpackt. Hoffentlich sind sie überhaupt noch intakt.

«Frl. Krise, du könntest die Lichterketten doch in der Aula anbringen! Lichterketten und Kerzen, das wäre sehr stimmungsvoll!» Monika stellt sich neben mich und fährt liebevoll mit ihrer Hand über die Birnchen.

«Meinetwegen, aber dann muss der Rudolf mir helfen! Die Fenster in der Aula sind mir zu hoch.» Unser Hausmeister wird sich über einen Haufen Mehrarbeit freuen. Aber er ist ja auch eingeladen. Dafür hat Monika gesorgt.

«Weihnachten – das Fest der Geschäfte», sagt Herr Dr. Büchner und schiebt seine randlose Brille zurecht. «Das sagt meine Frau immer. Recht hat sie. Dass ihr so darauf abfahrt, wundert mich.»

Oh, Mann – seine Frau. Die ist Psychiaterin und ihr zuliebe ist er überhaupt nur nach Berlin gezogen. Die hat nämlich hier eine «phantastische Stelle» an der Charité bekommen, und dafür muss Herr Doktor nun bei uns leiden.

Monika gibt mir einen kleinen Tritt mit dem Fuß, und ich verbeiße mir das Lachen.

«So, Leute, ich geh raus, eine rauchen! Ich brauche ein bisschen frische Luft!»

In dem Moment fliegt die Tür des Lehrerzimmers auf, und Frau Freitag, gehüllt in eine Steppjacke und einen überdimensionalen Schal, stürmt herein. Monika springt beiseite, um einem Zusammenstoß zu entgehen.

«Guten Mor… äh, guten Mittag, Frau Freitag!», sage ich.

Wortlos knallt Frau Freitag ihre Tasche auf den Tisch und zappelt sich aus der Jacke.

Meine Güte, was ist mit der los?

«Lass die Jacke an, Frau Freitag, und geh mit mir raus!» Ich winke ihr mit meiner Zigarette zu.

«Ohne mich! Hast du das immer noch nicht auf dem Schirm, Frl. Krise?» Frau Freitag mustert mich mit gerunzelter Stirn.

«Ja, äh … nein … Also nein. Ich hab mich noch gar nicht dran gewöhnt …»

«Ich wäre dir echt sehr verbunden, wenn du mich nicht bei jeder Gelegenheit ans Rauchen erinnern würdest!», sagt Frau Freitag eisig und schiebt sich etwas in den Mund. Bestimmt ein Bonbon oder ein Kaugummi. Sie wendet sich ab und schimpft leise vor sich hin.

Ist die schlecht drauf. Aber was muss sie mich so anpflaumen? Jahrelang qualmt sie wie ein Schlot, und nun soll man sich von jetzt auf gleich darauf einstellen, dass sie nicht mehr raucht. Sie hat aufgehört – komplett! Und ohne ersichtlichen Grund, jedenfalls soweit ich weiß. Sie spricht ja nicht darüber. Dafür ist sie ständig gereizt und schlecht gelaunt.

Na bitte, dann nicht. Die kann mich mal. Ich geh jetzt raus, bestimmt ist Nicki draußen.

12.40 Uhr

«Huch, du kommst doch raus, Frau Freitag? Willst du jetzt eine rauchen?»

«Frl. Krise – ein für allemal – ich bin NICHTRAUCHER.»

«Nichtraucherin …»

«Ja, ja! Du könntest auch mal aufhören. Weißt du eigentlich, wie schlecht das Nikotin für deine Haut ist? Diese graue Farbe im Gesicht, die …»

«Ach, sei still! Deine schlechte Laune ist auch nicht gut für die Haut. Ich sage nur Falten!»

«Stimmt. Du hast ja recht. Für die schlechte Laune kann ich aber nichts. Das sind die Nebenwirkungen vom Nichtrauchen. Das Leben hat jetzt etwas sehr viel Traurigeres. Und zugenommen habe ich auch schon. Guck mal hier am Bauch.»

«Na ja … dein Bauch ist relativ. Mein Bauch … aber lassen wir das. Ich hab auch zugenommen. Die Plätzchen und das Marzipan, überhaupt, diese Adventzeit. Zum Glück ist das nur einmal im Jahr. Und ist ja auch sehr gemütlich. Die Weihnachtsfei…»

«Ach, komm mir bloß nicht mit dieser blöden Feier. Diese ganze Vorbereitung nervt ja so dermaßen. Erst sollte ich mit meiner Klasse backen. Und jetzt soll ich dir mit der Deko helfen, meint die Nolte, und mich mit Susanne um das Programm kümmern.»

«Ist doch super! Du kannst den Tisch schön decken oder Gestecke aus Tannengrün zusammenbasteln oder …»

«Ja, ja, schon gut, Frl. Krise. Und dann sollen wir auch noch jeder was zu essen mitbringen. Ich dachte, Emine und Onkel Ali machen das alles.»

«Ist wohl zu viel für Emine. Onkel Ali kümmert sich ja mehr um die Getränke. Stell dich mal nicht so an, Frau Freitag. Einen Salat oder ein paar Soleier wirst du wohl noch hinkriegen!»

«Vielleicht bin ich am Freitag ja gar nicht da. Wer weiß? Ich habe schon seit Tagen ein ganz fürchterliches Halskratzen.»

«Apropos Halskratzen. Ist Nicki krank? Die steht doch sonst in jeder Mittagspause hier draußen.»

«Natürlich ist die krank. Mal wieder! Kein Wunder, wenn die sich zu cool ist, mal anständige Winterstiefel zu tragen. Neulich rannte die hier noch mit Converse durch die Gegend. Und wer darf das dann ausbaden? Ich. Wer muss Madame heute in der achten Stunde vertreten? Ich. Warum macht das nicht dieser Schulz oder Scholz oder wie der heißt? Der ist doch Vertretungslehrer.»

«Ich glaube, der heißt Schmidt, oder?»

«Ist mir doch egal, wie der heißt.»

«Also, von der Nicki haben wir ja echt nicht viel. Die ist mehr krank als gesund. Schade eigentlich. Ich mag sie. Sie hat gute Ideen, finde ich. Und sie ist so …»

«So, so … was denn? So unzuverlässig? So krank? Ich möchte dich ja mal sehen, wie toll du sie und ihre Ideen fändest, wenn du dauernd ihre blöden Klassen übernehmen müsstest, Frl. Krise. Ich finde, mit der hat der Schulleiter kein gutes Händchen gehabt, als er sie genommen hat. Zum Glück hat der Fischer nicht nur die eingestellt. Der andere Neue – dieser Büchner …»

«Ja, der hat was! Jedenfalls eine stabile Gesundheit. Aber er ist ein bisschen anstrengend, ich glaube, der hält sich für was Besseres. Seit den Sommerferien ist er schon hier und tut immer noch so, als sei er nur auf Durchreise.»

«Ja, voll der Tourist! Er stellt im Januar bestimmt einen Versetzungsantrag ans Gymnasium. Hat der Voss doch auch gemacht. Aber der Schulrat lässt den ja nicht gehen. Physik und Mathe, ha! Das kann der Voss vergessen. Der kommt hier NIE weg.»

«Los, wir gehen rein, es ist zu kalt hier. Klingelt auch gleich. Wir müssen noch an das komische Schrottwichteln denken, Frau Freitag.»

«Schrottwichteln … oh Mann, dieses Wort … sag mal lieber Julklapp mit doofen Geschenken. Apropos Geschenke – ich wollte heute nach der Schule noch mal kurz zu Ikea. Kommst du mit?»

«Ja, okay. Da finden wir bestimmt auch noch ein paar Anregungen für die Deko.»

16.03 Uhr

«Haben die hier gar keine richtigen Umkleidekabinen?»

Susanne zuckt nur mit den Schultern. Statt bei Ikea nach Weihnachtsgeschenken und Dekoutensilien zu suchen, bin ich mit Frau Brendel in einem Hamam gelandet. Ein türkisches Bad in Kreuzberg. Nur für Frauen. Susanne hatte mich in der Mittagspause gefragt, ob ich sie begleiten möchte. Sie hätte zwei Gutscheine für einen Wellnessnachmittag zum Geburtstag geschenkt bekommen, und niemand hätte Lust mitzukommen. Und weil mir so kalt war und Frl. Krise dann doch auf Viktoria-Estelle, das Kind einer ehemaligen Schülerin, aufpassen musste, habe ich spontan Ja gesagt.

Wir versuchen uns in einem sehr engen Flur, der nur mit einem dünnen Vorhang vom Eingangsbereich abgetrennt ist, auszuziehen. Gar nicht so einfach, an die Socken zu kommen, ohne dabei mit dem nackten Hintern an die Kollegin zu stoßen. Susanne ist vor mir fertig. Sie ist in ein riesiges Badehandtuch gewickelt und hat ein weiteres Tuch unter den Arm geklemmt, während sie ihre Klamotten und ihre Tasche in den viel zu engen Schrank stopft. Ich habe nur ein Handtuch mit, und meine Badelatschen habe ich auch vergessen. Und mein Handtuch ist viel zu klein. Ich war noch nie in einem Hamam. Woher sollte ich also wissen … Das Handtuch passt gerade mal so um meine Hüften. Mein Bauch wölbt sich über den Handtuchrand, weil …

«Hast du zugenommen?», fragt Susanne und mustert mich. «Steht dir gut. Du warst immer viel zu dünn.»

Spinnt die? Wie kommt sie mir denn jetzt? Natürlich habe ich zugenommen! Jeder nimmt zu, wenn er aufhört zu rauchen.

«Ich habe aufgehört zu rauchen.»

«Ach, das ist ja toll. Gratuliere. Ich hab ja nie geraucht, aber man sagt doch, dass man da ganz schön zunimmt. Der Körper muss sich ja erst mal umstellen. Meine Mutter hat damals fünfzehn Kilo mehr drauf gehabt. Aber bei dir ist das viiiiel weniger. Wie lange rauchst du denn nicht mehr?»

«Seit sechs, nein, sieben Tagen.» Fünfzehn Kilo??? Falls ich noch ein weiteres Gramm zunehme, fange ich wieder an zu rauchen! Wenn ich meinen Bauch so sehe, wie er über das Handtuch quillt – das könnte ohne weiteres eine Fettschürze werden. Und dann sieht man seine Füße nicht mehr – das geht ganz schnell. Das merkt man gar nicht. Und Susanne Brendel hat also noch nie geraucht. Warum wundert mich das nicht? Wahrscheinlich hat sie auch keinen Sex.

«Ich glaube, wir müssen die Treppe runter.»

Diese piepsige Stimme … da schreckt doch jeder vernünftige Mann zurück. «Susanne, hast du eigentlich einen Freund?»

«Ich? Pffff, hihihi …» Was ist das denn für eine Antwort? Jetzt kichert sie in ihre Armbeuge. Oh Mann, die ist so ein Mädchen. «Also ich, äh, nein, eigentlich … einen Freund äh … nein.» Eigentlich?

«Was heißt denn hier ‹eigentlich›, Frau Brendel? Hast du nun einen oder nicht?»

«Na ja, also es gibt da schon … aber der ist … nicht, dass du denkst … hihihi.»

Und dann erzählt mir Susanne Brendel – aber erst, nachdem ich ihr geschworen habe, mit niemandem darüber zu sprechen –, dass sie unseren Kollegen Tobias Voss (Mathe/Physik), diesen langweiligen, drögen, nicht mal ansatzweise attraktiven Kollegen, «irgendwie ganz schnuckelig» findet.

«… irgendwie ganz schnuckelig und süß. Und er sieht doch auch gut aus. Aber wehe, du erzählst das jemandem, Frau Freitag! Schwöre, dass du es niemandem erzählst!»

Frau Brendel steht auf Herrn Voss – wer hätte das gedacht? Ich freu mich schon auf Frl. Krises Gesicht. Und Frau Nolte wird sich aufregen – ich glaube, sie hält nicht viel von dem Voss, weil der sich nicht auf unsere Schülerklientel einlässt.

Einen Kollegen gut finden … das geht doch gar nicht! Lehrer sind ja auch nicht gerade die Ferraris unter den Männern. Und vor allem nicht die an unserer Schule. Der Pommer – Glatze, immer Rückenschmerzen, nur am Jammern und Meckern, der Voss, wie gesagt, ein Langweiler vor dem Herrn, der Fischer – Schulleiter zählen nicht. Wen haben wir denn noch? Ach, diesen Neuen … Dr. Dingsda. Der sieht ja eigentlich ganz gut aus, und so ganz blöd ist der auch nicht, aber …

«Frau Freitag, los komm, abduschen, und dann müssen wir hier rein. Das ist das Hamam. Also der Raum mit dem heißen Stein.» Susanne zieht mich den kleinen Flur entlang zu den Duschen. Ich gucke sie mir noch einmal genauer an. Susanne Brendel, Lehrerin für Französisch und Musik, ist in einen Kollegen verknallt. Einen Arbeitskollegen, der an der gleichen Schule wie sie unterrichtet und den sie jeden Tag sieht. Das kann doch nicht gut gehen. Wie heißt es doch so schön? Don’t fuck in the company!

Mittwoch, 09.12., 10.30 Uhr

Der Vertretungsplan ist endlos, der Krankenstand im Kollegium so hoch wie lange nicht mehr. Komischerweise erfreuen sich die Schüler bester Gesundheit, anscheinend haben es die aktuellen Bazillen mehr auf Erwachsene abgesehen. Mir ist es recht, wenn alle Erkälteten fehlen, ich habe keine Lust, mich anzustecken. Wenn ich daran denke, was ich noch alles bis Weihnachten erledigen muss, wird mir schwindelig!

Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass ich jetzt in meiner Springstunde wieder als Vertretung eingesetzt bin. Mit Herrn Doktor persönlich soll ich zusammen unterrichten, in der Neun vom Pommer. Er hat da Deutsch, und ich muss ihm zur Hand gehen. Ich bin ganz schön spät dran, aber was soll’s. Bis alle in der Klasse sind und Kollege Büchner die fehlenden Schüler aufgeschrieben hat, bin ich auf jeden Fall oben. Der soll sich freuen, dass überhaupt jemand kommt – alleine mit der ganzen Klasse ist er bestimmt aufgeschmissen. Der Pommer hat jedenfalls neulich erzählt, der Doc – wie er ihn nennt – hätte ziemlich zu kämpfen in seiner Klasse. Da sind aber auch ein paar Typen drin!

«Frl. Krise! Gut, dass du endlich kommst!»

Olaf Büchner steht mit ausgebreiteten Armen oben auf dem Treppenabsatz des zweiten Stockwerks. Er sieht ein bisschen zerrupft aus. «Ich weiß nicht, was ich machen soll!»

Hinter ihm tobt die Klasse durch den Flur – das war also der Krach, den man bis ins Erdgeschoss hören konnte.

«Was ist denn los, Olaf?»

«Da ist ein Vogel!», schreit Melanie, die sich neben den Büchner geschoben hat, und zeigt auf die Klassentür.

Hülya drängelt sich neben sie. «Der hat schon alles vollgekackt!», brüllt sie. «Voll eklich!»

«WAS?»

Kollege Büchner nickt. «Eine Taube, die flattert im Klassenraum hin und her. Wir können nicht rein!»

«Dann schick doch mal schnell einen Schüler runter, Herrn Rudolf holen!»

«Wen holen?»

«Na, HERRN RUDOLF! Unseren Hausmeister!»

 

Zum Glück hat der Hausmeister das Untier mit seinem Riesenbesen schnell hinausgejagt, und die paar weißen Kleckse auf den Bänken ließen sich auch halbwegs problemlos entfernen. Wenn die Mädchen nur nicht immer so hysterisch wären! Tina und Zeynep haben gekreischt, dass mir fast das Trommelfell platzte, und das nur, weil Erkan mit ein paar harmlosen Federchen hinter ihnen hergelaufen ist.

Die Pommer-Schüler arbeiten gar nicht schlecht, jedenfalls ist es jetzt ziemlich ruhig in der Klasse. Die haben sich verausgabt, eben bei dem Getobe auf dem Flur.

Na bitte, geht doch, Herr Kollege!

Olaf lehnt zwischen zwei Fenstern an der Wand und beobachtet die Schüler. Er hat die Arme fest vor der Brust verschränkt und guckt finster.

Ich stelle mich neben ihn.

«Frl. Krise, gestern habe ich noch zu meiner Frau gesagt, so ganz langsam kriege ich den Kopf über Wasser … aber solche Ereignisse …», flüstert er und schüttelt den Kopf. «Da fange ich wieder an zu zweifeln, ob ich hierbleiben will!»

«Na ja, eine Taube kann dir überall in den Raum fliegen!»

«Schon! Aber wie die Schüler reagiert haben! Dieser Terror! Ist ja nicht zum Aushalten.»

«Olaf, ein bisschen Schuld hast du aber auch selber. Mein Eindruck ist, dass du dich bisher nicht besonders bemüht hast, hier anzukommen. Du weißt ja nicht mal, wie der Hausmeister heißt.»

«Hm, ehrlich gesagt, ich kenne kaum die Namen der Kollegen!»

«Was? Echt? Meinst du denn überhaupt, du hast Chancen, schnell versetzt zu werden?»

Er schüttelt den Kopf. «Leider nein. Der Schulrat macht mir wenig Hoffnung!»

«WAS FLÜSTERN SIE?» Hülya dreht sich um und sieht uns strafend an. «Wir sollen ruhig sein, und Sie …!»

Das Kind hat recht. Wir verziehen uns nach hinten in die Klasse. Noch sieben Minuten, dann klingelt es.

«An die Schüler wirst du dich gewöhnen, Olaf. Die sind doch eigentlich ganz liebenswert. Man muss sie nur zu nehmen wissen. Und das wirst du lernen! Haben wir ja alle gelernt.»

«Hm … Aber ich …» Er stiert vor sich hin.

«Unser Kollegium ist doch ganz in Ordnung, oder?», frage ich.

Er schweigt.

«Kommst du auf die Weihnachtsfeier?»

«Ich weiß noch nicht, Frl. Krise. Du?»

«Ja, klar. Das gehört doch dazu. Trag dich nachher in die Liste ein, die hängt im Lehrerzimmer!»

Er zuckt ein bisschen hilflos mit den Schultern und schweigt.

«An deiner Stelle würde ich kommen. Das wär eine supergute Gelegenheit, alle besser kennenzulernen! Frau Nolte zum Beispiel, die wirkt ja immer so forsch, aber die ist wirklich sehr patent und hilfsbereit. Oder Frau Freitag …»

«Vor der hab ich gestern fast Angst bekommen! Wie die dich …»

«Ach, das ist doch nur, weil sie gerade aufgehört hat zu rauchen. Normalerweise ist sie total nett und lustig.»

Olaf seufzt. «Und der Pommer?», fragt er. «Wie findest du den?»

«Der ist auch ganz in Ordnung. Wenn du mit dem mal ein, zwei Bierchen getrunken hast, wirst du das schon merken.»

«Frl. Krise! Sie lästern voll!» Zeynep zeigt mit dem Finger auf mich.

Und Tina ruft: «Das darf man nicht!»

Es klingelt. Gott sei Dank.

16.00 Uhr

«Boah, ist das kalt. Zum Glück rauche ich nicht mehr, sonst müsste ich mir ja jetzt die Handschuhe ausziehen. Krass.»

«Ich friere nie an den Händen. Und warme Füße habe ich auch immer!»

«Ja, ja, Frl. Krise … du frierst nie an den Händen … die sind von dem ganzen Nikotin schon abgestorben, wa?»

«Quatsch! Mann, ist das glatt, streuen die jetzt gar nicht mehr in Berlin?!»

«Ach, so ein kleiner Wegeunfall, und mit ’nem Oberschenkelhalsbruch zu Hause bleiben bis Ostern und nie mehr …»

«Spinnst du? Und ich bin dann die ganze Zeit mit Monika und Susanne alleine in der Schule! Obwohl … die Nicki ist ja jetzt da …»

«Die Nicki, die Nicki … ich kann diesen Namen nicht mehr hören!!! Die Nolte kam mir vorhin auch schon wieder mit der. Die Meier-Mühlhoff hätte mit ihrem Chor jetzt auch noch ein paar Tanznummern eingeübt für diese blöde Weihnachtsfeier. Diese tolle Nicki und ihre tollen AGs … ihr täuscht euch alle in der. Ich sag euch, ihr geht der voll auf den Leim.»

«Ach, du übertreibst! Gut, sie fehlt ab und zu, und sie macht auch immer ein bisschen viel Gewese um ihren Chor, aber eigentlich …»

«Ein bisschen viel Gewese? Weißt du, dass Rosa jetzt viermal nicht im Englischunterricht war, weil sie immer für den Auftritt üben musste? Und die Mühlhoff fängt jetzt sogar an, sie aus Mathe rauszuholen. Wie Rosa da die Arbeit schaffen soll, das ist ihr völlig egal. Hauptsache, Madame kann sich dann mit den Schülern vor dem Fischer und allen Kollegen dicke tun.»

«Na, das geht natürlich nicht. Was ich noch fragen wollte: Wie war’s eigentlich im Hamam?»

«Doof!»

«Doof?»

«Ja, also das fetzt gar nicht, so ein Hamam. Vielleicht verstehe ich das Ganze auch nicht richtig, aber man sitzt da nur auf so einem warmen Stein rum. Ist auch total unhygienisch und für die Pobakterien bestimmt auch sehr vorteilhaft. Man spürt praktisch, wie sich die Pilze ver…»

«Ihhhhh! Voll eklig! Und Susanne? Der gefällt das? Kann ich mir gar nicht vorstellen, die ist doch sonst immer so etepetete.»

«Die war ja auch das erste Mal in so einem Hamam und es ist total langweilig dort. Nur auf dem Stein rumhängen, und dann kommen Frauen und schütten sich aus goldenen Schalen Wasser über den Rücken. Soll wohl Haremsatmosphäre schaffen. Wie gesagt, vielleicht verstehe ich das nur nicht. Ach, und weißt du, was ich auch nicht verstehe?»

«Noch was? Was denn?»

«Die Susanne. Die ist verknallt. Aber du wirst nicht glauben, in wen.»

«Voss.»

«Hä, woher weißt du das? Hat sie dir das auch schon gesagt?»

«Nee, aber die Schülerinnen von der Nolte haben mir das erzählt. Die haben angeblich beobachtet, wie die beiden nach der Schule gemeinsam zur U-Bahn gelaufen sind. Und er hätte sie voll angebaggert. Da hat man zufälligerweise den gleichen Nachhauseweg mit jemandem, und schon ist man angeblich verliebt. Hülya aus der Pommer-Klasse meint ja auch, dass ich mit Dr. Büchner zusammen bin, weil wir im Unterricht immer so viel tuscheln und rumkichern.»

«Und? Läuft da was, Frl. Krise?»

«Ja, sicher! Der Doc und ich! Aber das mit dem Voss und der Susanne – da ist was dran, glaube ich. Der Tobias scharwenzelt doch neuerdings immer auf dem Hof herum, wenn die Susi da Aufsicht hat! Fällt mir schon die ganze Zeit auf. So, ich geh noch rüber zu Onkel Ali, Zigaretten kaufen. Kommst du mit auf ein Käffchen?»

«Nee, geht leider nicht. Ich hab dem Freund versprochen, dass ich früher nach Hause komme.»

 

Onkel Ali steht mit einem Eimer in der Hand vor seinem Späti und grinst, als er sieht, wie ich über den Bürgersteig schliddere.

«Arschglatt, wa, Frl. Krise?», ruft er. «Aber nich bei Onkel Ali, bei dem is jestreut.»

Er reißt die Ladentür auf. «Kommen Se rinn, junge Frau, und wärmen Se sich uff!»

«Danke, Onkel Ali! Ein Kaffee wäre jetzt super, und dann brauche ich noch ein Päckchen Kippen!»

«Sonst allet okay, Frl. Krise? Wie jeht’s der Familie?»

«Gut! Männe ist bis Samstag in Hannover! Alleine zu Haus sein ist aber auch mal ganz schön.»

Onkel Ali nickt und reicht mir eine Tasse Kaffee. «Dafür hab ick heute und morjen Emine im Doppelpack!»

«Wie, im Doppelpack?»

«Ihre Schwester is bei uns. Sevgi. Die beeden wollen nachher allet für eure Weihnachtsfeier einkoofen. Du kennst ja Emine! Dit Catering muss perfekt werden, sonst isse nich zufrieden.»

«Hoffentlich gibt’s İçli Köfte und diese leckere Linsensuppe!»

«Bestümmt! Und ick bringe heute Abend die Jetränke in die Schule. Hab vorhin mit eurem Hausmeister telefoniert. Na, dit is ja ’ne Marke. Der denkt, ick schleppe allet alleene hoch. Da hatta sich aba jeschnittn!»

«Ist denn sonst alles klar, hast du mit Monika Nolte gesprochen? Ich meine, wegen der Bezahlung und so?»

Onkel Ali rollt mit den Augen. «Diese Frau ruft hier im Halbstundentakt an … die macht sich so wat von varrückt. Und mich glei mit. Dabei is allet klärchen! Ick schwör dir: Bei diese Feier kann nüscht mehr schiefjehn!»

«Hallööchen!»

Die Ladentür wird aufgerissen, und Ömür und Emre gucken um die Ecke. Sie bleiben auf der Fußmatte stehen, trampeln mit den Füßen und hauchen in die Hände.

«Oha, die Polizei, dein Freund und Helfer!», ruft Onkel Ali. «Hab ick wat vabrochen? Oda wat vaschafft mir dit Vergnüjen?»

«Wir kommen nicht wegen dir! Nur wegen diese Lehrerin hier!» Emre winkt mir zu, und Ömür strahlt. «Wir haben Sie von draußen gesehen, Frl. Krise, und wollten bloß mal schnell ‹Hallo› sagen!»

Emre und Ömür – ich freu mich immer, wenn ich sie treffe. Die sind noch genauso nett, wie sie als Schüler waren. Und erfolgreich! Schon im siebten Schuljahr wollten sie ‹Polizei› werden, und das haben sie auch geschafft.

«Kommt doch rein! Keine Uniform heute? Macht ihr neuerdings Streife in Zivil?»

«Wir sind nicht im Dienst! Wir wollen Geschenke einkaufen!» Ömür rollt mit den Augen und stöhnt.

«Selbst schuld», sage ich. «Das macht ihr doch freiwillig, oder seid ihr heimlich konvertiert?»

Emre lacht. «Niemals! Aber Weihnachtsbaum und Geschenke müssen sein!»

Ömür nickt und tätschelt seinen kleinen Bauch. «Stimmt! Zum Glück ist Weihnachten nur einmal im Jahr! Diese ganzen Plätzchen und Dominosteine. Ich hab schon voll zugenommen!»

«Du Ärmster! Tröste dich, mir geht’s auch nicht besser. Und Freitag haben wir auch noch Weihnachtsfeier in der Schule – mit Onkel Alis Catering!»

«Sie haben es gut! Wir haben am Freitagabend Dienst!»

21.45 Uhr

«Ich kann nicht mitkommen!»

«Wieso?»

«Ich hab überhaupt nichts anzuziehen.» Seit einer halben Stunde durchforste ich meinen Kleiderschrank nach einem T-Shirt in meiner Größe. Die sind irgendwie alle zu klein. Entweder spannen die im Schulterbereich, oder sie sind zu kurz.

«Hast du vielleicht meine Sachen zu heiß gewaschen?» Der Freund ist bei uns für die Wäsche zuständig.

«Guck mal, dieses Shirt hier, das hat mir immer gepasst, aber jetzt kann ich es gar nicht in die Hose stecken. Ich glaube, ich bleib hier. Geh doch alleine zu dem Konzert.»

Ich habe an Wochentagen selten Lust auszugehen. Und seit ich nicht mehr rauche, sehe ich gar keinen Sinn mehr darin, mich außerhalb meiner Wohnung aufzuhalten. Letzten Samstag waren wir auf einem Geburtstag, und statt zu rauchen, habe ich die ganze Zeit gegessen. Am Ende war mir schlecht. Weggehen, ohne zu rauchen, fetzt einfach nicht.

«Ach, komm schon, auf das Konzert freue ich mich schon seit Wochen. Und es ist doch auch gleich um die Ecke. Ich verspreche dir, die Band wird dir gefallen. Hier …», der Freund geht in die Küche und kommt mit der Zeitung wieder, «warte … die haben das heute sogar als Tagestipp, warte … ah hier: Funky Broadway, die Soul-Entdeckung des Jahres. Das Konzert am heutigen Abend verspricht das musikalische Highlight der Saison zu werden … und so weiter und so weiter.»

«Na super. Voll der Geheimtipp … Ich würde ja mitkommen, aber was soll ich denn anziehen? Guck mal, hier der Pullover, wie eng der an den Armen geworden ist … und ich bin auch müde, und wenn ich nicht rauchen kann, dann …»

«Hier, nimm den!» Er schmeißt mir seinen schwarzen Kapuzenpulli entgegen, guckt auf die Uhr und geht in die Küche. «Und beeil dich, die fangen gleich an.»

 

Seitdem man in Restaurants, Bars und überhaupt nirgendwo mehr rauchen darf, stinkt es überall nach Männerschweiß. Warum haben Männer seit dem Rauchverbot aufgehört, sich zu waschen? Die Funky Broadways lassen sich Zeit. Es ist schon elf, und wir stehen seit einer Stunde vor der leeren Bühne und warten. Warten ohne Zigaretten ist wie mein Englischunterricht. Langweilig und sinnlos.

«Mann, wann fangen die denn endlich an?», frage ich den Freund, aber der weiß es auch nicht.

«Ich muss morgen zur Ersten. Ich gebe denen noch fünf Minuten, wenn die bis dahin nicht … Okay, jetzt geht es wohl los.» Ein Typ mit langen Haaren und Vollbart setzt sich hinter das Schlagzeug. Noch ein Langhaariger, dieser allerdings mit Dutt, aber auch mit Vollbart und Gitarre, kommt nach vorn und dreht an dem Mikroständer. Nach und nach versammeln sich noch mehr Bandmitglieder auf der Bühne. Alle mit mehr oder weniger langem Haar. Einige mit dicken Ray-Ban-Hornbrillen und jeder mit äußerst gelangweiltem Gesichtsausdruck. Sie wirken so, als wären sie zufällig hier gelandet. Durch bloßen Zufall auf der Bühne, tja, und jetzt, wo sie schon mal da sind, können sie ja auch spielen. Und das machen sie! Mit teilnahmslosen Mienen bearbeiten sie ihre Instrumente. In der Mitte der Bühne steht noch ein verwaister Mikroständer.

«Hihihi, der Sänger ist nach Hause gefahren», schreie ich dem Freund ins Ohr, werde aber sofort eines Besseren belehrt. Eine Frau rennt auf die Bühne, reißt das Mikro aus dem Halter und schreit: «Danke, dass ihr gekommen seid! Wir sind Funky Broadway! Wir freuen uns, heute hier zu sein. Ich bin Niks, und das ist meine Band!»

Und dann fängt sie an zu singen, die Musik wird schneller. Plötzlich ist das Publikum wach, klatscht und grölt vor Begeisterung. Der Freund dreht sich zu mir und schreit mir ins Ohr: «Na, was hab ich dir gesagt? Super, oder?»

Donnerstag, 10.12., 11.25 Uhr

Peter Pommer steht vor dem Vertretungsplan im Lehrerzimmer und hat die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er tippt mit dem ausgestreckten Zeigefinger mitten auf das Blatt und murmelt:

«Wieso ich? Wieso schon wieder ich? Wieso immer ich? Unverschämtheit.»

Er dreht sich zu Susanne und mir um: «Was ist los mit Monika? Wieso ist die ausgeplant? Hier! In der Zehnten! Ich soll sie vertreten! Vorhin war die doch noch da. Seh ich außerdem überhaupt nicht ein, das wäre nämlich …»

«Die Monika ist noch mal kurz nach Schöneberg zu ‹Deko Behrendt›! Die wollte Weihnachtsschmuck …», sagt Susanne.

«Wohin?»

«Zu ‹Deko Behrendt›! Kennst du diesen Laden nicht? Der ist doch ganz berühmt in Berlin! Da bekommt man alles zum Dekorieren! Zu jedem Anlass!»

Der Pommer guckt uns an, als wären wir nicht ganz bei Sinnen und schlägt sich vor die Stirn. «Das glaube ich jetzt nicht!»

«Doch, doch, der Fischer hat ihr erlaubt, dahin zu fahren. Er hat gesagt, sie hätte so viel Zeit in die Organisation der Feier gesteckt, da könnte er das verantworten!»

Der Pommer schnappt nach Luft und stürzt aus der Tür.

«Hätte ich das nicht erzählen dürfen, Frl. Krise?» Susanne reißt ängstlich ihre Augen auf.

«Warum denn nicht? Ich geh jetzt hoch in die Aula. Kommst du mit?»

Unsere Aula ist mit Abstand der schönste Raum in der ganzen Schule. Aus den fast wandhohen Fenstern auf der linken Seite hat man die beste Aussicht auf das ganze Schulgelände. Die Aula hat honigfarbenes Parkett, alle Wände sind weiß gestrichen, nur der Stuck an der Decke ist zartgelb. Der Kontrast zu dem ollen, immer leicht verdreckten grauen Treppenhaus ist beeindruckend.

«Oh, der Rudolf hat ja schon die Tische und Stühle richtig hingestellt», ruft Susanne und klatscht ein bisschen kindisch in die Hände.

«Ja, und der Rudolf baut auch gerade noch die Bühnentechnik auf. Macht ja sonst keiner!»

Wir fahren zusammen. Diese Stimme! Der dazugehörige Mann, unser Hausmeister, hockt hinter dem halbgeöffneten schwarzen Vorhang der kleinen Bühne und guckt grimmig.

«Sehr schön, HERR Rudolf. Danke!», rufe ich. Man muss etwas vorsichtig mit ihm sein, der Gute ist empfindlich.

Ich ziehe Susanne mit in den Nebenraum. Mal lieber kurz aus der Bahn gehen. «Die Dekosachen!», sage ich und zeige auf einige Kartons.

Susanne achtet nicht auf mich. Sie dreht sich langsam im Kreis und guckt sich um. «Na! Hier sieht es ja übel aus!» Da hat sie allerdings recht.

Der Raum wird von den Theaterleuten als Requisitenlager und Garderobe benutzt. An einer Wand stehen Schränke, aus denen Kostüme und undefinierbare Stofffetzen herausquellen, in einer Ecke stehen mehrere Straßenbesen, davor einige Trommeln und drei Koffer. Ein kaputtes Sofa und ein paar aufeinandergestapelte Matratzen runden das Interieur ab.

«Unglaublich, aber wahr!» Herr Rudolf steht plötzlich in der Tür. Anklagend zeigt er auf das Sofa. «Ein Schandfleck. Und wer darf demnächst diesen ganzen Schrott entsorgen? Raten Sie mal.»

Wir nicken ihm zu und hieven schweigend die Kartons mit dem Weihnachtsschmuck in die Aula. Ich habe keine Lust, mich nach dem Pommer auch noch mit einem unwirschen Hausmeister zu befassen. Diese Männer – allesamt bedauernswerte, zu kurz gekommene Wesen.

«Ich lege mal die Tischdecken auf», sage ich zu Susanne, «du kannst inzwischen die Kerzen in die Tüten stellen.» Monika hat Spezial-Papiertüten für Teelichter angeschafft – falls wir nicht abbrennen, wird das sicher sehr stimmungsvoll.

«Leute, da bin ich wieder!» Ein riesiger Tannenbaum erscheint, getragen von Monika und dem Vertretungslehrer – wie hieß der noch gleich? Schütz oder Scholz oder so.

«Halleluja!», sagt Herr Rudolf. Es klingt fast anerkennend. «Na, dann kann’s ja morgen richtig losgehen mit Weihnachten!»

13.11 Uhr

«Du bist ja immer noch am Computer, Frau Freitag. Was machst du da eigentlich?»

«Recherche.»

«Für was?»

«Für mich!»

«Sehr freundlich! Ich wünschte, du würdest wieder rauchen! Diese schlechte Laune ist nicht zum Aushalten. Hier! Willste eine?»

«Nein, danke. Und diesmal ist es gar nicht das Rauchen. Oder das Nichtrauchen! Boah, ich könnte mich sooo aufregen!»

«Worüber denn?»

«Ich musste doch eben schon wieder die Meierhoff vertreten …»

«Meier-Müllerhoff! Ach nein, Mühlhoff … also, sag doch einfach Nicki.»

«Ja, ja, NICKI … hör mir bloß auf! Gestern Nacht produziert sie sich noch bis in die Puppen auf der Bühne, und heute feiert sie krank, und ich darf ihren Scheißunterricht machen.»

«Was? Welche Bühne? Ist die irgendwo aufgetreten?»

«Ja. Ich musste mir das angucken, weil mich der Freund mitgeschleppt hat. Ist ja auch egal. Wichtig ist nur, dass sie heute wieder fehlt. Und ihre Schüler … die hättest du mal hören müssen!»

«Ach, dein Freund kennt die Nicki? Woher das denn?»

«Was, nein, äh, wieso sollte der die kennen? Die Band, also die Band kennt der. Aber du hättest eben die Schüler hören müssen: ‹Wieso können wir nicht früher gehen? Bei M&M dürfen wir immer früher gehen.›»

«M&M?»

«Ja, Meier-Mühlhoff. M&M – so lässt die sich von den Schülern nennen. Peinlich, oder?»

«Das kann ich ja kaum glauben …»

«Warte, warte, wird ja noch besser! Ich hatte gefragt, wann sie den letzten Test geschrieben haben, und sie meinten, dass M&M nie Tests schreiben würde, weil sie davon nichts hielte.»

«Sie HÄLT nichts davon? Tests sind vorgeschrieben! Wenn das der Fischer wüsste, der würde Zustände bekommen!»

«Meinst du? Ich glaube, der findet die toll. Und die Schüler schwärmen ja regelrecht von der.»

«Kein Wunder! Bestimmt gibt sie auch keine Hausaufgaben auf, und ihr ist es wurscht, wenn man zu spät kommt!»

«Ja, wahrscheinlich. Und angeblich fängt sie die Stunde immer mit einem Spiel an. Mona meinte zu mir: ‹Nicht, dass Sie das jetzt falsch verstehen, Frau Freitag, aber es ist wirklich besser, dass es jetzt mehr junge Lehrer an unserer Schule gibt wie Frau Meier-Mühlhoff, weil die noch wissen, wie das ist, jung zu sein.›»

«Hä? Jung? Die ist doch garantiert auch schon Ende dreißig. Unter jung versteh ich was anderes. Wie alt ist sie denn?»

«Das versuche ich ja gerade herauszufinden.»

«Ach, deshalb diese Recherche. Wieso guckst du nicht auf den Geburtstagskalender an der Pinnwand?»

«Weil die da nicht draufsteht. Da habe ich doch gleich nach der Stunde geguckt. Aber warte mal … hier: Die Website von Funky Broadway, da haben wir es doch: Biographisches. Sängerin: Niks Meier-Mühlhoff, geboren in Salzgitter am … ach nee!!!»

«Wann?»

«Das glaubst du nie!!! Die tolle Frau M&M, unsere allseits beliebte Schülerversteherin, ist genau zwei Monate und drei Tage ÄLTER als ich!»

«Hahaha, Frau Freitag! Ich lach mich tot! Hat die sich aber gut gehalten!»

«Ist ja auch keine Kunst – während ich ihren Unterricht mache, liegt sie zu Hause und genießt ihren Schönheitsschlaf.»

Freitag, 11.12., 17.21 Uhr

«Wenn alle um sieben kommen, müssen wir uns beeilen», sagt Monika und drückt mir eine Dose in die Hand. Menno, warum habe ich mich nur dazu bereit erklärt, so früh in die Aula zu kommen, um beim finalen Schmücken zu helfen? Monika hat eine komplett andere Vorstellung von einer gelungenen Weihnachtsdeko als ich. Die Tische sehen für meinen Geschmack gruselig aus – komplett überladen: Engelshaar, Lametta, Tannengrün, kleine goldene Zapfen und künstliche Äpfel. Sie hat aber auch wirklich alles eingekauft, was es an weihnachtlichen Scheußlichkeiten gibt.

«Hier, Frl. Krise. Das ist so ein Spezialstaub, den kann man auf die Tische streuen, das sieht dann auf der weißen Tischdecke aus wie das Glitzern von Schnee!»

«Ihhh! Das ist wohl nicht dein Ernst!»

«Warum denn nicht? Ist doch sehr hübsch!» Susanne greift nach der Dose und löst schnell den Klebestreifen, der den Deckel fixiert.

«Das kann ich dir genau sagen, Susanne, dieses Zeug haftet wie verrückt. Hände, Gesicht, Klamotten, es geht nie mehr ab! Wir werden den Rest unseres Lebens glitzern.»

«Na und wennschon!» Susanne legt unter dem beifälligen Nicken von Monika los.

«Dann verschone aber wenigstens unseren Tisch!» Ich zeige auf den Platz, den ich für Frau Freitag und mich ausgesucht habe. Ich habe keine Lust, bis mindestens Silvester wie eine Dekokugel auszusehen.

«Jetzt zick mal nicht rum, Frl. Krise!» Monika zwinkert nervös mit den Augen. «Dafür haben wir keine Zeit! Also: Kümmerst du dich um das Geschirr? Das steht in der Küche und muss rübergeholt werden. Vielleicht macht das der Herr Scholz oder Schulz oder wie der heißt, der war doch gerade noch da. Und guckst du auch mal nach dem Tannenbaum? Mert und Rosa wollen Kugeln dranhängen. Dazu brauchen die aber eine Leiter. Keine Ahnung, wo der Rudi die hingeräumt hat. Und wo bleiben Onkel Ali und Emine? Die wollten um fünf mit dem Essen kommen. Ruf da gleich mal an!»

«Noch was, Monika?»

«Ja, Himmelherrgott, Frl. Krise, ich kann mich nun mal nicht um ALLES selber kümmern! Ganz ehrlich, ich weiß nicht, warum du jetzt so komisch wirst. Susannchen und ich, wir sind schon seit Stunden hier. Und der Rudolf – wo steckt der Mann? Der muss unbedingt den Kühlschrank hochtragen.» Sie dreht sich abrupt um und läuft aus der Aula.

«Tja, Frl. Krise, dann weißt du ja, was du zu tun hast!» Susanne streut mit aufreizender Langsamkeit das hauchfeine Pulver auf die Tischdecken.

In ihrem Gesicht glitzert es schon verdächtig. Kein Wunder, an Make-up klebt das besonders gut, und Susanne hat zur Feier des Tages ein bisschen viel davon aufgelegt.

Ich frage mich, wo Frau Freitag bleibt.

19.05 Uhr

«Kommst du auch schon, Frau Freitag?»

«Na, was denn? Ich bin doch pünktlich. Und ich hab sogar einen Nudelsalat gemacht.» Frl. Krise soll mich mal nicht stressen. Kann ich doch nichts für, dass sie sich für das Dekoteam gemeldet hat und schon so früh da sein musste. Und war doch klar, dass das nervig wird, unter dem Nolte-Kommando die Aula zu schmücken.

«Onkel Ali, wo soll ich denn den Salat hinstellen?»

«Hallöchen erst mal. Frau Freitag, wat meinste denn, wo die Fressalien hinkommen?»

«Ach, ich seh schon. Danke.» Oh Mann, der ist ja auch völlig unentspannt.

«Hmmm, der Salat sieht aber lecker aus, Frau Freitag. Den hast du aber nicht selbst gemacht oder?»

«Ach, Nicole, hi. Doch, klar, alles aus eigener Herstellung. Hier. Die Kräuterbutter auch.» Sieh mal einer an, Frau Meier-Mühlhoff. Gestern noch krank, aber wenn’s ums Feiern geht, da ist sie voll dabei.

«Was hast du denn mitgebracht?» Ich weiß gar nicht, wie ich die ansprechen soll. Frl. Krise sagt immer Nicki. Das bringe ich aber nicht über die Lippen. Nicole muss reichen. Am liebsten würde ich Frau Meier-Mühlhoff sagen, aber …

«Ach, nur so Kleinigkeiten, nichts Besonderes. Schweineöhrchen, Garnelen-Pasta-Salat und ein paar Kanapees. Eigentlich wollte ich noch einen Kuchen backen, aber ich hatte nicht genug Zeit.» Was heißt hier nicht genug Zeit, sie war doch gestern den ganzen Tag zu Hause.

«Frau Freitag, ’tschuldigung, ich renn noch mal runter eine rauchen, und dann muss ich auch wieder nach hinten, die Mädels vom Chor beruhigen. Die sind vielleicht aufgeregt, sag ich dir. Total süß. Wir sehen uns ja noch später. Halt mir mal einen Platz an deinem Tisch frei.» Hä? Wie kommt die mir denn? Ich will doch nicht mit der an einem Tisch sitzen.

«Ja, klar. Mach ich.» Ich werde das einfach vergessen. Huch, sorry, Nicki, war schon alles voll. Ging echt nicht anders. Guck mal, da an Frau Noltes Tisch gibt es noch einen leeren Platz.

Ach, da kommt ja auch Frl. Krise.

19.08 Uhr

«Boaaah, Frau Freitag, hmmmm, hast du diese Garnelen gemacht? Und diese Nudeln, ist das lecker!»

«Die Garnelen, äh, ja, nee, also nicht so richtig.»

«Wie jetzt?»

«Oh Mann. Nein, Frl. Krise. Die sind nicht von mir. Ich weiß nicht, wer die gemacht hat.»

«Nee? Schade, ich brauche unbedingt das Rezept. Wie raffiniert diese Garnelchen gewürzt sind und die Nudeln – garantiert selbst gemacht. Wirklich ganz fein. Das MUSST du probieren, Frau Freitag. Hier. Komm, Mund auf!»

«Nee, lass mal! Ich hab noch gar keinen Hunger. Frl. Krise, ihhh, Reissalat. Wer bringt denn so was mit? Aber das Tiramisu sieht lecker aus.»

«Tiramisu? Von Susanne? Frau Freitag! Iss das bitte nicht. Denk dran, wie schlecht dir das letzte Mal war.»

«Ich esse heute gar nichts! Ich bin so fett geworden, eher beiße ich mir die Zunge ab, als dass ich noch eine Kalorie …»

«Wo ist eigentlich der Büchner? Und ist die Nicki schon da?»

«Keine Ahnung. Die habe ich beide noch nicht gesehen. Und apropos Nicki – die hatte doch laut ihrer Website gestern Abend ein Konzert.»

«Ach ja? Der Büchner wollte aber kommen!»

«Ja, okay, Frl. Krise, jetzt rate doch mal, was ich gestern noch rausgefunden habe!»

«Was ist eigentlich los mit dir? Ständig suchst du im Internet rum …»

«Die war doch gestern nicht in der Schule, aber abends gibt sie trotzdem ein Konzert. Die macht morgens einfach blau, und abends tritt sie auf und verdient da wahrscheinlich auch noch Geld. Darf man das überhaupt – so einen Nebenjob haben, meine ich. Muss man doch bei der Schulleitung anmelden, oder?»

«Keine Ahnung! Ah, da ist ja der Olaf! Das find ich gut! Der muss doch endlich ein bisschen Anschluss im Kollegium bekommen.»

20.15 Uhr

Ich muss schon sagen, die Nicki ist eine gute Chorleiterin.

«Christmas in my heart» singen die Kinder und bewegen sich sogar im Rhythmus der Musik. Das ist geradezu revolutionär für unsere Verhältnisse. Sonst stand der Chor immer starr und steif auf der Bühne, als wäre er eingefroren.

Das Lied kenne ich, das ist von Sarah Connor, glaub ich. Nicht schlecht – mal was Modernes, mal was anderes als das ewige O Tannenbaum und Ihr Kinderlein kommet!

Ach und DAS ist ja echt schön: Jetzt rieselt sogar eine Ladung Schnee auf die Sänger nieder. Ein kleiner Spezialeffekt sozusagen. Da hat bestimmt der Rudolf seine Finger im Spiel, der tat vorhin so geheimnisvoll, als er in Richtung Bühne verschwand. Büchner und noch ein paar andere schwenken ihre Feuerzeuge, sehr stimmungsvoll.

Und jetzt kommt die AG von Susanne. Die singen auch. Ach Gott, das sind ja nur fünf Hanseln. War diese Truppe nicht früher viel größer? Na ja, die meisten Sänger sind wohl zu Nicki gewechselt. Wundert mich, dass der Fischer diese AG überhaupt noch weiter genehmigt, bei so einer niedrigen Schülerzahl.

Susanne ist total aufgeregt, ganz rote Flecken hat sie im Gesicht. Geht die etwa mit auf die Bühne und dirigiert? Die Nicki war da wesentlich souveräner, die hat ihre Sänger aus dem Publikum heraus geleitet …

Wie gehemmt die Sängerinnen hinter dem Vorhang hervorkommen und … dachte ich es mir doch. «Stihille Nacht! Heilige Nacht!» Was anderes ist der Kollegin wohl nicht eingefallen. Die armen Mädels haben viel zu hoch angefangen, bei «himmlischer Ruuuuhu» stoßen sie an ihre Stimmbandgrenzen, und es tut richtig weh in den Ohren. Weshalb klatscht denn die Freitag so frenetisch? Die wird mir doch nicht erzählen, dass ihr diese mickrige Darbietung gefallen hat.

Die Kinder gehen kichernd ab. Und … wow, was ist das jetzt? Nicki steht plötzlich auf der Bühne. Im Raum wird es dunkel, nur ein einziger Spot ist auf sie gerichtet.

Totenstille.

Die Musik kreischt los und – Junge, Junge, wie die Frau loslegt und die Bühne rockt. Unglaublich. Da zeigt sich langjährige Erfahrung im Musikgeschäft. Die ist echt ein Profi. Den Song kenne ich nicht, bestimmt hat sie ihn selbst komponiert und geschrieben. Ein englisches Weihnachtslied – super! Die Connor ist auch nicht besser!

Das Kollegium ist wie entfesselt. Alle springen auf und klatschen wild. Der Fischer kriegt sich gar nicht mehr ein, Pommer und Voss pfeifen auf ihren Fingern, und die Nolte ruft «Zugabe».

Ja! Zugabe! Zugabe!

21.08 Uhr

Na super, jetzt geht die tolle Nicki mit Frl. Krise eine rauchen. Süchtig sind die. Bin ich froh, dass ich stark genug bin, nicht zu qualmen. Vor zwei Wochen wäre ich noch mit rausgegangen. Aber was soll ich auf dem Raucherhof? Da hat man als Nichtraucher nichts verloren. Stattdessen kann ich mich hier mit der Nolte und dem Büchner langweilen. So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie die Krise die freien Plätze bei uns am Tisch an die drögesten Kollegen verteilt hatte. Fehlte eigentlich nur noch der Voss oder der Pommer. Frau Nolte nervt – die kann sich vor lauter Verantwortung auch gar nicht auf irgendein Gespräch konzentrieren. Susanne ist schon eine ganze Weile weg und dieser Büchner … mit dem kann ich auch nicht besonders viel anfangen. Was Frl. Krise an dem findet, versteh ich nicht. Und die tolle Nicki. Wie kann man denn, nachdem die Schüler gesungen haben, auf die Bühne kommen und selbst singen? Als Lehrer hat man sich gefälligst zurückzuhalten. Ist doch klar, dass man als Musiklehrerin singen kann. Heißt doch aber nicht, dass man das auch machen muss! Ich gehe doch auch nicht auf die Bühne und spreche englisch. Und wie sie sich hat feiern lassen … Peeiiiiinlich! Die wollte gar nicht mehr runter von der Bühne. Und Frl. Krise und Frau Nolte haben auch noch «Zugabe» geschrien. Ich wäre fast im Boden versunken. Überhaupt reicht es jetzt auch mit den Vorführungen. Ich hab genug. Meinetwegen könnten wir jetzt das Schrottwichteln machen. Ich will auch nicht zu spät nach Hause. Oh nein, was macht denn der Büchner auf der Bühne? Will der jetzt auch noch singen oder was? Und wo bleibt eigentlich Frl. Krise?