Gegenspieler - Arno Strobel - E-Book

Gegenspieler E-Book

Arno Strobel

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Beschreibung

Zwei Bestseller-Autoren, eine Idee: »Mörderfinder« Max Bischoff und Strafverteidiger Anton Pirlo ermitteln das erste Mal gemeinsam Karl Müller, Partner der Düsseldorfer Starkanzlei Müller & Mahler, wird tot aufgefunden, nur wenige Tage, bevor er zu den umstrittenen, von seiner Kanzlei entwickelten TaxEx-Steuersparmodellen hätte aussagen sollen. Während die Polizei von einem Suizid ausgeht, beauftragt die Kanzlei den Fallanalytiker und Privatermittler Max Bischoff, den Tod zu untersuchen. Sophie Mahler, Tochter des Gründungspartner Ernst Mahler und aufstrebende Strafverteidigerin, soll ihn unterstützen. Sehr zum Missfallen von ihrem Kanzleipartner Anton Pirlo, der auf Anhieb beschließt, dass er Bischoff nicht leiden kann. Doch als Ernst Mahler verhaftet wird, übernimmt Pirlo dessen Verteidigung, und Bischoff und Pirlo stehen plötzlich auf derselben Seite. Widerstrebend arbeiten sie zusammen, um die Unschuld von Sophies Vater zu beweisen – und um einen skrupellosen Gegner zu stoppen …

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Seitenzahl: 491

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Arno Strobel | Ingo Bott

Gegenspieler

Bischoff und Pirlo ermitteln

 

 

Über dieses Buch

 

 

Karl Müller, Partner der Düsseldorfer Starkanzlei Müller & Mahler, wird tot aufgefunden, nur wenige Tage, bevor er zu den umstrittenen, von seiner Kanzlei entwickelten TaxEx-Steuersparmodellen hätte aussagen sollen. Während die Polizei von einem Suizid ausgeht, beauftragt die Kanzlei den Fallanalytiker und Privatermittler Max Bischoff, den Tod zu untersuchen. Sophie Mahler, Tochter des Gründungspartner Ernst Mahler und aufstrebende Strafverteidigerin, soll ihn unterstützen. Sehr zum Missfallen von ihrem Kanzleipartner Anton Pirlo, der auf Anhieb beschließt, dass er Bischoff nicht leiden kann. Doch als Ernst Mahler verhaftet wird, übernimmt Pirlo dessen Verteidigung, und Bischoff und Pirlo stehen plötzlich auf derselben Seite. Widerstrebend arbeiten sie zusammen, um die Unschuld von Sophies Vater zu beweisen – und um einen skrupellosen Gegner zu stoppen …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und spürt menschlichen Urängsten nach. Alle seine Thriller waren Bestseller und standen wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste.

 

Ingo Bott leitet eine Strafrechtskanzlei. Er löst herausfordernde Fälle im In- und Ausland. Als Ausgleich gegen den Druck schreibt er auf seinen Reisen leidenschaftlich gern unkonventionelle Kriminalromane.

 

Eines haben die beiden Autoren gemeinsam: Ihre Ermittler lösen Fälle in Düsseldorf. Bei Arno Strobel ist es der Fallanalytiker Max Bischoff, der sich als »Mörderfinder« in die Köpfe von Verbrechern hineinversetzt, bei Ingo Bott der eigenwillige Strafverteidiger Anton Pirlo. Nachdem die Autoren sich über ihren Verlag kennenlernten, entwickelte sich zunächst eine Freundschaft und daraus die Idee eines Gemeinschaftsprojekts. Die Zusammenarbeit lief dann zum Glück (meistens) auch ganz harmonisch – anders als zwischen ihren beiden Hauptfiguren, die sich in »Gegenspieler« erst zusammenraufen müssen …

Inhalt

[Motto]

I

1. Kapitel

Max

2. Kapitel

Sophie

3. Kapitel

Max

4. Kapitel

Pirlo

II

5. Kapitel

Max

6. Kapitel

Sophie

7. Kapitel

Max

III

8. Kapitel

Pirlo

9. Kapitel

Max

10. Kapitel

Sophie

11. Kapitel

Max

12. Kapitel

Pirlo

IV

13. Kapitel

Max

14. Kapitel

Sophie

15. Kapitel

Max

16. Kapitel

Pirlo

17. Kapitel

Max

18. Kapitel

Sophie

19. Kapitel

Max

20. Kapitel

Pirlo

21. Kapitel

Max

22. Kapitel

Sophie

V

23. Kapitel

Max

24. Kapitel

Pirlo

25. Kapitel

Max

26. Kapitel

Sophie

27. Kapitel

Max

VI

28. Kapitel

Pirlo

29. Kapitel

Max

30. Kapitel

Sophie

31. Kapitel

Max

32. Kapitel

Pirlo

33. Kapitel

Max

34. Kapitel

Sophie

35. Kapitel

Max

36. Kapitel

Sophie

37. Kapitel

Pirlo

38. Kapitel

Max

39. Kapitel

Pirlo

40. Kapitel

Max

41. Kapitel

Pirlo

42. Kapitel

Max

43. Kapitel

Sophie

44. Kapitel

Max

VII

45. Kapitel

Pirlo

46. Kapitel

Max

47. Kapitel

Pirlo

48. Kapitel

Max

49. Kapitel

Pirlo

50. Kapitel

Max

51. Kapitel

Pirlo

52. Kapitel

Sophie

Epilog

Max

Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache.

 

Sir Arthur Conan Doyle

I

Als sie auftauchen, kauere ich hinter dem Gestrüpp am Rand eines spärlich beleuchteten Waldparkplatzes. Wie es aussieht, hat sich die Warterei doch noch gelohnt. Ich bekomme, worauf ich gehofft habe. Endlich.

Die beiden alten Männer mit den Walking-Stöcken und den Stirnlampen nähern sich vorsichtig dem silbergrauen Mercedes. Erkennbar aufgeregt versuchen sie schon aus der Entfernung, im schwachen Lichtschein ins Innere des Wagens zu spähen. So einfach wird das hier aber nicht sein. Natürlich nicht.

Es war der laufende Motor, der ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Den Schlauch, der auf dem Auspuff steckt und dessen anderes Ende durch die Beifahrerscheibe ins Innere hängt, können sie nicht sehen, weil diese Seite des Wagens dem Wald zugewandt ist. Trotzdem bewegen sie sich nur langsam, misstrauisch näher. Sie spüren einfach, dass etwas nicht stimmt.

Einer der beiden, ein dürrer Kerl mit einem armseligen Restbestand an fusseligen weißen Haaren, pirscht sich an die Fahrertür heran und wirft einen Blick durch die von innen vernebelte Scheibe. Es vergehen drei, vier Sekunden. Dann richtet er sich ruckartig auf und stöhnt. Der Selbstmörder ist entdeckt worden. Und alles hat sich gelohnt.

Sicher, ich hätte mir andere Entdecker meiner Schöpfung gewünscht. Andere, würdigere Bewunderer meines Werks. Jetzt, da es so weit ist, sind mir aber auch die beiden Alten recht. Schon, weil es um sie gar nicht geht. Sondern um mich. Um meine Tat. Meine Macht. Um das unendlich gute Gefühl, am Leben zu sein. Und das eines anderen zu nehmen.

1

Max

Mittwoch, 16.10., 10 Uhr

Max stand vor dem imposanten Gebäude an der Kö, Ecke Benrather Straße, und legte den Kopf in den Nacken. Im obersten der zehn Stockwerke befanden sich die Räumlichkeiten der Kanzlei Müller & Mahler, die er in wenigen Minuten zum ersten Mal betreten würde.

Er dachte an den Anruf vom Vortag. An die melodische Stimme der jungen Frau, die ihm mitteilte, Ernst Mahler, der Gründer und namensgebende Seniorpartner der Kanzlei, wolle ihn um zehn Uhr am folgenden Tag sprechen. Was Max aufgefallen war: Sie hatte ihn nicht gebeten zu kommen, sondern ihm mitgeteilt, wann er erwartet wurde.

Spontan hatte Max der jungen Frau sagen wollen, wenn Herr Mahler ein Anliegen habe, solle er sich selbst auf den Weg machen und ihn in der Uni besuchen. Er hatte es aber nicht getan, weil ihm der Name natürlich ein Begriff war und es ihn interessierte, was der Chef einer weltweit tätigen Anwaltskanzlei von einem ehemaligen Kriminalbeamten und jetzigen Hochschuldozenten wollen könnte.

Max wusste aus den Medien, dass die Kanzlei gerade wegen einer Steuergeschichte im Feuer stand. Angeblich hatte sie irgendwelchen Spekulanten dabei geholfen, durch ein geschicktes Austricksen des Finanzamtes Milliardengewinne zu erzielen. Diese Verluste mussten nun von den Steuerzahlern getragen werden. Ein investigativer Journalist der POST hatte dazu umfangreich recherchiert und am Ende einen Enthüllungsartikel verfasst, der das Land in den Grundfesten erschüttert hatte. Manager waren in den Knast gewandert. Die für die Ermittlungen zuständige Oberstaatsanwältin war zurückgetreten.

Max konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass Mahler deswegen mit ihm sprechen wollte, denn mit Steuerrecht kannte er sich, wenn überhaupt, nur so weit aus, wie es für seine eigene Steuererklärung nötig war. Mit der großen Politik hatte er erst recht nichts zu tun.

Max’ Ex-Partner, dem er postwendend von dem Anruf erzählte, hatte eine klare Meinung dazu. »Diese Anwälte sind stinkreiche Schnösel. Versteh mich nicht falsch, aber wenn die jemanden wie dich brauchen, dann kann es nur um Drecksarbeit gehen, für die sich ihre eigenen Schnüffler in ihren Armani-Anzügen zu fein sind. Lass es einfach!«

Was aber natürlich nicht in Frage kam. Irgendetwas hatten sich die Schnösel schließlich dabei gedacht, Max überhaupt zu kontaktieren, und damit seine Neugier geweckt. Er löste den Blick von den oberen Stockwerken und ging auf den Eingangsbereich zu. Er war gespannt.

Nachdem der junge Mann an der Rezeption im Erdgeschoss Max’ Namen im Computer gefunden hatte, tätigte er einen kurzen Anruf und nickte ihm dann zu. »Zehnte Etage, man wird Sie in Empfang nehmen.«

Als Max kurz darauf aus dem Aufzug trat, stachen ihm zwei Dinge sofort ins Auge: die imposante Größe des Eingangsbereichs der Kanzlei sowie die künstliche Schönheit der Empfangsdame, die aussah, als läge über ihr ein permanenter Instagram-Filter. Max schätzte sie auf maximal Mitte zwanzig.

»Guten Morgen, Herr Bischoff!« Sie kam strahlend auf ihn zu und deutete auf eine Designersitzgruppe. »Es wird noch ein wenig dauern. Sie dürfen gerne einen Moment Platz nehmen.«

Ich darf, dachte Max, während er, von ihr eskortiert, auf die Sitzlandschaft aus anthrazitfarbenem Leder zusteuerte. Wie großzügig.

»Möchten Sie einen Tee oder lieber Kaffee? Oder vielleicht einen Chai Latte?« Mit verschwörerischem Blick fügte sie hinzu: »Den kann ich Ihnen sehr empfehlen.«

Max setzte sich und hob die Hand. »Nein, danke.«

Nachdem die Empfangsdame ihm einmal mehr ihre strahlend weißen Zähne gezeigt hatte, wandte sie sich ab und begab sich hinter den Tresen, eine beeindruckende Konstruktion aus geschwungenen, hellen Holzstäben und Rauchglaselementen.

Max’ Blick wanderte durch den Empfangsbereich. Er war hell und lichtdurchflutet. Die Raumhöhe von mindestens vier Metern ließ alles sehr luftig erscheinen, unterstrich aber auch die protzige Eleganz des Interieurs.

Er musste zehn Minuten warten, dann wurde er von der jungen Dame gebeten, ihr zu folgen.

Sie führte ihn links neben dem Empfangstresen an einigen geschlossenen Mahagoniholztüren mit mattgoldenen Beschlägen und Griffen vorbei bis zur letzten Tür. Sie war nicht aus Holz, sondern aus Glas, ebenso wie die gesamte Wand, die den Raum vom Flur trennte. Ein Schild rechts neben dem Türrahmen wies ihn als Konferenzzimmer Buenos Aires aus.

Die junge Frau blieb stehen und deutete hinein. »Bitte schön!«

Der Raum war nicht sehr groß und nicht nur nach innen, sondern auch nach außen vollständig verglast. Er lag an der Ecke des Gebäudes und ragte an beiden Seiten etwa einen Meter weit über die Grenzen der Außenmauern hinaus. Der überstehende Bodenbereich war ebenfalls verglast, so dass man, wenn man dort stand, nach unten auf die Kö schauen konnte.

»So geht es jedem, der zum ersten Mal unsere heiligen Hallen betritt.« Die sonore Stimme gehörte zu einem Mann im dunkelgrauen, dreiteiligen Maßanzug, der den Konferenzraum betreten hatte und auf den gläsernen Teil des Fußbodens deutete. »Verwirrend, nicht wahr?«

Max hatte Ernst Mahler gegoogelt und war mit dessen Erscheinungsbild vertraut. Der kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Guten Morgen. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten.«

Max schüttelte die Hand und nickte. »Ich bin sehr gespannt, was der Grund dafür ist, dass sie mich sprechen wollen.«

Mahlers Miene verfinsterte sich, als er Max aufforderte: »Bitte, nehmen Sie Platz!«

Während Max sich einen Stuhl zurechtrückte und sich setzte, schloss die Empfangsdame von außen die Tür und schwebte an der Glaswand entlang davon.

Mahler stützte die Hände auf der Tischplatte ab. »Herr Bischoff, Sie haben sicher mitbekommen, dass Karl Müller, einer unserer Managing Partner, sich angeblich das Leben genommen hat.«

Max dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Nein, das sagt mir nichts.«

Mahlers Brauen schoben sich nach oben. »Das überrascht mich. Ich dachte, ein ehemaliger Polizist und nebenberuflicher Privatermittler bekommt es mit, wenn ein Partner der bekanntesten Anwaltskanzlei des Landes sich umgebracht haben soll. Lesen Sie denn keinen Wirtschaftsteil?«

»Tut mir leid, in den Zeitungen, die ich lese, stand entweder nichts davon, oder ich habe es übersehen. Wann war das, sagten Sie?«

»Vor drei Tagen. Man hat Karl morgens in seinem Wagen auf dem Wanderparkplatz Rolandsburg gefunden. Der Klassiker. Der Motor lief, auf den Auspuff war ein Schlauch gesteckt und ins Wageninnere geleitet. Kohlenmonoxidvergiftung.«

»Das ist schlimm«, sagte Max. »Aber ich verstehe noch immer nicht, warum Sie mich sprechen wollen.«

Mahler richtete sich auf und stieß einen Zischlaut aus. »Liegt das nicht auf der Hand? Man hat Sie mir als einen Mann mit einem ausgeprägt analytischen Verstand beschrieben. Aber gut … Sie sind hier, weil ich nicht glaube, dass Karl Selbstmord begangen hat. Das passt nicht zu ihm. Ich werde Sie engagieren, und Sie werden herausfinden, wie er tatsächlich ums Leben gekommen ist.«

Es war nicht nur das, was Mahler sagte, sondern auch die Art, wie er mit ihm sprach, die Max ärgerte. Sehr sogar. Außerdem fand er es seltsam, dass der demonstrativ professionell auftretende Mahler erst drei Tage nach dem Todesfall auf die Idee zu kommen schien, einen Ermittler zu beauftragen. Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Herr Mahler, wer immer mich Ihnen empfohlen hat, dürfte mich nicht sonderlich gut kennen. Allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass wir beide gemeinsame Bekannte haben. Was den Tod Ihres Partners betrifft, so bin ich sicher, dass die Polizei weiß, was sie tut, und aus guten Gründen von einem Suizid ausgeht. Wenn Sie diese Einschätzung nicht teilen, sollten Sie mit den entsprechenden Beamten darüber reden. Und damit kommen wir zum wichtigsten Punkt, den ich Ihnen beantworte, obwohl Sie mich nicht gefragt haben.« Max erhob sich und blieb neben dem Stuhl stehen. »Was Sie eigentlich wissen wollen, ist, ob ich überhaupt bereit bin, Ihren Auftrag anzunehmen. Dazu müsste er mich allerdings interessieren, und das ist nach unserem kurzen Gespräch nicht der Fall.«

Mahler war sichtlich überrascht. »Was? Sie lehnen ab, bevor Sie mein Angebot gehört haben?«

Max zuckte mit den Schultern. »Ja.«

Mahler schüttelte den Kopf und hob dann beide Hände. »Moment, also gut, warten Sie. Das ist ja lächerlich. Lassen Sie uns noch mal von vorn anfangen. Bitte, setzen Sie sich wieder.«

Max verspürte keine Lust, sich weiter mit diesem Mann zu unterhalten, der es offenbar gewohnt war, dass alle widerspruchslos nach seiner Pfeife tanzten. Dennoch dachte er kurz über die Möglichkeit nach, dass der Tod von Mahlers Partner vielleicht tatsächlich kein Suizid war und somit ein Mörder frei herumlief.

Mahler schien dieses Zögern als Einlenken zu interpretieren und nickte zufrieden. »Ich werde es Ihnen erklären. Ich habe Ihre Zustimmung vorausgesetzt, weil ich davon ausgegangen bin, dass Sie als Teilzeit-Dozent sicher das stattliche Honorar gut brauchen können, das Sie von einer renommierten Kanzlei wie unserer selbstverständlich erwarten dürfen. Außerdem könnten Sie Ihren ehemaligen Kollegen zeigen, dass Sie es immer noch draufhaben. Was bei denen ja offensichtlich nicht der Fall ist. Also …« Mahler kam um den Tisch herum und streckte Max die Hand entgegen. »Fünfzigtausend. Im Voraus. Egal, was Sie herausfinden. Und einen fetten Bonus, wenn Sie Karls Mörder stellen. Das ist für jemanden wie Sie doch eine Menge Geld.«

Max ignorierte Mahlers Hand und sagte: »Sie werden sicher irgendwen finden, der Ihr Geld gern nimmt. Jemand wie ich tut das nicht.« Damit wandte er sich ab und verließ den Raum.

Als er an der Empfangsdame vorbeikam, schenkte sie ihm ein Lächeln, das ihre Augen nicht ganz erreichte.

Zwei Minuten später verließ Max das Gebäude, blieb aber nach ein paar Metern stehen und atmete tief durch. Der Ärger über die Art, wie Mahler mit ihm geredet hatte, war verraucht, zurückgeblieben war ein Gefühl der Abneigung. Und die richtete sich, das gestand Max sich ein, wahrscheinlich weniger gegen dessen Person als vielmehr gegen das, wofür er stand. Diese Welt der abgehobenen Anwälte in ihren teuren Maßklamotten, die ihren Mandanten Stundensätze von fünfhundert Euro und mehr in Rechnung stellten und dazu nicht selten auch noch Erfolgshonorare in astronomischen Höhen einstrichen. Leute, die irgendwann die Bodenhaftung verloren hatten und dann mit aus ihrer Sicht einfachen Menschen wie ihm umsprangen, als seien sie ihre Leibeigenen. Einerseits war er deswegen versucht, Mahlers Angebot direkt wieder zu vergessen. Andererseits … was war, wenn dieser anmaßende und herablassende Anwalt tatsächlich recht hatte und es sein konnte, dass ein Mörder ungeschoren davonkam? Ein Dilemma, über das er mit jemandem reden musste – und dafür gab es niemand Besseren als seine Schwester.

Kirsten war zu Hause und nahm seinen Anruf direkt an. Max’ Schwester hatte Urlaub und wollte am nächsten Tag mit dem Zug nach München fahren, wo bei einem Spezialisten einige Voruntersuchungen für eine bevorstehende Operation geplant waren. Kirsten saß im Rollstuhl, seit sie im Alter von acht Jahren von einem betrunkenen Autofahrer vom Zebrastreifen gefegt worden war. Bruch des vierten Brustwirbels, Verletzung des Rückenmarks. Querschnittsgelähmt.

Max war fest entschlossen, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, obwohl sie ihm immer wieder versicherte, trotz ihrer Behinderung hervorragend zurechtzukommen.

Nun wollte sie sich tatsächlich auf eine neuartige Operationsmethode einlassen. Max hatte sich eingehend mit dem Thema beschäftigt, nachdem Kirsten ihm davon erzählt hatte. Bei dem Verfahren wurden die durch die Querschnittslähmung deaktivierten Muskeln mit gesunden Nerven oberhalb der Rückenmarksverletzung verknüpft. Eine aufwendige und teure Methode, deren Kosten von der Krankenkasse natürlich nicht übernommen wurden. Aber allein die Hoffnung, dass es Kirsten danach besser ging, war den Versuch wert.

Max stieg in die S-Bahn Richtung Unterbilk, wo nicht nur seine, sondern auch Kirstens Wohnung war. Dabei kreisten seine Gedanken um das Gespräch mit Mahler.

Ein als Suizid inszenierter Mord … Max fragte sich, wie lange das Fahrzeug wohl mit laufendem Motor auf dem öffentlichen Parkplatz gestanden hatte, bis es entdeckt worden war. Warum stellte man sich dorthin, wenn man sich auf diese Art das Leben nehmen wollte?

Max wischte den Gedanken beiseite. Das hatte für ihn keine Relevanz. Sollte sich doch die Polizei mit diesen Fragen beschäftigen. Das war schließlich ihre Aufgabe.

Als er zwanzig Minuten später Kirstens Wohnung betrat, hatte sie bereits den Tisch mit Tassen und einer Kaffeekanne gedeckt. Kirsten zog Filterkaffee dem aus dem Vollautomaten vor.

»Schön, dich zu sehen, Bruderherz«, sagte sie, als Max sich zu ihr hinunterbeugte und sie umarmte. Nachdem er sich gesetzt hatte, platzierte sie ihren Rollstuhl ihm gegenüber und sagte wie nebenbei: »Falls du gekommen bist, um mich davon zu überzeugen, mich von dir nach München fahren zu lassen, statt den Zug zu nehmen, kannst du es vergessen. Ich schaffe das allein.«

»Nein, nein«, versicherte Max grinsend. »Ich weiß ja, wie stur du bist.«

Kirsten lächelte, griff nach der Kanne und goss beide Tassen fast voll. »Gut.«

Max räusperte sich. »Ich hatte heute Morgen ein interessantes Gespräch, von dem ich dir erzählen möchte.«

Kirsten riss die Augen auf. »Uuh … du ziehst mit Jana zusammen, stimmt’s? Ich will alles wissen, erzähl!«

Max musste grinsen. »Das wäre ja ein angenehmes Gespräch gewesen. Nein, was ich hinter mir habe, war anders. Ganz anders.«

Er berichtete ihr von seinem Besuch in der Kanzlei und von Mahlers Angebot. Kirsten unterbrach ihn nicht, verdrehte aber mehrmals die Augen, als Max wiedergab, was Mahler gesagt und in welchem Ton er mit ihm gesprochen hatte.

»Oje. Ich sehe dein Gesicht vor mir. Ich weiß ja, wie du auf solche Leute reagierst. Aber fünfzigtausend Euro sind schon eine Stange Geld.«

»Na und? Diese Selbstverständlichkeit, mit der Mahler über mich verfügt hat … Er glaubt, er kann alles und jeden kaufen. Mich aber eben nicht.«

»Hältst du Mahlers Zweifel an dem Suizid für gerechtfertigt?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe ja keinerlei Hintergrundinformationen. Ein wenig seltsam finde ich das Ganze schon, ich meine, wenn ich mich mit Autoabgasen umbringen will, warum stelle ich mich dann …? Ach, das spielt keine Rolle. Ich will nicht von diesem Kerl engagiert werden, basta!«

Kirsten betrachtete ihn eine Weile schweigend, während Max mehrmals an seinem Kaffee nippte.

»Ärgert es dich vielleicht, dass Mahler so ein Idiot ist und du dich nur deswegen nicht mit einer Sache befassen möchtest, die dich eigentlich reizt?«

Max machte eine wegwerfende Geste. »Nein, alles gut.«

Sie zog die Stirn kraus. »Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Das kannst du aber sein.« Max beschloss, das Thema zu wechseln. »Nun erzähl mal, was wird denn eigentlich bei diesen Voruntersuchungen alles gemacht?«

Kirsten sah ihn einige Sekunden wortlos an, bevor sie antwortete. »Darüber wollte ich noch mit dir reden. Die Kosten sind sehr hoch, und ich weiß nicht, ob ich mir das wirklich leisten kann.«

»Was?«, fuhr Max auf. »Das haben wir doch besprochen. Ich habe dir klar gesagt, dass ich dich unterstütze. Ist es denn noch teurer geworden?«

Kirsten seufzte. »Max, ich nehme kein Geld von dir, weil ich weiß, dass du selbst kaum was auf der hohen Kante hast.«

»Das ist doch Quatsch!«

»Nein, ist es nicht. Wenn ich wüsste, dass du ein Polster von ein paar zehntausend Euro hättest, okay, aber so …«

Max begriff sofort, was Kirsten gerade tat. »Ich durchschaue dein Spiel, Schwesterlein. Warum möchtest du, dass ich diese Sache annehme, obwohl ich dir gerade erzählt habe, was für ein Typ dieser Mahler ist?«

»Weil ich dich kenne, Max. Deine Augen haben eben kurz aufgeblitzt, als du davon gesprochen hast. Der Fall reizt dich, das ist eindeutig.«

»Das ändert nichts daran, dass ich diesen Typen nicht mag. Wenn ich das Angebot annehme, habe ich es mit noch mehr von der Sorte zu tun.«

»Das verstehe ich. Andererseits … Wenn der Mann sich wirklich selbst das Leben genommen hat, hast du fünfzigtausend Euro leicht verdient – und das sogar ausnahmsweise mal, ohne dich in Gefahr zu begeben.«

Max sah seiner Schwester in die Augen. In seinem Inneren tobte ein Kampf. Kirsten hatte recht, der Fall interessierte ihn brennend, trotz Mahlers Verhalten. Und Kirsten war stur. Sie würde kein Geld von ihm nehmen, wenn er diese fünfzigtausend Euro nicht bekam.

»Okay, machen wir einen Deal«, schlug er vor.

»Schieß los.«

»Ich übernehme den Auftrag, wenn du das Geld für deine Untersuchungen verwendest.«

»Was? Die ganzen fünfzigtausend? Das ist kein Deal, das ist Erpressung!«

Max verzog den Mund zu einem Grinsen. »Und was ist das, was du gerade getan hast? Sag ja, und ich mach’s. Aber nur dann.«

Kirsten schüttelte lächelnd den Kopf. »Du musst immer das letzte Wort haben, oder?«

»Ist das ein Ja?«

»Also gut. Aber was ich für die Operation nicht brauche, nimmst du zurück.«

»Das sehen wir dann.«

Max trank den Rest des Kaffees, griff nach seinem Handy und wählte die Nummer der Kanzlei. Kurz darauf wusste er, dass Ernst Mahler bereit war, ihn noch einmal zu empfangen.

Er verabschiedete sich von seiner Schwester und betrat eine halbe Stunde später mit gemischten Gefühlen erneut das Konferenzzimmer Buenos Aires.

Dieses Mal war Mahler nicht allein. Neben ihm saß eine Frau, deren Anblick dafür sorgte, dass Max nicht mehr länger nachdenken musste. Er würde den Fall übernehmen.

2

Sophie

Mittwoch, 16.10., 15 Uhr

Zehn Sekunden. Länger brauchte Sophie nicht, um für sich zu entscheiden, dass sie den sportlichen Typen mit den kurzen Haaren interessant fand. Sogar noch weniger lange dauerte es, bis das Verhalten ihres Vaters ihr das erste Mal unangenehm war. Dafür genügte schon sein triumphierendes Grinsen der Marke »Großwildjäger«. Sie seufzte. Trotz aller tragischen Begleitumstände war er in seinem Element. Obwohl Sophie nicht wusste, was die beiden Männer miteinander vereinbart hatten, tat ihr der jüngere jetzt schon ein bisschen leid. Sie sich selbst übrigens auch.

Wobei die übertriebene Hochstimmung ihres Vaters wahrscheinlich absehbar war, als er ihr verkündet hatte, dass er für die kanzleifinanzierten Ermittlungen zu Müllers Tod »diesen Freizeitprofessor« verpflichtet habe. Dass er mit seiner Wunschbesetzung der Aufklärerrolle nicht einfach nur zufrieden sein konnte, war für Sophie angesichts der extremen Umstände sogar nachvollziehbar. Für ihren Vater musste es sich anfühlen, als befinde sich die von ihm gegründete Kanzlei im freien Fall – und der Boden war nicht in Sicht.

Vor zwei Wochen hatte die POST behauptet, ein von Müller & Mahler erfundenes Steuermodell sei tatsächlich nichts anderes als ein systematischer Betrug zum Schaden der Allgemeinheit. Der Reputationsschaden war riesig. Angeblich stand sogar die Beratung ihres Star-Mandanten, FinTech-Milliardär und German Wunderkind Fynn Wabnitz, in Frage – und damit die Mitarbeit an dessen Weltraumprojekt, das landesweit mit Spannung erwartet wurde. Die Plakate dafür waren schon gedruckt, die Social-Media-Kampagnen designt, die Pressekonferenzen gebucht: »Major Wabnitz und Müller & Mahler – völlig losgelöst von der Erde!« Es ging um nicht weniger als »Deutschlands Weg in den Weltraum« – und für die Kanzlei um das größte, wichtigste und vor allem auch lukrativste Mandat ihrer Geschichte. Wie immer hatten die drei Managing Partner alles perfekt geplant. Und jetzt das: Zuerst der Steuer-Skandal. Dann die Berichte über Wabnitz’ Zweifel an seinen Beratern. Kurz darauf der Suizid von Karl Müller. Einen günstigen Zeitpunkt für einen solchen Skandal konnte es zwar gar nicht geben. Dieser jetzt war aber jedenfalls die größtmögliche Katastrophe. Dass Ernst Mahler entschlossen schien, jeden noch so kleinen Erfolg geradezu hysterisch zu feiern, war eigentlich kein Wunder. Auch wenn es Sophie nervte.

Andererseits: Was immer ihren Vater zuversichtlich stimmte, war gut. Zumal noch vor drei Stunden nicht absehbar war, dass die Verpflichtung von Max Bischoff klappen würde. Zumindest nicht für Sophie.

»Hast du nicht gerade gesagt, dass er dir einen Korb gegeben hat?«, hatte sie gefragt, als ihr Vater ihr am Telefon mitgeteilt hatte, dass sie um 15 Uhr in der Kanzlei sein solle, um den Ermittler kennenzulernen, der »den Amateuren von der Polizei Beine machen« sollte.

»Wart’s ab, Krümel, um Punkt drei steht der Herr Professor trotzdem hier auf der Matte! Jeder hat einen Preis. Und ich glaube, ich kenne seinen.«

Sophie hatte das für den Moment so hingenommen. Alles, was dazu beitrug, einen Zusammenbruch ihres Vaters zu verhindern, war willkommen. Die Angst davor war gerade schließlich nicht nur bei Sophies Mutter allgegenwärtig, sondern auch bei Sophie selbst. Für Ernst Mahler war aktuell alles zu viel. Es musste einfach so sein. Der Stress mit der Kanzlei. Die ganzen Gerüchte. Dann auch noch der Tod seines Geschäftspartners und besten Freundes.

Denn ganz unabhängig davon, wie es wirklich dazu gekommen war, blieb jedenfalls das unumstößlich: Karl Müller war tot. Einfach so. Sophie konnte es immer noch nicht richtig glauben. Müller war schließlich immer da gewesen. Der beste Freund ihres Vaters. Ihr Patenonkel. Sie hatte Karl genauso lange gekannt wie ihre eigenen Eltern. Wie diese war er eigentlich bei bester Gesundheit gewesen. Als ihr Vater ihr von seinem Tod berichtet hatte, war Sophie aus allen Wolken gefallen. Das galt erst recht, als es um die Todesursache ging. Suizid. Das klang nicht nur unwahrscheinlich, sondern einfach falsch.

Auf dem Weg zu Müller & Mahler hatte sich Sophie einmal mehr in ihren Gedanken verloren. Wann hatte sie eigentlich das letzte Mal mit Karl gesprochen? Unangenehmerweise musste sie sich eingestehen, dass das lange her war. Seit sie vor einem knappen Jahr gemeinsam mit Anton Pirlo mit der Kanzlei Recht.Schaffen an den Start gegangen war, hatte es längst nicht mehr so viele Berührungspunkte zu Karl gegeben wie früher. Außerdem hatte Sophies Vater mit seinem ewigen Nörgeln genervt, dass sie in »dieser Klitsche« ihr Talent verschenke und zu ihm in die Großkanzlei kommen solle. Irgendwann konnte Sophie die immer gleichen Vorhaltungen nicht mehr ertragen und war auf Distanz gegangen. Wenn das bedeutete, dass sie dadurch auch ihren Patenonkel weniger sah, dann war das eben so. Allerdings hatte ja, trotz allen Drucks und aller Skandale, auch keiner wissen können, dass er bald nicht mehr am Leben sein würde …

Oder etwa doch?

Als Sophie im opulenten Eingangsbereich der Kanzlei angekommen war und am Empfang einem der namenlosen Topmodel-Verschnitte ihren Mantel überlassen hatte, erinnerte sie sich an die letzte Gelegenheit, bei der sie Karl Müller zumindest kurz gesehen hatte: am Wochenende vor knapp zwei Wochen, zwei Tage nachdem die POST den TaxEx-Skandal ins Rollen gebracht hatte.

Sophie war die seltsame Atmosphäre schon aufgefallen, als sie die Villa ihrer Eltern in Meerbusch betreten hatte. Ihr Vater und Karl hatten mit ernsten Gesichtern auf einem Sofa im offenen Wohnzimmer gesessen. Ihnen gegenüber, in einem bequemen Sessel, hatte Petra Kühne gekauert, die dritte aus dem Kreis der Managing Partner von Müller & Mahler. Auch von ihr war eine sonderbare Grabesstimmung ausgegangen. Natürlich hatte Sophie nachhaken wollen, was denn los sei. Dass alle Managing Partner außerhalb der dafür vorgesehenen Kanzleizeitfenster zusammenkamen, war ungewöhnlich. Dass das bei ihren Eltern zu Hause geschah, obwohl sich Ernst Mahler und Petra Kühne eigentlich in herzlicher Abneigung verbunden waren, konnte schon fast als Sensation durchgehen.

Dann aber hatte Sophies Mutter ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, die sich am frühen Nachmittag bereits ein, zwei Bloody Marys zu viel hinter die Binde gezaubert und daher ein nicht zu unterschätzendes Mitteilungsbedürfnis hatte. Natürlich ging es mal wieder um Manu. Warum auch nicht? Sie hatten das Thema schließlich erst gefühlte fünftausendmal besprochen.

Während Sophies Beziehung mit Manu war er in Helena Mahlers Augen als künftiger Schwiegersohn einfach nur perfekt gewesen. Jetzt aber, da Sophie den aufstrebenden Arzt mit einem Herz für Missionen in Afrika tatsächlich verlassen hatte, hatte er geradezu den Status eines Halbgottes erlangt. Die Überzeugung ihrer Mutter ließ sich einfach zusammenfassen: Manu war mindestens unfehlbar. Und Sophie hatte es versaut.

Mochte ja sein, dass die Managing Partner nebenan irgendwelche Sorgen hatten. Wirklich wichtig war für Helena Mahler allerdings etwas anderes: »Du musst ihn einfach anrufen!«, hatte ihre Mutter an ihrem Strohhalm vorbeifabuliert. »Er führt ja ein so aufregendes Leben, und er ist ein so guter Mensch. Ein attraktiver Mann ist er übrigens auch, aber das weißt du ja besser als ich, nicht wahr?«

Sophie hatte das unkommentiert gelassen. Davon, dass sie Pirlo in der Zwischenzeit geküsst hatte, erwähnte sie vorsichtshalber erst recht nichts. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie dazu sagen sollte, zumal danach zu ihrer eigenen Überraschung nichts mehr passiert war. Das Rätseln darüber nahm sie allerdings auch schon genug in Anspruch, ohne dass ihre Mutter auf sie einredete und nebenan der Weltuntergang verhandelt wurde. Doch alle Grübeleien und Gespräche wurden unterbrochen, als es an der Tür klingelte – und absolutes Chaos ausbrach.

Kaum hatte Ernst Mahler geöffnet, brandete eine Welle aus Geschrei und Fragen durch das Haus. Ein schneller Blick durch das Küchenfenster verriet Sophie ihren Ursprung, eine Reportermeute mit dem ganz großen Besteck: Kameras, Mikrophone, Liveschalten. Obwohl sie sich rasch wieder zurückzog, schnappte Sophie einige Schlagwörter auf. Die allerdings reichten aus, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was dort draußen los war. Warum hier drinnen diese apokalyptische Stimmung herrschte. Und dass das erst der Auftakt zu richtig viel Ärger für die Kanzlei ihres Vaters sein dürfte.

»Was sagen Sie zu dem flächendeckenden Steuerbetrug durch TaxEx-Modelle?«

»Wie stehen Sie dazu, dass TaxEx auf eine Idee Ihrer Kanzlei zurückgeht?«

Und: »Werden sich die Managing Partner von Müller & Mahler der Befragung durch den Untersuchungsausschuss stellen?«

Sophie kannte ihren Vater. Jede dieser Fragen war für ihn ein Stich ins Herz. Dass er ihnen in der Kanzlei nicht entgehen konnte, war eine Katastrophe, dass sie direkt vor seiner Haustür gestellt wurden, erst recht ein Debakel. Es hatte sie daher nicht gewundert, dass sie ihn in den Tagen danach kaum zu Gesicht bekommen hatte. Es war immer das Gleiche: Wenn Krisen aufkamen, stürzte sich Ernst Mahler in die Arbeit. So war es beim Tod von Sophies Bruder gewesen, so wiederholte es sich bei den schlimmsten Alkoholabstürzen ihrer Mutter. Und so war es eben auch jetzt, da seine Kanzlei heftig dafür in der Kritik stand, dass sie internationalen Banken und Investoren dabei geholfen haben sollte, dank der Lücken des deutschen Steuerrechts Milliardengewinne zu erzielen, die am Ende die Steuerzahler zu tragen hatten.

Die Öffentlichkeit verlangte nach Gerechtigkeit und Rache. Der vorherige Justizminister Rainer Hainsch hatte angesichts der Vorwürfe, er habe die Modelle erst ermöglicht, schamvoll seinen Rücktritt verkündet, seine junge Nachfolgerin, Chiara Jebsen, forderte »eine lückenlose Aufklärung«. Den Auftakt dazu machte ein Untersuchungsausschuss, der sich mit der Beratung des Ministeriums durch Müller & Mahler befasste. Als Erstes sollte Karl aussagen, unter den drei Managing Partnern der ausgewiesene Steuerexperte. Dazu würde es jetzt nicht mehr kommen.

Auch jetzt, im Besprechungsraum mit ihrem Vater und Max Bischoff, konnte Sophie bei dem Gedanken daran kaum verhindern, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Mit Petra Kühne war sie nie wirklich warm geworden. Petra war gute fünfzehn Jahre jünger als die männlichen Managing Partner und erst vor ein paar Jahren in den Führungszirkel aufgestiegen. Die anderen beiden, Karl und ihren Vater, meinte Sophie dagegen, in- und auswendig zu kennen. Dass und wie sie über den Ärger der TaxEx-Affäre fluchten, konnte sie sich absolut vorstellen. Dass der wortgewaltige und streiterprobte Karl Müller allerdings tatsächlich vor einer solchen Herausforderung einknicken könnte, konnte Sophie einfach nicht glauben.

Trotzdem war es so: Karl Müller würde nicht nur nicht vor dem Ausschuss aussagen. Er würde überhaupt nirgendwo mehr hingehen und nirgendwo mehr sein. So unwahrscheinlich und surreal das klang, stimmte es doch: Karl Müller war tot.

Sophies Vater unterbrach ihre Gedanken. »Herr Bischoff, darf ich vorstellen, meine Tochter Sophie, eine ehrgeizige Rechtsanwältin, wenn man das auch angesichts ihrer Arbeit als Strafverteidigerin kaum meinen könnte. Wobei das ja diesmal sogar zu etwas zu gebrauchen sein könnte, nicht wahr?« Ernst Mahler hüstelte.

Der drahtige Mann in der Lederjacke wirkte, als sei ihm die Großspurigkeit ihres Vaters so unangenehm wie ihr selbst.

Dann wandte sich Ernst Mahler seiner Tochter zu, deutete auf den Mann und sagte: »Und das, Sophie, ist Herr Professor Bischoff.«

Sie nickte freundlich und hoffte, dass man ihr die Überraschung nicht allzu deutlich ansah. Das war also ein Professor? Ihre Zeit an der Uni lag noch nicht lange zurück. Dort hatten die Unterrichtenden allerdings eher ausgesehen, als seien sie gerade auf dem Weg zum oder vom Einbalsamieren. Mit dem sportlichen Typen neben ihrem Vater hatte das wenig bis nichts gemeinsam. Im Gegenteil, in einer Hochschule mit solchen Professoren hätte sich Sophie vielleicht sogar freiwillig eine Vorlesung angetan.

»Da die staatlichen Ermittler ihren Frieden damit gemacht zu haben scheinen, dass Karl freiwillig aus dem Leben geschieden ist, befasst sich Herr Professor Bischoff, ein erfahrener Kriminalist und Profiler, in unserem Auftrag damit, was da noch gewesen sein könnte«, erklärte Ernst Mahler. »Wir müssen uns nichts vormachen: Der Shitstorm gegen die Kanzlei hat erst begonnen.« Er räusperte sich. »Karl ist unmittelbar vor seiner Aussage im TaxEx-Untersuchungsausschuss gestorben. Für die Medien ist das ein gefundenes Fressen. Wenn die Abwärtsspirale für die Kanzlei kein Ende findet, steht bald nicht nur das Weltraumprojekt vor dem Aus. Sondern genauso alles andere.«

Ernst Mahler wandte sich an seinen Gast. »Da es am Ende darum gehen wird, die strafrechtlichen Ermittlungen der Behörden zu widerlegen und sie dafür nun einmal eine Expertin ist, schlage ich vor, dass Sie sich eng mit meiner Tochter abstimmen, Herr Bischoff.«

Gesetzt den Fall, dass ich das Mandat annehme, dachte Sophie. Wobei sie sich hier nichts vorzumachen brauchte: Die ganze Geschichte war viel zu spannend, und sie war viel zu nah dran, als dass sie das einfach würde sein lassen können. Der schmucke Professor war nur noch die Kirsche auf der Torte.

»Ich freue mich, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, sagte sie daher. Was unkompliziert klang, auch wenn es das ganz bestimmt nicht war. Im Gegenteil, Pirlo würde alles andere als begeistert sein. Und zwar über nichts von dem, was hier gerade passierte.

3

Max

Mittwoch, 16.10., 15.10 Uhr

Max ermahnte sich, Sophie Mahler nicht anzustarren, und versuchte, sich von ihrem Anblick abzulenken, während ihr Vater über die anstehenden Ermittlungen schwadronierte, die der Herr Professor Bischoff gemeinsam mit ihr durchführen sollte.

Im wahren Leben sah die Anwältin noch besser aus als auf den Fotos, die den Berichten über ihre Erfolge vor Gericht beigefügt waren.

Er ertappte sich dabei, dass er wie zufällig den Blick über ihr Gesicht huschen ließ. Die schmal geschnittene blaue Bluse, die sie trug, passte hervorragend zu ihren langen blonden Haaren. Sophie Mahler war eine Frau, die mit natürlicher Leichtigkeit schon auf den ersten Blick eine Anziehungskraft ausstrahlte, der man sich nur schwer entziehen konnte, aber dennoch … Er war hier, um einen Fall zu übernehmen, und nicht, um über das Aussehen der Tochter seines Auftraggebers zu sinnieren. Zudem spürte Max, wie gut ihm gerade in dieser Situation die Beziehung zu Jana Brosius tat. Seine Gedanken schweiften kurz zu der jungen Polizistin ab, die erst seine Studentin gewesen war und dann – mittlerweile bei der Kripo – mit ihm gemeinsam einen Fall an der Mosel gelöst hatte, während dem sie sich näher gekommen waren. So nahe, dass Max mittlerweile glaubte, endlich angekommen zu sein.

So konnte er feststellen, dass Sophie Mahler eine attraktive Frau war, ohne auch nur einen Gedanken an einen Flirt mit ihr zu verschwenden.

Als Sophie Mahler ihm versicherte, dass sie sich freue, mit ihm zusammenzuarbeiten, beschränkte Max sich daher auf ein freundliches »Gleichfalls« und wandte sich dann an ihren Vater. »Herr Mahler, ich bin nach einigem Nachdenken dazu bereit, den Auftrag zu Ihren Konditionen anzunehmen, möchte Sie aber bitten, mich zukünftig nicht mehr Professor Bischoff zu nennen. Erstens habe ich, wie Sie in unserem ersten Gespräch bereits selbst erwähnten, keine ordentliche Professur, und außerdem finde ich diese Bezeichnung recht … affig.«

Max registrierte das Zucken von Sophie Mahlers Mundwinkeln, das er als unterdrücktes Lachen einordnete. Trotzdem ging sie nicht weiter darauf ein, sondern erhob sich schwungvoll von ihrem Stuhl: »Wann und womit wollen wir anfangen, Herr Bischoff?«

Max musste nicht lange überlegen: »Ich habe mich zwischenzeitlich ein wenig im Internet schlaugemacht und kann mir vorstellen, dass der Tod eines leitenden Partners kurz vor seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss ziemlich ungünstig für die Kanzlei ist. Dass Sie jetzt unter enormem Druck stehen, ist mir ebenfalls klar. Wir sollten daher sofort loslegen: Zuerst brauche ich alle Unterlagen, die Sie mir über Herrn Müller und seine Tätigkeit für Müller & Mahler zur Verfügung stellen können, sowie einen schonungslos ehrlichen Bericht darüber, wessen man die Kanzlei bezüglich dieser Steuersache genau beschuldigt und inwieweit Herr Müller tatsächlich involviert war. Und bitte so, dass ein Nicht-Jurist und Nicht-Finanzbeamter das auch verstehen kann. Ich nehme an, Herr Müller hatte eine Assistenz?«

»Ja, Ilona Brügmann«, bestätigte Ernst Mahler. »Sie sitzt in dem Zimmer vor Karls Büro.«

»Gut, während Sie mir die Unterlagen zusammenstellen lassen, werde ich mich …« Max unterbrach sich und sah zu Sophie Mahler. »Werden wir uns mit Frau Brügmann unterhalten, in Ordnung?«

Sophie Mahler zuckte mit den Schultern und nickte. »Absolut. Jederzeit gern.«

Als sie dicht hintereinander den Raum verließen, roch Max ihr Parfüm, das dezent, aber gleichzeitig auch aufregend war – und daher perfekt zu ihr passte. Der Tag, der unangenehm begonnen hatte, entwickelte sich allmählich durchaus positiv.

Ilona Brügmann war Mitte vierzig und hatte sich für ihre Kurzhaarfrisur einen bemerkenswerten Rotton ausgesucht, den Max irgendwo zwischen Rost und Burgunder einordnete. Ihr blasses Gesicht wirkte eingefallen.

Als Max hinter Sophie Mahler den Raum betrat, scannte Müllers Assistentin ihn innerhalb einer Sekunde von Kopf bis Fuß, bevor sie sich mit der traurigen Version eines Lächelns an die Tochter ihres verbliebenen Chefs wandte. »Wie schön, Sie zu sehen, Frau Mahler«, sagte sie, während ihre Augen feucht schimmerten. »Ich weiß, dass Sie ihn auch gemocht haben.«

Im nächsten Moment schwappten die Tränen über und hinterließen eine glänzende Spur auf ihrem Weg über die blassen Wangen.

»Das habe ich allerdings, Frau Brügmann«, bestätigte Sophie mit warmer Stimme, beugte sich ein wenig nach vorn und legte ihre Hand auf die der Frau. »Wie geht es Ihnen denn? Kommen Sie klar?«

Ilona Brügmann winkte ab, zog ein Taschentuch von irgendwo hinter dem Schreibtisch hervor und tupfte sich die Augen ab. »Ach, es ist so furchtbar. Ich möchte nicht den ganzen Tag heulen, aber …« Mit einem Griff lag ein frisches Papiertuch in ihrer Hand, in das sie kurz schnäuzte, um es gleich wieder verschwinden zu lassen. »Ich habe so viele Jahre für ihn gearbeitet. Für mich war er mehr als nur mein Chef. Und jetzt … jetzt bin ich allein.«

Sophie nickte verständnisvoll, richtete sich wieder auf und deutete auf Max. »Das ist Prof… Herr Bischoff. Er ist ein ehemaliger Kriminalbeamter und unterrichtet jetzt an der Polizeihochschule. Mein Vater hat ihn gebeten, diese schlimme Sache zu untersuchen. Wir wollen schließlich alle herausfinden, was wirklich passiert ist.«

»Was wirklich passiert ist«, wiederholte Ilona Brügmann nach einem kritischen Blick auf Max, und ihre Stimme hatte plötzlich jeden Anstrich von Weinerlichkeit verloren. »Ich kann Ihnen sagen, was wirklich passiert ist. Das liegt doch auf der Hand. Karl Müller hätte sich niemals selbst … ich meine, er war überhaupt nicht der Mensch, der so etwas tun würde. Er ist ermordet worden. Von irgendwem, der etwas zu verbergen hat und befürchten musste, dass er die Wahrheit sagt. Das hat er nämlich zeit seines Lebens immer getan. Die Wahrheit gesagt. Er war der Inbegriff eines ehrbaren Anwalts.«

In den seine Sekretärin offensichtlich hoffnungslos verliebt gewesen war, dachte Max, sagte aber: »Frau Brügmann, Sie sagten eben, Ihr Chef sei nicht der Mensch gewesen, der so etwas tun würde. Welche Art Mensch war er? Können Sie ihn beschreiben?«

Sie sah ihn verständnislos an. »Das habe ich doch gerade getan.«

»Ich meinte damit Einzelheiten, Details, das, was Ihnen, wenn Sie an ihn denken, alles einfällt.«

Der Blick der Frau wanderte an Max vorbei und wurde wieder glasig. »Herr Müller hat für seine Arbeit gelebt. Menschen wie ihn gibt es heutzutage kaum noch. Es geht doch allen nur um Work-Life-Balance, darum, in irgendwelchen Yachtclubs herumzuhängen und mit ihrem Erfolg anzugeben. Er war vollkommen anders. Diese Kanzlei, das, was er hier aufgebaut hat … das war für ihn nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Sogar auf eine Familie hat er verzichtet, um seine ganze Energie in die Arbeit als Rechtsanwalt stecken zu können. Keine Frau hätte ihn davon abhalten oder gar den Platz seiner großen Liebe einnehmen können: dieser Kanzlei.«

Max war ziemlich sicher, dass Ilona Brügmann das selbst schmerzlich erfahren hatte.

»Das ganze Lügengebilde, das sich da draußen aufgebaut hat, wäre in sich zusammengefallen, wenn Herr Müller in diesem Untersuchungsausschuss ausgesagt hätte. Und deshalb hat man ihn aus dem Weg geräumt, da bin ich sicher.«

»Warum?«, hakte Max nach.

Sie sah ihn angriffslustig an. Es galt schließlich, ihren Helden zu verteidigen. »Was mich so sicher macht? Das kann ich Ihnen sagen! Herr Müller sah dieser Anhörung mit einer solchen Gelassenheit entgegen, wie es niemals möglich gewesen wäre, wenn er irgendetwas zu verbergen gehabt hätte. Kurz vor seinem Tod hat er noch zu mir gesagt: Ilona, glauben Sie mir, wenn ich aus diesem Ausschuss herauskomme, werden sich einige Menschen wünschen, ich wäre nie vorgeladen worden. Denken Sie, so redet jemand, der Angst hat?«

»Niemand von uns geht davon aus, dass Karl etwas Schlechtes getan hat, Ilona«, sagte Sophie beschwichtigend. »Aber für Herrn Bischoff ist es wichtig zu erfahren, was für ein Mensch er war.«

Während sie darauf antwortete, musterte Ilona Brügmann Max erneut mit kritischem Blick. »Warum hat Ihr Vater dann nicht jemanden mit der Untersuchung betraut, der meinen Chef kannte? Das würde viel Zeit sparen, und außerdem wäre demjenigen klar, dass dieser Mann sich niemals selbst das Leben genommen hätte.«

»Wahrscheinlich aus genau diesem Grund«, erklärte Max. »Weil ich unvoreingenommen bin. Ich laufe nicht Gefahr, Dinge von vornherein auszuschließen, weil ich glaube, Herrn Müller gekannt zu haben. Wir machen zwar unsere Erfahrungen mit Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben, aber egal, wie überzeugt wir davon sind, jemanden gut zu kennen, wir können niemals hinter seine Stirn blicken.«

Ilona Brügmann schüttelte energisch den Kopf. »Ganz egal, wie Sie es ausdrücken, und ganz egal, was Sie glauben, bei Ihrer Untersuchung herauszufinden, eines steht für mich fest: Herr Müller ist ermordet worden, und wenn die Polizei dabei bleibt, dass es Selbstmord war, dann wird sein Mörder weiter frei herumlaufen und irgendwann vielleicht wieder jemanden umbringen. Wenn Sie das nicht einsehen wollen und nicht aufklären, sind Sie daran aus meiner Sicht mindestens genauso schuld!«

»Ilona«, raunte Sophie in beschwichtigendem Ton, während das, was Müllers Mitarbeiterin gerade gesagt hatte, in Max nachhallte. »Herr Bischoff ist ein erfahrener Ermittler. Er will und er wird uns helfen. Falls er überhaupt auf irgendeiner Seite steht, dann auf unserer. Wenn Karl ermordet worden ist, dann wird er es auch herausfinden, aber dazu ist es nun einmal notwendig, dass wir alle ihm helfen.«

Ilona Brügmann zuckte mit den Schultern und sackte dann in sich zusammen. Sie bot einen trostlosen Anblick. »Ich kann nichts anderes sagen als das, wovon ich fest überzeugt bin.« Ihre Stimme klang leiser. Resignierter. »Irgendwer hat Herrn Müller umgebracht und es so aussehen lassen, als sei es Selbstmord gewesen. Ich denke, wenn Sie die Wahrheit herausfinden wollen, dann tun Sie gut daran, sich damit zu befassen, wer ein Interesse daran hatte, dass er nicht vor dem Ausschuss aussagt.«

»Genau so machen wir das auch«, versprach Sophie. Als sie zu Max sah, lag in ihrem Blick eine klare Aufforderung. »An dieser Stelle haben wir meiner Meinung nach aber keine Fragen mehr.«

Max stimmte ihr zu. Zumindest für den Augenblick kamen sie hier wirklich nicht weiter. »Ich danke Ihnen, Frau Brügmann. Darf ich mich noch mal an Sie wenden, falls ich ergänzende Fragen zu Herrn Müller habe? Wenn ich das richtig sehe, gibt es kaum jemanden, der ihn so gut gekannt hat wie Sie.«

»Niemand hat ihn so gut gekannt wie ich. Ich habe viele, viele Jahre jeden Tag von morgens früh bis abends spät mit ihm verbracht. Das ist mehr Zeit, als die meisten mit ihren Ehepartnern zusammen sind.«

»Das ist ein gutes Stichwort, Frau Brügmann«, sagte Max. »Dann wissen Sie doch sicher, was an dem Abend seines Todes in Herrn Müllers Kalender gestanden hat?«

»Ja, aber … das war ein sehr seltsamer Termin. Im Kalender stand für 19 Uhr nur der Name Sigmund.«

»Sigmund? Was bedeutet das?«

Ilona Brügmann errötete und senkte den Blick. »Das weiß ich nicht.«

Max sah sie noch zwei, drei Sekunden lang an, dann sagte er: »Danke, ich habe ansonsten keine Fragen. Bis bald.«

Max wandte sich ab, und nachdem auch Sophie sich von der Assistentin verabschiedet hatte, folgte sie ihm.

»Sie hat ihn angebetet«, sagte Sophie, als sie neben Max auf den Empfangsbereich zuging.

»Sie war in ihn verliebt«, korrigierte Max. Seine Gedanken waren allerdings schon einen Schritt weiter. »Wo können wir uns kurz ungestört unterhalten?«

»Dort, wo wir eben schon waren.«

Sophie ging voran und steuerte den Konferenzraum Buenos Aires an.

Ernst Mahler hatte den Raum mittlerweile verlassen, was Max sehr begrüßte. Nachdem sie einander gegenüber an dem massiven Tisch Platz genommen hatten, lehnte Max sich zurück und sagte: »Klären Sie mich auf: Was genau ist Ihre Aufgabe in der ganzen Sache? Mich zu überwachen und darauf zu achten, dass ich keine Dinge erfahre, die ich nicht erfahren soll?«

Max konnte das Lächeln, das daraufhin ihre Lippen umspielte, nicht einordnen. Und das gefiel ihm überhaupt nicht.

»Sie haben doch gehört, was mein Vater erklärt hat. Es geht darum, die Ermittlungsergebnisse der Strafverfolgungsbehörden zu widerlegen. Damit kenne ich mich nun einmal bestens aus.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Abgesehen davon, schätze ich, ist das, was Sie angesprochen haben, genau das, was mein Vater sich vorstellt.«

»Und?«

»Und was?«

»Werden Sie es tun? Werden Sie der Wachhund sein, den Ihr Vater haben möchte?«

Sie legte den Kopf schief und sah ihn herausfordernd an. »Und wenn es so wäre? Würden Sie dann hinwerfen?«

Max wartete einige Sekunden, bevor er antwortete. »Nein. Ihr Vater zahlt mir eine Menge dafür, dass ich ein wenig ermittle. Wenn er im gleichen Zug dafür sorgt, dass mir hilfreiche Informationen vorenthalten werden, verpulvert er genau genommen einfach nur sein Geld. In dem Fall würde ich die Summe einstreichen und sein Spiel wahrscheinlich mitspielen, auch wenn ich den Auftrag nicht mehr ernst nehmen könnte.«

Sophie Mahler verschränkte ihre Hände auf der Tischplatte und betrachtete sie eine Weile, bevor sie Max wieder ansah. »Und wenn es anders kommt?«

»Was meinen Sie?«

»Was haben Sie vor, wenn wir herausfinden, dass es doch ein Mord war?«

»Dann würde ich alles tun, um den Mörder zu finden. Wenn es eines gibt, das ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann sind es Gewaltverbrecher, die ungestraft davonkommen.«

Für eine Weile hingen beide ihren Gedanken nach, bis Sophie Mahler das Schweigen beendete und ihm über den Tisch hinweg die Hand entgegenstreckte. »Aus meiner Sicht ist das alles, was ich wissen muss, Max. Ich freue mich, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«

»Die Freude ist ganz meinerseits«, sagte Max und nahm ihre Hand. Er mochte die Rechtsanwältin, auch wenn er noch nicht sicher war, ob er ihr wirklich vertrauen konnte.

4

Pirlo

Mittwoch, 16.10., 11.15 Uhr

Um kurz nach elf Uhr stand der Freispruch für Pirlos Mandanten fest. Trotzdem war Pirlo sauer. Und wie.

Auch eine Stunde später hatte sich das noch nicht geändert, trotz des zwischenzeitlich in der Casa Palmieri anstehenden Mittagessens und der angenehmen Gesellschaft in Person von Werner Arland. Obwohl sie sich längst nicht mehr so häufig sahen wie in den Anfangstagen von Pirlos und Sophies gemeinsamer Kanzlei, wartete sein Mentor geduldig ab, bis Pirlo einen ersten Espresso zu sich genommen hatte. Danach sah die Welt nicht nur besser aus. Es war auch an der Zeit zu bestellen. Und zu plaudern.

»Glückwunsch zum Freispruch.«

»Danke.«

»Hat sich der Mandant darüber gefreut?«

»Klar.«

»Und du dich auch?«

»Ja.«

Arland schmunzelte. »Dir ist klar, dass das Gespräch so nicht wirklich erfüllend ist, nicht wahr, Junge?«

Pirlo beschloss, das als rhetorische Frage zu verbuchen. Und zu ignorieren. Mit der Anrede hatte er sowieso schon lange seinen Frieden gemacht. Wenn ihn einer als Junge bezeichnen durfte, dann der Alte. Dazu kannte er seinen Doktorvater einfach schon lange genug. Höhen und Tiefen miteingeschlossen. Genau deswegen wusste er auch, dass Arland nicht mehr lange brauchen würde, um den Finger in die Wunde zu legen. Der Alte hatte nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Arland schob umständlich die Mineralwasserflasche zur Seite. Dann fixierte er Pirlo mit nun unverstelltem Blick und fragte: »Wo ist eigentlich Sophie? Wollte sie nicht mitkommen?«

Pirlo nutzte die Gelegenheit zwischenzeitlich servierter Spaghetti dazu, sich eine große Gabel davon in den Mund zu stecken. Wenigstens kurz konnte er der unangenehmen Frage damit noch ausweichen. Der unangenehmen Antwort übrigens auch. Selbst wenn ihn sein wütendes Kauen wahrscheinlich ohnehin verriet.

»Also?«

Pirlo schluckte. Hustete. Trank Wasser. Strich seine schwarzen Haare zurück hinter die Ohren. Und beschloss, dass es langsam mit seinem Geschmolle reichte. Schließlich war ja ausnahmsweise auch nicht er derjenige, der etwas falsch gemacht hatte.

»Ich weiß es nicht«, brummte er daher. »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wo Sophie ist. Ich kann dir aber sagen, wo sie hätte sein sollen.« Er wartete Arlands Rückfrage gar nicht erst ab. »Und zwar im Gericht. Heute Morgen.«

Arland hob die Augenbrauen. »Wolltet ihr zusammen verteidigen?«

»Allerdings.« Pirlo geriet langsam in Fahrt. »Und das aus guten Gründen. Heute ging es nicht nur darum, sich gegen die Staatsanwaltschaft durchzusetzen, sondern darum, den gesamten Saal inklusive der massiv besorgten Familie des Mandanten im Griff zu behalten. Du weißt, wie anstrengend solche Fälle sein können.«

Arland nickte.

Pirlo fuhr fort: »Wir hatten unseren klassischen Aufbau gewählt. Sophie sollte bei den Rechtsfragen glänzen, die Sinnhaftigkeit eines Verfolgens abstrakter Gefährdungsdelikte bei gleichzeitigem Fehlen konkreter Gefahren beleuchten und so weiter. Mein Teil war die Gesamtschau fürs Herz.«

»Und?«

»Sie war nicht da. Sophie war einfach nicht da. Und nicht nur das: Sie hat mir noch nicht einmal eine Nachricht dazu geschrieben, dass oder warum sie nicht auftaucht.«

»Aber du hast trotzdem gewonnen?«

»Natürlich! Was denn sonst?« Pirlo verstaute einmal mehr seine im Zorn nach vorne gefallenen Haare hinter den Ohren. »Aber darum geht es hier doch nicht!«

»Allerhand.«

»Genau.«

Pirlo ahnte, dass Arland damit rang, ein Lachen zu unterdrücken. Was das mit seiner Wut nicht besser machte. Wirklich nicht. Dasselbe galt für Arlands nächste Frage: »Wie oft hast du eigentlich sie im letzten Jahr irgendwo sitzenlassen? Im Gericht oder außerhalb?«

Pirlo drehte genervt an einer Strähne. »Darum geht es hier doch gar nicht.«

»Sondern?«

»Um mich«, grummelte Pirlo. »Ums Prinzip. Ach, lass mich einfach.«

Arland lachte. Pirlo verzog den Mund. Er ahnte, dass er hier keine gute Figur abgab. Und dass es langsam tatsächlich mal an der Zeit war, das hier loszulassen.

Dankbarerweise baute Arland genau dafür eine Brücke. »Kann es sein, dass dich etwas ganz anderes stört?«, fragte er in ruhigem Ton.

»Was meinst du?«

Sein alter Mentor beugte sich vor und fing Pirlos Blick ein. »Kann es sein, dass du damit zu ringen hast, wie ihr beiden, Sophie und du, in der Öffentlichkeit wahrgenommen werdet?«

Pirlos Strähnendrehgeschwindigkeit nahm deutlich zu. Es fiel ihm selbst auf. Trotzdem konnte er das nicht unwidersprochen lassen. Natürlich nicht. »Unsinn!«

Arland nickte zwar, legte dann aber trotzdem nach. »Sophie ist Anfang dreißig. Dass zwischen euch gute zehn Jahre liegen, steht nicht nur im Ausweis. Man kann das auch sehen.« Arland hob die Hand, um Pirlos erwartbare Empörung abzufedern. »Ihren Job beherrscht sie ebenfalls hervorragend. Klar hat sie noch nicht deine Hauptverhandlungshärte und kennt auch nicht alle deine Kniffe. Was sie allerdings sehr schnell gelernt hat, ist das Spiel mit den Gerichten und den Medien. Wenn du mich fragst, kann sie das mittlerweile fast so gut wie du selbst.« Pirlo sah, wie Arland Anlauf nahm. Was jetzt kam, würde nicht schön sein. Und war es dann auch nicht. »Allerdings polarisiert sie nicht so sehr wie du. Im Gegenteil, sie kommt in der öffentlichen Meinung regelmäßig besser weg.«

»Na und?«

Arland hob die Hände. »Ich wollte nur mal nachfragen.« Er tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Aber wenn das für dich alles in Ordnung ist, freue ich mich ja.«

Woraufhin Pirlo tief Luft holte. Wirklich tief. Und wild entschlossen. Immerhin stand die große Gegenrede an. Das Plädoyer in eigener Sache. Das dann allerdings doch nicht kam.

»Ja?«, fragte Arland mit hochgezogenen Brauen.

»Nichts.« Was natürlich weder stimmte, noch so stehenbleiben konnte. »Außer, dass ich das anders sehe. Ich finde es gut, dass sich Sophie emanzipiert.«

»Absolut.«

»Dass sie ihren eigenen Stil entwickelt.«

»Hervorragend.«

»Ihre Flügel ausbreitet.«

»Toll.«

»Außerdem arbeiten wir selbstverständlich trotzdem im Team zusammen. Ich leite es an. Sophie lernt und folgt. Das würde sie dir mit Sicherheit auch selbst bestätigen.«

»Ich frage sie, wenn ich sie das nächste Mal sehe.«

Pirlo verdrehte die Augen. »Können wir das langsam mal lassen?«

Arland grinste. »Ich dachte schon, du fragst nicht mehr.« Er lehnte sich zurück und winkte dem Kellner. »Kaffee?«

»Immer.« Pirlo war froh, dass sie das Befragescharmützel hinter sich ließen. Arlands Analyse war treffsicher genug ausgefallen. Pirlos Fragezeichen rund um Sophie hatten dadurch sogar noch zugenommen. Wobei eines davon die anderen aktuell deutlich in den Schatten stellte. Dass Sophie nicht im Gericht aufgetaucht war, passte nicht zu ihr. Dass sie ihn über ihr Ausbleiben noch nicht einmal informiert hatte, erst recht nicht. Wo um alles in der Welt steckte sie also?

Als Pirlo sie eine Stunde später auch nicht in der Kanzlei antraf und sie immer noch nicht telefonisch erreichte, war seine Wut echter Sorge gewichen. Es war halb vier. Sophie war zwischenzeitlich seit mehreren Stunden abgetaucht. Pirlo konnte sich nicht erinnern, dass das in den letzten beiden Jahren überhaupt mal vorgekommen war. Irgendetwas war also passiert. Dass es nichts Gutes sein würde, war leider absehbar. Aber was war es dann?

Als es an der Tür klingelte, flammte bei ihm immerhin kurzzeitig Hoffnung auf. Die jedoch von jetzt auf gleich pulverisiert wurde, als Ahmid anstelle von Sophie eintrat. Sophie kannte ihn als Clan-Gangster, Verehrer und Mandanten. Pirlo kannte ihn als seinen großen Bruder. Beides war kompliziert.

Wenigstens schien Ahmid entschlossen, sich nicht mit unnötigen Herzlichkeiten aufzuhalten. »Wo ist meine habiba?«

»Wer?«

Ahmid grinste. »Du weißt schon, Bruder, Sophie, deine blonde Kollegin, der vom Himmel gefallene Engel, Mann!«

Pirlo verdrehte die Augen. »Nicht hier.«

»Warum nicht?«

Was als Frage so berechtigt wie schmerzvoll war. »Ich glaube, sie wollte in eine Shishabar am Hauptbahnhof, um sich einen heißen Amateur-Gangster für ein wildes Wochenende zu suchen. Am besten einen mit zu vielen Muskeln, Undercut, fehlender Geduld, Vorstrafen und so.«

»Verarsch mich nicht.« Ahmid kam näher. »Wo ist sie?«

Pirlo seufzte. »Noch einmal: nicht hier. Worüber ich wahrscheinlich ähnlich glücklich bin wie du.«

Woraufhin Pirlo das Wagnis einging, Ahmid den Rücken zuzukehren und in Richtung seines Büros zu gehen. Er ahnte zwar, dass sein Bruder damit rang, ihm noch einen Spruch zu drücken. Oder eine zu pfeffern. Dann aber hörte Pirlo nur noch die Tür der Kanzlei schlagen. Ahmid war wieder aufgebrochen. Womöglich ja doch in Richtung Hauptbahnhof.

Umso überraschter war Pirlo, als es ein paar Minuten später erneut klingelte. Das galt sogar noch mehr, als draußen nicht erneut Ahmid stand. Sondern diesmal tatsächlich Sophie.

»Entschuldige, ich habe den Schlüssel vergessen«, murmelte sie, während sie sich an Pirlo vorbei in die Kanzlei schob.

»Ist das alles?«, fragte er hinter ihr her. »Oder meinst du vielleicht, den Schlüssel und unseren Termin von heute Morgen?« Da Sophie darauf nicht einging, folgte Pirlo ihr zu ihrem Büro, wo sie eilig etwas in den Computer tippte. Während er sich an den Türrahmen lehnte und sie beobachtete, fiel ihm auf, wie chic sie angezogen war. »Sag mal, wo warst du eigentlich?«

Sie antwortete über die Schulter, während ihre Finger weiter über die Tastatur rasten. »In der Kanzlei meines Vaters.«

»Wieso?«

Sie seufzte, blieb aber bei ihrem Rhythmus. »Karl Müller ist tot.«

»Ich weiß. Das habe ich gelesen.« Pirlo merkte, dass seine Stimme weicher wurde. Müller war Sophies Patenonkel gewesen. Und wenn sie etwas traf, traf es auch ihn. Selbst wenn Pirlo das nicht unbedingt zugeben wollte.

»Jedenfalls ist mein Vater sehr beunruhigt«, fuhr Sophie fort. »Und zwar auf eine Art, wie ich es noch nie erlebt habe.« Sie zögerte kurz. »Offen gestanden, hat mich das ziemlich überrumpelt. Es tut mir leid, dass ich dich im Gericht im Stich gelassen habe. Selbst wenn klar war, dass du das auch allein hinbekommst, war das keine Meisterleistung. Ich hätte dir zumindest kurz eine Nachricht schicken können. Einfach sitzengelassen zu werden, ist nicht sehr angenehm.« Sie lächelte. »Aber wem sage ich das?« Pirlo kam erst gar nicht zu einer Antwort. »Wie auch immer«, ging es direkt weiter, »mein Vater hat beschlossen, eine eigene Untersuchung zu den Umständen von Karls Tod zu veranlassen. Ich soll das anwaltlich begleiten.« Dann fiel ihr offensichtlich auf, was sie gesagt hatte. Das Tippen stoppte, und sie drehte sich zu Pirlo um. »Ich meine, wir sollen das.«

»Wir?«

»Na, diese Kanzlei hier. Unsere. Du und ich.«

»Hat dein Vater das auch so gesagt?«

»Nein.«

Alles andere wäre eine große Überraschung gewesen. Ernst Mahler war kein Pirlo-Fan. Um das mal sehr vorsichtig zu formulieren.

»Trotzdem verstehe ich es so, dass wir als Team mandatiert sind, auch wenn es wahrscheinlich ausreicht, wenn die Zeugenbefragungen nur durch Max und mich stattfinden.«

»Aha«, murmelte Pirlo. Dann erst zogen seine Gedanken nach. »Und wer ist Max?«

»Ein junger Professor von der Polizeihochschule, den mein Vater für die Aufklärung des Sachverhalts engagiert hat. Der volle Name ist Max Bischoff. Er ist spezialisiert auf Mordermittlungen.«

»Mord?«

Sophie nickte, tippte aber bereits weiter. »Schon vergessen: Karl ist tot. Wer weiß, was da wirklich dahintersteckt.«

Pirlo beließ es bei einem Nicken, da Sophies Finger zum Halten gekommen waren. Kurz darauf surrte der Drucker.

»Gehst du mal zur Seite?«, fragte sie.

»Klar«, antwortete Pirlo mechanisch. Irgendwie ging ihm das hier ein bisschen zu schnell. »Was druckst du denn?«

»Ein Akteneinsichtsgesuch für das Ermittlungsverfahren zu Karls Tod. Ich bringe das schnell selbst bei der Staatsanwaltschaft vorbei. Es ist ja nicht weit.«

»Immerhin hast du diesmal die Güte, mich darauf aufmerksam zu machen.«

Sophie hielt in ihrer Bewegung inne. »Worauf willst du hinaus?«

»Dass du gleich wieder weg bist.«

»Das stimmt.«

»Worüber ich wahrscheinlich weniger klagen sollte, als mich darüber zu freuen, dass du überhaupt mal da bist«.

Woraufhin Sophie die Augen verdrehte. »Was soll das, Pirlo?«

»Die Frage ist doch eher: Was soll es, wenn du einfach nicht im Gericht auftauchst?«

Sophie schien kurz zu überlegen und sich dann für ein Augenzwinkern zu entscheiden. »Wieso? Wir haben doch gewonnen.« Und schon war sie weg.

Pirlo blieb in der leeren Kanzlei zurück und kratzte sich am Bart. Diese Art von Sprüchen war nicht gerade angenehm. Dasselbe galt für diese Art von Umgang. Erst recht, wenn er mal derjenige war, der das alles einzustecken hatte.

Wobei sich die unschönen Entwicklungen leider noch nicht einmal darauf beschränkten. Augenscheinlich vertraten sie jetzt die Kanzlei von Sophies Vater. Das für sich war schon keine reine Freude. Dazu tauchte allerdings auch noch ein »junger Professor« auf. Was nicht gut klang. Ganz und gar nicht sogar.

II