Geh deinen Weg mit Gottes Hilfe - Marita Strömer - E-Book

Geh deinen Weg mit Gottes Hilfe E-Book

Marita Strömer

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Beschreibung

Sie müssen ihre Heimat verlassen, da sie Christen sind. Die Antichristen haben die Welt unterworfen. Kriege, Naturkatastrophen, wirtschaftlicher Niedergang und Hunger bedrängen die Menschheit. Auf der Flucht vor ihren Feinden lernen ein paar Christen andere Verfolgte kennen. Gemeinsam erleben sie Tod und Verderben. Mithilfe im Untergrund agierender Widerstandskämpfer und Wissenschaftler, welche mit allen Christen vernetzt sind, erreichen einige von ihnen das gelobte Land. Aber auch da herrscht die dunkle Macht, die Antichristen mit ihrem obersten Herrscher.

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Eine Reise durch Zeiten und Schicksale

2066: Umweltkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen und Christenverfolgungen.

Susanne und David, vereint in Liebe und Glauben, setzen alles daran, Jerusalem zu erreichen, wo eine mysteriöse Kapelle eine Zeitreise verspricht. Doch können sie dem drohenden Gericht entkommen und die Geburt einer neuen Ära miterleben? „Das Ende der Welt vor ihren Augen“ ist ein epischer Roman in drei Bänden voller Spannung, Hoffnung und einer Reise, die die Grenzen von Zeit und Glauben überwindet.

INHALT

Prolog

Kapitel 1 Das Kind Susanne

Kapitel 2 Ein paar Jahre später

Kapitel 3 David, ein Soldat der »Weltgemeinschaft«

Kapitel 4 Die Furcht, verhaftet zu werden

Kapitel 5 Das rettende Erdbeben

Kapitel 6 Flucht ins Ungewisse

Kapitel 7 Er geht mit Gottes Hilfe

Kapitel 8 Die Flucht der Familie Schön

Kapitel 9 Trost und Hilfe

Kapitel 10 Begegnungen auf der Flucht

Kapitel 11 Die Angst begleitet sie

Kapitel 12 Der Weg, den Gott ihnen zeigt

Kapitel 13 Gemeinsam zur Paulusbucht

Kapitel 14 Kampf, um dem Grauen zu entgehen

Kapitel 15 Begegnung in der Felsenstadt

Kapitel 16 Angriff auf die Paulusbucht

Kapitel 17 Flucht aus der Felsenstadt

Kapitel 18 Johannes, sein Flug nach Israel

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Jeder Mensch wird im Laufe seines Lebens schwere Zeiten durchmachen und es gibt Dinge, die so schwer zu akzeptieren sind, dass das Ringen darum hoffnungslos scheinen mag. Aber wir sollen niemals vergessen, dass Gott am Ende siegreich sein wird. In Offenbarung 21,1 verspricht er uns, dass Himmel und Erde vergehen werden, aber auch, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde kommen werden.

Von Johann Heinrich Arnold

PROLOG

Helle Blitze sind am Himmel aus der Ferne zu sehen, es ist auch ein leises Grollen zu hören. Wie schon so häufig werden irgendwo Städte von feindlichen Mächten angegriffen und zerstört. Ein leichtes Erdbeben lässt das kleine Haus in der Berliner Vorstadt erzittern. Die Erderschütterungen werden von Mal zu Mal immer heftiger.

Man schreibt das Jahr 2066.

Die vierzehnjährige Susanne liegt zu dieser Zeit in ihrem Zimmer auf dem Bett und blättert in einem der bunt illustrierten, etwas zerlesenen Jugendbücher. Auf einem kleinen, schon in die Jahre gekommenen bunt karierten Sessel, welcher neben ihrem Bett steht, liegen zwei kleine rote Kissen. Auf einem runden Tisch, neben dem Sessel, stapeln sich ältere Zeitschriften und Bücher. Diese stammen noch aus besseren Zeiten und sie dürfte diese nicht mehr besitzen. Die Bücher und Zeitschriften sollten nicht so daliegen, sondern müssten versteckt sein. Eine kleine Wandleuchte taucht ihr Zimmer in ein rötliches Licht.

Ein Schauer läuft plötzlich über ihren Rücken.

Susanne sieht von ihrem Buch auf und denkt über alles, was geschieht, nach: Machthungrige Menschen in Amerika haben mit ihrem Anführer vor ein paar Jahren die Demokratie abgeschafft, zuerst in ihrem Land, anschließend in Asien und danach auch in Europa und Afrika. Gläubige, ob Christen, Juden oder auch Muslime, stehen auf ihrer Verfolgungsliste. Viele Menschen verschwinden plötzlich für immer, sterben oder werden verschleppt. Seitdem dies passiert, ist die Weltordnung nicht mehr vorhanden. Ganze Industriezweige gehen kaputt. Die Wirtschaft ist, so wie es Vater immer erzählt, durch das Fehlen von Arbeitskräften fast völlig zerstört. Landwirtschaftsbetriebe gibt es in allen Ländern der Erde kaum noch, sodass immer mehr Menschen hungern müssen. Nur noch ein paar globale Konzerne gibt es, wie zum Beispiel den großen Rüstungshersteller in Amerika oder einen großen Einzelhandelskonzern, ein US-amerikanisches Unternehmen, das in vielen Ländern tätig ist, oder auch eine der größten Banken der Welt mit dem Hauptsitz in China und ihren Niederlassungen in Saudi-Arabien, Amerika, Asien und Europa. Münzgeld, Papiergeld, Gold oder Silber, so wie es dies noch zu Großmutters Zeiten gab, kennen wir nicht mehr. Als Zahlungsmittel wird nur noch unser Chip, verbunden mit dem Handy, verwendet. Dann sagt Vater immer: Die »Weltgemeinschaft«, die Partei der Antichristen, hat auf alles den Zugriff und kann die persönlichen Einnahmen nach Belieben kürzen oder ganz sperren. Chaos und Kriege beherrschen den ganzen Globus und ich weiß, auch hier in Deutschland gibt es ständig Verhaftungen. Auch Gläubige aus unserer Gemeinde wurden verschleppt und wir haben sie nicht wiedergesehen.

Susanne schaut kurz mit verklärtem Blick aus dem Fenster und ihr Blick geht zum Himmel, welcher von hellen Blitzen erleuchtet wird. Dann gehen ihre Gedanken weiter:

Seit geraumer Zeit werden aus der ganzen Welt schlimme Naturkatastrophen gemeldet, und es wird immer schlimmer. »Die Natur ist nicht mehr im Gleichgewicht«, sagte gestern erst einer unserer Bekannten aus der Nachbarschaft. Nicht nur sehr hohe Temperaturen, die den Erdboden austrocknen, auch Kältegrade, wie sie zurzeit in Afrika und Asien herrschen, auch Überschwemmungen, die das Aussehen der Weltkarte verändern, machen das Leben für die Menschen gefahrvoll. Landwirtschaftliche Flächen werden dadurch immer weniger. Dann die vielen Krankheiten, die nicht geheilt werden können. Mutter betete heute am Mittagstisch, der liebe Herrgott möge uns vor diesen Krankheiten und einer noch größeren Hungersnot verschonen. Sie geht jeden Tag zum Kirchplatz, dort wo man für Hilfsbedürftige ein paar der Lebensmittel abgeben kann, die wir entbehren können. Vater hat zum Glück noch seine Arbeit als Ingenieur im Maschinenbau und Mutter kann jeden Tag etwas Kleines kochen oder backen trotz der Rationierung und Ausgabe von Lebensmittelmarken. Sie hat früher als Ärztin in einem der Krankenhäuser der Stadt gearbeitet. Das Krankenhaus wurde vor mehreren Jahren geschlossen, da es zu wenig Medizin sowie Pflegepersonal gab.

Kündigt das alles das Ende des Bestehens der Menschheit und ihrer Erde an?

Diese Gedanken machen Susanne traurig und sie faltet ihre Hände und betet zum Herrn, ihrem Gott, um Hilfe für die Welt. Dabei kommen ihr die Worte von Jesus in den Sinn:

Der Herr gibt mir Kraft. Er zeigt mir den richtigen Weg um seines Namens willen.

Ihre Eltern haben sie zu einer gottesfürchtigen Christin erzogen. Aber Susanne weiß, dass sie in der Öffentlichkeit ihren Glauben nicht leben darf. Denn sie weiß auch, was für Menschen, die an Gott glauben, ihr Glaube, in dieser Welt der Antichristen, bedeutet.

KAPITEL 1

DAS KIND SUSANNE

Plötzlich vernahm Susanne aus dem Hausflur ihres Elternhauses laute und befehlende fremde Männerstimmen. Draußen war es bereits dunkel. Mutter hatte das Fenster weit geöffnet und die Abendstunde brachte ein wenig Helligkeit durch den Mondenschein in den kleinen Raum. Es kündigte sich wieder eine heiße Nacht an. Da sie beabsichtigte, passende Musik zu dem Buch anzuhören, hielt Susanne die Kopfhörer in der Hand, die sie jetzt erschrocken und langsam auf die Bettdecke gleiten ließ.

Im Namen der »Weltgemeinschaft«! Sie sind wegen illegaler Tätigkeiten verhaftet! Packen Sie ein paar Sachen zusammen.

Dann vernahm Susanne das Verrücken von Stühlen, ein Klirren, als ob Geschirr zerbrochen würde, und das Geräusch von Gegenständen, die zu Boden fielen. Es war beängstigend laut. Susanne setzte sich senkrecht im Bett auf und lauschte. Ihre Hände begannen zu zittern und sie dachte: Was wollen die von meinen Eltern?

Plötzlich wurde leise die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet. Die Mutter schaute herein, mit Tränen in den Augen und blassen Wangen, und sagte leise, aber sehr bestimmend und hastig: »Schnell, Susanne, mein Kind, zieh dir etwas über, klettere leise aus dem Fenster, lauf zum Gartenhaus und versteck dich dort. Du weißt doch, im hinteren Teil des Hauses befindet sich im Boden eine versteckte Luke. Bitte Kind, öffne sie und du findest unser kleines Versteck darunter. Verschließe die Luke hinter dir wieder gut. Mach schnell, ich glaube, da kommt einer der Soldaten und will nachsehen, wo ich bleibe.«

Susanne wusste plötzlich, was da geschah. Sie waren Christen und die wurden nicht geduldet.

Susanne spürte kurz Mutters Arme, die diese um ihre Schultern legte, während sie sie an sich drückte. Anschließend strich sie ihr noch schnell, aber sanft über den Kopf und sagte leise: »Herr im Himmel, behüte und beschütze mein Kind!«

»Mama, aber warum?« Susanne zitterte am ganzen Körper und Tränen liefen ihr über die Wangen.

»Schnell, Kind!«, sagte sie noch und schob Susanne langsam, aber sehr energisch zum Fenster, das in den Garten führte. In dem Moment hörte Susanne eine laute, schroffe Männerstimme, die Mutter zurief:

»Was machen Sie so lange? Haben Sie gefunden, was Sie wollten? Wenn ja, dann kommen Sie!«

»Sie haben doch noch ein Kind! Wo haben Sie es versteckt?«, fragte eine andere Männerstimme.

Ganz leise hörte Susanne Vater antworten: »Unser Kind ist zurzeit nicht hier, es ist in der Stadt und besucht Freunde.«

Susanne vernahm noch, wie seine Stimme dabei fast versagte.

Sie hatte sich noch nie vor Gespenstern gefürchtet. Plötzlich wurde ihr aber bewusst, dass sie tagein, tagaus mit ihnen lebte. Jetzt fiel es Susanne erst richtig auf.

Vor Angst und Aufregung begann sie noch mehr zu zittern und der Kopf fing an zu schmerzen. Trotzdem stieg sie eilig aus dem Fenster und lief in gebückter Haltung zum Gartenhaus. Dabei vernahm Susanne Geräusche, als ob Vater im Haus Holz zerkleinerte. Es klirrte und splitterte. Susannes Herz fing an heftig zu pochen und sie dachte: Was machen die mit Mama und Papa? Die sollen sie in Ruhe lassen. Am liebsten hätte sie jetzt jemanden an ihrer Seite gehabt, der diese bösen Menschen in ihre Schranken wiese. Sie betrat das Gartenhaus, ging zur Stelle mit der Luke und öffnete diese. In diesem Moment hörte sie noch, wie ein Fahrzeug davonfuhr.

Ängstlich und nur mit ihrem Schlafanzug bekleidet, die Knie wackelten und der ganze Körper zitterte, schaffte sie es, sich im Kellerraum des Hinterhauses zu verstecken. Susanne setzte sich. Dabei weinte sie, umfasste mit beiden Armen ihre Beine und legte ihren Kopf darauf. So kauerte sie in der äußersten Ecke des kleinen dunklen Raumes. Nach einer längeren Zeit kam es Susanne vor, als ob viele Stunden vergangen wären. Daher traute sie sich aus dem Versteck. Vorsichtig öffnete Susanne die Luke, die von innen mit einem Riegel und einem Schloss versehen war, kletterte vorsichtig und nach allen Seiten Ausschau haltend ins Freie. Susanne sah, dass im gesamten Wohnhaus noch Licht brannte. Da schöpfte sie Hoffnung und sie fragte sich in Gedanken: Sind diese Männer gegangen und Mutter und Vater warten im Haus auf mich? Ich werde nachsehen!

Mit der Hand strich sie sich über die nassen verweinten Augen und lief zum Haus, öffnete die Haustür und betrat das Gebäude. Kein Laut war zu hören. Sie rief erst leise und dann noch einmal etwas lauter: »Papa, Mama, seid ihr da?« Aber es antwortete keiner. Nach und nach schaute sie in alle Zimmer, aber die Eltern waren nicht im Haus. Überall brannte das Licht, obwohl es draußen allmählich hell wurde. Vor Angst und Aufregung zitternd setzte sie sich auf den einzigen Stuhl, der noch heil geblieben war, und weinte bitterlich. Danach dachte Susanne: Diese fremden Männer haben meine Eltern einfach mitgenommen. Aber wohin? Und warum? Weil wir Christen sind? Werden sie bald wiederkommen? Was wird jetzt mit mir? Werden mich diese Männer auch noch holen? Lieber Gott, hilf meinen Eltern, sei mit ihnen und bringe sie wieder zurück! Dabei legte sie sich auf den Fußboden, rollte sich wie ein Wurm zusammen und schlief auf dem Teppich der Wohnstube erschöpft ein.

Am nächsten Tag kamen Christen aus der Gemeinde und nahmen Susanne, das scheue und verstörte Mädchen, in ihrer Familie auf. Von den Eltern hatten sie und die Gläubigen seit dem Vorfall nichts mehr gehört.

KAPITEL 2

EIN PAAR JAHRE SPÄTER

Man schrieb das Jahr 2086. Als Kind hatte Susanne miterleben müssen, wie die Eltern verschleppt wurden, und jetzt arbeitete sie als Angestellte in einem Amt der »Weltgemeinschaft« der Antichristen. Susanne hatte keine Angehörigen mehr, da auch die Pflegeeltern vor nicht allzu langer Zeit verhaftet worden waren.

Es gab nur noch ein paar Freunde aus der Gemeinde, die Susanne heimlich traf. Seit ein paar Jahren trugen alle Menschen in Deutschland und ganz Europa einen Erkennungschip. Die Christen erhielten einen, der sie als Christen kennzeichnete, die Juden einen für Juden und die Muslime einen für Muslime. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ausgerechnet Susanne diese Arbeitsstelle im Amt der »Weltgemeinschaft« bekommen hatte. Sie musste Versorgungsmarken an wartende Menschen aus der Bevölkerung verteilen. Froh war Susanne über diesen Job, den sie erst seit kurzer Zeit hatte, aber sie stand ständig unter Kontrolle. Manche Tage spürte sie es deutlich, wie sie beobachtet wurde, und das immer von einer anderen Person. Susanne versuchte, auch unter Beobachtung, insgeheim Hilfsbedürftige und Freunde mit zusätzlichen Lebensmittelmarken zu versorgen. Es waren meist nur die Christen, die diese Marken abholen mussten. Die Nichtgläubigen bekamen ihre Rationen über die dafür ausgestatteten Speicher ihrer Handys.

Susanne saß in ihrem kleinen Büro im ehemaligen Roten Rathaus der Stadt, ihre langen blonden Haarlocken fielen ihr, wie so oft, ins Gesicht und sie schob diese nebenbei hinter das rechte Ohr. In Gedanken verloren schaute sie zur Tür, die sich eben öffnete, und ein untersetzter Herr betrat den Raum. Seine Glatze leuchtete im Sonnenlicht, welches den Raum erhellte. Schweißperlen bedeckten sein rundes, schwammiges Gesicht und seine kleinen schmalen Augen schauten wollüstig in ihre Richtung. Ihr Chef und Abteilungsleiter für die Koordinierung der Ausgabe von Lebensmittel- und Wassermarken stand vor ihrem Schreibtisch und in schroffem Ton fuhr er sie an:

»Hier wird nicht geträumt, machen Sie Ihre Arbeit.«

In diesem Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Mundwinkel hoben sich zu einem süßlichen, vulgären Grinsen und seine Augen schauten Susanne mit einem gierigen Blick an. Angst stieg in ihr hoch. Susanne senkte beschämt die Augen und vertiefte sich augenscheinlich in die Arbeit. Dabei zitterten ihre Hände und ihr Verstand war wie gelähmt.

Sie dachte: Was will dieser Mensch von mir? Die Mitglieder der »Weltgemeinschaft« haben uns Christen schlimme Dinge angetan. Lieber Gott, steh mir bei, dass ich jetzt nichts falsch mache. Was will er? Hoffentlich hat er nichts von meinen heimlichen Tätigkeiten bemerkt. Oder hat jemand anderer etwas bemerkt und mich verraten?

Plötzlich spürte sie, wie seine Hand über ihren Rücken streifte. Susanne machte sich stocksteif und konnte nicht mehr weiteratmen. Er wandte sich gleich danach um und verließ den kleinen Raum wieder. Erleichtert atmete sie auf.

Dieser Tag begann also voller Unruhe und die Angst in Susanne steigerte sich ins Unermessliche, als sie sah, wie eine Gruppe Soldaten, bis an die Zähne bewaffnet, vor der Glasscheibe der Ausgabe für die Lebensmittel- und Wassermarken erschien.

Was geschieht jetzt? Susanne richtete sich abrupt auf, schaute zu den Soldaten, presste dabei ihre Hand auf den Mund und dachte: Was wollen diese Soldaten hier? Gut, dass ich geschützt hinter einer Panzerglasscheibe sitze. Aber was machen die Soldaten da!

Susanne musste die ganze Szene mit ansehen. Menschen vor ihrer Tür und ebenso kurz vor der Glasscheibe liefen schreiend auseinander. Schüsse fielen und mehrere Menschen gingen blutüberströmt zu Boden.

Susanne zitterte am ganzen Leib und hielt sich die Augen zu, um nicht noch mehr sehen zu müssen.

Dann stand plötzlich einer der Soldaten vor ihr und befahl mit vorgehaltener Waffe und in einer schrillen und bestimmenden Stimme: »Öffnen Sie sofort die Glasscheibe!«

Mit zitternden Händen, weichen Knien und einem Augenaufschlag, durch den, wie ihr klar war, ihre Angst sichtbar wurde, erhob sie sich und öffnete die Scheibe. Einen kurzen Augenblick sah Susanne dem Soldaten in die Augen und dachte: Was wird er mit mir machen? Wird er mich jetzt auch töten, so wie diese armen Menschen, die von dem neben ihm stehenden Soldaten getötet wurden? Was ist nur mit diesen Menschen geschehen, warum müssen sie töten? Lieber Herrgott, erbarme dich! Denn seine Augen, die schauen mich mit einem traurigen Blick an. Warum macht er all diese Dinge?

Der Soldat verharrte und dann sagte er leise und verlegen und leicht errötend, aber befehlend: »Geben Sie mir alle Lebensmittel- sowie die Wassermarken schnell und ohne Aufsehen, sonst garantiere ich für nichts!«

Apathisch gab sie alles, was er verlangte.

Danach verließ er mit den anderen den Raum. Schwer auf ihren Bürostuhl niedersinkend vergrub Susanne ihr Gesicht in den Händen, weinte bitterlich und betete leise: »Lieber Gott, was mache ich jetzt mit den Menschen, die Lebensmittel und Wasser so dringend benötigen? Hätte ich doch nur nicht alles hingegeben. Sonst bin ich doch immer bedacht, Marken für unsere Bedürftigen zurückzuhalten. Lieber Gott, vergib mir!«

KAPITEL 3

DAVID, EIN SOLDAT DER »WELTGEMEINSCHAFT«

Davids Soldateneinheit, bestehend aus mehreren Asiaten und Deutschen, war weiter auf dem Streifzug durch Berlin und kam an einen Platz in der Nähe des Brandenburger Tores, der gefüllt war mit Menschen aus verschiedenen Ländern. Der große freie Platz war umgeben von farblosen, grauen, zum Teil eingefallenen Häuserfronten.

David schaute über den Platz und dachte: Kaufhäuser, so wie sie es vor ein paar Jahren noch gegeben hat, sind nicht mehr zu sehen. Nur noch eingeschlagene Fensterscheiben, zerstörte Ladenflächen und von Plünderern ausgeräumte ehemalige Geschäfte. Kein Baum, kein Strauch, denn die haben die große Trockenheit nicht überlebt. Nur noch Staub und Zerstörung umgibt die Menschen auf dem Platz und die sind arbeitslos, heimatlos, zum großen Teil auch krank, unfähig, eine Tätigkeit anzunehmen, oder auch der Sucht verfallen. Und er sah, dass fast alle der armen Menschen zerlumpt und schmutzig waren. David schnürte es vor Mitgefühl, welches er nicht haben durfte, das Herz zu.

Ein paar zerbeulte Autos standen am Straßenrand, aber auch Straßenbahnwaggons, die nicht mehr fuhren und in denen Menschen sich notdürftig eingerichtet hatten, um der Hitze zu entfliehen. Ab und zu sah David eine Straßenbahn, die noch intakt war, vorbeifahren. In der Luft über dem Platz konnte er nur selten ein Lufttaxi entdecken. Obwohl in den zwanzig Jahren zuvor die Ökonomie und die technische Entwicklung, leider nur für eine kurze Zeit, ihren Höhepunkt erreicht hatten, sah es jetzt so aus, dass alles mit großen Schritten, allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz, dem Abgrund entgegenging.

Nicht sehr weit entfernt, rechter Hand von ihm, befand sich das Reichstagsgebäude, welches keine gläserne Kuppel mehr hatte, aber sonst keine größeren Schäden aufwies. Von dessen Dach wehte eine schwarze Fahne mit einem weißen Kreis und in dessen Mitte sah man ein rotes Eisernes Kreuz. Das war die weltweit einzige Fahne, die jetzt für alle Länder und Kontinente wehte. Auch vom Brandenburger Tor wehte so eine schwarze Fahne. Das Tor hatte auch sehr unter den ständigen Erderschütterungen gelitten und war einsturzgefährdet.

David lief bei dem, was er dachte und sah, ein kalter Schauer über den Rücken, obwohl die Sonne brannte.

Einige der armen Menschen lagen auf der Erde, andere saßen oder liefen ohne Sinn hin und her. Ihre Kleidung war alt und zerschlissen. Es waren Menschen, die kein Zuhause mehr hatten, aber auch keinen Ausweg mehr in ihrem Leben sahen. Es waren aus der Gesellschaft Ausgestoßene. Die meisten von ihnen waren Ausländer, aber auch einst gläubige Muslime. Eigenartigerweise hatten sie keine Angst vor David und den anderen Soldaten.

Die Soldaten wussten es und umso mehr machte es manchen von ihnen Spaß, auf diese zu zielen.

Heiße, stinkende und staubige Luft umhüllte alle.

David bemerkte, dass sie von keinem der anwesenden Menschen beachtet wurden, und sie begannen mit Schießübungen. Etliche der armen Herumliegenden oder Sitzenden wurden getroffen. Er beobachtete, wie seine Kumpane sich über jeden freuten, den sie getötet hatten. David fühlte sich nicht wohl bei diesen Taten und zugleich bemerkte er, wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten und ihm seltsame Gedanken in den Sinn kamen. Wie kann es nur sein, ich bin wie gelähmt und nicht in der Lage, auf diese Menschen zu schießen.

Etwas in ihm hatte sich seit Längerem verändert, denn er verspürte neuerdings eine noch nie dagewesene Angst in sich aufkommen, und nicht nur das: Er zweifelte an sich und an seinem bisherigen Denken und Handeln. Aber um den Schein zu wahren und nicht in Verdacht zu geraten, ein Menschenfreund zu sein, schoss er unauffällig daneben.

Plötzliches Grauen vor seinen Mitstreitern, den sogenannten Freunden, erfüllte David und es ging ihm schlecht.

Dabei dachte er: Was war das wieder? Ich bin Soldat und muss machen, was mir befohlen wird. Wer war dieses junge Mädchen mit ihren langen blonden, lockigen Haaren und ihren großen blauen Augen? Als schaute sie mir bis in mein Herz hinein und als wollte sie sagen: Kehre um und tu das, was gut für die Menschen und auch für dich selbst ist. Wieder einmal diese eigenartigen Gefühle, die ich nicht gebrauchen kann. Die können mich noch meinen Kopf kosten. Ich bin ein gestandener Mann und muss mich beherrschen können.

Abends kehrte er in seine kleine Wohnung zurück, die sich in einem der noch intakten Wohngebiete befand. Im Zentrum Berlins war vieles zerstört, aber am Stadtrand und in den Vorstädten gab es noch bewohnbare Häuser.

David besaß ein Zimmer mit einem weißen Metallbett und einem dunkelbraunen, zweitürigen Kleiderschrank. Geradeaus befand sich ein Fenster, das die Sicht in einen schmutzigen Hinterhof freigab, und darunter stand ein viereckiger Tisch mit zwei Stühlen. Ein breites Waschbecken hing an der rechten Zimmerwand, ohne fließendes Wasser, das aufgrund der Wasserknappheit lange schon abgestellt war. Ein alter zerbeulter Wasserkanister stand davor. Ein kleiner Herd, der mit Sonnenenergie betrieben wurde, befand sich an der rechten Zimmerwand neben dem Waschbecken. Eine gemeinschaftliche Toilette gab es auf dem Flur.

David setzte sich auf das Bett und ließ den vergangenen Tag noch einmal Revue passieren. Er kam ins Nachdenken.

Was ist nur aus mir geworden? Ich, ein ehemaliger Medizinstudent, der sein Hobby zum Beruf machen wollte, der immer nur helfen wollte, wurde ein Unmensch und handle ohne Gewissen.

Was kann ich in meinem Leben ändern? Ich kann so nicht mehr weiterleben. Seit die Chinesen gemeinsam mit ein paar Wirtschaftsbossen und Politikern aus verschiedenen Ländern der Erde die Weltherrschaft und in Washington D. C. vor fünf Jahren das Kapitol als ihren Regierungssitz übernommen haben, ist das Leben für die noch verbliebenen Menschen auf der Erde schwer zu ertragen. Dann dieser Führer, der sich als unsterblich und als Gottheit bezeichnet, dieser Mensch, der egozentrisch und machtbesessen ist, wie kann das gut gehen? Aber wie kann ich diese schlimme Zeit überleben, ohne in Gefahr zu geraten und als Feind der jetzigen Machthaber geführt zu werden? Ich muss hierbleiben und versuchen, mich aus allem so gut wie möglich rauszuhalten. Durch jahrelange Propaganda und brutale Machtkämpfe gegen die damalige demokratische Ordnung sowie gegen alle Liberalen eroberte die sich »Weltgemeinschaft« nennende Partei die Zustimmung fast aller Amerikaner. In China waren diese Herrscher schon ein paar Jahre früher an der Macht und konnten dadurch in Amerika mit eingreifen und der jetzigen Partei zur Macht verhelfen.

David wusste keinen Ausweg, grübelte so vor sich hin und fand in der Nacht, die schnell hereinbrach, kaum Schlaf.

Als er endlich einschlief, träumte David, was er schon so lange nicht mehr getan hatte.

Er sah sich selbst als kleinen Jungen über eine Blumenwiese laufen, als plötzlich ein alter Mann vor ihm stand, ihn mit einem Lächeln ansah und sagte:

»Du bist mein kleiner Engel! Dich sah ich ein paarmal über diese wunderschöne Wiese laufen und dachte mir: Dieses Kind wird eines Tages etwas Einzigartiges sein und mir dienen.«

Dann verschwand dieser Mann so plötzlich, wie er gekommen war. Eine kurze Zeit darauf ging der Traum weiter. David sah sich als Schulkind gemeinsam mit seinen Geschwistern und Eltern am Tisch sitzen. Der Vater begann mit dem Tischgebet und alle stimmten ein. Die Eltern sahen glücklich aus, denn Essen und Trinken gab es reichlich. Dann sah David, wie die ganze Familie gemeinsam mit anderen Familien aus dem Ort, in dem sie lebten, in den Gottesdienst ging. Da traf er wieder auf diesen Mann. Er lächelte und nickte ihm zu. Als David zu ihm gehen wollte, war dieser aber nicht mehr zu sehen. Er konnte ihn nicht noch einmal sprechen, obwohl er ein großes Verlangen danach hatte. Dann stand plötzlich der alte Pfarrer lächelnd vor ihm, den sie als Kinder immer geärgert hatten. David hörte deutlich diese Worte, die keine waren. War es Gott, der zu ihm sprach?

»David, mein Junge, hast du wieder zu mir zurückgefunden?«

David wusste nicht, was er damit sagen wollte. Als kleiner Junge war er ein sehr sensibles und anhängliches Kind gewesen, das sich vor vielen Dingen gefürchtet hatte. Jetzt war er ein Mann, der sich vor nichts und niemandem mehr fürchtete. Oder doch? Plötzlich war da die Truppe mit dem Major, wie sie Menschen gewaltsam in die unterirdischen Tunnelgänge unter der Stadt führten. Es waren auch kleine Kinder und alte Menschen dabei und alle trugen ein leuchtendes Kreuz auf der Stirn, als Zeichen ihrer Verbundenheit mit Christus. David musste deshalb auf einmal weinen. Wie konnte er da nur mitmachen und nicht sehen, wie es den Menschen ging, die nicht so waren, wie es die »Weltgemeinschaft« forderte? Sein alter Pfarrer stand wieder neben ihm und sagte:

»Mein Sohn, sieh nur richtig hin, was du da tust. Aber wer zum Vater zurückkehrt, wird das ewige Leben erlangen. Der Herr vergibt alle Schuld denen, die ihre Schuld erkennen und um Vergebung bitten.«

Dann sah David seine Mutter, sie weinte, ging in ihrem Zimmer auf und ab und betete dabei laut zum Vater im Himmel. Er hörte sie sagen:

»Vater, vergib ihnen ihre Schuld und führe meine Kinder, die nicht mehr den rechten Weg gehen, auf den Weg zu dir, in dein Licht.«

Darauf sah David seinen Vater in seinem Arbeitszimmer über den Schreibtisch gebeugt sitzend und auch er betete zum Herrn für seine Kinder um den Segen und das Wirken seines Heiligen Geistes.

»Mein Junge, weißt du noch, wie wir zusammen mit den anderen Kindern aus der Gemeinde Loblieder sangen und unseren großen Gott priesen?«

David spürte, wie eine Hand bei diesen Worten über seinen Kopf strich. Als er aufsah, war es der alte Mann, den David die ganze Zeit gesucht und nicht gefunden hatte.

Da war er wieder, lächelte David an und David lächelte zurück. Dann sagte er:

»Werde wieder ein gläubiger Mensch und schaffe dir darin ein festes Fundament. Lebe in Frieden mit allen Menschen. Vertraue auf Gott. Er wird dir dabei helfen und dich befreien von den Fesseln der Sünde.«

Plötzlich spürte er im Traum, wie ihn ein strahlendes Licht umhüllte und ihn Gottes Herrlichkeit erfüllte und eins mit ihm wurde. Dann hörte er wieder die Stimme, sah den alten Mann aber nicht.

»Es ist alles gut und wird gut.«

Im Unterbewusstsein hörte David ein lautes Geräusch und wurde dadurch schweißgebadet geweckt. Er konnte nicht gleich aufstehen und den Tagesablauf beginnen, da er immer noch in seinem Traum gefangen war und ihm alles noch einmal durch den Kopf ging. Dann schüttelte er sich und sprang mit Schwung aus seinem Bett. Dabei dachte er: Was war das nur für ein eigenartiger Traum? Ich sah deutlich meine Eltern, wie sie um uns Kinder trauerten. Der Gott der Gläubigen ist ihnen schon immer sehr wichtig gewesen. Und mir? Ist er auch mir noch wichtig? Nein! Ich kenne ihn nicht mehr! Ich bin ein Soldat der »Weltgemeinschaft«! Das ist wichtig, denn wenn ich nicht mitmache, kostet es mich mein Leben!

An diesem Morgen, seine Soldatentruppe wartete schon an der nächsten Straßenecke auf ihn, um einen neuen Befehl des Auftraggebers, Major Alexander Bernhardt, auszuführen. Ich muss da hin und mitmachen, dachte er.

Schnell zog er seine Soldatenuniform an, die aus dunkelgrünem Stoff bestand und mit schwarzen Streifen an den Ärmeln und an der Hose versehen war. Auf der linken Brusttasche seiner Jacke befand sich ein weißer Kreis mit einem roten Eisernen Kreuz in dessen Mitte, das Symbol der Armee der »Weltgemeinschaft«. Dann stülpte er sich eine schwarze Tarnmütze über den Kopf. Diese Uniform trugen die Soldaten der »Weltgemeinschaft« auf der ganzen Erde. So verließ er die kleine Wohnung. Es ging an diesem Tag um ein Straßenviertel in einer Berliner Vorstadt, welches zu dieser Zeit von Christen bewohnt wurde, die sich nicht an die »Weltordnung« hielten und im Untergrund heimlich Gottesdienste feierten. Dieses Viertel sollte gesäubert werden.

Er hörte den Befehl und er fühlte plötzlich in seinem Magen ein flaues Gefühl und dachte: Kann ich so einen Befehl ausführen?

In seinem Kopf wirbelten die Gedanken und er ballte seine Hände zu Fäusten. Was ist nur mit mir? Was sagte dieser Major immer: Wir sind die, die den richtigen Glauben verbreiten, und nur wir wollen für alle Menschen Frieden und Sicherheit. Ich glaube es nicht mehr, aber ich muss mitmachen, sonst ist es mein Todesurteil.

Als sich die Truppe dem Straßenviertel der Christen näherte, befand sich in Davids Kopf nicht nur der Befehl, sondern auch das schlechte Gewissen.

Sie gingen von Haus zu Haus, von Bunker zu Bunker und verhafteten oder töteten die Menschen aus der dort lebenden Christengemeinde. Und wieder kamen die Gedanken: Ich kann nicht töten, so wie die anderen. Jedes Mal, wenn ich die Maschinenpistole im Anschlag habe und schießen will, sehe ich da nicht diese Menschen, die dastehen oder laufen, sondern ein liebreizendes Mädchengesicht oder dann wieder einen alten Mann, den ich in meinem Traum sah. Dann höre ich die Stimme, die flüstert: David, hab Acht! Es steht geschrieben, du sollst nicht töten.

Ein Glück war es, dass keiner der Kumpane mitbekam, dass David keinen einzigen der Christen erschossen hatte. Dabei lief ihm der Schweiß in Strömen von der Stirn, seine Hände wurden immer feuchter und Angst, die er vorher nicht gekannt hatte, erfüllte ihn. Seine Gedanken arbeiteten und David dachte: Wie kann man so einen Wahnsinn verhindern? In unserem Land gibt es Gruppierungen von Nichtgläubigen, die sich gegen diesen Irrweg auflehnen. Wie man weiß, kämpfen diese im Untergrund, und die Mächtigen der »Weltgemeinschaft« konnten bisher offenbar nicht herausfinden, woher sie ihre Informationen beziehen, denn wenn sie zuschlagen, dann immer genau dort, wo es am meisten schmerzt. Sehr oft passiert es während einer oder mehrerer Verhaftungen oder auch bei Angriffen auf Gläubige. Sie sind lautlos und fast unsichtbar. Die Medien dürfen aber nur das berichten, was vorgeschrieben wird. Jede Kleinigkeit wird zensiert, sodass die Wahrheit nicht an die Öffentlichkeit kommt.

Davids Gedankengänge nahmen ihm fast die Luft zum Atmen.

Am nächsten Tag wurde die Gruppe der gefangenen Christen und Andersgläubigen in die unterirdischen Gänge der Stadt geführt. Dort würden sie schwere Arbeiten verrichten müssen und ab dem Moment kein Tageslicht mehr sehen. Ihre Arbeit würde in der Herstellung von Waffen verschiedener Art bestehen.

Gemeinsam führten sie an diesem Tag die Gefangenen in die Dunkelheit, die mit schweren Eisenketten aneinandergefesselt waren. Die Gefangenen begannen zu singen:

»All deine Gnade genügt, die in meiner Schwachheit Stärke mir gibt. Ich gebe dir mein Leben und was mich bewegt. Allein deine Gnade genügt!«

Plötzlich sah David die gleichen Gesichter bei den Gefangenen, die er in seinem Traum schon einmal gesehen hatte, und es wurde ihm schlecht dabei. Er hatte das Gefühl, als ob er sich gleich übergeben müsste. Die Frauen und Männer sowie die Kinder und die alten Leute, er hatte alle gesehen. Es wurde David schwarz vor den Augen und der Schweiß rann ihm in Strömen den Rücken herunter. Er konnte es nicht begreifen, es war wie ein grausiges Spiel. Er dachte: Was ist hier los? Wie kann es sein, dass mir diese Menschen in einem meiner Träume erschienen? Diese Gesichter, traurig und verzweifelt, ohne Hoffnung.

Plötzlich entdeckte er dort an der äußersten Seite der Gefangenen den alten Mann. Er schaute David mitten ins Gesicht. Sein Blick war traurig, aber nicht so wie bei all den anderen Gefangenen. Dieser Mensch schien etwas Besonderes zu sein, denn er sah sehr stolz und gefasst aus, als ob er genau wüsste, was ihn erwartete. Der Blick zu David wurde immer intensiver, sodass er ihn nicht lange aushalten konnte und wegschauen musste. Als David wieder hinsah, war der alte Mann verschwunden.

»Das gibt es doch nicht!«, rief er den anderen zu und zeigte mit seiner zitternden Hand auf die Stelle, an der er den alten Mann zuletzt gesehen hatte.

»Was hast du?«, rief einer der Soldaten fragend zurück.

David besann sich und sagte daraufhin: »Ach, ich glaube, ich habe mich geirrt.« Danach erlebte er das gleiche Spiel mit weiteren Gefangenen. Immer wieder sah er diese Gesichter aus seinem Traum.

Auch andere Träume quälten ihn in den darauffolgenden Nächten. Sehr oft hörte und sah David seine Eltern in der Bibel lesend oder betend und dann fielen auch ihm die Bibelverse wieder ein, die er bei seinem alten Pfarrer gelernt hatte. Viele waren es, die David in den Jugendstunden gemeinsam mit Freunden gebetet hatte oder die sie in der Bibel gelesen hatten. Und er wälzte sich schwitzend im Schlaf von einer Seite auf die andere. Immer wieder kam dieser alte Mann daher und schaute ihn fragend an.

David war sich mit einem Mal sicher, dass alles, was von diesen Menschen der »Weltgemeinschaft« ausging, schlecht und nicht gut für sein Leben und das aller Menschen war.

In seinem Kopf arbeiteten die Gedanken. Wie komme ich aus diesem Teufelskreis heraus? Ich fühle mich im Angesicht des Bösen wie gelähmt und ohnmächtig.

Es war wie eine Besessenheit und er wurde wie von bösen Geistern belagert, aber er wollte es nicht mehr zulassen, dass sie ihn ganz in Besitz nahmen.

In diesem Moment erinnerte sich David an die Worte aus der Bibel, die Vater oft gesagt hatte: Ich verstehe ja selbst nicht, was ich tue. Das Gute, das ich mir vornehme, tue ich nicht; aber was ich verabscheue, das tue ich.

In dieser Nacht konnte er wieder schlecht einschlafen und setzte sich an den kleinen Tisch, der unter dem Fenster stand, legte den Kopf in die Hände und fing leise zu beten an: »Herr, mein Schöpfer! Du hast mir das Leben gegeben. Schenke mir nun auch die Einsicht und die Kraft, die ich brauche, um nach deinen Geboten zu leben! Herr, ich weiß, dass deine Entscheidungen richtig sind. Meine Eltern und unser alter Pfarrer haben mir, als ich noch ein Kind war, viel von Mitmenschlichkeit und der Liebe zu Gott beigebracht. Warum habe ich das alles nur so schnell vergessen können?«

Dann ging David vor seinem Bett auf die Knie und betete weiter, wie er es seit mehreren Jahren nicht mehr getan hatte: »Vater, vergib mir all meine Schuld, die ich auf mich geladen habe. Du weißt alles über mich und kennst mich, auch meine Lügen. Hilf mir in meiner großen Not, denn du bist Gott, mein Herr und Vater, mein Erlöser.« Die Worte gingen ihm leicht von den Lippen und er war sehr erstaunt darüber.

Plötzlich hörte David eine innere Stimme, die ihm sehr bekannt vorkam und die sagte: »Ich weiß alles, was du tust. Denn so, wie du bisher gelebt hast, kannst du vor mir nicht bestehen. Hast du denn ganz vergessen, wie du meine Botschaft gehört und aufgenommen hast? Besinne dich wieder darauf und kehre um zu mir. Wenn du nicht wach wirst, werde ich plötzlich da sein, unerwartet wie ein Dieb. Und du wirst nicht wissen, wann ich komme.« Auf einmal war er sicher und antwortete laut in die Stille hinein: »Herr, ich weiß es jetzt und ich werde deinen Willen tun.«

Danach fühlte sich David wie neu geboren, so frei und leicht wie schon lange nicht mehr.

Wie würde es meinen Eltern gehen? Ob sie noch am Leben waren? »Lieber Gott, behüte und bewahre sie vor dem Bösen und lasse uns eines Tages wieder zusammen sein.«

Seine Augenlider wurden schwer und die Müdigkeit überfiel ihn, sodass er sich in sein Bett legte und sofort einschlief.