9,99 €
«Das Fräulein und Sir Parzival, die müssen dort auf jeden Fall viel' Taten tun voll Kraft und Mut, nur dann wird alles wieder gut.» Nicht nur, dass aus dem komischen Stein, den Lina auf der Klassenfahrt gefunden hat, ein seltsamer kleiner Herr namens Sir Parzival erscheint – nein, sie soll auch das «Fräulein» aus der altertümlichen Prophezeiung sein und den Geist aus dem Stein von seinem Fluch befreien! Dafür muss sie aber mit ihm nach Anderweit reisen und dort die Mummelquelle wieder zum Sprudeln bringen. Kein Wunder, dass es dafür Mut braucht! Aber vielleicht kann Lina in dem ganz und gar magischen Anderweit nicht nur die Prophezeiung erfüllen, sondern von dort auch ihrer kleinen Schwester Hedi ein wichtiges Geschenk mitbringen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2024
Andrea Schomburg
Mit Illustrationen von Andrea Stegmaier
«Das Fräulein und Sir Parzival,die müssen dort auf jeden Fallviel’ Taten tun voll Kraft und Mut,nur dann wird alles wieder gut.»
Nicht nur, dass aus dem komischen Stein, den Lina auf der Klassenfahrt gefunden hat, ein seltsamer kleiner Herr namens Sir Parzival erscheint – nein, sie soll auch das «Fräulein» aus der altertümlichen Prophezeiung sein und den Geist aus dem Stein von seinem Fluch befreien! Dafür muss sie aber mit ihm nach Anderweit reisen und dort die Mummelquelle wieder zum Sprudeln bringen. Kein Wunder, dass es dafür Mut braucht! Aber vielleicht kann Lina in dem ganz und gar magischen Anderweit nicht nur die Prophezeiung erfüllen, sondern von dort auch ihrer kleinen Schwester Hedi ein wichtiges Geschenk mitbringen …
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Andrea Schomburg ist Lyrikerin, Kabarettistin und Autorin. Sie schreibt für Erwachsene und Kinder. Nach dem Studium der Anglistik und Romanistik arbeitete sie zunächst als Studienrätin, außerdem als Lehrbeauftragte für Lyrik und Theatertechniken an der Leuphana-Universität Lüneburg. Andrea Schomburg lebt in Berlin und Hamburg und ist Gründungsmitglied der «Elbautoren Kinder- und Jugendbuch».
Andrea Stegmaier, 1979 in Freiburg geboren, studierte zunächst Kunstgeschichte und Germanistik, dann Architektur. Erst spät machte sie ihre früh entdeckte Leidenschaft für Bilder- und Kinderbücher zum Beruf. Seit 2018 illustriert sie Bücher für Verlage im In- und Ausland und lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.
«Oh, du dreimal löcheriger Schnabelschuh!» Sir Parzival reckt stöhnend seinen Rücken. «Ich dachte schon, es kommt nie jemand darauf!»
Da weiß ich natürlich noch nicht, dass das Sir Parzival ist. Ich weiß nur, ich stehe in unserer Schule in der Turnhalle. Gerade vor zwei Minuten habe ich den Stein aus der Burgruine Schreckenfels zwischen den Fingern gedreht und dabei vor mich hin gesungen:
«So ein Schreck, so ein Schreck,
ist der Stein plötzlich weg,
ist er dann wieder da,
hurra!»
Und auf einmal fing der Stein in meiner Hand an zu rauchen und zu zischen, als ob er gleich explodieren würde. Ich ließ ihn fallen und rannte in die hinterste Ecke der Turnhalle. Mein Herz klopfte, als wollte es aus meiner Kehle springen. In meinem Kopf sah ich schon die Schlagzeile: «Schülerin in explodierter Turnhalle verschüttet!»
Aber der Stein explodierte nicht. Er blieb ruhig liegen. Irgendwie verdächtig ruhig, fand ich. Denn er rauchte immer noch. Und aus diesem Rauch bildete sich etwas. Oder eigentlich müsste ich sagen: bildete sich jemand.
«Sir Parzival, wenn Ihr erlaubet, dass ich mich vorstelle!» Der Jemand, der sich aus dem Rauch gebildet hat, verbeugt sich tief. «SIR Parzival, denn wisset, edelstes Fräulein, mein Ur-Ur-Ur-Großvater ward dazumal vom englischen König geadelt. Wer hätte gedacht, dass ich einstmals in einem Stein … Oh, tausendmal Dank, schönes Fräulein! Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben!»
Noch nie hat jemand «schönes Fräulein» zu mir gesagt. Aber das ist nicht der Grund, warum ich solche Schnappatmung bekomme, dass ich noch nicht mal mehr einen Buchstaben singen könnte.
«Was ist mit Euch, schönes Fräulein?» Sir Parzival sieht mich besorgt an. «Seid Ihr nicht recht gesund? Ihr seht so blass aus wie verschimmelter Stinkekäse, in dem schon die Maden wibbeln! Was steht Ihr da und starrt mich an, als wäre ich ein Geist? Äh – nun ja … obwohl …» Sir Parzival stockt und streicht sich verlegen seinen struppigen Schnurrbart.
Denn natürlich ist er ein Geist.
Ich starre ihn an, als wären meine Augen an ihm festgeklebt. Und dabei frage ich mich, wie lange es dauern kann, bis man vor Schreck einen Herzinfarkt bekommt.
Das nämlich, was ich sehe, dort in der leeren Turnhalle, genau zwischen den Kletterseilenund dem Mattenwagen, das ist ein ziemlich kleiner, ziemlich dicker Herr in altertümlicher Kleidung, wie man sie manchmal auf Mittelalterfesten sieht. Gerade am Wochenende ist bei uns eins gewesen, im Oldenfelder Park. Vielleicht, denke ich verwirrt, ist er ja einer von diesen Mittelalter-Leuten und einfach noch nicht nach Hause gefahren.
Aber … er ist durchsichtig.
Genau,durchsichtig. Ich kann alles an ihm genau erkennen, den Schnauzbart und das altmodische Wams und die Stiefel, deren Spitzen nach oben gebogen sind. Aber gleichzeitig sehe ich durch ihn hindurch den Barren, der von der Turnstunde noch stehen geblieben ist. Ich sehe den Barren sogar besonders deutlich, denn Sir Parzival leuchtet bläulich, um ihn herum ist etwas wie eine Art blauer Ganzkörper-Heiligenschein. Außerdem steht er nicht fest auf dem Turnhallenboden, sondern er schwebt, ungefähr zehn Zentimeter über dem Parkett schwebt er, so zart, als könnte ein Windhauch ihn wegpusten, obwohl er doch so dick ist.
Wenn das nicht alles typisch für Geister ist, weiß ich auch nicht. Ich versuche, ganz regelmäßig zu atmen. Ein-aus, ein-aus. «Ganz ruhig, Lina», sage ich zu mir selber, «sei gaaaanz ruhig. Das, was du gerade siehst, das kannst du gar nicht sehen. Weil es nämlich nicht da ist. Geister gibt es nicht, das lehrt die Wissenschaft!»
Wenn jemand das ganz genau weiß, dann ich. Gerade kurz vor der Klassenreise habe ich schließlich noch ein Referat über Geister gehalten.
«Immer wieder sind Orte untersucht worden», sagte ich am Schluss, «wo es angeblich spukte. Man hat Lichtreflexe gefunden. Oder kalte Zugluft in alten Gemäuern. Oder einfach zu viel Fantasie bei den Leuten, die die Geister gesehen hatten. – Nur eins hat man nie gefunden: Geister.»
Frau Unnasch war begeistert.
«Super, Lina! Alle wichtigen Informationen zusammengetragen, gut aufgebaut, überzeugend vorgetragen. Du hast klar bewiesen, dass es keine Geister gibt. Ein echtes Lina-Referat!»
Das stimmte, das passte genau.
Ich finde nämlich gern Dinge heraus. Ich mag Tatsachen. Und ich glaube nur an das, was man beweisen kann.
Deshalb würde ich auch nie denken, dass diese Geschichte wahr ist, wenn ich sie irgendwo hören oder lesen würde. Ich würde denken, dass jemand sie sich ausgedacht hat. Und mich dazu. Mich ganz besonders.
Geglaubt hätte ich so eine Geschichte nie.
Wenn nicht – na ja…
Wenn sie mir nicht selber passiert wäre.
Alles fing total harmlos und normal an. Die meisten Geschichten fangen ja zuerst normal und harmlos an, bis dann doch irgendetwas passiert, mit dem man niemals gerechnet hätte.
Ich hielt also das Referat.
Ich ging nach Hause, ohne ein einziges Mal auf die Zwischenräume zwischen den Gehwegplatten zu treten.
Ich wusch mir die gefährlichen Bakterien und Bazillen von den Händen. Genau dreizehnmal, wie jeden Tag, damit ich mich nicht mit einer grässlichen Krankheit anstecke. Und nicht nur mich selbst, sondern auch meine ganze Familie! Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir:
Aber ich wasche mir ja immer die Hände.
Hände waschen und nicht auf die Zwischenräume treten – damit kann man das Schlimmste verhindern.
Meistens.
An diesem Tag, am Tag vor der Klassenreise, ist auch tatsächlich nichts passiert, und das zeigt ja wohl, dass es wirkt.
Logisch.
Eigentlich mag ich Klassenreisen nicht besonders, obwohl sich alle darauf freuen. Es kann doch nicht gesund sein, zu mehreren in einem einzigen Zimmer zu schlafen, oder? Und außerdem ist man manchmal fast den ganzen Tag unterwegs und kann sich nicht ordentlich die Hände waschen. Auf der anderen Seite habe ich mir überlegt, dass ich immerhin Mama und Hedi und den Hund mit nichts anstecken kann während dieser Woche, weil ich ja nicht zu Hause bin.
Das ist ein Vorteil.
«Bringst du mir was mit?», hat Hedi gefragt.
«Klar», habe ich gesagt und meinen Kopf etwas weggedreht, damit ich sie nicht anhauche. Sie hat wieder doller gehustet an diesem Morgen, jedenfalls kam es mir so vor, und ich habe Mama gesagt, sie soll bloß nicht Hedis Asthmaspray vergessen. Ich bin ja jetzt eine ganze Woche weg und kann mich nicht darum kümmern, und für einen Augenblick habe ich sogar überlegt, ob ich überhaupt fahren soll.
Mama sah genervt aus. «Lina, wir können uns gut mal eine Woche behelfen, ohne dass du alles kontrollierst. Ich verspreche dir, wenn du zurückkommst, ist hier nicht alles zusammengebrochen!»
«WAS bringst du mir mit?», hat Hedi gefragt.
«Das, ähm, das ist eine Überraschung», habe ich schnell gesagt, weil ich es natürlich überhaupt noch nicht wusste. «Eine Oberraschung sogar, das ist noch viel besser, du wirst sehen!»
Hedi drückte zufrieden ihren weißen Kuschelhasen an sich, dem sie ein grünes Puppenkleid angezogen hatte, weil Grün ihre Lieblingsfarbe ist. Der Hase heißt Lutz. Er sieht schon ziemlich grau aus und ist leider bestimmt superunhygienisch, aber sie hat ihn von Papa und trennt sich nie von ihm. In der Waschmaschine würde er wahrscheinlich kaputtgehen, jedenfalls gibt es nirgendwo ein Schild, dass er waschbar ist. Der Hase, meine ich jetzt, nicht Papa.
Von Papa erzähle ich jetzt auch überhaupt nicht, er war ja auch gar nicht da. Selber schuld.
Außer Mama und Hedi war nur der Hund da, und der sah ziemlich traurig aus, als ich meinen Rucksack aufsetzte und an Hedis altem Bobbycar vorbei den Koffer aus der Haustür rollerte. «Es ist ja nur für eine Woche!», sagte ich zu ihm. (Also zu dem Hund, nicht zu dem Koffer, das wäre ja Quatsch gewesen, ein Koffer hat keine Gefühle. Glaube ich jedenfalls. Und der Koffer durfte ja auch mit auf die Klassenreise.)
«Tut mir leid, dass ich dich nicht knuddeln kann zum Abschied!», sagte ich noch zu dem Hund. Aber ich sagte es nur in meinem Kopf.
«Ist schon okay!», antwortete der Hund. «Ich weiß ja, warum. Mach dir keine Gedanken!» Er sagte es auch nur in seinem Kopf, aber ich hörte es genau.
Ich muss manchmal staunen: Wenn ich mal verreise, dann passiert so viel Neues, dass ich das Alte, also das Normale, fast vergesse. Ich habe sogar an manchen Tagen vergessen, mir die Hände zu waschen.
Es ist, als ob ich dann jemand anders wäre. Eine andere Lina.
Und diese andere Lina hat am letzten Tag der Klassenreise etwas gemacht, was die normale Lina nie getan hätte.
Sie hat sich gebückt und …
Aber ich muss erst mal erklären, wo das passierte. Wir haben nämlich eine Burg besucht, die Burg Schreckenfels bei Schrecklingen. Sie war aber gar nicht schrecklich, und eigentlich war es auch mehr eine Burgruine, die richtige Burg ist vor vielen Hundert Jahren zerstört worden.
Frau Unnasch saß auf einem Felsbrocken und knusperte Kekse, und Herr Wollmann, unser Co-Klassenlehrer, erklärte, wo früher der Burggraben gewesen ist und die Zugbrücke und wie hoch der Burgturm gewesen ist, von dem jetzt nur noch ein paar Mauern und Stufen stehen. Und dass das Wasserbecken Zisterne hieß. Er machte es ganz gut, glaube ich, aber ich konnte mich nicht so richtig konzentrieren, weil ich mir die ganze Zeit vorgestellt habe, Herr Wollmann wäre wirklich aus Wolle und man könnte ihn aufribbeln wie einen alten Pullover, und hinterher wäre er nur noch ein langer kringeliger Wollfaden.
Und wie ich das so dachte und dabei grinsen musste, da ist dieser Stein direkt vor meine Füße gerollt. Tim und Miran und die anderen Jungs kletterten ja überall auf der Burgruine herum, und die ganze Zeit gerieten kleine lockere Steine ins Rollen.
Der Stein, der vor meinen Füßen landete, war vielleicht so groß wie eine Aprikose, und er war eigentlich schwarz, aber in der Sonne leuchtete er grün. Und wie er mich so grün anfunkelte, als wollte er sagen: «Heb mich auf! Heb mich auf!», da ist mir siedend heiß eingefallen, dass ich ja noch kein Mitbringsel für Hedi hatte. Dabei war es doch der letzte Tag! Und ich dachte auf einmal, vielleicht könnte ich ihr den Stein mitbringen, denn Grün ist doch ihre Lieblingsfarbe, und ich könnte ihr sagen, dass es ein Glücksstein ist und ich den extra für sie gefunden hätte.
Und so hab ich mich schnell gebückt und den Stein aufgehoben. Er war schwer und rund und ganz glatt und fühlte sich irgendwie warm an, von der Sonne wahrscheinlich, dachte ich. Ich rubbelte ihn an meiner Jeans blank, obwohl er schon ganz blank war. Erstaunlich eigentlich,dass gar kein Dreck oder Staub an ihm klebte. So richtig sauber konnte er natürlich trotzdem nicht sein, und die normale Lina hätte es nie riskiert, ihn mitzunehmen, schon gar nicht als Geschenk für Hedi! Aber die andere Lina, die Klassenreisen-Lina, die hat ihn in die Hosentasche gesteckt.
Nach dem Ausflug zur Burg hatten wir noch Freizeit in Schrecklingen. In Gruppen durften wir durch die Fußgängerzone schlendern. Schrecklingen ist eine freundliche, verschlafene kleine Stadt. Ich hatte sogar das Gefühl, man kann die Pflastersteine leise schnarchen hören. Nie, das war klar, ist hier etwas Aufregendes passiert, und es würde auch nie etwas passieren.
Trotzdem hat uns Frau Unnasch eine Rede gehalten, als ob wir in New York oder London ins Gangsterviertel aufbrechen wollten. «Bleibt in eurer Gruppe!», hat sie gerufen. «Bleibt in der Fußgängerzone! Passt aufeinander auf! Und wenn ihr euch verlauft, fragt nach dem Marktplatz! Das ist hier!» Frau Unnasch zeigte um sich herum. «Oder fragt nach dem Denkmal von Sir Parzival! Par-zi-val von Schreckenfels!» Sie deutete hinter sich, wo ein sehr kleiner, sehr dicker Mann auf einem Steinpodest saß und schlecht gelaunt auf die Spitzen seiner nach oben gebogenen Schuhe blickte.
SIR PARZIVAL VON SCHRECKENFELS, stand auf dem Steinpodest. SPURLOS VERSCHWUNDEN AM TAG DES GROSSEN UNGLÜCKS, 13. SEPTEMBER 1423.
«Hier treffen wir uns! Treffpunkt um Viertel nach sechs!», schrie Frau Unnasch. «Achtzehn Uhr fünfzehn! Marktplatz! Denkmal Sir Par-zi-val!»
«Jaaa», murmelte Tim, «wir wissen es jetzt.»
«Viertel nach sechs. Am Tag des großen Unglücks», kicherte Serap und zeigte auf die Inschrift an dem Podest. «Zum Glück hat sie nicht gemerkt, dass heute gerade der 13. September ist. Und auch noch Freitag! Sonst würde sie uns gar nicht losgehen lassen, wenn an so einem Tag die Leute spurlos verschwinden.»
Serap hat am 14. September Geburtstag, deshalb wusste sie so genau, welches Datum war.
«Wenn sie sich solche Sorgen macht, die Frau Unnasch», sagte Lotte, als wir zum dritten Mal durch die einzige Straße der Fußgängerzone schlenderten, «hätte sie uns ja erlauben können, Handys mitzunehmen!»
Lotte war von uns allen am sauersten wegen der Handyregel. Mir machte es nicht so viel aus, ich sah es eher als ulkiges wissenschaftliches Experiment. Ich holte schon Luft, um etwas dazu zu sagen, aber was dann aus meinem Mund kam, das war: «Boah, guckt euch das an!»