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Susanne Fröhlich

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Beschreibung

Erst geparkt, dann ausgemustert? Nicht mit Monika! Charmant, lebensklug und voller Situationskomik: Im lustigen Roman »Geparkt« erzählt Bestseller-Autorin Susanne Fröhlich von einer nicht mehr ganz jungen Frau, die sich mit der Hilfe neuer Freundinnen gegen ihren Ex behauptet. Monika hat das große Los gezogen: Einen solventen Freund, der nicht nur ziemlich verliebt, sondern auch ganz schön großzügig ist. Immerhin überlässt er ihr seine Finca auf Mallorca – und finanziert ihr einen entspannten Lebensunterhalt. Dafür brauchte sie nichts weiter zu tun, als in Deutschland Wohnung und Job zu kündigen, um ganz für ihn da zu sein, wenn er am Wochenende aus Frankfurt einfliegt. Ein perfektes Arrangement. Jedenfalls war das bis vor vier Wochen so. Seitdem hat sie nichts mehr von ihrem Freund gehört. Also fast nichts. Denn da ist ja noch dieser Brief von seinem Anwalt, in dem steht, dass Monika die Finca pronto zu verlassen habe. Wohin sie gehen soll und wovon sie leben wird – davon steht da nichts. Und auch nicht, warum sie so plötzlich von der Prinzessin zur Obdachlosen degradiert wurde. Aber sie wird es herausfinden. Und auch, dass Mallorca noch ganz anders kann, als es im Urlaubsprospekt steht. Bestseller mit der Garantie zum Lachen Susanne Fröhlich schreibt mit herrlich ehrlichem Humor lustige Romane über ganz normale Frauen, die sich von den Stolpersteinen des Lebens nur vorübergehend aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Entdecken Sie auch die anderen humorvollen Bestseller der Kult-Autorin, die sich wunderbar als Urlaubslektüre eignen: - Heimvorteil - Ausgemustert - Abgetaucht

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Susanne Fröhlich

Geparkt

Roman

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Über dieses Buch

Monika hat das große Los gezogen: Einen solventen Freund, der nicht nur ziemlich verliebt, sondern auch ganz schön großzügig ist. Immerhin überlässt er ihr seine Finca auf Mallorca – und finanziert ihr einen entspannten Lebensunterhalt. Dafür brauchte sie nichts weiter zu tun, als in Deutschland Wohnung und Job zu kündigen, um ganz für ihn da zu sein, wenn er am Wochenende aus Frankfurt einfliegt. Ein perfektes Arrangement. Jedenfalls war das bis vor vier Wochen so. Seitdem hat sie nichts mehr von ihrem Freund gehört. Also fast nichts. Denn da ist ja noch dieser Brief von seinem Anwalt, in dem steht, dass Monika die Finca pronto zu verlassen habe. Wohin sie gehen soll und wovon sie leben wird – davon steht da nichts. Und auch nicht, warum sie so plötzlich von der Prinzessin zur Obdachlosen degradiert wurde. Aber sie wird es herausfinden. Und auch, dass Mallorca noch ganz anders kann, als es im Urlaubsprospekt steht.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Ich war Mitglied in [...]

Heute weiß ich das. [...]

Als mein Vater starb, [...]

Nach einem mittelprächtigen Abitur [...]

Bis, als ich sechsunddreißig [...]

Sven war eine Wende [...]

Aber zurück zu den [...]

So begann es mit [...]

Was soll ich anziehen [...]

Der Tag meines Fluges [...]

Der Anfang war nur [...]

Das Timing der Anreise, [...]

Ich gestehe es nur [...]

Noch drei Tage, und [...]

Abends brachte ich Michaela [...]

Wieder war ich am [...]

Am nächsten Morgen standen [...]

Was machst du wegen [...]

Daggi versuchte, sich ihre [...]

Elli und Manni waren [...]

Anneliese und Sandra drängten [...]

An diesem Tag kam [...]

Elli und Manni waren [...]

Abends, nachdem ich den [...]

Was steht heute auf [...]

Gerhard, mein neuer Patient, [...]

Auch Sandra war nervös. [...]

Wo is en des [...]

Während Elli in der [...]

Sandra und ich türmten [...]

Daggi, Anni und ich [...]

Dass nicht nur sein [...]

Jahrestag der Abschlussoperation »Parkgebühr.«

Danksagung

Für all meine Freundinnen, und ganz besonders für Conny. Und für Matthias. Und meine Familie.

Ich liebe Euch. Von ganzem Herzen!

Ich war Mitglied in einem Club, in den ich nie wollte. Einem Club, der ausgesprochen exklusiv ist und seine Mitglieder sorgfältig wählt. Ein Club, der allein Frauen vorbehalten ist. (Schon das hätte mir zu denken geben sollen!)

Keine hatte die Aufnahme beantragt oder sich gar beworben, ganz im Gegenteil. Alle sind, mehr oder weniger ohne ihr Zutun, hier gelandet. Untergebracht. Aufgehoben. Abgeschoben.

Ich bin eine von ihnen gewesen. Eine Geparkte. Ausgesetzt im vermeintlichen Paradies. In Warteposition geparkt. Auf die Abschiebung wartend.

Heute weiß ich das. Aber nachher ist man ja immer schlauer. Damals, noch vor einem Dreivierteljahr, erschien mein Leben von außen betrachtet fantastisch und beneidenswert. Sorglos in jeder Hinsicht. Ein Hauch von Schlaraffenland mit Allzeitsonne.

Ich lebte auf einer großen Finca im Südosten der Insel Mallorca. Mit Pool, Poolboy, Haushälterin, Gärtner, und für besondere Anlässe hatte ich sogar einen Koch. »Läuft bei dir«, hatte eine alte Freundin aus Deutschland angemerkt, und genauso war es mir auch vorgekommen. Ich war bestens versorgt, sicher und fühlte mich wohl. Dass ich als menschliche Made im Speck für diese naive Ahnungslosigkeit, diese trügerische Sicherheit irgendwann bezahlen müsste, ist mir nicht in den Sinn gekommen. So viel und noch viel mehr habe ich inzwischen kapiert.

Denn all das existiert nur noch in meiner Erinnerung. Die Finca, der Pool und das ganze Drumherum.

Erst war ich eine Kurzzeitgeparkte, dann entpuppte sich Mallorca als ein Dauerparkplatz, und mit dem Ablauf der Parkzeit kam die Zwangsräumung.

 

»Das ist der klassische Lauf der Dinge, Sie sind nicht die Erste und mit Sicherheit auch nicht die Letzte!«, hatte »meine« Haushälterin Anneliese gesagt, als ich meine Habseligkeiten zusammenpackte, und mit den Schultern gezuckt. Ohne jedwede Anstalten zu machen, mir zu helfen. Sie wusste, dass nicht ich ihr Gehalt zahlte. »Hier waren schon zwei von Ihrer Sorte, und es werden andere folgen. Das ist das Spiel. Kurz, schön und endlich. Wie nach einem herrlichen Rausch der dicke Kopf am nächsten Tag! Alles inklusive.«

Empathie geht anders. Doch Annelieses Vortrag war noch lange nicht zu Ende. Ihre Worte von damals haben sich in mein Hirn gebrannt. »Reißen Sie sich zusammen, Sie haben keinen Krebs. Es ist nur ein Mann. Davon laufen draußen viele rum, wenn Sie denn unbedingt einen wollen. Und mal ehrlich, so was kommt von so was. Jammern hilft da nicht!«, lautete ihr abschließender Ratschlag.

Anneliese hatte gut reden. Sie hatte Arbeit, eine Wohnung und machte sich augenscheinlich nicht besonders viel aus Männern. Jedenfalls nicht aus der Sorte Mann, die ich insgeheim bevorzuge. Ich hatte, ehrlich gesagt, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, keine Ahnung von Annelieses Privatleben. Ich habe nie nachgefragt. Es hat mich, auch wenn es peinlich ist, das einzugestehen, nicht interessiert. Anneliese war die Haushälterin, keine Freundin. Ich habe nicht nachgefragt, was Annelieses »so was kommt von so was« genau heißen sollte. Mir war klar, da würde ich keine nette Antwort bekommen.

Aber natürlich hatte Anneliese recht. So was kam von so was. Dieser Satz rumorte in mir. Mein »So was« hieß Sven. Sven war die Karte, auf die ich gesetzt habe. Meine alleinige Karte. Ein vermeintlicher Joker.

 

Er war mein Jackpot gewesen.

 

»Was ein Segen, wurde auch Zeit, gerade noch die Kurve bekommen!«, hatte meine Mutter erleichtert geseufzt, als ich ihr Sven präsentierte. »Du bist in einem Alter, wo es schwierig werden kann!«

»Es« war die Akquise des passenden Mannes. Das Ziel im Leben einer Frau. Das hatte mir meine Mutter schon früh klargemacht. Mädchen sind, wenn sie Glück haben, hübsch, mit viel Glück sehr hübsch. Mit dieser Ausstattung versehen, haben sie dann die Chance, einen »Sven« abzubekommen. So war die Währung. Ich habe Glück gehabt und war hübsch. Wirklich hübsch. Ich weiß, das über sich selbst zu sagen klingt eingebildet. Aber es war so. Meine Mutter war darüber sehr erleichtert. »Ohne gutes Aussehen, Monika, ist das Leben für Frauen kein Spaß!«, hatte sie mir früh eingetrichtert. »Dann musst du dich mit denen zufriedengeben, die übrig bleiben. So wie all die Frauen, mit denen es die Natur nicht gut gemeint hat. Ein bisschen wie Resteessen.« So lautete das knallharte Mantra meiner Mutter. Wieder und wieder hat sie mir das eingebläut. So lange, bis ich die Botschaft intus hatte und daran glaubte. Irgendwann setzt sich alles im Gehirn fest. Wird von der Behauptung zur Tatsache. Schönheit war entscheidend im Kampf um die fettesten Fische im Teich. Die besten Männer.

Auch meine Mutter war immer sehr gut aussehend gewesen, geradezu schön. »Meine Nase ist einen Tick zu breit, dummerweise hast du das geerbt, deine ist sogar noch einen Ticken breiter, aber der Rest ist in Ordnung. Das sollte langen.«

»Langen wofür?«, habe ich als kleines Mädchen häufig gefragt, aber meine Mutter hat mir immer wieder sehr deutlich gemacht, worum es im Leben hauptsächlich ging. Für eine Frau. »Einen guten Fang machen!«, nannte sie es. Dann sei das »Klassenziel« erreicht. Und um diese begehrte »Beute« musste man sich mühen, so wie es meine Mutter auch getan hatte.

Mein Vater war ein wohlhabender Mann gewesen, ein erfolgreicher Banker. Nicht ganz oben, aber gehobenes Mittelfeld. »Er hätte jede haben können, er war bei uns in der Gegend der begehrteste Junggeselle, aber er hat sich für mich entschieden«, hat meine Mutter ständig mit Stolz erzählt. »Ich habe es ihm nicht leicht gemacht, war, wie sagt man heute: hard to get. Du weißt ja, Monika: Willst du gelten, mach dich selten. Wenn sie nicht kämpfen müssen, macht das die Beute wertlos.«

Mit all diesen vermeintlichen Weisheiten war ich aufgewachsen. Groß geworden. Als Einzelkind. »Du reichst mir!«, hatte meine Mutter oft genug gesagt, immer dann, wenn ich nach Geschwistern fragte. Mich danach sehnte. Welche reklamierte. Auf Verstärkung hoffte. Dieses knappe »Du reichst mir« konnte man sehr unterschiedlich deuten. Ich habe es nie hinterfragt, wollte nicht hören, dass ich allein schon anstrengend genug war. Aber eines musste man meiner Mutter lassen, die Aufzucht und Kindererziehung lagen fast komplett in ihrer Hand.

Mein Vater, der angeblich begehrteste Junggeselle überhaupt – zumindest in der unmittelbaren Gegend –, war quasi nicht vorhanden. Als Vater eine Art Totalausfall. Ich sah ihn, wenn er von der Arbeit kam und mir, bevor ich ins Bett ging, noch mal über den Kopf strich. Ansonsten hieß es ständig: Sei leise, dein Vater braucht Ruhe. Oder: Er muss arbeiten. Oder sich nach der harten Arbeit ausruhen. Oder heute besonders viel arbeiten. Fast so, als würde Papa in einem Steinbruch roboten. Meine Mutter mühte sich wahrlich, der Vater war immer weniger zugegen. War selten zu Hause, irgendwann nicht mal mehr am Wochenende. »Erfolg hat seinen Preis!«, betonte Mutter und entschuldigte seine aushäusigen Wochenenden mit einem schmallippigen »Dienstreise«. Es war nie laut bei uns, es wurde nicht geschrien, aber die Stille bei uns hatte etwas Bedrohliches. Wie eine Stille vor einem großen Sturm. So als würde etwas herannahen. Es herrschte eine unterschwellige Eisigkeit. Ich erinnere mich genau, wie ich dachte: Glück sieht mit Sicherheit anders aus. Fröhlicher. Wilder. Und auch lauter. Stille hat oft mit Vorsicht zu tun, und genau so kam es mir immer vor. Alle waren vorsichtig, damit Papa sich nur ja wohlfühlte.

Mit fünfzehn Jahren traute ich mich endlich, meine Mutter anzusprechen, auf das Fehlen von Fröhlichkeit. Von Glück. Ihre Antwort war für ihre Verhältnisse vehement und laut: »Davon verstehst du nichts, Monika. Ein Mann wie dein Vater braucht Ruhe und seinen Freiraum. Er versorgt uns gut. Es fehlt uns an nichts. Oder? Und Glück, ich bitte dich, Kind, was ist denn bitte Glück? Davon hast du so gar keine Ahnung.« Es schwappte eine Welle der verbalen Bitterkeit aus ihr heraus. Es war klar, dass ich an dieser Stelle besser den Mund hielt. Wann man das tat, hatte ich früh verstanden.

Als mein Vater starb, war ich gerade mal achtzehn Jahre alt. Ein Herzinfarkt. In der Bank. Am Wochenende. An einem Sonntagabend. Bis heute zweifle ich daran, glaube diese Darstellung nicht. »Wer hat ihn denn gefunden? An einem Sonntag? Da ist doch niemand da?« Meine Mutter hat meine Zweifel abgetan. »Er ist tot, ein Herzinfarkt. Das ist weiß Gott schlimm genug. Mehr hat dich nicht zu interessieren.« Die Antwort war Bestätigung genug, dafür, dass irgendwas an der Geschichte nicht stimmte. Aber am Ende war es wirklich egal. Trotzdem ließ es mir keine Ruhe. Ausnahmsweise habe ich aufgemuckt. Insistiert. Nachgehakt.

Erst sehr viel später habe ich erfahren, dass es eine andere Frau gab. Und diese Frau hatte Mama angerufen und ihr vom Tod berichtet. Eine Frau, bei der mein Vater große Teile seiner Wochenenden verbracht hatte. »Nicht von Bedeutung!«, war Mamas Kommentar. Manchmal schien es mir, als hätte der frühe Tod meines Vaters, eines Mannes, der mir in den achtzehn Jahren immer ein wenig fremd geblieben war, meiner Mutter in den Kram gepasst. Witwe zu sein war etwas Ehrenhaftes. Verlassen zu werden hingegen eine Schande. Ein toter Mann konnte einen nicht mehr verlassen. Das war, bei aller Trauer, ein verdammt ordentlicher Pluspunkt. Wenn ein Mann sich trennte, die Familie verließ, dann hatte die Frau versagt. Etwas falsch gemacht. So war das in den Augen und der Welt meiner Mutter. Aber eine Frau wie meine Mutter machte nichts falsch, schon deshalb war der Tod gnädig mit ihr. Nach dem Infarkt war eine Gefahr gebannt, und das endgültig. Mama musste sich nicht mehr vor einer Trennung fürchten. Das Problem war final gelöst.

Sie bekam Witwenrente, ganz ordentlich, wie sie sagte. Das Haus war nahezu abbezahlt, aber zu ihrem Erstaunen gab es kein Erspartes. Wer weiß, wofür mein Vater große Teile seines Einkommens verwendet hatte?

Dass kein großes Erbe auf mich gewartet hatte, war mir damals komplett egal. Aber ich war traurig und bestürzt darüber, dass ich nie mehr die Chance haben würde, meinen Vater kennenzulernen. »Behalte ihn so in Erinnerung, wie er war, und hör auf, ständig Fragen zu stellen, Monika!«, hatte meine Mutter seitdem alle Fragen abgewiegelt und sich jedem Gespräch über diese Thematik entzogen. Sie wollte nicht über meinen Vater reden. Das Idealbild vom begehrtesten Junggesellen hatte Risse bekommen, aber wenn man nicht hinschaut, sieht man sie auch nicht. Das war und ist ein Talent meiner Mutter. Nur das zu sehen, was genehm ist. Den Rest ausblenden, eine beneidenswert erfolgreiche Taktik. Aber wie sollte ich einen Mann in Erinnerung behalten, der für mich nicht mehr war als ein gelegentlicher Besucher in unserem Haus? Er hatte mir Fahrradfahren beigebracht und Schwimmen. Das waren meine Haupterinnerungen. Drei Nachmittage im Freibad und zwei Wochenenden in einer nahe gelegenen Sackgasse. Hatte er je mit mir gespielt? Mir vorgelesen? Gekuschelt? Vokabeln abgefragt? »Monika, was für einen Unsinn fragst du da? Das war meine Aufgabe. Die Bereiche waren klar getrennt. Er hat das Geld verdient. Und was ist überhaupt mit dir los? Du warst so ein pflegeleichtes Kind und immer vollkommen zufrieden. Also hör endlich auf mit diesem Gefrage«, hatte Mutter sehr bestimmt artikuliert. Und ich habe aufgehört. Denn ja, ich war pflegeleicht. Weil pflegeleicht immer auch bedeutete, dass man keinen Ärger bekam. Einfach vor sich hin leben konnte. Das war es, was ich als Kind getan habe. Vor mich hin gelebt. In meiner Erinnerung war ich nicht unglücklich, aber auch nicht glücklich. Irgendwas dazwischen. Glück und Unglück hatten mich gelegentlich gestreift, waren aber nie dominant. Eher wie ein Windhauch über mich hinweggehuscht. Indifferent.

Nach einem mittelprächtigen Abitur und meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin bin ich ausgezogen. Habe Abstand zwischen meine Mutter und mich gebracht. Immerhin knapp siebzig Kilometer. Zu weit, um eben mal vorbeizuschauen, etwa für Spontanbesuche zum Kaffee. Eine Form von Sicherheitsabstand. »Du hättest sicherlich auch hier was gefunden und dann umsonst gewohnt. Das Haus bietet wirklich genug Platz. Und wir zwei kommen doch gut klar!«, hatte Mutter versucht, mich umzustimmen. Es klang fast bittend. Ungewöhnlich für sie.

Aber ich habe mich, ungewohnt und neu in diesem Kontext, mal nicht gefügt. Natürlich hätte ich auch rund um unser Zuhause in Darmstadt etwas gefunden. Aber ich wusste, wenn ich jetzt den Absprung nicht schaffte, dann würde ich für immer hier festsitzen. Butzbach wäre mir normalerweise nicht in den Sinn gekommen, aber alles war besser, als in Darmstadt zu bleiben. Zu Hause.

Ich sei aufgeblüht, sagten jedenfalls meine Freunde »Du bist anders, seit du allein lebst.« Das mochte so wirken, aber innen drin war ich noch immer die pflegeleichte Tochter. Die ließ sich auch durch siebzig Kilometer nicht abschütteln. Die saß fest. Wie einzementiert. Dauerimprägniert. Eine Art zusätzliches inneres Organ.

 

Nie mehr habe ich mit meiner Mutter über meine Jugend, meine Kindheit oder meinen Vater gesprochen. Wann immer ich eines der Themen anschnitt, blockte meine Mutter. Es führte nur zu schlechter Stimmung, nie zu irgendeiner Erkenntnis. Also ließ ich es irgendwann. Man sollte wissen, wann man die Klappe hält.

Zum Todestag ging es gemeinsam ans Grab, das Mutter immer picobello ordentlich hielt. Das war ihr wichtig. Sie harkte, jätete und pflanzte, als gäbe es einen internen Friedhofsgrab-Wettbewerb. Es könnte ja jemand etwas zu beanstanden haben. Außenwirkung war das Ding für meine Mutter. Was denken die Leute, was könnten sie denken? Was sagen?

Wir sahen uns nicht häufig. Mama und ich. Weihnachten war neben dem Todestag gesetzt. Jahr für Jahr saß ich mit meiner Mutter in dem großen Haus unter einer gigantischen Tanne, und immer war ich heilfroh, wenn ich am 27., nach den Feiertagen, fahren konnte. Mit halbwegs gutem Gewissen. Ich brachte es nicht übers Herz, meine Mutter an Weihnachten allein zu lassen. Es ist mir nicht mal als Möglichkeit in den Sinn gekommen. Es war nun mal Tradition, und wir waren beide ohne Partner. Alleinstehend. Eine Tatsache, die Mutter Jahr für Jahr zum abendfüllenden Thema ausweitete, Jahr für Jahr mit mehr Dringlichkeit, fast so, als würde ein geheimer und unsichtbarer Countdown ablaufen. Als hätten Frauen ein Verfallsdatum, das man strikt im Auge behalten musste. Umgekehrt, wenn ich mich mal traute zu fragen: »Willst du denn den Rest deines Lebens allein bleiben?«, war die Antwort immer kurz und knapp. »Ich hatte einen Mann, das reicht.« Ein Kind, ein Mann. Alles sehr übersichtlich.

Ich hatte Beziehungen, immer mal wieder, aber nie war jemand dabei, den ich meiner Mutter präsentieren konnte oder wollte. Zu vage, zu provokativ, zu unpassend, immer gab es ein »Zu«.

Bis, als ich sechsunddreißig Jahre alt war, Sven in mein Leben trat. Ich wusste, mit Sven konnte ich bei meiner Mutter punkten. Der würde alle Kriterien, die sie für wichtig hielt, erfüllen, denn Sven hatte alles, was meine Mutter für unverzichtbar hielt: Geld.

Dass Sven nicht gut aussehend war, auch nicht besonderes liebenswürdig – geschenkt, fand Mama. Da sei ich zu streng und zudem zu naiv. Beides seien Bereiche, für die Frauen zuständig seien. So sei das nun mal. Außerdem: Irgendwas sei immer. Da müsse man mal ein oder zwei Augen zudrücken. Du musst halt nicht immer so emotional sein«, riet sie. Ein wenig Rationalität wäre bei der Partnerwahl nun mal entscheidend.

 

Sven wusste, wie man Frauen wie meine Mutter zu erobern hatte. Er zog das ganz große Besteck: ein enormer Blumenstrauß (der nonverbal schrie: Ich war teuer!), vollendete Manieren, Schmeicheleien zuhauf und das subtile Bekunden ernster Interessen. Mama war spätestens nach dem »Sie können gar nicht die Mutter sein, sie sehen aus wie Schwestern! Was hat meine Monika damit für fantastische Gene!« verzückt. Egal, wie billig die Lobhudeleien waren, sie wurden immer gerne genommen. Ich hatte dennoch, oder vielleicht sogar gerade deswegen, Zweifel. Ich wollte, dass ein Mann meiner Mutter gefiel, einerseits, andererseits machte genau das mir verdammte Angst. Sollte sich ein Beuteschema nicht weiterentwickeln? War die Begeisterung meiner Mutter nicht das größte Warnsignal?

»Du solltest nicht zu lange zögern, ein Mann wie Sven ist schnell weg!«, hatte Mutter eindringlich gesagt, als ich ihr von meinen Bedenken erzählte. »Er ist frisch getrennt, ich weiß nicht, ob das nicht zu schnell geht?«, hatte ich angemerkt. »Das Zeitfenster, das dir bleibt, könnte knapp sein, Monika«, lautete die pragmatische Antwort meiner Mutter, »manchmal ist die, die wartet, am Ende die Gelackmeierte. Manche Chancen sind dann einfach weg. Sei nicht dumm. Du wirst auch nicht jünger, und andere stehen bereit.« Sven, so dachte meine Mutter, sei meine »Last-minute«-Chance. Der Ausweg aus dem vermeintlich trostlosen Singleleben. Dabei war es lange nicht so trostlos, wie Mutter dachte.

Ich war einigermaßen zufrieden mit meinem Job, hatte nette Freunde, wenn auch in überschaubarer Zahl, und lebte entspannt vor mich hin. Butzbach war nicht New York, nicht mal Frankfurt und ehrlich gesagt nicht mal Darmstadt, aber ich fühlte mich ganz wohl. Mein Leben war, auf einer Skala von 1 bis 10, eine fette 6. Immerhin. An sich alles kein Grund zur Panik. Allerdings auch nicht zur Ekstase. Es war in Ordnung, aber weit entfernt von aufregend oder spannend oder rundherum glücklich. Schon deshalb gab es manchmal ein tief sitzendes Nagen in mir. Ließ ich zu, dass mein Leben so mittelmäßig an mir vorbeizog? Ist da nicht mehr drin? Warum nur finde ich den »Einen« nicht? Warum gelingt das anderen? Einen, mit dem sie ihr Leben genießen. Es sich hübsch machen. Warum nur tue ich mich mit festen Bindungen so schwer? Was mache ich falsch? Warum kann ich mich nicht einlassen? Keine meiner »Beziehungen« hatte länger als eineinhalb Jahre gehalten. Zu unterschiedliche Lebenskonzepte. Zu klammerig oder zu unverbindlich. Zu wenig Gemeinsamkeiten. Vielleicht auch zu hohe Ansprüche an das, was man sich unter Beziehung vorstellte. Ein Rausch der Hormone, gepaart mit Romantik und Gleichklang der Seelen.

Natürlich reflektierte ich die Beziehung meiner Eltern. Ich wusste, das war alles andere als optimal gelaufen, jedenfalls für meine Idee und mein Ideal von Partnerschaft. Aber konnte man gescheiterte Liebesbeziehungen der Eltern, eine miese Ehe haftbar machen für alles, was im eigenen Liebeskosmos schieflief? Nein. So einfach wollte ich es mir nicht machen. Das ist, als schriebe man sich selbst eine dauerhaft gültige Entschuldigung. »Monika kann leider an Beziehungen nicht teilnehmen, sie ist nicht liebesfähig, weil die Ehe ihrer Eltern keinen Vorbildcharakter hatte. Wir bitten ihr Fernbleiben von der Liebe zu entschuldigen!«

Mein Leitsatz in dieser Hinsicht war: Irgendwann ist es zu spät für eine unglückliche Kindheit. Vor allem, weil ich nicht mal sagen konnte, ob sie wirklich unglücklich war. Sie war, das ist sicher, nicht geprägt von Heiterkeit, hatte mehr als selten etwas Leichtigkeit, aber habe ich gelitten? Ich hatte ein schönes Zuhause, meine Mutter hat sich gekümmert, um all meine Belange und das Haus, den Haushalt, und stellenweise war sie liebevoll. Dass mein Vater vor allem durch Abwesenheit geglänzt hat, war in meiner Generation nicht die Ausnahme, sondern fast schon die Regel. Männer gingen zur Arbeit, um der Familie zu Hause ein möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen. Diesen Part hatte mein Vater definitiv erfüllt. Unser Haus damals war eines der größten im Viertel. Konnte man sich beschweren, dass man gerne mehr Spaß gehabt hätte? Oder war das eine Maßlosigkeit?

Wie oft hatte ich meine Klassenkameradin und Freundin Michaela beneidet. Klar, deren Familie hatte nur eine kleine Wohnung, eine sehr kleine Wohnung, wie meine Mutter oft spitz bemerkte, vor allem im Vergleich mit unserem Haus, aber bei Michaela war die Stimmungslage eine andere. Warm. Man fühlte sich wohl, willkommen. Anders als bei uns. Besuch in unserem Haus war Störung. Bei Michaela war es laut und chaotisch. Mama fand, die Familie meiner Freundin sei fast schon asozial. Kein Umgang für mich. Allzu offensichtlich kein Akademikerhaushalt. Dabei war meine Mutter selbst keine Akademikerin, aber der Universitätsabschluss meines Vaters galt für die gesamte Familie. Michaelas Vater war Installateur, ihre Mutter Kassiererin, Michaela trug auch mal einen Pullunder mit Fleckresten oder hatte kein Pausenbrot dabei. Das hätte es bei meiner Mutter nie gegeben. Hier konnte ich ihr keinerlei Vorwurf machen. »Warm, satt und trocken, das ist es, was es braucht im Leben«, war eine weitere Lebensweisheit von Mutter, und ja, diese drei Haken konnten immer gesetzt werden.

Sven war eine Wende im Leben. Ein Einschnitt.

Er war ein Mann, der wusste, was er wollte. Und das, was er wollte, war ich. Eine Tatsache, die mir unglaublich schmeichelte, vielleicht, weil ich mich zwar für recht hübsch, aber doch, wenn ich ehrlich mit mir war, insgesamt für relativ belanglos hielt. Einen Hauch langweilig. Insofern war Svens offensives Buhlen um meine Gunst eine neue Erfahrung für mich. Die Männer bisher in meinem Leben hatten sich nie so sehr ins Zeug gelegt.

 

Elite Partner, ein Partnerschafts-Suchportal für den »anspruchsvollen Single«, war der Ausgangspunkt. Ich habe Sven dort vor drei Jahren kennengelernt. Ich war sechsunddreißig, er neunundvierzig. Eigentlich war er mir zu alt. Zehn Jahre Abstand nach oben oder unten war mein Suchradius gewesen. Aber wegen drei lächerlicher Jahre mehr kleinlich sein und vielleicht die große Liebe verpassen? Ich dachte, so eine Detailversessenheit könne ich mir nicht mehr leisten.

 

Sven sah im Altersunterschied (welche Überraschung!) kein Problem. »In den besten Jahren eines Mannes« sei er. Ich erinnere mich genau, was ich damals dachte: Wenn das deine besten Jahre sind, dann prost Mahlzeit. Sein übersichtliches Resthaar war gegelt, nach hinten, sein Bauch und das Wort Sixpack hatten nie voneinander gehört, und seine Nase war groß, dafür die Lippen schmal. Das Größte an ihm war allerdings sein Ego, das man mühelos noch aus dem Weltall hätte erkennen können. Aber eins musste man Sven lassen, er hat sich echt bemüht. Ich war zu Beginn eher zurückhaltend, keine Spur von akuter Schockverliebtheit. Großzügig fand ich ihn, höflich, irgendwie interessant, aber selbst bei viel Wohlwollen nicht wirklich attraktiv.

»Kind, ich bitte dich, das ist nun wirklich nicht das Entscheidende!«, hatte meine Mutter gesagt und dabei bedeutungsschwanger mit dem Kopf geschüttelt. »Vermögen, Zuverlässigkeit und Sicherheit, das sind die wichtigen Dinge bei der Männerwahl. Alles andere läuft unter Bonuspunkte. Schön, wenn es sie gibt, aber nicht zwingend erforderlich. Ein hübscher Körper, gutes Aussehen allgemein ist auf lange Strecke nicht die Garantie für eine gute und stabile Beziehung. Und, unter uns, das wirst du merken, auf Dauer auch oft nicht mehr so hübsch.« Das habe ich inzwischen begriffen und erfahre es am eigenen Leib. Das Material wird nicht besser. Der Körper leidet mit den Jahren. Lässt sich – im wahrsten Sinne des Wortes – ein wenig hängen. Meiner war sicher der ausschlaggebende Punkt, warum Sven sich so hartnäckig um mich bemüht hat. Meine Figur damals war top. Ich habe beim Arbeiten genug Frauen gesehen, und wenn ich mich verglich, schnitt ich immer gut ab. Das klingt eingebildet, war aber so. Ich stellte es nur fest. Ich war eben sportlich, allein schon, um den Anforderungen meines Berufes zu genügen. Als Physiotherapeutin muss man fit sein, das habe ich während meiner Ausbildung begriffen. Sonst hat man selbst schnell Rückenprobleme und das ein oder andere Wehwehchen. Ich bin immer gelaufen und ging regelmäßig in die Muckibude. Kombinierte das brav mit Yogaübungen und ging ab und an schwimmen. Dazu fuhr ich mit dem Rad zur Arbeit. Ich war die lebende Disziplin. Und ich habe, wie man immer so schön sagt, gute Gene. Auch meine Mutter war nie, wie sie es selbst mit einer gewissen Verachtung nannte, aus dem Leim gegangen. Man ließ sich nicht gehen in meiner Familie. Das war der Anfang vom Ende für meine Mutter. Man achtete auf sich. Wir aßen immer maßvoll und überlegt. Heißhunger und Fressorgien gab es nicht bei uns. Weihnachten war die große Ausnahme. Da gab es mal zwei Klöße oder eine Handvoll Plätzchen. Etwas, was sich nachgerade verwegen anfühlte. Als Physiotherapeutin hat man Vorbildfunktion, dieser Satz hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Und zugegeben: Ich mochte es, schlank zu sein. Die Bewunderung meiner Figur gefiel mir. Wenn ich mir das jetzt klarmache, steigt Scham in mir auf. Wie peinlich und profan. Sich an seinen eigenen schmalen Schenkeln zu ergötzen. »Wie machst du das nur, ich könnte das nicht!«, sagten Frauen um mich herum oft zu mir. Diese Anerkennung war Balsam für die Seele. Etwas zu schaffen, woran andere schon gedanklich scheiterten, war mir immer auch Ansporn. Noch bevor intermittierendes Fasten en vogue war, aß ich oft nur zweimal am Tag. Meist einfach nur, weil ich vergessen hatte, einzukaufen, oder keine Lust hatte, mir etwas zu kochen. Für mich selbst in der Küche zu stehen, empfand ich als öde. Auf die Kalorien konnte ich locker verzichten. Essen war mir nie wichtig gewesen. Genuss hatte in meinem Elternhaus keine große Rolle gespielt, insofern war der Verzicht kein wirklicher Verzicht, sondern eher Gewohnheit. Man aß, um satt zu sein, mehr Anspruch ans Essen hatte man in meiner Familie nicht. Lieber war man hungrig als fett. So einfach und so traurig war es.

 

Sven war voll des Lobes für mein Aussehen. Granate und Rakete hat er mich genannt, oder Gazelle. Wie einfach ich mich habe einwickeln lassen, ist mir inzwischen gedämmert. Aber diese Begeisterung, dieses Angehimmeltwerden hat mir so gutgetan. Ich war gefangen in diesem wohligen Kokon aus Schmeicheleien. Habe mich darin nachgerade gesuhlt. Das hat mich vieles übersehen lassen.

Die Art, wie Sven schon bei unserem ersten Date mit dem Kellner sprach. So von oben herab. Nur weil der nicht »Espressi« sondern »zwei Espressos« gesagt hatte. Ich erinnere mich noch, wie ich mich geschämt habe, stellvertretend, und den Kellner zum Ausgleich besonders freundlich angelächelt habe. Sven war ein Mann, der nach unten trat und nach oben schleimte, etwas, was mich abstieß. Aber zu Beginn unseres Kennenlernens habe ich es so gut wie möglich ignoriert. Habe es mir schöngeredet, gemutmaßt, dass er vor mir etwas hermachen wollte. Mir imponieren wollte. Habe es als Nervosität deklariert. Als Unsicherheit. Inzwischen weiß ich, dass das Quatsch ist. Sven ist so, denkt so. Er ist kein Stück unsicher oder nervös, einfach nur herablassend. Mein Instinkt hatte früh Alarm geschlagen: Achtung, Monika, das ist kein netter Mensch. Aber ich dachte, das wird schon. Zu mir war er nett. Dass Sven ein Mann ist, der nur nett ist, wenn er etwas will, habe ich erst kapiert, als ich längst in der Falle saß. Eine hübsch dekorierte Falle, eine verlockende Falle. Und eine verdammt bequeme Falle. Ich Idiotin bin sehenden Auges und mit offenen Armen freudig hineingetappt.

Aber zurück zu den Anfängen: Sven hatte mich bei Elite Partner angeschrieben. Euphorisch und sogar einen Hauch witzig. »Ich glaube, ich kann mein Profil hier bald löschen. Vorausgesetzt, du triffst dich mit mir!« Irgendwie gefiel mir das. Es war anders, gut, nicht besonders aussagekräftig, aber schmeichelhaft, und das, obwohl er meine Bilder bisher nur verschwommen sehen konnte. Noch hatte ich sie nicht freigeschaltet. War dieser Mann ein Hellseher?

»Warum sollte ich dich treffen?«, hatte ich ebenso kurz und knapp zurückgeschrieben. Seine Antwort kam schnell: »Weil du es bereuen wirst, wenn du es nicht tust.« Das zeugte von Selbstbewusstsein, im besten Falle. Oder von Arroganz, Einbildung und einer gewissen Hybris. Allerdings auch von einer gewissen Schlagfertigkeit.

Er ließ mir nicht viel Zeit zum Nachdenken. »Morgen Abend bei Pasta da Luigi in Frankfurt? 20 Uhr?«, wollte er wissen.

Meine Onlinedating-Erfahrungen waren gering, aber alle hatten mir unisono geraten, keinesfalls lange hin und her zu schreiben, sondern sich im Gegenteil schnell zu treffen. »Sonst steigert man sich mit der Hin-und-her-Schreiberei in etwas rein, was in der Realität nicht haltbar ist und wie eine Seifenblase zerplatzt!«, meinte Harriet, eine Bekannte, die man mit Fug und Recht als Onlinedating-Expertin bezeichnen kann. Sie tummelt sich seit Jahren auf diversen Plattformen, bislang aber ohne dauerhaften Erfolg (was nicht unbedingt für die Plattformen sprach!). Aber ausdauernd war sie, dass musste man ihr lassen.

Eigentlich wollte ich nie ins Netz, um einen Partner zu finden. Ich hatte so viel Gruseliges darüber gelesen, über all die Enttäuschungen, Lügen und diese weitverbreitete neue verdammte Unverbindlichkeit. Aber der Satz aus einem Ratgeber, »Was man nicht versucht, kann auch nicht gelingen!«, hatte sich in mein Hirn eingebrannt und den Gedanken, »Mister Perfect« könnte meinen Weg einfach so aus Zufall streifen, hatte ich inzwischen in die Abteilung »Naiv« verschoben.

Deshalb sagte ich Ja. Man muss mal was wagen, dachte ich. Sich trauen. Sven war aus Frankfurt, nicht direkt um die Ecke, aber über die A5 von Butzbach aus gut zu erreichen. Obwohl es mir egoistisch vorkam, dass er nicht mal fragte, ob wir uns auf der Hälfte irgendwo treffen, war es mir recht. Es war mir lieber, ein erstes Date nicht in meinem unmittelbaren Umfeld zu haben. Der Gedanke, am Nebentisch säße ein Patient und würde mit gespitzten Ohren lauschen, war mir unangenehm. Insofern war die Anonymität der Großstadt geradezu perfekt für ein Treffen.

Dazu war ich neugierig. Auf diesen Sven. Mein erstes Onlinedate. In meinem Alter sicherlich eine Rarität. Rund um mich herum wurde getindert und gedatet. Es war an der Zeit, mitzuspielen. Wer nicht mitmachte, konnte auch nicht gewinnen, versuchte ich mich mit Plattitüden zu beruhigen.

Trotzdem war ich wahnsinnig nervös. Was, wenn er mir so gar nicht gefiel? Was, wenn er zudringlich wurde? Ein ganzer Katalog von »Was, wenn«-Fragen schoss mir durch den Kopf. Ich googelte das Restaurant, um zu wissen, wie schick ich mich machen musste. Ich bin eher der sportliche Typ, besitze genau zwei Paar Schuhe mit höherem Absatz und hatte mir im Laufe meines Lebens oft genug von meiner Mutter anhören müssen, dass ich unter meinen Möglichkeiten blieb. Ich wählte eine Kombination, die ein bisschen weniger casual als meine Alltagskluft war, aber noch im Rahmen meiner selbst. Ich wollte mich nicht verkleiden. Nichts vorspielen, was ich nicht bin. Stiefeletten, schwarz, mit Absatz, Jeans und ein seidiges schwarzes Top mit Blazer drüber. Ich hoffte, nah am Restaurant parken zu können, mit den Schuhen würde ich keinen Marsch durch Frankfurt machen wollen. Allein der Gedanke!

Das Lokal sah gediegen aus, Modell »klassischer teurer Italiener«. Viel dunkles Holz und Stoffservietten. Ich schaute mir alles auf der Homepage an. »Montag Ruhetag« stand da. Heute war Sonntag – also hatte er sich mit mir am Ruhetag des Restaurants verabredet. Ich guckte, ob es ein gleichnamiges anderes Restaurant gab. Nein. Wollte der mich verarschen? War das seine Masche? Lockte er gerne Provinzfrauen in die große Stadt, um sich daran zu ergötzen, wie doof die waren? Wie war der denn drauf? Welches miese Spiel spielte der?

Sollte ich einfach zu Hause bleiben? So leicht wollte ich es ihm dann doch nicht machen. Der sollte zumindest sehen, dass ich nicht komplett bescheuert war. Dass ich keine von den naiven Trullas war, die er vielleicht sonst mit einer warmen Mahlzeit für lau in die große Stadt locken konnte. Ich schrieb ihm eine wütende Nachricht. Er reagierte sofort, und das ausgesprochen gelassen. »Lass das mal meine Sorge sein. Komm einfach, ich freue mich sehr!«

Ich beschloss, trotz aller Zweifel zu fahren. Was auch immer diese Aussage bedeuten sollte. Im schlimmsten Fall habe ich zwei Stunden Lebenszeit auf der A5 verbracht. Aber ich hatte ja eh nichts vor. So wie eigentlich fast immer. Ich ging kaum aus. Traf vielleicht zweimal im Monat Freundinnen, ansonsten war Netflix meine Abendbeschäftigung. Oder Sport. Ein bisschen Fitnessstudio und danach noch eine Folge einer Serie. Oder mal zwei. Vor Mitternacht war ich im Bett. Schlaf ist wichtig für die Gesundheit, das wusste ich, und schon deshalb war er mir heilig. Viel los war in meiner Freizeit nicht. Insofern war das Date, so dubios es schien, eine willkommene Abwechslung. Was sollte denn passieren? Wenn er nicht auftauchte, würde ich einen Haken an das Thema Onlinedating machen und hätte eine schöne Geschichte für meine Freundinnen. Außerdem eine Bestätigung all meiner Vorbehalte. Ich rechnete sowieso damit, enttäuscht zu werden. Wenn man die Erwartung auf ein Minimum reduzierte, war auch die Enttäuschung direkt mit eingepreist und somit nicht weiter überraschend. Etwas womit man rechnet, kann einen nicht so frustrieren.

 

Ich erinnere mich genau an diesen Gefühlsmix, als ich am nächsten Abend ins Auto stieg. Vorfreude wäre das falsche Wort, Aufregung, Nervosität und Spannung waren meine Beifahrer. Ich schalt mich selbst für meine Unsicherheit, es war nicht mehr als ein Date. Mann trifft Frau. Etwas, was andere Frauen ständig auf ihrer To-do-Liste hatten. Aber irgendwie genoss ich die Anspannung, schon weil sie nicht Bestandteil meines normalen Lebens war. Da war immerhin ein Gefühl. Etwas, was ich so konzentriert lange nicht mehr verspürt hatte. Etwas, was abseits lag von meinem überschaubaren emotionalen Haushalt.

 

Natürlich war ich zu früh in Frankfurt. Ich bin eine Frau, die jede Eventualität, egal, wie bizarr sie sein mag, mit einplant, und wenn ich eines hasse, dann ist es Unpünktlichkeit. Ich hatte aber keinerlei Lust, vor einem geschlossenen Restaurant auf einen Sven zu warten, der vielleicht nicht mal so hieß (aber wieso sollte man sich einen Namen wie Sven als Tarnname aussuchen …?) und der sich daran erfreute, aufgeilte wäre passender, dass er eine Frau mit ein paar lapidaren Schmeicheleien in die Stadt gelockt hatte.

Ich parkte ein Stück entfernt, aber so, dass ich das Lokal noch im Blick hatte. Ich kam mir vor wie eine Undercoveragentin. Spannender als ein weiterer Netflixabend zu Hause war es allemal.

Um Punkt 20 Uhr hielt ein riesiger schwarzer Geländewagen direkt vor dem Restaurant und ein Mann stieg aus, der sich suchend umschaute. Nicht sehr groß, nicht sehr schlank, so viel konnte ich auch auf die Entfernung feststellen. Beides Dinge, auf die ich im Normalfall Wert lege. Aber das hier war kein Normalfall, das war mein erstes Onlinedate, und deshalb öffnete ich die Autotür, stieg aus und ging auf ihn zu. So fair wollte ich sein, jeder und jede haben eine Chance verdient. Sobald er mich entdeckte, lief er auf mich zu.

»Was bin ich nur für ein Glückspilz!«, eröffnete er das Gespräch, nachdem er mich einen Moment lang schweigend von oben bis unten gemustert hatte. Gute Taktik, direkt mit einem fetten Kompliment in den Abend zu starten, und automatisch erwiderte ich sein Lächeln. »Müssen wir hier einbrechen oder machen die den Laden nur für dich auf?«, wollte ich wissen. Manchmal kann ich auch lustig.

Aus der Nähe besehen, war er nicht sehr groß, höchstens 1 Meter 74, schätzte ich, und zudem nicht sehr schlank, aber er hatte ein sympathisches Lächeln. Ich dachte an meine Mutter und die Halbwertzeit von optischen Reizen. Nicht gleich so streng sein, Monika, riet ich mir selbst. »Ich denke, das werden wir ohne kriminelle Energie schaffen, hier eine schöne warme Mahlzeit zu bekommen«, antwortete er sehr gelassen und grinste selbstbewusst. »Ich bin Sven, und du musst die sagenhafte Monika sein, stimmt’s?«, stellte er sich vor und musterte mich noch einmal mit wohlwollendem Blick. Der kleckert nicht, der klotzt, fand ich, aber es fühlte sich gut an. Niemand ist immun gegen Schmeicheleien. Selbst wenn man die Absicht erkennt, mit ein bisschen Verdrängung bleibt ausschließlich die Freude.

 

Das Restaurant war leer, in einer lauschigen Ecke war ein Tisch eingedeckt und mit Kerzen illuminiert. Was ein Wahnsinn! So was hatte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorgestellt. »Wow, wie hast du das geschafft?«, fragte ich. Ich kam mir vor wie in einer reichlich kitschigen romantischen Komödie. Fehlten nur noch der Geiger und ein üppiger Rosenstrauß. »Setz dich einfach und genieße das köstliche Essen. Ich habe uns ein schönes Menü zusammengestellt. Damit du gleich bemerkst, was ich so bewerkstelligen kann!«, antwortete Sven, und man konnte den Stolz darüber aus seiner Stimme heraushören. Er rückte mir aufmerksam den Stuhl zurecht, Manieren schien er zu haben. Ich hörte die Stimme meiner Mutter im Kopf: Der kommt definitiv aus einem guten Stall.

So etwas war mir seit Jahren nicht passiert, eigentlich, wenn ich gründlich darüber nachdachte, noch nie. Gefiel es mir? Ich fand es einen Tick drüber, aber entschied mich, es zu mögen. Es war anders, und es hatte sehr viel Schönes.

Ich suche gerne selbst aus was ich esse, finde es übergriffig, wenn jemand für mich mitbestellt, als sei ich ein Kleinkind, bevormundend, aber, das muss ich zugeben, er hatte gut gewählt. Das Essen war hervorragend. Außerdem musste man zu seiner Entschuldigung annehmen, dass »à la carte« in einem eigens für zwei Personen geöffneten Restaurant schwer zu bewerkstelligen war. »Normalerweise esse ich kein Fleisch!«, informierte ich ihn, aber Sven grinste nur und sagte: »Normalerweise ist vorbei. Gibt es ab heute nicht mehr! Ich bin nicht ›normal‹, und an meiner Seite zu sein ist nicht normal. Gewöhn dich schon mal dran!« Er lachte.

So begann es mit Sven.

Und ja, das Leben an seiner Seite war anders. Weniger »normal«. Bunter, lauter, wilder und glamouröser.

Dass Sven Geld hatte, war nicht zu übersehen. Das war auch nicht seine Absicht, Bescheidenheit war nicht sein Ding. Er zeigte gerne, was er hatte. Sven war, das merkte ich schnell, ein kleiner Angeber. Manchmal genierte ich mich dafür. Vor anderen. Vor Personal in Lokalen und gelegentlich vor Freunden. Seinen Freunden, meine sah ich nur noch selten. Mein Leben fand nun in Frankfurt statt und auf der Autobahn. Oft genug hetzte ich morgens über die A5, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Meine Chefin Silvi war angesäuert, weil ich trotz aller Hetze ab und an zu spät kam. Termine absagen musste. »So kenne ich dich gar nicht, Monika!«, rügte sie mich. Ich kannte mich selbst auch nicht so, aber mir gefiel mein neues Ich. Mein neues Leben. Es war weniger beschaulich, weniger bieder. Es hatte mehr Tempo, war ereignisreicher. Ständig gab es Partys, und Sven wollte, dass ich an seiner Seite war. Er war sichtlich stolz auf mich, präsentierte mich gerne und kaufte mir die passende Garderobe. Weniger Stoff, mehr Absatz. Mehr Glitzer. Weniger ich, mehr seine Idealvorstellung Frau. Er war insgesamt ausgesprochen großzügig. Auch das war eine neue Erfahrung für mich, bisher hatte ich nie einen Mann an meiner Seite gehabt, der gerne bezahlte. Gut, Sven tat es immer mit großer Geste, erwähnte es oft, sodass man es selbst als Außenstehender nicht übersehen konnte. »Tue Gutes und rede darüber!«, war seine Maxime. Vieles, was er tat, tat er für sich. Er gefiel sich in der Rolle des Gönners. Geschenke, die er machte, erfreuten ihn mindestens so sehr wie die Beschenkten.

 

Ich war ein dummes Schaf. Naiv. Sackblöd. Das weiß ich inzwischen, und es ist fast noch freundlich ausgedrückt. Ich hätte sehen können und müssen, was da vor sich geht.

Hätte. Habe ich aber nicht. Ich bin, nach all dem, was passiert ist, fast saurer auf mich als auf ihn.

 

Es lief rasant mit uns. Knapp drei Monate nachdem ich Sven kennengelernt hatte, begann er, mich zu überreden, nicht mehr so viel für so wenig zu arbeiten. »Macht doch keinen Sinn, du verfährst ja inzwischen fast mehr Geld auf dem Weg von und zur Arbeit, als am Ende hängen bleibt. Deine Bezahlung ist eh geradezu ein Witz!« Zweitausendachthundert Euro brutto waren für Sven ein Witz! »Mit und von diesem Witz leben ganze Familien. Das ist ein durchschnittliches Gehalt in Deutschland!«, hatte ich entgegnet. Durchschnitt für Durchschnitt, aber eine Frau wie du hat doch nichts mit Durchschnitt zu tun. Arbeite bei mir, massiere mich statt andere Männer, und kümmere dich hier um Dinge. Lass den ganzen Mist in diesem Kacknest.« Ich weiß, dass Butzbach kein »Place to be« ist und war, aber Kacknest traf mich trotzdem. Es ärgerte mich. Und meine Arbeit war vielleicht nicht sonderlich aufregend, aber ich hatte immerhin das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun. »Mist« war nun wirklich etwas ganz anderes. Sven sah mir an, dass ich wütend war, und merkte, dass er übers Ziel hinausgeschossen war. Schnell lenkte er ein. »Gazelle, meine Rakete, es war nicht so gemeint, das kam ein wenig harsch rüber. Versteh mich nicht falsch. Hier in Frankfurt könntest du ganz anders verdienen, und wenn du endlich richtig bei mir einziehst, sparst du auch noch die Miete. Ich würde mich sehr freuen! Wir wären immer zusammen, all die Fahrerei wäre vorbei«, warf er geschickt einen versöhnlicheren Köder aus. Natürlich hatte ich nicht gleich zugestimmt. Ich wollte keinesfalls abhängig sein. Und ich fand meine Arbeit zwar nicht großartig, aber ich mochte sie. Meistens zumindest.

Aber, wie so häufig, steter Tropfen höhlt den Stein. Ich verbrachte wirklich viel Zeit auf der Autobahn, und Silvi, meine Chefin, war in letzter Zeit oftmals ungehalten.

»Was lässt du dir da von der eigentlich bieten?«, hatte Sven insistiert.

»Sie ist die Chefin, und ich war ehrlich gesagt auch schon mal engagierter bei der Arbeit!«, gestand ich. Ich wusste, dass ich in den letzten Wochen nicht das Zeug zur Angestellten des Monats gehabt hatte.