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Dieses eBook: "Gesammelte Werke: Romane + Kriminalgeschichten" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Edgar Wallace (1875-1932) war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Er gehört zu den erfolgreichsten Kriminalschriftstellern. Inhalt: Die Schuld des Anderen Die drei von Cordova Das geheimnisvolle Haus Der Derbysieger Das Gesetz der Vier A.S. der Unsichtbare Der grüne Bogenschütze Der Doppelgänger Das Gesicht im Dunkel Die blaue Hand Töchter der Nacht Der Frosch mit der Maske Die seltsame Gräfin Der Rächer Der Mann von Marokko Die Millionengeschichte Penelope von der ›Polyantha‹ Der viereckige Smaragd Die Bande des Schreckens Geheimagent Nr. 6 Die gelbe Schlange Großfuß Der Brigant Gucumatz Louba der Spieler Der Mann, der seinen Namen änderte Das Verrätertor Überfallkommando Der Redner Die Gedankenleser Die zwei ungleichen Brüder Mord in Sunningdale Die Privatsekretärin Der geheimnisvolle Nachbar Im Banne des Sirius Geschmuggelte Smaragde Der Fall Freddie Vane Der Verbrecher aus Memphis, USA Die Lektion Arsen Der Dieb in der Nacht Harry mit den Handschuhen Der unbekannte Boxer Ein gerissener Kerl Der unheimliche Mönch Die Abenteuerin Der betrogene Betrüger Die Privatsekretärin Der Herr im dunkelblauen Anzug Der Goldene Hades Turfschwindel Der Teufel von Tidal Basin Der leuchtende Schlüssel Die Gräfin von Ascot Feuer im Schloß In den Tod geschickt Gangster in London Der Mann im Hintergrund Das indische Tuch Die Schatzkammer Klub der Vier Verdammte Konkurrenz Unter Buschniggern Wer ist Nicodemus? Und nichts als die Wahrheit Mr. Simmons Beruf Planetoid 127 Der übereifrige Sergant Die Unterschrift Das Geheimnis der gelben Narzissen Hüter des Friedens Mary Ferrera spielt System 15 Jahre bei den Kannibalen in Zentral-Afrika Am großen Strom Bones in Afrika Bosambo von Monrovia
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Inhalt
Monsieur Trebolino, der Chef der französischen Kriminalpolizei, saß in seinem Büro und tat genau das, was von ihm erwartet wurde – er dachte nach. Den Schreibtischsessel hatte er an das lodernde Kaminfeuer geschoben; es war unangenehm kalt an diesem Märznachmittag, ganz Paris lag unter einer dichten Schneedecke begraben.
Eigentlich hätte sich Monsieur Trebolino nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen. Der Tatkraft dieses klugen Italieners, der schon als junger Mann die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, war es zu verdanken, daß in Frankreich kaum noch Verbrechen größeren Ausmaßes begangen wurden.
Aber gerade weil Monsieur Trebolino nicht viel zu tun hatte, kümmerte er sich zur Zeit auch um kleinere Dinge, die er früher seinen Untergebenen überlassen hatte. Einen solchen Fall ließ er sich gerade durch den Kopf gehen, und merkwürdigerweise schien ihm verschiedenes daran durchaus nicht klar zu sein.
Er drückte auf einen Klingelknopf neben dem Kamin, und gleich darauf klopfte es. Monsieur Lecomte, der dazu ausersehen war, einmal der Nachfolger seines Vorgesetzten zu werden, trat ins Zimmer und wurde von seinem Chef mit einem wohlwollenden Lächeln begrüßt.
»Setzen Sie sich bitte«, sagte Monsieur Trebolino und wies auf einen Ledersessel in seiner Nähe. »Eine Frage – haben Sie schon einmal von dem ›Klub der Verbrecher‹ gehört, der hier in Paris bestehen soll?«.
Lecomte nickte.
»Dieser Klub mag ja ganz interessant sein«, fuhr Trebolino fort. »Meiner Meinung nach sollte man aber doch daran denken, damit Schluß zu machen – Studenten sind nun einmal unruhige Leute.«
»Ich glaube, daß der Verein bald ganz von selbst eingehen; wird – wie es meist in solchen Fällen ist«, entgegnete Lecomte verwundert.
Trebolino zog die Stirn in Falten.
»Was wissen Sie überhaupt davon?«
»Nicht mehr, als Sie selbst«, sagte Lecomte achselzuckend. »Eine Anzahl von Studenten hat einen Verein gegründet. Bei ihren Zusammenkünften befolgen Sie feierliche Rituale, gebrauchen Kennworte, leisten Eide – kurz, treiben all den Unsinn, der bei Geheimbruderschaften und Logen nun einmal üblich ist. Ihre Treffen finden jeweils an irgendeinem anderen geheimen Platz statt – der der Polizei aber jedesmal schon mindestens eine Woche vorher bekannt ist.«
Lecomte amüsierte sich, und Trebolino nickte ihm verständnisinnig zu.
»Jedes Klubmitglied schwört, irgendein französisches Gesetz zu übertreten«, fuhr Lecomte dann fort. »Bis jetzt haben sich ihre Gesetzwidrigkeiten allerdings darauf beschränkt, daß sie einen Polizisten belästigten.«
»Sie haben ihn in die Seine geworfen, nicht wahr?« warf Trebolino ein.
»Ganz richtig – und zwei der bösen Buben wären beinahe ertrunken, als sie ihn wieder herausfischten. Wir haben sie zwei Tage lang eingesperrt und ihnen außerdem noch zweihundert Franc Geldstrafe aufgebrummt. – Was sie sonst noch anstellen, kann man übrigens nur als Kindereien und den üblichen Studentenulk bezeichnen.«
Der Chef der Kriminalpolizei schien trotzdem nicht befriedigt zu sein.
»Das klingt alles sehr harmlos«, meinte er nachdenklich, »aber es wäre mir trotzdem lieber, wenn diesem Unfug ein Ende gemacht würde. Es gibt immerhin einige Klubmitglieder, die mir durchaus nicht so harmlos zu sein scheinen – ich denke zum Beispiel an diesen Willetts.«
Lecomte nickte.
»Soviel ich weiß«, fuhr Trebolino fort, »ist Mr. Willetts eine Art Künstler. Er wohnt mit einem jungen Amerikaner – ich glaube, er heißt Comstock Bell – zusammen.«
»Das heißt, er wohnte«, verbesserte Lecomte. »Mr. Bell ist sehr reich und lebt ganz seinen Neigungen. Er ist ein Mann von Geschmack – Mr. Willetts dagegen trinkt ziemlich viel.«
»Dann haben sie sich also getrennt«, entgegnete Trebolino überrascht. »Das wußte ich noch gar nicht. Bis jetzt wurde ich nur darüber informiert, daß die beiden sich vorgenommen hatten, uns einige ziemlich unangenehme Überraschungen zu bereiten. Überraschungen, die keine Lausbubenstreiche mehr gewesen wären, sondern die man unter die Kategorie schwerer Verbrechen – bis zum Mord – hätte einreihen müssen.«
Er stand auf und trat ans Fenster.
»Also, Monsieur Lecomte«, sagte er dann nach einigen Minuten nachdenklichen Schweigens, »sorgen Sie dafür, daß dieser ganze Unfug ein Ende findet. Studenten schlagen manchmal über die Stränge, gewiß – aber hier scheint sich etwas anzubahnen, was man durchaus nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Berichten Sie mir dann bitte, was Sie unternommen haben!«
Lecomte verließ das Büro seines Vorgesetzten und war eigentlich ein wenig belustigt. Lohnte es sich wirklich, dieser Sache so viel Bedeutung beizumessen? Noch dazu, da er alle Mitglieder des ›Klubs der Verbrecher‹ sehr gut kannte und sogar von Zeit zu Zeit zu ihren Zusammenkünften eingeladen wurde. Na, man würde sehen … Noch am gleichen Abend ging Monsieur Lecomte nach Dienstschluß in das ›Café der Barbaren‹, einen der Treffpunkte der Studenten.
Er wurde mit Hallo begrüßt, ein Student machte ihm sofort an einem großen Tisch einen Platz frei, während ein anderer, ein gutaussehender junger Mann, ein Glas Wein für den Beamten bestellte. Lecomte betrachtete ihn interessiert. Er war groß und schlank, dabei aber sehr kräftig gebaut. Seine grauen Augen blickten so freundlich und unbekümmert in die Welt, wie man es bei einem jungen Mann seines Alters erwarten konnte.
»Sie sind gerade zur rechten Zeit gekommen, um einer Unterhaltung beizuwohnen, die Sie persönlich besonders interessieren dürfte«, sagte der Student lachend und deutete auf einen seiner Kommilitonen, einen bärtigen, hageren Jüngling. »Mein Freund hier vertritt eben die Ansicht, daß die Ermordung eines Polizeispitzels nach der Lehre des Aristoteles durchaus entschuldbar wäre. Was halten Sie davon?«
»Nicht viel, wie Sie sich denken können«, entgegnete Lecomte grinsend und leerte sein Glas zur Hälfte. »Aber wenn Sie unbedingt die Probe aufs Exempel machen wollen – der Staatsanwalt wird bestimmt gerne mit Ihnen debattieren.«
»Vielleicht wäre das am besten«, rief der Bärtige trotzig. »Mein Freund Willetts jedenfalls …« Er fuhr fort, seine Theorie durch allerhand Erlebnisse und Erfahrungen zu bekräftigen, die sein Freund Willetts – ein blasiert dreinschauender Mann mit bleichem Gesicht, der etwas älter als seine Kommilitonen zu sein schien – angeblich gemacht hatte.
»Ist dieser Willetts auch Ihr Freund, Mr. Bell?« fragte Lecomte leise.
Der Student mit den grauen Augen, an den die Frage gerichtet war, machte eine abwehrende Handbewegung.
»Wie meinen Sie das?« erkundigte er sich kühl.
Lecomte zuckte die Schultern.
»In meinem Beruf hört man so allerlei«, sagte er leichthin. »Besonders was den ›Klub der Verbrecher‹ angeht.«
Comstock Bell sah ihn argwöhnisch, fast ängstlich an.
»Die ganze Angelegenheit ist doch nur ein Scherz …«, begann er, verstummte aber sofort wieder. Lecomte gab sich vergeblich Mühe, ihn noch einmal zum Reden zu bringen.
Plötzlich erhob sich allgemeines Stimmengewirr. Lecomte gebot mit einer Handbewegung Schweigen und beantwortete die Frage, die ein Student aufgeworfen hatte.
»Nein – gestorben ist er nicht, bloßes Untertauchen genügt nicht, um einen richtigen Polizisten ins Jenseits zu befördern. Aber da Sie gerade diese Sache erwähnen, meine Herren, möchte ich Ihnen auch gleich sagen, daß es höchste Zeit ist, Ihren ›Klub der Verbrecher‹ aufzulösen. Der Chef der Kriminalpolizei persönlich hat mich beauftragt, Ihnen dies mitzuteilen!«
»Und wir sollen natürlich brav gehorchen!« rief Willetts mit schriller Stimme. Es war das erstemal, daß er sich in die Unterhaltung mischte.
Lecomte beobachtete ihn. Er sah ungesund aus, jeder Zug in seinem Gesicht zeugte von einem sehr unsoliden Lebenswandel.
»Na schön«, fuhr Willetts mit lauter Stimme fort. »Wir werden den Klub schließen – aber sein Geist soll wenigstens in einigen Mitgliedern weiterleben.«
Lecomte sah Comstock Bell an, dem diese Worte offensichtlich galten. Der Student wurde blaß, als der anscheinend ziemlich betrunkene Willetts weitersprach.
»Mr. Bell natürlich ist fahnenflüchtig geworden. Noch vor kurzem war er mein Komplice – aber jetzt vertragen wir uns nicht mehr richtig. Er ist eben Amerikaner – und außerdem ein Kapitalist! Vielleicht ist er aber auch nur ein Feigling …!«
Die letzten Worte hatte er laut über den Tisch gerufen. Willetts war in betrunkenem Zustand zu allem fähig, das wußte jeder.
Comstock Bell antwortete nicht.
»Wir haben nämlich …«, wollte Willetts eben fortfahren, als ein Herr das Café betrat, sich suchend umschaute und auf Lecomte zuging.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren«, sagte der Polizeibeamte, stand auf und trat zu dem Fremden. Sie unterhielten sich leise miteinander. Die Studenten sahen, daß Lecomte die Stirn runzelte und hörten einen unterdrückten Ausruf. Nach einer Zeit kam er zurück.
»Meine Herren«, sagte er, und seine Stimme klang durchaus nicht mehr freundlich. »Heute nachmittag wurde in Cooks Reisebüro eine englische Fünfzigpfundnote gewechselt – und diese Note war gefälscht!«
Niemand sprach. Es herrschte tödliches Schweigen.
»Der Geldschein wurde von einem Studenten gewechselt, und auf der Rückseite standen die Buchstaben ›K. d. V.‹. Hier hört der Spaß auf, und ich möchte den Verantwortlichen ersuchen, morgen früh auf das Polizeipräsidium zu kommen!«
Am nächsten Morgen kam niemand in Trebolinos Büro. Willets wurde noch am selben Abend telegrafisch nach London zurückgerufen, und Comstock Bell verließ Paris mit demselben Zug.
Die beiden wußten nicht, daß sie hei der Abfahrt von Lecomte beobachtet wurden. Drei Tage später erhielt er eine englische Fünfzigpfundnote in einem Briefumschlag. Es war kein Absender angegeben, und außer dem Geldschein befand sich in dem Kuvert nur noch ein Stück Papier, auf dem in Maschinenschrift stand: »Bitte leiten Sie dieses Geld an die Firma Cook weiter.«
Lecomte berichtete seinem Vorgesetzten von dieser Sache. Trebolino nickte.
»Wir wollen die Angelegenheit damit erledigt sein lassen. Es hat keinen Zweck, die Öffentlichkeit deswegen zu alarmieren.«
Er legte die gefälschte Banknote in seinen Schreibtisch und vergaß sie bald. –
Einige Jahre später wurde Monsieur Trebolino, der Chef der französischen Kriminalpolizei, bei der Festnahme eines Verbrechers erschossen. Ein Beamter, der seinen Schreibtisch aufräumte, fand in einem Fach eine englische Fünfzigpfundnote, die offensichtlich gefälscht war. Unschlüssig hielt er sie eine Zeitlang in der Hand und gab sie dann seinem Sekretär mit dem Auftrag, den Geldschein an die Bank von England zu schicken.«
»Vielleicht können sie etwas damit anfangen«, meinte er achselzuckend.
Lecomte hätte erklären können, wie diese Banknote in Trebolinos Besitz gekommen, war, aber er befand sich zu dieser Zeit in Lyon.
Im Terriers-Klub fand ein großer Empfang statt – vor dem vornehmen Gebäude stand eine lange Reihe chromblitzender Wagen. ›Terriers‹ ist einer der vornehmsten Klubs, und dieser große Empfang bedeutete wie jedes Jahr den Beginn der Saison.
Zahlreiche der alten Klubmitglieder fühlten sich ziemlich ungemütlich. Es war ihnen gar nicht recht, daß die Räume, in denen sie sich sonst wie zu Hause fühlten, heute von einer plaudernden, eleganten Gesellschaft belebt waren. Am meisten störten sie die vielen Damen – ein ganz ungewohnter Anblick in einem Herrenklub.
Draußen regnete es, und Wentworth Gold stieg schnell die Marmortreppen hinauf, um in die große Empfangshalle zu gelangen. An der Garderobe legte er Hut und Mantel ab und ordnete vor dem Spiegel seine Krawatte.
Wentworth Gold war ein außergewöhnlicher Mann – und er hatte auch außergewöhnliche Interessen. Von mittlerer Größe, mit buschigen Brauen, unter denen seine grauen Augen durch einen Klemmer lebhaft in die Welt blickten, konnte man ihn. nicht gerade einen gutaussehenden Mann nennen. Er war eher häßlich, übte aber doch auf Frauen eine faszinierende Wirkung aus. Als Amerikaner hatte er sich außerdem eine gewisse Unbekümmertheit des Auftretens bewahrt, die fast schon an Frechheit grenzte.
In England lebte Mr. Gold schon seit langer Zeit. Er hatte die Engländer gern – und sagte das mit einem liebenswürdigen, mitleidigen Lächeln und einem Ton, als ob er arme Mitmenschen darüber trösten wollte, daß sie nicht das Vorrecht mit ihm teilten, in Amerika geboren worden zu sein. Im übrigen fand ihn jedermann sympathisch, gerade weil er so offen und typisch amerikanisch war.
Welchen Beruf Mr. Gold eigentlich hatte, wußte niemand so richtig. Ein-oder zweimal in der Woche machte er dem amerikanischen Konsulat seinen Besuch, »um seine Post abzuholen«. Merkwürdigerweise holte er diese Post manchmal um drei Uhr morgens ab, und Seine Exzellenz der Konsul kam dann im Pyjama zu einer Unterredung ins Büro herunter.
Solch ein Gespräch fand auch statt, als der Präsident einer kleinen südamerikanischen Republik, die als sehr aggressiv bekannt war, einer benachbarten größeren Republik den Krieg erklären wollte. Die wichtigsten darauffolgenden Ereignisse dieses Tages kann man folgendermaßen zusammenstellen:
5.00 nachmittags. Senor de Silva (Privatsekretär des Präsidenten von Furina) kommt ins Carlton-Hotel.
5.30 nachmittags. Monsieur Dubec (Generalvertreter der Vereinigten Belgischen Waffen-und Munitionsfabriken) erscheint ebenfalls im Carlton-Hotel und führt eine geheime Besprechung mit dem vorerwähnten Privatsekretär.
8.00 abends. Beide essen zusammen in einem Einzelzimmer.
9.00 abends. Monsieur Dubec reist nach Belgien ab.
2.00 nachts. Wentworth Gold kommt in das amerikanische Konsulat.
5.00 morgens. Senor de Silva erhält den Besuch des Polizeiinspektors Grayson (Spezialabteilung der Interpol).
9.00 vormittags. Senor de Silva verläßt London in größter Eile und offensichtlicher Verwirrung, um sich nach Paris zu begeben.
11.00 vormittags. Inspektor Grayson und Wentworth Gold begegnen sich zufällig am Themseufer und grüßen einander sehr formell und höflich.
Wentworth Gold hatte überall zu tun. Anscheinend war es sein Beruf, alles zu wissen – und tatsächlich wußte er auch alles. Das meiste, was er erfuhr, behielt er für sich, denn er vertraute niemand. Er hatte kein Büro, keine Angestellten und bekleidete keine offizielle Stellung. Aber in seiner Westentasche trug er einen kleinen silbernen Stern, der einen überwältigenden Eindruck auf gewisse Leute machte. Er verkehrte in den ersten Kreisen der Gesellschaft, doch sah man ihn auch häufig mit Leuten aus der Unterwelt. Gerade deshalb wußte er alles.
Gold ging zur Eingangshalle zurück, stieg eine große breite Treppe empor, lehnte sich über die Brüstung und beobachtete das farbenprächtige Schauspiel, das sich seinen Augen bot.
Unten stand der spanische Botschafter mit seiner hübschen Tochter und nickte dem italienischen Geschäftsträger zu. Es entging Gold auch nicht, daß Mrs. Granger Collok in die große Halle trat, gefolgt von einer Schar junger Herren. Manche Frauen besaßen eben eine außerordentliche Gabe, sich über die Meinung ihrer Mitmenschen hinwegzusetzen, und erschienen auch nach einem aufsehenerregenden Scheidungsprozeß unbefangen in der Öffentlichkeit.
Jetzt sah er unten in der Menge auch Comstock Bell und behielt ihn im Auge, denn er interessierte sich zur Zeit sehr für diesen jungen Amerikaner. Comstock Bell war ein auffallend gutaussehender Mann, hochgewachsen und bis auf einen kleinen Schnurrbart glattrasiert. Man erzählte sich, daß er sehr reich sei und trotzdem noch nicht geheiratet habe. So war es nur natürlich, daß sich die Damenwelt auffallend viel und eingehend mit ihm beschäftigte.
Gold stützte sich mit den Ellbogen auf die Brüstung. Er ließ den jungen Mann nicht aus den Augen. Comstock Bell erwiderte nur nachlässig die Zurufe der anderen und machte keinen besonders glücklichen Eindruck.
Der junge Mann hatte sich soeben an eine kleine Gruppe von Herren gewandt, die ihn sehr zuvorkommend begrüßten. Aber die Unterhaltung dauerte nicht lange, gleich darauf ging er zum Empfangssalon.
»Sehr merkwürdig«, sagte Mr. Gold in Gedanken versunken vor sich hin.
»Was ist merkwürdig?« fragte jemand.
Dicht neben Gold stand ein Herr an der Brüstung.
»Hallo, Helder! Interessieren Sie sich auch für gesellschaftliche Ereignisse?«
»Eigentlich nicht besonders«, antwortete der andere nachlässig. Teilweise finde ich sie sogar furchtbar langweilig. Aber Sie sagten doch eben, daß etwas sehr merkwürdig sei. Was meinten Sie damit?«
Gold lächelte, nahm seinen Klemmer ab und schaute Helder aufmerksam an.
»Die Jagd nach Vergnügen, Ehrgeiz, Modetorheiten, all das ist vom Standpunkt eines vernünftigen Menschen aus ungewöhnlich und merkwürdig, finden Sie nicht auch?«
Helder war offenbar auch Amerikaner. Er war groß, aber viel fülliger als Comstock Bell und sah aus, als ob er Essen und Trinken zu schätzen wüßte. In London war er bekannt als ein Mann, der immer Bescheid über den neuesten Klatsch wußte.
»Haben Sie schon gesehen, daß Comstock Bell da ist?« fragte Helder plötzlich.
Gold nickte.
»Finden Sie nicht, daß er einen merkwürdigen Gesichtsausdruck hat – so, als ob ihm etwas Sorgen machen würde?«
Gold streifte Helder mit einem schnellen Seitenblick.
»Ist Ihnen das aufgefallen?« fragte er dann gleichgültig.
»Meiner Meinung nach steht ihm die Nervosität auf der Nasenspitze geschrieben. Das ist bei einem reichen und unabhängigen jungen Mann ziemlich seltsam.
»Es gibt noch seltsamere Dinge.«
»Neulich habe ich mit Villier Lecomte gesprochen«, sagte Helder, der nicht lockerließ.
Gold wurde aufmerksam. Es war klar, daß sich Helder nicht nur mit ihm unterhalten wollte, sondern daß er etwas ganz Bestimmtes, das Comstock Bell betraf, an die richtige Adresse bringen wollte.
»Mit wem haben Sie gesprochen?«
»Mit Villier Lecomte – Sie kennen ihn doch?«
Gold kannte Lecomte sehr gut und wußte, daß er ein hoher französischer Kriminalbeamter war. Ohne zu übertreiben, konnte man sagen, daß er mit ihm so gut bekannt war wie mit seinem eigenen Bruder – aber es gab viele Gründe, aus denen er es nicht gern sah, daß das jemand wußte.
»Nein«, antwortete er deshalb, »nur den Namen muß ich schon irgendwo gehört haben.«
»Er ist ein hohes Tier bei der Pariser Kriminalpolizei. Neulich war er hier, und ich sprach mit ihm.«
»Sehr interessant«, entgegnete Gold. »Und was hat er Ihnen denn erzählt?«
»Ob, er wußte einiges über Comstock Bell«, erwiderte Helder und beobachtete Gold dabei scharf.
»Und wie kommt es, daß Mr. Bell die Aufmerksamkeit der französischen Polizei auf sich gelenkt hat? Er hat doch niemand ermordet?«
»Aber wissen Sie denn wirklich nicht, daß Comstock Bell früher einmal Mitglied des ›Klub der Verbrecher‹ war?«
›Klub der Verbrecher‹? Noch nie etwas davon gehört«, sagte Gold lachend.
Helder zögerte. Es standen außer ihnen noch andere Leute in der Nähe der Brüstung und schauten auf die Leute hinunter. Eine junge Dame zum Beispiel, die sich neben ihnen über das Geländer lehnte, konnte ohne weiteres jedes Wort ihres Gesprächs verstehen.
»Gut, ich will es Ihnen sagen; selbst auf die Gefahr hin, daß es nichts Neues für Sie ist. Meiner Meinung nach kann man Ihnen überhaupt nichts Neues erzählen! Also – vor einigen Jahren, als Bell in Paris studierte, gründete er mit einer Anzahl anderer Studenten den ›Klub der Verbrecher‹. Es war so eine Idee, wie sie querköpfige junge Leute manchmal haben, jedes Klubmitglied legte ein Gelübde ab, irgendwie das Gesetz zu übertreten, und zwar mußte es ein Verbrechen sein, das bei Entdeckung mindestens eine Gefängnisstrafe eintrug.«
»Sehr lustig! Wie viele der Mitglieder sind denn schon aufgehängt worden?«
»Niemand, soviel ich weiß. Der Klub wurde rechtzeitig aufgelöst, ohne daß man jemand festgenommen hätte. Die Mitglieder hatten übrigens Decknamen angenommen, die in den Geheimakten des Klubs vermerkt waren. Ein einziges schweres Verbrechen hätte man dem Klub eventuell zur Last legen können, gerade dieses Verbrechen wurde aber niemals ganz aufgeklärt, da man den mutmaßlichen Verbrecher nicht überführen konnte.«
»Es handelte sich doch nicht etwa um Falschmünzerei?« erkundigte sich Gold harmlos.
Helder lächelte.
»Sie wissen also doch von der Sache?«
»Wenn Sie die Geschichte von dem Studenten meinen, der eine Fünfzigpfundnote fälschte und sie in Zahlung gab – ja«, erwiderte Gold. »Ich erinnere mich jetzt ganz genau. Aber was hat denn das alles mit Comstock Bell zu tun?«
»Es ist mir zufällig bekannt, daß er Mitglied des ›Klubs der Verbrecher‹ war«, sagte Helder leichthin. »Ich weiß auch, daß die französische Polizei im Zusammenhang mit der Falschgeldgeschichte zwei Personen verdächtigte.«
Gold wandte sich ihm zu und sah ihm gerade ins Gesicht.
»Wenn Sie so viel wissen, können Sie mir vielleicht auch sagen, wer die beiden Leute sind?« fragte er in ungewöhnlich scharfem Ton.
Helder schaute sich nervös um.
»Wenn Sie es unbedingt wissen wollen – einer der beiden ist Comstock Bell.«
»Und der andere?«
»Den kenne ich nicht. Er soll aber auch in London leben – ein Börsenmakler oder so etwas Ähnliches.«
»Ihre Mitteilungen sind wirklich interessant«, meinte Gold spöttisch und ging lächelnd die Treppe hinunter.
Comstock Bell war inzwischen in den Empfangssalon getreten. Er schien wirklich nicht in der besten Laune zu sein, als er auf die Frau des Klubpräsidenten zuging. Vom Billardzimmer drangen die Klänge einer Musikkapelle herüber. Jemand sprach ihn an. Er wandte sich halb um und erkannte Lord Hallindale.
»Bell, ich habe gerade nach Ihnen gesucht«, sagte der Lord. »Ich mache nächsten Monat eine Reise zum Mittelmeer und möchte Sie fragen, ob Sie keine Lust haben mitzukommen?«
Comstock Bell lächelte.
»Es tut mir leid, aber ich habe andere Pläne.«
»Werden Sie London verlassen?«
»Ja, ich habe die Absicht, nach den Vereinigten Staaten zu gehen. Meine Mutter fühlt sich nicht recht wohl, und ich möchte sie wieder einmal besuchen.«
Er ging weiter. Diese Ausrede hatte er schnell erfunden. Er beabsichtige keineswegs, England zu verlassen, bevor nicht eine gewisse Angelegenheit endgültig geregelt war.
Langsam schlenderte er zum Speisesaal, wo der Vortrag eines bekannten Pianisten eine Menge Zuhörer angelockt hatte.
Bell stand in der hintersten Reihe, aber da er sehr groß war, konnte er ohne Schwierigkeit über die Köpfe der anderen hinwegsehen. »Sie haben es gut«, flüsterte jemand neben ihm.
Als er sich umschaute, bemerkte er Mrs. Granger Collaks bewundernden Blick. Auch er war von der Schönheit dieser lebenslustigen Frau beeindruckt.
»Soll ich Sie ein wenig hochheben?« fragte er lächelnd.
Er hatte bis jetzt noch nie versucht, näher mit ihr bekannt zu werden, obwohl er wußte, daß sie ihn gerne sah.
»Sie können mich in eine ruhige Ecke führen«, sagte sie. »Dieser Trubel hier ist mir unangenehm.«
Er brachte sie zu einer Nische in der äußersten Wandelhalle und nahm neben ihr Platz.
Sie seufzte erleichtert auf.
»Comstock«, begann sie, »ich möchte, daß Sie mir helfen.«
Ihre Blicke begegneten sich, und sie las in seinen Augen Zuneigung, aber auch ein wenig Mitleid.
»Sie brauchen mich nicht wie einen armen Sünder anzuschauen«, sagte sie abwehrend. »Daß an mir nicht viel Gutes dran ist, weiß ich selbst – und es stimmt auch, daß ich fast am Ende meiner Kraft bin. Ich müßte Geld haben, um einmal weit fortzugehen, einige Jahre auf Reisen zu sein. Die Leute halten mich für schamlos, weil ich mich hier wieder sehen lasse nach all dem – aber Sie wissen es ja.
Für einige Jahre verschwinden, allein sein – das möchte ich, Comstock. Und doch bin ich an Händen und Füßen gebunden.«
Er hörte, wie jemand in ihre Nähe kam. Als er aufschaute, sah er Helder, der vor sich hinlächelte, dann aber sofort nach der anderen Seite schaute.
»Besuchen Sie mich morgen in meiner Wohnung am Cadogan Square«, entgegnete er freundlich und stand auf. Vielleicht kann ich etwas für Sie tun.«
Sie legte leicht ihre Hand auf seinen Arm.
»Das ist sehr lieb von Ihnen«, sagte sie leise. »Ich könnte Ihnen das Geld aber nicht zurückgeben, wenn Sie mir damit aushelfen wollten … Wie soll ich Ihnen danken?«
Er schüttelte lächelnd den Kopf und verabschiedete sich mit einer Verbeugung von ihr. Langsam ging er zur Garderobe, um Hut und Mantel zu holen. Dort traf er Gold, der sich ebenfalls seinen Mantel hatte geben lassen.
»Wollen Sie schon gehen?«
Bell nickte.
»Ja, diese gesellschaftlichen Verpflichtungen langweilen mich – ich glaube, ich werde alt. Aber Sie scheinen es doch auch ziemlich eilig zu haben, von hier fortzukommen?«
»Ich habe zu tun, meine Geschäfte lassen mir keine Ruhe«, erwiderte Gold freundlich. »Gehen wir ein Stück zusammen?«
Comstock nickte, und die beiden traten, auf die Straße. Neugierig verfolgte sie jemand mit den Augen.
Schweigend, gingen sie ein Stück zu Fuß, dann wurde der Regen stärker, und als ein Taxi vorbeifuhr, hielt es Gold an.
»Fleet Street!« rief er laut.
Sie waren noch nicht weit gefahren, als er dem Chauffeur auf die Schulter klopfte und ihm eine andere Instruktion gab.
»Bringen Sie mich zur Victoria Station. Fahren Sie durch den Park.«
»Haben Sie Ihre Absicht geändert?« fragte Bell.
»Nein, aber ich bin leider für viele Leute so interessant, daß sie ihre Zeit anscheinend nicht besser verwenden können, als mich zu beobachten. Haben Sie nicht bemerkt, daß wir verfolgt wurden?«
»Nein«, erwiderte Bell erstaunt.
»Ich möchte Sie etwas fragen« – der Wagen bog in den Park ein –, »kennen Sie einen gewissen Willetts?«
»Willetts?«
»Er ist Börsenmakler und hat ein Büro in der Nähe der Moorgate Street. Aber ich habe eigentlich noch nie gehört, daß er Aktien gekauft oder verkauft hätte.«
»Ich kenne ihn nicht«, sagte Bell kurz.
Eine lange Pause trat ein. Gold lehnte sich vor, schaute zum Fenster hinaus und bewegte in unregelmäßigen Zwischenräumen die Lippen.
»Ich glaube, ich muß hier aussteigen«, sagte er dann plötzlich und bat den Chauffeur zu halten.
Sie verabschiedeten sich, und Gold stieg aus. Nachdenklich folgte ihm Bell mit den Augen. Der Motor des Taxis war abgestorben, und der Chauffeur mühte sich mit dem Anlasser ab. Bell sah, wie ein Mann aus einer dunklen Seitenstraße auf Gold zutrat. Er kurbelte das Fenster herunter und hörte zu.
»Sind Sie Mr. Gold?« fragte der Mann.
»Ja.«
»Sie sind hier verabredet?«
»Woher wissen Sie denn, daß ich mich hier verabredet habe?« entgegnete Gold ärgerlich.
»Das muß ich Ihnen wohl nicht erst erklären!« rief der Fremde böse.
Gleich darauf hörte man einen scharfen Schuß.
Bell sprang aus dem Wagen. Gold stand unverletzt an der Ecke der Seitenstraße. Der Mann, der geschossen hatte, war davongelaufen und in der Dunkelheit verschwunden.
»Das war nur einer meiner Freunde«, sagte Gold liebenswürdig. Er bückte sich und hob die Pistole auf, die der Mann hatte fallen lassen.
Wentworth betrat an diesem Abend um elf Uhr die Victoria-Station und löste eine Fahrkarte nach Peckham Rye.
Er steckte sich eine Zigarre an, ging langsam den Bahnsteig entlang und stieg in den wartenden Zug ein. Im Abteil schloß er die Tür, schaute durchs offene Fenster und beobachtete aufmerksam alle Leute, die vorbeikamen.
Die Theater-und Kinovorstellungen waren um diese Zeit noch nicht zu Ende, und der Zug fuhr deshalb nur mäßig besetzt aus dem Bahnhof. Gold holte einen Brief hervor, den er erhalten hatte, bevor er an diesem Abend seine Wohnung verließ. Er las ihn mehrere Male sorgfältig durch, bis er den Inhalt auswendig kannte. Dann zerriß er ihn in kleine Fetzen, die er in Abständen zum Fenster hinauswarf.
Das Attentat, das heute abend auf ihn verübt worden war, beunruhigte ihn wenig. Aber er wunderte sich darüber, daß der Mann, den er im Park hatte treffen wollen, nicht gekommen war.
In Peckham Rye verließ er den Zug und ging zu Fuß zur Christal Palace Road. Vor einer größeren Villa blieb er stehen. Das Haus lag im Dunkeln, aber er wußte, daß man ihn erwartete. Er ging zur Tür, drückte auf die Klingel, und gleich darauf wurde ihm geöffnet.
»Sind Sie Mr. Gold?« fragte eine weibliche Stimme.
»Diese Frage wurde mir heute abend schon einmal gestellt«, sagte er und lachte.
Die junge Dame schloß die Tür hinter ihm und half ihm beim Ausziehen seines Mantels.
»Sie kommen spät«, sagte sie, und er hörte die Besorgnis aus ihrer Stimme.
»Nun ja, ich wurde aufgehalten«, entgegnete er. »Wo ist Ihr Onkel?«
Sie antwortete nur mit einem Seufzer, und er schüttelte den Kopf. Maple war zwar ohne Zweifel ein genialer Mann, aber auch bei ihm bestätigte sich wieder einmal die alte Wahrheit, daß Genialität nicht weit von Verrücktheit entfernt ist.
Sie führte ihn durch einen dunklen Gang zu einer kleinen Küche, die an der Rückseite des Hauses lag.
Ein großer, nachlässig gekleideter Mann saß vor einem Tisch. Er hatte die Hände in die Hosentaschen vergraben und starrte mit glanzlosen Augen vor sich hin. Die Tischplatte war mit Reagenzgläsern, Mikroskopen und wissenschaftlichen Apparaten bedeckt.
Als die Tür geöffnet wurde, fuhr der Mann zusammen und hob abwehrend die Hand. Dann, nachdem er einen Blick auf seinen Besucher geworfen hatte, stand er auf.
»Treten Sie doch bitte näher«, sagte er höflich. »Hol einen Stuhl, Verity.«
Das Mädchen gehorchte.
Gold folgte ihr mit den Augen – sie war wirklich, sehr hübsch. Ihr Haar glänzte wie Gold, und die feinen, geschwungenen Augenbrauen gaben ihrem Gesicht einen ganz besonderen Reiz. Etwas Schwermütiges, eine leichte Melancholie beschattete ihre großen graublauen Augen. Gold wandte sich ab, als er bemerkte, daß sie unter seinen prüfenden Bücken errötete.
Maple sah ihn unsicher lächelnd an. Er las eine Frage in seinem hageren, verwüsteten Gesicht, das die Spuren vieler Ausschweifungen trug. Dieses Mädchen, das erst seit kurzem bei Maple wohnte, war die Tochter seines älteren Bruders, die einzige Verwandte, die er auf der Welt besaß. Sie hatte einen guten Einfluß auf ihn, ja, er hatte geradezu eine merkwürdige Zuneigung zu ihr gefaßt. Es war erschütternd, die unausgesprochene Bitte in seinen Augen zu lesen. Gold nickte ihm kaum merklich beruhigend zu.
»Maple, ich glaube, daß Sie Ihre Nichte in der bewußten Angelegenheit ins Vertrauen gezogen haben«, begann Gold das Gespräch und rückte einen Stuhl näher an den Tisch.
»Ja, ich habe kein Geheimnis vor ihr.«
Auf dem Tisch lag eine Brieftasche aus Leder, Maple nahm sie mit seinen zitternden Händen, öffnete sie und holte einen Pack länglicher Banknoten heraus. Es waren amerikanische Fünfdollarscheine, im ganzen zwanzig Stück. Sie alle zeigten grüne, rote und gelbe Flecken, als ob jemand mit ihnen experimentiert hätte.
»Ihrer Meinung nach sind das also alles Fälschungen?« fragte Gold.
Maple nickte.
»Ich habe jede genau untersucht. Sie kennen doch das Geheimzeichen des Schatzamtes der vereinigten Staaten – das Zeichen, das eine Fälschung fast unmöglich macht –, es fehlt bei allen.«
Maple sprach jetzt offensichtlich über sein Lieblingsthema. Müdigkeit und Stumpfheit waren vollständig von ihm abgefallen, seine Stimme klang klar und deutlich.
»Und wie steht es mit der Druckfarbe?«
»Die ist tadellos«, entgegnete Maple bewundernd. »Ich möchte fast annehmen, daß die Farbe verwandt wurde, die in den staatlichen Druckereien gebraucht wird.«
»Die Wasserzeichen?«
»Ohne jeden Fehler! Vor allem muß ich Ihnen aber etwas berichten, das Sie sicher in Erstaunen setzen wird.«
Er zeigte, mit einer gewichtigen Geste auf die Banknoten, die vor ihm lagen.
»Der Mann, der diese Scheine gefälscht hat, bediente sich nicht – wie üblich – der Fotografie als Hilfsmittel. Alle diese Scheine wurden mit richtigen Druckplatten hergestellt! Ich weiß es, weil – doch das tut nichts zur Sache. Auf jeden Fall weiß ich es ganz genau. Die Banknoten wurden sogar auf einer Presse gedruckt, die ganz speziell für diese Zwecke hergestellt wird; sogar das Papier, auf das sie gedruckt wurden, ist von derselben Sorte, wie es das Schatzamt verwendet.«
Er nahm die Banknoten und steckte sie in die Brieftasche.
»Banknotenfälschungen sind schon immer mein Spezialstudium gewesen«, meinte er nach einer Pause mit einem schiefen Lächeln. »Ich habe sowohl in der französischen als auch in der deutschen Staatsdruckerei gearbeitet – und in Frankreich sollte ich eigentlich heute noch eine gute Stellung einnehmen, wenn nicht …« Mit einer abrupten Handbewegung hielt er inne. »Kurz und gut, Mr. Gold, ich kann Ihnen versichern, daß jeder ungestraft diese Noten in Umlauf bringen kann – und nicht nur die kleinen Scheine, sondern auch die Hundertdollarnoten, die ich untersucht habe.«
»Es gibt also wirklich keine Möglichkeit, sie zu erkennen?« fragte Gold. Maple schüttelte den Kopf.
»Nur das Schatzamt der Vereinigten Staaten könnte sie an Hand des fehlenden Geheimzeichens als Fälschungen identifizieren.«
Gold schob seinen Stuhl zurück, stützte das Kinn in die Hand und dachte angestrengt nach. Das junge Mädchen, das sich in der Nähe des Herdes auf einen Hocker gesetzt hatte, schaute von ihm zu ihrem Onkel hinüber. Plötzlich blickte Gold wieder auf.
»Es ist nur ein Glück, daß die Banknotenfälscher ihrer Sache nicht so sicher sind wie Sie. Ich hatte mich mit einem von ihnen heute abend im Green Park verabredet, aber er muß Verdacht geschöpft haben. Statt seiner erwartete mich …«
»Wer?« fragte Maple, als Gold verstummte.
»Spielt keine Rolle«, knurrte Gold und versank wieder in Nachdenken. Er war ernstlich beunruhigt. Bis jetzt hatte er gehofft, daß Maple, ein Spezialist für Banknotenfälschungen, irgendein einfaches Mittel finden würde, durch das man die Überschwemmung mit falschem amerikanischem Papiergeld verhindern könnte. Er war auf Maple angewiesen, und diese Feststellung war ihm nicht angenehm.
Tausende von falschen Banknoten waren bereits in Umlauf gesetzt worden, vielleicht sogar Hunderttausende – alles Scheine von geringem Wert, bei denen sich niemand die Mühe machte, sie genau zu prüfen.
»Ja, dann kann ich im Augenblick wohl nichts weiter tun«, sagte Gold und stand auf. Er reichte Maple die Hand zum Abschied und nickte dem Mädchen freundlich zu.
Als er gerade die Küche verlassen wollte, hielt ihn Maple zurück.
»Ich wollte Sie noch etwas fragen, Mr. Gold. Kennen Sie einen Mr. Cornelius Helder?«
»Ja«, sagte Gold, dessen Interesse erwachte.
»Ich dachte es mir doch. Er ist ein Landsmann von Ihnen, und ich muß ihn schon irgendwann getroffen haben!«
»Helder ist ein ziemlich häufiger Name.«
»Er hat meine Nichte gebeten, bei ihm als Sekretärin zu arbeiten.«
Gold runzelte unwillkürlich die Stirn, was Maple nicht entging. »Ist mit Helder etwas nicht in Ordnung?« fragte er ängstlich. »Er hat ihr ein gutes Gehalt angeboten.«
»Woher wußte er denn, daß Ihre Nichte ohne Stellung ist?«
Maple schob seinem Besucher nochmals einen Stuhl hin.
»Nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz, ich möchte Ihnen gern mehr darüber erzählen. Die Sache ist etwas merkwürdig. Meine Nichte war nämlich Sekretärin beim alten Lord Dellborough, der neulich starb. Sie hatte eigentlich nicht die Absicht, sich nach einer neuen Stellung umzusehen, da ihr Lebensunterhalt bei mir gesichert ist. Nun kam letzte Woche ein Brief von einer Agentur, in dem ihr dieses Angebot gemacht wurde, obgleich sie sich gar nicht beworben hatte.«
»Das ist allerdings ein seltsames Zusammentreffen«, sagte Gold trocken. Er glaubte unter keinen Umständen an einen Zufall und konnte sich ziemlich genau vorstellen, wie die Sache zustande gekommen war.
Er schaute Verity wieder an. Höchstwahrscheinlich wußten gewisse Kreise, wer die frühere Sekretärin von Lord Dellborough war, und man konnte ohne weiteres einer Agentur den Auftrag geben, ihr eine Stellung anzubieten. Es kam noch dazu, daß sie außergewöhnlich hübsch war, und Helder interessierte sich stets für gutaussehende junge Damen.
»Ich möchte Ihnen raten, die Stelle anzunehmen«, sagte er plötzlich, nahm sein Notizbuch aus der Tasche und schrieb etwas auf einen Zettel.
»Hier haben Sie meine Telefonnummer. Sie werden immer jemand erreichen, wenn Sie anrufen. Ich möchte Ihnen aber noch den Rat geben, Helder nicht zu sagen; daß Sie mich kennen – auch wäre es gut, wenn Sie mir mitteilten, ob Sie die Stelle angenommen haben.«
Mit diesen geheimnisvollen Worten verabschiedete er sich.
Für Verity Maple bedeutete die Christal Palace Road das traurige Erwachen aus einem schönen Traum. Es war ihr seither immer gut gegangen, obwohl ihre Mutter schon früh gestorben war; ihr Vater, George Maple, hatte zwölfhundert Pfund im Jahr verdient – leider aber stets fünfzehnhundert ausgegeben. Der Augenblick kam, an dem seine finanziellen Verhältnisse hoffnungslos zerrüttet waren; schließlich gab es nur noch zwei Wege für ihn: Bankrotterklärung oder Selbstmord. Ein Autobus, dem er nicht rechtzeitig auswich, enthob ihn der Entscheidung. Als Verity aus einem belgischen Pensionat heimgekehrt war, fand sie ihr Vaterhaus bereits im Besitz einer Anzahl von Gläubigern, die rücksichtslos versteigern ließen, was nicht niet– und nagelfest: war. Verity saß auf der Straße. Sie wußte nicht was tun, doch da tauchte Tom Maple auf.
Sie hatte früher schon von Onkel Tom gehört und hatte auch Briefe von ihm aus den verschiedensten Städten erhalten, dabei war ihr seine merkwürdige Angewohnheit aufgefallen, gleichzeitig mit dem Aufenthalt auch den Namen zu wechseln.
Er war wirklich ein sonderbarer Mensch, aber ihr gegenüber zeigte er sich von seiner liebenswürdigsten Seite. Verity hatte alle Ursache, ihm dankbar zu sein.
Sie zogen zusammen in das Haus in der Christal Palace Road. Bald genug hatte sie entdeckt, daß er ein Trinker war. Auch daran gewöhnte sie sich und lebte bald glücklicher mit ihm, als sie jemals zu hoffen gewagt hatte.
In finanziellen Dingen war Tom Maple sehr großzügig; er stellte ihr genügend Geld zur Verfügung, und sie war eigentlich durchaus nicht gezwungen, eine Stellung anzunehmen. Es trieb sie mehr der Wunsch nach Unabhängigkeit zu einem Beruf.
Für die Tätigkeit ihres seltsamen Onkels interessierte sich Verity sehr. Stundenlang konnte sie neben ihm sitzen und beobachten, wie er mit sicherer Hand feine, schöngeschwungene Linien in Stahlplatten grub. Tom Maple wurde von einer Gravieranstalt, die Banknoten herstellte, sehr gut bezahlt. Seine Auftraggeber kannten ihn und wußten seine Arbeit zu schätzen. Sie schienen ihn so notwendig zu brauchen, daß sie selbst seine üblen Gewohnheiten übersahen.
An dem Abend nach Golds Besuch hielt sich Verity noch im Wohnzimmer auf. Sie saß am offenen Kamin und las in einem Buch, als sie plötzlich den leichten Schritt ihres Onkels draussen auf dem Gang hörte. Er ging an der Tür vorbei, blieb dann zögernd stehen und kam zurück. Die Tür wurde geöffnet, und er kam herein. Sie sah ihn an.
»Kann ich etwas für Dich tun, Onkel?«
Sein Gesicht war noch bleicher als sonst. Die Wangen schienen ihr noch eingefallener, die Augen von noch dunkleren Rändern umschattet. Er schaute sie eine Weile wortlos an, dann nahm er einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.
»Verity«, sagte er schließlich ernst, »ich habe über dich nachgedacht und mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn ich dir etwas über mich erzählte.«
Er seufzte schwer und sah ihr dann fest in die Augen.
»Mein Leben war sehr merkwürdig«, begann er langsam. »Du weißt nicht so richtig Bescheid über meine Vergangenheit, wie?«
Sie sah ihn lächelnd an und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nur, daß du mir ein guter Onkel bist.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung.
»Du darfst nicht so gut von mir denken. Ich bin nicht ganz der, für den du mich hältst.« – Er sah sie ernst, fast traurig an. – »Wenn mir etwas zustoßen sollte«, fuhr er dann fort, »so möchte ich, daß du einen bestimmten Herrn in London aufsuchst.« Mit diesen Worten zog er seine Brieftasche hervor.
»Ich will dir etwas geben. Ich habe dich neulich um deine Unterschrift gebeten, weil ich dir ein Konto in der Londoner Nordwestbank eröffnet habe. Es ist kein großes Vermögen«, sagte er schnell, als er ihre Freude bemerkte, »aber es wird dich vor Not schützen, wenn mir etwas passieren sollte.«
»Was sollte dir denn passieren?« fragte sie ihn ängstlich und bestürzt.
Er zuckte nur die Schultern.
»Das kann man nie wissen«, meinte er melancholisch.
Er nahm ein Scheckbuch aus der Brieftasche, auf dem der Name der Bank stand.
»Hebe es gut auf«, sagte er, als er es ihr überreichte. »Übrigens mußt du doch langsam auch ans Heiraten denken.«
Sie schüttelte nur lachend den Kopf.
»Die meisten Mädchen schütteln den Kopf, wenn sie ein solches Ansinnen hören«, meinte er, plötzlich wieder vergnügt, »und dann heiraten sie doch alle!«
Er nickte ihr zu und wollte eben aus dem Zimmer gehen, als sie sich an seine Worte von vorhin erinnerte.
»Onkel, du hast mir noch nicht den Namen des Mannes gesagt, an den ich mich wenden soll.«
Er gab nur zögernd die Antwort.
»Ich meine Comstock Bell – später werde ich dir einmal mehr von ihm erzählen.«
Im nächsten Augenblick war er gegangen. Sie folgte ihm nachdenklich mit den Blicken.
Was mochte er mit den Andeutungen über sein früheres Leben gemeint haben? Sie war nun alt genug, um zu wissen, daß seine häufigen Namensänderungen eine ernstere Bedeutung gehabt haben könnten. Fast wünschte sie jetzt, daß sie ihm zugeredet hätte, offen zu sprechen.
Sie schaute auf die Uhr. Um sechs sollte sie sich bei Mr. Cornelius Helder vorstellen. Es kam ihr ein wenig seltsam vor, daß er sie in seine Privatwohnung in der Curzon Street gebeten hatte.
Helder bewohnte mehrere Räume in dem Haus Nr. 406.
Das Gebäude gehörte einem Hausmeister, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und hier nun eine gutgehende Pension unterhielt. Die Mieter bekamen im allgemeinen zwar nur das Frühstück, konnten auf Wunsch aber auch größere Mahlzeiten bestellen.
Verity Maple wurde sofort ins Wohnzimmer geführt. Als sie eintrat, saß Helder vor einem großen Schreibtisch, der mit Druckproben und Zeitungen bedeckt war.
Er erhob sich und gab ihr die Hand.
»Nehmen Sie bitte Platz, Miss Maple. Es tut mir leid, daß ich Sie hierherbitten mußte, aber ich konnte Sie aus Zeitmangel nicht in meinem Büro empfangen.«
Er sprach kurz und geschäftsmäßig, so daß der unangenehme Eindruck, den sie von ihm hatte, rasch wieder verflog.
»Ich habe eine interessante Arbeit für Sie. Können Sie französisch?«
»Ja«, sagte sie und nickte.
»Ich bin nämlich Mitherausgeber einer kleinen Zeitschrift, für die Sie sich in Zukunft interessieren müssen.«
Die Gehaltsfrage wurde besprochen, und Verity wunderte sich, mit welcher Bereitwilligkeit Mr. Helder auf ihre Wünsche einging. Sobald die rein geschäftliche Seite der Unterhaltung beendet war, erhob sie sich.
»Bis morgen früh also«, sagte er und begleitete sie zur Tür.
Verity Maple war sich nach dieser ersten Unterredung mit ihrem neuen Chef nicht ganz klar darüber, ob sie richtig gehandelt hatte, diese Stellung anzunehmen. Als sie sich schon ein Stück von Mr. Helders Haus entfernt hatte, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Sie drehte sich um. Es war Mr. Helder, der ihr nachgelaufen kam.
»Ich muß zur Oxford Street«, sagte er atemlos. »Da haben wir doch denselben Weg, nicht wahr?«
Sie hätte ihm gern gesagt, daß dies nicht der Fall sei, aber er beachtete sie gar nicht weiter, sondern erzählte munter von den Annehmlichkeiten eines neuen Motorbootes, das er sich kaufen wollte, und nannte als Kaufpreis eine Summe, vor der ihr schwindelte. Dann sprach er über sonstige Geldgeschäfte, ohne jedoch auf Einzelheiten einzugehen.
In der Oxford Street trennten sie sich, und sie seufzte erleichtert auf, als er sich von ihr verabschiedet hatte.
Auf Helder hatte das hübsche Mädchen großen Eindruck gemacht. Er hatte zwar schon viel von ihr gehört, aber nicht gedacht, daß sie so gut aussah.
Er schaute ihr nach, bis sie in der Menschenmenge verschwunden war, dann winkte er einem Taxi und fuhr zum Klub.
Als Verity zur Victoria Station kam, war ihr Zug schon abgefahren, und sie mußte sich nun die Zeit vertreiben, bis der nächste kam.
An einem Bücherstand betrachtete sie aufmerksam die Auslagen und las die Titel der neuen Bücher. Dabei stieß sie mit einem Herrn zusammen, und ihre Handtasche fiel auf den Boden. Er bückte sich schnell, hob die Tasche auf und überreichte sie ihr mit einer Entschuldigung.
Sie sah sich einem hochgewachsenen jungen Mann gegenüber, der sie einen Augenblick bewundernd anschaute. Dann grüßte er höflich und ging.
Es war die erste Begegnung Veritys mit Comstock Bell.
Sie betrat einen Erfrischungsraum, um eine Tasse Tee zu trinken. Als sie wieder aufstand, entdeckte sie, daß sie auch den nächsten Zug versäumt hatte. Eigentlich war sie ja gar nicht in Eile, und so schlenderte sie gemütlich zum Marble Arch und besuchte noch eine Kinovorstellung.
Als sie in Peckham ankam, war es schon neun Uhr. Der Himmel war wolkenbedeckt, und es regnete in Strömen. Sie bog in die Christal Palace Road ein und bemerkte einen Mann, der an einem Laternenpfahl auf der anderen Seite der Straße lehnte. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, denn er wandte ihr den Rücken zu.
Vor ihrer Haustür kramte sie die Schlüssel heraus und wollte gerade aufschließen, als sie hinter der Tür Stimmen hörte. Es war sehr ungewöhnlich, daß ihr Onkel Besuch hatte, und erstaunt trat sie einen Schritt zurück. Die Stimmen näherten sieb, und gleich darauf öffnete sich die Tür. Einem Impuls gehorchend, trat sie in das Dunkel des Gebüsches zurück, das vor dem Eingang angepflanzt war.
Ihr Onkel kam heraus, in seiner Begleitung waren zwei Herren. Der eine war robust und untersetzt, der andere groß und schlank.
»Hoffentlich haben Sie uns jetzt verstanden!« sagte der Kleinere drohend; er sprach mit stark amerikanischem Akzent.
Maple antwortete leise etwas, das Verity nicht verstehen konnte.
»Damit wäre also alles klar«, schnitt ihm der andere das Wort ab. »Wir wollen nur von Ihnen haben, daß Sie kein Spielverderber sind. Es liegt jetzt an Ihnen, Ihre verschiedenen Fehler wieder gutzumachen. Er weiß das ganz genau …«, dabei deutete er auf die Straße.
»Warum kommt er denn nicht selbst?« brummte Maple vorwurfsvoll.
Die beiden lachten höhnisch.
»Weil er sich bei dieser Angelegenheit nicht sehen lassen will. Außerdem wohnen Sie doch nicht allein hier im Hause, nicht wahr? Kurz und gut, Sie werden sich auf jeden Fall verantworten müssen, wenn Sie noch einmal etwas gegen uns unternehmen.« Seine Stimme klang so kalt und scharf, daß Verity ein Schauer über den Rücken lief. »Diesmal wollen wir ein ganz großes Ding drehen – und wer sich uns dabei in den Weg stellt, wird erledigt. Verstanden?«
Tom Maple nickte, und es trat eine kleine Pause ein.
»Wo ist er eigentlich?«
»Er wartet an der nächsten Straßenecke. Wollen Sie mit uns kommen und ihn begrüßen?«
Maple schüttelte den Kopf.
»Nein, ich weiß schon, daß er dort ist – das bezweifle ich nicht«, sagte er bitter.
Ohne ein weiteres Wort drehten sie ihm den Rücken zu und verschwanden durch das Gartentor. Tom Maple wandte sich seufzend um und ging ins Haus zurück.
Verity war überrascht und bestürzt. Was hatte das alles zu bedeuten? Welchen Einfluß hatten diese Leute auf ihren Onkel? Wer war dieser geheimnisvolle Mann, der das Haus nicht betreten wollte? Einen Augenblick zögerte sie, dann lief sie schnell zur Gartentür und folgte den beiden Männern, die noch keinen großen Vorsprung hatten.
Als sie das Ende der Straße erreichten, kam der Mann, der unter der Laterne gewartet hatte, von der anderen Straßenseite zu ihnen herüber. Die drei blieben stehen. Klopfenden Herzens ging Verity weiter; das Gespräch der drei verstummte, und als sie die Männer passierte, drehte sich einer von ihnen nach ihr um. Zu ihrem Schrecken sah sie, es war – Mr. Helder. Hastig eilte sie weiter und hoffte, daß er sie nicht erkannt habe.
Als sie in die nächste Seitenstraße einbog, warf sie einen Blick zurück. Helder folgte ihr! Schnell bog sie um die Ecke und schlüpfte in den nächsten Hauseingang. Eine Zeitlang stand sie dort atemlos und horchte angespannt. Zu ihrer größten Beruhigung näherten sich aber keine Schritte, und als sie nach einigen Minuten vorsichtig auf die Straße spähte, war kein Mensch zu sehen. So schnell sie konnte, lief sie nach Hause.
Als sie in die Küche trat, saß ihr Onkel wie gewöhnlich am Tisch, sie bemerkte aber sofort, daß ihn irgend etwas beunruhigte. Er begrüßte sie so geistesabwesend, daß sie immer besorgter wurde; trotzdem schien es ihr ratsam, vorerst nichts von dem zu sagen, was sie gesehen und gehört hatte. Sie bereitete das Abendessen, und erst als sie den Tisch deckte, sah er auf.
»Verity, ich werde es doch tun, was auch immer geschehen mag!«
Sie wartete, daß er ihr jetzt alles erzählen würde, doch er sagte noch einige wenige Sätze halb zu sich selbst: »Sie glauben, daß sie mich in ihrer Gewalt haben. Aber ich werde es ihnen schon zeigen – sie sollen noch ihr blaues Wunder erleben!«
Als sie sich nach dem Essen erhob und abräumen wollte, drehte er sich nach ihr um.
»Vergiß den Mann nicht, von dem wir gesprochen haben«, sagte er mit eigenartiger Betonung.
»Mr. Comstock Bell?«
»Ja, Comstock Bell.«
Cornelius Helder war ein widerspruchsvoller Charakter, und Gold liebte solche Leute nicht. »Ein Mann muß einen festen Standpunkt haben«, sagte er, »sonst kann man ihn nicht für voll nehmen.«
Nach Golds Meinung war es unvereinbar, daß Helder auf der einen Seite gern Witze machte, gut lebte und eine ausgesprochene Vorliebe für Luxus hatte, andererseits aber den revolutionären Helden spielte und zum Widerstand gegen die Kapitalisten aufrief.
»Vielleicht ist es auch nur Effekthascherei, Exzellenz«, sagte Gold. »Irgendeine Pose – die meisten Menschen geben sich anders, als sie sind.«
Gold unterhielt sich mit dem amerikanischen Konsul in dessen Arbeitszimmer.
»Ich möchte eigentlich Mr. Helder solche Dummheiten nicht Zutrauen. Er ist doch wirklich nicht mehr der jüngste.«
Gold lächelte. Er hatte eine kleine achtseitige Zeitschrift in der Hand. Sie war zweispaltig gedruckt, und die eine Hälfte zeigte ausländische Worte. Die Zeitschrift trug den Titel: »Die Tarnung.« Als Herausgeber zeichnete Mr. Helder.
»Ich muß Ihnen gestehen«, sagte der Konsul, »daß mir diese Art von Landsleuten hier allmählich lästig wird. Ich hätte nie gedacht, daß ein Mann wie Helder, der doch immerhin der höheren Gesellschaftsschicht angehört, solche umstürzlerischen Ansichten hegt.«
»In dieser Nummer sind ja keine besonderen Angriffe enthalten«, entgegnete Gold. »Ich habe die Zeitschrift bisher aufmerksam verfolgt, auch in den anderen Nummern konnte ich nichts dergleichen entdecken.«
Gold überflog flüchtig den Leitartikel.
»Es ist doch reiner Unsinn«, sagte der Konsul ärgerlich: Diese Zeitschrift soll heimlich unter den Kommunisten verteilt werden. Ebensogut könnte Helder doch sein Geld dafür ausgeben, zweisprachige Ausgaben von Gedichten zu vertreiben!«
Gold wartete auf eine Erklärung, warum ihn der Konsul so dringend zu sich gerufen hatte. Man sprach noch eine Zeitlang über allgemeine Dinge. Als Gold merkte, daß er keine näheren Aufschlüsse erhielt, entschloß er sich zu einer direkten Frage.
»Was gefällt Ihnen denn an dieser Nummer der ›Warnung‹ nicht, Exzellenz?«
Der Konsul rieb sich die Hände und lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Sie kennen Helder doch sehr gut«, sagte er. »Vor einigen Tagen erklärte er mir im Terriers-Klub, daß Sie der einzige Amerikaner in London seien, vor dem er Hochachtung und sogar einen gewissen Respekt habe.«
Gold lächelte.
»Ich traue ihm nicht, und wenn er mich lobt, traue ich ihm am allerwenigsten.«
»Mag sein«, entgegnete der Konsul, »aber zuerst einmal müssen Sie beweisen, daß Ihre Ansicht über ihn richtig ist. Fordern Sie ihn vor allen Dingen auf, daß er mit der Herausgabe dieser blödsinnigen Zeitschrift aufhört. Die englische Regierung sieht so etwas durchaus nicht gern! Ich möchte nur wissen, warum er soviel Zeit und Geld in diese Angelegenheit steckt. Man könnte geradezu meinen, daß er einen Staatsstreich vorbereitet! Und dann dieser Unsinn, das ganze Personal seines Schmierblättchens, aus Ausländern zusammenzusetzen. Das Auswärtige Amt in London ist sehr ungehalten über die Geschichte, und ich glaube, daß es nicht mehr lange dauert, bis man dagegen einschreitet. Dann wandert Heider ins Gefängnis, und das wäre doch außerordentlich fatal.«
»Ich werde mein möglichstes tun«, sagte Gold.
Er nahm ein Taxi und ließ sich zum Terriers-Klub fahren. Helder war noch nicht dort, aber in einer Nische sah er Comstock Bell vor seinem Mittagessen sitzen. Gold ging zu ihm und ließ sich ihm gegenüber gemütlich nieder.
Bell sah schlecht aus; seine rechte Hand war bandagiert.
»Hallo, was ist Ihnen denn passiert?«
»Nicht so schlimm. Ich habe mir die Hand in einer Tür geklemmt – wahrscheinlich ist ein Finger angeknackst.«
»Das tut mir aber leid.«
»Wirklich nicht der Rede wert. Unangenehm ist nur, daß ich jetzt mit der linken Hand essen und – vor allem – mir eine Sekretärin engagieren muß, die mir meine Briefe schreibt. Wie geht es denn Ihnen? Sie tun geradeso, als ob Sie es gewohnt seien, für fremde Leute als Zielscheibe zu dienen.«
Gold lächelte grimmig.
»Ganz so ist es nun auch wieder nicht. Hören Sie zu, Comstock – ich möchte Ihnen gegenüber mit offenen Karten spielen. Der Mann, der mir neulich abends im Park begegnete, wollte mich allen Ernstes umlegen.«
»Tatsächlich?« meinte Bell ironisch. »Ich dachte, er wollte Ihnen eine Einladung in den Buckingham Palast überbringen.«
»Spaß beiseite«, entgegnete Gold ernst. »Die Sache geht Sie übrigens genauso an wie mich. Ich bekam also einen Brief von einem meiner Vertrauensleute, daß er sich mit mir im Park treffen wolle. Ein Platz zwischen der dritten und vierten Laterne war vereinbart worden. Leider wurde mein Mann selbst beobachtet. Zwei Leute, die sich als Kriminalbeamte auswiesen, nahmen ihn wegen versuchten Raubüberfalls fest; mein Vertrauensmann, der natürlich nicht das geringste auf dem Kerbholz hatte, wollte sich gegen das Gesetz nicht auflehnen und folgte den beiden. Sie brachten ihn zu einem Wagen und fuhren mit ihm in einen Außenbezirk. Dort ließen sie ihn wieder laufen.«
Er mußte lachen.
»Die Leute haben die Sache gut gemacht. An Stelle meines Agenten erwartete mich jemand, der den Auftrag hatte, mit mir abzurechnen. – Ah …, bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«
Gold hatte eben Helder den Speisesaal betreten sehen. Er nickte Comstock zu, ging quer durch den Raum und verschwand im Rauchsalon, den Helder aufgesucht hatte. Er saß dort und blätterte in einer illustrierten Zeitung. Als Gold zu ihm trat, schaute er auf.
»Ich hätte gern einmal mit Ihnen gesprochen, Sie aufrührerischer Geist.«
Helder lachte.
»Soll ich des Landes verwiesen werden?«, fragte er und machte auf dem Sofa Platz, damit Gold sich neben ihn setzen konnte. »Oder will man mich wegen Hochverrats anklagen?«
»Soweit ist es noch nicht. Es besteht nur die Gefahr, daß Sie hier unangenehm auffallen. Ich habe neulich mit unserem Konsul gesprochen, und da er weiß, daß ich Sie gut kenne, bat er mich, Ihnen etwas zu erklären: Er kann Sie nämlich nicht mehr in die Botschaft einladen, wenn Sie derartige Veröffentlichungen nicht einstellen.«
Helder wurde dunkelrot. »Es wäre mir lieber, wenn sich der Botschafter mit einem solchen Ansinnen direkt an mich wenden würde«, sagte er ärgerlich.
Gold beobachtete ihn interessiert. Es war das erstemal, daß sich Helder von einer unangenehmen Seite zeigte. Sein Mund war verkniffen, und seine Augen funkelten böse.
Es hatte Helder einige Mühe gekostet, seine gegenwärtige Stellung in der Gesellschaft zu erobern. Sein Vater hinterließ ihm nur ein kleines Vermögen, das gerade zu einem bescheidenen Leben ausreichte. Ein Geschäft, das er in Paris eröffnet hatte, mußte er später wieder aufgeben. Jetzt lebte er schon seit Jahren in London, und man erzählte sich, daß er allein mit Eisenbahnaktien ein Vermögen verdient hätte.
Und nun, da er endlich am Ziel war, drohte man, ihn gesellschaftlich zu schneiden. Er schaute deshalb Gold wütend an?
»Ich möchte, daß man meine Rechte als amerikanischer Staatsbürger respektiert. Ich kann mir mein Leben nach meinen eigenen Wünschen einrichten, solange ich nicht mit dem Gesetz in Konflikt komme. Und in der ›Warnung‹ ist nichts erschienen, was über das gesetzmäßig Erlaubte hinausginge.«
»Es liegt aber gar kein Grund vor, eine solche unnütze Zeitschrift überhaupt herauszugeben«, erklärte Gold.
»Jetzt werden Sie beleidigend.« Helder erhob sich. »Ich glaube, wir können die Unterhaltung abbrechen.«
Gold nickte.
»Es kommt ja doch nichts dabei heraus. Ach, da fällt mir gerade ein, daß ich meinem Neffen ein Geburtstagsgeschenk schicken muß.« Er schaute auf die Uhr und kramte in seiner Brieftasche herum, fand aber anscheinend nicht das Gewünschte. »Haben Sie etwas amerikanisches Geld bei sich, Mr. Helder? Ich brauche zwanzig Dollar.«
Comstock Bell war ins Zimmer getreten und hatte die letzten Worte Golds gehört.
Helder schüttelte den Kopf.
Bell mischte sich in die Unterhaltung.
»Ich habe genügend Dollar bei mir«, sagte er, zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr zwanzig Dollar, die er Gold überreichte. Helder beobachtete ihn dabei scharf.
Er sah, wie Gold die Banknoten, scheinbar nur oberflächlich betrachtete.
»Du lieber Himmel«, sagte Gold plötzlich. Sein Gesicht war blaß geworden.
Gold starrte Bell einen Augenblick lang fassungslos an.
»Was ist denn los?« fragte Bell verwundert.
»Nichts«, entgegnete Gold kurz, drehte sich um und verließ den Raum, ohne sich zu verabschieden.
Comstock Bell sah ihm kopfschüttelnd nach.
»Wissen Sie, was er hat?« fragte er Helder, dem gegenüber er sich stets einer sehr kühlen Höflichkeit befleißigte.
»Keine Ahnung, Mr. Bell. Gold scheint heute ein wenig nervös zu sein – mit mir hat er sich vorher auch fast gestritten.« »Warum sagten Sie denn, daß Sie keine amerikanischen Banknoten hätten? Sie haben doch einige in der Tasche.«
Vor dem Mittagessen hatten die beiden eine kleine Meinungsverschiedenheit wegen Washingtons Bild auf den Fünfdollarscheinen gehabt. Sie verglichen verschiedene Banknoten miteinander, und Helder war mit einigen Scheinen Comstocks zum Fenster gegangen, um sie genauer zu betrachten.
»Hatte ich ganz vergessen«, brummte Helder. »Abgesehen davon war ich sowieso nicht in der Stimmung, Gold eine Gefälligkeit zu erweisen.«
Bell zuckte die Achseln und wollte sich verabschieden, als Helder ihn zurückhielt.
»Sagen Sie, Mr. Bell, kennen Sie einen gewissen Willetts?«
»Nein«, entgegnete Bell. »Wie kommen Sie darauf?«
Helder rieb sich das Kinn.
»Ach, ich habe keinen besonderen Grund«, sagte er dann. »Aber wenn Sie einmal etwas Zeit übrig haben, würde ich mich gern mit Ihnen unterhalten.«
»Über diesen Mann?« fragte Bell scharf.
»Ja, auch über ihn – und über andere Dinge.«
Comstock Bell zögerte.
»Schön, ich werde an einem der nächsten Tage in Ihr Büro kommen.«
Mit einem Kopfnicken verabschiedete sich Bell und verließ den Klub. Er überquerte die Pall Mall und schlenderte dann ziellos durch den Park.
Es war ein herrlicher Frühlingstag, ganz dazu gemacht, alle Sorgen zu vergessen, doch Bell nahm keine Notiz von seiner Umwelt; er hatte einen Plan gefaßt, einen schrecklichen Plan, wie er sich selbst immer wieder sagte – trotzdem wollte er ihn unter allen Umständen ausführen, wer auch immer der Leidtragende sein würde. Einmal mußte er zur Ruhe kommen und endlich diesem schrecklichen Zustand ein Ende machen.
Es war ein Plan, der in allen Einzelheiten genau durchdacht war. Tag für Tag und Nacht für Nacht hatte er ihn immer wieder durchkalkuliert und jeden Zug festgelegt.
»Wer auch immer der Leidtragende sein wird …«, murmelte er vor sich hin und seufzte.
Als er zum Victoria Memorial kam, überquerte er die Straße und nahm seinen Weg entlang Constitutional Hill. In seinem Plan fehlte noch ein einziges Glied – er brauchte noch einen Helfer. Zuerst hatte er an Gold gedacht, diesen Gedanken aber sehr bald wieder aufgegeben. Gefühlsmäßig wußte er, daß sich Gold für keine noch so hohe Summe für so etwas hergeben würde.
Er ließ gerade im Geist alle seine Freunde und Bekannten Revue passieren, als neben ihm ein Taxi hielt. Gold sprang aus dem Wagen, bezahlte den Chauffeur und kam dann auf ihn zu.
»Ich bin Ihnen vom Klub aus gefolgt, Mr. Bell. Könnte ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
»Alle Leute scheinen das Bedürfnis zu haben, sich mit mir zu unterhalten«, entgegnete Bell freundlich. »Ich habe mich übrigens in Gedanken gerade sehr intensiv mit Ihnen beschäftigt.«
Sie verließen die Hauptstraße und bogen in eine Nebenstraße ein, die zu einer kleinen Parkanlage führte.
»Ich möchte ganz offen mit Ihnen reden«, sagte Gold nach einigen Minuten nachdenklichen Schweigens. »Sie haben sich wahrscheinlich gewundert, warum ich Sie vorher im Klub einfach stehenließ und fortging?«
»Ein wenig seltsam fand ich das schon«, gab Bell zu.
»Meine Eile war durchaus gerechtfertigt. Ich habe jemand aufgesucht, um ihm einen Verdacht mitzuteilen – dieser Verdacht hat sich bestätigt.«
»Ich verstehe Sie gar nicht, was soll denn das alles bedeuten?« entgegnete Bell ein wenig ärgerlich.
»Zwei der Fünfdollarnoten, die Sie mir gaben, waren gefälscht.«
»Gefälscht?«
»Ja, es besteht gar kein Zweifel«, erklärte Gold. »Tausende von gefälschten Scheinen sind schon seit einiger Zeit im Umlauf. Von wem haben Sie die Banknoten bekommen?«
»Ein Mann, den ich im Savoy-Hotel traf, brauchte englisches Geld – ich habe ihm einige Scheine gewechselt.«
Gold sah ihn scharf an.
»Stimmt das wirklich?«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Bell. Er wurde immer ärgerlicher. »Glauben Sie vielleicht, ich würde Ihnen etwas vorlügen?«
»Und wie hieß der Mann?«
In diesem Augenblick erinnerte sich Bell daran, wie die Scheine in seinen Besitz gekommen waren – er hatte sie ja von Helder erhalten! Der hatte ihm unter einem fadenscheinigen Vorwand die falschen Noten untergeschoben. Schon wollte er es Gold sagen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam – hier war sine günstige Gelegenheit, die er für die Ausführung seines Planes benutzen konnte.
»Der Mann hieß Willetts«, sagte Bell langsam.
»Willetts? Sie haben mir doch neulich erzählt, daß Sie ihn überhaupt nicht kennen?«
»So? Nun, wahrscheinlich habe ich den Herrn, von dem Sie sprachen, nicht mit dem Mann in Verbindung gebracht, den ich im ›Savoy‹ traf«, erklärte Bell.
Gold schüttelte den Kopf.
»Na schön«, meinte er. »Ich werde diesen Willetts ausfindig machen. Eine Ahnung sagt mir, daß mir große Unannehmlichkeiten erspart bleiben, wenn ich dieses Rätsel gelöst habe.«
»Und mich werden Sie dadurch von noch größeren Schwierigkeiten befreien«, murmelte Comstock Bell.
Gold verabschiedete sich von Bell, der seinen Spaziergang fortsetzte, stieg in ein Taxi und war gleich darauf mitten in der City.