Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter - Ferdinand Gregorovius - E-Book

Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter E-Book

Ferdinand Gregorovius

0,0

Beschreibung

1889 erschien die "Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter" in zwei Bänden: eine nach allgemeinem Urteil in jeder Hinsicht vollendete Meisterleistung, beruhend auf mehrjähriger, eindringendster Arbeit und selbständiger Forschung in den Archiven Venedigs, Neapels, Palermos, wie auf umfassender Verwertung des gedruckten Materials - gleich ausgezeichnet durch die geniale Bezwingung des ungemein spröden Stoffes, der die Gefahr öder, langweiliger Zersplitterung und Detailmalerei in sich barg, wie durch die künstlerische Gestaltungskraft, welche neben der politischen Geschichte auch die übrigen kulturellen Faktoren, die geistigen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Bau- und Kunstgeschichte wieder in gleicher Weise berücksichtigte, wie endlich durch die hier vorzüglich wirksame universal-historische Betrachtungsweise, welche eine Lokal- und Provinzialgeschichte zu einem Stück Weltgeschichte umschuf. Denn Athen war in der ersten Hälfte des Mittelalters unter der Herrschaft der byzantinischen Kaiser zu einer kleinen, ärmlichen Provinzialstadt herabgesunken und fristete auch nach 1204 unter der Herrschaft der Franken als Residenz eines Herzogs nur ein bescheidenes Leben. Um so glänzender bewährte sich auch hier die Eigenart von Gregorovius' Geschichtsschreibung, bei welcher der Künstler den Forscher ja beinahe übertrifft.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 905

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter

Von der Zeit Justinians bis zur türkischen Eroberung

Ferdinand Gregorovius

Inhalt:

Ferdinand Gregorovius – Biographie und Bibliographie

Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter

Vorwort

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Drittes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Viertes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter, F. Gregorovius

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849640781

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Ferdinand Gregorovius – Biographie und Bibliographie

Deutscher Geschichtschreiber und Dichter, geb. 19. Jan. 1821 zu Neidenburg in Ostpreußen, gest. 1. Mai 1891 in München, studierte in Königsberg Theologie und Philosophie, trieb aber dann poetische und historische Studien, veröffentlichte seit 1841 mehrere belletristische Werke, unter andern »Werdomar und Wladislaw, aus der Wüste Romantik« (Königsb. 1845, 2 Tle.), dann die bedeutendere Arbeit: »Goethes Wilhelm Meister in seinen sozialistischen Elementen« (das. 1849), der die kleineren Schriften: »Die Idee des Polentums« (das. 1848) und »Die Polen- und Magyarenlieder« (das. 1849), folgten. Die Frucht gründlicher historischer Studien waren die Tragödie »Der Tod des Tiberius« (Hamb. 1851) und die »Geschichte des römischen Kaisers Hadrian und seiner Zeit« (das. 1851, 3. Aufl. 1884; engl., Lond. 1898). Im Frühjahr 1852 begab sich G. nach Italien, das er seitdem vielfach durchwanderte, und wo er sich bis 1874 aufhielt. 1880 unternahm er eine Reise nach Griechenland, 1872 nach Ägypten, Syrien und Konstantinopel. Seitdem lebte er abwechselnd in Rom und in München. Interessante Ergebnisse seiner Beobachtungen und Studien in Italien enthalten das treffliche Werk über »Corsica« (Stuttg. 1854, 2 Bde.; 3. Aufl. 1878; auch ins Englische übersetzt) und die u. d. T. »Wanderjahre in Italien« (5 Bde.) gesammelten, in wiederholten Auflagen erschienenen Schriften: »Figuren. Geschichte, Leben und Szenerie aus Italien« (Leipz. 1856), »Siciliana, Wanderungen in Neapel und Sizilien« (1860), »Lateinische Sommer« (1863), »Von Ravenna bis Mentana« (1871) und »Apulische Landschaften« (1877). Daran schloss sich »Die Insel Capri« (Leipz. 1868, mit Bildern von K. Lindemann-Frommel; 3. Aufl. 1897). Auch sein idyllisches Epos »Euphorion« (Leipz. 1858, 6. Aufl. 1891; von Th. Grosse illustriert, 1872) atmet südliche Luft und klassischen Geist. Er lieferte auch eine gelungene Übersetzung der »Lieder des Giovanni Meli von Palermo« (Leipz. 1856, 2. Aufl. 1886). »Die Grabdenkmäler der römischen Päpste« (Leipz. 1857, 2. Aufl. 1881; engl., Lond. 1903) sind eine Vorstudie zu seinem Hauptwerke, der »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter« (Stuttg. 1859–73, 8 Bde.; 5. Aufl. 1903 ff.), worin er Rom als Residenz der Päpste und als Mittelpunkt der mittelalterlichen Geschichte mit geschichtlichem Verständnis und unter Würdigung seiner Bau- und Kunstdenkmäler behandelt. Die Stadt Rom beschloss die Übersetzung des Werkes ins Italienische (»Storia della città di Roma nel medio evo«, Vened. 1874–1876, 8 Bde.) und ernannte G. zum Ehrenbürger. Auch ins Englische wurde das Werk übersetzt. Später erschienen von ihm: »Lucrezia Borgia« (Stuttg. 1874, 2 Bde.; 4. Aufl. 1906; franz., Par. 1876; engl., Lond. 1904), eine Ehrenrettung der berüchtigten Frau; »Urban VIII. im Widerspruch zu Spanien und dem Kaiser« (Stuttg. 1879, von G. selbst ins Italienische übersetzt, Rom 1879); »Athenais, Geschichte einer byzantinischen Kaiserin« (Leipz. 1882, 3. Aufl. 1891); »Korfu, eine ionische Idylle« (das. 1882); »Kleine Schriften zur Geschichte der Kultur« (das. 1887–92, 3 Bde.) und »Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter« (Stuttg. 1889, 2 Bde.). Auch gab er die »Briefe Alexanders v. Humboldt an seinen Bruder Wilhelm« (Stuttg. 1880) und einen von ihm aufgefundenen Stadtplan Roms (»Una pianta di Roma delineata da Leonardo da Besozzo Milanese«, Rom 1883) heraus. Nach seinem Tod erschienen: »Gedichte« (hrsg. vom Grafen Schack, Leipz. 1891), »Römische Tagebücher« (hrsg. von Althaus, Stuttg. 1892; 2. Aufl. 1894), »Briefe von Ferd. G. an den Staatssekretär Herm. v. Thile« (hrsg. von H. v. Petersdorff, Berl. 1894), »Ferdinand G. und seine Briefe an Gräfin Ersilia Caetani Lovatelli« (hrsg. von Siegmund Münz, das. 1896, die Zeit 1866–91 umfassend, nebst kurzer Biographie). Nach dem Tode seines Bruders vermachte G. seiner Vaterstadt sein Vermögen.

Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter

Vorwort

’Έρως ’Αθηνω̃ν τω̃ν πάλαι θρυλουμένων έγραψε ταυ̃τα... Michael Akominatos

Meine Arbeit über Athen ist aus der Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter erwachsen. In der Einleitung dieser, dann in jener Stelle des zweiten Bandes, wo ich vom Aufenthalt des Kaisers Konstans II. erst in Athen, hierauf in Rom geredet habe, den beiden damals, im 7. Jahrhundert, schon stark verwandelten Metropolen der antiken Welt, kann der Leser Keime dieser Geschichte Athens im Mittelalter vor sich sehen.

Jahre gingen hin, bis sich dieselben so weit ausbildeten, daß die Möglichkeit einer geschichtlichen Darstellung in mein Bewußtsein trat, was wesentlich durch meinen ersten Besuch Athens im Frühjahr 1880 bewirkt worden ist. Ich schickte zwei Orientierungsschriften voraus: ›Athenais, Geschichte einer byzantinischen Kaiserin‹ und die Abhandlung ›Athen in den dunklen Jahrhunderten‹.

Die merkwürdige Gestalt der heidnischen Philosophentochter, welche Christin wird, um sodann das Diadem der Kaiserin zu tragen, versinnbildlicht eine zwiefache Metamorphose Griechenlands: den Übergang vom Heidentum in das Christentum, vom Hellenentum in das Byzantinertum. Von Athen hinweg wandert das geschichtliche Leben der Griechen nach Byzanz.

Mehrere Gewalten haben, teils mitsammen, teils nacheinander wirksam, die antike Welt der Hellenen aufgelöst: Rom, das Christentum, die Barbareninvasion (Goten, Slaven, Araber, Turanier), endlich Byzanz. Die Stadt Konstantins ist das Siegel, welches die Geschichte auf die Transformation Griechenlands und des hellenischen Orients gedrückt hat. Durch Konstantinopel entsteht ein byzantinisches Hellenentum, in welchem die alte griechische Kultur, das Staatswesen der Römer, das Christentum, die Barbarei verschmolzen sind. Ich stelle mir vor, daß einmal die Geschichte dieser wunderbaren Stadt geschrieben werden wird, und sie dürfte dann die Geschichte des Byzantinismus sein.

Meine zweite Schrift behandelte im Umriß die Schicksale Athens in den dunklen Jahrhunderten. Zu diesen gehört nicht die Zeit der Römerherrschaft in Griechenland. Freilich war schon in ihr ganz Hellas in jenem tiefen Verfall, wie ihn Strabo und Pausanias geschildert haben, aber Athen hat gerade durch die Gunst römischer Kaiser noch eine letzte, zum Teil glanzvolle Renaissance erlebt. Wir besitzen geschätzte Werke, welche die Zustände Griechenlands und mit ihm Athens unter den Römern schildern, von Finlay und Hertzberg. Jene dunklen Jahrhunderte sind byzantinisch. Die Weltstadt am Bosporos hat Athen in Schatten gestellt; die Völkerwoge der Slaven und Bulgaren ist über Griechenland hereingebrochen; die Zeit gekommen, wo Athen geschichtslos wird. Hier ist die Stelle, wo Fallmerayer seine grell lodernde Fackel erhoben hat.

Das Mittelalter Athens beginnt in der Zeit Justinians, in der sich der Untergang des antiken Hellenentums auch in der wissenschaftlichen Schule vollzog; es scheidet sich in die byzantinische und fränkische Epoche. Die lateinischen Eroberer hoben die Verbindung Athens mit Byzanz auf, und ihrer Feudalherrschaft machten die Osmanen ein Ende. Die Grenzlinien meiner Arbeit sind demnach die Zeit Justinians und die türkische Eroberung; was der ersten vorausgeht, ist vorbereitende Einleitung, was der letzten folgt, ein Epilog.

Nun kann niemand mehr als ich empfinden, daß mein Unternehmen, die Geschichte der erlauchten Stadt in jenen beiden Epochen darzustellen, ein äußerst gewagtes ist. Wenn ich die innere Natur Athens mit jener Roms im Mittelalter verglich, mußte ich zweifeln, ob ein solcher Versuch für den Geschichtsschreiber überhaupt ausführbar und ob er so großer Mühen lohnend sei. Die Stadt Rom blieb immer das Haupt des Abendlandes. Sie stieg durch die Macht der Kirche zu einer zweiten Weltherrschaft auf. Neue Daseinsformen, gewaltige Schöpfungen und Bewegungen der Menschheit sind aus ihr entsprungen, oder sie haben sich in dieser ewigen Stadt abgespiegelt. Ihr Leben im Mittelalter bietet den denkbar großartigsten Stoff für ein historisches Epos dar, welches sich mit Gesetzmäßigkeit um drei feststehende Gestalten bewegt: den Papst, den Kaiser, den Senator auf dem Kapitol.

Dagegen hat sich die Stadt Athen in demselben Zeitalter nicht mehr zu neuer geschichtlicher Größe emporgeschwungen. Sie war keine wirkende Kraft mehr in dem Prozeß der westlichen und östlichen Kultur. Als griechische Provinzialstadt verlor sie sich sogar zeitweise aus dem Bewußtsein der Welt. Nacht deckt ihre Zustände während der Jahrhunderte, wo ihre Geschichte nur einen kaum beachteten Bruchteil jener des byzantinischen Reichs gebildet hat, eines Reichs, welches noch heute zu den am wenigsten durchforschten historischen Gebieten gehört. Unter der Herrschaft der Franken weicht zwar das Dunkel von Athen, allein auch da bewegt sich sein geschichtliches Dasein nur in kleinen, für das Weltganze wenig bedeutenden Verhältnissen.

Die eigene Wesenheit Athens und Griechenlands in den mittleren Zeiten schließt demnach von der Betrachtung des Geschichtsschreibers die großen Probleme der Menschheit und den Weltbezug aus. Wenn sie nun, statt ihn zu hohen Anschauungen zu erheben, seine Schwinge niederhält und ihn der Gefahr aussetzt, zum Kleinmaler in Mosaik, zum Sammler fragmentarischer Kunden zu werden, um sich schließlich in jenem Wirrsal dynastischer Genealogien und zersplitterter Kleinstaaten zu verlieren, welches ganz Hellas im Mittelalter zu einem zweiten Labyrinth Kretas macht: so erschwert ihm hier die Natur der historischen Quellen, dort ihr Mangel sogar die Ergründung der Tatsachen und deren Verknüpfung zu einem lebensvollen Ganzen.

Die byzantinischen Historiographen schweigen von Athen, oder sie berühren dasselbe nur flüchtig. Die Stadt des Thukydides und Xenophon hat im Mittelalter weder eine hellenische noch fränkische Lokalchronik hervorgebracht. Die byzantinischen und griechischen Staatsarchive, die fränkischen Kanzleien sind untergegangen. Nur verstreut haben sich Urkunden erhalten. Besäßen wir noch ein ausreichendes Material dieser Art, so würde es nicht schwierig sein, aus politischen, kirchlichen, rechtlichen Akten zu erweisen, was sich in Athen unter dem Regiment der Byzantiner und der Franken ereignet hat, unter welcher Form das Volk einer Stadt fortgedauert hat, von deren Leben jeder Pulsschlag, auch der leiseste in Zeiten tiefster Versunkenheit, die Teilnahme der gebildeten Welt verdienen muß.

Das Studium des athenischen und griechischen Mittelalters ist von jungem Datum. Ganz wie es in bezug auf Rom der Fall war, wurde dasselbe von der antiquarischen Wissenschaft zurückgedrängt. Es erwachte, sobald Athen als Hauptstadt des befreiten Griechenlands wiedererstand, und die Neuhellenen selbst haben, von den Forschungen des Auslandes angeregt, dies wissenschaftliche Bedürfnis gefühlt. Dionysios Surmelis faßte zuerst den Gedanken einer Geschichte der Stadt Athen und führte ihn in einem Kompendium aus, welches ihre Schicksale von der Römerzeit bis zur Befreiung vom Joch der Türken darstellt. Seither haben die Griechen diesen Gegenstand nicht mehr aus dem Blick verloren. Der größere Teil ihrer neuerstandenen historischen Literatur mußte sich naturgemäß auf den ruhmvollen Befreiungskampf der Hellenen beziehen, allein sie haben auch an der Erforschung der mittleren Geschichte ihres Vaterlandes sich lebhaft zu beteiligen angefangen. Der Leser wird die wichtigsten dieser neugriechischen Arbeiten kennenlernen. Hier bemerke ich nur, daß Konstantin Paparrigopulos in seinem trefflichen Nationalwerk ›Geschichte des hellenischen Volks‹ und in anderen Schriften auch das byzantinische und fränkische Mittelalter behandelt hat. Ein besonderes Verdienst erwarb sich Spiridon Lambros um seine Vaterstadt durch die Herausgabe gesammelter Schriften des athenischen Erzbischofs Michael Akominatos, aus welchen dann seine Abhandlung ›Athen am Ende des 12. Jahrhunderts‹ hervorgegangen ist.

Bedeutend steht Konstantin Sathas da. Mit unermüdlichem Eifer und aufopferndem Patriotismus hat dieser Delphier von Geburt eine lange, noch nicht abgeschlossene Reihe von monumentalen Sammelwerken, Urkunden und Forschungen zur mittleren und neueren Geschichte und Literatur Griechenlands erscheinen lassen, die ihn zum heutigen Repräsentanten der nationalhistorischen Wissenschaft der Hellenen auf jenem Gebiete machen und ihm für immer eine Ehrenstelle unter den Forschern Europas sichern. Ich bedaure es lebhaft, daß das Erscheinen desjenigen Bandes seiner ›Denkmäler der hellenischen Geschichte‹, worin Sathas im besondern Athen zu berücksichtigen versprochen hat, noch in weiter Aussicht steht. Allein der ausgezeichnete Gelehrte hat mir bereitwillig wertvolle Mitteilungen gemacht, und auch Herrn Lambros verdanke ich manchen Bescheid auf meine an ihn gerichteten Fragen.

Seit der Wiedergeburt Griechenlands, wodurch die wichtigste aller Aufgaben der Neuzeit, die Umgestaltung des byzantinischen, dann osmanischen Osteuropas, in eine neue Phase treten mußte, ist die mittelalterliche Geschichte jener klassischen Länder zum Objekt immer lebhafterer Forschungen einzelner Gelehrter und wissenschaftlicher Gesellschaften Europas geworden. Es genügt für meinen Zweck, innerhalb der Grenzen des eigentlichen Griechenlands die Namen Finlay, Buchon, Fallmerayer und Hopf zu nennen. Die Bücher Georg Finlays, eines philosophischen Denkers, der zu den gehaltvollsten Historikern Englands gehört, umfassen die Geschichte Griechenlands von der Römerzeit bis zur Befreiung von den Osmanen. Finlay schrieb ohne archivalisches Material. Den Fortschritt zu solchem hat dann der Franzose Buchon gemacht. Nachdem Du Cange, der große Erforscher des Mittelalters, den Grund zur Geschichte des lateinischen Kaiserreichs Byzanz und der Frankenstaaten in Hellas gelegt hatte, nahm erst Buchon diese Forschungen wieder auf. Seine bleibenden Verdienste sind die Sammlung vieler Urkunden und Quellenschriften, welche die Frankenzeit Griechenlands und damit auch Athens betreffen.

Im Jahre 1830 war Fallmerayer mit seiner Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters aufgetreten. Wenn Finlay von der Überzeugung ausging, daß die Geschichte der griechischen Nation auch als eines unterjochten Volkes anziehend und belehrend sein könne, weil die Griechen die einzigen noch übriggebliebenen Repräsentanten der alten Welt sind, so begann Fallmerayer seine Schrift mit dem kühn herausfordernden Ausspruch, daß das Geschlecht der Hellenen in Europa ausgerottet sei. Seine übertriebene Doktrin von der Vernichtung der Griechen durch die Slaven erschreckte die Philhellenen, entrüstete die eben erst wiedererstandene griechische Nation und erregte einen Sturm in den Kreisen der Wissenschaft, aber sie hat den ethnographischen und historischen Untersuchungen über das hellenische Mittelalter mächtige Impulse gegeben.

Dann erschien Karl Hopfs ›Geschichte Griechenlands vom Mittelalter bis auf unsere Zeit‹. Dies Werk riesiger Arbeitskraft, eherner Geduld, besonnenster Kritik, ein Auszug von Bibliotheken und Archiven, bildete alsbald das feste Fundament für alle Arbeiten, die seither auf demselben Gebiet gemacht wurden und die noch künftig irgend entstehen werden. Wie Hertzbergs ›Geschichte Griechenlands seit dem Absterben des antiken Lebens bis zur Gegenwart‹ so steht auch mein Versuch auf diesem Grunde. Hopf hat übrigens fast jeden Blick in das Kulturleben abgelehnt. Er ist wesentlich Erforscher der politischen Tatsache. Die Geschichte der kleinsten Inseldynastie und die Genealogien historischer Familien hat er mit einem Fleiß zusammengebracht, der nirgends seinesgleichen hat. Es gibt keinen größeren Unterschied in der geschichtlichen Behandlung, als der ist zwischen Finlay und ihm. Mangel an Form und stoffliche Überfüllung mit kleinen Dingen, welche nach dem Urteile Voltaires große Werke umbringen – und dies Urteil hat Paparrigopulos auf Hopf angewendet –, haben dessen Werk literarisch ungenießbar gemacht. Es ist deshalb – ich wiederhole ein bekanntes Wort Ellissens – in den Katakomben der Enzyklopädie von Ersch und Gruber bestattet geblieben. Allein einmal wird man es doch daraus hervorziehen und durch eine neue Ausgabe den Verdiensten des hervorragenden Forschers die Ehrenschuld zahlen. Dies würde die Pflicht deutscher Akademien der Wissenschaften sein.

Hopf selbst wollte seinem Werk später eine lesbare Form geben, jedoch er kam nicht mehr dazu. Er führte auch seinen Plan, die Geschichte des Herzogtums Athen zu schreiben, nicht aus. Die Quellen dazu hat er in einer Dissertation zusammengestellt, die er seiner großen Arbeit vorausschickte.

Diese Quellen haben sich seit dem Tode Hopfs durch andere doch vermehrt. Selbst aus dem aragonischen Archiv in Barcelona, das er nicht durchforschen konnte, sind vor kurzem Urkunden veröffentlicht worden, welche die Zustände Athens zur Zeit Pedros IV. aufklären. Muß auch die Hoffnung auf neue große Entdeckungen historischen Materials als eitel erscheinen, so ist doch die Herausgabe des in Archiven schon Bekannten, zumal in Frankreich und Venedig, gefördert worden und manches bisher Unbekannte ans Licht gebracht.

Ich komme zum Schluß meines Vorworts. Meine Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter, die erste Darstellung ihrer Schicksale in den Grenzen dieses Zeitraums, faßt die Ergebnisse der bisherigen Forschungen zusammen, aber sie ist die Frucht einer selbständigen Arbeit von mehr als sechs Jahren. Ich schrieb sie in München, wo mir der Reichtum der großen Staatsbibliothek zur Benutzung offenstand. Einiges, was hier fehlte, hat man mir von auswärts bereitwillig zukommen lassen. In der großen Fülle der betreffenden Literatur wird mir dies oder jenes Buch entgangen sein, aber dann war es keines von Wichtigkeit. Ich arbeitete in den Archiven Italiens, die wegen der geschichtlichen Verbindung der Staaten Venedig, Neapel und Sizilien mit Griechenland das meiste diplomatische Material darzubieten haben, und ich wiederholte die Forschungen Hopfs, soweit sie meinen Gegenstand, Athen, betrafen. So bin ich in den Besitz des Wortlautes der Urkunden gelangt.

Ich hielt es für nötig, mein Buch mit manchen Noten zu beschweren sowohl um der Wahrheitsbeweise willen, als um dem Leser den Einblick in alle wesentlichen Quellen zu geben, aus denen heute eine Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter geschöpft werden kann.

Dies Werk ist der Versuch einer solchen. Wie mir selbst, als ich es schrieb, wird auch dem Leser die Liebe zu Athen über manche Lücken, Trümmer und Schutthaufen und manche öde Region in der Geschichte der edelsten aller Städte der Menschheit hinüberhelfen.

Ich habe immer die entschiedene Neigung gehabt, die Geschicke von Völkern und Staaten im Rahmen ihrer historischen Städte zu betrachten. Sie werden in diesen plastisch und monumental. Wenn Städte Kunstprodukte jener sind, so sind sie zugleich die wesenhaften Porträts des Genius der Völker, die sie geschaffen haben. Bedeutende Städte überdauern Nationen und Reiche. Zwar sind viele, einst glanzvolle Städte von der Erde für immer verschwunden, aber andern hat schon bei ihrer Gründung die dämonische Natur den Stempel ewiger Fortdauer aufgedrückt. Die Anlage mancher von ihnen läßt sich wie eine geniale Erfindung des menschlichen Geistes auffassen, die nicht mehr verlorengehen kann. Es ist schwer, sich vorzustellen, daß jemals Städte wie Rom, Konstantinopel, Jerusalem, Damaskus verlassen werden können. Andere Völker werden in fernen Zeiten in ihnen wohnen und fremde Weltgeschicke sich dort vollziehen, aber sie selbst werden, sich verwandelnd und erneuernd, stehen, solange die Welt steht. Quando cadet Roma, cadet et Mundus . Daß auch die Stadt Athen zu den auserwählten Unsterblichen gehört, scheint sie selbst bereits dargetan zu haben, als sie aus der Asche der Jahrhunderte zu neuem historischen Leben auferstand.

Wohlwollende Freunde meiner Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter werden, so denke ich, es von vornherein erklärlich finden, daß mich der Wunsch beseelte, auf dieses Werk ein zweites, an Umfang geringeres, folgen zu lassen, welches die Schicksale Athens in demselben Zeitalter zum Gegenstande hat. Sie werden den Trieb dazu als folgerichtig anerkennen und es gutheißen, daß ich die Geschichte des mittelalterlichen Rom wie die eine Seite einer Medaille betrachtete, der noch die andere mit dem Bilde Athens hinzuzufügen war, mochte dieses ähnlich oder nicht, gelungen oder mißlungen sein.

München, Ostern 1889

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Der Kultus Athens bei den gebildeten Völkern. Verhältnis Athens zu Rom seit Sulla. Die römischen Kaiser als Philhellenen. Der Apostel Paulus in Athen. Heidentum und Christentum. Ansturm der Barbaren gegen Hellas. Gründung Konstantinopels. Die Universität Athen. Julian und das Heidentum. Einbruch Alarichs in Griechenland und Athen.

1.

Von Athen, einem Gemeinwesen freier Bürger, klein an territorialem Umfange und gering an staatlicher Macht, sind unermeßliche Wirkungen in das Weltleben ausgegangen. Sie haben sich nicht in der Form großer geschichtlicher Handlungen und Völkerbeziehungen und jener kaum unterbrochenen Reihe von politischen und sozialen Schöpfungen dargestellt, wie sie Rom hervorgebracht hat. Die an der Menschheit bildenden Kräfte der Stadt Athen gehören dem Reich der zeitlosen Ideen an. Denkgesetze, allseitige Welterkenntnis, Wissenschaften, Sprache, Literatur und Kunst, Gesittung, veredelte Humanität: das sind die unsterblichen Taten Athens gewesen.

Das Verhältnis der Menschheit zur Stadt der Pallas – und nur als solche, als die Metropole des hellenischen Heidentums war sie die Quelle alles Schönen und die Mutter der Weisheit, wie man sie selbst noch in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters mit traditioneller Ehrfurcht genannt hat –, dies Verhältnis der Pietät wurde zu einem einzigartigen Kultus von idealer Natur. Er setzte immer das Bewußtsein des unvergänglichen Wertes der attischen Bildung voraus. Man darf sagen: Nur wer die Weihen des Geistes genommen hatte, konnte den Genius Athens verstehen; nur die Aristokratie der Geister hat Athen verehrt. Auch Barbaren konnten die weltbeherrschende Größe und Majestät Roms bewundern, aber was hätte einem Alarich oder Attila die Stadt des Plato und Phidias zu sein vermocht?

Zur Zeit, als sie den Gipfel ihres bürgerlichen Lebens erstiegen hatte, nannte sie Perikles die Schule des ganzen Griechenlands. Isokrates bezeichnete ihre Bedeutung mit diesen Worten: Daß sie durch ihre Weisheit und Beredsamkeit alle anderen Völker übertroffen habe, daß ihre Schüler die Lehrer anderer geworden seien, daß es der Geist sei, der die Griechen kennzeichnet, und daß diese weniger die gemeinsame Abstammung als die athenische Bildung zu Hellenen mache.

Die wahrhaft schöpferische Epoche Athens umfaßte nur einen kleinen Zeitraum, und doch genügte derselbe zur Hervorbringung einer kaum zu übersehenden Fülle von ewig gültigen Meisterwerken der Kultur, die in mancher Richtung kein folgendes Zeitalter mehr zu erreichen vermocht hat.

Nach den großen Befreiungstaten von Marathon und Salamis war die Blüte von Hellas in Athen zur prachtvollen Entfaltung gekommen. Die attische Literatur und Kunst drückte die Summe der intellektuellen Kräfte Griechenlands aus. Die Denker, die Dichter, die Künstler dieses Freistaats erfaßten die höchsten Probleme des Geistes im Reich der Einbildungs- und Erkenntniskraft; sie lösten dieselben durch das vollendete Kunstwerk oder überlieferten sie der Menschheit als ihre ewigen Aufgaben.

Die vollkommne Schönheit, die reine Idealität und allgemeine Menschlichkeit der Schöpfungen des athenischen Genies war es auch, was dieser Stadt schon im Altertum die enge Nationalschranke nahm und sie zum Mittelpunkt des geistigen Kosmos und zur Bildungsstätte für fremde Völker machte, die sich alle dort heimisch fühlten.

Es ist wahr, was Wilhelm von Humboldt bemerkt hat, daß wir die Griechen in dem wundervollen Licht einer idealistischen Verklärung zu sehen gewohnt sind; aber diese schreibt sich nicht erst von den Zeiten Winckelmanns, Wolfs, des Korais, Canova und Schiller her. In solcher Verklärung erschien die Stadt Athen schon den Menschen selbst des mittleren Altertums. Die Liebe zu dem »glanzvollen, vom Lied besungenen Athen, der Säule Griechenlands« erfaßte seit Alexander dem Großen die ganze hellenisch gebildete Welt.

Nachdem die erlauchte Stadt ihre politische Kraft für immer verloren hatte, wurde sie als das Kleinod des Altertums in den Schutz der edelsten Empfindungen und Bedürfnisse der Menschen gestellt. Als ihr reiches Bürgertum verfallen war, trachteten ausländische Fürsten nach dem Ruhm, Freunde und Wohltäter dieser Republik zu sein, und sie rechneten es sich zur Ehre an, zu ihren Magistraten erwählt zu werden.

Die schönen Bauwerke Athens wehrten fremde Könige schon seit Antigonus und Demetrius. Ptolemaios Philadelphos errichtete ein prachtvolles Gymnasium unweit des Theseustempels. Der Pergamener Attalos I. schmückte die Akropolis mit berühmten Weihgeschenken; Eumenes baute eine bewunderte Stoa, und Antiochos Epiphanes unternahm 360 Jahre nach dem Tyrannen Peisistratos den Fortbau des Tempels des olympischen Zeus. Die große Reihe der enthusiastischen Verehrer Athens setzte sich auch unter den Machthabern Roms fort, sobald, im Zeitalter der Scipionen, die literarische und künstlerische Bildung Griechenlands in die Tiberstadt eingedrungen war.

Nach langer Belagerung und harter Bedrängnis wurde Athen, die Bundesgenossin Mithridats, am 1. März 86 von Sulla erobert. Dies ist der schwarze Tag in der Geschichte der Stadt, mit welchem ihre Leidenszeit begann. Der furchtbare Sieger wollte sie in der ersten Aufwallung seines Zorns zerstören, dann aber ließ er, der Überredung edler Männer nachgebend, den Ruhm Athens als ein Recht auf die Ehrfurcht der Menschen gelten. Plutarch hat den großen Römer wie einen Hellenen denken lassen, als er sich entschloß, »den vielen um der wenigen, den Lebenden um der Toten willen« zu verzeihen. Und noch später hat Sulla unter die größten Titel seines Glückes dies gezählt: Athen verschont zu haben.

Er hatte freilich die attische Landschaft zur Wüste gemacht, die langen Mauern niederreißen lassen, die Dämme und Festungen, die Schiffswerften und das großartige Arsenal des Piräus geschleift, so daß der berühmte Hafen Athens seither zu einem kleinen Flecken herabsank. Die teilweise Zerstörung des themistokleischen Mauerringes und sicherlich auch der Befestigungen der Akropolis machte fortan die Stadt zu einem widerstandslosen, offenen Platz. Sie entvölkerte sich und verarmte; ihre Seemacht, ihr politisches Leben erlosch, gleich dem des ganzen Hellas. Nur der Glanz jener Ideale, die aus ihr helle Lichtstrahlen über Länder dreier Weltteile verbreitet hatten, blieb auf ihr noch lange ruhen. Sie bezauberte die Römer selbst, die ihr das Verderben gebracht hatten.

Noch zur Zeit Sullas lebte dort, und fast zwanzig Jahre lang, der reiche Pomponius Atticus als gefeierter Wohltäter des athenischen Volks. Schon im Jahre 51 begann Appius Claudius Pulcher mit seinen in Kilikien erbeuteten Reichtümern den Prachtbau der Propyläen des Demetertempels in Eleusis, und Cicero sehnte sich danach, dies glänzende Beispiel des Edelsinns in Athen nachahmen zu können.

Aus den Stürmen der römischen Bürgerkriege um die entstehende Monarchie kam die Stadt der Pallas Athene unversehrt hervor, obwohl ihre Bürger so wenig politischen Scharfblick besaßen, daß sie sich stets für die nachher unterliegende Partei erklärten. So hingen sie nicht Cäsar, sondern dem Pompeius an, welcher in Athen mit den Philosophen verkehrt und der Gemeinde 50 Talente zu Bauten geschenkt hatte. Der Sieger von Pharsalus verzieh den Athenern; er ehrte ihr Land als das Grab der großen Toten, aber er fragte ihre Abgesandten, wie oft sie, die ihren Untergang selbst verschuldeten, noch der Ruhm ihrer Vorfahren retten solle.

Er gab der Stadt reiche Mittel, das Propylaion der Athena Archegetis zu erbauen, und schon zehn Jahre früher hatte ein fremder Philhellene, der König Ariobartzanes II. Philopator von Kappadokien, das im sullanischen Kriege verbrannte Odeon des Perikles wiederhergestellt. Nicht lange nachher errichtete ein reicher Syrier, Andronikos von Kyrrhos, auf einem Platz unweit der Agora den schönen Marmorbau der Sonnenuhr, welcher noch heute als »Turm der Winde« aufrecht steht.

Nachdem Cäsar gefallen war, nahmen die freiheitstrunkenen Athener Brutus jubelnd in ihrer Stadt auf, und sie errichteten ihm und dem Cassius eherne Bildsäulen neben jenen der Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton. Als sodann Brutus und Cassius bei Philippi ihr Ende gefunden hatten, war Athen aufs neue der Rache der Sieger preisgegeben. Allein Antonius, der nach jener Schlacht mit seinem Heer nach Griechenland kam, verschonte die Stadt. Sie ertränkte seinen Zorn in einer Flut von Schmeicheleien; ihre Schönheit, ihr Geist, ihre Huldigungen berauschten ihn. Hier wurde er zum Griechen. Noch zweimal kam er dorthin, erst mit Octavia, dann mit Kleopatra; den Athenern schenkte er Ägina und andere Inseln. Das knechtische Volk vermählte diesen Vorgänger des Nero als neuen Dionysos mit der Burggöttin Athena Polias; auf der Akropolis stellte es seine und der Kleopatra Götterbildnisse auf. Kein Wunder, daß Antonius von dieser Stadt wie von einer Sirene bezaubert war. Als er von Actium nach Ägypten floh, schickte er Boten an Octavian und erbat sich vom Sieger die Erlaubnis, wenn er nicht mehr am Nil leben dürfe, seine Tage als Privatmann in Athen zu beschließen.

Auch Octavian schonte die Stadt, welche doch die Mörder Cäsars so hoch geehrt hatte. Nur verhielt er sich anfangs kühl zu ihr, entzog ihr Eretria und Ägina und untersagte den mißbräuchlichen Verkauf des Bürgerrechts, welchen einst schon Demosthenes getadelt hatte. Doch ließ er sich in die eleusinischen Mysterien einweihen, und er setzte den Bau der neuen Agora fort. Sein Freund Agrippa errichtete ein Theater im Kerameikos und verschönerte wohl auch mit anderen Werken Athen. Die Athener stellten an der linken Seite des Aufganges zu den Propyläen sein Reiterstandbild auf, dessen kolossales, unförmiges Postament mit der Weihinschrift noch heute fortdauert. Dem Augustus und der Roma aber weihten sie einen Rundtempel östlich vom Parthenon in der Nähe des großen Altars der Athena Polias. Noch sind davon Reste des Architravs erhalten. Dem Kultus Athens huldigte in dieser Zeit sogar der schreckliche Judenkönig Herodes, welcher die Stadt als Philhellene oder Philoromäer mit Geschenken und wahrscheinlich auch mit einigen Werken geehrt hat.

2.

Unter der neuen Verwaltung, die Augustus Griechenland gab, blieb Athen immer eine freie, Rom verbundene Stadt mit selbständiger Gemeindeverfassung. Allein sie sank von Stufe zu Stufe, gleich allen andern hellenischen Städten, während neue römische Schöpfungen emporblühten, wie die Handelsstadt Korinth, die Kolonie Cäsars, welche der Sitz des römischen Prokonsuls von Hellas oder der Provinz Achaia wurde, und wie Paträ und Nikopolis, die Kolonien des Augustus. Ganz Griechenland war im Verfalle schon zur Zeit des Strabo. Obwohl Athen noch immer als das herrlichste Museum des Altertums und die Schule der hellenischen Wissenschaft berühmt war, nannten es doch schon Ovid und Horaz eine leere Stadt, von der nur der Name übriggeblieben sei. Diese Aussprüche bezeichnen, selbst wenn sie übertrieben waren, die geschichtslose Stille, in welche Athen zu versinken begann.

Da der Handel der Stadt verfallen, ihre militärische Bedeutung dahingeschwunden und sie selbst auf ein kleines Gebiet beschränkt war, so gaben ihr fortan nur ihr Ruhm und ihre Schulen so viel Wert, daß sie, wie ehemals zur Zeit des Cicero und Mark Anton, des Brutus, Horaz und Virgil, noch immer das Pilgerziel der gebildeten Welt blieb. Wenn auch die Monarchie der fiskalischen Ausbeutung Griechenlands nicht durchaus Einhalt tun konnte, so hörte doch das Raubsystem des Verres und Piso auf. Fast alle Kaiser bis zum Ende der Antonine ehrten die Stadt, und nur wenige haben ihre Kunstschätze anzutasten gewagt.

Caligula und Nero plünderten schamlos ganz Griechenland. Den berühmten Eros des Praxiteles ließ jener aus Thespiä nach Rom bringen, und nur ein Wunder rettete den olympischen Zeus des Phidias wie die Hera des Polyklet in Argos vor dem gleichen Schicksal. Nero, welcher aus Delphi allein 500 Bronzestatuen entführen ließ, hat schwerlich Athen ganz verschont; aber es war doch ein Glück für diese Stadt, daß er, der Muttermörder, sie aus Furcht vor den rächenden Eumeniden nicht besuchte.

Nach Nero hörte das Fortführen griechischer Kunstwerke nach Rom auf, wenigstens verlautet davon nichts mehr. Griechenland aber war trotz der fortgesetzten Plünderungen seit Mummius an Kunstschätzen noch so reich, daß Plinius bemerkte, Rhodos besitze noch 3000 Statuen, und für nicht geringer werde die Zahl derer in Athen, Olympia und Delphi gehalten.

Die Raubgier von Prokonsuln zur Zeit der römischen Republik und dann einiger Kaiser konnte den Athenern Götterbildnisse entreißen, aber schwerer fiel es dem Christentum, welches gleichzeitig mit der römischen Monarchie in das Leben der Menschheit eintrat, ihnen den Glauben an die alten olympischen Götter selbst zu nehmen. Keine Erscheinung in Athen irgendeines Sterblichen, in dem sich eine weltbewegende Idee verkörpert hat, ist merkwürdiger als die des Apostels Paulus. Dem großen Denksystem und der strahlenden Kultur des Altertums trat in der unscheinbaren Gestalt dieses Propheten die Zukunft des Menschengeschlechts gegenüber. In den Annalen der christlichen Mission gibt es keine kühnere Handlung als die Predigt des Paulus in Athen, der Akropole des Heidentums, die damals noch vom blendenden Glanz der Künste und Literatur umflossen war. Der apostolische Kundschafter, der Vergötterer Jesu, ergrimmte beim Anblick der Götterbilder, der Meisterwerke Griechenlands, welche die Stadt erfüllten, und der prangenden Tempel, zu deren Marmorhallen die Prozessionen der Priester und des Volkes emporzogen. Er forderte die Götterburg Athen zur Ergebung an Christus auf, aber er erkannte, daß sie für den evangelischen Gedanken noch nicht einnehmbar sei. Die neugierigen Stoiker und Epikureer lächelten über den Fremdling aus Tarsus, der einen neuen Heiland, die Auferstehung und das Weltgericht verkündete und mit scharfsinnigem Geist das Epigramm eines Altars auf den den Griechen noch unbekannten neuen Gott deutete. Aus dem dürftigen Bericht der Apostelgeschichte können wir nur erraten, was der begeisterte Prediger den Philosophen Athens gesagt hat: daß diese schöne Hellenenwelt unrettbar dem Tode verfallen sei, weil sie zu beschränkt und lieblos sei, auf dem Privilegium nur eines Menschenstammes, auf der Sklaverei und der hochmütigen Verachtung der Barbaren beruhe und sich zum höchsten Ideal der Menschheit und ihres Schöpfers nicht erhoben habe, vor dessen Angesicht nicht sind Grieche, Jude, Barbar, Skythe, Sklave und Freier, sondern alle gleich durch einen Geist und zu einem Leibe gemacht. Wer hätte damals zu ahnen vermocht, daß gerade die neue Religion, welche Paulus den Athenern verkündete, nach dem Verlauf vieler Jahrhunderte das einzige Palladium sein sollte, dem die Hellenen die Fortdauer ihrer Nation, ihrer Literatur und Sprache zu verdanken hatten?

Paulus wandte sich von Athen nach der kosmopolitischen Handelsstadt Korinth, wo er ein Jahr lang nachhaltiger wirken konnte. Die Legende des athenischen Ratsherrn Dionysios und der Damaris behauptet freilich, daß er doch einen Keim der christlichen Kirche am Felsen des Areopag eingepflanzt hatte, und dieser bedurfte langer Zeit, um sich lebenskräftig zu entwickeln.

Kein antikes Volk hielt an dem Dienste der Olympier hartnäckiger fest als das athenische. Die Denkmäler, der Stolz und Schmuck der Stadt, die Künste, die Wissenschaften, das gesamte Wesen, Sein und Lebensmark Athens waren durch die alte Religion bedingt, und auch in der römischen Kaiserzeit blieb die Stadt des Sokrates die große Universität des Heidentums. Ihre wissenschaftlichen Schulen blühten seit dem Sturze Neros wieder auf. Der Nachglanz des attischen Geistes unter Hadrian und den Antoninen, den philosophischen Kaisern auf dem Cäsarenthron, ist weltbekannt. Athen erlebte zum letzten Mal auch eine Renaissance monumentaler Pracht wie zur Zeit des Perikles und des Lykurg, des Sohnes des Lykophron, denn Hadrian vollendete den Riesenbau des Olympieion, gründete dort am Ilissos die Neustadt Athen, führte viele andere Tempel und schöne Gebäude auf und beschenkte die Stadtgemeinde mit den Einkünften der Insel Kephallenia. Mit ihm wetteiferte der reiche athenische Sophist Herodes Attikus. Sodann erhoben die Antonine die Schulen der Philosophie und Beredsamkeit zu neuem Glanz, so daß Athen im 2. Jahrhundert die berühmteste griechische Hochschule des Reiches war. Flavius Philostratus hat jenem Zeitalter in seinen Biographien der athenischen Sophisten ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Mit dem Ende der hadrianischen Dynastie war Athen überhaupt an die Grenze seiner Entwicklungsfähigkeit als Stadt gelangt. Sie vereinigte jetzt die Idealschönheit des klassischen Altertums mit den prunkvollen Monumentalformen der römischen Kaiserzeit. Ihre architektonische Gestalt war unter den Antoninen vollendet worden. So sah und beschrieb sie Pausanias, und seine Schilderung lehrt, daß alle ihre berühmten antiken Bauwerke gegen das Ende des 2. Jahrhunderts unversehrt dastanden, während sich auf der Akropolis wie in der Stadt, in Tempeln, Theatern und Odeen, auf Straßen und Plätzen zahllose Werke der bildenden Künste erhalten hatten. Der Sophist Älios Aristides erhob zu derselben Zeit in seiner panathenäischen Lobrede mit schmeichelnder Übertreibung die Herrlichkeit Athens selbst über jene der schönsten Tage der Vergangenheit. Auch Lukian hat die Pracht und sogar die Volkszahl der Stadt angestaunt.

Dieses Lichtbild aus dem 2. Jahrhundert glänzt freilich nur auf dem düsteren Hintergrunde der allgemeinen Versunkenheit Griechenlands mit seinen verödeten Landschaften und den Trümmern seiner berühmten Städte, wie sie Pausanias verzeichnet und Plutarch beklagt hat. Das goldene Zeitalter des Friedens der Menschheit unter den Antoninen hörte mit Mark Aurel auf; barbarische Herrscher oder ehrgeizige Soldaten, den Musen abhold, bestiegen den Cäsarenthron; Bürgerkriege erschütterten das Reich, und vom Norden und Osten her warf die Völkerwanderung schon ihre ersten Wellen an die immer stiller werdenden Gestade Griechenlands. Die Zeit war vorüber, wo die edelste der Städte die Gebieter Roms und die Könige Asiens mit ihrem Zauber umstrickt hatte. Die Kaiser erweiterten und verschönerten die Weltstadt am Tiber und türmten dort ihre Paläste und Thermen auf, aber der mächtige Drang der römischen Welt nach ihrer Verbindung mit dem Geiste der Hellenen war gestillt worden; der erkältende Philhellenismus verkündete den Bruch zwischen dem Westen und Osten oder die Absonderung des griechischen Orients vom römischen Abendlande.

Früher als dieses wurde jener der Tummelplatz verwüstender Wandervölker. Ihre ersten Stürme erlitt der hellenische Osten in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Von ihren Sitzen an der Ostsee waren die gotischen Völker in die skythischen Lande am Nordrande des Pontus Euxinus eingewandert, wo sie zur Zeit des Caracalla sichtbar wurden. Von dort erstreckten sich ihre Raubzüge in das illyrische Donau- und Balkangebiet, nach Thrakien und Makedonien, zu den Inseln und Küsten Griechenlands. Sie belagerten im Jahre 253 sogar Thessalonike. Die Bedrängnis dieser festen und großen Stadt, der Metropole Makedoniens, verbreitete so tiefen Schrecken über ganz Griechenland, daß der Kaiser Valerian die im langen Frieden waffenlos gewordenen Städte aufrief, sich durch Milizen und Befestigungen zu schützen. So wurden die Isthmosmauern hergestellt und selbst die seit Sulla verfallenen und vernachlässigten Wälle Athens erneuert. Da beim Neubau der Hadriansstadt die alte Ostmauer niedergelegt worden war, so ist es zweifelhaft, ob die valerianischen Befestigungen den ganzen damaligen Umfang der Stadt umfaßt haben.

Nach dem Untergange jenes Kaisers im Perserkriege warfen sich seit 256 neue Schwärme der Goten und Slaven wiederholt auf Kleinasien, dessen hellenische Kultur sie zerstrümmerten. Die Städte dort wurden verwüstet, oder sie sanken in Asche. Trapezunt, Nikaia, Prusa, Apamea, Ilion, Nikomedia fielen, und die Brandfackel eines gotischen Herostrat vernichtete für immer das Wunderwerk des griechischen Asiens, den Artemistempel zu Ephesos.

Keiner der Einfälle dieser Barbaren hatte bisher das eigentliche Griechenland erreicht. Dies aber geschah auf dem dritten ihrer Rauhzüge zur See. Im Jahre 267 drangen Goten und Heruler auf 500 bosporanischen Schiffen durch das schwarze Meer, sich den Eingang in den Hellespont zu erzwingen. Der über sie erkämpfte glänzende Seesieg des römischen Admirals Venerianus blieb fruchtlos. Denn die Barbaren stürzten sich auf Byzanz und Chrysopolis, plünderten Kyzikos, andere Küsten Asiens und den Inselarchipel. Sodann schifften sie weiter und landeten auch in Altgriechenland. Die Städte Argos und Korinth wurden überfallen und ausgeraubt. Vom Piräus her warfen sich die Horden auf Athen. Dies geschah im Jahre 267, als Gallienus, der geistvolle Freund des Philosophen Plotinus, Kaiser war, einer der letzten Beschützer der Stadt Athen unter den Imperatoren, wo er selbst das Bürgerrecht erworben, die Archontenwürde empfangen und die eleusinischen Weihen genommen hatte.

Die wenigen Geschichtsschreiber, welche von diesem Ereignis berichten, gehen so flüchtig darüber hinweg, daß wir nicht wissen, ob die Goten nur die Unterstadt oder auch die Akropolis eroberten.

Die wehrlosen Bürger, die Sophisten und ihre Schüler retteten sich durch eilige Flucht und überließen Athen dem barbarischen Feinde. Die Stadt erlitt eine gründliche Plünderung ihres beweglichen Guts, aber ihre Denkmäler wurden glücklicherweise verschont. Spätere Angaben von Zerstörungen der Tempel, der Olivenhaine und der Säulenhallen des Olympium sind als Fabeln anzusehen.

Aus diesem ersten Einbruch der Barbaren in Athen haben griechische Geschichtsschreiber einen Vorfall erzählt, welcher, auch wenn er erfunden ist, das Verhältnis der Goten zur attischen Kultur treffend bezeichnet. Die Plünderer waren im Begriff, eine zusammengeschleppte Bibliothek den Flammen zu übergeben, als ein alter Hauptmann ihnen zurief: Sie sollten solche unnützen Dinge den Athenern lassen, denn die Beschäftigung mit Büchern mache diese unkriegerisch und für die Goten ungefährlich. Montaigne hat diese Anekdote als vollgültigen Beweis für das Unheil der gelehrten Pedanterie verwertet; Gibbon hat sie als rohen Einfall eines späteren Sophisten verlacht, Finlay aber aus ihr den Schluß gezogen, daß die abstrakte Wissenschaft verweichlicht, wenn sie nicht zur praktischen Tüchtigkeit und Veredlung des tätigen Lebens angewendet wird. Nun aber ist es noch nicht lange her, daß die mit jenen Goten stammverwandte Nation, die man als das Volk der Buchgelehrten und philosophischen Träumer zu verspotten pflegte, die Welt durch große Kriegstaten in Erstaunen gesetzt hat, die nur möglich waren, weil sie auch die Kriegführung zu einer Wissenschaft gemacht hatte.

Im übrigen kann die Anekdote immerhin zum Beweise dienen, daß auch damals noch die Studien in Athen in Blüte standen. Hier lehrten zu jener Zeit namhafte Männer, wie die Sophisten Genethlios und Suetorios Kallinikos, die Rhetoren Paulus und Andromachos und manche andere Hellenen. Aber auch die Waffenehre Athens wurde durch einen hochgebildeten Bürger der Stadt glänzend wiederhergestellt. Dies war Publius Herennius Dexippos von der Phyle Hermon, der Sohn des Ptolemäus, als Redner in seiner Vaterstadt berühmt, wo er hohe Ämter bekleidete. Wenn je sophistische Beredsamkeit eine patriotische Tugend gewesen ist, so konnte sie es in jenen furchtbaren Tagen sein. Aus der feurigen Rede des Dexippos an seine sich ermannenden, von ihm zum Widerstande mit den Waffen gesammelten Landsleute ist uns noch ein Bruchstück erhalten. Der Fall der Stadt dürfe sie, so sagte er ihnen, nicht erschüttern, denn oft seien Städte erobert worden; die kaiserliche Flotte sei nahe heran; sie sollten zeigen, daß der Geist der Athener stärker sei als ihr Unglück. Mit einer Schar von 2000 Bürgern lagerte sich Dexippos in der Nähe der Stadt und griff die Barbaren in geschickten Streifzügen an, bis diese, durch das Erscheinen der griechischen Flotte unter Kleodamos im Piräus überrascht, Attika verließen.

Das wahre Maß der Verdienste des edlen Atheners um die Befreiung seiner Vaterstadt können wir heute nicht mehr feststellen. Wenn er wirklich der letzte Held war, der in der Stadt des Themistokles noch sichtbar wurde, so war er auch ihr letzter Xenophon; denn den einen Praxagoras, seinen jüngeren Zeitgenossen, ausgenommen, welcher die Geschichte Alexanders und Konstantins schrieb, hat Athen bis zu den Tagen des Laonikos Chalkokondylas im 15. Jahrhundert keinen der Nachwelt bekannten Historiographen mehr hervorgebracht. Dexippos schrieb eine Geschichte der Zeit nach Alexander, eine Weltgeschichte bis auf Claudius Goticus und ein Werk Skythika, worin er die Gotenkriege von Decius bis auf Aurelian behandelte.

Alle seine Werke sind bis auf wenige Fragmente untergegangen. Sein Ruhm lebt nur noch in ein paar Worten des Trebellius Pollio, im Lob des Suidas, des Photios und weniger andrer Schriftsteller und endlich in den Epigrammen seiner Ehrenbildsäule fort. Ihr Postament mit Inschriften in Prosa und Versen hat sich erhalten, und diese bekunden, daß ihm seine eigenen Söhne nach Beschluß des Areopags, der Bule und des Demos von Athen das Standbild gesetzt haben und daß er wegen seiner Verdienste mit den höchsten Würden des Archon Basileus, Eponymos und Agonotheten bei den großen Panathenäen bekleidet worden sei. In sechs elegischen Distichen wird Dexippos nur als Geschichtsschreiber und gelehrter Forscher gepriesen, von seiner Befreiungstat aber nicht geredet.

Die sarkastische Ansicht des rohen Gotenhäuptlings von dem Wert der Gelehrsamkeit für das praktische Leben würde durch die Athener selbst ihre Bestätigung erhalten haben, wenn sich erweisen ließe, daß jene Inschrift erst nach dem Einbruch der Goten verfaßt worden ist. In diesem Falle würde sie im grellen Gegensatz zur Grabinschrift des Aischylos stehen, welche der große Tragiker selbst gedichtet hatte und worin sein Dichterruhm mit keiner Silbe Erwähnung fand, sondern nur gesagt war, daß Aischylos, der Athener, der Sohn des Euphorion, bei Marathon gegen die dunkellockigen Meder tapfer gekämpft hatte. Indes kann die Ehre der Athener des 3. Jahrhunderts n. Chr. durch die zweifellose Annahme gerettet werden, daß sie ihrem verdienten Mitbürger das Standbild schon vor dem Gotensturm errichteten.

3.

Nicht lange nach jenem gotischen Einfall ergoß sich eine neue Völkerwoge von Barbaren desselben Stammes, die auf 2000 Schiffen vom Dnjestr hervorbrechen, über das Donaugebiet. Der mannhafte Kaiser Claudius vernichtete diese Horden in der Schlacht bei Naissus in Mösien im Jahre 269 und sicherte dadurch Römern und Griechen für mehr als ein Jahrhundert die Ruhe. Kraftvolle und weise Kaiser hemmten den erneuten Ansturm der Feinde des Reichs. Aurelian, der Restitutor Orbis, schloß mit den Goten Frieden; er siedelte sie als Kolonisten in Dakien an. Sodann gab Diokletian dem Reich eine neue Ordnung, und schon er verlegte dessen Schwerpunkt nach dem griechischen Osten.

Wenn Eunapios, der Fortsetzer der Zeitgeschichte des Dexippos in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, sogar die von den Goten stark heimgesuchten Länder Thrakien, Thessalien und Makedonien wegen ihrer zahlreichen Bevölkerung und ihres Wohlstandes glücklich preisen konnte, so werden sich Hellas und der Peloponnes um so leichter erholt haben, da sie weniger gelitten hatten. Die Städte Thessalonike, Korinth und Athen waren damals noch so angesehen, daß der römische Senat auch an ihre Gemeinderäte die Briefe sandte, in denen er die am 25. September 275 erfolgte Erwählung des Tacitus zum Kaiser kund gab.

Indes, kein einziger geschichtlicher Vorgang von Wichtigkeit ist in den Annalen Athens in jenem Zeitalter zu verzeichnen. Selbst die allgemeinen Christenverfolgungen unter Decius und Diokletian trafen Asien und Afrika empfindlicher als Altgriechenland, wo die Gegensätze beider Religionen nicht durch übermäßigen Fanatismus der Parteien verschärft wurden. Die griechischen Kirchen, auch die größten in Paträ und Korinth, waren im 3. und 4. Jahrhundert nur schwache Gemeinden. In Athen blühten noch immer die Schulen des Plato, Aristoteles und Chrysippos, und sie gingen keine wahlverwandtschaftliche Verbindung mit den christlichen Ideen ein wie jene in Alexandria und Antiochia, in Karthago und andern Herden der Theologie.

Vielleicht aber war es infolge der Angriffe und Deklamationen der heidnischen Philosophen der Akademie Platos geschehen, daß sich gerade in Athen die ersten Apologeten des Christentums erhoben hatten; zur Zeit Hadrians schrieben solche Verteidigungsschriften der Christ gewordene Philosoph Aristides und Quadratus, nachmaliger Bischof Athens. In demselben 2. Jahrhundert verfaßte auch Athenagoras, ein in Alexandrien lebender Athener, eine Apologie. Die Reihe athenischer Vorkämpfer des Christentums würde sich noch um einen berühmten Mann vermehren, wenn es erwiesen wäre, daß Clemens von Alexandria, der Schüler des Pantainos und Lehrer des Origenes, wirklich in Athen geboren war. Immer ist es merkwürdig, daß sich christliche Athener nur in den ersten Jahrhunderten namhaft gemacht haben, wo die heidnische Philosophenschule noch fortbestand und gegen die neue Glaubenslehre kämpfte. Selbst in alten Katalogen der römischen Bischöfe stehen ein paar Athener verzeichnet, nämlich Anaklet, dem man in der Reihe nach St. Petrus die zweite Stelle gibt, und Yginus, der achte Papst. Auch Xystus II., ein Zeitgenosse des Dexippos, römischer Bischof um 258 und Märtyrer unter Valerian, soll ein »Philosophensohn« aus Athen gewesen sein. Mag nun die Herkunft jener legendären Päpste wahr sein oder nicht, so beweist doch ihre Bezeichnung als Athener, daß die römische Kirche Wert darauf legte, unter ihren ältesten Bischöfen Männer zu zählen, die aus dem feindlichen Lager der Philosophen Athens hergekommen waren.

Erst seit dem Duldungsedikt Konstantins konnte die christliche Mission in der Hauptstadt des Hellenentums schnellere Propaganda machen. In dem heißen Kampfe um die Neugestaltung der römischen Welt, der zwischen diesem großen Manne und Licinius entschieden wurde, hüteten sich die Athener glücklicherweise, die Partei des Schwächeren zu ergreifen. Im Piräus sammelten sich sogar im Jahre 322 die Schiffe, welche die Griechen dem Kaiser stellten. Dies beweist, daß der Stadthafen damals noch eine bevorzugte Station für Kriegsflotten gewesen ist. Bei Adrianopel, sodann im Hellespont, endlich in Byzanz wurde der Gegenkaiser Licinius besiegt und Konstantin Alleinherrscher des Reichs. Er war die Janusgestalt auf der Grenzscheide im Leben der Menschheit.

Er baute Konstantinopel. Seit der Gründung Roms ist keine wichtigere Stadt auf der Erde geschaffen worden. Als er dort unter der Porphyrsäule seines Forum das Palladium Roms vergraben ließ, senkte er das Schicksal der Welt am Bosporus ein, und noch wirkt das Fatum dieser einen Stadt in unermeßliche Fernen der Zukunft fort. Sie war die Marke, an der das heidnische Altertum haltmachte, und zugleich bezeichnete sie die kulturgeschichtliche Trennung des lateinischen Abendlandes vom griechischen Morgenlande. Die Päpste haben dies so aufgefaßt, als sei Konstantin durch göttlichen Ratschluß genötigt worden, sich aus Rom nach dem Bosporus zurückzuziehen, um ihnen selbst und der römischen Kirche das Abendland zu überlassen. Im Grunde haben sie die ungeheuren Folgen der Tatsache richtig erkannt. Die in der Natur der Dinge begründete Scheidung des orbis terrarum in zwei Hälften wurde durch die neue christliche Kaiserstadt besiegelt. Das lateinisch-germanische Abendland erhielt seinen Mittelpunkt in Rom, der hellenistische Osten den seinigen in Byzanz. Für Griechenland selbst hatte die Schöpfung Konstantins diese weder von den damaligen Hellenen noch von ihren Nachkommen in langen Jahrhunderten begriffene Bedeutung, daß durch sie der Fortbestand der griechischen Nation gerettet und ihre Kulturschätze der Menschheit erhalten wurden. Denn ohne Konstantinopel würden Hellas und der Peloponnes von fremden Barbarenvölkern erobert und bevölkert worden sein; ohne diese große und feste Stadt ist das byzantinische Reich ebensowenig denkbar wie die griechische Kirche und wie das Fortleben der in ihren Schutz gestellten humanistischen Wissenschaft.

Mit der Gründung Konstantins entstand freilich nicht nur eine Nebenbuhlerin und Gebieterin Athens, sondern ein dem heidnischen Hellenismus feindliches Prinzip. Der Glanz der antiken Mutter der Weisheit erlosch vor dem neuen Gestirn, welches eine geistige Umwandlung der Menschheit verkündigte, in deren Prozeß die Stadt des Plato keine Stellung mehr finden konnte. Ihre Bedeutung im Leben der Welt beruhte allein auf der klassischen Bildung des Altertums, und sie schwand auch mit dieser dahin. Bald sahen die Byzantiner mit Geringschätzung auf Altgriechenland herab, die Athener aber blickten voll Eifersucht und Haß nach jenem Ort am Bosporus, der ehemals Athen mit Korn versorgt hatte, während jetzt Asien, Syrien und Phönizien nicht mehr ausreichten, den hungrigen Pöbel zu sättigen, welchen Konstantin aus den verwaisten Städten des Reichs nach Byzanz zusammengeschleppt hatte.

Der Kaiser plünderte die Städte der Hellenen, um ihre Kunstschätze nach seiner neuen Hauptstadt zu entführen. Diese setzte das Raubsystem Roms im hellenistischen Orient fort. Die Werke des Alkamenes, Phidias und Praxiteles, des Myron und Lysippos wurden den Christen nicht zur Zerstörung überlassen, sondern zu Zierden Neu-Roms bestimmt. Die Großstadt am Bosporus wurde das reichste Museum der Kunst, während die Schriften der alten Griechen ihre Bibliotheken erfüllten. Aus beiden Schatzkammern übertrug sich eine, wenn auch schwache, Nachwirkung des hellenischen Geistes auf die Malerei und technischen Künste wie auf die Wissenschaften der Byzantiner, ohne daß diese es zu originalen Schöpfungen bringen konnten.

In der alten Sophienkirche versammelten sich wie in einer profanen Galerie 427 Statuen; unter ihnen sah man sogar die Götterbildnisse des Zeus, der Aphrodite, der Artemis und einer Priesterin der Athene. Die Musen vom Helikon, welche Sulla, Caligula, Nero und die Goten verschont hatten, stellte Konstantin in seinem Palast auf; mit der Bildsäule des pythischen Apollo und dem goldenen Dreifuß aus Delphi schmückte er den Hippodrom. Das aber sind die einzigen namhaften Kunstwerke Altgriechenlands, die in den Verzeichnissen byzantinischer Autoren als von Konstantin geraubt angeführt werden. Unter den von ihm aus Athen fortgebrachten Bildwerken befanden sich nicht jene, die noch Pausanias bewundert hatte. Er schonte die dortigen Tempel, nicht allein, weil er dem Kultus der Heiden die Freiheit gewährte, sondern weil er Athen besonders ehrte. Er hielt es noch für eine persönliche Auszeichnung, die Würde des dortigen Strategen zu bekleiden. Als ihm die Athener eine Ehrenstatue errichteten, dankte er ihnen durch jährliche Verteilung von Korn.

Neben Korinth, der Hauptstadt Achaias, war Athen damals der angesehenste Ort Griechenlands, noch immer im Besitz seiner städtischen Autonomie und freien Verfassung. Es wohnten daselbst manche reiche Primatenfamilien, und viele Fremde aus den Provinzen des Reichs machten dort ihre wissenschaftlichen Studien. Eine vollkommene Lehrfreiheit unterstützte die Tätigkeit der heidnischen Sophisten und Philosophen auf den reichlich besoldeten Lehrstühlen. Die seit Severus durch die Gotenkriege unterbrochene oder doch stark geminderte Universität stellte sich fast so glänzend wieder her, wie sie unter den Antoninen gewesen war. Der Kaiser Konstantin selbst begünstigte sie. Seine Verbindung mit dem im Reich mächtig gewordenen Christentum berührte nicht den gebildeten oder heidnischen Menschen in ihm. Er war ein aufrichtiger Freund des Neuplatonikers Sopater, von dem er im Verein mit dem Hierophanten Prätextatus und dem Astrologen Valens bei der Gründung Konstantinopels feierliche Weihen nach heidnischem Ritus vollziehen ließ. Einem Athener, dem Neuplatoniker Nikagoras, welcher das Amt des Daduchen bei den eleusinischen Mysterien bekleidete, gab er die Mittel, um eine Studienreise nach Ägypten zu machen. In den Königsgrüften Thebens hat sich dieser Philosoph durch eine Inschrift verewigt, worin er den Göttern und dem Kaiser dankte, der ihm das gewährt hatte.

Konstantin soll in seiner Hauptstadt eine lange Stoa erbaut haben, in welcher Philosophen aus Theben, Athen und dem übrigen Hellas mit den Gelehrten Konstantinopels disputierten. Wenn bei dieser Gelegenheit gesagt wird, daß die Philosophen Griechenlands in solchen Kämpfen stets Sieger blieben, bis sie zur Zeit des Kaisers Justin unterlagen und dann nicht mehr wiederkamen, so drückt die Legende damit den Fortbestand der heidnischen Wissenschaften Athens bis auf die justinianische Zeit aus.

Auch die Söhne Konstantins erwiesen der Stadt Athen und ihrer Hochschule mehrfache Gunst. Den berühmten Sophisten Proairesios, welchem selbst Rom eine öffentliche Statue errichtete, ehrte der Kaiser Konstans so hoch, daß er aus Liebe zu ihm den Athenern die Einkünfte einiger Inseln schenkte. Um dieselbe Zeit stellten der Prokonsul Carbonius und Ampelius beschädigte Bauwerke der Stadt wieder her. Diese bewahrte in der Mitte des 4. Jahrhunderts mit ihrer architektonischen Pracht noch den vollen Charakter des Heidentums, dessen Seele sich freilich aus den veralteten Götterkulten in die Hörsäle der Philosophen flüchtete. Die letzte, nur noch künstliche Blüte der athenischen Universität reicht bis tief in das 5. Jahrhundert hinab. Sie ist an die Wirksamkeit der Sophisten und Philosophen Julianus, Proairesios und Musonius, Himerios, Aidesios, Priskos, Plutarch und Proklos geknüpft und hat an dem Zeitgenossen Eunapios von Sardes ihren leider sehr ungeschickten Geschichtsschreiber gefunden.

Da die Wissenschaft Athen zu einem internationalen und neutralen Boden machte, vereinigten sich dort die Anhänger der alten und neuen Religion in den Hörsälen der Professoren ohne Glaubenshaß. Die christliche Beredsamkeit ging in die Schule der heidnischen Logik und Rhetorik, und sie zündete ihr eigenes Licht an dem Feuer des Demosthenes und Plato an. Um das Jahr 355 studierten in Athen nebeneinander drei nachher weltberühmte Männer, Gregor von Nazianz, Basileios der Große und der Prinz Julian, zwei künftige Kirchenväter und ein kaiserlicher Apostat.

Die Mirabilien Roms und die Kaiserchronik erzählen, daß ein Götterbild im Tempel des Faunus oder die im Tiber liegende Bildsäule des Merkur den christlich erzogenen Prinzen zum Abfall in das Heidentum verlockt habe. Sie haben nicht so ganz unrecht, nur hätten sie die Szene aus Rom nach Athen verlegen sollen. Denn es sind die schönen Gebilde des Phidias, Praxiteles und Alkamenes, es sind die beredten Deklamationen der heidnischen Sophisten, der strahlende Himmel und die Denkmäler Athens gewesen, welche das Gemüt des schwärmerischen Jünglings bestrickten.

Die Apostasie des Kaisers Julian mag man als eine romantische Verirrung belächeln, aber es würde doch ohne sie etwas in der Geschichte der Menschheit auf ihrem Übergange von einer Kultur zur andern fehlen. Immerhin bleibt der Abfall Julians ein merkwürdiges Zeugnis von der Macht der alten Olympier noch in ihrem Sturz, und er war auch die letzte große, dem schönen hellenischen Heidentum dargebrachte Huldigung und der Abschied von ihm. Sein Zusammenbruch als öffentlicher Staatskultus hatte schon unter dem streng christlich gesinnten Kaiser Konstantios II. begonnen. Durch die Edikte vom 1. Dezember 353 und vom 18. Februar 356 war die Schließung aller Tempel anbefohlen und jeder Opferdienst bei Todesstrafe untersagt worden. Obwohl diese Gebote nur teilweise zur Ausführung kamen, konnten sie doch auch in Griechenland nicht ohne Wirkung bleiben, vielmehr erfuhr das Heidentum selbst in Athen eine tiefe Erschütterung. Julian versuchte es hierauf, dessen Zusammenfall durch eine dem Christentum angepaßte sittliche Reform aufzuhalten.

Als er sich im Jahre 361 gegen Konstantios empörte, richtete er außer an die alten Hellenenstädte Korinth und Sparta auch an Senat und Volk Athens eine Proklamation, die sich glücklich erhalten hat. In den zwei Jahren seiner Herrschaft feierte der Hellenismus nur den flüchtigen Triumph seiner Befreiung vom Druck der Reichsgesetze, während sich seine moralische Wiederherstellung als unmöglich erwies. Die künstlich aufgeregte Flamme des Götterglaubens versank wieder, als dessen großer Beschützer gefallen war. Die Nachfolger Julians, die Kaiser Jovianus, Valens und Valentinian, gaben dem Christentum sein gesetzliches Ansehen und seine Privilegien zurück, ohne jedoch den konstantinischen Grundsatz der Duldung des Heidentums aufzuheben. Selbst noch Gratian achtete diesen, obwohl er zuerst die kaiserliche Würde des Oberpriesters der heidnischen Religion anzunehmen verschmähte, welche dann später die Päpste aus dem Magazin römischer Antiquitäten hervorgezogen haben.

Trotz der Kultusverbote der Reichsregierung wagte es noch im Jahre 375 Nestorius, der greise Hierophant der Demeter in Eleusis, eine Zauberpuppe des Achill unter den Koloß der Parthenos zu stellen, um den Schutz des Halbgottes für Athen zu erflehen, als ein furchtbares Erdbeben viele Städte Griechenlands zertrümmerte. Zosimos, der dies erzählt, bemerkt freilich, daß die Behörden den Hierophanten für irrsinnig erklärten, aber Athen und Attika seien doch durch den Heros Achill gerettet worden, während manche Städte in Hellas, im Peloponnes und auf Kreta zerstört wurden.

Die volle Reaktion gegen das Heidentum trat erst ins Werk, nachdem Theodosios I. im Jahre 379 den Kaiserthron bestiegen hatte, ein fanatischer Spanier, gleich verfolgungssüchtig gegen die nicht orthodoxen Christen wie gegen die altgläubigen Heiden. Kein Kaiser ist vor ihm mit solcher Entschiedenheit für das Christentum eingetreten. Er brach den letzten Widerstand der Heiden in Rom. Die alte Kaiserstadt am Tiber war im 4. Jahrhundert neben Athen die zweite große Burg des Götterkultus, und nur langsam ist auch sie von den Christen erobert worden. Der Kampf um den Altar der Victoria im römischen Senatshause zur Zeit des Kaisers Gratian und des heiligen Ambrosius, endlich die Revolution der Altgläubigen nach der Ermordung Valentinians im Jahre 392 und die Wiederherstellung des heidnischen Kultus als Staatsreligion durch Flavianus zeigten, wie fest der alte Glaube noch unter den Römern wurzelte. Seine Stütze war die Aristokratie des Senats, und deren Kampf wider das Christentum war politischer Natur. In Athen stützte den heidnischen Glauben die Aristokratie der Bildung, und ihr Widerstand gegen das Christentum war philosophischer Natur.

Die Edikte Theodosios' I. unterdrückten den letzten öffentlichen Gottesdienst im Abend- und Morgenlande. Zahllose Heiligtümer wurden zerstört, unter ihnen auch das berühmte Serapeum in Alexandria. Vergebens schrieb Libanius seine Schutzschrift zugunsten der Tempel. Nach Konstantinopel ließ jener Kaiser viele Werke der hellenischen Kunst hinüberführen, wie die samische Hera des Lysippos, die Minerva von Lindos, die Aphrodite des Praxiteles von Knidos und den Zeus des Phidias von Olympia.

Am mindesten litt von diesem Vandalismus Altgriechenland. Athen im besondern wurde verschont. Keiner der großen Göttertempel dort von Ruf ist damals gefallen. Wenn auch die heidnischen Opfer und Prozessionen fortan unterblieben, so hat doch weder Theodosios noch ein anderer Kaiser bis auf Justinian den antiken Glauben der Athener gewaltsam ausgerottet noch die Schulen dort und ihre Lehrfreiheit anzutasten gewagt.

Dasselbe Glück, welches während der Völkerstürme, in denen die antike Welt unterging, Rom behütete, schützte auch die Stadt Athen. Wie sie das Erdbeben jenes Jahres 375 verschont hatte, so gingen auch die erneuerten Einfälle der Goten, welche Hellas und Achaia verwüsteten, schonend an ihr vorüber.

Die große Völkerwanderung hatte seit 375 das Gotenvolk in neuen Aufruhr gebracht; der Kaiser Valens fiel in der mörderischen Schlacht bei Adrianopel im Jahre 378, und die Goten verheerten Thessalien und Epiros. Das eigentliche Hellas aber entging dem Verderben. Seine Rettung scheint das Verdienst des tatkräftigen Präfekten Theodoros von Achaia gewesen zu sein, dem die Athener dafür im Jahre 380 eine Ehrenbildsäule setzten. Damals war Theodosios Kaiser. Er siedelte die Goten als Verbündete des Reichs in Mösien und Thrakien an.

4.

Nach seinem Tode am 17. Januar 395 und nach der Thronbesteigung seiner Söhne, des Honorius in Rom und des Arkadios in Byzanz, erhoben die Goten Alarich zu ihrem Heerkönige. Der junge Kriegsfürst führte alsbald sein aufständisches Volk gegen Konstantinopel. Die Spaltung der Regierungen des Ostens und Westens, in welche beide Hälften das Reich zerfallen war, oder die Eifersucht der leitenden Staatsmänner Rufinus und Stilicho bewirkte, daß Alarich, vom byzantinischen Minister zum Abzuge vom Bosporos überredet, sein Kriegsvolk erst nach Illyrien und dann nach Thessalien führte. Stilicho war mit dem Reichsheer von Mailand herbeigekommen und den Goten über den Pindus gefolgt, allein der argwöhnische Kaiser Arkadios befahl ihm, das oströmische Gebiet zu verlassen. Wenn er diesem Gebote nicht gefolgt wäre, so würde er, nach der Ansicht Claudians, die Gotenhaufen am Penelos vernichtet und Griechenland gerettet haben. Die ungeheure Katastrophe, welche jetzt über Hellas hereinbrach, war schwerlich die Folge des Verrats vonseiten des Rufinus, sondern der Unfähigkeit der byzantinischen Staatskunst und der eigenen Wehrlosigkeit der Griechen. Rufinus selbst fiel am 27. November 395 durch das Schwert des Gainas in Konstantinopel, was die Regierungsgewalt augenblicklich lähmte, während Alarich die Thermopylen durchzog, deren Schanzen von Gerontius sowenig verteidigt wurden wie Achaia vom Prokonsul Antiochus, dem Sohne des Musonius.

In Hellas und dem Peloponnes lebte zu jener Zeit noch dasselbe im großen und ganzen unvermischte Griechenvolk, wie es Pausanias und Plutarch gekannt hatten. Die Sprache, die Religion, die Sitten und Gesetze der Vorfahren dauerten in Städten und Landschaften fort, und wenn auch das Christentum zu öffentlicher Macht gelangt und der vom Staat verdammte Götterdienst im Schwinden begriffen war, so trug doch Altgriechenland noch das geistige und monumentale Gepräge des Heidentums.

In diese schöne, verwitternde Hellenenwelt brach jetzt Alarich mit seinen räuberischen Horden ein. Böotien und Attika wurden geplündert und verheert, die Einwohner erschlagen oder zu Sklaven gemacht. Nur einige Städte, mehr von ihren festen Mauern als von der griechischen Vaterlandsliebe der Bürger verteidigt, konnten widerstehen. Verzweifelnd, die starken Wälle Thebens und der Kadmeia zu erstürmen, oder, wie Zosimos sagt, voll Ungeduld, Athen zu erobern, wälzten sich die Scharen Alarichs weiter nach Eleusis. Diese berühmte Stadt der Mysterien unterstützte nachdrücklich den letzten Kampf der Philosophenschulen gegen die Lehre des Paulus, da der Dienst der großen Göttinnen Demeter und Kore nicht nur der Mittelpunkt der idealsten Vorstellungen der antiken Religion war, sondern auch mit dem Stadtkultus Athens auf das innigste zusammenhing. Allein die Eleusinien teilten das Schicksal mit allen andern griechischen Tempeldiensten. Erst vom Kaiser Julian hergestellt, dann nach seinem Tode von Jovianus wieder unterdrückt, war der alte Mysterienkultus auf die Bitten des hochangesehenen Prokonsuls Achaias Prätextatus von Valentinian zwar nochmals geduldet, aber schließlich durch spätere Reichsgesetze aufgehoben worden.