Geschichten der Unrast und Sechs Erzählungen - Joseph Conrad - E-Book

Geschichten der Unrast und Sechs Erzählungen E-Book

Joseph Conrad

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Beschreibung

Der vorliegende erste Band Erzählungen von Joseph Conrad enthält eine Anzahl Geschichten, die dem deutschen Leser geraume Zeit nicht zugänglich waren. Die Veröffentlichung dieser nach Form und Inhalt gleich meisterhaften Prosastücke des Dichters ermöglicht die Wiederentdeckung eines wenig gekannten Teils seines Werks. »Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: das großartige Sujet, den Aufbau, die Kühnheit eines so schwierigen Unternehmens, die Geduld im Durchführen der Erzählung, oder wie der Gegenstand verstanden und ausgeschöpft wird . ..« André Gide »Still und vollendet, sehr keusch und sehr schön, so steigen diese Geschichten in der Erinnerung auf, wie in jenen heißen Sommernächten auf ihrem langsamen und feierlichen Weg zuerst ein Stern und dann noch einer hervortritt.« Virginia Woolf »Geschichten der Unrast« erschien 1898 als drittes Buch Joseph Conrads und enthielt die Erzählungen »Karain«, »Die Idioten«, »Ein Vorposten des Frotschritts«, »Die Rückkehr« und »Die Lagune«. 1908 erschienen die »Sechs Erzählungen«: »Gaspar Ruiz«, »Der Spitzel«, »Das Untier«, »Ein Anarchist«, »Das Duell« und »Il Conte«.

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Seitenzahl: 734

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Joseph Conrad

Geschichten der Unrast und Sechs Erzählungen

Aus dem Englischen von Fritz Lorch

FISCHER E-Books

Inhalt

HinweiseGeschichten der Unrast[Kapitelmotto]Vorbemerkung des AutorsKarain: Eine ErinnerungIIIIIIIVVVIDie IdiotenEin Vorposten des FortschrittsIIIDie RückkehrDie LaguneSechs Erzählungen[Widmung][Kapitelmotto]Vorbemerkung des AutorsGaspar RuizIIIIIIIVVVIVIIVIIIIXXXIXIIDer SpitzelDas UntierEin AnarchistDas DuellIIIIIIIVIl Conte

Die Sammlung ›Tales of Unrest‹ ist 1898, ›A Set of Sic‹ 1908 erstmals in englischer Sprache erschienen

 

Geschichten der Unrast

Beschäft’ge stets die schwindlichten Gemüter

Mit fremdem Zwist …

 

Shakespeare

Vorbemerkung des Autors

Von diesen fünf Erzählungen ist die letzte, ›Die Lagune‹, dem Entstehungsdatum nach die früheste. Sie ist die erste Kurzgeschichte, die ich je schrieb, und sie markiert sozusagen das Ende meiner ersten Phase, der malayischen, mit ihrer besonderen Thematik, ihren sprachlichen Suggestionen und Assoziationen. Empfangen in derselben Geistesverfassung, die auch ›Almayers Wahn‹ und ›Ein Ausgestoßener der Inseln‹ hervorbrachte, wird sie im selben Atemzug erzählt (das heißt, mit dem, was von Atem übrig war nach Beendigung des ›Ausgestoßenen‹), mit demselben Blick geschaut, mit derselben Methode wiedergegeben – sofern damals von Methode überhaupt die Rede sein konnte in meinem mir bewußt werdenden Verhältnis zu diesem neuen Abenteuer: dem Schreiben für den Druck. Ich bezweifle es sehr. Man tut zunächst seine Arbeit, und theoretisiert hernach darüber. Es ist eine erbauliche und vom Ich bestimmte Beschäftigung, niemandem zu Nutze, und sie führt so gut zu falschen Schlüssen wie zu richtigen.

Jeder kann sehen, daß, bildlich gesprochen, zwischen dem letzten Absatz von ›Ein Ausgestoßener‹ und dem ersten von ›Die Lagune‹ die Feder nicht gewechselt wurde. Auch im buchstäblichen Sinne nicht. Es war dieselbe Feder: eine gewöhnliche Stahlfeder. Da man mir einen gewissen Mangel an Empfindungsvermögen vorwirft, bin ich froh, sagen zu können, daß ich zumindest bei dieser einen Gelegenheit einem sentimentalen Impuls nachgab. Ich meinte, die Feder sei eine gute Feder gewesen, habe genug für mich getan, und darum steckte ich sie – als ein Memento, auf das ich später gerührten Sinnes blicken würde – in meine Westentasche. Dann tauchte sie an allen möglichen Orten wieder auf, zuunterst in kleinen Schubladen, in Pappschachteln zwischen Kragen- und Manschettenknöpfen, bis sie schließlich zu dauernder Ruhe in einer großen Holzschale gelangte, die Schlüssel, Siegellackstückchen, Bindfäden, zerrissene Kettchen, einige Knöpfe und ähnliches winziges Strandgut enthielt, wie es nun einmal aus dem Leben eines Menschen in solche Behältnisse gespült wird. Hin und wieder fiel mein Blick auf sie, und dann empfand ich stets ein deutliches Gefühl der Genugtuung, bis ich eines Tages zu meinem Schrecken gewahrte, daß dort zwei alte Federn lagen. Wie die andere Feder ihren Weg in diese Schale statt in den Kamin oder Papierkorb gefunden hatte, begriff ich nicht; aber da lagen die beiden nun, Seite an Seite, beide tintenverkrustet und nicht im mindesten voneinander zu unterscheiden. Es war niederschmetternd, doch da ich entschlossen war, mein Gefühl nicht zwischen zwei Federn zu teilen, und auch nicht Gefahr laufen wollte, eines gleichgültigen Fremden wegen sentimental zu werden, warf ich beide kurzerhand zum Fenster hinaus in ein Blumenbeet – eine durchaus poetische Grabstätte, denke ich, für die Hinterlassenschaften meiner eigenen Vergangenheit.

Aber die Geschichte blieb. Es war die erste, die in Druck ging, im Cornhill Magazine, mein erstes Erscheinen überhaupt in einer Publikation in Fortsetzungen; und ich habe schließlich noch erleben dürfen, diese Geschichte auf die amüsanteste Art von Mr. Max Beerbohm verspottet zu sehen in einem Band mit Parodien, betitelt ›Eine Weihnachtsgirlande‹, wo ich mich in bester Gesellschaft wiederfand. Ich war überaus befriedigt. Ich begann, mich für eine öffentliche Figur zu halten. Ich habe der ›Lagune‹ viel zu danken.

Mein nächster Versuch mit der Kurzgeschichte war ein Abschied – ich meine ein Abschied vom Malayischen Archipel. Ohne langes Besinnen, ohne Schmerz, ohne Frohlocken und beinahe ohne es zu merken, trat ich in die sehr andersgeartete Atmosphäre von ›Ein Vorposten des Fortschritts‹ ein. Ich fand zu einer anderen moralischen Haltung. Ich schien neue Reaktionen zu erfassen, neue Sinnzusammenhänge, ja neue Sprachrhythmen. Einen Moment lang glaubte ich, ein neuer Mensch geworden zu sein – eine höchst aufregende Illusion. Sie hing mir eine Weile an, monströs, halb Überzeugung, halb Hoffnung, was den Leib betraf, mit einem glitzernden Schweif aus Träumen und einem veränderlichen Kopf gleich einer Tonmaske. Erst später begriff ich, nichts könne mich, im Verein mit dem Rest der Menschheit, von der fatalen Beständigkeit meines Wesens befreien. Wir entkommen uns selber nicht.

›Ein Vorposten des Fortschritts‹ ist der leichtere Teil der Beute, die ich aus Zentralafrika forttrug, ›Das Herz der Finsternis‹ selbstverständlich der gewichtigere. Andere Menschen haben ganz und gar andere Dinge in Fülle dort gefunden, und ich bin der glücklichen Überzeugung, das, was ich von dort mitnahm, sei für niemanden sonst von Wert gewesen. Und es war auch wirklich nicht erheblich, dieses Plündergut. Säuberlich zusammengefaltet, ginge es bequem in eines Mannes Brusttasche. Was die Erzählung selbst anlangt, so ist sie in ihrem Gehalt wahr genug. Das ausgetüftelte Erfinden einer wirklich überzeugenden Lüge erfordert eine Gabe, die ich nicht besitze.

›Die Idioten‹ sind ein augenscheinlich derart entlehntes Werk, daß ich über sie hier nichts zu sagen vermag. Die Anregung zu ihnen war nicht geistiger sondern visueller Art: eben der Anblick dieser Idioten. Nach einem Zwischenraum zaudernden Tastens, der mit der Niederschrift von ›Der Nigger‹ endete, wandte ich mich meiner in zeitlicher Reihenfolge dritten Kurzgeschichte zu, der ersten in diesem Band – ›Karain: Eine Erinnerung‹.

›Karain‹, nach so vielen Jahren wiedergelesen, mutet mich an wie etwas von günstigem Standpunkt aus durch ein Fernglas Beschautes. In dieser Erzählung war ich nicht etwa zum Archipel zurückgekehrt, ich hatte nur noch einmal einen Blick auf ihn geworfen. Ich muß gestehen, ich war bewegt, gefesselt von dem Anblick aus der Ferne, und in diesem Gefesseltsein entging mir, daß das Motiv der Geschichte beinahe identisch ist mit dem von ›Die Lagune‹. Indessen, die Idee, die dahintersteht, ist eine andere; denkwürdig aber ist mir die Geschichte vor allem darum geworden, weil sie mein erster Beitrag zu Blackwood’s Magazine war und zur persönlichen Bekanntschaft mit Mr. William Blackwood führte, dessen zwar vorsichtige Anerkennung ich gleichwohl als echte empfand und demgemäß hochschätzte. ›Karain‹ wurde, einem plötzlichen Impuls folgend, begonnen, nur drei Tage, nachdem ich die letzte Zeile des ›Nigger‹ geschrieben hatte; und die Erinnerung an seine Schwierigkeiten vermischt sich mit dem Kummer über die unfertige ›Rückkehr‹, deren letzte Seiten ich mir gerade damals wieder vornahm – das einzige Mal in meinem Leben, daß ich versucht habe, sozusagen mit beiden Händen auf einmal zu schreiben.

Mein innerstes Gefühl sagt mir jetzt, ›Die Rückkehr‹ sei in der Tat mit der linken Hand geschrieben. Als ich die Geschichte kürzlich überlas, war mir, als sitze ich unter einem großen, teuren Regenschirm im lauten Geprassel eines Wolkenbruchs. Es war sehr quälend. In dem allgemeinen Getöse war indessen jeder einzelne Tropfen zu hören, wie er auf das feste, gespannte Seidendach schlug. Geistig machte mich die Lektüre dieser Erzählung für den Rest des Tages stumm, nicht vor Staunen, sondern vor beklommener Verwunderung. Ich will mich nicht respektlos über irgend etwas von mir Geschriebenes äußern. Psychologisch gab es ohne Zweifel gute Gründe für dieses Unterfangen; es war der Mühe wert, und sei’s nur, um zu zeigen, wessen ich fähig bin bei dieser Art Virtuosität. In diesem Zusammenhang soll erwähnt sein, wie verwundert ich über die Entdeckung war, daß ungeachtet alles analytischen Aufwandes, die Geschichte doch weitgehend aus physikalischen Eindrücken besteht; Eindrücken von Geräuschen und Bildern, von Bahnhöfen, Straßen, trabenden Pferden, Spiegelungen und so weiter – Eindrücken, gleichsam um ihrer selbst willen dargestellt und verbunden mit der sublimierten Schilderung einer gefälligen bürgerlichen Stadtwohnung, wobei sich denn doch wie von ungefähr ein unheimlicher Effekt ergibt. Im übrigen weckt jedes freundliche Wort über ›Die Rückkehr‹ (und solche Worte sind bisweilen geäußert worden) in mir lebhafteste Dankbarkeit, denn ich weiß, was mich die Niederschrift dieses Phantasiestückes an schierer Mühe, Verdruß und Enttäuschung gekostet hat.

 

J. C.

Karain: Eine Erinnerung

I

Wir kannten ihn in jenen unsicheren Zeiten, da wir zufrieden waren, unser Leben und unseren Besitz in Händen zu halten. Keiner von uns hat, glaube ich, jetzt noch irgendwelches Eigentum, und ich höre, daß viele fahrlässig ihr Leben eingebüßt haben; aber ich bin sicher, die wenigen, die überlebten, sind noch nicht so schwachsichtig, daß sie in der verblasenen Achtbarkeit ihrer Zeitungen die Meldungen über verschiedene Eingeborenenaufstände im östlichen Archipel überlesen haben. Der Sonnenschein leuchtet zwischen den Zeilen jener kurzen Absätze – der Sonnenschein und der Glanz des Meeres. Ein fremdländischer Name weckt Erinnerungen; die gedruckten Worte weben in die rauchige Atmosphäre des Heute jenen feinen durchdringenden Duft einer Landbrise, die durch das Sternenlicht vergangener Nächte haucht; ein Leuchtfeuer strahlt wie ein Edelstein auf dem hohen Vorsprung einer düsteren Klippe; große Bäume, die vorgeschobenen Posten riesiger Wälder, stehen wachsam und still über schlafenden Strecken offenen Wassers; eine weiße Brandungslinie donnert gegen einen leeren Strand; das seichte Wasser schäumt an den Riffen; und grüne Inseln, die in die Stille der Mittagsstunde ausgestreut sind, liegen auf der Fläche einer glänzenden See wie eine Handvoll Smaragde auf einem Stahlschild.

Da sind auch Gesichter – dunkle Gesichter, grausam und lächelnd; die offen verwegenen Gesichter barfüßiger Männer, die schwerbewaffnet und lautlos einherschreiten. Sie überschwemmten das ganze Deck unseres Schoners mit ihrer geschmückten und barbarischen Menge, mit den buntgemischten Farben karierter Sarongs, roter Turbane, weißer Jacken, Stickereien; mit dem Glanz von Schwertscheiden, goldenen Ringen, Amuletten, Armreifen, Speerspitzen und den juwelenbesetzten Griffen ihrer Waffen. Sie hatten eine selbstbewußte Haltung, entschlossene Augen, ein zurückhaltendes Benehmen; und uns ist, als hörten wir noch ihre leisen Stimmen, die von Kämpfen, Reisen und Entkommen sprachen; in aller Gemütsruhe prahlten, behaglich scherzten; manchmal in wohlerzogenem Geflüster ihren eigenen Heldenmut, unsere Freigebigkeit übertrieben; oder mit treusinniger Begeisterung die Tugenden ihres Herrschers rühmten. Wir erinnern uns der Gesichter, Augen, Stimmen, wir sehen den Glanz von Seide und Metall wieder vor uns; die murmelnde Bewegung der prächtigen, festlichen und kriegerischen Menge; und uns ist, als spürten wir die Berührung freundlicher brauner Hände, die nach einem kurzen Druck zurückgezogen werden, um auf einem ziselierten Schwertgriff liegenzubleiben. Es waren Karains Leute – eine ergebene Gefolgschaft. Sie hingen mit all ihrem Tun an seinen Lippen; sie lasen ihre Gedanken von seinen Augen ab; lässig murmelte er zu ihnen etwas von Leben und Tod, und sie nahmen seine Worte wie Gaben des Schicksals demütig hin. Sie alle waren freie Männer, und wenn sie mit ihm sprachen, sagten sie »Euer Sklave«. Ging er vorüber, verstummten alle Stimmen, als schreite er von der Stille behütet dahin; ehrfürchtiges Flüstern folgte ihm. Sie nannten ihn ihren Kriegshäuptling. Er war der Beherrscher dreier Dörfer auf einer schmalen Ebene; Herr eines unbedeutenden Fleckchens Erde – eines eroberten Fleckchens, das, geformt wie der junge Mond, unbeachtet zwischen Bergen und Meer lag. Vom Deck unseres Schoners aus, der in der Mitte der Bucht vor Anker lag, bezeichnete er, mit einem theatralischen Schwung seines Arms über die gezackten Umrisse der Berge hinfahrend, sein ganzes Reich; und die weitausholende Gebärde schien dessen Grenzen zurückzudrängen und es plötzlich zu etwas so Gewaltigem und Undeutlichem auszudehnen, daß es einen Augenblick lang den Eindruck machte, als werde es vom Himmel allein begrenzt. Und wirklich, wenn man sich diesen Ort ansah, der gegen das Meer abgeriegelt und vom Hinterland durch die steilen Berghänge getrennt war, konnte man sich nur schwer das Vorhandensein einer Nachbarschaft vorstellen. Der Ort war still, vollkommen, unbekannt und erfüllt von einem Leben, das verborgen weiterging und verstörend wirkte in seiner Einsamkeit – erfüllt von einem Leben, das seltsam bar alles desjenigen war, was Gedanken wecken, das Herz berühren, einen Hinweis auf die bedrohliche Abfolge der Tage hätte geben können. Es erschien uns als ein Land ohne Erinnerung, ohne Reue, ohne Hoffnung; ein Land, in welchem nichts den Anbruch der Nacht überlebte und in welchem jeder Sonnenaufgang gleich einem blendenden Akt einer gesonderten Schöpfung vom Abend und Morgen losgelöst war. Karain fuhr mit einer Handbewegung darüber hin. »Alles mein!« Er stieß seinen langen Stab auf das Deck auf; der Goldknauf blitzte wie ein niedergehender Stern; ein schweigsamer, alter Kerl in einer reichgestickten schwarzen Jacke, der dicht hinter ihm stand, folgte als einziger unter den Malaien der herrscherlichen Gebärde nicht mit den Augen. Er hob nicht einmal die Augenlider. Er neigte hinter seinem Herrn den Kopf und hielt, ohne sich zu rühren, ein langes Schwert in einer Silberscheide über seine rechte Schulter empor. Er stand pflichtgemäß dort, aber er tat es ohne Neugierde und schien erschöpft, nicht vom Alter, sondern vom Wissen um ein bedrückendes Geheimnis des Lebens. Karain, groß und stolz, hatte eine würdevolle Haltung und atmete ruhig. Es war unser erster Besuch, und wir blickten neugierig in die Runde.

Die Bucht war wie ein bodenloser Abgrund grellen Lichts. Die kreisrunde Wasserfläche spiegelte einen leuchtenden Himmel wider, und die Ufer, die sie umgaben, bildeten einen düsteren Erdring, der in der Leere durchsichtigen Blaus schwamm. Purpurn und unfruchtbar hoben sich die Berge wuchtig vom Himmel ab: ihre Gipfel schienen in einem farbigen Zittern gleich dem aufsteigender Dämpfe zu entschweben; ihre Hänge waren von dem Grün schmaler Schluchten geädert; an ihrem Fuß lagen Reisfelder, Pisanghaine, gelbe Strandflächen. Ein Gießbach wand sich an ihnen hinab wie ein herabfallender Faden. Obstbaumgruppen bezeichneten die Dörfer; schlanke Palmen steckten ihre wiegenden Häupter über niedrigen Häusern zusammen; Dächer aus getrockneten Palmblättern schimmerten von fern wie Golddächer hinter Kolonnaden aus Baumstämmen hervor; Figuren schritten lebhaft und flüchtig vorüber; der Rauch der Feuer stand senkrecht über den Massen blühender Büsche; die Bambuszäune glitzerten, liefen in unterbrochenen Linien zwischen den Feldern hin. Ein jäher Ruf vom Ufer klang klagend aus der Ferne herüber und erstarb unvermutet, als wäre er vom Niederströmen des Sonnenlichts erstickt worden. Ein Windstoß warf für Augenblicke eine Dunkelheit über das glatte Wasser, berührte unsere Gesichter und wurde vergessen. Nichts regte sich. Die Sonne brannte in eine schattenlose Senke aus Farben und Stille nieder.

Es war die Bühne, auf der er, prächtig angetan für seine Rolle, einherstolzierte, unvergleichlich würdevoll und zu Bedeutung erhoben durch seine Macht, eine groteske Erwartung von irgend etwas Heroischem zu wecken – das Losbrechen einer Handlung oder eines Gesangs –, das sich über dem bebenden Ton des wundervollen Sonnenscheins zutragen würde. Er war geschmückt und verwirrend, denn man konnte sich nicht vorstellen, welche Tiefen schrecklicher Leere solch eine kunstvolle Fassade zu verbergen bestimmt war. Er war nicht maskiert – es war zu viel Leben in ihm, und eine Maske ist nur ein lebloses Ding; aber im wesentlichen bot er sich als ein Schauspieler dar, als ein menschliches Wesen in kriegerischer Verkleidung. Seine kleinsten Handlungen waren vorbedacht und unerwartet, seine Rede ernst, seine Sätze geheimnisvoll wie Andeutungen und verschlungen wie Arabesken. Er wurde mit einer feierlichen Ehrfurcht behandelt, die im unehrerbietigen Westen nur den Fürsten der Bühne gezollt wird, und er nahm die aufrichtige Huldigung mit einer gleichmäßigen Vornehmheit hin, der man nirgends sonst als im Rampenlicht und in der geballten Falschheit einer schreiend tragischen Situation begegnet. Es war fast unmöglich, sich darauf zu besinnen, wer er war – nur ein unbedeutender Häuptling eines angenehm abgelegenen Winkels von Mindanao, wo wir in relativer Sicherheit das Gesetz gegen den Feuerwaffen- und Munitionshandel mit den Eingeborenen übertreten konnten. Was geschehen würde, wenn eines der abwrackreifen spanischen Kanonenboote plötzlich zu einem Aufflackern aktiven Lebens erweckt werden sollte, bekümmerte uns nicht, sobald wir in der Bucht waren – so vollkommen schien sie außerhalb der Reichweite einer sich einmischenden Welt zu liegen; und überdies waren wir in jenen Tagen phantasievoll genug, um mit einer Art fröhlichen Gleichmuts jeder Chance entgegenzusehen, die wir haben mochten, weit ab von diplomatischen Einwänden in aller Stille aufgeknüpft zu werden. Was Karain anlangt, so konnte ihm nichts zustoßen, was nicht auch allen andern zustößt – Niederlage und Tod; aber er zeichnete sich dadurch aus, daß er erfüllt von der Illusion unvermeidlichen Erfolgs auftrat. Er wirkte zu tüchtig, zu notwendig dort an seinem Platz, zu unerläßlich für den Fortbestand seines Landes und Volkes, um von etwas Geringerem als einem Erdbeben vernichtet zu werden. Er faßte in sich seine Rasse zusammen, sein Land, die elementare Gewalt inbrünstigen Lebens, tropischer Natur. Er hatte deren strotzende Kraft, deren Faszination; und wie sie trug er die Keime der Gefahr in sich.

Bei vielen aufeinanderfolgenden Besuchen gelangten wir zu einer eingehenden Kenntnis seiner Bühne – des purpurnen Halbkreises der Berge, der schlanken Bäume, die über den Häusern lehnten, des gelben Strandes, des flatternden Grüns der schattigen Schluchten. All das war von der rohen Buntheit, der beinahe übertriebenen Stimmigkeit, der verdächtigen Unbeweglichkeit einer gemalten Szenerie; und es umrahmte so wirkungsvoll die vollendete Darbietung seiner erstaunlichen Prätentionen, daß der Rest der Welt für immer von diesem prächtigen Schauspiel ausgeschlossen zu sein schien. Es war, als hätte die Erde sich weitergedreht und diesen Krümel ihrer Oberfläche allein im Raum zurückgelassen. Er wirkte restlos abgesondert von allem außer dem Sonnenschein, und selbst der schien für ihn allein gemacht zu sein. Einmal, als ich ihn fragte, was auf der anderen Seite der Berge sei, antwortete er mit vielsagendem Lächeln: »Freunde und Feinde – viele Feinde; warum sollte ich auch sonst Ihre Gewehre und Ihr Pulver kaufen?« So war er immer – vollkommen seine Rolle beherrschend, treulich den Geheimnissen und Gewißheiten seiner Umgebung Rechnung tragend. »Freunde und Feinde« – sonst nichts. Das war unfaßbar und weit. Die Erde hatte sich wahrhaftig unter seinem Land weitergedreht, und er mit seiner Handvoll Menschen stand umgeben von einem schweigenden Aufruhr widerstreitender Schatten da. Natürlich drang kein Laut von außen herein. »Freunde und Feinde!« Er hätte hinzufügen mögen: »und Erinnerungen«, zumindest was ihn selber betraf; aber er versäumte damals, auf diesen Punkt zu sprechen zu kommen. Allerdings kam es später dazu; aber es geschah nach der Tagesvorstellung – in den Kulissen sozusagen und mit gelöschten Lichtern. Bis dahin füllte er die Bühne mit seiner barbarischen Vornehmheit aus. Vor ungefähr zehn Jahren hatte er sein Volk – eine zusammengewürfelte Schar schweifender Bugis – bei der Eroberung der Bucht angeführt, und jetzt hatten sie unter seiner erlauchten Obhut die Vergangenheit restlos vergessen und jede Sorge um die Zukunft abgetan. Er gab ihnen mit der gleichen Gelassenheit in Haltung und Stimme Wissen, Rat, Lohn, Strafe, Leben oder Tod. Er verstand sich auf die Bewässerung und das Kriegshandwerk – auf die Eigenschaften von Waffen und die Kunst des Bootebaus. Er konnte sein Herz verbergen; er hatte mehr Ausdauer, konnte länger schwimmen und besser sein Kanu steuern als jeder andere seines Volkes; er konnte genauer schießen und gerissener unterhandeln als jeder andere seiner Rasse, der mir begegnet ist. Er war ein Abenteurer des Meeres, ein Ausgestoßener, ein Herrscher – und mein sehr guter Freund. Ich wünsche ihm einen raschen Tod in einem regelrechten Kampf, einen Tod im hellen Sonnenschein; denn er hat die Reue und Macht kennengelernt, und niemand kann vom Leben mehr verlangen. Tag für Tag erschien er vor uns – unvergleichlich treu dem Trug der Bühne, und bei Sonnenuntergang senkte sich die Nacht schnell auf ihn herab, gleich einem fallenden Vorhang. Die säumenden Berge wurden zu schwarzen Schatten, die hoch in einen klaren Himmel aufragten; über ihnen glich das glitzernde Gewirr der Sterne einem wahnwitzigen Getümmel, das unter einer Handbewegung erstarrt ist; Geräusche verstummten, Männer schliefen, Gestalten verschwanden – und die Wirklichkeit des Universums allein blieb bestehen – ein wunderbares Ding aus Dunkelheit und Glimmerschein.

II

Aber des Nachts geschah es, daß er offen sprach, die Anforderungen seiner Bühne vergaß. Bei Tag mußten die Angelegenheiten in vollem Staat erörtert werden. Anfangs standen zwischen ihm und mir sein eigenes Gepränge, mein schäbiger Verdacht und die theatralische Landschaft, die durch die reglose Unwahrscheinlichkeit ihrer Konturen und Farben die Wirklichkeit unseres Lebens störte. Seine Gefolgsleute umdrängten ihn; die breiten Spitzen ihrer Lanzen bildeten eine gezackte Gloriole aus Eisenpunkten über seinem Kopf, und mit dem Glanz der Seidenstoffe, dem Blitzen der Waffen, dem aufgeregten und ehrfürchtigen Summen eifriger Stimmen riegelten sie ihn gegen die Menschheit ab. Vor Sonnenuntergang beurlaubte er sich mit großem Zeremoniell und entfernte sich sitzend unter einem roten Schirm und begleitet von zwei Dutzend Booten. All die Paddel blitzten und tauchten mit einem einzigen mächtigen Aufklatschen ins Wasser, das in dem gewaltigen Amphitheater der Berghänge laut widerhallte. Ein breiter Streifen glitzernden Schaums lief hinter der Flottille her. Die Kanus wirkten sehr schwarz in dem weißen Gezisch des Wassers; turbanbedeckte Häupter schwangen vor und zurück; eine Menge Arme in Rot und Gelb hoben und senkten sich in einer einzigen Bewegung; die Lanzenträger im Bug des Kanus hatten bunte Sarongs und glänzende Schultern wie Bronzestatuen; die raunenden Strophen des Liedes der Paddler endeten jeweils in einem klagenden Ruf. Sie wurden kleiner in der Entfernung; das Lied verklang; unter den langen Schatten der westlichen Berge schwärmten sie ans Ufer. Das Sonnenlicht verweilte auf den purpurnen Graten, und wir konnten sehen, wie er den Weg zu seiner Palisade anführte: eine stämmige Figur mit unbedecktem Kopf, die einem zurückbleibenden cortège weit vorauseilte und dabei einen Ebenholzstab schwang, der länger als sie selbst war. Die Dunkelheit verdichtete sich rasch; Fackeln flammten unregelmäßig auf, wanderten hinter Buschwerk dahin; ein oder zwei lange Hochrufe verhallten in der Stille des Abends; und schließlich breitete die Nacht ihren weichen Schleier über die Küste, die Lichter und die Stimmen aus.

Dann, gerade als wir daran dachten, uns zur Ruhe zu begeben, rief die Wache des Schoners ein Kanu an, dessen Paddelgeplätscher durch die sternenhelle Düsternis der Bucht näherkam; eine Stimme pflegte leise zu antworten, und unser Eingeborenen-Bootsmann streckte seinen Kopf zum offenen Oberlicht herein und meldete uns ohne Überraschung: »Dieser Rajah kommen. Er jetzt hier.« Karain erschien geräuschlos in der Tür der kleinen Kajüte. Er war die Schlichtheit selbst; ganz in Weiß; mit verhülltem Kopfe; als Waffe nur einen Kris mit einem einfachen Büffelhorngriff, den er höflich in den Falten seines Sarongs verbarg, ehe er über die Schwelle trat. Das Gesicht des alten Schwertträgers, das verhärmte und kummervolle Gesicht, welches so von Runzeln übersät war, daß es durch die Maschen eines feinen, dunklen Netzes zu blicken schien, konnte man dicht über seiner Schulter sehen. Karain bewegte sich nie ohne diesen Begleiter, der dicht hinter ihm stand oder hockte. Er hatte eine Abneigung gegen einen freien Raum hinter sich. Es war mehr als bloße Abneigung – es kam einer Furcht gleich, einer nervösen Besorgnis um das, was dort vor sich gehen mochte, wo er nicht seine Augen hatte. Diese Furcht war angesichts der offenkundigen und ungestümen Treue, die ihn umgab, ganz und gar unverständlich. Er befand sich allein inmitten hingebungsvoller Menschen; er war sicher vor nachbarlichen Ränken, vor brüderlicher Ruhmsucht; und doch hat uns mehr als einer unserer Besucher versichert, ihr Herrscher könne nicht ertragen, allein zu sein. Sie sagten: »Sogar wenn er ißt oder schläft, ist in seiner Nähe immer einer auf Wache, der Kraft und Waffen hat.« Es war tatsächlich immer jemand in seiner Nähe, wenn unsere Gewährsleute auch keine Ahnung von der Kraft und den Waffen dieses Wächters hatten, die beide unbestimmt und schrecklich waren. Wir erfuhren es, doch erst später, als wir die Geschichte gehört hatten. Unterdessen beobachteten wir, daß auch bei den wichtigsten Unterredungen Karain oftmals auffuhr, die Besprechung unterbrach und in einer jähen Bewegung seinen Arm nach hinten ausstreckte, um sich zu vergewissern, daß der alte Kerl zur Stelle war. Der alte Kerl war immer zur Stelle, undurchdringlich und verdrossen. Er teilte sein Mahl mit ihm, seinen Schlaf und seine Gedanken; er kannte seine Pläne, bewachte seine Geheimnisse; gleichmütig stand er hinter seines Herrn Erregtheit und murmelte, ohne sich zu rühren, über dessen Kopf in beruhigendem Tonfall irgendwelche Worte, die schwer zu verstehen waren.

Nur an Bord des Schoners, umgeben von weißen Gesichtern, von unvertrauten Bildern und Geräuschen, schien Karain den sonderbaren Verfolgungswahn zu vergessen, der sich wie ein schwarzer Faden durch das gewaltige Gepränge seines öffentlichen Lebens zog. Des Nachts behandelten wir ihn frei und ungezwungen – gerade daß wir ihm nicht auf die Schulter klopften, denn es gibt Freiheiten, die man sich einem Malaien gegenüber nicht herausnehmen darf. Er sagte selber einmal, daß er bei solchen Gelegenheiten nur ein Privatmann sei, der komme, um sich mit anderen Herren zu unterhalten, die, wie er annahm, von nicht minder vornehmer Abkunft als er selber waren. Ich glaube, er hielt uns bis zum letzten Augenblick für Abgesandte der Regierung, für geheimnisvoll-amtliche Personen, die durch ihren illegalen Handel irgendwelche dunklen Pläne hoher Staatskunst förderten. Unser Leugnen und unsere Proteste waren fruchtlos. Er lächelte nur mit zurückhaltender Höflichkeit und erkundigte sich nach der Königin. Jeder Besuch begann mit dieser Erkundigung; er konnte gar nicht genug Einzelheiten erfahren, er war fasziniert von dem Träger eines Szepters, dessen Schatten sich von Westen her über die Erde und über die Meere erstreckte und weit über seine eigene Handbreit eroberten Boden hinausreichte. Er stellte immer neue Fragen; er konnte nie genug über die Monarchin erfahren, von der er mit Staunen und ritterlicher Ehrerbietung sprach – mit einer Art zärtlicher Scheu! Später, als wir erfuhren, daß er der Sohn einer Frau war, die während vieler Jahre einen kleinen Bugisstaat regiert hatte, vermuteten wir, daß sich ihm die Erinnerung an seine Mutter (von der er mit großer Begeisterung sprach) irgendwie mit dem Bild vermengte, das er sich von der fernen Königin zu machen versuchte, die er groß, unbesiegbar, fromm und glücklich nannte. Wir mußten schließlich Einzelheiten erfinden, um seinen Wissensdurst zu befriedigen; und unsere Königstreue muß entschuldigt werden, denn wir versuchten, sie seinem hehren und strahlenden Ideal anzupassen. Wir plauderten. Die Nacht glitt über uns weg, über den stillen Schoner, über das schlafende Land und über das ruhelose Meer, das gegen die Riffe vor der Bucht donnerte. Seine Paddler, zwei verläßliche Männer, schliefen in dem Kanu unter unserer Jakobsleiter. Der alte Vertraute, der von seinen Pflichten beurlaubt war, dämmerte auf seinen Fersen hockend dahin, den Rücken gegen die Tür zum Decksaufgang gelehnt; und Karain saß breit in dem hölzernen Lehnstuhl des Schiffes unter dem leichten Schwanken der Kajütslampe, eine Zigarre zwischen den dunklen Fingern und ein Glas Limonade vor sich. Ihn belustigte das Sprudeln, doch ließ er nach ein, zwei Schluck das Getränk schal werden und bat mit einer höflichen Geste seiner Hand um eine neue Flasche. Er dezimierte unseren kleinen Vorrat an Limonade, doch wir mißgönnten sie ihm nicht; denn wenn er einmal begann, dann sprach er gut. Er mußte zu seiner Zeit ein großer Bugis-Dandy gewesen sein, denn auch damals noch (und als wir ihn kennenlernten, war er schon nicht mehr jung) war seine Erscheinung von tadelloser Eleganz, und er färbte sich sein Haar hellbraun. Die ruhige Würde seiner Haltung verwandelte den schlechtbeleuchteten Kajütsraum des Schoners in einen Audienzsaal. Er redete von interinsularer Politik mit ironischer und melancholischer Gewitztheit. Er war viel gereist, hatte nicht wenig durchgestanden, intrigiert, gekämpft. Er kannte Eingeborenen-Höfe, europäische Siedlungen, die Wälder, das Meer und hatte, wie er selber sagte, zu seiner Zeit mit vielen großen Leuten gesprochen. Er unterhielt sich gern mit mir, weil ich einige dieser Leute kannte: er schien der Meinung zu sein, daß ich ihn verstand, und er nahm mit edler Selbstüberzeugung an, daß zumindest ich beurteilen könne, wieviel größer er selber sei. Doch zog er es vor, von seinem Heimatland zu erzählen – einem kleinen Bugisstaat auf der Insel Celebes. Ich hatte das Land vor einiger Zeit besucht, und er erkundigte sich eifrig nach den Neuigkeiten. Wenn Männernamen in der Unterhaltung auftauchten, pflegte er zu sagen: »Als Knaben schwammen wir miteinander um die Wette«; oder: »Wir jagten zusammen Hirsche – er konnte so gut mit Schlinge und Speer umgehen wie ich.« Dann und wann rollte er unruhig seine großen, träumerischen Augen; er runzelte die Stirn oder lächelte, oder er wurde nachdenklich, starrte schweigend vor sich hin und nickte eine Weile mit dem Kopf in Gedanken an ein schmerzliches Bild aus der Vergangenheit.

Seine Mutter war die Beherrscherin eines kleinen, halbunabhängigen Staates am äußersten Ende des Golfes von Boni gewesen. Er sprach mit Stolz von ihr. Sie hatte sich in Angelegenheiten des Staates wie des Herzens sehr entschlossen gezeigt. Nach dem Tod ihres ersten Gemahls heiratete sie, ohne sich von der ungestümen Opposition der Häuptlinge einschüchtern zu lassen, einen reichen Handelsmann, einen Korinchi, der nicht von Familie war. Karain war der Sohn aus dieser zweiten Ehe, aber diese unglückliche Abstammung hatte offensichtlich nichts mit seinem Exil zu tun. Er sagte nichts über dessen Grund, obwohl ihm einmal mit einem Seufzer die Worte entschlüpften: »Ah! mein Land wird die Last meines Körpers nicht mehr spüren.« Aber er teilte bereitwillig die Geschichte seiner Wanderungen mit und erzählte uns alles von der Eroberung der Bucht. Auf das Volk jenseits der Berge anspielend, pflegte er mit einer lässigen Handbewegung leise zu murmeln: »Sie kletterten einmal über die Berge, um mit uns zu kämpfen, aber diejenigen, die mit dem Leben davonkamen, kehrten nie wieder zurück.« Er sann eine Weile nach und lächelte in sich hinein. »Sehr wenige kamen mit dem Leben davon«, fügte er schließlich mit stolzer Gelassenheit hinzu. Er hegte die Erinnerung an seine Erfolge; er hatte ein überschwengliches Bedürfnis nach hochgesteckten Zielen; wenn er sprach, war sein Aussehen kriegerisch, ritterlich, erhebend. Kein Wunder, daß das Volk ihn verehrte. Wir sahen ihn einmal am hellen Tage zwischen den Häusern der Siedlung dahinschreiten. An den Türen der Hütten drehten sich die Frauen in Gruppen nach ihm um, trillerten leise und blickten ihm mit glänzenden Augen nach; bewaffnete Männer traten unterwürfig und aufrecht aus dem Weg; andere näherten sich von der Seite und bückten sich, um ihn demütig anzusprechen; eine alte Frau streckte einen mageren Arm in weitem Gewand nach ihm aus – »Gesegnet sei Euer Haupt!« rief sie aus ihrer dunklen Türöffnung herüber; ein Mann mit feurigen Augen hob sein schweißüberströmtes Gesicht und eine Brust, die zwei Narben aufwies, über den niedrigen Zaun einer Pisangpflanzung und brüllte ihm keuchend nach: »Gott schenke unserm Herrn den Sieg!« Karain ging schnell und mit festem, weitausgreifendem Schritt seines Weges; er erwiderte die Grüße von rechts und links mit kurzen, durchdringenden Blicken. Kinder rannten zwischen den Häusern vor ihm her, spähten ängstlich um die Ecken; Knaben hielten hinter den Büschen dahingleitend mit ihm Schritt, und ihre Augen blitzten durch das dunkle Laub. Der alte Schwertträger mit der silbernen Scheide über der Schulter schlurfte gebeugten Hauptes, die Augen auf den Boden geheftet, eilig hinter ihm her. Und inmitten großer Bewegung schritten sie schnell und in Gedanken versunken dahin, wie zwei Männer, die durch eine große Öde hasten.

In seiner Ratshalle wurde er von dem feierlichen Ernst bewaffneter Häuptlinge umgeben, während in zwei langen Reihen alte Familienoberhäupter, angetan mit Baumwollgewändern, auf ihren Fersen hockten und ihre untätigen Arme über die Knie hängen ließen. Der Duft blühender Hecken drang unter das Strohdach, das von vier glatten Säulen getragen wurde, von denen eine jede das Leben einer geradegewachsenen jungen Palme gekostet hatte. Die Sonne ging unter. Im offenen Hof traten Bittsteller durch das Tor, die gefalteten Hände über den geneigten Kopf erhoben, auch wenn sie noch weit entfernt waren, und sich im hellen Strom des Sonnenlichts tief verbeugend. Junge Mädchen saßen mit Blumen im Schoß unter den weit ausladenden Zweigen eines großen Baums. Der blaue Rauch von Holzfeuern breitete sich in einer durchsichtigen Dunstwolke über den hochgiebeligen Dächern von Häusern aus, die glänzende Wände aus geflochtenem Schilf und ringsherum unter den tief herabgezogenen Dachtraufen rohe Holzsäulen hatten. Im Schatten waltete er des Richteramtes; vom erhöhten Sitz aus gab er Befehle, Rat, Verweis. Dann und wann wurde das Summen der Zustimmung lauter, und müßige Lanzenträger, die gelangweilt an den Säulen lehnten und zu den Mädchen hinübersahen, wandten langsam ihre Köpfe. Keinem Menschen ist der Schutz von so viel Ehrerbietung, Vertrauen und Scheu zuteil geworden. Doch zuweilen konnte es geschehen, daß er sich vorbeugte und auf einen fernen Klang des Widerspruchs zu lauschen schien – so, als erwarte er irgendeine leise Stimme, den Hall leiser Schritte; oder er hob sich halb aus seinem Sessel, als sei er vertraulich an der Schulter berührt worden. Er blickte sich furchtsam um; sein betagter Gefolgsmann flüsterte ihm unhörbar etwas ins Ohr; die Häuptlinge wandten schweigend die Blicke ab, denn der alte Magier, der Mann, der den Gespenstern gebot und böse Geister gegen die Feinde ins Feld führte, sprach leise zu ihrem Herrscher. Rings um das kurze Schweigen des offenen Platzes rauschten sacht die Bäume; das leise Lachen der Mädchen, die mit Blumen spielten, erhob sich in den klaren Kaskaden fröhlicher Stimmen. An der Spitze der aufgerichteten Lanzenschäfte bewegten sich die langen Büschel gefärbten Roßhaars rot und duftig im Wind; und jenseits der flammenden Hecken floß ein klarer, schneller Bach, den Blicken entzogen, unter den hängenden Gräsern der Ufer mit lautem Rauschen leidenschaftlich und doch sanft dahin.

Nach Sonnenuntergang konnte man weit hinter den Feldern und über der Bucht Bündel von Fackeln sehen, die unter dem hohen Dach der Ratshalle brannten. Blakende rote Flammen schwankten auf hohen Haltern, und der feurige Schein spielte über Gesichter, blieb auf glatten Palmstämmen liegen, entfachte ein helles Gefunkel auf den Rändern der Metallteller, die auf feinen Bodenmatten standen. Dieser dunkle Abenteurer verstand wie ein König zu tafeln. Kleine Gruppen von Männern hockten in dichtgedrängten Kreisen um hölzerne Schüsseln; braune Hände bewegten sich über schneeigen Reisbergen. Auf einer rohen Lagerstatt abgesondert von den andern sitzend, stützte er sich gesenkten Hauptes auf einen Ellenbogen; und vor ihm improvisierte ein Knabe mit hoher Stimme einen Gesang, der seine Tugend und Weisheit pries. Der Sänger schwankte hin und her und rollte irr die Augen; alte Frauen humpelten mit Schüsseln umher, und auf dem Boden hockende Männer hoben den Kopf und lauschten ernst dem Lied, ohne im Essen innezuhalten. Der Triumphgesang bebte durch die Nacht, und die Strophen rollten trauervoll und leidenschaftlich aus wie die Gedanken eines Einsiedlers. Er gebot dem Sänger mit einer Handbewegung Einhalt: »Genug!« In der Ferne schrie eine Eule, frohlockend in der Lust der tiefen Düsternis des Laubes; über ihm rannten Eidechsen durch das Attapstroh und stießen leise Rufe aus; die trockenen Blätter des Daches raschelten, das Stimmengewirr wurde plötzlich lauter. Nach einem überraschten Blick in die Runde, gleich dem eines Mannes, der sich plötzlich einer drohenden Gefahr bewußt wird, warf er sich zurück und nahm unter dem gesenkten Blick des alten Magiers mit weitaufgerissenen Augen den dünnen Faden seines Traumes auf. Sie beobachteten seine Stimmungen; das anschwellende Brausen der lebhaften Unterhaltungen sank wie eine Welle auf einem sanft abfallenden Ufer in sich zusammen. Der Häuptling ist schwermütig. Und über dem sich verbreitenden Geflüster der gesenkten Stimmen war nur das leise Geklirr der Waffen zu hören, ein einzelnes lauter gesprochenes Wort, deutlich und verloren, oder der schwere Klang eines großen Messingtabletts.

III

Zwei Jahre lang besuchten wir ihn in kurzen Abständen. Wir begannen ihn zu lieben, ihm zu vertrauen, beinahe ihn zu bewundern. Er schmiedete und plante einen Krieg mit einer Geduld, mit einer Umsicht – mit einer unbeirrten Zielstrebigkeit und einer Beharrlichkeit, deren ich seine Rasse nicht für fähig gehalten hätte. Er schien die Zukunft nicht zu fürchten und entfaltete in seinen Plänen eine Klugheit, die nur in seiner tiefen Unkenntnis der übrigen Welt ihre Grenzen fand. Wir versuchten, ihn aufzuklären, aber unsere Anstrengungen, ihm die unwiderstehliche Natur jener Kräfte deutlich zu machen, die er bezwingen wollte, vermochten nicht, ihn in seinem Drang zu entmutigen, gegen diese Kräfte einen Schlag für seine eigenen primitiven Ideen zu führen. Er verstand uns nicht und antwortete uns mit Argumenten, die einen durch ihre kindliche Schläue fast zur Verzweiflung brachten. Er war lächerlich und unbelehrbar. Manchmal stießen wir auf eine dunkle, glühende Wildheit in ihm – ein lastendes und undeutliches Gefühl des Bösen und eine gesteigerte Lust zur Grausamkeit, die bei einem Eingeborenen gefährlich ist. Er tobte wie ein Besessener. Einmal, als wir uns spät am Abend mit ihm in seinem Campong unterhielten, sprang er auf. Im Hain brannte ein großes, klares Feuer; Lichter und Schatten tanzten zwischen den Bäumen hin; Fledermäuse schwirrten in der stillen Nacht wie flatternde Flocken einer dichteren Finsternis durch das Gezweig. Er entriß dem alten Mann das Schwert, ließ es zischend aus der Scheide fahren und stieß die Spitze in die Erde. Der losgelassene Silbergriff schwang auf der dünnen, senkrechten Klinge wie etwas Lebendiges hin und her. Er trat einen Schritt zurück und sprach mit tonloser Stimme ungestüm zu dem bebenden Stahl: »Wenn Kraft ist in dem Feuer, in dem Eisen, in der Hand, die dich schmiedeten, in den Worten, die über dir gesprochen wurden, in dem Sehnen meines Herzens und in der Weisheit deiner Schöpfer – dann werden wir zusammen siegreich sein!« Er zog es heraus, ließ seinen Blick über die Schneide wandern. »Nimm!« sagte er über die Schulter weg zu seinem alten Schwertträger. Dieser wischte, ohne sich aus seiner Hockstellung zu erheben, die Spitze mit einem Zipfel seines Sarongs ab, schob die Waffe in die Scheide zurück und hielt sie auf den Knien fest, ohne ein einziges Mal aufgeblickt zu haben. Karain, der plötzlich sehr ruhig geworden war, nahm mit Würde wieder Platz. Hiernach gaben wir es auf, ihm weitere Vorstellungen zu machen, und ließen ihn seinen Weg in ein rühmliches Verderben einschlagen. Alles, was wir für ihn tun konnten, war, dafür zu sorgen, daß er gutes Pulver für sein Geld bekam und daß die Gewehre brauchbar waren, wenn auch alt.

Aber die Sache wurde schließlich zu gefährlich; und wenn wir, die wir das Risiko so oft auf uns genommen hatten, uns auch wenig Gedanken über die Gefahr machten, so waren doch einige würdige Herren, die weitab vom Schuß in Handelshäusern saßen, der Meinung, daß das Wagnis zu groß sei und daß nur noch eine weitere Fahrt unternommen werden sollte. Nachdem wir in der üblichen Weise viele irreführende Andeutungen über das Ziel unserer Reise gemacht hatten, entschlüpften wir in aller Stille und gelangten nach einer sehr raschen Überfahrt in die Bucht. Es war früh morgens, und noch ehe der Anker Grund faßte, war der Schoner von Booten umringt.

Das erste, was wir hörten, war, daß Karains geheimnisvoller Schwertträger wenige Tage zuvor gestorben sei. Wir maßen dieser Neuigkeit nicht viel Bedeutung bei. Natürlich war es schwer, sich Karain ohne den untrennbaren Gefolgsmann vorzustellen; aber der Kerl war alt gewesen, hatte nie mit einem von uns gesprochen, wir hatten ihn schließlich wie etwas Lebloses betrachtet, ein Zubehör zu Karains Staatsgepränge – wie jenes Schwert, das er zu tragen hatte, oder der fransenbesetzte rote Schirm, der bei offiziellen Aufzügen aufgespannt wurde. Karain besuchte uns nicht am Nachmittag wie gewöhnlich. Eine Grußbotschaft und ein Geschenk aus Früchten und Gemüsen wurde vor Sonnenuntergang zu uns herausgeschickt. Unser Freund bezahlte uns wie ein Bankier, behandelte uns aber wie ein Fürst. Wir saßen bis Mitternacht auf und warteten auf ihn. Unter dem Sonnensegel des Achterschiffes klimperte der bärtige Jackson auf einer alten Gitarre und sang mit einem abscheulichen Akzent spanische Liebeslieder; während der junge Hollis und ich auf dem Deck ausgestreckt im Licht einer Ladelampe eine Partie Schach spielten. Karain erschien nicht. Am nächsten Tag waren wir mit Ausladen beschäftigt und hörten, der Rajah sei unpäßlich. Die erwartete Einladung, ihn an Land zu besuchen, blieb aus. Wir sandten ihm freundliche Botschaften, blieben aber – aus Furcht, irgendeine geheime Ratsversammlung zu stören – an Bord. Früh am nächsten Morgen hatten wir die Gewehre und alles Pulver an Land geschafft, dazu ein Sechspfünder-Messinggeschütz mit einer Lafette, das wir gemeinsam als ein Geschenk für unseren Freund erstanden hatten. Am Nachmittag war es schwül. Gezackte Ränder schwarzer Wolken lugten über die Berge, und unsichtbare Gewitter kreisten draußen und grollten wie wilde Tiere. Wir machten den Schoner für die Abfahrt bereit und gedachten am nächsten Morgen in aller Frühe in See zu gehen. Den ganzen Tag über brannte die Sonne erbarmungslos auf die Bucht herab, wütend und bleich wie in Weißglut. Nichts bewegte sich an Land. Das Ufer war leer, die Dörfer schienen verlassen; die Bäume in der Ferne standen in reglosen Gruppen wie gemalt da; der weiße Rauch eines unsichtbaren Reisigfeuers breitete sich tief über die Ufer der Bucht wie ein niedergehender Nebel. Am späten Nachmittag kamen drei von Karains Hauptleuten in ihren besten Gewändern und bis zu den Zähnen bewaffnet in einem Kanu herüber und brachten einen Kasten mit Dollars. Sie waren beklommen und matt und berichteten uns, sie hätten ihren Rajah seit fünf Tagen nicht mehr gesehen. Keiner habe ihn gesehen! Wir regelten das Geschäftliche, und nachdem wir einander in tiefem Schweigen die Hände geschüttelt hatten, kletterten sie einer nach dem andern in ihr Boot und wurden ans Ufer zurückgerudert – dicht beieinandersitzend, in lebhaften Farben, mit hängenden Köpfen: die Goldstickereien ihrer Jacken blitzten grell auf, als sie über das glatte Wasser davonfuhren, und keiner von ihnen sah auch nur ein einziges Mal zurück. Vor Sonnenuntergang sprangen die grollenden Wolken mit einem Satz über den Kamm der Berge und rollten die inneren Abhänge herunter. Alles verschwand, schwarze, wirbelnde Dämpfe erfüllten die Bucht, und in ihrer Mitte schwojte der Schoner unter wechselnden Windstößen hierhin und dorthin. Ein einziger Donnerschlag barst in dem Kessel mit einer Wucht, die fähig schien, den Berggürtel in kleine Stücke zu zersprengen; und eine warme Sintflut ging hernieder. Der Wind flaute ab. Wir keuchten in der engen Kajüte; unsere Gesichter waren schweißüberströmt; die Bucht draußen zischte, als koche sie; das Wasser stürzte in lotrechten Güssen herab, die schwer wie Blei waren; es brauste über das Deck, brach von den Spieren herunter, gurgelte, schluchzte, spritzte, murmelte in der blinden Nacht. Unsere Lampe brannte düster. Hollis lag mit entblößtem Oberkörper ausgestreckt auf der langen Kommode, die Augen geschlossen und reglos wie ein ausgeplünderter Leichnam; ihm zu Häupten klimperte Jackson auf der Gitarre und stieß in Seufzern einen jämmerlichen Klagegesang über hoffnungslose Liebe und Augen wie Sterne hervor. Dann hörten wir überraschte Stimmen auf Deck, die durch den Regen tönten, eilige Schritte, und plötzlich erschien Karain in der Türöffnung der Kajüte. Seine nackte Brust und sein Gesicht glänzten im Licht; sein durchnäßter Sarong klebte ihm um die Beine; er hielt seinen in der Scheide steckenden Kris in der Linken; nasse Haarsträhnen traten unter seinem roten Kopftuch hervor, hingen ihm über Augen und Wangen. Er trat mit einem ungestümen Schritt herein und blickte wie ein Verfolgter über seine Schulter zurück. Hollis drehte sich rasch auf die Seite und öffnete die Augen. Jackson schlug seine große Hand über die Saiten, und die schwirrenden Töne verstummten jäh. Ich stand auf. »Wir haben nicht den Anruf Ihres Bootes gehört!« rief ich.

»Boot! Der Mann ist herübergeschwommen«, ließ sich Hollis von der Kommode herab lässig vernehmen. »Sehen Sie sich ihn doch an!«

Er atmete schwer, seine Augen blitzten, während wir ihn schweigend anstarrten. Wasser tropfte an ihm herab, bildete eine dunkle Lache und rann in krummen Linien über den Kajütenboden. Wir konnten Jackson hören, der hinausgegangen war und unsere malaiischen Matrosen von der Tür zum Niedergang verjagte; er fluchte bedrohlich in das Prasseln eines Gewitterschauers hinein, und auf Deck entstand große Bewegung. Die Wachen, die beim Anblick einer schattenhaften Gestalt, die förmlich aus der Nacht über die Reling setzte, zu Tode erschrocken waren, hatten die ganze Mannschaft alarmiert.

Dann kam Jackson mit glitzernden Wassertropfen auf Haar und Bart wieder zurück und blickte zornig drein, und Hollis, der, da er der Jüngste war, eine lässige Überheblichkeit angenommen hatte, sagte, ohne sich zu rühren: »Geben Sie ihm doch einen trockenen Sarong – geben Sie ihm meinen; er hängt im Baderaum.« Karain legte seinen Kris auf den Tisch, den Griff der Mitte zugekehrt, und murmelte mit erstickter Stimme einige Worte.

»Was sagt er?« fragte Hollis, der nicht verstanden hatte.

»Er entschuldigt sich, daß er mit einer Waffe in der Hand gekommen ist«, sagte ich verwirrt.

»Feierlicher Knabe. Sagen Sie ihm, wir würden einem Freund verzeihen … in solch einer Nacht«, meinte Hollis gedehnt. »Was ist los?«

Karain zog sich den trockenen Sarong über den Kopf, ließ den nassen zu Boden gleiten und stieg heraus. Ich deutete auf den hölzernen Lehnstuhl – seinen Lehnstuhl. Er setzte sich sehr aufrecht hin, sagte mit starker Stimme: »Ha!«; ein kurzes Frösteln schüttelte seine breite Gestalt. Er blickte ängstlich über die Schulter, wandte sich uns zu, als wollte er zu uns sprechen, starrte aber nur seltsam blicklos vor sich hin und drehte sich dann wieder um. Jackson brüllte: »Paßt gut auf dort oben!«, erhielt eine leise Antwort von Deck, holte mit seinem Fuß aus und schlug die Kajütentür zu.

»Alles in Ordnung, jetzt«, sagte er.

Karains Lippen bewegten sich ein wenig. Ein greller Blitzstrahl ließ die beiden runden Heckfenster wie ein Paar grausamer, phosphoreszierender Augen aufflimmern. Die Flamme in der Lampe schien einen Augenblick lang in braunen Staub zu zerfallen, und der Spiegel über dem kleinen Büfett sprang als eine grelle Lichtscheibe hinter seinem Rücken hervor. Der Donnerhall kam näher, brach über uns herein; der Schoner erzitterte, und das mächtige Getöse lief furchtbar drohend in die Ferne weiter. Weniger als eine Minute lang prasselte ein wütender Schauer auf die Decks nieder. Karain blickte langsam von Gesicht zu Gesicht, und dann wurde die Stille so abgründig, daß wir alle deutlich die beiden Chronometer in meiner Kabine hören konnten, die mit unverminderter Geschwindigkeit gegeneinander antickten.

Und wir drei konnten, seltsam bewegt, nicht unsere Blicke von ihm wenden. Er war rätselhaft und rührend geworden auf Grund jener geheimnisvollen Ursache, die ihn durch die Nacht und durch das Gewitter zu dem Obdach der Schonerkajüte getrieben hatte. Keiner von uns zweifelte daran, daß wir einen Flüchtling vor uns hatten, so unglaublich es auch scheinen mochte. Er war abgehärmt, als hätte er wochenlang nicht geschlafen; er war mager, als hätte er tagelang gehungert. Seine Wangen waren hohl, seine Augen eingesunken, die Muskeln seiner Brust und Arme zuckten ein wenig wie nach einem ermüdenden Wettkampf. Natürlich war es eine weite Schwimmstrecke zum Schoner hinaus; aber auf seinem Gesicht lag eine andere Art Erschöpfung, die zerquälte Mattigkeit, der Zorn und die Angst eines Kampfes gegen einen Gedanken, eine Idee, gegen etwas, das nicht zu packen ist, das nie rastet, einen Schatten, ein Nichts, das – unbesiegbar und unsterblich – am Leben nagt. Wir wußten darum, als hätte er es uns entgegengeschrien. Seine Brust dehnte sich von Zeit zu Zeit, als könne sie den Schlag seines Herzens nicht mehr ertragen. Einen Augenblick lang hatte er die Macht der Besessenen – die Macht, in den Zuschauern Staunen, Schmerz, Mitleid und eine beängstigende Ahnung unsichtbarer Dinge wachzurufen, dunkler, stummer Dinge, die die Einsamkeit der Menschheit umgeben. Seine Augen schweiften eine Weile ziellos umher und wurden dann ruhig. Er sagte mit Überwindung:

»Ich kam hierher … Ich floh aus meiner Palisade wie nach einer Niederlage. Ich rannte in die Nacht. Das Wasser war schwarz. Ich ließ ihn rufend am Ufer des schwarzen Wassers zurück … Ich ließ ihn allein am Strand zurück. Ich schwamm … er rief hinter mir her … ich schwamm …«

Er zitterte am ganzen Leib, saß aufrecht da und starrte vor sich hin. Ließ wen zurück? Wer rief? Wir wußten es nicht. Wir konnten ihn nicht verstehen. Ich sagte auf alle Fälle: »Seien Sie standhaft.«

Der Klang meiner Stimme ließ ihn in plötzlicher Erstarrung zur Ruhe kommen, aber sonst nahm er keine Notiz von meinen Worten. Er schien zu lauschen, einen Augenblick lang irgend etwas zu erwarten, dann fuhr er fort:

»Hierher kann er nicht kommen – deshalb suchte ich Sie auf. Euch Männer mit weißen Gesichtern, die ihr die unsichtbaren Stimmen verachtet. Er kann Ihren Unglauben und Ihre Stärke nicht ertragen.«

Er schwieg eine Weile, dann rief er leise aus: »Oh! die Stärke der Ungläubigen!«

»Hier ist niemand außer Ihnen – und uns dreien«, sagte Hollis ruhig. Er lehnte sich zurück, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und rührte sich nicht.

»Ich weiß«, sagte Karain. »Er ist mir nie hierher gefolgt. War nicht der Weise immer an meiner Seite? Aber seitdem der alte Weise, der mein Ungemach kannte, tot ist, habe ich jede Nacht die Stimme gehört. Ich schloß mich ein – viele Tage – in Dunkelheit. Ich kann das kummervolle Murmeln der Frauen hören, das Wispern des Windes, des strömenden Wassers; das Klirren der Waffen in den Händen meiner Getreuen, ihre Schritte – und seine Stimme! … Nahe … So! In meinem Ohr! Ich fühlte ihn nahe … Sein Atem fuhr mir über den Nacken. Ich floh ohne Schrei hinaus. Rings um mich lag alles in ruhigem Schlaf. Ich rannte ans Meer. Er rannte neben mir her, ohne Schritte, flüsternd, alte Worte flüsternd. Ich rannte in das Meer; ich schwamm zu Ihnen hinaus, mit meinem Kris zwischen den Zähnen. Ich, der ich bewaffnet bin, floh vor einem Hauch – zu Ihnen. Nehmen Sie mich mit in Ihr Land. Der weise alte Mann ist tot, und mit ihm ist die Macht seiner Worte und seines Zaubers dahingeschwunden. Und ich kann es niemand sagen. Niemand. Es gibt niemand hier, der treu genug und weise genug wäre, daß er es wissen dürfte. Nur in Ihrer Nähe, Ungläubige, schwindet meine Unruhe wie unter dem Blick des Tages.«

Er wandte sich mir zu.

»Ich gehe mit Ihnen!« rief er mit gefaßter Stimme. »Mit Ihnen, der Sie so viele von uns kennen. Ich möchte dieses Land verlassen – mein Volk … und ihn – dort!«

Er deutete mit einem zitternden Finger ziellos über seine Schulter. Es war schwer für uns, die Gewalt dieser unenthüllten Qual zu ertragen. Hollis starrte ihn an.

Ich fragte sacht: »Wo ist die Gefahr?«

»Überall außerhalb dieses Ortes«, antwortete er kummervoll. »Überall, wo ich bin. Er wartet auf mich an den Wegen, unter den Bäumen, an meiner Ruhestatt – überall, außer hier.«

Er blickte in der kleinen Kajüte umher, auf die bemalten Balken, auf den trüben Lack der Schotts; er sah sich um, als appelliere er an ihre ganze schäbige Fremdheit, an den ganzen unordentlichen Wust unvertrauter Dinge, der zu dem unvorstellbaren Leben der Anspannung, der Macht, der Bemühung, des Unglaubens gehörte – zu dem intensiven Leben der Weißen, das unwiderstehlich und hart an der Grenze der äußeren Dunkelheit dahinläuft. Er streckte seine Arme aus, als wollte er das alles und uns umfangen. Wir warteten. Wind und Regen hatten sich gelegt, und die Stille der Nacht um den Schoner war so stumm und vollkommen, als wäre eine tote Welt zur letzten Ruhe in ein Grab aus Wolken gebettet worden. Wir erwarteten, daß er sprechen werde. Die innere Not zerrte an seinen Lippen. Es gibt Leute, die behaupten, ein Eingeborener spreche nicht zu einem Weißen. Irrtum. Kein Mensch spricht zu seinem Herrn; aber vor einem Wanderer und Freund, vor dem, der nicht kommt, um zu belehren oder zu herrschen, vor dem, der um nichts bittet und für alles empfänglich ist, werden Worte gesprochen, am Lagerfeuer, in der geteilten Einsamkeit des Meeres, in Flußdörfern, an Rastplätzen, die rings von Wald umgeben sind – werden Worte gesprochen, die weder Rasse noch Farbe in Betracht ziehen. Ein Herz spricht – ein anderes lauscht; und die Erde, das Meer, der Himmel, der vorüberstreichende Wind und das schwankende Blatt hören die müßige Geschichte von der Mühsal des Lebens.

Er sprach schließlich. Es ist unmöglich, die Wirkung seiner Geschichte wiederzugeben. Sie ist unvergänglich, sie ist nur eine Erinnerung, und ihre Lebendigkeit kann einem anderen Geist nicht verdeutlicht werden – ebensowenig wie die lebhaften Empfindungen eines Traumes. Man muß seine angeborene Großartigkeit erlebt, muß ihn vorher gekannt – und ihn dann vor sich gesehen haben. Die schwankende Düsternis der kleinen Kajüte; die atemlose Stille draußen, durch welche nur das Klatschen des Wassers gegen die Seitenwände des Schoners zu hören war; Hollis’ bleiches Gesicht mit den standhaften, dunklen Augen; der energische Kopf Jacksons, den zwei große Hände stützten, und die langen gelben Haare seines Bartes, die über die Saiten der Gitarre vor ihm auf dem Tisch flossen; Karains aufrechte und reglose Gestalt, seine Stimme – all das rief einen Eindruck hervor, der nicht wieder vergessen werden kann. Er blickte uns über den Tisch hinweg an. Sein dunkler Kopf und bronzefarbener Torso erschienen über der fleckigen Holzplatte, glänzend und still wie in Metall gegossen. Nur seine Lippen bewegten sich, und seine Augen glühten, erloschen, strahlten wieder auf und starrten trauervoll vor sich hin. Sein Gesichtsausdruck kam unmittelbar aus seinem gequälten Herzen. Seine Worte tönten leise, in traurigem Raunen, wie strömendes Wasser; zuweilen hallten sie laut wider wie der Schlag eines Kriegsgongs – oder schleppten sich langsam dahin wie müde Wanderer – oder stürzten mit der Geschwindigkeit der Furcht hervor.

IV

Dies ist – unvollkommen – was er sagte:

»Es war nach der großen Unruhe, die das Bündnis der vier Staaten von Wajo sprengte. Wir kämpften gegeneinander, und die Holländer sahen von ferne zu, bis wir ermattet waren. Dann tauchte der Rauch ihrer Dampfschiffe an der Mündung unserer Flüsse auf, und ihre großen Herren kamen in Booten voller Soldaten, um mit uns über Schutz und Frieden zu sprechen. Wir antworteten mit Vorsicht und Klugheit, denn unsere Dörfer waren niedergebrannt und unsere Palisaden geschwächt, das Volk müde und die Waffen stumpf. Sie kamen und gingen wieder; es war viel geredet worden, aber nachdem sie gegangen waren, schien alles wie früher zu sein, nur blieben ihre Schiffe in Sichtweite vor unserer Küste, und sehr bald tauchten ihre Handelsleute unter dem Versprechen der Sicherheit bei uns auf. Mein Bruder war der Herrscher und einer derjenigen, der das Versprechen gegeben hatte. Ich war damals jung und hatte im Krieg mitgekämpft, und Pata Matara hatte an meiner Seite gefochten. Wir hatten Hunger, Gefahr, Erschöpfung und Sieg geteilt. Seine Augen erkannten rasch, wenn ich in Gefahr war, und zweimal hatte ihm mein Arm das Leben gerettet. Es war sein Schicksal. Er war mein Freund. Und er war groß unter uns – einer derjenigen, die meinem Bruder, dem Herrscher, nahestanden. Er sprach in der Ratsversammlung, sein Mut war groß, er war der Häuptling vieler Dörfer rund um den großen See, der in der Mitte unseres Landes liegt, wie das Herz in der Mitte des Menschenleibes. Wenn, seiner Ankunft voraus, sein Schwert in einen Campong getragen wurde, dann flüsterten die Mägde unter den Obstbäumen, die Reichen berieten sich im Schatten, und ein Fest wurde bereitet mit Lustbarkeit und Gesängen. Er besaß die Gunst des Herrschers und die Liebe der Armen. Er liebte den Krieg, die Hirschjagd und die Reize der Frauen. Er war der Besitzer von Juwelen, von glückbringenden Waffen und der Ergebenheit der Männer. Er war ein ungestümer Mann; und ich hatte keinen anderen Freund.

Ich war der Herr einer Palisade an der Mündung des Flusses und trieb von den vorüberfahrenden Schiffen für meinen Bruder Zoll ein. Eines Tages sah ich einen holländischen Handelsmann den Fluß herauffahren. Er kam mit drei Booten, und kein Zoll wurde von ihm erhoben, weil der Rauch holländischer Kriegsschiffe am Horizont über dem Meere stand und wir zu schwach waren, um Verträge zu vergessen. Er fuhr unter dem Versprechen der Sicherheit den Fluß hinauf, und mein Bruder gewährte ihm seinen Schutz. Er sagte, er komme, um Handel zu treiben. Er hörte sich unsere Worte an, denn wir sind ein Volk, das offen spricht und ohne Scheu; er zählte unsere Speere, er prüfte die Bäume, das strömende Wasser, das Gras an den Ufern, die Hänge unserer Berge. Er fuhr zu Mataras Land hinauf und erhielt die Erlaubnis, ein Haus zu bauen. Er handelte und pflanzte. Er verachtete unsere Freuden, unsere Gedanken und unsere Kümmernisse. Sein Gesicht war rot, sein Haar wie Feuer und seine Augen waren fahl wie ein Flußnebel; er bewegte sich schwerfällig und sprach mit tiefer Stimme; er lachte laut wie ein Tölpel, und er legte keine Höflichkeit in seine Rede. Er war ein großer, verachtungsvoller Mensch, der den Frauen ins Gesicht sah und freien Männern die Hand auf die Schulter legte, als sei er ein Häuptling von edlem Geblüt. Wir ertrugen ihn. Die Zeit verging.

Dann floh Pata Mataras Schwester aus dem Campong und ging fort, um in dem Haus des Holländers zu leben. Sie war eine große und eigenwillige Dame: ich hatte sie einmal gesehen, als sie hoch auf Sklavenschultern mit unverhülltem Gesicht unter dem Volk einhergetragen wurde, und ich hatte alle Männer sagen hören, ihre Schönheit sei außerordentlich, bringe jede Vernunft zum Schweigen und entzücke das Herz des Betrachters. Das Volk war erschrocken; Mataras Gesicht war vor Schmach verdüstert, denn sie hatte gewußt, daß sie einem andern Mann versprochen war. Matara ging in das Haus des Holländers und sagte: ›Gebt sie heraus, auf daß sie sterbe – sie ist die Tochter von Häuptlingen.‹ Der Weiße weigerte sich und schloß sich ein, während seine Diener Tag und Nacht mit geladenen Gewehren Wache hielten. Matara raste vor Wut. Mein Bruder rief eine Ratsversammlung ein. Aber die holländischen Schiffe waren nah und beobachteten gierig unsere Küste. Mein Bruder sagte: ›Wenn er jetzt stirbt, wird unser Land für sein Blut büßen müssen. Laßt ihn in Frieden, bis wir stärker werden und die Schiffe fort sind.‹ Matara war klug; er wartete und beobachtete. Aber der Weiße fürchtete für ihr Leben und ging von dannen.

Er verließ sein Haus, seine Plantagen und seine Güter! Er reiste bewaffnet und drohend ab und verließ alles – für sie! Sie hatte sein Herz entzückt! Von meiner Palisade aus sah ich, wie er mit einem großen Boot in See stach. Matara und ich beobachteten ihn von dem Wehrgang hinter den gespitzten Pfählen. Er saß mit übereinandergeschlagenen Beinen, sein Gewehr in der Hand, auf dem Dach über dem Heck seiner Prau. Der Lauf des Gewehres blitzte quer vor seinem feisten, roten Gesicht. Der breite Fluß dehnte sich unter ihm – eben, glatt, schimmernd, wie eine Fläche aus Silber; und seine Prau, die vom Ufer aus sehr kurz und schwarz aussah, glitt über die Silberfläche und hinüber in das Blau des Meeres.

Dreimal rief Matara, der neben mir stand, mit Schmerz und Verwünschungen laut ihren Namen. Er regte mein Herz auf. Dreimal quoll es mir auf in der Brust; und dreimal sah ich mit den Augen meines Geistes in der Düsternis des umschlossenen Raums der Prau eine Frau mit herabwallendem Haar, die ihr Land und ihr Volk verließ. Ich war zornig – und traurig. Warum? Und dann rief auch ich Beschimpfungen und Drohungen hinterher. Matara sagte: ›Jetzt, da sie unser Land verlassen haben, gehören ihre Leben mir. Ich werde ihnen folgen und zuschlagen – und, allein, den Preis des Blutes zahlen.‹ Ein starker Wind fegte über den leeren Strom der untergehenden Sonne zu. Ich rief: ›An deiner Seite will ich gehen!‹ Er senkte sein Haupt als Zeichen der Zustimmung. Es war sein Schicksal. Die Sonne war untergegangen, und über unseren Köpfen wiegten die Bäume ihr Geäst mit großem Getöse.

In der dritten Nacht verließen wir beide in einer Handelsprau gemeinsam unser Land.

Das Meer nahm uns auf – das Meer, weit, weglos und ohne Stimme. Eine Segelprau hinterläßt keine Spur. Wir fuhren nach Süden. Der Mond war voll; und aufblickend sagten wir zueinander: ›Wenn der nächste Mond wie dieser voll herabscheint, werden wir zurückkehren, und sie sind tot.‹ Das war vor fünfzehn Jahren. Viele Monde wurden voll und verwelkten, und mein Land habe ich seither nicht mehr gesehen. Wir segelten nach Süden; wir überholten viele Praus; wir durchsuchten die Mündungsarme und Buchten; wir sahen das Ende unserer Küste, unserer Insel – ein steiles Kap über einer unruhigen Wasserstraße, durch welche die Schatten zerschellter Praus ziehen und des Nachts ertrunkene Menschen schreien. Jetzt war das weite Meer rings um uns. Wir sahen einen großen Berg, der mitten im Wasser brannte, wir sahen Tausende von Inselchen, die wie aus einer großen Kanone geschossene Eisensplitter verstreut dalagen; wir sahen eine langgestreckte Küste mit Bergen und Niederungen, die sich unter dem Sonnenschein von Westen nach Osten erstreckte. Es war Java. Wir sagten: ›Dort sind sie; ihre Zeit ist nahe, und wir werden von Schmach reingewaschen heimkehren oder sterben.‹

Wir gingen an Land. Ist irgend etwas gut dort? Die Wege sind gerade und hart und staubig. Steincampongs voller weißer Gesichter werden von fruchtbaren Feldern umgeben, aber jeder, der einem begegnet, ist ein Sklave. Die Herrscher leben unter der Schneide eines fremden Schwertes. Wir erstiegen Berge, wir durchquerten Täler; bei Sonnenuntergang betraten wir Dörfer. Wir fragten jeden: ›Habt ihr solch einen Weißen gesehen?‹ Einige starrten uns an; andere lachten; Frauen gaben uns gelegentlich zu essen, ängstlich und mit Ehrfurcht, als würden wir durch die Heimsuchung eines Gottes gequält; aber manche verstanden nicht unsere Sprache, und andere verfluchten uns oder fragten gähnend und mit Verachtung nach dem Grund unseres Forschens. Einmal, als wir von dannen gingen, rief uns ein alter Mann nach: ›Laßt ab!‹