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Sigurds Geist wird in eine Welt der Zukunft transferiert, die vor 200 Jahren untergegangen ist. Die Kontinente sind radioaktiv verstrahlt und biologisch verseucht. Mutanten bevölkern nun die mehr als zu zwei Drittel zerstörte Oberfläche des Planeten Erde. Obskure Geschöpfe herrschen mit brutalen Sanktionen und einer unnatürlich wirkenden Technologie über den Rest der einstigen Menschheit. Sigurd erwacht in einem Körper, der kurz vor dem verdursten am Rande eine Wüste liegt. Er hat absolut keine Erinnerung mehr an sein altes Leben. Nunmehr ist er ein Wanderer ohne Vergangenheit.
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Seitenzahl: 175
AlienWalk 12
Getrennte Seelen
Jens F. Simon
© 2021 Jens F. Simon
Illustration: S. Verlag JG
Verlag: S. Verlag JG, 35767 Breitscheid,
Alle Rechte vorbehalten
Neuauflage von „Der Spezialist MbF“
Doppelband
2.Auflage
ISBN: 978-3-96674-235-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig und wird sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verfolgt. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Seele ist fest mit dem menschlichen Körper verbunden. Der Geist, das mentale Ich, ist jedoch im christlichen Glauben etwas Eigenständiges, etwas Unabhängiges. Wenn durch einen Zufall die feste Verbindung von Seele und Körper einmal getrennte werden sollte, so ist es unabänderlich, dass es kein Zurück mehr gibt. Ist das wirklich so?
Wie sehr wir von dem Äußeren eines Menschen beeinflusst werden, ist uns oft nicht bewusst. Erst dann, wenn wir ebenso die Möglichkeit bekommen, in sein Inneres zu blicken, werden wir die Wahrheit finden. Aber ist es wirklich die ganze Wahrheit?
Inhaltsverzeichnis:
Prolog
Sgrull
Der Weg des Mutigen
Die Macht des Para-Mutanten
Majenna
Der Insektoiden Mensch
Überfall
Pfad zu neuen Welt
Der Aufbruch
Gefahrenvolle Reise
Der Alte aus Greenside
Muhlorks Späher
Wüste Gesellen
Sperrgebiet
Gespenster
Takaarraths Geheimnis
Die Gondel aus Sternenstaub
Ich saß in dem alten Ohrensessel mit Beinauszug, der noch von meiner Großmutter stammte, und hatte den eBook-Reader in der Hand.
Das Fenster stand sperrangelweit offen und ich hörte entfernte Motorengeräusche von der Landstraße her, die sich in drei Kilometern Entfernung eine Anhöhe hinaufschlängelte.
Es wehte kein Lüftchen. Es dämmerte bereits und die Temperatur war immer noch deutliche über 22 Grad Celsius.
STAR ADVENTURE hieß die SCI-FI Serie, die ich gerade heruntergeladen hatte.
Nachdenkliche ließ ich meine Blicke über die Bücherregale wandern, die sich um mein Bett herum an den Wänden entlang vom Boden bis zur Decke hinauf erstreckten.
Sie waren voller alter Schmöker; die Seiten längst schon vergilbt. Ich hatte angefangen, mich von den gedruckten Büchern auf eBooks umzustellen.
Am Anfang war es mir noch sehr schwergefallen. Es fehlte der ständige Kontakt mit den Papierseiten.
Es fehlte auch der ganz eigene Geruch von gedruckten Büchern beim Lesen. Was mich wiederrum positiv stimmte, war die Möglichkeit mit dem eBook Reader immer ständig zu abertausenden Büchern Zugang zu haben.
Auch hatte man immer die richtige Beleuchtung und war von dem Umgebungslicht nicht so abhängig.
Es war so eine richtig angenehme Abenddämmerung, um sich in ferne Galaxien zu begeben und romantisch, gefährliche Abenteuer zu erleben.
Ich überlegte kurz, legte den eBook Reader zur Seite, stand auf und ging zum Fenster.
Nächste Woche würde ich mit meiner Freundin Gaby zusammenziehen. Wir waren jetzt bereits seit einem viertel Jahr ein Paar.
Es war schon merkwürdig gewesen.
Als wir uns das erste Mal küssten, da war plötzlich ein fremder Gedanke in meinem Kopf und das Gesicht einer sehr hübschen Frau blitzte kurz in meinem Geist auf.
Sie blickte mich mit großen, ausdrucksvollen Augen an und ich glaubte den Geruch von Pfirsich wahrzunehmen.
Manchmal hatte ich regelrecht den Eindruck, dass mir das viele Lesen wirklich nicht bekam.
Meine Mutter hatte immer von Fantastereien gesprochen, die mich von meinem richtigen Leben zu sehr ablenkten.
Immerhin war ich einunddreißig Jahre alt und arbeitslos. Ich beobachtete gedankenverloren die PKW auf der Landstraße.
Sie wirkten von hier aus wie kleine Match Box Autos. Das leise, fast gleichmäßige Rauschen der Motorengeräusche ließ mich müde werden.
Mein Blick schweifte ab und meine Augen begannen tatsächlich zuzufallen.
Dann schrak ich auf. Neben der Scheune, die Gabys Vater gehörte und die etwa zehn Meter von unserem Haus entfernt stand, blitzte es seltsam auf.
Eine kalte aber hellstrahlende Lichtquelle erregte plötzlich meine ganze Aufmerksamkeit.
Bevor ich versuchen konnte, mich darauf zu konzentrieren, öffnete sich unvermittelt die Zimmertür.
Sigurd, es ist etwas passiert“, vernahm ich leise meine Mutter sagen.
Sie hielt sich kurz am Türrahmen fest, und in diesem Moment ahnte ich Schlimmes. Sie stand nur einfach dort und blickte in mein Zimmer hinein.
„Was ist denn?“
Ich ging langsam auf sie zu. Sie sagte immer noch nichts und dann begannen ihre Augen wässrig zu werden.
Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich in meine Arme fallen.
„Papa ist gegangen. Jetzt sind wir allein!“
Im ersten Moment wusste ich nicht, was sie meinte. Dann wurde es mir langsam klar.
Mein Vater war gestorben.
„Was, wo…?“ Ich konnte selbst kaum noch klar denken und versuchte mich zusammenzureißen.
Meine Mutter blickte mich mit tränenüberströmten Augen an.
„Unten, im Wohnzimmer. Er sitzt ganz friedlich in seinem Sessel“, sagte sie leise und mit abgehackten Worten.
Der Hausarzt hatte den Totenschein ausgestellt; Sekundenherzinfarkt.
Sigurd lauschte dem Motorengeräusch des Leichenwagens hinterher, als plötzlich Gaby neben ihm stand.
Er hatte sie nicht kommen hören. Seine Mutter lag mit einem schwachen Beruhigungsmittel im Bett, das ihr der Hausarzt noch verabreicht hatte, bevor er wieder gegangen war.
„Oh, Sigurd, das tut mir alles so leid!“
Gaby setzte sich neben ihn auf die Couch und nahm seine Hände in die ihre.
Er starte auf den Sessel, indem sein Vater saß, als er einfach von ihnen gegangen war.
In Sigurds Kopf befand sich nichts als Leere. Keine Gedanken, kein Aufbegehren gegen das Endgültige, nur Leere.
Sein Geist hat sich noch nicht richtig von der Trennung aus seinem Nanitenkörper erholt.
Der immer noch parapsychisch begabte Geist versuchte fast erloschene Erinnerung an das Geschehen wiederherzustellen.
Die Schicksalstafeln hatten seine Seele, seinen Geist genauso verändert, wie die noch in geringen Mengen in ihm vorhandene magische Energie.
Sein Unterbewusstsein hatte eine neue Art von Qualität erfahren, die zwar noch tief in seinem Inneren schlummerte, aber jederzeit zum Ausbruch kommen konnte.
Es fehlte lediglich eine Art von Initialzündung, also ein Ereignis, das mit seinem Unterbewusstsein interagierte, das eine Brücke zu seinem anderen Leben bauen konnte, um den Geist in einer Spontanentladung wieder von seinem Körper zu lösen.
Ein solches Erlebnis war der plötzliche Tod seines Vaters.
Urgewalten der Unendlichkeit, welche sich tief in seinen Geist, in seine Seele eingebrannt hatten, brachen unvermittelt zu Tage.
Für Sekundenbruchteile tauchten Erinnerung auf, die normalerweise nicht mehr existierten.
Alethea, der Heimatplanet der Xxiin, Xelio, seine Abenteuer mit den Magiern, der Ring der Srem, MAITRI und das organische Raumschiff Paurusheya, der Mellraner Calgulla und so vieles mehr.
Sigurds Aufnahmefähigkeit wurde massiv überansprucht und führte dazu, dass es in eine tiefe Bewusstlosigkeit fiel. Seine Seele sah nur noch einen Ausweg aus dem Dilemma, die Flucht.
Die Sirene des Krankenwagens ertönte in dieser warmen Sommernacht besonders laut.
Gaby saß neben der Krankenliege und hielt immer noch Sigurds Hand. Immer wieder kullerten dicke Tränen an ihrem Arm entlang auf ihre beiden Hände. Sie versuchte stark zu bleiben.
Der Notarzt hatte von einem Koma gesprochen, in das Sigurd gefallen war. Er befand sich in tiefer Bewusstlosigkeit.
Seine Pupillen reagierten nur noch schwach auf Lichtreflexe. Seine Atmung hatte sich stark verlangsamt.
Der Arzt sprach von einer Schutzreaktion des Unterbewusstseins. Gaby konnte es aber nicht verstehen.
Er hatte sich keine schwere Verletzung am Kopf zugezogen, die normalerweise so ein Koma auslösen konnte.
Der Tod seines Vaters hatte Sigurd zwar schwer getroffen, aber sein Geist war stark genug, es zu verkraften.
Viel mehr machte sie sich um Sigurds Mutter Sorgen. Sie würde sich in den nächsten Tagen verstärkt um sie kümmern müssen und natürlich um Sigurd. Sie seufzte laut, sodass der mitfahrende Arzt besorgt zu ihr hinblickte.
Alles in Ordnung?“
Sie nickte lediglich. Sigurd lag auf der Liege wie ein Toter. Kein einziger Muskel an seinem Körper regte sich. Seine Augenlieder waren geschlossen. Wenn sie nur wüsste, was mit ihm geschehen war; wo sich sein Geist in diesem Moment befand.
Die metaphysischen Pforten des Universums wurden gesprengt.
Dazu reichte die in Sigurds Geist noch vorhandene magische Restenergie, die sich durch seine parapsychische Begabung seit seinem Rücksturz in seinen alten Körper beständig auflud.
Seine Seele, sein mentales Ego, griff spontan auf eine alternierende Realitätsebene über.
Aufgrund einer massiven Raumzeitkrümmung, welche sich durch die Entstehung eines Schwarzen Lochs in nur wenigen Lichtjahren Entfernung von der Erde bildete, wurde das einsteinsche Raumzeitkontinuum für bestimmte Energieformen durchlässig.
Sigurds Geist war durch den bereits einmal durchgeführten Bewusstseinstransfer hierfür besonders anfällig.
Seine Geist-Seele wurde mit Vehemenz aus seinem Körper gerissen, der daraufhin sofort in ein tiefes Koma fiel.
Trotz allem behielten einige der Naturkonstanten immer noch ihre Gültigkeit. Sigurds mentale Essens war weiterhin auf das Sonnensystem der Erde gebunden.
Jedoch befand es sich auf einer anderen Realitätseben, sozusagen in einer Parallelwelt, 200 Jahre in der Zukunft.
Seine Geist-Seele übernahm dort den Körper eines Menschen, der zu ihm eine starke Affinität aufwies und dessen eigene Seele bereits dermaßen geschwächt und vom Tode gezeichnet war, dass es ein Leichtes wurde, sie gänzlich zu verdrängen.
Er erwachte aus einer tiefen Bewusstlosigkeit unter brennenden Schmerzen kurz vor dem Sterben.
Der Höhlendom lag direkt unter dem aus roten Sandsteinziegeln erbauten Bungalow.
Das Haus war trotz seines hohen Alters von über zweihundertfünfundzwanzig Jahren noch gut erhalten.
Es war ein typischer amerikanischer Bungalow des beginnenden 21. Jahrhunderts der alten Zeitrechnung.
Direkt hinter dem Haus begann eine riesige Wüste sich auszudehnen. Es gab keine Grenzen oder sonstige Landschaftsmerkmale mehr, anhand denen man den genauen Standort hätte bestimmen können.
Die alte Welt war vor zweihundert Jahren untergegangen. Die Kontinente, soweit es sie noch gab, waren immer noch radioaktiv verstrahlt.
An der rechten Seite des teilweise unterkellerten Bungalows gab es einen Zugang in einen unterirdischen Gewölbekomplex, der teils natürlichen, teils künstlichen Ursprungs war.
Der Eingang in den Schutzkeller war mit einer aus altem Eichenholz bestehenden Doppeltür verschlossen.
Ein heftiger, heißer Wind wehte aus Südsüdost über das Areal. Die Sonne brannte erbarmungslos durch die stark ausgedünnte Ozonschicht auf das ausgemergelte Land herab.
Es war seltsam ruhig um diese Mittagsstunde herum. Kein einziger Tierlaut war zu hören, keine Todesschreie oder Kampfgeräusche, welche sonst die alltäglichen Hintergrundgeräusche der Umgebung bildeten.
In westlicher Richtung flimmerte im Dunst der heißen Luft das Abbild eines Gebirgsmassivs.
Obwohl das Vorgebirge noch über einhundert Kilometer entfernt war, erzeugte eine Fata Morgana den Eindruck, als würde es bereits nach wenigen Hundert Metern beginnen.
Mit einem lauten, knarrenden Ton öffnete sich plötzlich der rechte Teil der Kellertür.
Wie in Zeitlupe wurde die Türklappe nach oben geschoben und blieb dann im vertikalen Winkel zum Eingang stehen.
Schlurfend schob sich zunächst ein dicker Fuß mit einem noch dickeren Oberschenkel nach vorne, bevor ihm ein zweiter Fuß mit dem dazugehörigen relativ kurzen Rumpf folgte.
Sgrull, Vater von elf Söhnen, schnupperte zunächst vorsichtig mit seiner flachen Nase, um dann lautstark zu schniefen.
Er musste vorsichtig sein, da sich ständig irgendwelches Viehzeug hier am Rande der Wüste herumtrieb, dem man am besten aus dem Weg ging.
Mit einer Körpergröße von einem Meter dreiunddreißig war er nicht gerade ein besonders gefürchteter Kämpfer.
Seine Leibesfülle und der kugelförmige Kopf, der fast ansatzlos auf dem Hals saß, vermittelten eher einen behäbigen Lebenswandel.
Er hatte ständig Atemnot und litt unter einer Knochenanomalie, die auf eine genetische Mutation zurückzuführen war, welche die Entwicklung der Knochen und des Bindegewebes beeinträchtigte.
Sgrulls Frau war nach der Geburt seines jüngsten Sohnes vor zwei Jahren gestorben und seitdem kümmerte er sich alleine um ihr aller Wohl.
Er erinnerte sich noch gut an ihren Todestag. Das Leben war schon bitter und falsch, wie die giftige Sandviper, die sie gebissen und auf der Stelle getötet hatte.
Andererseits hatte das Leben aber auch Majenna zu ihm geführt. Eine zwar seltsame, junge Frau, die nichts über ihre eigene Vergangenheit wusste oder zumindest so tat, als würde sie unter Amnestie leiden.
Majenna war etwa vor eineinhalb Planetenumläufen hier aufgetaucht.
Seitdem kümmerte sie sich um die jüngsten Mitglieder seiner großen Familie und war mittlerweile ein nicht mehr wegzudenkender Teil ihrer kleinen Gemeinschaft.
Sgrull war ihr besonders dankbar, da sie sich sofort um das damals erst ein halbes Jahr alte Neugeborene gekümmert hatte.
Etwas irritiert von den Erinnerungen, die sich überfallartig in seinem Kopf breitgemacht hatten, schniefte er nochmals laut und spukte grünes Sekret aus.
Sgrull war ein Mutant, so wie die meisten der Nachkommen von Überlebenden des nuklearen Weltuntergangs vor zweihundert Jahren.
Er versuchte so leise wie möglich die massive Holztür hinter sich zu schließen, was aber nicht ganz gelang.
Aus dem noch leisen Quietschen der seit Jahrzehnten nicht mehr geölten Metallscharnieren wurde ein schussartiger Knall, als die Holztür des Kellerbunkers auf den Metallrahmen zurückfiel.
Sgrull hatte sie zu früh losgelassen. Erschrocken ging er in die Knie und hielt nach allen Seiten Ausschau. Dabei zuckte sein Kopf ruckartig zur Seite und überspannte dabei mehrere Sehnen seines dicken Halses.
Der Schmerz trieb dicke Tränenflüssigkeit in die Augen, aber er hielt standhaft den Mund geschlossen, obwohl er viel lieber vor Pein aufgeschrien hätte. Er musste vorsichtig sein.
Zwar konnte er in dem feinen Sand am Boden keine Spuren eines Raubtieres erkennen, aber das bedeutete nicht viel.
Um diese Jahreszeit wehte oftmals ein starker Nordwind und die dabei herumfliegenden Sandkörner verwehten die meisten Spuren am Boden in Sekundenschnelle.
Er waren jetzt einige Monde vergangen, seitdem er das letzte Mal die Oberfläche besucht hatte. Normalerweise mied er solche Ausflüge.
Sein Lebensraum waren die Riesenhöhlensysteme, die sich von hier bis zu dem nahen Gebirgszug in einer Tiefe von mehreren Kilometern erstreckten. Sgrull, der Vater von elf Söhnen, schaute versonnen in Richtung Berge.
Sie bildeten die einzige Barriere zwischen der unwirtlichen, aber relativ ruhigen Vorgebirgslandschaft und dem Einflussgebiet von Muhlork, einem Para-0 Mutanten. Sgrull hatte bisher nicht sehr viel über ihn gehört.
Jedenfalls erzählte man sich, dass seine Macht hauptsächlich auf der Fähigkeit des Gedankenlesens basierte.
Er war ein starker Telepath und Fammer behauptete sogar, dass er die Fähigkeit der Suggestion beherrschte.
Sgrull kannte Fammer schon sehr lange, schließlich wohnte er mit seinen drei Töchtern ebenfalls in den Höhlensystemen und er hatte sich immer auf seine Aussagen verlassen können.
Mittlerweile hatten sich sogar zwei seine Söhne mit zwei Töchtern von Fammer befreundet und so wie es aussah, würde mehr daraus werden.
Als unvermittelt ein Donnerkrollen von den nahen Bergen herüberschallte, zuckte Sgrulls Kopf sichtlich nervös zur Seite.
Ein stechender Schmerz ließ ihn wieder aufstöhnen.
„Verflucht, wäre ich heute doch in meiner Schlafkammer geblieben.“
Trotz der Tränenflüssigkeit in seinen Augen konnte er das mehrmalige Aufblitzen am Fuße des vorgelagerten Bergmassivs gut erkennen. Etwas war dort im Gange, was ihm überhaupt nicht gefiel.
Plötzlich machte er sich doch Sorgen um seine beiden ältesten Söhne No’ha und Ke’hn.
Sie waren zusammen mit Majenna unterwegs, um den Samen der Paocky-Nuss zu besorgen.
Ken’ha, der kleinste seines Nachwuchses, hatte seit Tagen hohes Fieber und selbst die kalten Wadenwickel und die Waschungen mit lauwarmem Wasser hatten keine Besserung gebracht.
Majenna hatte sich daraufhin entschlossen, das südliche Gebirgsvorland aufzusuchen, wo die Paocky-Nuss wuchs.
„Du musst den Samen der Nuss zu feinem Mehl zerstoßen und in etwas Milch und Wasser aufrühren. Glaube mir, ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, das Fieber wird zurückgehen, sobald Ken’ha davon trinkt.“
Sgrull erinnerte sich gut an ihre Worte und es hatte ihm einige Mühe gekostet, sie zu überzeugen, den Zweitagesmarsch zum Gebirge nicht alleine zu machen.
Es war für eine junge Frau viel zu gefährlich, hier draußen alleine herumzuziehen.
Letztendlich hatte sie eingewilligt, dass seine Söhne No’ha und Ke’hn sie begleiteten.
Er hätte sie gerne selbst begleitet, war aber nicht abkömmlich, da er sich mit einem Händler am Rande der Siedlung Markatan verabredet hatte.
Es war kein einfacher Gang, den er sich vorgenommen hatte. Schließlich war Markatan die Hochburg von Muhlorks Einflussbereich.
Aber es war wieder einmal, wie jedes Jahr, an der Zeit, Tauschgeschäfte zu tätigen; wichtige Güter des täglichen Lebens gegen die vielen Felle und das Elfenbein zu tauschen, das er und seine Söhne über das Jahr hin angehäuft hatten.
Die Jagd wurde von Jahr zu Jahr gefährlicher. Manchmal hatte Sgrull den Eindruck, dass gerade die Fleischfresser unter den Tieren immer intelligenter wurden.
Aber genau ihre Felle waren es, die begehrt waren und von den wenigen Händlern in immer größerer Zahl verlangt wurden.
Vorsichtig folgte er dem Pfad, den er selbst angelegt hatte, zwischen vereinzelten Findlingen hindurch, einen Abhang hinunter, zum Rande der Wüste.
Zweimal noch blickte er dabei in Richtung des Vorgebirges.
Majenna und seine Söhne waren vor zwei Tagen aufgebrochen. Er hoffte, dass sie heil zurückkamen. Ken’ha, seinen Jüngsten, hatte Sgrull in die Obhut von Fammer und seinen Töchtern gegeben.
Er musste das Treffen mit dem Händler unbedingt einhalten, schließlich war seine und Fammers Familie darauf angewiesen.
Seit Kurzem beherbergte sein unterirdisches Heim noch eine weitere Person, den Glatthäutigen.
Er hatte sich von seinen Blessuren wieder gut erholt.
Sogar schneller, als er es ihm aufgrund seiner schwächlichen Konstitution zugetraut hätte.
Sgrull stand jetzt etwa genau dort, wo er Sigurd, so nannte der Fremde sich, vor einem Mondwechsel entdeckt hatte.
Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als er ihn hier am Rande der Wüste, direkt hinter dem Bungalow, gefunden hatte, zu einem Häufchen Elend zusammengerollt. Unter seinem Körper lag der Kadaver einer gefährlichen Sandviper.
Mein Bewusstsein, das Erleben mentaler Zustände und Prozesse, setzte mit einer Vehemenz ein, dass ich zunächst vollkommen verstört war.
Ich fühlte Wärme, die zunächst beruhigend wirkte. Dann jedoch, als ich endlich meine Augenlieder hob, verwandelte sie sich in Hitze, die unangenehm auf der Haut brannte.
Ich blickte direkt in die glühend heißen, brennenden Strahlen einer unerbittlichen Sonne, die versuchte, mich zu braten.
Schnell senkte ich den Kopf und versuchte meine Augen mit einem Arm zu schützen.
Der Untergrund, ein Gemisch aus Sand und Geröll, fing nun ebenfalls an, meine unbedeckten Körperstellen mit brennenden Schmerzen zu attackieren.
Es war heiß, unsagbar heiß. Wenn ich nicht sofort ein kühles Plätzchen fand, würde ich unausweichlich verbrennen. In dem Moment, als ich versuchte, mich vom Boden zu erheben, setzte neben dem Schwindel ein wahnsinniges Verlangen nach etwas Trinkbaren ein.
Der Durst wurde sekündlich stärker. Wo war ich und wie war ich hierhergekommen?
Zwei Fragen, die ich momentan nicht beantworten konnte. Sie waren ebenso sekundär, wie der Durst, der mich fast wahnsinnig machte.
Ich musste zunächst aus dieser prallen Sonne herauskommen.
Ich wusste nicht, wie lange ich hier gelegen hatte, jedenfalls brannte meine Haut so erbärmlich, als würde ich bei lebendigem Leib gehäutet.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich fast keine Kleidung mehr trug.
Das Wenige, was ich anhatte, war zerschlissen und hing in Streifen von meinem Körper. Selbst das Schuhwerk bestand nur noch aus einer Sohle mit etwas Drumherum.
„Nur erste einmal aus dieser Hitze heraus“, war das Einzige, an das ich noch denken konnte.
Ich taumelte und wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte.
Überall nur heißer Sand, noch nicht einmal Dünen waren da, nur eine große Sandfläche, die sich vor mir bis in alle Ewigkeit zu erstrecken schien. Moment, da war etwas Schwarzes.
Ich konnte es nur undeutlich in dem gelblichen Flimmern des glühenden Sands erkennen, das sich immer stärker in meine Pupillen einbrannte.
Der kleine, schwarze Fleck war meine einzige Hoffnung, vielleicht aus dieser Hölle herauszukommen.
Ich musste nur durchhalten. Trotzdem blieb es im Endeffekt nur meiner körperlichen Konstitution überlassen, überhaupt bis dorthin zu gelangen. Längst stolperte ich bereits in die Richtung meiner Hoffnung.
Ich konnte nicht sagen, wie weit es bis dorthin war, noch, ob es tatsächlich dort auch Schatten gab oder sogar etwas Trinkbares.
Aber das war zunächst zweitrangig.
Ich musste mich darauf konzentrieren, ein Bein vor das andere zu setzen.
Immer wieder blickte ich kurz auf, um die Richtung nicht zu verfehlen.
Ansonsten schaute ich zu Boden, um mein Augenlicht vor der Sonne zu schützen. Einmal fing ich an, meine Schritte zu zählen, vergas es aber irgendwann wieder.
Es war ein einziges Martyrium.
Meine Beinmuskulatur begann zu schmerzen.
Das konnte ich noch aushalten, aber dann begannen die Muskeln ihren Dienst zu versagen.
Ich knickte ein und benötigte die letzten Kraftreserven, um mich wieder zu erheben und weiterzugehen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich so weiterbewegt habe. Jedenfalls begann ich auf einmal am ganzen Körper zu frieren, obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stand und ihre todbringenden Strahlen auf mich herabwarf.
Wenn ich jetzt innehielt, würde ich einfach umfallen. Das durfte auf keinem Fall geschehen.
Ich hatte ein Ziel! Wo war überhaupt mein Ziel? Wann hatte ich das letzte Mal aufgeschaut?
Verwundert wischte ich mir den Schweiß aus den Augen, stolperte weiter und erschrak, als ich das Ungetüm sah. Ich blieb unwillkürlich stehen.
Der dunkle Schatten einer Steinmauer befand sich in fast greifbarer Nähe.
Vollkommen verblüfft atmete ich heftig ein und die so durch meine Lungenflügel schießende heiße, trockene Luft versursachte einen Hustenanfall, der mich zu Boden warf.
Als ich das zischende Geräusch unter meinem Körper wahrnahm, war ich bereits am Rande der Ohnmacht.
Dann sah ich den grau-gelben Kopf einer Schlange, die mich mit ihren elliptischen Pupillen anblickte.
Die blau-schwarze Zunge züngelte wie wild und ihr Kopf fuhr nach oben, bereit für den Biss.
„Das ist wirklich das Ende“, schoss es mir durch den Kopf.
Dann schlug ein schattenhafter Lichtpfeil aus meinem Geist in das Reptil hinein und tötete es in Sekundenschnelle.
So nahm ich es jedenfalls wahr, dann fiel ich endlich in meine wohlverdiente Ohnmacht.
„Majenna sei vorsichtig. Hier treiben sich nicht nur große, fleischfressende Ungeheuer herum. Denk auch an die gefährliche Sandviper. Ich habe dir erzählt, wie mein Weib umgekommen ist!“
Sgrull war es nicht ganz geheuer bei dem Gedanken, dass die junge, zierliche Frau so unbekümmert mit nackten Füßen über den warmen Sandboden lief. Zu stark war ihm noch das schreckliche Ereignis in Erinnerung, als seine Frau durch den Biss einer Sandviper gestorben war.
„Keine Angst, ich passe schon auf.“
Majenna war der Inbegriff einer Menschenfrau, wie sie vor einem Vierteljahrtausend diese Welt bevölkert hatte.
Sgrull hatte von ihnen gehört. Es sollte nur noch wenige geben, die so aussahen.
Nach dem Untergang der alten Welt war es bei den überlebenden Menschen und Tieren zu starken strukturellen Chromosomenaberrationen gekommen.
Es handelte sich dabei um größere Veränderungen des Erbguts, die nicht nur zu schwerwiegenden Krankheitsbildern führten, sondern ebenfalls zu Missbildungen des Körperaufbaus.
Es gab fast kein lebendes Wesen mehr, das nicht betroffen war. Erst in den Folgegenerationen wurde das ganze Ausmaß der wirklichen Apokalypse ersichtlich. Auch Sgrull war im besonderen Maße davon betroffen.
Versonnen blickte er hinter Majenna her. Sie schien in seinem Geist eine Art Urerinnerung auszulösen, die ihn regelrecht melancholisch werden ließ, nur verstand er nicht, wie ihm geschah.
Natürlich war er sehr froh, dass Majenna sich sehr führsorglich um seinen jüngsten Sohn kümmerte.
Er hatte natürlich versucht, mehr über sie in Erfahrung zu bringen, jedoch ohne Erfolg. Sie sprach nie über ihre Vergangenheit. Manchmal glaubte Sgrull sogar, dass sie selbst nichts darüber wusste.
Vielleicht hatte sie ihr Gedächtnis verloren oder sie wollte einfach nicht darüber reden.
Obwohl sie noch nicht einmal so alt war, dass es überhaupt viel zu reden gab.
Er schätzte ihr Alter höchstens auf fünfundzwanzig Planetenumläufe.
Sgrull war weit über sechzig Umläufe alt und Fammer bereits über siebzig. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von einhundertzwanzig standen sie im besten Mannesalter.
Dagegen war Majenna tatsächlich noch ein Frischling. Ihre kurzen, schwarzen Haare hatten einen braun-gold melierten Touch.
Einer von Sgrulls Söhne hatte sie einmal gefragt, ob ihre Haare rosten würden.
Er erinnerte sich noch gut daran, weil Majenna daraufhin ansetzte, eine Erklärung zu geben, die mit ihrer Vergangenheit zu tun hatte. Erst im letzten Augenblick hatte sie nur kurz geschluckt und seinem Sohn lediglich geraten, nicht zu vorwitzig zu sein.
Sgrull blickte in Richtung des nahen Bergmassivs. Er konnte heute besonders deutlich die schneebedeckten Gipfel der beiden herausragenden, höchsten Berge erkennen.
Der Himmel war wolkenlos und die Sonne brannte besonders heiß. Er musste mehrmals kräftig niesen, als er länger in den Ozon übersättigten Himmel blickte.
Auf der anderen Seite der Bergkette befand sich die Siedlung Markatan. Dort herrschte Muhlork.