Gewagtes Spiel unter italienischer Sonne - Chantelle Shaw - E-Book

Gewagtes Spiel unter italienischer Sonne E-Book

Chantelle Shaw

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Beschreibung

Es soll lediglich eine Zweckehe sein! Erst die Heirat mit Daniele Berardo ermöglicht es Paloma, ihr Erbe anzutreten. Im Gegenzug erhält der Selfmade-Millionär durch sie Zutritt zur besseren Gesellschaft. Ihr Herz will Paloma nach einer gescheiterten Beziehung nie wieder riskieren. Warum spürt sie dann in Danieles Nähe dieses sehnsüchtige Kribbeln? Als der feurige Italiener sie bei ihrem Hochzeitstanz in seine Arme zieht, lässt sich Palomas Verlangen kaum noch bezähmen. Doch Daniele ist an ein altes Versprechen gebunden …

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Seitenzahl: 200

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2021 by Chantelle Shaw Originaltitel: „The Italian’s Bargain for His Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2556 08/2022 Übersetzung: Lidia Stürtz

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751509862

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

„Paloma ist ein Risikofaktor!“

Franco Zambrotta schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Die meiste Zeit war sie in England, weit weg von ihrem italienischen Erbe. Sie hat überstürzt geheiratet und sich schnell wieder scheiden lassen, außerdem ist sie sehr eigensinnig. Meiner Meinung nach hat Marcellos Enkelin nicht das Zeug dazu, die Leitung der Morante Group zu übernehmen. Es handelt sich immerhin um ein internationales Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehreren Milliarden Dollar, Daniele. Es kann keinem Mädchen anvertraut werden, das sich überhaupt nicht mit solchen Dingen auskennt.“

„Bei allem Respekt, Franco, aber deine Meinung zu diesem Thema ist vollkommen irrelevant.“ Daniele Berardo sprach in gewohnt ruhiger Art und verbarg seine Abneigung vor dem Mann, der ihm gegenübersaß.

Kaum zu glauben, dass der garstige Franco mit dem ausgesprochen charismatischen Geschäftsmann Marcello Morante, dem Gründer der Morante Group, verwandt war.

Gestern war Marcello auf dem Golfplatz zusammengebrochen und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben. Daniele hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Verlust seines Mentors und engen Freundes zu verarbeiten, denn zuallererst hatte er dafür sorgen müssen, dass die Medien nichts von Marcellos Tod erfuhren, bevor es seine Enkelin wusste.

Doch Paloma Morante, die Alleinerbin des gewaltigen Vermögens, war unauffindbar.

„Marcello wollte, dass Paloma seine Nachfolgerin wird“, fuhr Daniele ruhig fort. „In seinem Testament steht, dass die MoranteGroup, sollte er vor dem fünfundzwanzigsten Geburtstag seiner Enkelin versterben, von einem Vorstand geleitet werden soll. Demnach bist du als Vorstandsvorsitzender zusammen mit den anderen Mitgliedern für das Unternehmen verantwortlich, bis Paloma fünfundzwanzig wird.“

Franco schnaubte. „Mehrere Vorstandsmitglieder haben Bedenken, was Palomas Führungsqualitäten angeht. Ich werde ein Misstrauensvotum gegen sie beantragen und vorschlagen, dass ich Marcellos Nachfolger werde.“

Danieles Kiefer verspannten sich kaum merklich. Francos Androhung eines Machtkampfes beunruhigte ihn. Er hatte dem jüngeren Halbbruder seines so plötzlich verstorbenen Mentors noch nie getraut. Es war durchaus möglich, dass Franco eine Mehrheit im Vorstand erreichte und Paloma damit verdrängte.

Daniele erinnerte sich noch gut an Marcellos letzte Worte: „Versprichst du mir, auf meine Enkelin aufzupassen? Du bist für mich wie der Enkel, den ich nie hatte. Daher bitte ich dich, Paloma als deine Schwester zu betrachten und sie vor den Wölfen zu beschützen, die es auf sie absehen werden, sobald ich nicht mehr da bin.“

Aber wie sollte er Paloma als seine Schwester betrachten? fragte sich Daniele grimmig.

In den letzten drei Jahren hatte er mühsam versucht, nicht an sie zu denken. Als er Paloma zum ersten Mal getroffen hatte, war sie noch ein Teenager gewesen. Später dann, mit einundzwanzig, war sie für ein Praktikum bei der Morante Group nach Livorno gekommen. Das Luxuslederwarengeschäft war gerade zum Marktführer aufgestiegen, was zum Teil Daniele zu verdanken war, der die Online-Präsenz des Unternehmens aufgebaut hatte.

Daniele war überwältigt gewesen von der wunderschönen jungen Frau, zu der Paloma inzwischen herangewachsen war. Sie besaß eine angeborene Eleganz, die von ihrer aristokratischen Herkunft zeugte. Ihr Großvater Marcello war ein Marquis, und ihre Mutter war mit dem britischen Königshaus verwandt. Daniele hatte der Anziehungskraft, die zwischen ihnen entstanden war, kaum widerstehen können, da er aber war zwölf Jahre älter war als sie und innerhalb der MoranteGroup praktisch ihr Vorgesetzter, hatte er versucht, auf Distanz zu bleiben.

Doch an jenem Ballabend in Marcellos prachtvollem Palazzo hatte Paloma heftig mit ihm geflirtet, und als sie ihn schließlich zu einem Kuss verführt hatte, war Daniele ihrem sinnlichen Charme verfallen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie weich sich ihre Lippen angefühlt hatten. Aber die Gewissheit, dass ihr Großvater damit nicht einverstanden gewesen wäre, hatte ihn dann doch widerstehen lassen, denn Marcello hatte oft genug betont, dass er hoffte, Paloma würde einen Mann aus einer italienischen Adelsfamilie heiraten.

Seit jenem Abend, an dem er sie abgewiesen hatte, hatte Daniele Paloma nicht mehr gesehen. Aber er hatte häufig genug an sie denken müssen. Er war jedoch fest entschlossen, das Versprechen an Marcello einzuhalten und sich Paloma gegenüber wie ein Bruder zu verhalten. Zuerst allerdings musste er sie finden und ihr die traurige Nachricht vom Tod ihres Großvaters überbringen.

Daniele wusste, dass Paloma in London lebte. Von Marcellos Assistenten hatte er auch ihre Kontaktdaten bekommen. Aber ihr Mobiltelefon war ausgeschaltet gewesen, und als er es auf der Festnetznummer probierte, hatte ihm Palomas Mitbewohnerin Laura mitgeteilt, dass sie auf einem Yoga-Workshop irgendwo in Irland sei.

„Paloma sollte jetzt hier am Firmenhauptsitz sein!“ Francos schroffe Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Du hast mich gebeten, Daniele, die offizielle Bekanntgabe von Marcellos Tod zu verschieben, um ihr Zeit zu geben, sich auf das unvermeidliche Medieninteresse vorzubereiten. Aber ich werde nicht länger warten und damit riskieren, dass die Nachricht an die Presse durchsickert. Eine starke Führung ist in dieser Zeit entscheidend.“

„Versteh doch, dass Paloma gerade unter Schock steht.“ Daniele war sich sicher, dass sie tatsächlich am Boden zerstört gewesen wäre, wenn sie vom Tod ihres Großvaters gewusst hätte. Aber er wollte Franco gegenüber nicht zugeben, dass er keine Ahnung hatte, wo sie sich im Moment befand. „Sie braucht einfach noch etwas Zeit, um den Verlust zu verkraften. Nur der Vorstand und ein paar Pflegekräfte wissen von Marcellos Tod. Ich habe eine gerichtliche Verfügung erwirkt, um zu verhindern, dass jemand ohne meine Erlaubnis mit der Presse spricht.“

„Hinter meinem Rücken? Dazu hattest du kein Recht“, entgegnete Franco wütend.

„Für die Sicherheit des Unternehmens musste ich so schnell handeln. Immerhin hat Marcello mich zum Dank für meine Loyalität der Morante Group gegenüber zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden auf Lebenszeit ernannt.“

Daniele wusste, dass Franco Marcellos Entscheidung missbilligte. Möglicherweise hatte Marcello ja geahnt, dass sein Halbbruder versuchen würde, das Unternehmen an sich zu reißen.

„In den nächsten Tagen werde ich mit Paloma nach Livorno kommen, damit sie eine Stellungnahme vor der Presse abgeben kann“, schloss er.

„Abgesehen von ihrer Mutter bin ich Palomas einziger lebender Verwandter, Daniele. Daher möchte ich ihr mein Beileid aussprechen. Also sag mir bitte, wo sie ist.“ Francos Tonfall war plötzlich weich, aber Daniele traute ihm trotzdem nicht.

„Ich muss Palomas Wunsch nach ihrer Privatsphäre respektieren“, erwiderte er knapp und verließ Francos Büro.

Jedes verdammte Yogazentrum in Irland würde er abklappern, bis er die verschollene Erbin gefunden hatte. Da klingelte sein Telefon. Es war Palomas Mitbewohnerin, mit der er vorhin erst telefoniert hatte.

„Ja?“

„Herr Berardo, als ich vorhin sagte, dass Paloma in Irland sei, habe ich gelogen. In Wirklichkeit arbeitet sie für eine Wohltätigkeitsorganisation und unterrichtet an einer Schule in Mali in Westafrika. Dort herrschen seit vielen Jahren Unruhen und Gewalt. Paloma hat ihrem Großvater nichts davon erzählt, damit er sich keine Sorgen macht. Aber für den Notfall haben wir ein Codewort vereinbart. Wenn Paloma mir den Code schickt, soll ich Sie anrufen und Ihnen sagen, dass sie dort ist.“

Daniele runzelte die Stirn. „Warum denn ausgerechnet mich?“

„Weil Paloma meinte, ihr Großvater vertraue Ihnen bedingungslos, und sie wiederum hat Vertrauen in sein Urteilsvermögen.“ Die Dringlichkeit in der Stimme der jungen Frau war nicht zu überhören. „Und gerade hat Paloma mir eine SMS mit dem Codewort geschickt. Ich fürchte, sie steckt in Schwierigkeiten.“

1. KAPITEL

Paloma spähte durch das winzige Fenster der Hütte. Draußen sah sie nur die karge Landschaft, ein paar struppige Bäume und das Gewehr, das einer ihrer Entführer über der Schulter trug, während er das Gelände bewachte.

Als zwei maskierte bewaffnete Männer in die Schule gestürmt waren, in der sie eine Klasse junger Mädchen unterrichtete, war ihr so viel Adrenalin ins Blut geschossen, dass sie es geschafft hatte, ruhig zu bleiben; sogar, als die Männer sie auf einen Lastwagen gezerrt und weggefahren hatten. Doch nach mehreren Stunden in der stickigen Hütte mit wenig Essen und Wasser stieg allmählich doch ein Gefühl der Angst und Hilflosigkeit in ihr auf. Immerhin hatte sie es noch geschafft, ihrer Mitbewohnerin in London eine Nachricht zu schicken, bevor einer der Männer ihr das Telefon aus der Hand gerissen hatte. Bestimmt hatte Laura inzwischen Daniele Berardo kontaktiert.

Aber wie sollte er ihr in ihrer jetzigen Situation helfen können? Mit seinem umwerfend guten Aussehen und seinem ungeheuren Sex-Appeal erinnerte Daniele eher an einen Filmstar als an einen IT-Experten und den Inhaber des größten Technologieunternehmens in Italien.

Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie an ihn dachte. Die Medien hatten den Selfmade-Multimillionär zum begehrtesten Junggesellen Italiens gekürt, und seither tauchte sein hübsches Gesicht mit dem leicht sarkastischen Ausdruck immer wieder in der Boulevardpresse auf. Ständig wurde er mit einer neuen schönen Frau an seiner Seite gezeigt.

Paloma hatte mehr Zeit damit verbracht, in den sozialen Medien nach ihm zu suchen, als sie zugeben wollte. Das letzte Mal, dass sie ihn real gesehen hatte, war über drei Jahre her. Trotz der drückenden Hitze in ihrem Gefängnis lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, als sie jetzt an diesen verletzendsten Moment ihres Lebens zurückdachte.

Daniele hatte sie auf einem Ball zum Tanzen aufgefordert. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass er es nur aus Höflichkeit tat. Aber sie war seit ihrer Teenagerzeit in ihn verschossen, und der Champagner, den sie an jenem Abend getrunken hatte, hatte ihr zusätzlichen Mut gegeben, sich an seinen muskulösen Körper zu schmiegen, während sie sich mit ihm zur Musik gewiegt hatte.

Seine kurze Bemerkung, dass sie etwas frische Luft brauche, hatte ihre romantische Seifenblase nicht platzen lassen, im Gegenteil. Kaum dass sie im Garten mit ihm allein gewesen war, hatte sie die Arme um seinen Hals geschlungen und sein Gesicht zu sich herangezogen, um ihn zu küssen. Seine Lippen waren hart und unnachgiebig gewesen, sein Kuss fordernd und unglaublich leidenschaftlich. Die Intensität hatte sie regelrecht erschreckt.

Doch dann hatte sich Daniele von ihr gelöst und sie weggestoßen.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, hatte er dabei in einem kühlen Ton gesagt, der so scharf klang wie ein Peitschenhieb. „Dein Großvater erwartet von uns beiden ein besseres Benehmen. Ich schlage vor, wir vergessen, was hier gerade passiert ist.“

Beschämt war Paloma zurück ins Haus gelaufen. Sofort am nächsten Tag hatte sie Italien verlassen, ohne sich von Daniele zu verabschieden, und in den letzten drei Jahren hatte sie ihren Großvater nur dann in Livorno besucht, wenn sie sicher gewesen war, dass Daniele nicht da war. Sogar ihre Entscheidung, Calum kaum einen Monat nach dem ersten Date zu heiraten, hatte sie rückblickend gesehen nur deshalb getroffen, um sich zu beweisen, dass sie über ihre Schwärmerei für Daniele hinweg war.

Aber Marcello hatte Daniele immer sehr geschätzt, und deshalb hoffte Paloma jetzt, dass Daniele seinetwegen versuchen würde, ihr zu helfen. Heftige Gewissensbisse plagten sie, als sie sich ausmalte, wie besorgt ihr Nonno sein würde, wenn er von der Entführung erfuhr. Ein Grund für ihre Entscheidung, als Freiwillige nach Afrika zu gehen, war die Bewunderung gewesen, die sie für ihren Großvater empfand: Marcello war ein bekannter Wohltäter und hatte die Morante-Stiftung gegründet, mit der er entsprechende Projekte in Italien und der ganzen Welt unterstützte.

Es war klar, dass sie das Unternehmen eines Tages erben würde. Ihr Vater, Marcellos einziger Sohn, war bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Aber ihr Großvater würde die Morante Group wahrscheinlich noch viele Jahre weiterführen, deshalb konnte sie zuvor ihre eigenen Wege gehen und verschiedene Erfahrungen sammeln, bevor sie die Verantwortung für das Unternehmen übernahm. Zurzeit arbeitete sie für eine Kinderhilfsorganisation, die Menschen in Afrika unterstützte, und hatte an einer Schule unterrichtet.

Was würde nun mit ihr geschehen? Seit Tagen hatte sie nur wenig geschlafen und war stark erschöpft.

Sie musste wohl eingeschlafen sein und schreckte jetzt auf, als sie das Geräusch eines Fahrzeugs hörte, das über das Gelände fuhr, sowie den beängstigenden Lärm von Schüssen. Sofort begann ihr Herz wieder hart zu schlagen.

Sie sprang auf, als die Tür der Hütte aufgerissen wurde. Ein Mann in kakifarbener Militärkleidung und einer Sturmhaube mit zwei schmalen Sehschlitzen stand dort. Er gehörte nicht zu den Entführern und wirkte dominant, möglicherweise war er ein Anführer. Bewaffnet war er mit einem Sturmgewehr.

„Komm mit“, grollte er.

Angsterfüllt wich Paloma vor ihm zurück. „Wer sind Sie?“, fragte sie mit zitternder Stimme, während draußen vor der Hütte Schüsse hallten.

Ohne ein Wort zu verlieren, riss der Mann sie von den Füßen und warf sie sich wie ein Paket über die Schulter. Das alles ging so schnell, dass Paloma keine Gelegenheit hatte, sich zu wehren. Er trug sie hinaus, wo sie laute Männerstimmen hörte, aber kein Wort von dem verstand, was gesagt wurde.

Ein Motor heulte auf, und sie wurde in den Laderaum eines Lastwagens geschleudert. Mit einem dumpfen Ton schlug ihr Kopf dabei auf dem Metallboden auf. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, sprang ihr Entführer hinter ihr in den Lastwagen, schlug die Tür zu und warf sich über sie, während das Fahrzeug mit hohem Tempo davonfuhr.

„Lassen Sie mich!“ Paloma versuchte, den Mann von sich wegzudrücken, doch er war schwer wie ein Fels. Zwar hatte sie jahrelang Kampfsport betrieben, aber sich gegen jemanden zu verteidigen, der so viel größer und stärker war als sie, war unmöglich. Das Wissen, dass sie ihrem Entführer ausgeliefert war, brachte sie in Rage.

„Legen Sie sich gefälligst mit jemandem an, der Ihre Körperkräfte hat, Sie Idiot. Oder macht es Ihnen Spaß, wehrlose Frauen und Kinder zu überwältigen?“

Unvermittelt erinnerte sich Paloma an die panischen Gesichter ihrer Schülerinnen, als die bewaffneten Männer in das Klassenzimmer gestürmt waren. „Bitte lassen Sie die Mädchen gehen“, hatte sie gefleht, „ihre Familien können sich kein Lösegeld leisten. Mein Großvater wird Ihnen zahlen, was immer Sie wollen, wenn Sie mich freilassen. Aber zuerst die Mädchen.“

Sie blickte in die goldbraunen Augen des Mannes, die sie durch die Schlitze der Sturmhaube anstarrten. Und plötzlich wurde sie sich seiner durchtrainierten Beine bewusst, mit denen er sie zu Boden drückte. Unter ihren Handflächen spürte sie einen beeindruckenden Sixpack durch den Stoff seines Shirts. Unwillkürlich verspürte sie ein Ziehen in der Magengrube. Irgendetwas kam ihr merkwürdig vertraut vor. Diese eindrucksvollen Muskeln, der verführerische Duft dieses Rasierwassers …

Nur ein Mann hatte jemals eine solch starke Wirkung auf sie gehabt. Aber das war unmöglich, das bildete sie sich ein!

Sie griff nach dem Saum der Sturmhaube und zerrte sie dem Mann vom Kopf. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.

„Daniele!“

„Ciao cara“, antwortete er mit seiner sexy Stimme, bei der sie sofort Gänsehaut bekam. Sie schnappte nach Luft, als der Lastwagen von einem metallischen Klirren erschüttert wurde.

„Fahr schneller!“, rief Daniele dem Fahrer zu.

Vor Angst krampfte sich Palomas Magen zusammen, als ihr klar wurde, dass es sich bei dem dumpfen Geräusch um Kugeln handelte, die auf den Lastwagen einprasselten. Die bewaffneten Männer waren hinter ihnen her.

Sie blickte ihn an, und erst jetzt begriff sie, dass er deshalb auf ihr lag, um sie mit seinem Körper vor den Kugeln zu schützen. Der Glanz in seinen Augen ließ fast ihr Herz aussetzen.

„Ich verstehe nicht“, stammelte sie. „Bist du denn gar kein Computerfreak?“

Bisher hatte sie ihn nur in den Büros der Morante Group oder im prunkvollen Palazzo ihres Großvaters gesehen, in einem seiner schicken Anzüge und immer tadellos rasiert. Jetzt, mit seinen schwarzen Haaren, die ihm ungeordnet in die Stirn fielen, und den dichten Bartstoppeln, die sein Kinn bedeckten, erinnerte er sie eher an einen Piraten.

„Ich wusste nicht, dass du mich für einen Freak hältst“, erwiderte er trocken. Sein Gesicht war dabei so nah an ihrem, dass sie seinen Atem an ihrer Wange spürte. Der Anblick rief sofort wieder die Erinnerung an den Abend wach, als sie sich geküsst hatten. Zudem drückte das Gewicht seines Körpers sie zu Boden, sein Becken lag genau auf ihrem.

Plötzlich spannte sich sein Kiefer, und er stieß sich abrupt von ihr ab.

„Bleib, wo du bist“, befahl er, bevor er sich zur anderen Seite des Lastwagens rollte, mit seinem Gewehr aus dem Fenster zielte und mehrere Schüsse abfeuerte. „Ah!“ In seiner Stimme lag Genugtuung. „Jetzt kannst du dich aufsetzen, ich habe einen Reifen getroffen. Die Männer, die dich entführt haben, können dir nichts mehr tun.“

„Wer bist du eigentlich?“, murmelte sie verwundert.

„Ich war Soldat beim italienischen Militär und Mitglied einer Spezialeinheit“, sagte Daniele mit einem Anflug von Stolz. „Als ich mir eine Verletzung zugezogen habe, musste ich meine militärische Laufbahn beenden, aber zu ein paar Kameraden halte ich immer noch Kontakt. Als deine Mitbewohnerin mir erzählt hat, dass du in Schwierigkeiten steckst, habe ich die Schule in Mali kontaktiert und erfahren, dass du entführt worden bist.“ Er kniff die Lippen zusammen. „Dieses Land ist gefährlich, und Entführungen, insbesondere von Ausländern, sind eine ernsthafte Bedrohung. Es war unverantwortlich von dir, hierherzukommen.“

„Ich war mir der Risiken durchaus bewusst“, erwiderte Paloma. „Aber hier in Mali gibt es zu wenig Schulen und Lehrer, und ohne Bildung haben die Kinder keine Chance auf eine gute Zukunft. Das Unterrichten war etwas, das ich aktiv tun konnte, um zu helfen.“

Sie schob sich die Haare aus dem verschwitzten Gesicht. Langsam machten sich die Strapazen der letzten Tage bemerkbar, und Danieles tadelnder Tonfall löste zusätzliche Schuldgefühle in ihr aus.

„Danke, dass du mich gerettet hast. Du hast dein Leben dafür riskiert.“

„Ich habe deinem Großvater versprochen, dich zu beschützen“, antwortete Daniele kurz. „Und ein paar meiner ehemaligen Kameraden haben mich dabei unterstützt. Wir haben einen Hinweis bekommen, der uns zu dem Ort geführt hat, an dem du festgehalten wurdest. Dann habe ich die Rettungsaktion geplant. Gleich sind wir an einer Landebahn, wo ein Flugzeug auf uns wartet, um uns von hier wegzubringen.“

„Weiß mein Großvater, was passiert ist?“

„Nein.“ Daniele drehte den Kopf zur Seite und blickte aus dem Fenster. Es wirkte, als wolle er ihrem Blick ausweichen.

„Danke, dass du die Sache mit der Entführung vor meinem Nonno geheim gehalten hast“, sagte sie leise. „Ich habe ihm nämlich erzählt, ich sei im Urlaub, weil ich nicht wollte, dass er sich Sorgen macht.“

„Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.“

Daniele fluchte, als der Lastwagen auf der holprigen Straße schwankte und Paloma gegen ihn fiel, wobei sie sich mit beiden Händen an seinem Oberkörper abstützte. Dabei bemerkte sie, dass sein Blick genau auf die Stelle fiel, an der ihr verschwitztes T-Shirt an ihren Brüsten klebte, und zu ihrem Entsetzen spürte sie, wie sich ihre Brustwarzen aufrichteten. Schnell wich sie vor ihm zurück.

„Wir reden im Flugzeug weiter“, sagte Daniele schroff. Sein ernster Tonfall löste ein mulmiges Gefühl bei ihr aus. Als der Wagen neben dem Flugzeug hielt, fasste sie Daniele am Arm. „Sag es mir jetzt.“

Er holte tief Luft. „Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, cara: Marcello ist tot.“

Paloma blieb beinahe das Herz stehen.

„Nein. Das kann nicht sein!“ Suchend blickte sie in Danieles Augen, in der Hoffnung, sie habe ihn missverstanden. „Mein Großvater ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber er ist ausgesprochen fit und gesund für sein Alter. Das muss ein Irrtum sein.“

„Es tut mir leid. Ich weiß, was für ein Schock das für dich ist. Dein Großvater hatte ein Aneurysma. Er ist beim Golfspielen mit Schmerzen in der Brust zusammengebrochen. Ich habe zwar sofort den Notarzt gerufen, und die Sanitäter haben auch alles getan, um ihn zu retten, aber er ist auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.“

„Warst du bei ihm, als er …?“ Paloma musste schlucken. Sie spürte einen dicken Kloß im Hals, als ihr klar wurde, dass sie ihren geliebten Nonno niemals wiedersehen würde.

„Ja, ich war dabei“, versicherte ihr Daniele.

„Ich bin froh, dass er nicht allein war.“ Schuldgefühle bohrten sich wie ein Messer in ihre Brust. Sie hätte bei ihrem Großvater sein sollen. Er hatte gewollt, dass sie nach Italien kam und seine Assistentin bei der Morante Group wurde, damit er sie auf den Posten vorbereiten konnte, den sie eines Tages übernehmen würde. Aber sie war davon ausgegangen, dass ihr dafür noch genug Zeit bliebe.

Paloma unterdrückte einen Schluchzer. „Wann genau ist es passiert?“

„Vor zwei Tagen. Aber ich habe eine Nachrichtensperre verhängt. Es wissen also nur ein paar Leute Bescheid.“ Daniele zögerte, bevor er weitersprach. „Es könnte sein, dass jemand aus dem Vorstand der Morante Group dafür sorgen will, dass du von der Bildfläche verschwindest.“

Paloma starrte ihn an. „Warum sollte dieser Jemand das tun?“

„Du bist Alleinerbin“, erklärte Daniele. „Du bekommst das gesamte Vermögen deines Großvaters, und sobald du fünfundzwanzig bist, übernimmst du das Unternehmen; genau so, wie Marcello es in seinem Testament bestimmt hat. Wenn dir aber etwas zustoßen sollte, geht die Hälfte deines Erbes an die Morante-Stiftung, und die andere wird unter den acht Vorstandsmitgliedern aufgeteilt, zu denen auch dein Großonkel Franco gehört. Ich zähle übrigens nicht dazu, denn dein Großvater hat mich zwar zu einem lebenslangen Vorstandsmitglied ernannt, aber ich bin kein Begünstigter in seinem Testament. Der Vorstand würde in dem Fall entscheiden, wer der neue Chef der Morante Group wird.“

„Ich bin jung und gesund, mir wird schon nichts passieren.“ Als sie sah, dass Daniele mit den Augen rollte, biss sie sich auf die Unterlippe. „Du hast doch selbst gesagt, dass in Mali öfter mal Ausländer entführt werden?“

„Natürlich kann es Zufall sein, dass es dich so kurz nach Marcellos Tod getroffen hat. Aber meiner Erfahrung nach sind solche Zufälle eher selten“, sagte Daniele mit einem bitteren Ton in der Stimme. „Ich selbst hätte gar nicht gewusst, wo ich nach dir suchen soll, wenn deine Mitbewohnerin es mir nicht gesagt hätte. Aber jemand wusste offensichtlich, wo du bist. Und sehr wahrscheinlich will diese Person verhindern, dass du dein Erbe antrittst.“

2. KAPITEL

Daniele klopfte an Palomas Schlafzimmertür, bekam jedoch keine Antwort. Als er die Klinke hinunterdrückte, war er kaum überrascht, dass die Tür abschlossen war. Am Abend zuvor hatte er Paloma in ein Hotel gebracht, das einem guten Freund gehörte.

In der Penthouse Suite angekommen, hatte sich Paloma sofort im Schlafzimmer eingeschlossen und stundenlang geweint. Daniele war im Flur auf und ab gelaufen und hatte überlegt, ob er sie trösten sollte, so wie damals vor acht Jahren, als ihr Vater bei einem Motorbootunfall ums Leben gekommen war. Paloma war sechzehn Jahre alt gewesen, in Danieles Augen noch ein Kind. Er hatte gut verstehen können, was sie durchmachte, denn auch er hatte als Teenager seinen Vater verloren.

Doch nun war Paloma kein Kind mehr, das war Daniele nur allzu bewusst geworden, als er sich auf der Ladefläche des Lastwagens auf sie geworfen hatte, um sie vor dem Kugelhagel zu schützen. Sein Kiefer verspannte sich, als er daran dachte, wie erschreckend unkontrolliert sein Körper auf Palomas weiche Rundungen reagiert hatte.

Mit seinen sechsunddreißig Jahren war Daniele schon lange kein hormongesteuerter Jugendlicher mehr. Bei Frauen war er sehr wählerisch. Er mochte es, Zeit mit ihnen zu verbringen, hatte jedoch nie den Wunsch verspürt, sich fest zu binden. Seit er fünf Jahre alt war, behielt er seine Gefühle für sich. Damals war seine Mutter fortgegangen und hatte ihn und seinen Vater zurückgelassen. Sie hatte Daniele zwar versprochen, ihn oft zu besuchen, war jedoch nie wiedergekommen, und irgendwann hatte er es aufgegeben, in der Hoffnung, ihr Auto um die Ecke biegen zu sehen, aus dem Fenster zu starren.