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Diplomarbeit aus dem Jahr 1997 im Fachbereich Pädagogik - Schulpädagogik, Note: Gut, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Institut für Schulpädagogik), Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Diplomarbeit soll dazu Anlaß geben, das Thema Gewalt und Aggression in der Schule nicht so einfach "unter den Teppich zu kehren" sondern diese Thematik genauer zu erläutern. Es wird versucht, anhand der mir zur Verfügung stehenden Literatur, meines während des Studiums erworbenen Wissens und meiner Praxiserfahrung als unmittelbar am Geschehen beteiligte Person (Sekretärin an einer Berufsschule und Vortragende am Berufsförderungsinstitut) Hintergründe und Ursachen der verschiedenen Gewalt- und Aggressionsformen aufzuzeigen. In meiner Berufstätigkeit werde ich immer wieder unmittelbar mit diesem Thema konfrontiert. Aufgrund von Nachforschungen stoß ich unter anderem auf nachstehende "Headlines", die meine These bestätigen, daß die Gewalt- und Aggressionsproblematik gerade heutzutage mehr denn je der Mühe wert ist, in den Mittelpunkt eines besonderen Interesses und Überlegungen zu stellen. - Gewalt in den Schulen: Die Lehrer wollen Hilfe (Neues Volksblatt, 8.10.1993) - Schuß auf Schuldirektor: Jugend-Aggressivität wächst (Salzburger Nachrichten, 7.10.1993) - 15jähriges Mädchen von drei Mitschülern vergewaltigt (Kurier, 23.1.1993) - "Mädchenbande" verprügelte Buben (Neue Zeit, 26.1.1993) - Brutalität im Pausenraum, Gewalt an Deutschlands Schulen: Es wird geprügelt, erpreßt und gestohlen (Jugend, 13.2.1993) - Geil auf Gewalt (Politik, Falter 41/93) - Heimische Pflichtschullehrer: 80 Prozent klagen über Streß (Tiroler Tageszeitung, 15.2.1994) - Lehrer bricht das Schweigen: "Ich kann einfach nicht mehr" (Kurier, 10.3.1993) - Tränengas in der Klasse: Schüler auf Intensivstation (Kleine Zeitung, 10.2.1996) Aufgrund meiner Nachforschungen kam auch eine Unmenge Not zum Vorschein, welche am Lebensgefühl vieler Jugendlichen nagt, lange bevor physische Gewalt überhaupt einsetzt. Diese Not schlägt sich in "Verachtung in Blicken, Gesten und Worten, an Kälte in zwischenmenschlichen Beziehungen und an Desinteresse" nieder. Unsere Jugendlichen fühlen sich einfach im Stich gelassen. Wir Erwachsenen haben die Rahmenbedingungen für Gewalterscheinungen geschaffen und können jetzt nicht einfach nur zusehen. Jugendliche haben Sehnsucht nach Lösungen, und wir Erwachsene haben die Pflicht, ein Miteinander zu suchen.
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Andrea Kanzian
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Die vorliegende Diplomarbeit soll dazu Anlaß geben, das Thema Gewalt und Aggression in der Schule nicht so einfach „unter den Teppich zu kehren“ sondern diese Thematik genauer zu erläutern. Es wird versucht, anhand der mir zur Verfügung stehenden Literatur, meines während des Studiums erworbenen Wissens und meiner Praxiserfahrung als unmittelbar am Geschehen beteiligte Person (Sekretärin an einer Berufsschule und Vortragende am Berufsförderungsinstitut) Hintergründe und Ursachen der verschiedenen Gewalt- und Aggressionsformen aufzuzeigen. In meiner Berufstätigkeit werde ich immer wieder unmittelbar mit diesem Thema konfrontiert. Aufgrund von Nachforschungen stoß ich unter anderem auf nachstehende „Headlines“, die meine These bestätigen, daß die Gewalt- und Aggressionsproblematik gerade heutzutage mehr denn je der Mühe wert ist, in den Mittelpunkt eines besonderen Interesses und Überlegungen zu stellen.
•Gewalt in den Schulen: Die Lehrer wollen Hilfe (Neues Volksblatt, 8.10.1993)•Schuß auf Schuldirektor: Jugend-Aggressivität wächst (Salzburger Nachrichten, 7.10.1993)•15jähriges Mädchen von drei Mitschülern vergewaltigt (Kurier, 23.1.1993)•„Mädchenbande“ verprügelte Buben (Neue Zeit, 26.1.1993)•Brutalität im Pausenraum, Gewalt an Deutschlands Schulen:
Es wird geprügelt, erpreßt und gestohlen (Jugend, 13.2.1993)
•Geil auf Gewalt (Politik, Falter 41/93)
•Heimische Pflichtschullehrer: 80 Prozent klagen über Streß (Tiroler Tageszeitung, 15.2.1994)•Lehrer bricht das Schweigen: „Ich kann einfach nicht mehr“ (Kurier, 10.3.1993)•Tränengas in der Klasse: Schüler auf Intensivstation (Kleine Zeitung, 10.2.1996)
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Aufgrund meiner Nachforschungen kam auch eine Unmenge Not zum Vorschein, welche am Lebensgefühl vieler Jugendlichen nagt, lange bevor physische Gewalt überhaupt einsetzt. Diese Not schlägt sich in „Verachtung in Blicken, Gesten und Worten, an Kälte in zwischenmenschlichen Beziehungen und an Desinteresse“ nieder.
Unsere Jugendlichen fühlen sich einfach im Stich gelassen. Wir Erwachsenen haben die Rahmenbedingungen für Gewalterscheinungen geschaffen und können jetzt nicht einfach nur zusehen. Jugendliche haben Sehnsucht nach Lösungen, und wir Erwachsene haben die Pflicht, ein Miteinander zu suchen.
Bei der Literatursuche ist mir folgendes Zitat von Bert Brecht aufgefallen:Der reißende Fluß
wird gewalttätig genannt.
Aber das Flußbett,
das ihn einengt,
nennt keiner gewalttätig.
Auf die Schule bezogen, würde dieses Zitat bedeuten, daß einerseits Schüler, die physische Gewalt ausüben, sehr wohl als gewalttätig bezeichnet werden, andererseits aber niemand z.B. die Schule mit den einengenden organisatorischen Rahmenbedingungen gewalttätig nennt. Dies mag sehr überzeugend klingen, jedoch stellt sich dabei, nach näherer und eingehender Betrachtung, die Frage nach der Begriffsdefinition. Kann die Schule mit ihren organisatorischen Bedingungen wirklich „Gewalt“ ausüben?. Bei meinem Literaturstudium merkte ich, wie schwierig es ist, eine einheitliche Begriffsdefinition beizubehalten. Die meisten Autoren verwenden „Modebegriffe“ wie strukturelle, psychische, sexuelle usw. Gewalt. Unter dem Begriff „Gewalt“ kann sich jeder etwas vorstellen, um sich aber zielführend damit beschäftigen zu können, ist es wichtig, sich auf die Bedeutung des Begriffes zu einigen. Ohne eine eindeutige Begriffsdefinition würden zahlreiche Unklarheiten auftreten. Aus diesen Gründen widme ich daher in meiner Diplomarbeit einen sehr großen Teil dem Kapitel „Begriffsbestimmung“.
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Bründel und Hurrelmann (vgl. BRÜNDEL/HURRELMANN, 1994, S. 110) berichten, daß man sich mit dem Thema „Schule und Gewalt“ in den letzten Jahren vermehrt unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Gewalt auseinandersetzt, wie z.B. Gewalt von Schülern gegen Schüler und Gewalt von Schülern gegen Lehrer.
Bei der Ursachenfindung für Gewalt an Schulen sollte auf die Diskussion der sozialen und gesellschaftlichen Faktoren sowie der situativen und personalen bzw. individuellen Bedingungen, wie z.B. Medienkonsum, Herkunftsfamilie und gesellschaftliche Strukturen nicht verzichtet werden. In meiner Diplomarbeit werde ich die Begriffe „Gewalt“ und „Aggression“ anfangs eindeutig definieren, um jegliche Mißverständnisse zu vermeiden. Später versuche ich, anhand eines aktuellen Fallbeispieles verschiedene „Ursachenmodelle“ für Gewalt an Schulen aufzuzeigen. Den Abschluß meiner Arbeit bilden verschiedene Präventionsmaßnahmen, einerseits wie „Gewalt an Schulen“ gebzw. vermindert werden könnte und andererseits wie mit „Gewalt“ umgegangen werden könnte. Es sei noch darauf hingewiesen, daß aus Gründen der Lesbarkeit auf „geschlechtsneutrale“ Formulierungen verzichtet wird.
Nicht nur im schulischen Bereich, sondern auch in Familie oder Beruf ergeben sich immer wieder verschiedene Problemfelder im Zusammenhang mit Gewalt oder Aggression. Wie ich beim Literaturstudium merkte, ist die Trennung dieser beiden Begriffe nicht gerade einfach. Einerseits werden sie nicht nur im umgangssprachlichen Gebrauch, sondern auch in der fachlichen Diskussion völlig gleichgesetzt. Da sie sehr leicht miteinander verwechselt werden und dadurch zahlreiche Unklarheiten entstehen können, ist es wichtig, auf die verschiedenen Begriffserklärungen näher einzugehen. Die Unstimmigkeiten bezüglich einer eindeutigen Begriffsdefinition bzw. Trennung von Aggression und Gewalt ziehen sich durch die gesamte Literatur.
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Hacker und Volker zum Beispiel sind der Meinung, daß Gewalt und Aggression grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind.
„Alle Gewalt ist Aggression, aber nicht alle Aggression ist Gewalt. Alle Griechen sind Menschen, aber nicht alle Menschen sind Griechen. Aggression und Gewalt sind grundsätzlich voneinander zu unterscheiden, da sie so leicht miteinander verwechselt werden und Gewalt sich so häufig als die einzig wirksame Form von Aggression bezeichnet, um die Alternativen anderer Aggressionsformen und Aggressionsäußerungen zu vereiteln.“(HACKER, 1985, S. 31).
„Vom Begriff der Aggression muß der der Gewalt unterschieden werden. Während Aggression ein wissenschaftlicher Begriff für ein bestimmtes menschliches Verhalten oder für das Produkt seines seelischen Verarbeitungsprozesses ist, bezieht sich das eher umgangssprachliche Wort ‘Gewalt’ auf das Denken, Sprechen und vor allem Handeln, um einem anderen Menschen Schaden zuzufügen.“ (Volker,1996, S. 10).
Laut Volker sind zum Beispiel Ärger, Wut, mit der Faust auf den Tisch schlagen, mit dem Fuß stampfen, schreien, usw. aggressive Verhaltensweisen, während Handlungen, die den Tod eines Menschen verursachen könnten, eher Gewalt und Gewaltbereitschaft zeigen (vgl. ebd., S. 10). Meines Erachtens können die von Volker genannten „aggressiven Verhaltensweisen“ (z.B. mit der Faust schlagen, mit dem Fuß stampfen usw.) auch physische Verletzungen zufügen, wenn meinem Gegenüber körperliche Gewalt angetan wird. Destruktive Verhaltensweisen sind oft „Begleiterscheinungen“ bei gewalttätigen Handlungen, und sollten daher bei dieser Problematik nicht völlig ausgeklammert werden.
Hurrelmann und Palentien verzichten in ihren Ausführungen auf eine eindeutige Abgrenzung der beiden Begriffe:
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Wissenschaftlich gesehen ist der Aggressionsbegriff der übergeordnete, er bezeichnet eine auf Verletzung eines anderen Menschen zielende Handlung. Die offene Handlung wird dabei als „Aggression“, die Absicht zur Handlung als „Aggressivität“ bezeichnet. Unter Gewalt wird die körperliche Aggression verstanden, bei der ein Mensch einem anderen Menschen Schaden mittels physischer Stärke zufügt. Auffällig ist, daß in letzter Zeit immer mehr der Begriff „Gewalt“ die Oberhand gewinnt und in Kombinationen wie „körperliche Gewalt“, „psychische Gewalt“, „sexuelle Gewalt“ usw. verwendet wird (vgl. HURRELMANN/PALENTIEN, 1995, S. 15ff).Zusammenfassung:
Über den Zusammenhang zwischen Gewalt und Aggression gibt es sehr unterschiedliche Aussagen. Von einer Gruppe von Wissenschaftlern werden Gewalt und Aggression synonym verwendet, andere wiederum bezeichnen Gewalt als eine Untergruppe von Aggression. Um oben erwähnte Unklarheiten bei den Begriffserklärungen zu beseitigen, sind klare Definitionen unbedingt erforderlich. In den nächsten beiden Abschnitten werden daher die Begriffe „Gewalt“ und „Aggression“ näher betrachtet.
Nachstehend wird zunächst versucht, mit Hilfe v erschiedener Autoren die Problematik einer Begriffserklärung aufzuzeigen.
Olweus zum Beispiel setzt Gewalttätigkeit mit „Mobben“ (in Skandinavien steht das Wort „Mobben“ für Gewalttätigkeit oder Probleme von Gewalttätern/Gewaltopfern) gleich.
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„Ich definiere Gewalttätigkeit oder Mobben allgemein wie folgt: Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist“(OLWEUS, 1995, S. 22).
Laut Olweus werden Schüler gemobbt, wenn sie über einen längeren Zeitraum den negativen Handlungen anderer Schüler ausgesetzt sind. Diese Begriffsdefinition reicht jedoch nicht aus. Sofort stellen sich dem Leser folgende Fragen: Sind diese sogenannten „negativen“ Handlungen psychischer oder verbaler Art? Oder meint er damit die körperliche Komponente? Oben genannte Gedanken mögen auch Olweus durch den Kopf gegangen sein, denn in seinen weiteren Ausführungen erklärt er die Bedeutung des Ausdrucks „negative Handlungen“, welche a) verbal (drohen, spotten, beschimpfen, usw.) b) physisch (schlagen, treten, kneifen, usw.) und c) psychisch (ausgrenzen, ausschließen, usw.) begangen werden können (vgl. ebd. S. 22).
Für mich stellt sich trotz dieser Unterteilung oben genannter „Formen von negativen Handlungen“ die Frage der objektiven Einschätzung. Inwieweit zum Beispiel eine Äußerung als „gewalttätig“ empfunden wird, hängt auch von der subjektiven Erfahrung des „Opfers“ ab. Mein Blick fiel auf folgende „schlagkräftige“ Aussagen, welche meines Erachtens typische Gewaltsituationen beschreiben.
Jugendliche, die Ausländer verprügeln und mit dem Messer bedrohen; Schüler, die zu dritt einen Klassenkameraden zusammenschlagen;(TILLMANN in ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT, 10/96, S. 14)
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Unumstritten ist, daß es sich bei den zitierten Äußerungen um „Gewalt“ handelt. In beiden Fällen der Gewaltanwendung haben wir es mit Konflikten zwischen zwei oder mehreren Personen zu tun.„In diesem Konflikt wendet mindestens eine Seite physische Mittel an, um die andere Seite zu schädigen. Dabei sind die Schädigungen ebenfalls körperlicher Natur: von einer brennenden Wange nach einer Ohrfeige bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen.“(ebd., S. 14). Es geht also um Straftaten, bei denen physische Gewalt gegen Personen angewendet wird. Sowohl im Alltags- und Rechtsverständnis als auch in der wissenschaftlichen Diskussion wird dieser zitierte Versuch einer Begriffserklärung als „Gewalt“ empfunden. Tillmann verweist in seinem Bericht auch auf psychische Attacken, welche zum Teil als wirkungsvoller und intensiver angesehen werden (Beleidigungen, Erniedrigungen, Erpressungen, Abwertungen usw.) Zugleich wird ebenfalls auf Kommunikationfehler hingewiesen, die durchunterschiedliche Bewertungenin einer bestimmten Situation auftreten können. Zum Beispiel kann die Aussage eines Schülers über die neue Frisur einer Lehrerin verschieden aufgefaßt und bewertet werden. Der Schüler bezeichnet es als „lockeren Spruch“ bzw. meint es auch als Kompliment, während die erzürnte Lehrerin es als verbale Attacke mit sexistischem Hintergrund versteht. (vgl. ebd., S. 14, 15).
Ich selbst denke dabei an den „besonders humorvollen Lehrer“, dem nichts Besseres einfällt (sei es jetzt bewußt oder unbewußt), als einen Aufsatz vor der ganzen Klasse vorzulesen und zu kritisieren; der betroffene Schüler empfindet es als massive Bloßstellung und würde am liebsten „in den Erdboden versinken“. Ich bezweifle, daß sich ein so gedemütigter*) Schüler Deutsch als sein Lieblingsfach auswählt.
An diesem Punkt stellt sich mir bei der Begriffsdefinition die Frage, ob und in welchem Verhältnis diese „psychischen Attacken“ im „Gewalt“-Verständnis enthalten sind.*) „die Bezeichnung ist eigentlich sehr ungenau, weil ‘Demut’ ursprünglich etwa ‘Gesinnung bewußter Gefolgschaft’ bedeutete und erst im Lauf der Zeit oder des schlampigen Gebrauchs
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zur Bezeichnung für so etwas wie ‘Bereitschaft zur hilflosen, die eigene Person mißachtenden Unterwürfigkeit’ wurde“(Klingler, 1997, S. 13)
Dazu folgende Situation als Beispiel: Es ist die achte Unterrichtsstunde. Der Lärmpegel der Klasse hat die Geduldsgrenze des Klassenlehrers überschritten. Dieser ist sehr gereizt und ermahnt die Schüler mit seiner scharfen Stimme. Die Schüler erschrecken, fühlen sich unterdrückt und schlecht behandelt. Übt ein solcher Lehrer schon „Gewalt“ aus, wenn ihm hin und wieder der Geduldsfaden reißt, und er die Schüler mit seiner scharfen Stimme ermahnen bzw. beruhigen will? Psychische Attacken des Lehrers, wie „Beleidigungen, Abwertungen und Bloßstellungen“ führen sicherlich nicht zu einer optimalen Lehrer-Schüler-Beziehung und können oftmals auch wirkungsvoller sein, als bloße körperliche Gewalt. Jedoch muß beachtet werden, daß eine enorme Bandbreite (verschiedene Formen psychischer Attacken, Situationen, usw.) dieser negativen verbalen und psychischen Kommunikationsformen existiert. Das Beispiel zeigt, daß selbst durch unterschiedliche Interpretationen einer Situation Kommunikationsfehler auftreten können. Aufgrund dieser Vielfältigkeit (verschiedene Formen psychischer Attacken, Situationen und Interpretationen) erscheint es mir daher nicht zweckmäßig, diese in den Gewaltbegriff aufzunehmen. Die bisher vorgestellten Definitionen von Gewalt beziehen sich auf eine unmittelbare Interaktion zwischen Personen. Lehrer sind auch ausführende Organe institutioneller Anforderungen. Schüler stehen somit einer übermächtigen Institution gegenüber, deren „Machtausübung“ sich als „strukturelle Gewalt“ definieren läßt (Gewalt durch die Schulklingel, Leistungs- bzw. Notendruck usw.). In einer solchen Definition wird der Begriff „Gewalt“ entpersonalisiert, der Blick richtet sich in der allgemeinen Diskussion nicht nur auf die Schüler als potentielle Gewalttäter, sondern zeigt auch die Macht-Aspekte der Institution Schule auf, die mit Gewalt gleichgesetzt werden (TILLMANN in ERZIEHUNG UND WISSENSCHAFT, 10/96, S. 16).
Kritisch anzumerken wäre, daß bei einer solchen Ausweitung des Begriffes die Gefahr besteht, daß die Gewaltdefinition uferlos wird.
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Laut Schubarth liegt der Schwerpunkt der neuesten Untersuchungen nicht in Schul- bzw. Erziehungsgewalt, also „struktureller Gewalt“, sondern vielmehr in der Gewalt, die vom Schüler ausgeht, oder im aggressiven Verhalten der Schüler. Als markantes Beispiel führt Schubarth ein Gewaltgutachten der Bundesregierung an, welches sich primär auf körperliche Gewalt bezieht und Formen der psychischen sowie strukturellen Gewalt völlig ausklammert (vgl. SCHUBARTH in SCHUBART/MELZER, 1993, S. 30).
„Gewalt erscheint dann als (physische) Gewalt von Schülern gegen fremde Sachen (Schulvandalismus, Beschädigung von Schuleigentum), Gewalt von Schülern gegen Schüler (Kraftproben und Wettkämpfe, Revierkämpfe, Durchsetzungskämpfe und Terror), Gewalt von Schülern gegen Lehrer und von Lehrern gegen Schüler, wobei die letzten beiden Aspekte aufgrund ihrer ‘nur marginalen Bedeutung’ sowie der Beschränkung des Gewaltbegriffs auf körperliche Gewalt aus dem Gutachten ausgespart bleiben“(ebd., S. 30). In den weiteren Ausführungen Schubarths wird auf heftige Kontroversen bezüglich des Gewaltbegriffes hingewiesen.„Wissenschaftler verschiedener Disziplinen sprechen sich gegen eine Reduzierung des Gewaltbegriffs auf körperliche Gewalt aus (z.B. Theunert 1987, Jaschke 1991, Pilz 1992, Esser 1992)“(ebd., S. 30): Nach Theunert sind die Bestimmungskriterien für Gewalt nicht nur die durch Gewalt bewirkte Schädigung, sondern auch ihre Verknüpfung mit der Ausübung von Macht und Herrschaft. Theunert unterscheidet zwischen situativen (Ungleichverteilung von Machtverhältnissen ist situationsspezifisch geprägt) und generellen (Ungleichverteilung von Machtverhältnissen ist längerfristig geregelt) Machtverhältnissen und setzt diese der personellen und strukturellen Gewalt gleich. Esser plädiert für eine Erweiterung des Gewaltverständnisses. Er nennt folgende Gewaltfaktoren im Alltag von Kindern:
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•Zurückweisung•Erniedrigung•Vernachlässigung•Verwahrlosung•Diskriminierung•Ausgrenzung•soziale Benachteiligung•physischer und sexueller Mißbrauch•Zerschlagen von Alltags- und Lebensperspektiven
Heitmeyer kritisiert ebenfalls die einseitige Konzentration der öffentlichen Diskussion auf körperliche Gewalt und das Ausklammern der psychischen Gewalt (vgl. SCHUBARTH in SCHUBARTH/MELZER, 1993, S. 30).
Es wird deutlich, daß die Meinungen über eine Erweiterung des Gewaltbegriffes sehr von einander abweichen. Zu bedenken wäre, daß bei einer derartigen Ausweitung des Begriffes keine klare Grenze im Sinne des Gewaltverständnisses gezogen werden kann. Bründel und Hurrelmann (vgl. BRÜNDEL/HURRELMANN, 1994, S. 23, 24) gehen noch weiter und teilen den Begriff Gewalt in sechs Formen: 1.Physische Gewalt:
Schädigung und Verletzung eines anderen durch körperliche Kraft und Stärke. 2.Psychische Gewalt:
Schädigung und Verletzung eines anderen durch Abwendung, Ablehnung, Abwertung, durch Entzug von Vertrauen, durch Entmutigung und emotionales Erpressen.
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3.Verbale Gewalt:
Schädigung und Verletzung eines anderen durch beleidigende, erniedrigende und entwürdigende Worte. 4.Sexuelle Gewalt:
Schädigung und Verletzung eines anderen durch erzwungene intime Körperkontakte oder andere sexuelle Handlungen, die dem Täter eine Befriedigung eigener Bedürfnisse ermöglichen. 5.Frauenfeindliche Gewalt:
die physische, psychische, verbale oder sexuelle Form der Schädigung und Verletzung von Mädchen und Frauen, die unter Machtausübung und in diskriminierender und erniedrigender Absicht vorgenommen werden. 6.Fremdenfeindliche und rassistische Gewa lt:
die physische, psychische und verbale Form der Schädigung und Verletzung eines anderen Menschen aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seines Aussehens oder seiner Religion. Auffällig ist, daß die von Bründel und Hurrelmann genannten "Formen von Gewalt" teilweise ineinander enthalten sind. So ist sexuelle Gewalt, frauenfeindliche sowie fremdenfeindliche und rassistische Gewalt je nach Form der Gewaltausübung der physischen, psychischen oder verbalen Gewalt unterzuordnen. Somit erscheint eine strikte Trennung dieser Begriffe in der oben angeführten Form nicht zweckmäßig.Zusammenfassung:
Zusammenfassend kann aufgrund der genannten Definitionen gesagt werden, daß die Meinungen über den Gewaltbegriff sehr weit streuen. Einerseits wird der Begriff