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Das größte Fußballfest des Kontinents Im Sommer 2024 findet die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland statt. Teams aus 24 Nationen spielen um den "Coupe Henri Delaunay", die Trophäe für die Siegermannschaft. Ganz Deutschland freut sich auf dieses Turnier, das hoffentlich so schön und mitreißend wird wie das "Sommermärchen", die ebenfalls in Deutschland ausgetragene WM 2006. Im vorliegenden, bildstarken Band erzählt Dietrich Schulze-Marmeling die Geschichte und die Geschichten der legendärsten Spiele des Europameisterschaftsturniers – von 1960 bis heute. Darunter sind natürlich auch solche Begegnungen, die sich ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans eingebrannt haben: • 1972: Deutschland wird mit wunderschönem, begeisternden Fußball erstmals Europameister • 1976: Hoeneß' Elfmeterschuss in den Himmel von Belgrad – die deutsche Elf verliert das Finale gegen die Tschechoslowakei • 1980: Horst Hrubeschs Kopfball sichert dem DFB-Team in Rom den zweiten EM-Titel • 1988: Deutschland scheitert im Halbfinale von Hamburg knapp am späteren Europameister aus den Niederlanden • 1996: Unvergessen – das dramatische Halbfinale gegen England in Wembley und das "Golden Goal" von Oliver Bierhoff im Endspiel • 2008: Deutschland unterliegt im Endspiel von Wien der Übermannschaft aus Spanien … aber auch andere Klassiker des größten Fußballfestes auf dem europäischen Kontinent finden in diesem Buch ihren wohlverdienten Platz. Mit emotionalen Bildern: ein Muss für jeden Fußball-Fan "Die legendärsten Spiele EM-Spiele" schürt die Vorfreude auf das größte Sportevent des Jahres in Deutschland. Und: Das Buch ist das ideale Geschenk für alle Fußballfans, die dem Turnier heute schon entgegenfiebern!
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Brüssel, 18. Juni 1972. Im EM-Finale führt Deutschland gegen die Sowjetunion mit 3:0. Es sind nur noch Sekunden bis zum ersten deutschen EM-Triumph. Die Fans machen sich zum Platzsturm bereit
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Dietrich Schulze-Marmeling
ist Autor einer Reihe von Büchern zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs. Letzte Buchveröffentlichungen: „Tradition schießt keine Tore: Werder Bremen und die Herausforderungen des modernen Fußballs“ (mit Marco Bode, Bielefeld 2023, 4. Auflage), „1990 – Eine WM, die alles veränderte“ (Bielefeld 2022, 1. Auflage), „1974 – Die WM der Genies (mit Hubert Dahlkamp, Bielefeld 2023, 1. Auflage).
Schulze-Marmeling ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur.
1. Auflage 2024
© Verlag Die Werkstatt GmbH, Bielefeld
Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:
ISBN 978-3-7307-0687-9 (Print)
ISBN 978-3-7307-0699-2 (Epub)
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Die größten EM-Spiele aller Zeiten
Dietrich Schulze-Marmeling
VERLAG DIE WERKSTATT
Am 14. Juni 2024 ist es wieder so weit: Anpfiff zur 17. Fußball-Europameisterschaft, nach 1988 die zweite, bei der die Bundesrepublik Deutschland Gastgeber ist.
Das Turnier war zunächst eine bescheidene und umstrittene Veranstaltung, die im Schatten der Weltmeisterschaft stand. Dies hat sich seit seiner ersten Auflage im Jahr 1960 gewaltig verändert. Die EM ist heute ein sportlich hochklassiges Turnier, das nicht weniger schwierig zu spielen ist als die WM. Zeitweise erschien es sogar so, als sei die EM das bessere der beiden Turniere.
Um dies am Beispiel der deutschen Nationalelf zu verdeutlichen. Bei der EM 2000 schied die DFB-Elf bereits in der Vorrunde aus. Ebenso 2004. Dazwischen lag aber eine WM, bei der die Mannschaft bis ins Finale vordrang. Obwohl damals viel vom deutschen Rumpelfußball die Rede war.
Auf dem Weg ins Finale der WM 2002 hatte es das DFB-Team ausschließlich mit machbaren Gegnern zu tun. Bei den EM-Turnieren 2000 und 2004 sah dies schon in der Gruppenphase anders aus. 2000 mussten sich die Deutschen hier mit Portugal, Rumänien und England messen, 2004 mit den Niederlanden und Tschechien. Bei einer EM war die Leistungsdichte größer, was auch bedeutete: Prozentual gesehen gab es hier mehr attraktive Spiele als bei einer WM. Seit 1996 wurde Deutschland nie wieder Europameister, wohl aber 2014 Weltmeister.
Mittlerweile haben sich die Niveaus angeglichen. Durch die Ausweitung des EM-Turniers auf 24 Mannschaften wurde das Leistungsniveau bis zum Viertelfinale etwas verwässert, aber eben nur etwas. Denn die „Kleinen“ sind nicht mehr so klein, wie sie einmal waren. Längst weiß man auch in einem Land wie Island, das nur etwa 380.000 Einwohner zählt, wie man die „Großen“ erfolgreich ärgern kann. Nicht nur ärgern, sondern sogar schlagen. Ohnehin hat es gerade in Europa immer wieder Beispiele dafür gegeben, wie kleinere Verbände, also Länder, in denen die Zahl der aktiven Fußballer deutlich geringer ausfällt als in den „Kernländern“ des europäischen Fußballs, durch exzellente Arbeit, Innovationsbereitschaft und mit viel Kreativität die Kluft zu den „Fußballnationen“ schließen können. Auch die Internationalität der nationalen Ligen trägt dazu bei. 2023 liefen acht Spieler aus dem Kader des EM-Teilnehmers Albanien, ehemals als „Fußballzwerg“ bezeichnet, in Italiens Ligen auf.
Was sind nun die größten Spiele aller Zeiten? Es wird vielleicht überraschen, dass ich hierzu auch Spiele wie das EM-Finale von 2004 zähle, als die Griechen die Portugiesen mit 1:0 schlugen. „Große Spiele“ müssen nicht immer auch „schöne Spiele“ sein.
Die Griechen sind also drin im Buch. Ein bisschen auch als Strafe dafür, dass ich damals ein spektakuläres Eigentor schoss. In der Vorrunde gab es wiederholt wunderbaren Fußball zu sehen. Vor dem Viertelfinale stellte mir ein Radiosender die Frage, wer meines Erachtens Europameister werden würde. Noch betäubt verstieg ich mich zu der Antwort: „Ich sehe da sieben Anwärter auf den Titel – nur bei den Griechen, da lege ich mich fest: Die Griechen werden es nicht!“ Man sollte halt auf Lukas Podolski hören: „Im Fußball gewinnt manchmal der Bessere.“ Eben nur manchmal.
Als „größte Spiele“ empfindet man naturgemäß vor allem solche, die ein Turnier entschieden. Fantastische Spiele aus der Vorrunde geraten häufig in Vergessenheit. Zumal dann, wenn der Sieger nach dem Auftritt noch die Segel streichen musste.
Da das Buch auch ein bisschen die Entwicklung des europäischen Nationalmannschaftsfußballs erzählen soll, eben entlang von Spielen, überwiegt die Zahl der Finalspiele. Aber auch einige denkwürdige Halbfinals sowie ein Achtel- und ein Viertelfinale wurden berücksichtigt.
Vorwort
Eine kurze Geschichte der EM
1960
Das Duell der Sozialisten
Sowjetunion – Jugoslawien
1964
Ost-West-Showdown
Spanien – Sowjetunion
1968
Italien triumphiert dank Taktik
Italien – Jugoslawien
1972
Deutschlands erster Sieg in Wembley
England – Deutschland
Erstmals Europameister
Deutschland – Sowjetunion
1976
Erster Triumph für den „Ostblock“
Tschechoslowakei – Deutschland
1980
„Kopfball-Ungeheuer“ schlägt die Rode Duivels
Deutschland – Belgien
1984
Fußball „à la brésilienne“
Frankreich – Spanien
1988
Rache für 1940 und 1974
Deutschland – Niederlande
Rinus Michels schlägt Walerij Lobanowski
Niederlande – Sowjetunion
1992
Dänische Handwerker gegen holländische Kopfarbeiter
Niederlande – Dänemark
„Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!“
Dänemark – Deutschland
1996
Das Team ist der Star
England – Deutschland
Bierhoff macht den Europameister
Deutschland – Tschechien
2000
Elfmeterdrama in der Amsterdam ArenA
Niederlande – Italien
Mit „Multi-Kulti“ und „Golden Goal“
Frankreich – Italien
2004
Vergessen geglaubte Vergangenheit
Griechenland – Portugal
2008
Totalfußball goes east
Niederlande – Russland
Entschlossen, schön, modern und erfolgreich
Deutschland – Spanien
2012
Mit 4-6-0 zum 4:0
Spanien – Italien
2016
Mehr Ballbesitz, aber kein Glück
Deutschland – Frankreich
Fußball aus der Mottenkiste
Portugal – Frankreich
2021
Fußball-Spektakel in Bukarest
Frankreich Schweiz
„Altes“ Italien bezwingt „junges“ England
Italien – England
Die Endrunden der EM-Turniere
Am 27. Mai 1952 fand in Zürich unter Federführung von Henri Delaunay, des Italieners Ottorino Barassi und des Belgiers José Crahay eine Zusammenkunft statt, auf der die Gründung eines europäischen Verbandes nach südamerikanischem Vorbild diskutiert wurde. Am 15. Juni 1954 konstituierte sich in Basel ein Ausschuss, der eine Woche später in Bern den Dänen Ebbe Schwartz zum ersten Präsidenten des neuen europäischen Verbandes, den Österreicher Dr. Josef Gerö zum Vizepräsidenten und Delaunay zum Generalsekretär einer Neugeburt mit dem Namen Union Européenne de Football Association (UEFA) bestimmte. Auf der ersten Generalversammlung des neuen Verbands am 3. März 1955 im Schloss Schönbrunn in Wien, zu der 29 der 31 europäischen Nationalverbände Delegierte entsandten, votierte eine große Mehrheit der Anwesenden für eine juristische Bestätigung der UEFA.
Bezüglich konkreter Maßnahmen waren sich die Anwesenden indes weniger einig. Punkt 3 der Tagesordnung sah „Das Projekt einer Europameisterschaft“ vor. 18 der vertretenen Nationen sprachen sich dagegen aus, wenngleich nicht alle „Nein-Sager“ dem Projekt eine generelle Absage erteilten. Die Ausrichtung einer Europameisterschaft der Nationalteams war für die UEFA-Pioniere ein wesentliches Motiv für die Bildung des europäischen Verbandes gewesen. Doch mussten sich die EM-Befürworter noch etwas gedulden, denn zunächst war ein anderes Projekt an der Reihe, das eine erheblich stärkere Dynamik entwickelte und größere Attraktivität versprach: ein Wettbewerb der besten Klubteams Europas.
1955 verstarb Henri Delaunay, doch sein Sohn Pierre sorgte dafür, dass das EM-Thema weiter am Kochen blieb.
Auf dem 3. UEFA-Kongress am 28./29. Juni 1957 in Kopenhagen wurde den Delegierten ein neuer Vorschlag vorgelegt, der nun einen über zwei Kalenderjahre ausgespielten Wettbewerb im K.-o.-System, aber mit Hin- und Rückspiel und einem Endturnier der vier besten Mannschaften vorsah. Der Vorschlag wurde schließlich mit 14 Ja- und 7 Nein-Stimmen sowie fünf Enthaltungen angenommen. Allerdings wurde eine Klausel eingebaut: Der Anpfiff des Wettbewerbs sollte nur erfolgen, wenn bis zum 16. Februar 1958 mindestens 16 Mitgliedsverbände ihre Teilnahme verbindlich angemeldet hatten.
Doch bei Ablauf der Deadline lagen lediglich 15 Anmeldungen vor. Ein klares „Nein“ war aus Deutschland (DFB), England, Schottland, Belgien, den Niederlanden, Schweiz, Albanien, Finnland, Island und Luxemburg eingetroffen. Ein klares „Ja“ kam aus dem Ostblock, wo sich die UdSSR, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und die DDR für die EM aussprachen. Italien, Wales, Nordirland, Portugal, Jugoslawien und Schweden hatten sich noch zu keiner Entscheidung durchringen können, weshalb UEFA-Sekretär Delaunay die Meldefrist bis zum 6. August 1958 verlängerte. Auf dem folgenden UEFA-Kongress am 4.–6. Juni in Stockholm konnten dann die Befürworter des Projekts die Anmeldungen Nr. 16 und Nr. 17 verkünden. Mit 15:13 Stimmen wurde die Durchführung des ersten Nationencups verabschiedet – das Projekt war also nach wie vor stark umstritten und spaltete die europäische Funktionärskaste. Zu den „Nein-Sagern“ gehörten unverändert die britischen Verbände, Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien. Unter diesen Umständen mochte die UEFA nicht die direkte Verantwortung für einen Wettbewerb übernehmen, der zunächst „Coupe Henri Delaunay“ hieß.
In ihren Anfangsjahren war die EM eine Domäne der „sozialistischen Welt“. Das erste Finale zwischen der UdSSR und Jugoslawien führte am 10. Juli 1960 zwei sozialistische Länder zusammen, verfolgt von lediglich knapp 18.000 Zuschauern im Pariser Prinzenpark.
Das Interesse am Europapokal der Landesmeister war zu dieser Zeit noch ungleich größer als an der EM. So waren am 18. Mai 1960, also ca. sieben Wochen vor dem ersten EM-Finale, 134.000 Fans in den Glasgower Hampden Park gepilgert, wo sie Zeugen eines fantastischen Spiels und eines 7:3-Sieges von Real Madrid über Eintracht Frankfurt wurden.
Der europäische Vereinspokal war allein schon deshalb attraktiver, weil hier u. a. auch die Italiener und Engländer dabei waren. Auch litt die EM-Premiere unter handwerklichen Fehlern, so u. a. die Wahl des Austragungsortes. Zwar wurde in Frankreich guter Fußball gespielt, doch fußballbegeistert war das Land mitnichten. Auch wurde das Turnier vom „Kalten Krieg“ heimgesucht. Als Spaniens Selección zum Viertelfinale nach Moskau reisen wollte, wurde sie vom Diktator Franco zurückgepfiffen. Der spätere Turniersieger zog somit kampflos in die Endrunde ein.
Die zweite Finalrunde 1964 in Spanien mobilisierte bereits ein größeres Interesse, vor allem bedingt durch den Siegeszug des gastgebenden Teams. Nun waren auch die Engländer dabei, die allerdings bereits in der Vorrunde scheiterten. Der ehemalige FA-Sekretär Stanley Rous, seit 1961 Präsident der FIFA, begründete den Gesinnungswandel damit, dass große Zuschauerzahlen nur noch in Spielen eines offiziellen Wettbewerbs zu erwarten seien. Auch Italien gab beim zweiten Durchgang seinen Einstand, sodass von den fünf großen Ländern Westeuropas nun vier dabei waren. Nur der DFB verharrte noch in der Position des Zuschauers.
Bei der dritten Auflage 1968 waren dann erstmals alle bedeutenden europäischen Fußballnationen an Bord, nachdem auch der DFB seine Abstinenz aufgegeben hatte. DFB-Präsident Dr. Hermann Gösmann begründete den Gesinnungswandel mit dem nun offiziellen Charakter der Veranstaltung. Aus „Europacup der Nationen“ bzw. „Coupe Henri Delaunay“ wurde eine offizielle Europameisterschaft unter dem Briefkopf der UEFA.
Die EM-Endrunde 1968 in Italien hatte zwar mit knapp 40.000 den bis dahin höchsten Zuschauerschnitt, aber so richtig zufriedenstellend war die Veranstaltung noch immer nicht. Fehlerhafte Schiedsrichterentscheidungen und die einschüchternde Atmosphäre in den Stadien weckten unangenehme Erinnerungen an die „Skandal-WM“ von 1934. Als problematisch erwies sich aber auch das Turnier-Format. Wer die Endrunde austrug, hing stets davon ab, wer sich hierfür qualifizierte, was keine gründliche Vorbereitung des Veranstalters und keine Einstimmung der Öffentlichkeit ähnlich den WM-Turnieren zuließ. Deshalb kursierte auch der Vorschlag, das Mini-Turnier abzuschaffen, um die Halbfinals in Hin- und Rückspiel und das Finale auf neutralem Platz auszutragen.
Die EM blieb bis 1976 ein Wettbewerb, in dem die sozialistischen Staaten eine große Rolle spielten. Allein die UdSSR stand bei den ersten vier Wettbewerben dreimal im Finale. Von den 20 Endrundenteilnehmern 1960 bis 1976 waren elf Teams aus der „sozialistischen Welt“. Zweimal – die UdSSR 1960 und die CSSR 1976 – stellten diese Länder den Europameister, dreimal – Jugoslawien 1960, UdSSR 1964 und 1972 – den Vize-Europameister. Das EM-Finale 1980 war überhaupt das erste ohne Beteiligung eines Teams aus dem „sozialistischen Lager“.
Die EM stand viele Jahre im Schatten der WM. Angesichts der großen Zahl europäischer Starter bei der WM-Endrunde sowie der Tatsache, dass von 1950 bis 1974 fünf der acht Turniere in Europa stattfanden, wurde die EM als dem Weltturnier klar untergeordnet betrachtet. Auch verfügte die EM, bedingt durch die geringe Zahl von Endrundenteilnehmern, über kein auch nur annähernd vergleichbares Event-Potenzial.
Die Turniere 1968 und 1972 bedeuteten insofern einen gewissen Statusgewinn, dass die Europameister Italien und Deutschland bei den anschließenden Weltturnieren, anders als die UdSSR 1962 und Spanien 1966, ihre Position als europäische Nummer eins bestätigen konnten. 1972 kam noch hinzu, dass mit der Bundesrepublik das in diesen Jahren auch tatsächlich spielstärkste Team Europas gewann. Aber erst im Zuge der 1980er-Jahre erlangte die EM Augenhöhe mit anderen internationalen Wettbewerben. Ein langer Anlauf, wenn man bedenkt, dass die Wurzeln des europäischen Nationenmessens weit in die Gründerjahre des Fußballs zurückreichen.
1980 wurde die Endrunde auf acht Teams erweitert, was bedeutete, dass das Austragungsland erstmals automatisch qualifiziert war. Einen kräftigen Schub erfuhr das Turnier mit der Endrunde 1984 in Frankreich. Frankreich organisierte die EM mit einem Engagement und einer Professionalität, wie man dies bis dahin nur von Weltturnieren her kannte. Außerdem gab es gegenüber der EM 1980 eine Neuerung, die dem Turnier noch mehr Attraktivität verlieh. 1980 bestritten noch die beiden Gruppensieger das Finale, 1984 wurde diesem ein Halbfinale vorgeschaltet. 601.404 Zuschauer kamen zu den 15 Spielen, im Schnitt also 40.093 pro Begegnung. Mit Frankreich sah das Turnier einen Sieger, der unterhaltsamen Champagner-Fußball spielte und Fußballeuropa begeisterte. Das Turnier bewirkte einen erheblichen Popularitätsschub für Fußball in Frankreich und das EM-Projekt.
Bei der folgenden EM 1988 in Deutschland betrug der Zuschauerschnitt 55.912, ermöglicht durch große Arenen, deren Geschichte auf die WM 1974 zurückging und die noch weiträumige Stehplatzbereiche aufwiesen. Die EM 1988 war die letzte vor der europäischen „Stadionrevolution“, deren Kernaussage die „Versitzplatzung“ war und die an vielen Orten zunächst mit einer Verringerung des Fassungsvermögens einherging. Nur zwei WM-Turniere – Brasilien 1950 mit dem riesigen Maracana-Stadion in Rio de Janeiro und USA 1994 – konnten einen höheren Zuschauerschnitt registrieren.
Es folgte der Zusammenbruch des Ostblocks, der die politische und staatliche Landschaft Europas gravierend verändern sollte – und damit auch die Mitgliederzahl und -struktur der UEFA. Für das Turnier in Deutschland hatten 33 Mannschaften gemeldet, 1992 waren es 34, neu dabei waren San Marino und die Färöer-Inseln. Die UdSSR hatte sich sportlich qualifiziert, existierte allerdings zum Zeitpunkt der Endrunde nicht mehr, ihr Restbestand trat als GUS an.
Auch die Tschechoslowakei war letztmalig mit einem gemeinsamen Team dabei, während Jugoslawien, ein ähnlicher Fall wie die UdSSR/GUS, zehn Tage vor Beginn der Endrunde von der UEFA ausgeschlossen wurde. Zuvor hatte die UNO gegen Belgrad ein Embargo verhängt und die FIFA das Land für internationale Spiele gesperrt.
Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei führte zu einem erheblichen Anstieg in der UEFA-Mitgliedschaft, denn zu den ersten souveränen Akten der neu entstehenden unabhängigen Staaten gehörte die Gründung nationaler Fußballverbände und das Gesuch um Aufnahme in die Organisationen des internationalen Fußballs. Anstelle des alten CCCP-Teams meldeten nun die Nationalmannschaften Russlands, Weißrusslands, Moldawiens, Estlands, Lettlands, Litauens, Armeniens, Georgiens, Aserbaidschans und der Ukraine für die EM 1996. Das ehemalige Jugoslawien schickte Mazedonien, Kroatien und Slowenien ins Rennen, ein Turnier später kamen noch Rest-Jugoslawien (ab 2003: Serbien-Montenegro) und Bosnien-Herzegowina hinzu, in der Qualifikation zur EM 2008 traten dann auch Serbien und Montenegro getrennt an. Und anstelle der ehemaligen Tschechoslowakei, Vize-Weltmeister 1938 und 1962 sowie Europameister 1976, liefen nun die Nationalteams Tschechiens und der Slowakei an. Alles in allem wurden im Zeitraum 1992 bis 2006 aus ehemals drei Nationalteams 18. Einen Abgang hatte die politische Entwicklung in Europa allerdings auch zu vermelden: Mit der DDR verschwand auch deren Nationalmannschaft.
Mit dem in der eigenen Region isolierten und abgelehnten Israel zählte auch ein außereuropäisches Land zu den Neuen. 1994 wurde Israel erstmals die Teilnahme an der EM-Qualifikation gestattet.
Für die EM 1996 meldeten 48 Länder, weshalb die UEFA die Ausweitung der Endrunden von acht auf 16 Teilnehmer beschloss, wodurch das Turnier das von 1954 bis 1976 existierende Format der WM annahm – ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Turniers. Dem Turnier tat dies nur gut. Nicht nur, weil es so manchen Europäer an die „gute alte WM“ erinnerte, die in diesem Format letztmalig 1970 ausgetragen worden war. Durch die größere Zahl an Spielen bzw. die längere Dauer des Turniers wuchs dessen Bedeutung im öffentlichen Bewusstsein und in der Medienberichterstattung. Das Turnier 1996 fand im Mutterland England statt, fiel in die Zeit eines neuen Fußballbooms und wurde in der damals weltweit modernsten und besten Stadionlandschaft ausgespielt. Mit 1.276.174 Zuschauern wurde erstmals bei einer Endrunde die Millionengrenze überschritten. Der Schnitt lag allerdings mit 41.167 deutlich unter dem von 1988, was der Versitzplatzung der Arenen geschuldet war. Die Zunahme an UEFA-Mitgliedern, EM-Meldungen und Spielen (von 138 im Jahr 1992 auf 262 in 1996) hatte zur Folge, dass sich die Zahl der Menschen, die EM-Spiele in Stadien verfolgten, nahezu verdoppelte: von 2.643.412 (1992) auf 5.248.693 (1996). Bei der EM 2000 wurden nach 259 Spielen 5.645.305 Zuschauer registriert, 2004 nach „nur“ 241 Begegnungen sogar 5.856.247.
Um auch bei 16 Teilnehmern und 31 Endrundenspielen kleineren UEFA-Staaten die Ausrichtung einer EM zu ermöglichen, beschloss die UEFA die Zulassung von Doppelbewerbungen. Allerdings erhöhte der Verband auch seine Ansprüche an die Austragungsländer. Bis zur Verdoppelung der Endrundenteilnehmer hatte sich die UEFA damit begnügt, dass die Kapazität von drei der vier erforderlichen Stadien lediglich 20.000 betrug. Nur so konnte noch 1992, als die Endrunde letztmalig mit acht Teilnehmern ausgetragen wurde, ein Land wie Schweden in den Genuss einer EM kommen. Nun forderte die UEFA sechs Stadien mit einem Fassungsvermögen von mindestens 30.000 Zuschauern und je eines für mindestens 40.000 bzw. 50.000. Außerdem sollten alle Zuschauer sitzen. Für die meisten europäischen Länder war dies finanziell und organisatorisch im Alleingang nicht zu bewältigen. Des Weiteren besaßen auch nur wenige Länder eine Post-EM-Verwendung für eine derartig großzügige Stadionlandschaft.
Die EM 2000 wurde dann mit Belgien und den Niederlanden erstmals von zwei Ländern ausgerichtet. Litt die Qualität des Turniers in seinen Anfängen darunter, dass die „Großen“ aus dem Westen nicht komplett dabei waren, so galt die EM nun als das weltweit beste Länderturnier. Die sportliche Qualität der EM 2004 war deutlich besser als die der WM 2002 in Japan und Korea. Franz Beckenbauer äußerte anlässlich der EM 2004: „In Portugal spielt Saudi-Arabien nicht mit. (…) Wenn jetzt noch Argentinien und Brasilien dabei wären, hätten wir eine komplette Weltmeisterschaft.“ Der „Kaiser“ wollte damit zum Ausdruck bringen, dass bei einer EM keine fußballerisch drittklassigen Länder am Start sind. Die Ausweitung des WM-Turniers auf 32 Mannschaften war auf Kosten der sportlichen Substanz zumindest der Vorrunde gegangen.
Längst war die EM auch ein global vermarktbares Produkt. So wurden die EM-Spiele 2004 weltweit von 217 TV-Sendern in 199 Ländern übertragen, in Europa waren 62 Länder dabei.
Im Januar 2007 wurde der ehemalige französische Weltklassespieler Michel Platini zum neuen UEFA-Präsidenten gewählt. Platinis Wahl markierte nicht nur einen Generationswechsel. Der Franzose gerierte sich als Anwalt der Interessen der kleinen Nationen und der Verteidigung der „wahren Werte“ des Fußballs gegen seine Vereinnahmung durch Politiker und Wirtschaftskonzerne.
Während des Kongresses wuchs die Zahl der Mitgliedsverbände durch die Aufnahme Montenegros, logische Folge der staatlichen Trennung Montenegros von Serbien, auf 53. Indes wurde der Antrag Gibraltars abschlägig beschieden.
Viele der Stimmen pro Platini kamen aus den kleineren Nationen des Ostens und Südens. Bereits am Vorabend der Abstimmung war es erstmals seit 15 Jahren wieder zu einem Treffen der osteuropäischen Verbände gekommen. Hierzu waren Vertreter von 24 Verbänden erschienen, was ein englischer Delegierter mit den Worten kommentierte: „Die UEFA rückt nach Osten“.
Am 18. April 2007 vergab das in Cardiff tagende UEFA-Exekutivkomitee die EM 2012 nach Osteuropa, genauer: Ukraine und Polen. Abgesehen vom EM-„Vierer-Turnier“ 1976 in Jugoslawien waren Ost- und Südosteuropa bis dahin bei der Vergabe großer Turniere unberücksichtigt geblieben.
Die Entscheidung pro Osteuropa war zweifelsohne auch eine politische. Auch im Osten Europas entstanden nun moderne Stadien, und im Westen Europas erweiterte sich das öffentliche Interesse am Fußball geographisch in Richtung Osten.
Bei der EM 2016 in Frankreich waren dann erstmals 24 Mannschaften am Start. Im März 2013 war auch Gibraltar Mitglied der UEFA geworden. 2016 kam auch noch der Kosovo hinzu, sodass die UEFA nun 55 Mitgliedsländer zählte. Dass sich nun 43,6 Prozent dieser für die Endrunde qualifizieren konnten, verwässerte die Qualität des Turniers etwas. Zusammensetzung und Struktur glichen nun der WM. Gleichzeitig zeigten aber beide Turniere, dass sich die Kluft zwischen den Großen und den Kleinen verringert hatte. Oder wie es so schön heißt: Im internationalen Fußball gibt es keine Kleinen mehr.
Bei der EM 2021 war die Politik zurück im Spiel und dies mit voller Wucht. Die europaweit ausgetragene Endrunde war die bislang politischste. So wurde um die Legitimität des „Regenbogens“ im Stadion gestritten, den Farben für Diversität und Toleranz. Des Weiteren waren Rassismus und extremer Nationalismus zurück in den Stadien. Ganz verschwunden waren diese allerdings nie. In der Vorrunde waren aus politischen Gründen einige Paarungen auszuschließen: Russland – Ukraine, Kosovo – Bosnien und Herzegowina, Kosovo – Russland sowie Kosovo – Serbien. Ende Mai entzogen russische Behörden dem ARD-Journalisten Robert Kempe die zuvor von der UEFA bestätigte Akkreditierung. Kempes Vergehen: Er hatte in einem Podcast für die kritische WDR-Sendung „Sport Inside“ über die enge Verflechtung des Sponsors Gazprom mit der UEFA berichtet sowie zur Weltmeisterschaft 2018 über Folter und Terror des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow gegenüber Minderheiten und den auch von den Vereinten Nationen kritisierten Einsatz nordkoreanischer Arbeiter beim Bau des Moskauer Luschniki-Stadions. Nachdem der WDR damit an die Öffentlichkeit gegangen war, durfte Kempe doch noch zu den russischen Spielorten reisen.
Auch die EM 2024 wird nicht „politikfrei“ sein. „Es ist Zeit für eine Zeitenwende im deutschen Fußball. Und in der Gesellschaft.“ So Philipp Lahm, Weltmeister-Kapitän von 2014 und Geschäftsführer der DFB Euro GmbH, in einem Gastbeitrag für den Kicker mit Blick auf die EM in Deutschland. Das Turnier müsse als „Wendepunkt“ begriffen werden, „für Europa, für die Gesellschaft, für uns alle“. Das Turnier sei „ein Aufruf für Solidarität und Fürsorge sowie für ein Wiedererstarken des europäischen Gedankens. Europa und seine wichtigen Werte wie Demokratie und Freiheit, Vielfalt und Toleranz, Integration und Inklusion sollen dabei gestärkt und gefeiert werden. Denn ein Ausgrenzen ist nicht das Modell des 21. Jahrhunderts in Europa.“ Großartige und erinnerungswürdige Spiele wird es aber sicherlich auch geben.
Am 27. Oktober 1926 fand in Prag am Rande des Länderspiels Tschechoslowakei gegen Italien eine Konferenz statt, auf der Vertreter Österreichs, Italiens, Ungarns und der Tschechoslowakei über die Einrichtung internationaler Wettbewerbe berieten. Die Anwesenden beschlossen die Austragung eines mitteleuropäischen Cups für Vereinsmannschaften (Mitropa Cup) sowie die Planung eines Internationalen Cups für Nationalmannschaften.
Motor dieser Projekte war Hugo Meisl, seit 1913 Verbandskapitän beim Österreichischen Fußball-Verband (ÖFV) und in dieser Funktion verantwortlich für das Nationalteam. Der 1881 im böhmischen Maleschau (Malešov) geborene Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie verfügte über eine ungeheure Fußballkompetenz und war gewissermaßen der Erfinder des modernen Fußballs auf dem Kontinent; ein energetischer Visionär, der die Fußballgemeinde ständig mit neuen, die Organisation des Spiels vorantreibenden Ideen beglückte. Vor allem war Meisl der erste Fußballfunktionär, der in europäischen Dimensionen dachte. Bereits 1922 äußerte er die Überzeugung, die Entwicklung des Fußballs werde im Wesentlichen durch den internationalen Spielverkehr bestimmt. Die Historiker und Meisl-Biografen Andreas und Wolfgang Hafer über ihren Großvater: „Sein Denken war von der Internationalität der Sportbewegung geprägt, von einem gleichberechtigten, friedlich konkurrierenden und sich gegenseitig anregenden europäischen Sportverkehr. (…) Hugo Meisl hatte sich Fußball als internationale Angelegenheit vorgestellt, insbesondere als europäische.“
Mit dem Projekt des International Cup verfolgte Hugo Meisl drei Ziele. Während für die Vereinsmannschaften bereits ein reger (nationaler) Wettbewerbsverkehr existierte, trafen die Nationalmannschaften nur in Freundschaftsspielen aufeinander, was sie gegenüber den Vereinen sportlich abwertete. Ein internationaler Wettbewerb für Nationalmannschaften sollte dieser Entwicklung entgegenwirken und die Bedeutung von Länderspielen stärken. Auch erhoffte sich Meisl von Länderspielen, bei denen es um etwas ging, einen höheren Zuschauerzuspruch. Und last but not least sollte der Wettbewerb engere Beziehungen zwischen den verschiedenen nationalen Verbänden fördern, auch im Sinne der Völkerverständigung.
Meisls Projekt sah zunächst die Beteiligung aller europäischen Verbände vor. Erstmals wurde hier der Gedanke einer „echten“ Europameisterschaft ausgesprochen. Anstatt einer Meisterrunde waren Hin- und Rückspiele in den beteiligten Ländern vorgesehen. Meisl war der Auffassung, dass sich mit einem solchen Modus die Stadien besser füllen ließen. Seine Rechnung sollte aufgehen. Der addierte Zuschauerzuspruch bei den Spielen des International Cup lag später tatsächlich deutlich über den Vergleichswerten eines Turniers mit festem Austragungsort, etwa den WM-Turnieren 1934 in Italien oder 1938 in Frankreich. Auch lagen die Zahlen deutlich über denen vergleichbarer Freundschaftsspiele.
Bei der FIFA stieß der Plan einer Europameisterschaft zunächst auf wenig Gegenliebe. Man sah darin eine Konkurrenz zum eigenen Projekt einer Fußball-Weltmeisterschaft. Meisl war jedoch überzeugt, dass eine Europameisterschaft – schon aus verkehrstechnischen Gründen – leichter zu realisieren sei als eine WM, die tatsächlich diesen Namen verdiente. Das erste WM-Turnier 1930 in Uruguay sollte ihm hinsichtlich des Teilnehmerfeldes recht geben. Von den europäischen Topadressen trat kein einziges Team die beschwerliche Reise nach Südamerika an.
Aber nicht nur die FIFA, auch England, Frankreich, Belgien und die Niederlande reagierten auf den Vorschlag einer Europameisterschaft negativ. Auf dem FIFA-Kongress im Dezember 1926 in Paris wurde die Durchführung des International Cup abgelehnt. Und ohne den Segen der FIFA war die Veranstaltung eines internationalen Turniers nicht gestattet.
Derweil hatte Meisl mit dem Franzosen Henri Delaunay, seit 1919 Generalsekretär des französischen Fußballverbandes und enger Mitstreiter seines Landsmannes und FIFA-Präsidenten Jules Rimet, einen wichtigen Verbündeten gefunden. Im Februar 1927 legten Meisl und Delaunay einen neuen Vorschlag vor. Die Europameisterschaft sollte demnach nicht in Konkurrenz zur WM treten, vielmehr sollte sie alle zwei Jahre zwischen die Weltturniere eingeschoben worden. Als Vorbild diente die Kontinentalmeisterschaft der Südamerikaner.
Für diesen modifizierten Plan erteilte die FIFA schließlich grünes Licht. Die „große Lösung“, wie sie Meisl zunächst angestrebt hatte, ließ sich allerdings nicht realisieren. Der International Cup blieb auf die Länder Österreich, Italien, Tschechoslowakei, Ungarn und Schweiz beschränkt. Seine weitere Entwicklung stand unter schwierigen Vorzeichen. Die FIFA konzentrierte sich weiterhin auf die WM, deren Premiere 1930 trotz dünner europäischer Beteiligung zum Erfolg geworden war. Die kommenden beiden Turniere würden in Europa stattfinden und hier die Aufmerksamkeit absorbieren. Zudem existierte – anders als in Südamerika – noch kein europäischer Regionalverband, der das Projekt einer EM hätte organisieren können. Doch trotz dieser Widrigkeiten und trotz des eingeschränkten Teilnehmerfeldes besaß der International Cup eine große sportliche Bedeutung, allein schon aufgrund der fußballerischen Qualität seiner Teilnehmer. Österreicher, Italiener, Tschechoslowaken und Ungarn gehörten zu den führenden Fußballnationen Europas.
Der International Cup wurde jeweils über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren in einer losen Folge von Länderspielen ausgetragen. Gespielt wurde im Liga-Format, also jeder spielte gegen jeden in Hin- und Rückspiel, sodass jedes Land acht (beim letzten Durchgang zehn) Spiele zu absolvieren hatte. Als erster Sieger wurde 1930 Italien gekrönt, das Ungarn am 11. Mai 1930 im entscheidenden Spiel in Budapest vor 40.000 Zuschauern mit 5:0 abkanzelte. Die vierte Auflage (1936-37) musste aufgrund der politischen Entwicklung vorzeitig beendet werden. Italien näherte sich politisch mehr und mehr dem nationalsozialistischen Deutschland an, das sich im März 1938 Österreich und zehn Monate später Böhmen und Mähren einverleibte. Hugo Meisl weilte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr unter den Lebenden. Der Vater des International Cup und der Idee einer Europameisterschaft war am 17. Februar 1937 einem Herzschlag erlegen.
10. Juli 1960, Stade Vélodrome du Parc des Princes, Paris
Sowjetunion – Jugoslawien 2:1 n. V. (0:1, 1:1, 1:1)
In Paris wird unter Flutlicht gespielt. Das WM-Turnier wird seine Flutlichtpremiere erst 22 Jahre später feiern, 1982 in Spanien.
1960
Nur knapp 18.000 Zuschauer sind zum Finale in das Stade Vélodrome du Parc des Princes in Paris gekommen. Schuld ist nicht nur der Dauerregen. Das Duell zwischen den beiden sozialistischen Staaten interessiert die Pariser nicht. 1956 standen sich die Sowjetunion und Jugoslawien schon einmal in einem Finale gegenüber. Beim olympischen Fußballturnier in Melbourne gewannen die konditionsstarken und muskelbepackten sowjetischen Staatsamateure mit 1:0. In Paris wird unter Flutlicht gespielt. Das WM-Turnier wird seine Flutlichtpremiere erst 22 Jahre später feiern, 1982 in Spanien.
Die sowjetische Sbornaja sieht sich vor dem Finale einem immensen politischen Druck ausgesetzt. Stürmer Viktor Ponedelnik erzählt viele Jahre später dem Freitag: „Unser Oberbefehlshaber (gemeint ist Chruschtschow, Anm. d. R.) wollte Erfolge sehen. Wir kannten die Schicksale anderer Sportkameraden, die auf der Verliererseite standen: Sie wurden als Soldaten in die hintersten Provinzstädte versetzt. Das war das Schlimmste, was einem leidenschaftlichen Fußballspieler passieren konnte.“ Während UdSSR-Coach Gawriil Katschalin exakt dieselbe Elf auflaufen lässt, die vier Tage zuvor im Halbfinale die Tschechoslowaken geschlagen hat, hat Jugoslawiens Verbandstrainer Alexandar Tirnanić einige Umstellungen vorgenommen. Anstelle von Milutin Šoškić hütet Blagoje Vidinić das Tor. Und für den verletzten Routinier Branco Zebec kommt Jovan Miladinovic zum Einsatz.
Sowjets und Jugoslawen liefern sich ein temporeiches, turbulentes und hartes (aber nicht unfaires) Spiel, das den englischen Schiedsrichter Arthur Ellis schwer beschäftigt. Insbesondere die sowjetischen Abwehrspieler langen gegen das gefürchtete jugoslawische Innensturmtrio mächtig zu. Im ersten Durchgang hat das junge jugoslawische Team mit dem Publikumsliebling und Ballartisten Dragoslav Šekularac, der der Minderheit der Roma angehört, trotzdem mehr vom Spiel und geht in der 43. Minute durch einen Schuss von Milan Galić völlig verdient in Führung. UdSSR-Kapitän Igor Netto hatte den Ball noch abgefälscht. Die Jugoslawen stellen die feineren Balltechniker, agieren aber zuweilen zu verspielt. Laut L’Équipe hätten die Jugoslawen zum Pausentee gut und gerne 3:0 führen müssen. Dass dem nicht so ist, liegt nicht zuletzt am 31-jährigen sowjetischen Keeper Lew Jaschin von Dynamo Moskau, auch „die schwarze Spinne“ genannt. L’Équipe: „Er hält jeden Vergleich mit einem Zamora, Hiden oder Planicka aus. Jaschin hätte vermutlich jeden Angriff der Welt zur Verzweiflung gebracht.“
Vier Minuten nach dem Wiederanpfiff lässt Jaschins Gegenüber Vidinić einen überraschenden Schuss von Bubukin nur abprallen. Rechtsaußen Metreweli ist zur Stelle und gleicht für die Sowjets aus.
Erst jetzt findet die UdSSR zu ihrem kraftvollen und geradlinig durchdachten Spiel und kann auf dem regendurchtränkten und völlig aufgeweichten Boden ihre physischen Vorteile ausspielen. Tore fallen in der regulären Spielzeit allerdings nicht mehr, sodass das erste EM-Finale in die Verlängerung geht.
Der sowjetische Keeper Lew Jaschin hält den Sieg fest
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Sechs Minuten vor dem Abpfiff dieser gelingt Ponedelnik per Kopf der Siegtreffer für die konditionsstärkere UdSSR. Der Torschütze beschreibt seinen Treffer so: „Die Kombination, die zum goldenen Tor führte, fing bei Lew Jaschin an. Der Torwart nahm den Ball auf und schoss ihn fast bis zur Feldmitte. Juri Woinow überspielte den Gegner und schickte den Ball auf die linke Flanke zu Micheil Meschi. Meschi konnte es sich nicht verkneifen, zwei Täuschungsmanöver vorzuführen, entging dem Abwehrspieler und schlug einen hohen Pass in den Strafraum. Dahin spurtete ich bereits mit vollem Dampf …“
„Jaschin hätte vermutlich jeden Angriff der Welt zur Verzweiflung gebracht.“
Den Rest der Spielzeit begnügt sich die Sbornaja mit Querpässen und Ballhalten. Lew Jaschin: „Unsere Leute waren sehr müde. Es fiel ein Nieselregen. Es war sehr feucht. Aber trotzdem hörten unsere Spieler keinen Augenblick auf, daran zu denken, dass sie dieses Spiel gewinnen müssen, koste es, was es wolle.“ Viktor Ponedelnik über den Schlusspfiff: „Wir lagen da, völlig kraftlos, und weinten vor Freude. Irgendwie konnten wir uns aufraffen und für die Zeremonie mit der Übergabe des Pokals aufstehen. Es folgte die Ehrenrunde mit dem Pokal durchs Stadion. Einige konnten dem Kapitän noch im Laufen folgen, andere trotteten nur schlapp hinterher.“ Lew Jaschin wird seine berühmte Mütze geklaut. Jaschins Ehefrau Valentina: „Tausende von Leuten rannten auf den Platz. In dem Chaos nahm ein Fan die Mütze von Lews Kopf und lief weg. Die Menge war so riesig, dass man ihn unmöglich finden konnte.“
Angeführt von Kapitän Igor Netto (mit Pokal) und Torhüter Lew Jaschin lässt sich die Mannschaft der Sowjetunion 1960 für ihren Titel feiern
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In Moskau ist es aufgrund der Zeitverschiebung bereits nach Mitternacht. Ponedelnik: „In Moskau schlief niemand in jener Nacht. Man erzählte uns, dass die ganze Stadt erleuchtet war. Die Leute gingen auf die Straße, fielen einander in die Arme und tanzten.“ Im Mittelpunkt der Kommentare und Bewertungen des Spiels steht Lew Jaschin, der in Paris zum ersten EM-Helden avanciert. Für France Football haben die Sowjets dank „dem Feuer Jaschins und dem Kopf Ponedelniks“ gewonnen. Jaschin habe bewiesen, „dass er auf jeden Fall der beste Torwart der Welt ist“. L’Équipe lobt Jaschins „Klasse und Übersicht“ beim Parieren zweier Chancen von Bora Kostic. Jaschin sei nicht nur ein Meister des Strafraums, sondern zeige auch überragende Reflexe auf der Linie. Gleichwohl sei ihm seine verwegene Spielweise beinahe teuer zu stehen gekommen. In der zweiten Halbzeit war Jaschin von einem Heber Dragoslav Sekularacs überrascht worden. Der Keeper eilte schnell genug zurück, um den Ball noch zu parieren.
„In Moskau schlief niemand in jener Nacht. Man erzählte uns, dass die ganze Stadt erleuchtet war. Die Leute gingen auf die Straße, fielen einander in die Arme und tanzten.“
L’Équipe ist vom ersten EM-Finale sehr angetan: „Beide Mannschaften verblüfften das Publikum durch ihre Vitalität, Hartnäckigkeit und dauernden Rhythmuswechsel.“ Die in der DDR erscheinende Fußball-Woche