Glück im Unglück - Eva-Maria Horn - E-Book

Glück im Unglück E-Book

Eva Maria Horn

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami.Wenn es ein guter Tag werden soll, muss man ihn mit einem guten Frühstück beginnen, behauptete Laura Peters immer. Das war auch die Devise ihres Vaters. Aus dem Radio klang fröhliche Musik, die Sonne stand am blitzblauen Himmel, der Kaffee duftete. Sie trug das Tablett ins Wohnzimmer, der runde Esstisch stand in dem kleinen Erker. Sie schenkte den Kaffee ein und wollte gerade genussvoll in das Brötchen beißen, als das Telefon klingelte. Laura warf einen ärgerlichen Blick auf den Störenfried, einen Moment überlegte sie, ob sie den Hörer abnehmen sollte. Nicht eben freundlich meldete sie sich. »Himmel, das dauert ja ewig, bis du zum Apparat kommst! Ich habe gestern den ganzen Abend versucht, dich anzurufen. Wo warst du denn? Wir haben uns den ganzen Tag nicht gesehen.« »Guten Morgen, lieber Jürgen. Du störst mich beim Frühstück, du weißt doch, dass ich das nicht leiden kann.« »Ich kenne überhaupt niemanden, der um das Frühstück so eine Schau macht. Allerdings könnte ich mir sehr gut vorstellen, dir jetzt gegenüberzusitzen, mit dir zusammen zu frühstücken. Ich würde sogar jeden Morgen Brötchen holen. Stattdessen wache ich morgens in meiner miesen Wohnung auf und bin froh, wenn ich die Tür ins Schloss werfen kann.« »Vielleicht bist du aber auch nur zu bequem, dir das Frühstück zu machen, lieber Jürgen. Darum hockst du schon früh am Morgen in deinem Stammcafé.« »Wenn ich bei dir wohnen könnte, sparte ich das Geld.

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Seitenzahl: 120

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Mami – 2109 –

Glück im Unglück

Was für Boris so traurig begann …

Eva-Maria Horn

Wenn es ein guter Tag werden soll, muss man ihn mit einem guten Frühstück beginnen, behauptete Laura Peters immer. Das war auch die Devise ihres Vaters. Aus dem Radio klang fröhliche Musik, die Sonne stand am blitzblauen Himmel, der Kaffee duftete. Sie trug das Tablett ins Wohnzimmer, der runde Esstisch stand in dem kleinen Erker. Sie schenkte den Kaffee ein und wollte gerade genussvoll in das Brötchen beißen, als das Telefon klingelte.

Laura warf einen ärgerlichen Blick auf den Störenfried, einen Moment überlegte sie, ob sie den Hörer abnehmen sollte. Nicht eben freundlich meldete sie sich.

»Himmel, das dauert ja ewig, bis du zum Apparat kommst! Ich habe gestern den ganzen Abend versucht, dich anzurufen. Wo warst du denn? Wir haben uns den ganzen Tag nicht gesehen.«

»Guten Morgen, lieber Jürgen. Du störst mich beim Frühstück, du weißt doch, dass ich das nicht leiden kann.«

»Ich kenne überhaupt niemanden, der um das Frühstück so eine Schau macht. Allerdings könnte ich mir sehr gut vorstellen, dir jetzt gegenüberzusitzen, mit dir zusammen zu frühstücken. Ich würde sogar jeden Morgen Brötchen holen. Stattdessen wache ich morgens in meiner miesen Wohnung auf und bin froh, wenn ich die Tür ins Schloss werfen kann.«

»Vielleicht bist du aber auch nur zu bequem, dir das Frühstück zu machen, lieber Jürgen. Darum hockst du schon früh am Morgen in deinem Stammcafé.«

»Wenn ich bei dir wohnen könnte, sparte ich das Geld. Und wäre ein glücklicher Mann. Du hast ein Herz aus Stein, Laura.«

»Um mir das zu erzählen, könntest du doch warten, bis ich im Büro bin. Mein Kaffee wird kalt, bis später, Jürgen.«

»Nein, leg’ nicht auf. Ich habe ein Anliegen. Und du darfst nicht nein sagen. Es geht um die Villa Terhorst.«

»Gibt es Probleme? Wir haben doch vorgestern Abend alle Zimmer eingerichtet. Ich weiß nicht, wieviel Papier dabei draufgegangen ist.«

»Ich möchte, dass du den Auftrag übernimmst, Laura.«

»Hab’ ich richtig gehört? Du warst doch ganz verrückt darauf, du hast doch praktisch dem armen Seibert den Auftrag vor der Nase weggeschnappt.«

»Der Alte hat ihn mir ja auch sofort gegeben. Schließlich bin ich sein bestes Pferd im Stall.«

»Wie bescheiden du doch bist, Jürgen.«

»Lass den Spott. Ich weiß, was ich kann. Als selbständiger Innenarchitekt würde ich mehr auf die Beine stellen als Althoff. Meine Aufträge würden nicht so tröpfeln.«

»Jürgen, du langweilst mich. Willst du die Mitleidsplatte auflegen? Erzähl mir lieber, warum du den Auftrag abgeben willst.«

»Weil diese Frau mich nervt«, explodierte er. »Sie macht mich wahnsinnig. Sie will aus allen Zimmern die wertvollen Antiquitäten rauswerfen. Die hat ja vom Wert der Möbel keine Ahnung. Ist ja auch kein Wunder. Weißt du, was sie war, bevor sie sich den goldenen Fisch an Land zog? Putze. Eine einfache Putze.«

»Putze? Was ist denn das für ein Beruf?«

»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Auch als Töchterchen eines reichen Fabrikanten musst du dieses Wort schon mal gehört haben. Ihr habt in eurer Villa doch auch Putzmädchen.«

»Aber die nennen wir nicht Putze. Bei uns gehört sie sogar zur Familie. Wenn ich unsere Hanna Putze nennen würde, dann wäre was los.«

»Ja, ja, ja. Schon gut. Ich rede jetzt von der neugebackenen Frau Terhorst, der das Geld zu Kopf gestiegen ist. Und der alte Herr macht sich zu einem Esel …«

»Komm endlich zur Sache, Jürgen. Wo liegen deine Schwierigkeiten?«

»Ich mache mich doch in meiner Branche nicht unmöglich. Ich werfe doch keine Möbel aus der Biedermeierzeit, als allen Stilepochen aus dem Haus, als hätte ich keine Ahnung von der Sache. Kannst du dir vorstellen, dass sie auf einem Teller, auf einem alten Nymphenburg-Teller ihre Katze fütterte? Die Zimmer will sie mit Chrom und Glas eingerichtet wissen, und der Gipfel ist, sie will auf einem Glastisch einen Heiligen haben. Eine aus Holz geschnitzte Figur, erklärte sie mir in ihrer arroganten Art, als wenn ich nicht wüsste, was ein Heiliger ist.«

»Der ist doch aufzutreiben«, amüsierte sie sich.

»Was ist denn mit dir los? Kannst du dich so wenig in mich hineinversetzen? Ich mache mich doch nicht lächerlich. Wenn die Villa nach ihrem Geschmack umgekrempelt ist, wird sie die vornehme Gesellschaft einladen, schließlich ist Terhorst nicht irgendwer. Und alle werden fragen: welcher Innenarchitekt hat das verbrochen?«

»Wir reden später darüber, Jürgen. Lass mich jetzt erstmal frühstücken, Servus.«

Klick. Und sie hatte aufgelegt.

Jürgen feuerte den Hörer auf die Gabel. Ja, er badete in Selbstmitleid. In seinen Augen hatte er es aber auch schwer.

Da machte er einem Mädchen den Hof, die ihm alle Wünsche erfüllen konnte, so reich war sie. Sie hatte einen reichen Vater, der vernarrt in sie war. Sie bewohnte eine herrliche Penthousewohnung. Sie war ihr Eigentum. Der Blick auf die Stadt hinunter war einfach überwältigend. Und eingerichtet war sie! Einfach gekonnt. Wundervolle alte Möbel harmonierten mit modernen. Die Teppiche mussten ein Vermögen gekostet haben. Waren natürlich Familienbesitz. Die Peters waren schon immer reich gewesen. Und er? Er bewohnte eine Wohnung, die nicht seinem Niveau entsprach. Natürlich konnte er sich gar nicht erlauben, jemanden hier zu bewirten. Die Möbel musste seine Wirtin vom Sperrmüll haben, und sie verlangte einen unverschämten Preis dafür. Laura hatte er mitgenommen, er hoffte, an ihr Mitleid zu rühren. Und was hatte sie gesagt?

»Warum wohnst du denn hier? Du verdienst doch Geld genug, um dir eine andere Bleibe zu beschaffen. Verkauf doch deinen Wagen. Musst du denn mit einem solchen Luxusgefährt herumfahren?«

Er war maßlos enttäuscht gewesen. Wenn sie verheiratet waren, dann würde er ihr diese Lieblosigkeiten heimzahlen. Aber jetzt durfte er nicht sein wahres Gesicht zeigen. Mit ihrem Geld konnte er sich selbstständig machen, konnte er sich seine Wünsche erfüllen, als ihr Mann musste er nicht jeden Groschen umdrehen. Er war ehrlich genug zu sagen, dass er mit Geld nicht umgehen konnte. Aber er hatte sofort eine Entschuldigung dafür.

Sein Vater konnte es auch nicht. Das Geld, das die Mutter mühsam verdiente, hatte er ins Wettbüro getragen, besessen von dem Gedanken, einmal zu gewinnen. Er war der Verlierer geblieben, und ihm hatte er die armselige Jugend zu verdanken. Und schon als Kind hatte er sich geschworen: ich will reich werden, nie wieder so ein Leben führen müssen.

Der Schlüssel zu diesem Leben war Laura. Sie war Innenarchitektin, sie arbeiteten gut miteinander, ja, sie bewunderte ihn sogar. Aber sonst war er bei ihr noch nicht einen Schritt weitergekommen. Sie war stets gut gelaunt, war bei allen beliebt. Niemand hätte bei ihr den Reichtum vermutet. Sie fuhr einen Volkswagen, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Sie kleidete sich wie die anderen Mädchen auch, vermutlich stammte ihre Garderobe aus einem Kaufhaus. Aber der Neid musste ihr lassen, dass sie auch in einer Jeans, einer Bluse oder einem Pullover Klasse aussah. Sie hat einfach das gewisse Etwas, dachte er seufzend. In ihr fließt das Blut der reichen Ahnen.

Verdammt noch mal, knirschte er und gab der Zeitung, die auf dem billigen Fußboden lag, einen wütenden Tritt. Ich muss doch endlich mit ihr weiterkommen. Wie lange soll ich denn noch auf der Stelle treten?

*

Der Tag beginnt ja erfreulich, dachte Laura wütend. Heute nahm sie sich nicht die Zeit, den Frühstückstisch abzuräumen, das muss?te später die liebe Frau Kröger machen. Sie stopfte die wichtigen Dinge in die Tasche, dachte aber an Jürgen dabei. Sie mochte ihn. Er war sehr tüchtig, hatte das richtige Gespür für seine Arbeit, konnte amüsant, ja, witzig sein. Ganz anders war er als die jungen Männer, die sie bisher gekannt hatte. Aber ob sie ihn liebte, das wusste sie nicht. Aber sie wusste, dass sie gern mit ihm arbeitete, nur in ihrer Wohnung sollte er seine Zelte nicht aufschlagen.

*

Wie so oft am Morgen, wenn sie es eilig hatte, funktionierte der Aufzug nicht. Sie ärgerte sich nicht einmal darüber. Bewegung konnte nicht schaden! Ein wenig außer Atem kam sie an der Haustür an.

Es wird höchste Zeit, dass du etwas für deine Kondition tust, Laura Peters, ermahnte sie sich, während sie den Autoschlüssel aus der Tasche holte und die Stufen hinuntersprang. Sie warf einen flüchtigen Blick zu den Briefkästen hinüber, schloss ihr Auto auf und stieg ein.

Sie schob den Schlüssel ins Schloss, aber da streifte sie ein Bild, das sie nur flüchtig wahrgenommen hatte. Sie zögerte, aber dann stieg sie aus, entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

Vor den Briefkästen stand ein kleiner Bub und sah ihr aus großen angstvollen Augen entgegen.

»Was machst du denn da?«

Tränen sprangen in seine Augen. Ein kleiner Bub, sauber, aber ärmlich gekleidet, ein Bündel Angst.

»Ich trage Zeitungen aus.« Seine Stimme zitterte, der ganze Bub war Angst.

»Du mußt keine Angst vor mir haben.« Sie wagte nicht, ihre Hand auf seine schmächtige Schulter zu legen. Mitleid und Erbarmen waren in ihr.

»Sind Sie vom Jugendamt?« fragte er angstvoll.

»Natürlich nicht. Ich wohne in diesem Haus. Ich wundere mich nur, dass so ein kleiner Bub wie du Zeitungen austrägt.«

Er war noch immer skeptisch. Musterte sie aus ängstlichen Augen.

»Ich bin schon oft mitgegangen. Meine Großmutter trägt die Zeitungen aus. Aber heute geht es ihr nicht gut. Und da mache ich es.«

»Das finde ich ganz toll von dir«, lobte sie ihn und hoffte, den richtigen Ton zu treffen. »Musst du noch viele Zeitungen austragen?«

»Fünf Zeitungen in die Siedlung. Die beschweren sich immer, wenn sie zu spät geliefert wird«, erklärte er ihr zutraulich. »Wenn ich ein Fahrrad hätte, wäre ich viel schneller. Aber ich beeile mich.«

»Weißt du was? Ich helfe dir. Mein Auto steht da, wir bringen die Zeitung in die Siedlung, und anschließend fahre ich dich nach Hause. Musst du nicht zur Schule?«

»Nee, wir haben doch Ferien.«

Laura konnte sich nicht erinnern, schon einmal so gründlich gemus?tert worden zu sein. Er war so klein, sah so schutzbedürftig, so verloren aus.

»Aber ich darf nicht zu fremden Leuten ins Auto steigen.«

»Was machen wir denn da?« Sie begegnete ratlos seinem ängstlichen Blick. »Ich möchte dir doch so gern helfen!«

Mit der Hand, die blau gefroren war, fuhr er über seine Nase, das Bündel Zeitungen in der anderen Hand.

»Eigentlich sehen Sie nett aus«, überlegte er nach kurzem Schweigen. »Und vom Jugendamt sind Sie auch nicht. Wissen Sie was, ich wage es einfach. Mit einem Auto bin ich nämlich schon lange nicht mehr gefahren.«

Laura atmete erleichtert auf. »Worauf warten wir denn noch?« Sie nahm einfach seine Hand, eine kleine, eiskalte Hand, die sich zutraulich in die Wärme ihrer Hand schmiegte.

Sie öffnete für ihn die Wagentür.

»Ich weiß nicht, ob Kinder auf dem Beifahrersitz sitzen dürfen, aber darum kümmern wir uns jetzt nicht. Setz dich. Die Zeitungen

legen wir auf den Rücksitz. Du musst mir nur sagen, wie ich fahren soll.«

Er setzte sich vorsichtig zurecht. Ihr Herz floss über vor Zärtlichkeit für den Buben: Ähnliches hatte sie noch nie erlebt.

»Ein tolles Auto. Wie viel fährt er denn?«

Sie setzte sich hinter das Lenkrad, drehte den Schlüssel.

»Das war aber sehr leichtsinnig von Ihnen, den Schlüssel im Schloss zu lassen. Da hätte ja jeder losfahren können.«

»Wie recht du hast. Du müsstest häufiger auf mich aufpassen. Ich heiße Laura.«

»Und ich Boris. Ich wohne bei meiner Großmutter, die habe ich sehr lieb. Und sie hat mich auch lieb. Sie sagt immer, sie meint, ich bin das Wichtigste, was sie hat. Weil nämlich meine Eltern tot sind, und seitdem wohne ich bei ihr. Und immer kommt jemand vom Jugend?amt«, erzählte er ihr bereitwillig. Er genoss die ungewohnte Fahrt sichtlich. »Sie meinen nämlich, meine Großmama wäre zu alt für mich. Ich meine, sie meinen, das würde nicht richtig laufen. Aber Großmama hat sie immer beruhigen können. Aber jetzt ist sie krank. Weißt du, wenn die vom Jugendamt das erfahren, holen die mich sofort. Die sind so. Dann komme ich ins Waisenhaus, und das wollen Omi und ich nicht. Und der Johannes, der will das auch nicht.«

Laura hatte vergessen, dass man im Büro auf sie wartete, das war jetzt nicht wichtig. Sie fuhr langsam, es war so wunderschön, neben diesem Buben zu sitzen.

»Wer ist Johannes?«

»Der ist nett. Der wohnt in unserem Haus, und er hilft uns immer. Omi sagt, er hat ein goldenes Herz. Manchmal kauft er für uns ein und dann will er kein Geld dafür, dabei hat er doch selbst ganz wenig Geld.« Sie warf einen Blick zur Seite. Er krauste die hohe Kinderstirn und seufzte:

»Manchmal denke ich, der liebe Gott kann sich gar nicht um alle Menschen kümmern, sonst hätte der Johannes ganz bestimmt Arbeit, wo er doch studiert hat. Du musst jetzt links fahren. Und du musst auf die Straße achten, sonst bauen wir noch einen Unfall. Das erste Haus da, die kriegen drei Zeitungen. Es gibt auch nur drei Briefkästen.«

Sie hielt nahe am Haus, er stieg umstänlich aus, nahm das Bündel Zeitungen. Ein wenig verlegen erklärte er ihr:

»Bleib lieber hier stehen. Es sind nur noch ein paar Häuser, und die sind alle auf dieser Straße. Sieht ja komisch aus, wenn der Zeitungsjunge mit dem Auto kommt.«

Sie sah ihm nach. Ihr Herz war übervoll. Ein Sturm von Gefühlen hatte sie gepackt, für den sie keinen Namen wusste. Was für ein bezaubernder Junge. Sie würde ihn nicht mehr aus den Augen verlieren. War sie denn wirklich so weltfremd, so behütet aufgewachsen, dass sie die Not der anderen übersah?

Ihr Handy klingelte. Sie kam nur mühsam in die Wirklichkeit zurück. Sie wusste, dass es Jürgen war. Ihn wollte sie jetzt nicht sprechen. Na-türlich war es Jürgen und sofort dröhnte seine aufgebrachte Stimme in ihrem Ohr.

»Wo bleibst du denn? Was ist denn los? Sag bloß, du hast einen Unfall gebaut?«

»Ich werde aufgehalten. Ich komme in der nächsten Stunde nicht ins Büro.

Er schnaufte. Holte hörbar Luft.

»Was heißt aufgehalten? Was soll das? Du weißt, dass ich auf dich warte. Du musst in einer halben Stunde bei der Putze sein. Du kannst mich doch nicht im Stich lassen.«

War er immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht gewesen, und sie hatte es nicht bemerkt?

»Nicht ich, sondern du musst bei Frau Terhorst sein. Denk daran, dass du den Auftrag unbedingt haben wolltest.«

Jetzt wurde er laut.