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Das Glück gibt es heute zu kaufen – fast überall. Psychologische Ratgeber zeigen uns den Weg dorthin, und Kurse, die uns mit ihrer Wellnesskultur beglücken, gibt es noch und nöcher. Nur führt das wirklich zum Glück? Oder ist das eher eine Glücksfalle, gefangen im Glücks-Stress? Für Stefan Bauberger ist die Antwort klar. Er ist in drei Welten zu Hause: als Jesuit, als Naturwissenschaftler und als Zen-Meister. Die Erfahrungen und Lehren aus diesen drei Welten führt er zusammen und erklärt, weshalb es für Menschen besser ist, nicht hinter dem Glück herzurennen und gerade deshalb zu einem erfüllteren Leben finden. Bauberger schreibt über leere Wellness- und Managerspiritualität, spricht über Glück und Glückseligkeit und darüber, warum man das Glück gerade ohne Ratgeber findet. Dabei greift er auf sein Wissen aus der christlichen wie fernöstlichen Spiritualität und seine praktische Erfahrung als Meditationslehrer zurück. So ist ein Buch entstanden, das mit den gängigen Glücksratgebern bricht und stattdessen einen tiefgründigen Weg skizziert. Für Bauberger bedeutet Glück etwas Besonderes zu sein. Dazu gehört die religiöse Identität genauso wie die Erkenntnis, dass Spiritualität heute oft missverstanden wird als Bereicherung, als ein krampfhaftes Anhäufen von Erfahrungen und einzelnen Glücksmomenten. Solche Momente sind wichtig und Bauberger beschreibt, wie man sie erleben kann. Doch er macht auch klar, dass das Klammern daran nie zum endgültigen Glück führen. Im Gegenteil entzieht es sich umso mehr, je mehr man es festhalten will. Das wahre Glück entsteht da, wo man auf jedes Festhalten des Glücks verzichtet. "Spirituelle Traditionen bereichern den Glückssucher, aber gleichzeitig können sie auch vom Eigentlichen wegführen, wenn sie äußerlich bleiben", so der Autor im Vorwort. In seinem klugen Buch zeigt der Jesuit und Zen-Meister, was hinter dem Glückswahn steckt und wie wir den Weg heraus aus der Glücksfalle finden.
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Seitenzahl: 149
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Stefan Bauberger
Glück ohne Ratgeber
Eine Philosophie des Gelingens
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rosenheim
Umschlagmotiv: © 4x6/iStock/GettyImages
E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau
ISBN E-Book 978-3-451-81563-8
ISBN Print 978-3-451-38448-6
Worum es geht
Über das Glück
Glück – ein zu großes Wort
Glück, ein wirklich großes Wort der Religionen
Das normale Glück
Das moderne Glück, das erarbeitete Glück
Das gekaufte Glück
Das technische Glück
Das unbegrenzte Glück: die Überwindung des Menschen
Wellness-Spiritualität
Meditation und Wellness
Aufgeklärte Religion
Manager-Spiritualität
Das Glück der Religionen
Von dem Jenseits jenseits des Jenseits und vom wahren Diesseits
Von der Lüge des normalen Glücks und vom rechten Glück
Wie es zur Glücksverheißung kam
In Bonhoeffers Diesseits
Religion: rational – irrational
Religiöse Wahrheit, spirituelle Wahrheit und die Wahrheit der Naturwissenschaften
Gott ist kein Objekt
Die Welt der Dinge
Was ist Religion?
Die Faszination des Seelischen
Glauben
Religion und Aufklärung
Missbrauch
Der Zweifel als Weg des Glaubens
Zweifel ist Zweifel und bleibt Zweifel
Zweifel und Erfahrung
Der Sinn des Lebens und der Zweifel daran
Von der Erlösung zum Leben
Wie wird Religion politisch?
Über den Autor
Es geht in diesem Buch um das Glück und um Religion, beziehungsweise den Kern, das Herz von Religion. Beide Themen – Glück und Religion – hängen zusammen, sie hängen sogar eng zusammen. Deshalb diese Verbindung. Über das Glück zu reden und zu schreiben ist modern, im Gegensatz zum Thema Religion. Daher zunächst ein paar Worte zu diesem weniger modernen Thema, oder um es modern zu sagen, zu diesem Mega-out-Thema.
Vor fast zwanzig Jahren nahm ich in der Tempelstadt Varanasi in Indien an einer Führung teil, organisiert von dem Hotel, in dem ich übernachtete. Ein frommer Hindu zeigte uns einige Tempel und erklärte sie uns. Die Mehrzahl der Teilnehmer an dieser Führung bestand aus jungen Touristen aus aller Welt. Der Führer war sichtlich genervt vom wenig respektvollen Verhalten einiger dieser Touristen in seinen Tempeln, was ich gut verstehen konnte, denn auch ich war peinlich berührt. Während ich etwas abseits von der Gruppe durch einen der gezeigten Tempel ging, sprach mich der Führer an: »Sie sind doch auch ein religiöser Mensch?« Meine Antwort: »Ja, ich bin ein katholischer Priester.« Darauf erwiderte er, der fromme Hindu: »Sehr gut, sehr gut!«
Dieses Verstehen zwischen uns bewegte mich tief, und ihm erging es ganz offensichtlich sehr ähnlich. Etwas verband uns in diesem Augenblick und ließ uns das respektlose Verhalten der anderen Touristen vergessen. Dieses Etwas kann ich nicht klar in Worte fassen. Und ich hätte dieses Etwas wahrscheinlich auch nie den anderen, den Respektlosen, so erklären können, dass sie es verstanden hätten. Denn es ging nicht etwa um den mangelnden Respekt. Wäre dem so gewesen, hätte ich durchaus vermitteln können, warum dieser Respekt angebracht gewesen wäre. Es ging um die Dimension des Absoluten, des Göttlichen, womit schon zu viel gesagt ist, als könnte man es in Worten ausdrücken. Dieses Etwas, das in einer solchen Weise verbindet, ist mir nicht nur in dieser einen Situation begegnet, ich kenne es in meiner eigenen Religion und auch sonst vielfach aus dem Zusammentreffen mit Gläubigen anderer Religionen, aber ebenso auch aus der Begegnung mit spirituellen Suchern ohne Religion.
In der Dimension, in der diese Begegnung stattfindet, gibt es kein Vergleichen, kein Gegeneinander von Religionen. Da gibt es nur den Bezug auf das Absolute, für das viele unterschiedliche Namen existieren. Ich erinnere mich an ein öffentliches Streitgespräch während meines Theologiestudiums, in dem ein indischer Jesuit und Theologe, der im interreligiösen Dialog aktiv ist, bedrängt wurde. Alles wurde auf die ultimative Frage zugespitzt: »Wie steht es jetzt um den Absolutheitsanspruch des Christentums?« Seine Antwort lautete: »Gott ist absolut.« Diese Absolutheit trennt die Religionen nicht, sondern verbindet sie in ihrem Kern. Die jeweils eigene Religion muss immer gegen Verflachungen verteidigt werden. Nicht nur Gott ist absolut, sondern auch sein Anspruch an diejenigen, die ihm folgen. Eine bürgerliche Verharmlosung von Religion zerstört Religion von innen her. Doch Absolutheit darf nicht falsch verstanden werden. Der indische Dichter Rabindranath Tagore betet verbunden mit der absoluten Wirklichkeit: »Erlöse uns (…) von den Glaubensformeln, die mit Ausschließlichkeit prahlen.«1 Der absolute Anspruch der absoluten Wirklichkeit drückt sich nicht im Kampf der Religionen aus.
Auf der äußeren Ebene gibt es Religionen mit ihren jeweiligen unterschiedlichen Traditionen, es gibt einen Dialog der Religionen und ein Gegeneinander der Religionen und eine Konkurrenz. Es ist wichtig zu verstehen, dass es im Herzen, im Kern, aus dem die Religionen entspringen, das alles nicht gibt. Dort zählt nur das Absolute, nur dieses hat einen Wert, nichts anderes.
In diesem Bezug auf das Absolute treffe ich mich mit Gläubigen vieler Religionen – und gleichzeitig finde ich diesen Bezug leider oft genug nicht in der Begegnung mit Angehörigen meiner eigenen Religionen, dem Christentum und dem Buddhismus. Und das, obwohl es für mich das Wichtigste ist, wovon diese Religionen sprechen, wonach sie suchen und was darin zu finden ist. Es ist nicht nur das Wichtigste in diesen Religionen, sondern das Wichtigste überhaupt. Und auch dieser Vergleich trifft es noch nicht, weil nichts im Leben überhaupt eine Bedeutung hat im Vergleich zu diesem Unsagbaren. Jedenfalls stimmt das, sobald dieses Unsagbare im Bewusstsein ist. Denn dann hat nichts anderes noch eine vergleichbare Bedeutung. Wenn es aber entschwunden ist, ist es so, als hätte es nie existiert. Aus dieser Erfahrung des Vergessens kann ich auch diejenigen verstehen, denen dieses Religiöse oder Spirituelle ganz fremd ist. Es gibt kein Verstehen dieses Bereichs aus dem normalen Weltlichen heraus, es gibt keine Verbindung dorthin. Aus dem Bereich des »Weltlichen« betrachtet ist es, als würde das Absolute gar nicht existieren.
Es scheint so, als ob die meisten Menschen in Europa inzwischen den Bezug auf diesen Bereich verloren hätten. Es gibt hier eine große Krise der Religionen, jedenfalls des Christentums. Aber vielleicht ist es gar nicht so, dass da etwas vom Kern, vom Herzen der Religionen verloren gegangen ist. Vielleicht ist nur die kulturelle und gesellschaftliche Bindung an die Institutionen der Religion, an die Religionsgemeinschaften verloren gegangen. Wie schon gesagt: Auch innerhalb dieser Institutionen, innerhalb der Religionsgemeinschaften, ist der Bezug auf diesen Bereich des Absoluten keineswegs selbstverständlich. In der Bibel wird Jesus mit den Worten zitiert: »Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht geweissagt in deinem Namen, in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen viele Wunder gewirkt? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch nie gekannt.« (Mt 7,21–23a)
Weder garantiert die Mitgliedschaft in einer religiösen Gemeinschaft, dass eine Verbindung mit dem gegeben ist, was Religion ausmacht, noch schließt Religionslosigkeit eine solche Verbindung aus.
Während ich an diesem Buch schreibe, wird ein erschreckender Bericht über Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester der katholischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Gleichzeitig läuft, weit weniger von der Öffentlichkeit bemerkt, innerhalb der Deutschen Buddhistischen Union eine schwierige und kontroverse Auseinandersetzung über Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch durch spirituelle Führer, von denen einige sehr bekannt und erfolgreich waren. In einigen Fällen sind auch Kinder davon betroffen, meist eher Erwachsene, wobei es aber auch hier um Abhängigkeitsverhältnisse geht, die missbraucht worden sind. Als bemerkenswert erweisen sich die Reaktionen aus dem Inneren dieser Religionsgemeinschaften. Innerhalb der katholischen Kirche zeigt man sich tief erschüttert. Und doch wird sich durch diese Erschütterung nichts Wesentliches an den Machtstrukturen ändern, jedenfalls steht das zu befürchten. Die Erschütterung wird schnell verklungen sein im Angesicht der Festigkeit der Strukturen der Institution. Einige innerhalb der Institution sind, davon gehe ich aus, tatsächlich tief erschüttert, und sie werden unter der institutionellen Starrheit leiden. Auch in den buddhistischen Schulen gibt es aufrichtig Erschütterte, aber auch dort weist nichts darauf hin, dass tiefgründige Reformen zu erwarten wären. Im Buddhismus sind die Institutionen selbst weniger ausgeprägt, aber gerade in den von Missbrauch betroffenen Schulen gab es mindestens genauso starke und starre Machtstrukturen.
Das Äußere der Religionen folgt weltlichen, nicht göttlichen Regeln. Dort geht es um Macht, es geht um Geld und um Ansehen, wie in allen anderen Institutionen auch. Die Spannung zwischen dem, was ich das Herz von Religion nenne, und diesen äußeren Strukturen ist manchmal schwer zu ertragen. In den religiösen Traditionen wird ein Bezug auf das Absolute weitergegeben, doch das geschieht nie ungebrochen, manchmal sogar grotesk verzerrt, und gerade deshalb muss dieser Kern von Religion immer wieder neu entdeckt werden. Nur in diesem Wiederentdecken sind Religionen wertvoll, sie sind es nur, soweit dieses Wiederentdecken gelingt. Insofern ist die Krise der institutionellen Religion vom Herz der Religion her gedacht eine große Chance, wenn sie zu diesem Wiederentdecken des Ursprungs führt – und nur dann folgen die Traditionen und Institutionen ihrer eigentlichen Bestimmung, wenn sie selbst unwichtig werden und hinter dem verschwinden, woraus sie entspringen und woraufhin sie zielen.
Gustav Mahler soll, in Anlehnung an Jean Jaurès, gesagt haben: »Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.« In der Praxis ist Tradition natürlich beides. Deshalb muss religiöse Tradition immer wieder von Neuem zum Leben kommen, deshalb muss sie immer wieder zum Feuer werden. Die Versuchung der Anbetung der Asche bleibt groß – und sie lässt sich viel besser organisieren als das Feuer.
Noch einmal zurück zu den Missbrauchsskandalen. In der katholischen Kirche wird beklagt, dass durch diese Vorkommnisse das Vertrauen der Gläubigen in die Kirche erschüttert ist. Von buddhistischer Seite höre ich die bange Frage: »Ist der Buddhismus also genauso verkommen und korrupt wie die anderen Religionen?«2 Für die Opfer des Missbrauchs klingen solche Fragen, insbesondere nach dem beschädigten Vertrauen, zynisch. Denn diese Fragen drehen sich um das Wohl der Institutionen, und gerade diese Fixierung hat vielfach dazu beigetragen, dass Missbrauch vertuscht wurde. Mit grausamen Folgen. Wenn es um den Kern von Religion geht, sind Fragen nach dem Wohl der Institution unwichtig, sie spielen keine Rolle. In diesem Kern hat auch der wertende Vergleich mit anderen Religionen nichts verloren.
Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt aus dem Nazi-Gefängnis: »Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben –, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ›Metanoia‹; und so wird man ein Mensch, ein Christ (vgl. Jerem. 45!).«3
Ein religiöser Mensch kann Mitglied einer organisierten Gemeinschaft sein, und meist ist er es auch, wobei es in Europa immer mehr religionslose Religiöse gibt. Aber auch ein Christ oder Buddhist, Moslem oder wer sonst immer ist in seinem wirklichen Bezug zum Absoluten weder Christ noch Buddhist noch irgendetwas. Er ist auch kein guter Mensch, jeder Stolz ist ihm fremd, sollte ihm fremd sein. Er oder sie wird hoffentlich aus dem Bezug zum Absoluten heraus gut handeln, aber daraus folgt keine Identität eines guten Menschen, der sich über andere, die Religionslosen oder die aus anderen Religionen, erheben könnte.
Damit ergibt sich eine Brücke zur Frage nach dem Glück. Der Angelpunkt der Glücksfalle entspricht der Frage nach der religiösen Identität. Wer nach Glück strebt, strebt danach, etwas für sich zu erreichen, etwas zu bekommen, zu erfahren, etwas Besonderes zu sein. Mit diesem Ansatz lässt sich viel gewinnen, man kann sich innerlich bereichern, aber das eigentliche Glück ist niemals in dieser Form zugänglich. Auch die Spiritualität ist Teil der modernen Glückssuche. Aber auch sie ist es schnell in der verdrehten Form, dass sich der Glückssuchende an seiner spirituellen Erfahrung bereichert. Tut er das, ist diese Erfahrung bereits tot, bevor sie wirksam werden kann.
In der Form der Bereicherung und des Klammerns gibt es kein endgültiges Glück. Es entzieht sich umso mehr, je mehr man es festhalten will. Glück gibt es nicht im Modus des Besitzens, des Habens. Das wahre Glück entspringt aus einer inneren Umkehr, in der auf jedes Festhalten des Glücks verzichtet wird. Ohne dieses Paradox gibt es kein Glück. Damit trifft sich Religion im Kern mit der wahren Suche nach dem Glück. Spirituelle Traditionen bereichern den Glückssucher, aber gleichzeitig können sie auch vom Eigentlichen wegführen, wenn sie äußerlich bleiben. Und wenn religiöse oder spirituelle Traditionen benutzt werden, dann bleiben sie äußerlich. Nur das Herz von Religion und von spirituellen Traditionen erfüllt das Ziel dieser Suche, und zwar gerade darin, dass die Suche aufhört, unwichtig wird, dass das eigene Glück unwichtig wird, und dass der oder die Suchende ganz im Absoluten aufgeht.
1 Rabindranath Tagore: Gedichte. Freiburg 1975, S. 96.
2 Aus einer E-Mail zur Ausgabe der Zeitschrift der Deutschen Buddhistischen Union vom 25.9.2018.
3 Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Gütherloh 1985, S. 183.
Anthony de Mello überliefert die folgende Geschichte:
»Eine chinesische Geschichte erzählt von einem alten Bauern, der ein altes Pferd für die Feldarbeit hatte. Eines Tages entfloh das Pferd in die Berge, und als alle Nachbarn des Bauern sein Pech bedauerten, antwortete der Bauer: ›Pech? Glück? Wer weiß?‹
Eine Woche später kehrte das Pferd mit einer Herde Wildpferde aus den Bergen zurück, und diesmal gratulierten die Nachbarn dem Bauern wegen seines Glücks. Seine Antwort hieß: ›Glück? Pech? Wer weiß?‹
Als der Sohn des Bauern versuchte, eines der Wildpferde zu zähmen, fiel er vom Rücken des Pferdes und brach sich ein Bein. Jeder hielt das für ein großes Pech. Nicht jedoch der Bauer, der nur sagte: ›Pech? Glück? Wer weiß?‹
Ein paar Wochen später marschierte die Armee ins Dorf und zog jeden tauglichen jungen Mann ein, den sie finden konnte. Als sie den Bauernsohn mit seinem gebrochenen Bein sahen, ließen sie ihn zurück. War das nun Glück? Pech? Wer weiß?«4
Was also ist Glück? Wieder Anthony de Mello:
»Jemand fragte den Meister: ›Glauben Sie an Glück?‹
›Durchaus‹, erwiderte er mit einem Aufblitzen in seinen Augen. ›Wie sonst ließe sich der Erfolg von Leuten erklären, die man nicht mag.‹«5
Glück heißt zunächst einfach, Glück zu haben. Glück geschieht, wenn es geschieht. Der eine hat Glück, der andere Pech. Manchmal hat man Glück, manchmal Pech.
Dann aber wird aus Glück ein anderes und sehr großes Wort. »Jeder ist seines Glückes Schmied.« – Das ist eine alte Weisheit. Weisheit? Ideologie? Wer weiß? – Plötzlich wird aus dem Glück eine Verheißung, aber auch eine Verpflichtung. Wer nicht glücklich ist, hat sein Leben verfehlt. Die sanfte Form dieser Verpflichtung oder Verantwortung für das eigene Glück wird von den Glücksratgebern repräsentiert. Die harte Form wird vom amerikanischen Mythos repräsentiert, dass jeder es zum Millionär schaffen kann, wenn er nur will und hart genug arbeitet. In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika wird das »Recht auf Streben nach Glück« als eines der drei Grundrechte neben dem Recht auf Leben und auf Freiheit genannt.
Wenn das Recht auf Streben nach Glück so wichtig ist, in einer Trias mit Leben und Freiheit, dann muss der Mythos vom möglichen Aufstieg zum Millionär oder zum bekannten Schauspieler, zum Model, It-Girl oder sonstigem Star aufrechterhalten werden. Die Kollision dieses Mythos mit der Wirklichkeit zeigt den Zynismus, der dahinter steht. Tatsächlich gibt es gerade in den USA für immer weniger Menschen diesen Aufstieg. Dafür führt dieser Aufstieg die immer Wenigeren in immer größere Höhen. Und die Unglücklichen, die es nicht schaffen, die Vielen, sie werden durch die nie erfüllte Hoffnung ruhiggestellt. Sie spielen das Spiel der so ungerecht verteilten Chancen auch noch mit, indem sie diejenigen verehren und als Politiker wählen, die ihren Traum vom Aufstieg erfolgreich leben.
Der Traum der Glücksratgeber fällt harmloser aus. Sie verkaufen viele Ingredienzien zum Glück. Was mich hier besonders interessiert, ist die Rolle der Religion. Da sind die Ratgeber ambivalent. Die Religionen spielen meist keine bedeutende Rolle. Religiös zu sein, ist im Wesentlichen peinlich, ausgenommen ein aufgeklärter Buddhismus, wozu weiter unten noch einige Bemerkungen folgen.
Auf der deutschen Seite von Wikipedia6 heißt es zum Zusammenhang von Glück und Religion: »Glück darf nicht mit Glückseligkeit verwechselt werden, die meist in Zusammenhang mit einem Zustand der (religiösen) Erlösung erklärt und verstanden wird.« Der neugierige Leser schaut also nach, was unter »Glückseligkeit« in der Wikipedia zu entdecken ist. Er findet neben der Erklärung »eine Form des Empfindens von Glück« (also doch wieder Glück) jeweils einen Hinweis auf einen Roman, einen Film und einen Namen einer Partei, außerdem einen Link zu »Seligkeit«. Unter »Seligkeit« stößt er auf einige Zeilen über die christliche Vorstellung von Erlösung. Zurück beim »Glück« auf Wikipedia wird er mit vielen Zeilen zur Glücksforschung konfrontiert. In diesen vielen Zeilen wird dann allerdings auch ein religiöser Weiser zitiert, der Dalai Lama, wie folgt:
»Die systematische Schulung des Geistes – die Entfaltung von Glück, die echte innere Wandlung durch die absichtliche Auswahl von positiven Geisteszuständen und die Ausrichtung darauf einerseits sowie das Herausfordern der negativen mentalen Zustände andererseits – ist aufgrund der Struktur und der Funktion des Gehirns möglich.«7
Dieses Zitat ist bezeichnend, weil es den religiösen Bezug, den man vielleicht bei dem bekanntesten Buddhisten der Zeit erwarten würde, völlig außen vor lässt. Dasselbe kann auch ein atheistischer Glücksforscher sagen. Natürlich ist das nicht der ganze Dalai Lama, der tatsächlich ein durch und durch religiöser Mensch ist, sondern nur ein ausgewähltes Zitat, und noch dazu von einem Dalai Lama, der mit seinen im Westen veröffentlichten Büchern für den Westen mundgerecht aufbereitet wurde und dem alle Anstößigkeit des Religiösen möglichst herausoperiert wurde.