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**Wild und frei** Die 24-jährige Laurel ist ein absoluter Kopfmensch und hat als solcher ihr Leben komplett durchgeplant. Umso ungewöhnlicher ist es für sie, sich nach einer Praktikumsabsage zu einer spontanen Tour durch Australien überreden zu lassen. Leider stellt sie erst vor Ort fest, dass es sich dabei nicht nur um einen extremen Abenteuertrip, sondern auch um eine Pärchenreise handelt – und sie ist der alleinige Single. Ihr einziger Lichtblick ist Matty, der überaus charmante Reiseleiter. Als dieser jedoch infolge eines Unfalls aussetzen muss, hat sie plötzlich seine arrogante Vertretung Nate am Hals. Und dessen nervtötende Art treibt sie nicht nur immer tiefer in den gefährlichen Dschungel, sondern lässt auch ihr Herz schneller schlagen denn je … Liebe auf Umwegen Gefühle so abenteuerlich und intensiv wie ein nervenaufreibender Trip durch Down Under. Packend und knisternd von der ersten bis zur letzten Seite. //»Going Wild. Herz über Kopf« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// //Weitere Liebesgeschichten zum Mitfiebern und Dahinschmelzen von Gina Heinzmann bei Impress: -- Take A Chance On Me. Adventskalender zum Verlieben (Take a Chance 1) -- Truth or Date. Der Dating-Adventskalender (Take a Chance 2) -- Take Another Chance On Me. Die Dating-Challenge zum Valentinstag (Take a Chance 3)//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
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Gina Heinzmann
Going Wild. Herz über Kopf
**Wild und frei**
Die 24-jährige Laurel ist ein absoluter Kopfmensch und hat als solcher ihr Leben komplett durchgeplant. Umso ungewöhnlicher ist es für sie, sich nach einer Praktikumsabsage zu einer spontanen Tour durch Australien überreden zu lassen. Leider stellt sie erst vor Ort fest, dass es sich dabei nicht nur um einen extremen Abenteuertrip, sondern auch um eine Pärchenreise handelt – und sie ist der alleinige Single. Ihr einziger Lichtblick ist Matty, der überaus charmante Reiseleiter. Als dieser jedoch infolge eines Unfalls aussetzen muss, hat sie plötzlich seine arrogante Vertretung Nate am Hals. Und dessen nervtötende Art treibt sie nicht nur immer tiefer in den gefährlichen Dschungel, sondern lässt auch ihr Herz schneller schlagen denn je …
Buch lesen
Vita
Danksagung
© Anna-Lisa Konrad
Gina Heinzmann hat während ihres Schauspielstudiums die Freude am Erfinden zauberhafter Welten für sich entdeckt. Wenn sie nicht schreibt oder arbeitet, reist sie rund um den Globus, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Ob studieren in Kalifornien, ein Praktikum in Brasilien oder ein Backpacking-Trip durch Costa Rica – ihre Erlebnisse und Erfahrungen sind eine wichtige Grundlage und Inspiration für die Geschichten, die sie erzählt.
Die Welt ist voller Wunder, die es zu entdecken und zu leben gilt.
Nervös starre ich auf die E-Mail, die mich ungeöffnet vom Monitor meines auf dem Esstisch vor mir stehenden Laptops aus anblinkt. Schon so oft habe ich jetzt die Betreffzeile gelesen und versucht sie auf alle nur erdenklichen Arten zu interpretieren, dass die Buchstaben bereits vor meinen Augen verschwimmen. Mehrfach habe ich einen Finger in Richtung der Maus ausgestreckt, nur um in letzter Sekunde innezuhalten.
Langsam lasse ich meinen Blick über die E-Mail-Adresse des Absenders wandern. Die Wichtigkeit hinter den auf mich wartenden Worten ist mir nur allzu bewusst. Mit jedem zurückgelegten Buchstaben beschleunigt sich mein Herzschlag etwas mehr und das Gefühl der düsteren Vorahnung zieht mich fester in ihren unbarmherzigen Griff.
Ich weiß, ich könnte mein Leiden ganz leicht beenden, indem ich das Schriftstück endlich öffne. Aber ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, mich dem Unausweichlichen zu stellen. Damit würde ich mir den letzten Rest der Illusion nehmen, dass es sich bei dieser E-Mail um irgendeine Art von freudigen Nachrichten handeln könnte. Denn auch wenn ich den genauen Inhalt noch nicht kenne, weiß ich jetzt schon, dass dieser Text keine Glücksgefühle in mir auslösen wird, sondern den Anfang meines persönlichen Endes der Welt bedeutet.
Bis vorhin hatte ich noch geglaubt, mein Leben könnte nicht besser sein. Alles schien geradezu perfekt. Ich habe eine tolle Familie, die mich in allem, was ich tue, unterstützt. Besonders mein Vater ist immer für mich da. Unzählige Male hat er betont, dass ich ihn sofort anrufen soll, wenn ich einmal seine Hilfe brauche oder nicht weiterweiß – egal zu welcher Uhrzeit. Ein Angebot, von dem ich bereits diverse Male Gebrauch gemacht habe. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass mein Dad es bereut, seine Worte nicht etwas spezifiziert zu haben. So ist ein Problem mit meinem Drucker zwar ärgerlich, jedoch in seinen Augen sicherlich nichts, worum man sich um vier Uhr nachts hätte kümmern müssen.
Ich gebe zu, im Laufe der Jahre habe ich mir ein wenig zu sehr angewöhnt, die heimischen Hallen anzurufen. Etwas, das meine beste Freundin Bianca mir ständig vorwirft. Laut ihr bin ich nicht halb so selbstständig, wie ich im Alter von dreiundzwanzig Jahren sein könnte und sollte.
Apropos Bianca. Sie zählt auch zu den Dingen, die mein Leben wahrhaft großartig machen. Mit ihr zusammen wohne ich in einem tollen Dreizimmerapartment. Sie ist nicht nur die beste Freundin, die man haben kann, sondern obendrein die fantastischste Mitbewohnerin der Welt. Die ganz nebenbei bemerkt von ihren überreichen Eltern selbst ziemlich verwöhnt wird, was uns jede Menge Vorteile verschafft. Neue Möbel, angesagte Küchenutensilien oder auch ein großzügiger Zuschuss zu den monatlichen Mietkosten – um das Wohl ihrer einzigen Tochter zu gewährleisten, ist dem Ehepaar van Nieuwenborg kein Preis zu hoch. Diese finanzielle Unterstützung ist auch der Grund, warum wir, beziehungsweise ich mir die wahnsinnig schöne, allerdings auch wahnsinnig teure Wohnung inmitten von Seattles angesagtestem Viertel überhaupt leisten kann.
Im Großen und Ganzen kann man also sagen, im Bereich Familie und Freunde läuft es gut bei mir. Okay, ich habe im Moment keinen Partner und vielleicht wird es mal wieder Zeit, mich in den Datingpool zu werfen. Aber ich war nie eins dieser Mädels, die sich ohne Freund unvollkommen und verloren fühlen. Meine Devise ist: Lieber single als in falschen Händen.
Bei mir muss der Funke überspringen, damit ich mich auf jemanden einlasse. Dann ist es auch egal, ob ich besagten Traumprinzen schon ein Jahr oder erst eine Woche kenne. In dieser Hinsicht bin ich ein bisschen wie eine dieser Märchenprinzessinnen veranlagt, die jahrelang geduldig darauf warten, dass ihr Seelenverwandter auf einem weißen Pferd angeritten kommt, und dann sofort bereit für ein kitschiges Happy End sind.
Und da ich diese Worte nicht nur so daher sage, sondern wirklich meine, stört es mich nicht, dass ich momentan in keiner Beziehung stecke. Im Gegenteil. Die viele Zeit, die andere mit ihrer besseren Hälfte verbringen, nutze ich, um meinem Lebenstraum näher zu kommen.
Ich will unbedingt im Marketing der großen Unternehmen mitmischen. Das ist meine Welt. Da fühle ich mich zu Hause. Das ist auch der Grund, warum ich in den letzten Jahren meines Studiums voll durchgepowert habe. Ich weiß, je besser meine Noten sind und je jünger ich bin, wenn ich mein Abschlusszeugnis in den Händen halte, desto größer sind meine Chancen, ganz oben mitzuwirken.
Deshalb habe ich in den zurückliegenden Semestern wie eine Verrückte Kurse belegt und gebüffelt und so mein eigentlich dreijähriges Doppel-Masterstudium auf zwei verkürzt. Um den hohen Anforderungen der Firmenbosse gerecht zu werden, ist mir keine Anstrengung zu groß.
Zumindest ist das die Begründung, die ich in den Motivationsschreiben meiner Bewerbungen nennen werde. In Wahrheit hat mein Antrieb für einen frühzeitigen Studienabschluss allerdings weniger mit den Wünschen und Vorlieben der Unternehmen zu tun. Viel mehr ist mein überdurchschnittlicher Einsatz der Tatsache geschuldet, dass meine Familie zwar in allen Bereichen, auf die es ankommt, wundervoll ist, jedoch nicht unbedingt zum wohlhabenden Teil der Gesellschaft gehört. Das bedeutet, dass ich beinahe während meiner gesamten schulischen Laufbahn auf Stipendien angewiesen war. Die Uni ist da keine Ausnahme. Einzig und allein meinen guten Noten verdanke ich überhaupt die Möglichkeit, an einem der angesehenen Elite-Colleges zu studieren.
Damals war ich verständlicherweise überglücklich, als ich die Zusage für meinen Master bekommen habe, auch wenn mir das Stipendium nur für die ersten beiden Studienjahre bewilligt wurde. Ich weiß, dass ich niemals das Geld aufbringen könnte, ein Semester aus eigener Tasche zu bezahlen. Daher habe ich meine Kurse von Anfang an so gelegt, dass ich ein komplettes Jahr einsparen kann. Es war ziemlich anstrengend und oftmals habe ich mir gewünscht, ein ganz normales Studentenleben wie alle anderen führen zu können. Aber ich wusste, ich kann es mir im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten.
Deshalb war ich auch unglaublich erleichtert, als ich vor wenigen Wochen meine letzten Prüfungen hinter mich gebracht habe. Nun steht nur noch eine einzige Sache zwischen mir und meinem Abschluss – und damit meinem Glück: ein sechsmonatiges Praktikum, bei dem ich mein theoretisches Wissen endlich in der Praxis anwenden kann.
Das Beste an der Sache: Besagtes Praktikum würde ich bei meinem absoluten Wunschunternehmen Future Inc. New York absolvieren und damit den Beginn meiner beruflichen Karriere einläuten. Ich kann mein Glück darüber immer noch nicht fassen. Als ich vor einigen Monaten die Zusage in meinem Postfach gefunden habe, ist mein Herz für einen Moment vor Aufregung stehengeblieben, nur um danach mit doppelter Kraft und Motivation weiterzuschlagen. Dieses Gefühl, deinem größten Traum zum Greifen nahe zu sein, ist einfach unbeschreiblich. Es gibt keine Worte dafür. Jedes Mal, wenn ich versuche, welche zu finden, streikt mein redegewandtes Selbst. Stattdessen schleicht sich dieses riesige Lächeln auf meine Lippen und ich fühle mich, als könnte ich die ganze Welt umarmen.
Los gehen soll es bereits am 01. Juli, in genau sechs Wochen. Die Koffer sind quasi schon gepackt. Zumindest habe ich mental eine Liste angefertigt. Ich bin die Art Mensch, die alles immer weit im Voraus planen und vorbereiten muss. Spontanität jagt mir Angst ein. Keine Kontrolle über die Dinge zu haben, die kommen, finde ich furchteinflößend.
Nach all den Jahren harter Arbeit bin ich also so kurz davor, in die freie Wildbahn entlassen zu werden. Oder zumindest war ich das. Bis eben. Jetzt bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Denn vor genau einer Stunde hat die Fassade meines perfekten Lebens Risse bekommen. Ach, was sag ich, Risse … Das sind schon eher gewaltige Klüfte.
Angefangen hat alles mit dem Erhalt dieser E-Mail, die vorhin während meiner letzten Vorlesung in meinem Postfach eingetroffen ist.
Der Akku meines altersschwachen Handys hat leider nur noch zum Lesen der ersten Sätze gereicht, bevor das Gerät den Dienst quittierte und sich selbst in den vorübergehenden, unverdienten Ruhestand entließ. Doch auch wenn ich nur einen Blick auf wenige Zeilen der Nachricht erhaschen konnte, haben diese ausgereicht, um mir vor Augen zu führen, dass mein absolut wasserdichter Plan von der Zukunft langsam, aber sicher undichte Stellen bekommt.
Die E-Mail ist von dem bereits erwähnten Lieblingsunternehmen. An sich ist es nichts Ungewöhnliches, vorab Post zu erhalten. Vor allem, wenn es sich um so ein hochkarätiges und heißbegehrtes Spitzenpraktikum wie dieses handelt. Erst vor wenigen Wochen habe ich eine nette Willkommens-E-Mail erhalten, in der man mir mitteilte, wie sehr sich alle auf meinen Arbeitsbeginn freuen.
Da die heutige Nachricht allerdings mit den Worten »Leider müssen wir Ihnen mitteilen …« beginnt, habe ich die Befürchtung, dass es mit der zuvor ausgedrückten Freude meiner potenziellen Kollegen nicht weit bestellt war.
In meiner Brust bildet sich ein fester Knoten und meine Hände beginnen vor Nervosität zu schwitzen. Ich will diesem Grauen nicht ins Gesicht blicken. Bloß wird sich der Inhalt wohl kaum auf magische Weise verändern, wenn ich nur lange genug warte. Daher sollte ich langsam über meinen Schatten springen und die elende Nachricht öffnen.
Wer weiß, vielleicht mache ich mir ja auch völlig umsonst verrückt und sie wollen mich lediglich wissen lassen, dass ich statt des Büros mit dem Fenster nun doch eine winzige Kammer im hintersten Eckchen bekomme.
Von dieser zweifelhaften Idee ein klein wenig ermutigt, wage ich es endlich, meinen Finger auszustrecken und die E-Mail zu öffnen.
Sehr geehrte Frau Sonke,
zu unserem größten Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir das Angebot bezüglich Ihrer Praktikumsstelle aufgrund firmeninterner Umstrukturierungen kurzfristig zurückziehen müssen. Wir entschuldigen uns vielmals für die dadurch entstehenden Umstände.
Wir sind nach wie vor von Ihren vorbildlichen Leistungen überzeugt und würden es begrüßen, wenn Sie uns Ihre Unterlagen im nächsten Jahr erneut zukommen lassen würden.
Bis dahin verbleiben wir mit recht herzlichen Grüßen,
Andrea Dayton
Hektisch blinzele ich ein paar Mal, um die sich anbahnende Schwärze, die sich vor meinen Augen ausbreitet, zu vertreiben. Mein Herz klopft plötzlich viel zu schnell und ich muss mich an der Kante des Tisches festkrallen, weil sich meine Beine anfühlen, als würden sie jede Sekunde unter mir nachgeben. Das kann nicht wahr sein. Ich muss etwas falsch verstanden haben.
Ich zwinge mich dazu, meine Panik durchflutete Aufmerksamkeit erneut auf den Laptop zu richten. Ganze drei Anläufe brauche ich, bevor der Inhalt der Botschaft es schafft, sich einen Weg durch meine geschockten Gehirnzellen zu bahnen. Danach muss ich es noch zweimal lesen, um zu begreifen, dass das Ganze kein verspäteter Aprilscherz ist.
Nein, dieses Schreiben ist so echt wie die hässlichen Diamantohrstecker, die Bianca zum letzten Geburtstag von ihrer Patentante bekommen hatte. Leider gibt es in beiden Fällen keinerlei Zweifel. (Auch bei den Ohrringen haben wir zunächst gehofft, es würde sich um Fake-Juwelen handeln. Es ist uns unbegreiflich, wie jemand für so etwas Scheußliches ein halbes Vermögen ausgeben könnte. Tja, sie sind echt und noch dazu in irgendein wichtiges Buch eingetragen. Das heißt, wir können die blöden Dinger nicht mal verkaufen, um uns damit einen ausgiebigen Shoppingtrip zu finanzieren, ohne dass Tante Rina davon erfährt.)
Diese E-Mail bestätigt, was ich längst geahnt habe: Aus meinem langersehnten, hart erkämpften Praktikum wird nichts. Zumindest nicht in diesem Unternehmen.
Mir wird schlecht. Mein Magen zieht sich auf eine ganz und gar unangenehme Weise zusammen. Mit jeder Sekunde, die verrinnt, steigt in mir das Gefühl, als würden diese mich hämisch anstarrenden Worte der E-Mail mir langsam den Hals zuschnüren. Fester und fester winden sie sich um meine Kehle, bis mir kaum mehr Luft zum Atmen bleibt.
Warum passiert ausgerechnet mir so etwas? Ich habe doch immer alles getan, was man von mir verlangt hat. Ich bin die vorbildlichste Studentin, die man sich nur vorstellen kann. Ich … Das ist nicht fair! Das ist einfach nicht fair!
Plopp.
Das ist das Geräusch, als meine Träume wie Seifenblasen einer nach dem anderen an den Rückschlägen des Lebens zerplatzt. Ich habe so hart gearbeitet. Ich habe so, so hart gearbeitet. Für nichts.
Der Verlust dieser Stelle wirft mich um ein ganzes Jahr zurück. All die Zeit, die ich investiert habe, um schneller fertig zu werden, ist somit verlorene Liebesmüh. Wenn ich es nicht schaffe, in diesem Semester erfolgreich ein Praktikum zu absolvieren, war die ganze Anstrengung der letzten zwei Jahre umsonst. Dann wird mein Stipendium ablaufen, bevor ich meinen Abschluss in der Tasche habe …
Wo soll ich jetzt auf die Schnelle noch ein Ersatzpraktikum herbekommen? Alle guten Stellen sind bereits seit Monaten vergeben. Auch die zweit-, dritt- und vermutlich sogar die zehntklassigen Plätze sind mittlerweile mit Sicherheit besetzt. Ich kann doch nicht ein Praktikum in einem dieser mickrigen Fast-Food-Restaurants machen, wo sie so verzweifelt nach Angestellten suchen, dass sie auch Last-Minute-Bewerberinnen einstellen. Das würden meine Professoren niemals akzeptieren. Alles muss in diesen Kreisen Rang und Namen haben, damit es von Bedeutung ist. Und selbst wenn ich wie durch ein Wunder doch damit durchkommen würde – wäre ich wirklich bereit, meinen großen Traum gegen dagegen einzutauschen? Mein aufgebracht klopfendes Herz sagt Nein.
Aber wenn ich mein Studium dieses Jahr nicht abschließe, werde ich im nächsten Semester an ein Community College wechseln müssen. Das wär’s dann mit meinen großen Zukunftsplänen. Was mache ich denn jetzt?
***
Seit ungefähr vier Stunden liege ich in einer Art Schockstarre auf unserer gemütlichen, mit vielen Kissen ausgestatteten Eckcouch und starre Löcher in die Luft. So lange ist es her, dass ich die Hiobsbotschaft gelesen habe. Seitdem fehlen mir einfach die Kraft und die Motivation, um mich zu bewegen und irgendetwas zu tun. Wozu auch? Bob’s Burger wird mich morgen ebenfalls noch nehmen. Schließlich werde ich höchstwahrscheinlich die einzige Kandidatin mit einem 1,0-Notendurchschnitt sein, die sich jemals dort bewerben wird.
Aus den Augenwinkeln werfe ich einen Blick auf mein Handy. Es ist fast zwanzig Uhr. Bianca müsste demnach bald nach Hause kommen. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Auf der einen Seite kennt mich niemand besser als die verrückte Blondine, mit der ich mir seit knapp vier Jahren diese Wohnung hier teile. Auf der anderen Seite kennt mich nun mal niemand besser als diese verrückte Blondine, mit der ich mir die Wohnung hier teile.
Bianca wird mir definitiv auf den ersten Blick ansehen, dass es mir nicht gut geht. Vor ihr kann ich absolut nichts geheim halten. Und so schön es auch wäre, ihr mein Herz auszuschütten, im Moment befinde ich mich noch im Status der Verleugnung, welcher um Längen besser ist als der totale Zusammenbruch, der in Kürze eintreffen wird. Ich weiß das. Schließlich kenne ich mich schon eine ganze Weile. Wenn die Tränen erst einmal anfangen zu fließen, gibt es kein Halten mehr. Nicht umsonst werde ich von meiner Familie auch liebevoll »die kleine Sintflut« genannt.
Da ich in der Regel ziemlich hart für meine Ziele arbeite und nichts dem Zufall überlasse, kommt es höchst selten vor, dass ich einmal die Fassung verliere. Aber wenn doch … ist es kein besonders schöner Anblick. Verquollene, rot leuchtende Augen, eine unaufhörlich laufende Schniefnase und unansehnliche, hektische Flecken am Hals und auf den Wangen sind nur einige der Symptome, mit denen sich mein innerer Schmerz nach außen hin widerspiegelt.
Das Geräusch eines sich im Schlüsselloch umdrehenden Schlüssels lenkt mich von meinen deprimierenden Gedanken ab. Für eine Hundertstelsekunde überlege ich, ob ich nicht besser die Flucht ergreifen und mich in mein Zimmer verkriechen soll, gebe die Idee aber genau so schnell wieder auf, wie sie gekommen ist.
Erstens würde ich damit das Unvermeidliche nur herauszögern und zweitens bin ich absolut unsportlich. Nie im Leben würde ich es rechtzeitig bis in die schützenden Mauern meiner eigenen vier Wände schaffen. Vermutlich nicht einmal von der Couch. Manche Menschen sind mit einer gewissen Grazie geboren und lassen jede noch so anstrengende Bewegung elegant und schwerelos wirken. Ich gehöre definitiv nicht dazu. Körperbeherrschung ist einfach nicht mein Ding.
Ich ergebe mich gedanklich meinem Schicksal und zähle die Sekunden, bis meine beste Freundin ins Wohnzimmer gestürmt kommt, um mir wie jeden Abend, meistens über einem Gläschen Wein, von den Erlebnissen ihres Tages zu berichten.
Bianca arbeitet seit einem halben Jahr neben ihrem Studium als Assistentin eines reichen Firmenchefs, der zufällig mit dem Gründer des Modelabels befreundet ist, für das sie später unbedingt einmal als Creative Director arbeiten möchte. Meine liebe Mitbewohnerin ist mir in keiner Weise unterlegen, was Ehrgeiz und Einsatz betrifft.
Ich versuche, mir ein etwas weniger gequältes Lächeln ins Gesicht zu zaubern, während ich auf meine quirlige Freundin warte.
Bianca-Showtime in …
5 …
4 …
3 …
2 …
1 …
Los!
Von meinem Posten auf der Couch aus beobachte ich, wie Bee schwungvoll die Wohnungstür öffnet, ihre schicke neue Designerhandtasche achtlos auf den Boden im Flur fallen lässt und ohne Umschweife zu mir ins Wohnzimmer stürzt.
»Laaaauuuuurel! Du hast keine Ahnung, was mir heute passiert ist! Es war so unangenehm!« Mit einer dramatischen Geste lässt sich meine Mitbewohnerin neben mich auf die Couch fallen, während sie ihre Schuhe von den Füßen kickt und sich gleichzeitig von ihrer schicken Arbeitsbluse befreit. Die, O-Ton Bianca, zwar megagut aussieht, aber dermaßen unbequem sei, dass kein normaler Mensch so etwas tragen würde, wenn er es nicht müsste. Bee ist eher der sportliche Typ und bevorzugt in der Regel eines ihrer vielen farbenfrohen Tanktops, in dem sie mir jetzt gegenübersitzt.
»Du erinnerst dich bestimmt noch an diesen niedlichen Typen, von dem ich dir erzählt habe. Der, der seit kurzem bei uns arbeitet.« Ich bin froh, dass Bianca zumindest für den Moment so durch ihr eigenes Drama abgelenkt ist, dass sie meines nicht sofort bemerkt. Daher gehe ich auch nur zu gern auf das Thema ein.
»Du meinst den, dessen Namen niemand aussprechen kann, weswegen ihr ihn alle nur ›Boywonder‹ nennt?« Ich kann mich noch sehr gut an Biancas schwärmende Worte erinnern, als sie versucht hat, besagten Wunderknaben zu beschreiben. Der Kerl muss eine Art Adonis sein, gepaart mit einem Hauch modernem Badboy. Ich würde zu gerne ein Foto von ihm sehen, doch leider sind Biancas bisherige Stalking-Versuche allesamt fehlgeschlagen.
»Genau. Jedenfalls war der Typ heute irgendwie mies drauf. Und nachdem er mich zum dritten Mal wegen einer Kleinigkeit, die nicht meine Schuld war, blöd angemacht hatte, hab ich einfach zurückgeblafft. Ich weiß, technisch gesehen, ist er mein Vorgesetzter, aber ich muss mir ja nicht alles gefallen lassen, oder? Jedenfalls ist das Ganze dann in einen kleinen Streit ausgeartet, was an sich kein Weltuntergang ist. Ich hatte mir auch ehrlich gesagt kaum mehr Gedanken darüber gemacht und unsere Auseinandersetzung schon fast wieder vergessen, als ich kurz vor Feierabend zufällig herausgefunden habe, warum der gute Herr den ganzen Tag so schlechte Laune hatte. Er hatte Stress mit seinem Freund!« Bianca wirft mir vielsagende Blicke zu, die ich allerdings trotz größter Bemühungen nicht zu entziffern vermag.
»Ähm … okay? Das tut mir sehr leid für ihn und ich hoffe, die beiden können die romantischen Wogen wieder glätten. Allerdings ist mir nicht so ganz klar, was das mit dir zu tun hat.«
»Dass du das nicht verstehst, liegt daran, dass du noch nicht weißt, wer sein Freund ist!«
Abwartend sehe ich Bianca an, in der Hoffnung, dass sie mich aus meiner Unwissenheit erlöst und ich somit endlich das Ausmaß ihres Dilemmas nachvollziehen kann. Als Bee jedoch nach einigen Sekunden immer noch keinen Ton von sich gegeben hat, hake ich vorsichtig nach. »Muss ich raten oder sagst du es mir auch so?«
»Gordon Leroy!«, stößt meine Freundin in einem schauderhaften Kreischton aus, der meine Ohren klingeln lässt, und vergräbt dann mit einem Stöhnen ihr Gesicht in ihren Händen. Gordon Leroy … Gordon Ler… Woher kenne ich diesen Namen noch gleich? Ist das nicht …? Die Erkenntnis schlägt ein wie ein Blitz.
»Moment! Der Gordon Leroy? Der Typ, der das Modelabel leitet, bei dem du unbedingt unterkommen willst?«
»Ja! Der Mann ist mein persönlicher Held. Und ausgerechnet ich habe mich heute mit seinem Boyfriend gezofft und diesen quasi als eingebildeten Nichtsnutz beschimpft. Wie soll ich Mr Leroy jetzt jemals davon überzeugen, dass ich die Richtige für On Point bin? Das Ganze ist eine Katastrophe!«
Oje. Jetzt verstehe ich langsam, warum Bianca so aufgebracht ist. Die Vorstellung, mich mit einer für meinen potenziell zukünftigen Chef wichtigen Person zu streiten, würde mir auch nicht behagen.
Tröstend lege ich Bee einen Arm um ihre Schultern. »Mach dich nicht verrückt. Der Kerl wird wohl professionell genug sein, Privates nicht mit Geschäftlichem zu vermischen. Und überhaupt. Wer weiß, ob die beiden noch zusammen sind, wenn du das Studium abgeschlossen hast! In einem Jahr kann viel passieren.«
Aufmunternd lächele ich meine beste Freundin an. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sie sich gerade fühlt. Für On Point zu arbeiten ist ihr großer Traum. Es würde sie am Boden zerstören, sollte er nicht in Erfüllung gehen.
Wie furchtbar es sich anfühlt, wenn einem eine Tür, durch die man unbedingt hindurch wollte, vor der Nase zugeknallt wird, weiß ich seit heute ja aus eigener Hand. Ich hoffe inständig, dass Bee diese Erfahrung erspart bleiben wird.
Bei dem Gedanken an meine missliche Lage muss ich schlucken. Ehrlich gesagt kann ich es immer noch nicht fassen, dass meinen Plänen heute der Riegel vorgeschoben wurde. Sobald ich tiefer darüber nachdenke, was das für mich und meine Zukunft bedeutet, wird mir ganz schlecht.
Meine beste Freundin wäre natürlich nicht meine beste Freundin, wenn sie meinen Stimmungsumschwung nicht augenblicklich registrieren würde.
»Hey, was ist los? Ich hab einen guten Grund, geknickt zu sein, aber welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Müsstest du nicht vor Freude im Dreieck springen und mit einem strahlenden Lächeln an der Packliste für dein Praktikum an der Ostküste arbeiten?«
»Tja, das müsste ich wohl, wenn ich übernächsten Monat auch tatsächlich nach New York reisen würde.« Angestrengt versuche ich, die Niedergeschlagenheit aus meiner Stimme zu verbannen, bin aber sicher, dass mir das nur leidlich gelingt.
»Was meinst du mit ›wenn ich reisen würde‹? Warum solltest du das nicht tun? Es ist doch schon alles gebucht. Ist irgendetwas mit deiner Familie? Oder hast du kalte Füße bekommen? Oder …«
»Sie wollen mich nicht mehr!«, unterbreche ich Biancas wilde Theorien, wobei die Worte zugegebenermaßen etwas harscher und lauter aus meinem Mund kommen, als ich es beabsichtigt habe.
Geschocktes Schweigen folgt meinem kleinen Ausbruch. Ich kann Bianca ansehen, dass sie darauf wartet, dass ich den Satz zurücknehme, darüber lache und ihr verkünde, sie reingelegt zu haben. Aber da wird sie sich verdammt viel Zeit nehmen müssen. Denn so hart diese Worte sind und so weh sie tun, sie sind leider Gottes wahr und unwiderruflich.
Langsam scheint das auch meine beste Freundin zu kapieren. Ich kann in ihrem Gesicht den Moment ablesen, in dem sie begreift, dass ich keinen schlechten Scherz gemacht habe. Das tiefe Mitgefühl, welches sich augenblicklich in ihren Augen widerspiegelt, füllt die meinen mit Tränen. Wortlos deute ich auf meinen Laptop mit der noch immer geöffneten, verhängnisvollen E-Mail, die so verheerende Auswirkungen auf mich und meine Zukunft hat. Bianca braucht nur einen einzigen Anlauf, bis sie verstanden hat, dass es für mich kein »happily ever after« nach meinem Studium gibt. Zumindest nicht sofort.
»O Süße, das tut mir so unendlich leid! Komm her!« Mit einem haltlosen Schluchzen werfe ich mich in die wartenden Arme meiner besten Freundin. Die Schleusen zu meinen Tränenkanälen sind jetzt offiziell geöffnet.
Die leise gemurmelten, beruhigenden Worte von Bee dringen kaum zu mir durch, als ich mir all meinen Frust und meinen Ärger über diese Ungerechtigkeit von der Seele heule. Ich versuche ja wirklich immer, positiv zu sein, aber jetzt gerade würde ich mich am liebsten in ein tiefes, dunkles Loch verkriechen und nie wieder daraus hervorkommen.
***
Ich weiß nicht, wie lange ich weinend in Biancas Armen lag. Irgendwann wurde aus den sintflutartigen Tränen ein leichtes Tröpfeln, bis schließlich auch das versiegte. Mittlerweile fühle ich mich vollkommen leer und ausgelaugt. Meine Augen brennen und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schrecklich rot und verquollen sind. Zum Glück habe ich keinerlei Termine für den nächsten Tag, denn dieses Grauen würde kein Make-up und kein Concealer dieser Welt überdecken können.
Dass ich morgen ausnahmsweise keinen meiner vielen freiwilligen Zusatzkurse oder Lernsessions an der Uni habe, ist auch der Grund, warum ich gerade dem Versuch nachgebe, meinen Kummer in dem von Bee angeschleppten Wein zu ertränken. Normalerweise bin ich eher zurückhaltend, was Alkohol betrifft. Aber heute, finde ich, habe ich mir eine Auszeit verdient. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Bianca scheint das ähnlich zu sehen, jedenfalls füllt sie pausenlos mein Glas wieder auf und ist dabei jedes Mal ziemlich großzügig.
»Weißt du, irgendwie haben wir im Moment beide ziemlich viel Pech. Du mit deinem Praktikum und ich mit diesem blöden Seminar, das ich nachholen muss. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich die Abgabefrist für die Hausarbeit verpasst habe und deshalb meinen Urlaub mit Steve nicht antreten kann!«
Mir tut es wahnsinnig leid, dass Bianca ihren Trip absagen muss. Sie hatte sich schon so darauf gefreut, endlich einmal mit ihrem Freund zu verreisen. Anstatt bald Australiens herrliche Landschaften zu erkunden, darf sie den genommenen Urlaub dazu verwenden, besagte Hausarbeit neuzuschreiben, die sie innerhalb der nächsten sechs Wochen einreichen muss.
»Wir haben beide so hart gearbeitet und trotzdem nichts davon. Das Leben ist nicht fair!«, stimme ich ihr verdrießlich zu. »Aber da ich jetzt jede Menge Zeit habe, kann ich dir wenigstens bei deinen Aufgaben helfen.« Der Gedanke, die nächsten Wochen nicht alleine zu Hause zu hocken, hat etwas ungemein Tröstliches. Natürlich würde ich meiner besten Freundin ihren Urlaub von Herzen gönnen, doch wie sagt man so schön: »Geteiltes Leid ist halbes Leid«?
»Laurel! Das ist es!« Bianca ist so schnell von der Couch aufgesprungen, dass das kleine Tischchen, welches als Ablage für sämtlichen Krimskrams dient und zurzeit auch unsere Weingläser beherbergt, ganz schön ins Wanken gerät. Nur mit Müh und Not gelingt es mir, eine bordeauxrote Katastrophe auf unserem cremefarbenen Kuschelteppich zu verhindern. Den Fleck hätten wir nie wieder wegbekommen. Das weiß ich. Schließlich ist das schon Teppich Nummer drei.
»Laurel, das ist es!«, wiederholt Bee mit vor Aufregung glänzenden Augen. Was hat sie denn auf einmal?
»Was meinst du?«
»Du hast Zeit! Und ich nicht!« Verwirrt blicke ich meine von einem Bein aufs andere hüpfende beste Freundin an. Ich habe das Gefühl, gerade etwas Wichtiges verpasst zu haben, aber keine Ahnung, was es sein könnte.
»Ich verstehe immer noch nicht, was du meinst.«
»Du hast Zeit und ich nicht. Du hast Zeit und ich habe einen Trip, den ich nicht antreten kann. Das ist genial!«
Zweifelnd sehe ich Bianca an. »Bist du schon betrunken? Was du da sagst, ergibt nämlich nicht im geringsten Sinn.«
Bianca lässt sich von meinem kleinen Seitenhieb nicht beirren und strahlt mich stattdessen über das ganze Gesicht an. Ihre blassblauen Augen funkeln dabei mit dem hellen Deckenlicht unserer Wohnzimmerlampe um die Wette. Was um Himmels willen hat sie vor, das es vermag, sie innerhalb von wenigen Augenblicken derartig aufzuheitern?
»Na, ganz einfach! Du hast jetzt Zeit, also machst du den Trip an meiner Stelle!«
»Ich?« Einen Moment kann ich Bianca nur mit offenem Mund anstarren. Meint sie das etwa ernst?
»Ja, das ist doch die perfekte Lösung!«
»Du willst, dass ich mit deinem Freund in den Urlaub fliege?« Ich werfe Bee einen skeptischen Blick zu. Wir teilen uns ja echt viel und damit habe ich normalerweise auch überhaupt kein Problem. Aber das geht in meinen Augen dann doch ein bisschen zu weit.
»Natürlich nicht! Steve bleibt schön hier bei mir. Schließlich brauche ich ja jemanden an meiner Seite, bei dem ich mich über die Ungerechtigkeit des Lebens beschweren kann und darüber, dass meine beste Freundin gerade all die tollen Sachen erlebt, die ich eigentlich für mich geplant habe.«
»Du willst also, dass ich nach Australien fliege und da an deiner Stelle Urlaub mache?«
»Ja.«
Ich spüre, wie mein Herz bei Biancas leicht daher gesagten Antwort einen Schlag aussetzt. »Ich? Alleine? Solltest du als meine beste Freundin nicht wissen, dass das eine ganz und gar schlechte Idee ist? Ich finde ja nicht mal den Weg zum Supermarkt, wenn er mehr als drei Blocks entfernt ist! Wie soll ich da bitte ohne fremde Hilfe am anderen Ende der Welt zurechtkommen?« Schon der Gedanke daran, wie ich orientierungslos durch unbekannte Gefilde irre, bringt meinen Puls zum Rasen und lässt meine Hände in Biancas Griff ganz schwitzig werden.
»Erstens bist du nicht komplett alleine, es handelt sich nämlich um eine Gruppenreise. Und zweitens würde es dir echt mal guttun, hier rauszukommen und ein bisschen Spaß zu haben. Ganz ehrlich, wann hattest du zuletzt Urlaub, der nichts mit der Uni zu tun hatte? Immer wenn wir irgendwohin gefahren sind, hast du es geschafft, unsere freien Tage für irgendwelche Recherchezwecke zu missbrauchen. Das hier ist die Gelegenheit für dich, etwas Neues auszuprobieren!«
Bees Worte treffen mich mehr, als sie es vermutlich beabsichtigt hat. Meine beste Freundin hat recht. Ich habe schon lange keinen wirklichen Urlaub mehr gemacht. Wann immer Bianca mich einlud, sie für ein Wochenende zu begleiten, habe ich darauf geachtet, die Zeit hauptsächlich für Uniprojekte zu nutzen. Nur so konnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, dass sie bei diesen Ausflügen für sämtliche Kosten aufkam.
»Das klingt in der Theorie zwar ziemlich nett, aber du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht der Typ für Abenteuer bin.«
»Nein, das weiß ich nicht. Und du weißt das übrigens auch nicht, meine Liebe, schließlich hast du noch nie eins gehabt!«
»Du bist verrückt!« Mehr fällt mir auf dieses völlig absurde Angebot gerade nicht ein.
»Und du bist es normalerweise nicht. Deshalb wäre der Trip auch so perfekt für dich! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du endlich mal lernen musst, nicht immer alles kontrollieren zu wollen. Sehnst du dich nicht danach, einfach mal loszulassen?«
»Nicht wirklich, nein. Der Gedanke, nicht zu wissen, was am nächsten Tag auf mich zukommt, ist so überhaupt nicht verlockend.« Wie gesagt, Spontanität ist nicht so meins. Etwas, was meine beste Freundin seit langem weiß, auch wenn sie des Öfteren versucht, diese Tatsache zu ignorieren.
»Laurel, spring doch ein einziges Mal über deinen Schatten! Bitte, tu mir den Gefallen.«
»Selbst wenn ich aus einem Anflug von Größenwahnsinn plötzlich die Lust verspüren würde, meinen inneren Abenteurer zum Leben zu erwecken, weißt du genau, dass ich mir einen solchen Luxusurlaub niemals leisten könnte. Erst recht nicht jetzt, wo ich keine Ahnung habe, was die Zukunft bringt.«
»Um das Finanzielle brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Der komplette Trip ist bereits bezahlt und da wir so kurzfristig absagen müssen, bekommen wir die Reise auch nicht erstattet. Das Geld wäre so oder so weg. Und ich würde mich viel besser fühlen, wenn ich wüsste, dass wir es nicht sinnlos zum Fenster rausgeworfen haben und stattdessen dir eine Freude damit machen können.«
Überrascht stelle ich fest, dass Bianca die Sache tatsächlich am Herzen zu liegen scheint. Bis eben habe ich gedacht, dass das alles nur eine fixe Idee von ihr ist, die sie sich schnell wieder aus dem Kopf schlagen wird. Aber offensichtlich ist es ihr ernst, sonst würde sie nicht die scharfen Geschütze auffahren. Das Argument der Verschwendung stößt bei mir nämlich nur sehr selten auf taube Ohren. Diesmal wird sie damit allerdings keinen Erfolg haben. Denn selbst, wenn ich für diese Reise keinen Penny zahlen muss, bin ich der letzte Mensch auf Erden, dem man mit dieser Art von Urlaub eine »Freude« macht.
Nein, wenn ich mich die nächsten Wochen schon nicht wie geplant auf ein vernünftiges, nicht burgerbezogenes Praktikum vorbereiten kann, werde ich mich stattdessen in meinem Zimmer vergraben und all die Bücher lesen und Filme gucken, für die ich bisher keine Zeit hatte. Ganz bestimmt werde ich mich nicht mit fremden Menschen irgendwo durch den australischen Dschungel schlagen. Erst recht nicht auf Kosten von Bee. Und das lasse ich meine beste Freundin auch wissen.
»Das ist ein völlig beknackter Vorschlag. Und ich bin mir sicher, du wirst mir da zustimmen, sobald du morgen wieder nüchtern bist!«
Nervös kontrolliere ich zum gefühlt hundertsten Mal, ob die angegebene Flugnummer auf dem Ticket mit der hier am Gate übereinstimmt. Und zum gefühlt hundertsten Mal bestätigen mir meine Blicke, dass ich mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort befinde. Obwohl man sich über den philosophischen Kern dieser Aussage durchaus streiten könnte. Ich bin mir nämlich alles andere als sicher, gerade das Richtige zu tun.
Die letzten zwei Wochen habe ich damit verbracht, unzählige Bewerbungen an sämtliche nur erdenkliche Unternehmen dieser Welt zu verschicken, in der Hoffnung, dass irgendwo noch ganz spontan eine Praktikantin für das Herbstsemester gesucht wird. Dabei bin ich sogar meinen Vorsätzen untreu geworden, mich nur auf die Staaten zu konzentrieren. Ursprünglich hatte ich geplant, zumindest auf demselben Kontinent wie meine Familie zu bleiben. Da ich mittlerweile jedoch mehr als nur verzweifelt bin, würde ich sogar ein Angebot in Timbuktu in Betracht ziehen.
Fünfundzwanzig E-Mails habe ich verschickt und bisher acht Absagen erhalten.
In den letzten Tagen musste ich mich jeden Morgen dazu zwingen, in mein Postfach zu gucken, so groß war meine Panik vor dem, was mich erwarten würde. Bianca hat schon scherzhaft angedroht, für mich einen Besuch beim Therapeuten ihrer Mom zu arrangieren, sollte ich es nicht schaffen, mein neu erstandenes Trauma bezüglich ungelesener E-Mails in absehbarer Zeit zu überwinden.
Die ganze Warterei und die ständige Angst vor schlechten Nachrichten haben mich wahnsinnig gemacht. Und die Tatsache, dass es keinerlei Ablenkung von meiner misslichen Lage und dem damit verbundenen Frust gab, hatte gehörig sowohl an meinem als auch am Nervenkostüm meiner besten Freundin genagt.
Nach nur einer Woche waren wir uns beide einig, dass irgendetwas geschehen musste. Und noch zwei Tage später hatte Bee mich tatsächlich so weit, dass ich mich immer öfter dabei erwischte, wie ich in Gedanken eine Packliste für Australien anfertigte. Bianca hatte natürlich sogleich meinen geschwächten Widerstand gewittert und Nägel mit Köpfen gemacht. Bevor ich auch nur die Chance gehabt hatte zu protestieren, hielt ich schon Flugticket und Reiseplan in der Hand.
Beides liegt übrigens gerade auf dem freien Sitz neben mir, während ich darauf warte, dass endlich zum Boarding aufgerufen wird.
Ich kann nicht glauben, dass ich dieser Schnapsidee zugestimmt habe. Ausgerechnet ich. Normalerweise plane ich alles und überlasse so wenig wie möglich dem Zufall. Was vermutlich aus all den Jahren resultiert, die ich damit verbracht habe, akribisch meine Zukunftsträume zu verfolgen und einem Stipendium nach dem anderen hinterherzujagen. Für Spontanität und das Erleben neuer Dinge war in meinem Leben bisher einfach kein Platz. Mittlerweile brauche ich deshalb immer etwas zum Festhalten. Ein Gerüst, auf das ich mich stützen kann.
Jetzt gerade fühle ich mich aufgrund meiner bevorstehenden Reise ins Unbekannte allerdings, als würde ich ohne ein Sicherheitsnetz auf einem wackeligen Seil balancieren und der Boden ist meilenweit entfernt. Ich kann quasi schon den Wind spüren, wie er mir um die Ohren pfeift, sobald ich endgültig das Gleichgewicht verliere und in die Tiefe stürze. Der Aufprall ist unausweichlich und wird mit Sicherheit schmerzhaft werden.
Das Bild in meinem Kopf ist klar und fühlt sich so echt an, dass ich einen Moment brauche, um mich davon zu überzeugen, dass ich mich gerade nicht in luftiger Höhe befinde, sondern nach wie vor an Gate 25, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend. Ich atme tief durch, um meine angespannten Nerven etwas zu beruhigen. Der gewünschte Effekt bleibt jedoch aus und ich muss die Finger in die Lehne des Sitzes krallen, um mich daran zu hindern, die Flucht zu ergreifen. Alles in mir schreit danach, aufzustehen und zu gehen.
Ich verfluche meine beste Freundin innerlich, dass sie mich hierzu überredet hat.
Bianca musste mir im Gegenzug hoch und heilig versprechen, mir augenblicklich und ohne Fragen zu stellen einen Rückflug zu buchen, sollte ich zu dem Entschluss kommen, dass Australien und die damit verbundene Freiheit nichts für mich sind. Einzig und allein diese Tatsache konnte mich heute Morgen dazu bewegen, ein Taxi zu nehmen und zum Flughafen zu fahren. Außerdem hat Bee geschworen, sich um mein E-Mail-Postfach zu kümmern und es mich sofort wissen zu lassen, sollte sich mein Status von »Praktikum suchend« auf »Praktikum gefunden« umstellen.
Tja, jetzt bin ich also hier. Skeptisch wie eh und je und kurz vor einer Panikattacke. Allerdings auch ein ganz kleines bisschen froh, meinem tristen Alltag für eine Weile zu entkommen. Obwohl ich sagen muss, dass mir deutlich wohler zu Mute wäre, wenn es sich bei der Flucht aus meinem Leben nur um ein paar Tage statt direkt vier ganze Wochen handeln würde. Doch vielleicht hat Bianca ja recht mit ihren Worten.
Möglicherweise ist es wirklich an der Zeit, dass ich mich von dem Kontrollfreak in mir verabschiede und mich kopfüber in ein Abenteuer stürze. Dass ich einfach mal die Zügel aus der Hand gebe und stattdessen andere machen lasse. Ich habe keine Ahnung, wie ich das anstellen soll, aber vielleicht hilft es ja schon etwas, wenn ich mir diese Worte regelmäßig ins Gedächtnis rufe. Zum Beispiel immer dann, wenn wir die Pläne für die bevorstehenden Ausflüge genannt bekommen. Ich würde mir vermutlich keine Freunde machen, wenn ich ständig mit Verbesserungsvorschlägen um mich werfe.
Ich hoffe, dass es in der Reisegruppe, der ich die kommenden Wochen angehören werde, ein paar nette Menschen auf meiner Wellenlänge gibt. Ich könnte mir nichts Furchtbareres vorstellen, als einen Monat an der Seite von irgendwelchen Schickimicki-Tantchen zu verbringen. Oder inmitten eines Rudels von Rentnern. Obwohl ich das für eher unwahrscheinlich halte. Bianca ist mehr so der Action-Typ, gemächliche Spaziergänge an der Seite von Walter, Dolores und Co würde sie bei der Zusammenstellung ihres Traumurlaubes bestimmt nicht in Betracht ziehen.
Leider weiß ich bis auf eine grobe Reiseroute nicht wirklich, was mich erwartet. Bee wollte es spannend machen und hat auf meine wiederholten Versuche, etwas aus ihr herauszuquetschen, nur mit »Lass dich überraschen!« geantwortet. Ich hoffe, sie ist sich bewusst, dass sie dadurch ein gefährliches Spiel mit meinen Nerven treibt.
Aufgrund von Bees penetrantem Schweigen kann ich nur mit Gewissheit sagen, dass mein Urlaub in Sydney losgehen und in Cairns enden wird. Daraus schließe ich, dass wir uns wohl an Australiens Ostküste aufhalten werden. Wie genau wir von A nach B kommen und was an den verschiedenen Orten geplant ist, entzieht sich vollends meinen Kenntnissen.
Ich habe mal ein wenig gegoogelt, um mir einen ersten Eindruck von Land und Leuten zu verschaffen, und muss sagen, dass mich die vielfältige Landschaft Australiens ganz schön beeindruckt. Von dichtem Dschungel über traumhafte Strände bis hin zu endlosen Wüstengebieten ist alles dabei. Und ich werde bald mittendrin sein und es aus nächster Nähe betrachten können. Obwohl … ich hoffe, dass ich wenigstens von der Tierwelt etwas Abstand haben werde. Zumindest von allem, was mehr als zwei Beine hat. Und spitze Zähne. Und Giftstacheln. Und im Wasser lebt. Eigentlich könnte ich auf jeglichen Kontakt mit Tieren verzichten. Außer vielleicht Koalas und Kängurus – mit denen könnte ich mich eventuell noch anfreunden. Die sehen zumindest auf den Fotos ganz niedlich aus.
»Flug 275 nach Sydney ist jetzt bereit fürs Boarding. Passagiere der ersten Klasse finden sich bitte vorne am Schalter ein. Danach folgen die Gruppen eins bis fünf. Wir wünschen allen Reisenden einen guten Flug«, ertönt die Stimme aus dem Lautsprecher über mir.
Na endlich. Das Warten hat ein Ende.
Nervös erhebe ich mich aus meinem Sitz, schnappe mir meine Unterlagen sowie meine Tasche mitsamt Kissen und begebe mich an die Spitze der wartenden Menschenmenge. Es hat seine Vorzüge, mit jemandem aus der High Society befreundet zu sein. Ich selbst könnte mir niemals ein Ticket in der ersten Klasse leisten und bin gespannt, was mich gleich erwarten wird. Ob es wirklich so ist, wie man es aus den Filmen kennt? Gegen zwei, drei Gläser Champagner hätte ich jedenfalls nichts einzuwenden. Das wäre doch ein hervorragender Start in meinen allerersten und vermutlich auch einzigen Luxus-Abenteuer-Urlaub in der Ferne.
***
Müde blinzele ich in die helle Morgensonne, die sich ihren Weg durch die feinen, mit Spitze besetzten Gardinen sucht. Ich brauche einige Sekunden, um mich zu orientieren und die fremde Umgebung einzuordnen. Nach kurzer Verwirrung fällt mir ein, dass ich mich in einem Hotelzimmer im Herzen Sydneys befinde. Mit einem wohligen Seufzer strecke ich mich und vergrabe mich dann erneut zwischen den Laken, um so vielleicht meinem Jetlag einige weitere Minuten zu entgehen. Das Bett ist traumhaft. Herrlich weich und somit ganz nach meinem Geschmack.
Bianca beschwert sich immer, dass meine Matratze zu Hause einen Härtegrad von gefühlt minus fünf hat und es einem vorkommt, als würde man auf Wolken liegen und jeden Moment von dem substanzlosen Weiß verschluckt werden. Aber für mich ist das genau das Richtige. Dieses Bett hat schon einmal volle zehn Punkte verdient. Wie es mit dem Rest des Hotels steht, kann ich bisher noch nicht sagen.
Nach der Landung gestern Abend war ich in einer Art Zombiemodus und habe nur am Rande etwas von meiner neuen Umgebung wahrgenommen. Ich freue mich schon darauf, es nachher genauer unter die Lupe zu nehmen. Vor allem das in der Hotelbroschüre angepriesene Wellnessprogramm klingt nach dem langen Flug gestern ziemlich verlockend. Wie sagte Bee vor meiner Abreise noch gleich: »Es ist alles bezahlt. Scheu dich also nicht, sämtliche Angebote in Anspruch zu nehmen.«
Natürlich behagt mir der Gedanke, dass Bianca und Steve für den gesamten Trip aufkommen, nach wie vor überhaupt nicht. Aber das Mindeste, was ich tun kann, um ihnen ihre Großzügigkeit zu danken, ist, zu versuchen, diesen Urlaub aus ganzem Herzen zu genießen.
Bevor ich hier allerdings im Luxus schwelgen kann, sollte ich mich erst einmal fertig machen, wie mir ein schneller Blick auf mein Handy beweist. Laut der Reisebeschreibung soll ich mich heute um zehn Uhr mit meiner Gruppe im Frühstückssalon treffen. Ich habe noch ein bisschen Zeit bis dahin, da ich jedoch nicht genau weiß, was mich erwartet, will ich mich lieber etwas zurechtmachen. Sollte ich doch das zweifelhafte Vergnügen haben, mich die nächsten Wochen mit verzogenen Erbinnen herumzuschlagen, müssen die ja nicht auf den ersten Blick erkennen, dass ich nicht zum Club gehöre. Und falls sich der ein oder andere niedliche Kerl da unten versteckt, kann ein wenig Make-up auch nicht schaden. Ich bin zwar nicht aktiv auf der Suche nach einem Freund, aber ich musste Bee versprechen, potenziellen Traumprinz-Kandidaten zumindest eine Chance zu geben, mich zu beeindrucken. Ziel dieses Urlaubs ist es schließlich mich »von meiner Kontrollsucht loszusagen und mit Spontanität und Abenteuergeist an die Sache heranzugehen«.
Wenn ich Bianca nicht so lieb hätte, wäre ich aufgrund ihrer Wortwahl wohl ziemlich eingeschnappt. Da ich allerdings weiß, dass sie es nicht böse meint und vermutlich auch ein Fünkchen Wahrheit in ihren Predigten steckt, nehme ich mir diese eine mal zu Herzen und versuche in den nächsten Wochen etwas offener gegenüber dem Unbekannten zu sein. Zumal meine übliche Herangehensweise trotz allen Planens nicht zwangsläufig ans Ziel führt, wie die Praktikumsabsage mir bewiesen hat. Eine neue Taktik ist also vielleicht gar nicht so schlecht.
Einen ersten Anfang bildet mein in Rosatönen verzierter Kalender, der aufgeschlagen auf dem Nachttisch neben meinem Bett liegt. Normalerweise ist mein ständiger Begleiter vollgestopft mit allen wichtigen Terminen und Infos, die ich brauche, um Ordnung und Sicherheit in meinem Leben zu haben. Oft sind die Seiten fein säuberlich und gut lesbar bis zur letzten Spalte vollgeschrieben. Jetzt hingegen blicke ich auf gähnende Leere, wo eigentlich Notizen zu meinem heutigen Tagesablauf sein sollten. Ich weiß nicht, wann es das letzte Mal vorgekommen ist, dass ich kein einziges Detail geplant habe. Vielleicht hat es zwischendurch einen freien Morgen oder Abend gegeben, aber niemals eine komplett weiße Seite, die mich blank und leblos anstarrt.
Ich verspüre das dringende Bedürfnis, einen Stift zu nehmen und etwas in das kleine Büchlein einzutragen. Egal was, Hauptsache, da ist nicht diese … Nacktheit.
Ich krame einen Kuli aus meiner Handtasche und kritzele ein schnelles »Frühstück, zehn Uhr« in die erste Spalte des heutigen Datums. Sogleich fühle ich mich viel besser. Es kann wohl keiner erwarten, dass ich von heute auf morgen einen kalten Entzug mache. Solche Dinge brauchen Zeit.
Das ist auch der Grund, warum ich mein rosafarbenes Heiligtum in die Handtasche gleiten lasse, die ich zu meinem anberaumten Treffen mitnehme. Bestimmt werden wir bei dem Frühstück nähere Infos über den Ablauf der nächsten Tage bekommen und da wäre es praktisch, wenn ich mitschreiben kann. Sollte es doch nichts Nennenswertes zu notieren geben, kann ich meinen Kalender immer noch zum Reisetagebuch umfunktionieren. So oder so werde ich meinem Begleiter vorerst treu bleiben.
***
Mit klopfendem Herzen nähere ich mich der doppelten Flügeltür, hinter der sich der Frühstücksraum befinden soll. Eine nette junge Frau an der Rezeption hat mir den Weg beschrieben und so sichergestellt, dass ich mich auf gar keinen Fall verlaufen kann. Es ist kurz vor zehn Uhr und ich möchte ungern schon am ersten Tag zu spät kommen. Trotzdem kann ich mich nicht so recht überwinden einzutreten.
Etwas im Blick der Rezeptionistin, nachdem ich auf ihre Frage, ob ich nicht auf meine Begleitung warten möchte, mit »Ich reise allein« geantwortet habe, hat mich verunsichert. Ich habe ein flaues Gefühl im Magen und eine dunkle Vorahnung, dass ich unmittelbar vor einer großen Enttäuschung stehe. Und das würde mich ehrlich gesagt ziemlich treffen. Denn obwohl ich mich anfangs ganz klar gegen diesen Trip ausgesprochen habe, bin ich mittlerweile bei dem Punkt angekommen, dass ich eine gewisse Vorfreude und Aufregung empfinde, wenn ich an die kommenden Wochen denke.
Wann hat man schon mal die Chance, einen ganzen Monat in Australien zu verbringen? Nicht viele Menschen können hoffen, in diesen Genuss zu kommen. Ich selbst kenne solch exotische Orte bisher auch nur aus dem Fernsehen. Das hier könnte eine einmalige Gelegenheit für mich sein, mal so richtig die Seele baumeln zu lassen, ohne mich dabei ständig mit Zukunftsängsten oder Geldsorgen plagen zu müssen. Daher würde ich wirklich ungern irgendwelche bösen Überraschungen erleben.