Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Eine schicksalhafte Begegnung könnte den Beginn einer neuen Liebe bedeuten - wäre da nicht Ray, der Mann, der Brooke das Glück schenken könnte, auf das sie schon so lange wartet. Nie hätte Andrew erwartet, der Frau noch einmal zu begegnen, für deren Schicksal er mitverantwortlich war. Aber sobald sie ihn wieder erkennen würde, kann ihm nur Hass entgegenschlagen. Doch genau dieser Herausforderung wird er sich stellen müssen, trotz der Rivalität seines Widersachers. Von Holly Summer erschienen: Master 1: Master of my Heart Master 2: Master of my Passion Master 3: Master of my Dreams Master 4: Master of my Feelings Sammelband: Master of my Emotions Boston Bad Boys 1: Secret Stranger Boston Bad Boys 2: Dark Guardian Boston Bad Boys 3: Perfect Lover Two of us: Außer Kontrolle Good Girl
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 454
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Good Girl
Holly Summer
© 2023 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein
Covergestaltung: Ulrike Kleinert – dreamaddiction.de
Alle Rechte vorbehalten
ISBN TB – 978-3-95869-506-1Print in the EU
Besuchen Sie unsere Webseite:
amrun-verlag.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar
v1/23
Prolog
Es ist wieder einmal einer dieser verhängnisvollen Freitagabende, die man am liebsten aus dem Kalender streichen möchte. Als hätte ich es geahnt, dass dieser Tag, noch bevor er sich dem Ende neigt, nichts Gutes bringen würde. Die Bar, in der ich seit einigen Wochen als Aushilfskellnerin arbeite, ist zum Bersten voll. Nicht, dass ich mich jemals darüber beklagt hätte, denn am Ende des Abends werde ich mit einem dicken Trinkgeld nach Hause gehen. Mr. Miller, der Manager des Nobelclubs in Chicago, hatte gerade einem Kellner gekündigt, was unweigerlich dazu führte, dass ich seine Schicht jetzt auch noch übernehmen sollte. Was willst du mehr, Mädchen, doppeltes Trinkgeld für dich, waren die Worte meines Chefs. Dabei grinste er mich so ermunternd an, dass sein Goldzahn aufblitzte und mir nichts anderes übrig blieb, als zuzusagen. Ich nickte also resigniert und willigte ein. Das Geld konnte ich nicht nur gut gebrauchen, es rettete mir vielmehr mein Leben. Denn seit dem schrecklichen Unfalltod meiner Eltern vor einem Jahr, hielt ich mich mit dem Wenigen, das ich bei Aushilfsjobs neben meinem Studium verdiente, über Wasser. Bedienungen werden hier gut bezahlt. Den Job also aufs Spiel setzen, war undenkbar und hätte meine Freundin nicht bei dem Besitzer ein gutes Wort für mich eingelegt, hätte ich niemals die Chance bekommen, in der exklusiven Rooftop Bar zu jobben.
»Brooke, die Drinks für Tisch drei«, ruft Caitland hinter der Theke. Caitland ist für die Cocktails zuständig und arbeitet schon seit einigen Jahren für Mr. Miller. Ich kenne niemanden, der bessere Drinks mixt als sie.
»Bin schon unterwegs«, antworte ich, lehne mich an den Tresen und lasse meinen Blick durch den vollen Raum gleiten, während sie die Gläser auf das Tablett verteilt. Meine Schicht hat gerade erst begonnen und trotzdem wünsche ich mir nichts sehnlicher, als nach Hause gehen zu können und es mir in dem alten Ohrensessel meiner Großmutter mit einer Tüte Nachos und einem guten Buch gemütlich zu machen. Aber daraus wird nichts werden.
»Heute ist hier wieder die Hölle los. Was wollte der Alte von dir?«, ruft mir Caitland zu, während sie sich zu mir über die Theke lehnt, so dass unser Chef, der wie ein Luchs durch die Bar schlendert, seine Gäste begrüßt und ein Auge darauf hat, dass jeder ein volles Glas vor sich auf dem Tisch stehen hat, nichts von unserem Gespräch mitbekommt.
Caitland ist so etwas wie mein Mentor und außerdem meine beste Freundin. Denn seit meine Eltern so plötzlich aus meinem Leben gerissen wurden, hat es sich Caitland zur Aufgabe gemacht, die Mutterrolle zu übernehmen und mich unter ihre Fittiche genommen. Doch für mich ist und bleibt sie die große Schwester, die ich niemals hatte.
»Nichts Besonderes, ich soll die Schicht von Kevin übernehmen.«
»Das ist wieder mal typisch. Der Alte sollte lieber mal darüber nachdenken, noch einige Aushilfen einzustellen oder sich selbst mal ein Tablett mit Gläsern schnappen und seine Gäste bedienen, anstatt wie ein aufgeblasener Gockel zwischen den Tischen herumzuschlendern und die Leute mit seinem Charmeurgequatsche einzuwickeln«, wettert sie mit einem grimmigen Blick zu Mr. Miller, während sie routiniert über die Theke wischt. »Dafür mutet er seinen Angestellten Arbeitszeiten zu, die unmenschlich sind. Aber lass dir von dem alten Esel nicht zu viel aufdrücken«, dabei neigt sie ihren Kopf in Richtung Eingang, an dem Mr. Miller steht und angeregt in ein Gespräch mit einem seiner Gäste vertieft ist. Sein herbes Lachen dringt zu mir herüber.
»Ich bin wirklich froh, diesen Job hier zu haben. Mr. Miller zahlt gut und das Trinkgeld ist auch nicht übel. Du weißt doch, wie sehr ich auf das Geld angewiesen bin.«
Caitland lächelt mich liebevoll an und widmet sich wieder ihren Bestellungen. »Das weiß ich doch. Darum habe ich mich ja auch so ins Zeug gelegt, damit dieser Fuchs dich einstellt.«
»Dafür werde ich dir auch auf ewig dankbar sein.«
»Wozu sind Freunde denn da?«, sagt sie nur schulterzuckend und wendet sich den nächsten Bestellungen zu.
Mittlerweile routiniert schnappe ich mir mein Tablett und balanciere es geschickt durch die engen Reihen zwischen den einzelnen Tischen hindurch. Josh am Piano spielt leise Hintergrundmusik, die von den Unterhaltungen der Gäste im Raum fast verschluckt wird. An meinem Tisch angekommen greife ich zum ersten Glas, um es vor meinen Gast auf den Tisch zu stellen. Sein Blick streift mich interessiert, während er zu mir hochschaut und mich anlächelt. Ich lächle freundlich aber verhalten zurück. Immer höflich sein zu den Gästen! Dann stimmt auch das Trinkgeld, klingen noch die Worte von Mr. Miller in meinen Ohren. Na wenn es weiter nichts ist. Diesen Wunsch kann ich ihm gerne erfüllen. Der Typ, der mit einem anderen Mann im Businessanzug und Vollbart an einem der Zweiertische sitzt, sieht gut aus. Braune, etwas längere Haare, die ihm das verwegene Aussehen eines Badboys verliehen, sind mit Gel nach hinten gekämmt. Wenn ich mich nicht irre, steckt ein athletischer Körper unter seinem Anzug. Er hat eine provozierende Haltung eingenommen, wie er so mit dem Arm an dessen Handgelenk eine teure, silberfarbene Uhr blitzt, über der Rückenlehne vor mir sitzt. Aber es ist letztendlich sein Blick, der sagen will: Ich will dich, Baby!, worüber ich nur innerlich die Augen verdrehen kann, umso länger er mich frech angrinst.Wieder so ein Macho im Businessanzug, der sicher zuhause Frau und Kind sitzen hat, während er auf seine primitive Art versucht, ein Date klar zu machen. Aber das ist absolut kein Typ für mich. Der verschlingt dich zum Abendessen und spuckt dich zum Frühstück wieder aus!, würde Caitland sagen. Wie recht sie doch hat. Mit Männern hat sie Erfahrung. Im Gegenteil zu mir. Im Grunde liegt es sicher an meiner zurückhaltenden - ja fast abweisenden - Art Fremden gegenüber, die ich seit dem Tod meiner Eltern wie ein Schutzschild um mich herum aufgebaut habe. Zumindest konnte ich mir damit bis jetzt die Typen immer vom Hals halten, die glaubten, ich wäre leicht zu haben. Das bin ich nämlich nicht! Um mein Herz zu gewinnen, braucht es schon ein wenig mehr, als einen provozierenden Blick, gutes Aussehen und eine dicke Brieftasche. Und trotzdem wäre es schön, zu jemanden zu gehören, der für mich da ist und mich liebt. Jemanden, dem ich mein Herz ausschütten könnte, wenn ich abends todmüde nach Hause komme. Ein Wunschtraum, der sich mir immer wieder aufdrängt und mich meine Einsamkeit vergessen lässt. Und wenn schon, am Ende würde ich mich doch nicht binden. Zuviel Angst vor Nähe, wie Caitland es nennen würde. Natürlich hat sie Recht, wenn sie von Verlustängsten spricht, falls es wirklich ein Mann schaffen sollte, mein Herz zu erobern. Bin ich nicht mehr fähig, Gefühle aufkommen zu lassen oder gar zu lieben?
Ich verdränge die Gedanken an meine Probleme und meinen Märchenprinzen, der doch nie auf dem weißen Pferd sitzend zur Tür hereinkommt und mich aus den Klauen meines Chefs befreit und konzentriere mich wieder auf meinen Job. Und dann passiert das, was für jede Kellnerin ein Alptraum ist. Die Hand des Typen berührt meinen Po und drückt leicht zu. Völlig schockiert von dieser Unverschämtheit rutscht mir beinahe das Tablett aus der Hand und eines der Gläser kippt um und ergießt sich direkt auf den Schoß des Mannes ihm gegenüber. Die rote Flüssigkeit landet direkt in seinem Schritt und hinterlässt einen riesigen Fleck auf seiner Anzughose, als würde er unter Inkontinenz leiden. Ich muss fast lachen bei der Vorstellung. Unterdrücke natürlich den Impuls, denn sofort springt er entsetzt auf.
»Verflucht! Können Sie nicht aufpassen?!«, schreit er mich an. Ich bin im ersten Moment sprachlos und beschämt und trete einen Schritt zurück. Betreten starre ich auf seine hellgraue Anzughose und wenn er mich nicht so beleidigend angefahren hätte, wäre die Situation fast komisch.
Die Gäste an den Nachbartischen halten sofort mit ihrer Unterhaltung inne, nachdem sie den Aufruhr mitbekommen haben. Sämtliche Köpfe sind auf mich und den Mann im teureren Anzug gerichtet. Getuschel dringt an mein Ohr und ich müsste mich schon schwer verhört haben, aber auch das schadenfrohe unterdrückte Lachen einiger Anwesender ist nicht zu überhören. Das Glas, das gerade noch auf meinem Tablett gelegen hat, landet zu allem Übel jetzt auch noch klirrend auf dem Fliesenboden vor seinen Füssen. Ich schließe für eine Sekunde die Augen und wünschte, der Boden unter mir würde sich öffnen und mich einfach verschlingen. Okay, jetzt nur nicht die Nerven verlieren, Brooke! Das ist anderen auch schon passiert. Davon geht die Welt nicht unter.
»Sir, es tut mir furchtbar leid, ich kann mich nur entschuldigen, aber ihr ...« Weiter komme ich erst gar nicht. Der Mann, der für dieses Desaster verantwortlich ist, grinst mich unverschämt von der Seite an und versucht, die Situation herunterzuspielen. In diesem Moment wird mir klar, er wird mich nicht aus meiner peinlichen Situation retten. Ganz im Gegenteil, ihm scheint der Vorfall auch noch Freude zu bereiten.
»Hey Drew, die Kleine scheint neu zu sein. Reg dich doch nicht so auf. Die Anmache war vielleicht ein wenig plump und übertrieben, aber ...«, lässt er den Satz unvollendet im Raum stehen und schaut mich herausfordernd mit zur Seite geneigtem Kopf an. Ich öffne den Mund, will irgendetwas sagen, aber mir bleiben die Worte im Hals stecken.
So eine Unverschämtheit ist mir noch nie passiert. Was denkt sich dieses gottverdammte Arschloch eigentlich? Ich dachte, ich hätte es hier mit einer Person zu tun, die Niveau und Anstand besitzt. Man sollte eben nicht von der Kleidung auf den Charakter des Menschen schließen, hätte meine Mom jetzt gesagt. Denn scheinbar ist er mit dem Flugzeug durch die Kinderstube gesaust. Zwei Frauen am Nachbartisch ergreifen Partei für mich und schütteln nur den Kopf. Begleitet von einigen klaren Worten an diesen Drew, der sich mit wütender Grimasse zu ihnen umdreht, um auch hier nicht mit Komplimenten spart. Dabei entgeht mir nicht, wie sein Begleiter mich immer noch mit seinem hämischen Grinsen anschmachtet. Das war alles, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen hat? Ich kann es nicht fassen, eine Entschuldigung seinerseits wäre jetzt angebracht und was heißt hier überhaupt Anmache? Ist der Kerl noch ganz klar? Innerlich koche ich. Er hätte sich zumindest entschuldigen und die Sache aufklären können. Stattdessen lässt er mich wie eine Vollidiotin dastehen. Unfähig, diesen Job zu machen. Unterstellt mir auch noch, ich würde versuchen, ihn oder sein Gegenüber anzumachen. Diese ganzen Gedanken rasen in meinem Kopf vorbei, ohne, dass ich sie aussprechen kann. Sowas ist mir noch nie passiert. Am liebsten würde ich ihm die passenden Worte entgegenschleudern, aber es hat wohl keinen Zweck, noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
»Mein Gott, ist es denn zu viel verlangt, in einer Bar wie dieser einigermaßen kompetentes Personal zu erwarten? Wie sehr ich unfähiges Handeln verabscheue, kann ich Ihnen kaum sagen. Seien Sie froh, dass Sie nicht bei mir angestellt sind.«
Dann schaut der Mann, den das Arschloch Drew genannt hat, direkt in meine Augen, die ihn sprachlos anstarrten. Ich öffne die Lippen, aber bringe kein Wort heraus. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren!
»Ich ...«, setze ich an, aber mein Kopf ist in diesem Moment wie leergefegt. Ich sollte diesem unverschämten Kerl mit ein paar passenden Worten sagen, dass er sich gefälligst etwas zusammennehmen soll, aber ich kann nicht, denn sofort wettert er weiter.
»Versuchen Sie immer Ihre Gäste auf diese Weise anzumachen, Lady?«, flucht er weiter, während er vergebens versucht, mit dem Geschirrhandtuch, das Caitland ihm zwischenzeitlich gereicht hat, seine Hose zu trocknen.
Das war zu viel. Okay, dass er mich beleidigt hat, damit komme ich klar. Dass er verärgert ist, kann ich nachvollziehen. Dass es nicht meine Schuld ist, auch und sein Freund die Situation, in die er mich hineinmanövriert hat, nicht aufklärt, kann ich so einigermaßen noch durchgehen lassen. Aber dass er mich öffentlich in einer Lautstärke beschuldigt, die selbst die Gäste an den abgelegenen Tischen noch hören können, ihn angemacht zu haben, das ist definitiv zu viel. Denn mittlerweile hat auch Josh am Klavier sein Spiel eingestellt. Und wie er das Wort Lady ausgesprochen hat, war mehr als beleidigend. Ich bin mittlerweile den Tränen nahe und doch siegt der Zorn über diesen arroganten Macho in mir, dass ich das Gefühl habe, zu ersticken. Ich könnte ihn in der Luft zerreißen oder ihm einfach gegen das Schienbein treten, so wütend bin ich. Irgendetwas muss in diesem Augenblick in meinem Gehirn einen Kurzschluss verursacht haben, denn völlig kopflos greife ich mit meiner freien Hand nach dem letzten Glas auf meinem Tablett und kippe ihm den Inhalt direkt über seine Anzugjacke. Meine Mom würde jetzt wieder sagen: Lass dich nicht immer von deinen Emotionen leiten und benutze deinen Verstand, Brooke. Wie Recht sie doch wieder hätte und in Momenten wie diesen, spüre ich den Verlust meiner Mutter besonders stark. Aber jetzt ist es zu spät für Gewissensbisse. Die Augen meines Gegenübers scheinen mich durchbohren zu wollen. Er presst die Lippen aufeinander, kneift leicht die Augen zusammen und zieht scharf die Luft durch die Nase ein. Im ersten Moment ist er sprachlos. Damit hat er natürlich nicht gerechnet und sicher hat sich das auch noch keiner bei ihm getraut. Bevor er aber zu einer weiteren Beleidigung ansetzen kann, steht mein Chef bereits hinter mir. Seine durchdringende Stimme lässt mich zusammenzucken und ich spüre den Kloß im Hals, höre bereits im Unterbewusstsein seine harten Worte, die er spätestens nach meiner Schicht hinten im Büro auf mich niederprasseln lassen wird. Ich habe es verpatzt.
»Brooke! Verdammt was tun Sie da?«, zischt er mich von hinten an.
»Mr. Miller, ich kann das erklären«, antwortete ich ihm darauf und drehte mich zu ihm um. Ein sarkastisch spöttisches leises Lachen hinter mir verfolgt mich. Mehr fällt dem Arschloch wohl nicht ein. Ich habe ihn scheinbar tatsächlich sprachlos gemacht, bevor Mr. Millers Worte mich wieder ins Hier und Jetzt katapultieren.
»Was gibt es da zu erklären. Ich habe gesehen, was Sie getan haben. Haben Sie total den Verstand verloren? Wie können Sie es wagen, unsere Gäste dermaßen zu beleidigen? Sind Sie denn wahnsinnig geworden?«, beschimpfte er mich weiter.
»Mr. Miller ...«, versuchte ich noch einmal ihm die Situation zu erklären.
»Schweigen Sie, Sie sind entlassen!« Die Worte dringen leise aber sehr überzeugen an mein Ohr. Sein scharfer Blick bohrt sich dabei in mein Gedächtnis und ich weiß, ich kann nichts mehr tun. Plötzlich ist es sehr ruhig um mich herum geworden. Nur das leise Getuschel an den Nachbartischen beherrscht den Raum. Das war das Letzte, was ich erwartet habe. Mr. Miller hat mir nicht einmal die Möglichkeit gegeben, die Situation zu erklären. Er hat mich entlassen. Ich bin raus. Fassungslos stehe ich einfach nur da und starre ihn an.
»Ja, ja, Brooke, Sie haben richtig gehört. Raus«, ist das Letzte, was ich von ihm höre. Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, zeigt er mit ausgestrecktem Arm Richtung Ausgang. Selbst diesem Drew, dem die beleidigenden Worte nur so aus dem Mund geflogen kamen, scheint es die Sprache verschlagen zu haben. Er steht perplex neben meinem Chef und zieht nur eine Augenbraue hoch.
»Mr. Miller, das können Sie doch nicht machen. Sie wissen doch, wie sehr Brooke auf diesen Job angewiesen ist. Vielleicht sollten Sie alles noch einmal in Ruhe überdenken. Ich bin sicher, das ...« Weiter kommt Caitland nicht mehr, denn Mr. Miller hebt die Hand, schließt für einige Sekunden die Augen und signalisiert ihr damit, sich nicht weiter zu bemühen.
»Sparen Sie sich den Atmen, Caitland. Ich verstehe ihr Bemühen nur zur gut, aber meine Entscheidung ist gefallen. Ich kann doch meine Gäste nicht auf diese Art und Weise behandeln lassen. Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn jede dahergelaufene Aushilfe sich benehmen kann, wie die Axt im Walde«, wettert Mr. Miller los. Ich schüttle kurz mit dem Kopf, aber für Mr. Miller bin ich bereits Vergangenheit. Stattdessen wendet er sich von mir ab und widmet seine ganze Aufmerksamkeit speichelleckend diesem Drew, wer auch immer das sein mag, um sich tausendfach zu entschuldigen. In diesem Moment hasse ich ihn abgrundtief und hoffe, ihm in meinem ganzen Leben nie wieder zu begegnen.
»Wichser«, zischte ich so leise durch meine Zähne, dass nur er es hören kann. Ich war mir sicher, dass er genau wusste, dass die Bemerkung ihm galt und nicht meinem Chef. Unsere Blicke treffen sich noch einmal für einen winzigen Moment, und ich habe das Gefühl, dass seine dunklen Augen mich provozierend anlächeln, oder sollte ich mich getäuscht haben, war da vielleicht doch ein Schuldgefühl zu sehen? Schnell drehe ich mich um und gehe Richtung Küchenbereich. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als meine Sachen zu packen und zu gehen. Wieder einmal stehe ich vor dem Nichts und weiß nicht, wie es weitergehen soll.
Andrew
Vier Jahre später ...
Hat Ramsey schon zurückgerufen?«, rufe ich aus meinem Büro meiner Sekretärin zu, während ich mir die Krawatte um den Hals lege. Ich bin spät und mein Terminkalender lässt mir kaum Luft zum Atmen.
»Bis jetzt noch nicht. Soll ich ihn noch einmal anrufen?«
»Um Himmels willen, natürlich nicht. Ich habe es weiß Gott nicht nötig ihm hinterherzulaufen«, antworte ich eine Spur zu gereizt und durchquere überstürzt das Vorzimmer, während ich mich mit meiner Krawatte abmühe, weil ich viel zu hektisch den Knoten binden will. Was kann Erin oder die Krawatte dafür, dass ich schlechtgelaunt bin?
»Wann wollte Ray zurück sein?«, frage ich stattdessen jetzt etwas gefasster.
»Ihr Bruder hat den Termin zum Mittagessen bestätigt. Warten Sie, ich mache das,« bietet Erin an, steht hinter ihrem Schreibtisch auf und bindet mir geschickt die Krawatte. Was würde ich an solchen Tagen wie heute nur ohne sie tun?
»Na wenigstens einer, der heute zuverlässig ist. Wenn er reinkommt, sagen Sie ihm ... Nein, lassen Sie nur, ich sage es ihm beim Mittagessen selbst. Das wird ihm sowieso den Appetit verderben. Danke Erin«, bedanke ich mich, schnappe mir meine Jacke und laufe zur Tür. Als ich die Hand schon auf der Klinke liegen habe, drehe ich mich noch einmal zu ihr um.
»Tut mir leid Erin, ich wollte Ihnen gegenüber nicht unhöflich sein.«
Sie lächelt, wie sie es immer tut. Erin ist die perfekte und loyale Sekretärin. Ich sollte sie wirklich nicht so anfahren.
»Schon gut, Mr. Mason. Ich weiß doch, dass Sie unter großem Druck stehen.«
»Das rechtfertigt allerdings kein unverschämtes Benehmen«, antworte ich mit einem Lächeln auf den Lippen und verlasse die Kanzlei. Auf dem Flur treffe ich meinen Bruder, der gerade aus einem der Aufzüge steigt.
»Guten Morgen«, begrüßt er mich gutgelaunt.
»Morgen«, knurre ich nur und beeile mich, den Lift noch zu erreichen, der gerade die Türen schließt. »Verdammt!«
»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Ich habe Turner rausgeworfen. Wenn du öfters im Büro wärst, müsstest du nicht fragen«, antworte ich bissig.
»Russell Turner? Warum? Er hat doch gute Arbeit geleistet in der kurzen Zeit, die er bei uns ist. Ich finde, du könntest solche Entscheidung schon vorher mit mir abstimmen, bevor du diese Schnellschüsse startest. Schließlich bin ich genau wie du Teilhaber dieser Kanzlei.«
»Hmhm, wenn du dich etwas genauer mit ihm beschäftigt hättest, wüsstest du, dass er überhaupt keine Zulassung mehr als Anwalt hat. Du hast ihn eingestellt, wenn ich dich daran erinnert darf.«
»Die Personalvermittlung hat ihn uns empfohlen. Ich hatte keine Veranlassung, seine Approbation anzuzweifeln. Ist dir noch nie ein Fehler unterlaufen, Bruderherz?«, antwortet Ray.
»Das ist der dritte Anwalt innerhalb eines Jahres, den wir entlassen mussten. Ich erwarte einfach nur kompetente Mitarbeiter. Ist das zu viel verlangt? Ich sollte den Headhunter wechseln. Die Firma Ramsey scheint auch nicht mehr das zu sein, was sie einmal war. Wir zahlen genug Geld für die Vermittlung, da kann ich ja wohl einen gewissen Standard verlangen, oder?«, knurre ich weiter.
Mein Bruder zuckt nur leicht die Schultern, bevor ich weiter in einem gereizten Tonfall fortfahre.
»Vielleicht liegt es auch daran, dass sich Ramsey sen. mehr und mehr aus dem Geschäft zurückzieht, seit sein Sohn die Filiale in Philadelphia übernommen hat und diese jungen Angestellten haben doch sowieso keine Ahnung.«
»Jetzt bist du ungerecht. Ich kam mit Janet immer gut klar«, hält Ray dagegen.
»Verstehe ich. Sie ist ja auch weiblich und unter fünfundzwanzig.«
»Da muss ich dir widersprechen. Sechsundzwanzig!«
Ich kann nur mit den Augen rollen und verkneife mir jeden weiteren Kommentar.
»Ich mache dir einen Vorschlag Andrew: Such du in Zukunft die Mitarbeiter selbst aus. Wenn du glaubst, dass du die Arbeit des Headhunters besser machen kannst. Dann wird es sicher keine Probleme mehr geben.« Mein Bruder kennt mich besser als kein anderer. Ich bin Perfektionist und weiß, dass ich mit meiner speziellen Art manchen Menschen damit tierisch auf die Nerven gehe. Ich hasse Unordnung, aber vor allem hasse ich Inkompetenz. Dabei legt mir mein Bruder die Hand auf die Schulter und ich strafe ihn mit einem stechenden Blick ab, bevor ich scharf den Atem durch die Nase einziehe, um wieder auf ein normales Level zurückzukommen.
»Tut mir leid, ich beleidige heute scheinbar jeden, der mir in die Quere kommt«, entschuldige ich mich mürrisch.
»Wen hast du noch in die Flucht geschlagen? Erin? Bitte sag, dass du Erin nicht auch noch verjagt hast?«
»Nein, natürlich nicht. Erin ist schlechte Laune von mir gewohnt.«
»Schon, aber dafür wird sie nicht bezahlt.«
»Ich weiß, daran brauchst du mich nicht zu erinnern«, sage ich immer noch gereizt.
»Dann hör endlich auf, den Macho rauszukehren und dich wie ein arroganter Sack aufzuführen. Take it easy. Irgendwann gehst du vielleicht einen Schritt zu weit. Was ist in letzter Zeit nur los mit dir? Seit Brittany sich von dir getrennt hat, bist du unausstehlich. Du solltest dich wieder nach einer Partnerin an deiner Seite umschauen. Oder einem guten Fick.« Die letzten Worte flüstert mir mein Bruder mehr oder weniger mit einem Zwinkern zu.
»Hast du noch mehr von diesen charmanten Ideen? Es kann eben nicht jeder so eine sonnige und unbeschwerte Art wie du haben, die Dinge zu nehmen. Glaubst du, die Kanzlei läuft von alleine? Außerdem brauche ich niemanden an meiner Seite. Schon gar keine Frau, die mich managen will und nur aus Prestigegründen mit mir zusammen ist. Die erwartet, dass ich rund um die Uhr für sie da bin und den Trottel spiele. Für die das Leben aus einer einzigen Party und Jetsetleben besteht und was mein Liebesleben angeht ...«, wettere ich weiter, als müsste ich mich selbst von meinen Worten überzeugen und breche dann doch mitten im Satz ab. »Danke, mein Bedarf ist gedeckt. Sollte ich mich jemals wieder verlieben, dann muss die Frau an meiner Seite ...«, breche ich ein zweites Mal mitten im Satz ab. Etwas, dass für mich undenkbar ist. Ich bin nie um Worte verlegen, ganz im Gegenteil. Ein typisches Zeichen, wie überspannt ich in letzter Zeit bin. Zumindest in diesem Punkt muss ich meinem Bruder Recht geben und da ich mir im Grunde überhaupt keine Gedanken darüber machen möchte, wie meine Traumfrau auszusehen hat, ist das Thema hiermit beendet. Ich brauche niemanden an meiner Seite! Ende der Diskussion.
»Sprich ruhig weiter, großer Bruder.«
»Lassen wir das Thema.«
»Ich sag dir was: Du solltest dringend mal Urlaub machen, Andrew. Du bist vollkommen am Ende.«
»Und wer soll die Fälle übernehmen? Du vielleicht?«
»Mein Terminkalender, sieht nicht anders aus, als deiner.«
Ich kann mir ein Lachen gerade noch verkneifen. Wir wären längst pleite, wenn ich nicht jeden Fall annehmen würde. Denn mein Bruder übernimmt nur die Fälle, die ihn wirklich interessieren und überarbeitet hat er sich sicher noch nie. Geschweige denn Wochenenden am Schreibtisch verbracht oder lange Nächte im Büro. Bis auf das eine Mal, als ich spät noch einmal in die Kanzlei gefahren bin, um Unterlagen zu holen. Ich fand ihn mit einer kleinen Rothaarigen auf seinem Schreibtisch. Wie ein Tier ist er über sie hergefallen, als er sie genommen hat. Ihre Kleidungsstücke lagen auf dem ganzen Boden verstreut, während er sich nicht mal die Zeit genommen hat, sich seiner zu entledigen. Aber das ist zwei Jahre her. Seit dieser Zeit ist es zum Glück nicht mehr vorgekommen, dass er unsere Büroräume für seine frivolen Spielchen missbraucht hat. Zumindest habe ich es nicht mehr mitbekommen. »Du vergisst, dass die Termine von Turner noch dazu kommen.«
»Ich hab verstanden. Soll ich mich darum kümmern?«
»Lass gut sein, ich habe mich bereits darum gekümmert. Ich will nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn dein Privatleben am Ende noch zu kurz kommt.«
»Nur weil du keins mehr hast, musst du mir kein schlechtes Gewissen einreden.«
»Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt ein Gewissen hast. Jetzt muss ich los«, verabschiede ich mich von Ray, steige in den Aufzug und hoffe, dass der Tag noch Erbarmen mit mir hat.
Brooke
Der Wecker reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Langsam werde ich von der Stimme im Radio in den beginnenden Tag befördert. Als ich den Kopf heben will, ist er wieder da, der Schmerz, der nur vom gestrigen Alkoholkonsum stammen kann.
Caitland, mit der ich mir die Wohnung in einem ruhigeren Stadtteil außerhalb von Chicago teile, war der festen Überzeugung, dass Scotch als einziges Mittel in Frage kommt, um den Schock, den der Brief der Finanzbehörde in mir ausgelöst hat, im Keim ersticken zu können. Doch heute werde ich mich mit den Problemen auseinandersetzen müssen.
Träge schiebe ich die Decke zur Seite, schwinge mich heute alles andere als dynamisch aus dem Bett und schlurfe ins Badezimmer. Das Gesicht, das mich im Spiegel anstarrt, ist mir fremd. Das bin ich nicht!
Müde Augen wollen mit sagen, dass ich nicht der Mensch bin, der trotz einer durchgemachten Nacht am nächsten Morgen zur Arbeit geht, als wäre nichts gewesen. Ich sollte definitiv auf meine innere Stimme hören und mich dem Schicksal stellen, so wie ich es bereits seit meinem neunzehnten Geburtstag tue. Der Tag, an dem ich meine Eltern verlor und plötzlich ganz alleine war. Ich habe gelernt, mich allein durchs Leben zu schlagen. Es war nicht immer leicht und oft wusste ich nicht, wie es am nächsten Tag weitergehen soll. Aber jetzt mit fast fünfundzwanzig Jahren habe ich verstanden, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Zumindest dachte ich das, bis ich gestern den Brief in den Händen hielt und meinen Augen nicht glauben wollte, was dort geschrieben stand.
Während ich noch müde mein Spiegelbild anstarre, betritt Caitland das Badezimmer.
»Guten Morgen, wie geht es dir?«, fragt sie verschlafen.
»Ging schon mal besser und dir?«
»Frag nicht. Ist dir schon etwas eingefallen?«
Ich schüttle verneinend den Kopf.
»Rede doch mal mit Mr. Ramsey, vielleicht hat er noch eine Idee.«
»Ja, das werde ich wohl tun müssen.«
»Sie können doch von dir nicht erwarten, dass du so einen hohen Betrag sofort nachzahlen kannst.«
»Woher soll ich das Geld auch nehmen?«
»Meines Erachtens brauchst du einen guten Steueranwalt, der dir da weiterhelfen kann.«
»Ja klar, aber wovon soll ich den bezahlen?«
»Mr. Ramsey würde dir sicher ein Darlehn geben.«
»Nein, das kommt nicht in Frage. Ich habe es bis jetzt immer geschafft und werde es auch weiter ohne Schulden auf die Reihe bekommen.« In diesem Moment fällt mir wieder der Abend vor vier Jahren ein, an dem mich Mr. Miller gefeuert hat.
»Kannst du dich noch an den schrecklichen Abend erinnern, als Mr. Miller mich einfach gefeuert hat?«
Caitland nickt.
»Damals dachte ich, das ist das Ende. Aber das war es nicht. Ich bin wieder auf die Füße gefallen. Zum Glück habe ich diese blöden Arschlöcher nie mehr wiedergesehen, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich waren. Ich würde sie sicher auch nicht wieder erkennen, wenn ich einem der beiden zufällig mal über den Weg laufen sollte.«
»Du nicht, aber ich schon.«
»Ach ja? Hast du mir gar nicht erzählt.«
»Warum sollte ich? Der Typ mit der beschmutzten Hose war noch einige Male in der Bar und ich habe dafür gesorgt, dass er nur noch von den männlichen Angestellten bedient wurde«, sagt Caitland grinsend. »Ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt. Hatte er damals nicht einen Vollbart und eine Brille?«, überlegt Caitland.
»Kann sein. Ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern. Im Grunde ist er an allem schuld.«
»Wieso?«
»Na ja, hätte ich den Job nicht verloren, wäre wir nie auf die blöde Idee gekommen, mir als Influencer meine Kröten zu verdienen.«
»Aber es hat geklappt und besser als weiter für diesen Escortservice zu arbeiten.«
»Da hast du allerdings recht.«
»Du hattest Glück, dass du jedes Mal vollendete Gentlemans an deiner Seite hattest, nicht auszudenken, wenn einer von denen mehr gewollt hätte«, erinnert sich Caitland und mir wird wieder mal bewusst, dass diese ganze Geschichte auch eine andere Wendung hätte nehmen können.
»Rede bloß nicht mehr davon. Sie Sache ist vorbei und ich wurde gut bezahlt. Ich möchte diesen Teil meines Lebens lieber vergessen. Stolz bin ich nicht darauf.«
»Du hast dir nichts vorzuwerfen und mit dem Geld hattest du auch eine gute Zeit.«
»Ja, man denkt ja nicht daran, dass einem das ganze Geld nicht gehört. Irgendwann kommt die Finanzbehörde mit ihrem Steuerbescheid und du kannst nichts dagegen tun. Caitland, wieso haben wir nicht daran gedacht, die Einnahmen zu versteuern?«, frage ich gequält.
Caitland zuckt nur missmutig mit den Schultern. »Du kennst mich doch. Mit solchen Sachen hatte ich noch nie viel am Hut und Ramsey sollte von der Sache ja auch nichts mitbekommen.«
»Ich war noch zu jung. Außerdem hatte ich alle Hände voll damit zu tun, den Nachlass meiner Eltern zu regeln, trotz der Hilfe von Mr. Ramsey. Er hat schon zu viel für mich getan. Ich will nicht immer zu ihm rennen, wenn es Schwierigkeiten gibt. Es ist mein Leben, das ich selbst in den Griff bekommen muss und werde. Die Vergangenheit muss endlich hinter mir liegen und deshalb habe ich auch einer Verabredung zugestimmt«, sage ich in Gedanken an mein Date heute Abend.
»Welche Verabredung? Sag nicht, du willst dich mit einem Typen treffen? Das hast du seit Jahren nicht mehr getan.«
»Mit einer Tussi bestimmt nicht. Ja, stell dir vor, auch ich habe mal eine Verabredung«, sage ich grinsend. »Wir schreiben uns schon eine ganze Zeit lang und jetzt will er mich endlich mal persönlich kennenlernen.«
»Woher kennst du ihn?«
»Ja, ich weiß schon, was du jetzt denkst, aber ich habe ihn auf Tinder kennengelernt«, gestehe ich.
»Oh Brooke, das sind doch nicht die richtigen Typen. Die wollen dich doch nur poppen.«
»Vielleicht trifft das auf die meisten, die dort ihr Unwesen treiben, zu, aber Raymond ist anders. Bei ihm habe ich ein gutes Gefühl.«
»Was macht dich so sicher?«
»Ich weiß nicht, es ist seine Art zu schreiben. Ich habe ein gutes Bauchgefühl. Außerdem sieht er fantastisch aus, und hat Humor, etwas, dass vielen Typen fehlt. Er bringt mich zum Lachen. Ich schreibe einfach gern mit ihm. Weißt du, dass ich richtig aufgeregt bin, wenn ich Nachrichten von ihm erhalte?«
»Na das hört sich ja ganz schön verknallt an. Was macht er denn so?«
»Über persönliche Dinge haben wir noch nicht wirklich gesprochen. Aber das werde ich heute Abend herausfinden und jetzt sollte ich mich endlich fertig machen. Frühstück hole ich mir unterwegs. Ich bin sowieso viel zu spät dran. Mr. Ramsey wartet sicher schon und wir haben einige Aufträge.«
»Vielleicht lassen sie sich ja auf eine Stundung ein oder Ratenzahlung«, ruft mir Caitland noch hinterher, während ich in meinem Schlafzimmer verschwinde und mich schnell anziehe.
»Ich werde mich darum kümmern. Wir sehen uns heute Abend. Bis dann«, rufe ich Caitland zu, bevor ich die Wohnung verlasse.
»Ja, bis dann.«
»Brooke, komm doch bitte gleich zu mir rüber. Ich muss mit dir etwas besprechen«, höre ich die Stimme meines Chefs aus seinem großen Büro gleich neben meinem. Mr. Scott Ramsey sen. Gründer von Ramsey & Son ist ein wirklich angenehmer Chef. Keiner mit Bossallüren, der den Macho raushängen lässt. Anfang sechzig, sportlicher Typ und vor allem immer gut gelaunt. Er war ein guter Freund meines Vaters und nach dem schrecklichen Unfall meiner Eltern genau wie Caitland für mich wie ein Fels in der Brandung. Ich weiß noch wie Mr. Ramsey mit der Polizei vor unserer Haustür stand. Mr. Ramsay sagte damals nur zu mir, ich müsse jetzt sehr tapfer sein und dass die Polizei eine schreckliche Nachricht für mich hätte.
Er drückte meine Schulter und schob mich ins Wohnzimmer.
Ich war damals erst neunzehn, gerade mal ein Jahr volljährig, aber noch nicht bereit, meine Eltern loszulassen und doch musste ich es von einer Sekunde zur anderen. Es traf mich wie eine Welle und spülte meine ganze Kindheit innerhalb von einem Augenblick zum nächsten einfach fort, als die Polizei mir mitteilte, dass meine Eltern bei einem Autounfall verstorben waren. Es wurde angenommen, dass ein Geisterfahrer ihnen die Vorfahrt genommen hat und dann einfach abgehauen ist, während meine Eltern den Abhang hinunter in den sicheren Tod steuerten. Sie starben beide noch am Unfallort. Zumindest wurde es so von der Polizei zu den Akten genommen. Wirkliche Zeugen gab es nicht. Die spärlichen Aussagen zwei vorbeikommender Autofahrer, konnten leider nicht mehr Licht ins Dunkel bringen, so dass der Unglücksfahrer nie identifiziert werden konnte. Wahrscheinlich Trunkenheit am Steuer hieß es später. Ich musste erwachsen werden, und zwar sofort. Mr. Ramsey versprach mir, sich um alles zu kümmern, und immer für mich da sein, denn weitere Verwandte hatte ich nicht. Ich habe ihn daraufhin nur verständnislos angesehen. Wie ein Film liefen die letzten neunzehn Jahre in einem Zeitraffer vor meinem geistigen Auge ab. Ich war paralysiert, stand unter Schock, konnte das gerade Gehörte kaum fassen oder verarbeiten. Doch als alles vorbei war, nahm Mr. Ramsey mich einfach mit zu sich nach Hause. Ich verbrachte einige Zeit in seinem Haus, sprach kaum mit jemandem und baute eine große Mauer um mich herum auf, die ich seit dieser Zeit nicht mehr einreißen konnte. Seine Frau schaffte es schließlich, mich wieder der Welt zu öffnen. Doch für Gefühle hatte ich keinen Platz mehr in meinem Herzen. Nie wieder wollte ich einen Menschen so nah an mich heranlassen, wie es meine Eltern waren. Das Gefühl des Verlustes konnte und wollte ich nie wieder erleben.
Mrs. Ramsey kümmerte sich zwar liebevoll wie eine Mutter um mich. Redete mir gut zu, wie wichtig es sei, mein Studium zu beenden und wieder ins Leben zu treten. Ich wusste, wie recht sie hatte, und dachte an meine Eltern. Sie hätten sich nichts sehnsüchtiger gewünscht. Ich durfte sie nicht enttäuschen, denn mein Leben ging weiter. Ich konnte mich nicht weiter verkriechen und musste wieder in die Uni, mein Studium aufnehmen und den Nachlass meiner Eltern ordnen. Auch dabei stand mir Mr. Ramsey zur Seite. Er regelte alles für mich. Half mir, das Haus meiner Eltern zu verkaufen, das sie sich gerade gekauft hatten. Dass ich es behalten konnte, stand ganz außer Frage. Wie sollte ich die hohen Hypotheken zahlen? Von dem Erlös, der ziemlich klein war, bezahlte ich alle Schulden und zog mit Caitland in ihre kleine Wohnung.
Einige Zeit versuchte ich mich als Begleitservice über Wasser zu halten, was mir einiges an Geld einbrachte. Meine Seele allerdings noch mehr aushöhlte. So konnte es nicht weitergehen. Ich brauchte eine Beschäftigung, die mich wieder ins Leben zurückholte, und zwar ohne Wenn und Aber. Caitland war es schließlich, die den Stein ins Rollen brachte, nachdem ich meinen Job bei Mr. Miller verlor und mich dazu ermutigte mit meiner Geschichte online zu gehen. Es dauerte nicht lange und ich hatte so viele Follower, dass ich damit Geld verdienen konnte, und plötzlich ging es mir finanziell wieder gut. Ich konnte meine Geldsorgen endlich in die Schublade legen und bekam nach meinem Abschluss zum Bachelor einen Job bei Mr. Ramsey.
Seit dem Tod meiner Eltern hat Mr. Ramsey so etwas wie eine Vaterrolle übernommen. Er ist zwar mein Chef, aber ich weiß, dass ich mit welchem Problem auch immer zu ihm kommen kann. Das ist jetzt alles bereits vier Jahre her und ich liebe meinen Job als Headhunter.
Schnell streife ich meinen Mantel ab und hänge ihn in den Schrank, schalte meinen Laptop ein, bevor ich Mr. Ramseys Büro betrete.
»Guten Morgen, Mr. Ramsey«, begrüße ich ihn. Warum ich ihn immer noch sieze, nach allem, was er für mich getan hat, weiß ich im Grunde nicht. Aber es fühlt sich so richtig an. Mr. Ramsey sitzt an seinem Schreibtisch und hat die Hände unter seinem Kinn aufgestützt. So nachdenklich und vielleicht auch bedrückt habe ich ihn selten erlebt.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, frage ich nun doch etwas beunruhigt.
Er schüttelt nur den Kopf und macht eine einladende Handbewegung in meine Richtung, auf einem seiner Besucherstühle Platz zu nehmen.
»Nein, nein, nichts, was sich nicht regeln lässt. Setz dich doch Kind.«
Hm, er nennt mich wieder mal Kind. Das tut er äußerst selten. Nur wenn er unangenehme Nachrichten hat und nicht so genau weiß, wie er die Katze aus dem Sack lassen soll. Verhalten nehme ich vor ihm Platz und schaue ich erwartungsvoll an.
»Also,... Janet hat gekündigt.«
»Was? Janet? Aber wieso?«, frage ich ihn verwirrt.
»Tja, sie rief mich heute Morgen an und teilte mir mit, dass sie ihren Urlaub verlängern wird, um zu heiraten. Sie wird mit ihrem Mann in New York leben.«
Verblüfft starre ich ihn an. »Ich wusste gar nicht, dass sie die Absicht hatte zu heiraten.«
»Ich habe so etwas geahnt. Ihr Freund bzw. zukünftiger Mann ist ein hohes Tier in der Politik. Sie wird ihn sicher öfters zu offiziellen Anlässen begleiten. Da hat sie natürlich keine Zeit mehr für mich zu arbeiten. Außerdem lebt er in New York und soweit ich weiß, war Janet nie abgeneigt nach New York zu ziehen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass du dich in Zukunft um die Anwaltskanzlei Mason und ein paar andere Klienten kümmern musst. Die Liste habe ich dir per Mail geschickt.« Er lässt den Satz im Raum stehen, wartet auf meine Reaktion.
Ich bin etwas geschockt. Mason! Das ist ein schwieriger Kunde, wenn nicht zu sagen katastrophal. Innerhalb des letzten Jahres haben wir ihm drei Anwälte besorgt. Mich würde es nicht wundern, wenn er den letzten auch schon wieder gefeuert hätte. Was für ein Mensch muss dieser Andrew Mason nur sein? Zum Glück hat sich Janet immer um ihn gekümmert. Aber die fällt jetzt aus und der Kelch geht nun an mich weiter. Vielleicht sollte ich ganz vorurteilsfrei an die Sache herangehen und ihm eine Chance geben. Wer weiß, am Ende kommen wir ganz gut miteinander aus, versuche ich mir die Angelegenheit schön zu reden.
»Glauben Sie, das ist eine gute Idee? Nach allem, was Janet so von ihm erzählt hat, soll er ja ziemlich schwierig sein.«
Er unterbricht mich sofort, indem er abwinkt.
»Halt, bevor du weitersprichst. Ich weiß natürlich, dass du erst kurz in meinem Unternehmen arbeitest. Aber du hast eine hervorragende Menschenkenntnis und verstehst dich wunderbar darauf, mit Typen wie diesem Mason umzugehen. Du hast im letzten halben Jahr mehr Abschlüsse gemacht als Janet. Das wollte ich dir die ganze Zeit schon sagen. Ich bin stolz auf dich und ich weiß, dass du das machen kannst. Ich würde dich sonst nicht mit so einem Kunden betrauen. Du kennst mich doch. Ich bin wie ein Vater für dich.«
»Aber, ... Mason, dieser Mann ist so fordernd und Janet ist ganz anders als ich, offen und viel selbstbewusster. Sie wusste immer, wie sie ihn händeln musste. Ich habe doch so wenig Erfahrung. Er wird mich in der Luft zerreißen und dann sind Sie den Kunden los, wenn etwas schief läuft«, versuche ich Mr. Ramsey von seinem Vorhaben abzubringen.
»Keine Sorge, Brooke. Ich werde ihn anrufen und alles mit ihm besprechen. Ich würde ihn ja auch gerne selbst übernehmen, aber ich werde in den nächsten Wochen nur sporadisch im Büro sein. Du weißt, dass Elli schwer krank ist. Sie braucht mich jetzt.«
»Ich könnte mich doch um Ihre Frau kümmern«, werfe ich überzeugend ein.
Ramsey lacht. »Nein, nein, das ist die Chance für dich und ich will, dass du sie nutzt. Deine Eltern wären genauso stolz auf dich wie ich es bin und so übel ist Mason gar nicht. Er mag vielleicht ein überkorrekter Pedant sein, aber er hat auch seine guten Seiten, du wirst sehen. Außerdem werde ich Elli in die Klinik begleiten, sobald wir einen Termin bekommen. Das kann jeden Tag der Fall sein.«
»Ja natürlich, daran habe ich nicht gedacht. Tut mir leid. Elli und ihre Gesundheit sollte jetzt selbstverständlich an erster Stelle stehen. Es war dumm von mir.«
»Brooke«, unterbricht er ich sofort. »Es ist nicht verwerflich, auch mal an sich zu denken. Etwas, das du viel zu selten getan hast.« Ich höre den leisen, aber liebevollen Tadel aus seinen Worten.
»Mag schon sein.«
»Ich weiß es besser. Du hast in deinem jungen Leben schon viel entbehren müssen und ich befehle dir, endlich auch mal ein Stück von der Torte abzubekommen. Also, Kopf hoch und nach vorne schauen. Ich denke, du weißt, was das heißt?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Du wirst mich hier vertreten, bis ich wieder im Büro bin.«
»Mr. Ramsey, das ist nicht Ihr Ernst.«
»Natürlich ist das mein Ernst. Ich vertraue dir, wie du damals mir vertraut hast.«
»Ich weiß das wirklich zu schätzen und ich werde mein Bestes geben, das verspreche ich. Aber wegen Mason ... kann nicht Ihr Sohn sich um ihn kümmern?«, versuche ich noch einen letzten Versuch, den Klienten loszuwerden.
»Wieso? Weil er ein Mann ist? Nein, nein Brooke, das schaffst du schon. Ich weiß das. Trau dir etwas zu. Du bist viel zu zurückhaltend für eine Frau in deinem Alter. Das hast du aber nicht nötig.«
Ich kann nichts weiter tun, als ein vorsichtiges Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. »Ich hoffe, dieser Mason benutzt nicht Skype«, setze ich sarkastisch hinzu.
»Seit wann hast du ein Problem damit? Er sieht sehr gut aus.«
»Was soll das denn heißen? Soll ich mich etwa an ihn ranmachen?«, frage ich belustigt.
»So habe ich das nicht gemeint. Ich sagte das auch nur, damit du nicht denkst, dass du es mit einem alten Zausel von Anwalt zu tun hast. Er kann auch sehr unterhaltsam sein, wenn er will. Außerdem wirst du ihm kaum persönlich begegnen und am Telefon bist du doch ein Ass.«
»Ist er nicht schon Ende dreißig?«
»Dreiunddreißig.«
»Zu alt für mich. Uns trennen fast neun Jahre.«
»Na dann steht der Sache doch nichts mehr im Wege. Ich rufe ihn gleich mal an. Er wartet auf meinen Anruf. Ich wollte es nur vorher mit dir besprechen.«
»Moment noch. Ich habe noch nicht ja gesagt.«
»Was gibt es denn da noch zu überlegen, Brooke. Ich habe dir doch erklärt, warum nur du für den Auftrag in Frage kommst. Janet ist doch nicht mehr da und einen neuen Mitarbeiter bekommen wir so schnell nicht. Mason hat es unglaublich eilig. Es wäre schön, wenn du dich gleich hinter den PC klemmen könntest. Er wartet dringend auf Bewerber. Seinem letzten Anwalt hat er gerade gekündigt.«
Ich wusste es! Ich wusste, dass ich sofort mit Mr. Mason konfrontiert werden würde. Und dann ist es dieser Blick eines älteren Mannes, der meinen Widerstand schmelzen lässt.
Bingo! Mr. Ramsey hat mich innerhalb von Minuten in Grund und Boden geredet. Ich hatte überhaupt keine Chance, die Sache abzublasen. Aber vielleicht hat er Recht und es ist wirklich die Chance für mich. Schließlich war er damals für mich da, und jetzt habe ich die Möglichkeit, ihn und Elli zu entlasten.
»Ach, hatte ich es eigentlich erwähnt: Andrew Mason hat noch einen Bruder. Er ist der Partner in der Anwaltskanzlei. Janet kam mit ihm immer sehr gut zurecht. Vielleicht kannst du dich ja an ihn halten«, spricht Mr. Ramsey überzeugt weiter, beugt sich über seinen Schreibtisch und schaut mich mit seinem Hundeblick an, der sagen will: Bitte, bitte hilf mir! Ich atme resigniert durch und ziehe leicht die Augenbrauen hoch.
»Ich bin überzeugt, du schaffst das«, dabei drückt er meine Hand, die auf dem Schreibtisch vor ihm liegt.
»Also schön.«
»Ich rufe ihn jetzt an und sage ihm, dass meine beste Mitarbeiterin bereits dabei ist, die Bewerber herauszusuchen. Vielleicht kannst du in den nächsten Tagen bereits Bewerbungsgespräche vereinbaren.«
»Moment, noch habe ich nichtmal die passenden Kandidaten. Was für einen Anwalt sucht er eigentlich?«
»Es steht alles in der Mail, die ich dir geschickt habe. Die Kundendatei liegt schon auf deinem Account.«
»Dann sollte ich keine Zeit mehr verschwenden.«
Völlig niedergeredet verlasse ich sein Büro und lasse mich in meinen Schreibtischstuhl fallen. Mason!
Kaum habe ich mir die Kundendatei angeschaut, fällt mir mein eigenes Problem wieder ein. Was für eine Ironie. Mason ist Steuerrechtsanwalt. Er könnte mir vielleicht aus meiner prekären Lage heraushelfen, aber wie soll ich ihn bezahlen? Er zahlt seinen angestellten Anwälten bereits ein beachtliches Gehalt, wie wird dann erst sein Stundenlohn aussehen? Ich schiebe die Gedanken an meine Sorgen fürs Erste zur Seite und gehe die geeigneten Bewerbungen durch. Wenn ich mich bemühe und ihm den perfekten Bewerber liefere, wer weiß, vielleicht macht er mir einen Sonderpreis? Vergiss es Parker!, beschimpfe ich mich selbst.
Am frühen Nachmittag habe ich tatsächlich einige Bewerber, die für Mason in Frage kommen könnten. Ich wähle seine Telefonnummer und höre nach wenigen Sekunden die angenehme Stimme seiner Sekretärin und stelle mich kurz vor.
»Mr. Mason hat gerade einen Klienten. Aber er wird Sie sofort zurückrufen, sobald er frei ist«, verspricht sie mir. Ich bedanke mich und beende das Gespräch.
Um 17:00 Uhr steckt Mr. Ramsey den Kopf zur Tür herein. »Brooke?«
Ich schaue, in Gedanken versunken, von meinem PC auf. »Ja?«
»Es ist Zeit, Feierabend zu machen. Heute ist Freitag. Du hast doch sicher noch etwas Nettes vor?«
»Schon so spät? Mist, ich habe heute tatsächlich noch etwas vor. Aber ich warte immer noch auf den Rückruf von Mr. Mason«, sage ich leicht genervt und starre das Telefon an.
»Wann hast du ihn denn angerufen?«
»Das war um zwei Uhr. Seine Sekretärin sagte mir, er würde sich kurzfristig melden.«
»Schick ihm doch eine Mail mit deinen Recherchen. Dann kann er sich alles in Ruhe anschauen. Bis Montag wird es schon noch Zeit haben«, beruhigt mich mein Chef.
»Gute Idee, das mache ich auch.«
»Und dann geh nach Hause. Schönes Wochenende«, wünscht mir Mr. Ramsey und verlässt das Büro.
»Ja, bis Montag. Grüßen Sie Elli und gute Besserung.«
»Sag ich ihr. Bis Montag«, höre ich noch seine Stimme, dann ist es ruhig im Raum. Kaum habe ich die Mail an Mason abgeschickt, meldet er sich, natürlich per Skype. Ich denke noch kurz darüber nach, meinen PC herunterzufahren und ihn einfach zu ignorieren. Scheinbar hat er mich vergessen, sonst würde er sich nicht gerade in diesem Moment melden, nachdem er die Mail von mir erhalten hat. Mein Anstandsgefühl siegt über meinen Ärger über ihn und ich nehme das Gespräch an.
»Ramsey & Son, mein Name ist Brooke Parker, wie kann ich Ihnen helfen?«, leiere ich meinen Satz herunter.
»Mason, hier«, dringt seine markante Stimme an mein Ohr und sein Gesicht erscheint auf dem PC vor mir. Wow! Er sieht wirklich verdammt gut aus. Er trägt auch nicht wie ich diesen blöden Kopfhörer, der meine lockigen Haare auf meinem Kopf festtackert und mir ein Stück von meinem Selbstbewusstsein stiehlt. Er steht mit den Händen auf seinen Schreibtisch gelehnt da und schaut mich neugierig an. Seine Krawatte hat er gelockert, seine Hemdsärmel sind aufgekrempelt. Er hat scheinbar auch einen langen Tag hinter sich.
»Guten Abend, Mr. Mason, ich nehme an, Sie haben meine Mail erhalten? Ich hatte bereits heute Mittag versucht, Sie telefonisch zu erreichen, leider waren Sie in einem Gespräch. Ich habe einige Bewerber, die für Sie in Fragen kommen könnten«, eröffne ich das Gespräch, ohne auf den kleinen Seitenhieb mit der Tageszeit zu verzichten.
Er zieht leicht die Augenbrauen nach oben und schaut mich an, als würde er überlegen, woher wir uns bereits kennen und auch ich muss zugeben, dass mir sein Gesicht nicht unbekannt erscheint. Wenn ich ihn mir so anschauen, habe ich einen bitteren Beigeschmack im Mund aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo wir beide uns schon einmal begegnet sind.
»Ich hatte eigentlich einen Anruf von Mr. Ramsey erwartet«, kommt der trockene Gegenkommentar.
»Mr. Ramsey hat Sie mir als Kunden übergeben. Ich betreue Sie ab jetzt.«
»Was ist mit Janet?«
»Janet arbeitet nicht mehr hier.«
»Sehr bedauerlich«, sagt er nachdenklich. Ich muss schlucken. Kein besonders guter Start für mich. Um so mehr werde ich mich anstrengen, ihn zufrieden zu stellen. Ich schlucke schnell die spitze Antwort herunter und zaubere ein gekünsteltes Lächeln in mein Gesicht.
»Ich versichere Ihnen, Sie werden mit mir auch zufrieden sein«, entgegne ich neutral.
»Na dann lassen Sie mal hören, was Sie zu bieten haben.«
Er setzt sich in seinen Schreibtischstuhl, lehnt sich zurück und schaut eher teilnahmslos auf den Bildschirm. Die Finger drückt er gegeneinander. In dieser Pose wirkt er wie ein gelangweilter Macho, dem die ganze Angelegenheit am Arsch vorbeigeht. Dabei ist er es doch, der dringend einen Anwalt sucht und nicht ich.
Routiniert erläutere ich ihm meine Recherchen und biete ihm die Termine für die Vorstellungsgespräche an, als er mich unterbricht.
»Termine vereinbaren Sie bitte mit meiner Sekretärin, Miss Parker«, sagt er eine Spur zu arrogant.
Oh, Entschuldigung, wie konnte ich annehmen, der Herr und Meister würde sich selbst dazu herablassen, und seinen Terminkalender aufrufen.
»Selbstverständlich, ich dachte nur, es wäre eilig.«
»Das ist es auch, Miss Parker. Ich schlage vor, wir treffen uns morgen zum Brunch. Sobald ich die Unterlagen durchgesehen habe, sage ich Ihnen, welche Bewerber für mich in Frage kommen und Sie vereinbaren am Montag Termine mit meiner Sekretärin.«
»Hm, morgen ist Samstag, da arbeiten wir nicht. Ich muss die Bewerber auch erst noch anrufen und vor allem erreichen. Wir haben schließlich Freitagabend.«
»Was Sie nicht sagen. Am Wochenende erreichen Sie sie höchstwahrscheinlich am ehesten. Aber ich muss Ihnen ihren Job ja nicht erklären, oder?«
Ich schnappe nach Luft. Was bildet sich dieser arrogante Sack eigentlich ein? Er ist überheblich und anmaßend. Ich versuche, nett zu sein, und er greift mich bei jeder Gelegenheit an und stellt mich als Dummerchen hin.
»Natürlich«, ist das einzige Wort, das ich herausbringe. In Gedanken zähle ich langsam von zehn herunter, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich gekränkt hat.
»Also schön, dann kommen Sie heute Abend zu mir ins Büro«, sagt er, während er irgendwelche Papiere auf seinem Schreibtisch ordnet. Ich komme mir vor, als hätte ich ein Verbrechen begangen, mir anzumaßen, freitags um mittlerweile 17:30 Uhr in den Feierabend gehen zu wollen. Außerdem hasse ich es, irgendwo hinkomplimentiert zu werden. Ich bin doch nicht seine Angestellte oder sein Eigentum, mit dem er machen kann, was er will. So weit kommt es noch, dass ich mich von im manipulieren lasse.
»Eigentlich habe ich bereits seit einer Stunde Feierabend Mr. Mason. Können wir das nicht auf ...«
»Miss Parker, Sie haben mich wohl nicht verstanden«, werde ich sofort unterbrochen. »Wollen Sie den Abschluss machen oder nicht? Es gibt viele kompetente Personalvermittler in der Stadt. Vielleicht sollte ich doch lieber mit Mr. Ramsey selbst sprechen. Mir scheint, Sie haben die Dringlichkeit der Angelegenheit nicht erkannt. Mr. Ramsey wird Ihnen die Überstunden sicher bezahlen und falls Sie sich Gedanken um Ihr Abendessen machen, da kann ich Sie beruhigen. Wir können den Termin gerne in ein Restaurant verlegen. Auch ich muss zwischendurch essen.«
Die Ansprache hat gesessen. Ich sollte das Gespräch einfach beenden, aber ich weiß natürlich auch von meinem Chef, dass viele seiner Geschäfte an Wochenenden oder späten Abenden und bei netten Gesprächen in Restaurants abgeschlossen werden und ich will den Job hier nicht vermasseln. Mein Ehrgeiz ist angestachelt und trotzdem werde ich diesem Macho jetzt auf die ganz nette, souveräne und sachlich Art entgegentreten und ihm sagen, dass er gefälligst einen Gang zurückschalten soll.
»Selbstverständlich tun wir alles, um Sie zufrieden zu stellen, Mr. Mason. Trotz alledem tut es mir leid, Ihnen heute Abend absagen zu müssen. Ich habe bedauerlicherweise bereits andere Verpflichtungen, die ich nicht verschieben kann. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Schauen Sie sich die Bewerber an und schicken Sie mir später eine Mail. Ich werde versuchen, die Anwälte am Wochenende anzurufen und am Montag Termine für Bewerbungsgespräche - natürlich mit ihrer Sekretärin - zu vereinbaren. Wären Sie damit einverstanden, Mr. Mason?«, sage ich mit zuckersüßer Stimme und ich weiß, dass es ein wenig zu aufgesetzt klingt. Darum halte ich kurz die Luft an, während ich ihm weiterhin mein freundliches Lächeln schenke, dass es fast schmerzt. Er wirkt überrascht und scheint für einen kurzen Moment seine Antwort abzuwägen. Dann nickt er zurückhaltend mit dem Kopf. Volltreffer!
»Also gut, Miss Parker. Ich verlasse mich auf Sie. Ich hoffe, Sie enttäuschen mich nicht.«
»Selbstverständlich nicht. Ich erwarte dann Ihre Mail. Ein schönes Wochenende Mr. Mason«, wünsche ich ihm, bevor ich das Gespräch beende und einen kurzen Schrei von mir gebe. Am liebsten hätte ich in den Papierkorb neben mir gekotzt, so sehr hat dieser Anwalt mich aufgebracht. Dass ich von ihm Hilfe in meiner Steuersache erwarten kann, sollte ich schnellstens in den Wind schreiben.
Andrew
W