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"Kleider machen Leute" ist eine zeitlose Novelle über die Wirkung und Bewertung von Äußerlichkeiten. Keller stellt dem Äußeren allerdings eine innere Aufrichtigkeit an die Seite, sodass das rein Äußerliche erst durch einen ehrlichen Charakter zur Wirkung kommt.
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Seitenzahl: 148
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Gottfried Keller
Gottfried Keller - Kleider machen Leute
Literaturklassiker Band 7
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Editorial
Vorwort
Kleider machen Leute
Originalfassung: Kleider machen Leute
Weitere Werke Kellers
Weiterführende Literatur
Literaturwissenschaftliche Bücher von Manfred Müller
Literaturklassiker
Impressum neobooks
Originalausgabe: Kleider machen Leute, 1874 im zweiten Band der Novellensammlung „Die Leute von Seldwyla“
Autor: Gottfried Keller
Überarbeitung und Layout: Redaktion Müller, www.redaktion-mueller.de, 2016
Vorwort: Manfred Müller, M.A.
Warum gibt es jetzt noch eine weitere Publikations-Reihe mit Literaturklassikern? Es gibt doch schon so viele!
Die Redaktion Müller hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand einer rein subjektiven Bewertung und Klassifizierung Klassiker der deutschsprachigen Literatur in loser Reihenfolge zu veröffentlichen. Der Grund dafür ist relativ schnell geschildert:
Neuauflagen stehen immer mehr im Fokus und rücken damit stärker in die Beachtung des Lesemarktes als bereits bestehende Ausgaben. Das führt dazu, dass die Texte präsent bleiben und einer immer größeren Leserschaft zugänglich gemacht und näher gebracht werden. Die Redaktion Müller hat sich auf Werke konzentriert, die ihres Erachtens in den Literaturkanon eines jeden Bücherfreundes und jeder Bücherfreundin gehören.
Die Texte werden im Layout bearbeitet, und es werden zusätzliche Literaturhinweise gegeben. So erhält man weitergehende Informationen über den Primärtext zum Beispiel hinsichtlich Interpretationshilfen oder hinsichtlich der Einordnung des Ur-Textes in einen größeren Zusammenhang. Die in der Reihe Literaturklassiker herausgegebenen Werke erscheinen in einem modernen Gewand und nutzen alle Möglichkeiten des elektronischen Publizierens, z.B. von Verlinkung weiterer Quellen und ergänzender Texte.
Allen Einzelbänden der Literaturklassiker steht ein Vorwort von Manfred Müller voran, das das Werk sowohl in seiner Gesamtheit als auch im Kontext präsentiert. Manfred Müller ist Germanist und hat seine Abschlussarbeit über die Gewaltdarstellung und deren epistemologischen Dimensionen in Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ geschrieben – von daher ist es naheliegend, dass genau dieser Roman als Band 1 der Literaturklassiker gewählt wurde! In der aktuellen Konzeption ist zunächst die Veröffentlichung von 10 Bänden geplant, die ab Dezember 2013 sukzessive herausgegeben werden.
Viel Spaß beim Kennenlernen und Wiederentdecken der Literaturklassiker und beim Erschließen der zusätzlichen Materialien!
Manfred Müller, März 2017
In dieser Ausgabe der berühmten Keller-Novelle „Kleider machen Leute“ findet sich eine Nebeneinanderstellung des Textes in neuer deutscher Rechtschreibung sowie desjenigen in der Originalfassung, der einige sprachliche und orthografische Besonderheiten beinhaltet, die gerade einem jüngeren Publikum nicht unmittelbar zugänglich sind. Um aber diesen Text eben auch den jungen Menschen näherzubringen, wurde der Text deshalb behutsam sprachlich angepasst und dadurch dem heutigen Publikum verständlicher gemacht.
Die Authentizität zu wahren und dem Original Genüge zu tun behalten dabei Priorität, weshalb der Ursprungstext hier ebenfalls mit herausgegeben wird. So haben Leser und Leserin die Möglichkeit, sich für eine der beiden Fassungen zu entscheiden oder auch vergleichend beide zu lesen.
Die Geschichte des Schneiders Wenzel Strapinski wurde mehrfach verfilmt (am bekanntesten ist vermutlich die Darstellung durch Heinz Rühmann) und ist Gegenstand mehrerer musikalischer und dramatischer Adaptionen und erreichte nicht zuletzt dadurch einen hohen Verbreitungs- und Bekanntheitsgrad.
In der Eingliederung in die Literaturepochen wird Kellers Werk dem poetischen Realismus zugeordnet.
An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts, als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgend einer Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihm ordentlich von diesem Drehen und Reiben, denn er hatte wegen des Fallimentes [MM: Bankrott] irgend eines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt, als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagsbrot herwachsen sollte. Das Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Samt ausgeschlagen, der seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich blasser aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.
Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden ohne dass er etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im Stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste.
Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er wanderte und keine Ersparnisse mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde und erwarteten eher alles andere, als dass er betteln würde; so erstarben ihm, da er überdies nicht beredt war, die Worte im Munde, also dass er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, so schwarz wie des letzteren Samtfutter.
Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhe hinauf ging, stieß er auf einen neuen und bequemen Reisewagen, welchen ein herrschaftlicher Kutscher in Basel abgeholt hatte und seinem Herrn überbrachte, einem fremden Grafen, der irgendwo in der Ostschweiz auf einem gemieteten oder angekauften alten Schlosse saß. Der Wagen war mit allerlei Vorrichtungen zur Aufnahme des Gepäckes versehen und schien deswegen schwer bepackt zu sein, obgleich alles leer war. Der Kutscher ging wegen des steilen Weges neben den Pferden, und als er oben angekommen den Bock wieder bestieg, fragte er den Schneider, ob er sich nicht in den leeren Wagen setzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen und er hatte mit einem Blicke gesehen, dass der Fußgänger sich matt und kümmerlich durch die Welt schlug.
Derselbe nahm das Anerbieten dankbar und bescheiden an, worauf der Wagen rasch mit ihm von dannen rollte und in einer kleinen Stunde stattlich und donnernd durch den Thorbogen von Goldach fuhr. Vor dem ersten Gasthofe, zur Waage genannt, hielt das vornehme Fuhrwerk plötzlich, und alsogleich zog der Hausknecht so heftig an der Glocke, dass der Draht beinahe entzwei ging. Da stürzten Wirth und Leute herunter und rissen den Schlag auf; Kinder und Nachbaren umringten schon den prächtigen Wagen, neugierig, welch’ ein Kern sich aus so unerhörter Schale enthülsen werde, und als der verdutzte Schneider endlich hervorsprang in seinem Mantel, blass und schön und schwermütig zur Erde blickend, schien er ihnen wenigstens ein geheimnisvoller Prinz oder Grafensohn zu sein. Der Raum zwischen dem Reisewagen und der Pforte des Gasthauses war schmal und im Übrigen der Weg durch die Zuschauer ziemlich gesperrt. Mochte es nun der Mangel an Geistesgegenwart oder an Muth sein, den Haufen zu durchbrechen und einfach seines Weges zu gehen, – er tat dieses nicht, sondern ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe hinangeleiten und bemerkte seine neue seltsame Lage erst recht, als er sich in einen wohnlichen Speisesaal versetzt sah und ihm sein ehrwürdiger Mantel dienstfertig abgenommen wurde.
Der Herr wünscht zu speisen? hieß es, gleich wird serviert werden, es ist eben gekocht!
Ohne eine Antwort abzuwarten lief der Waagwirt in die Küche und rief: In drei Teufels Namen! Nun haben wir nichts als Rindfleisch und die Hammelkeule! Die Rebhuhnpastete darf ich nicht anschneiden, da sie für die Abendherren bestimmt und versprochen ist. So geht es! Den einzigen Tag, wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, muss ein solcher Herr kommen! Und der Kutscher hat ein Wappen auf den Knöpfen und der Wagen ist wie der eines Herzogs! und der junge Mann mag kaum den Mund öffnen vor Vornehmheit!
Doch die ruhige Köchin sagte: Nun, was ist denn da zu lamentieren, Herr? Die Pastete tragen Sie nur kühn auf, die wird er doch nicht aufessen! Die Abendherren bekommen sie dann portionenweise, sechs Portionen wollen wir schon noch herausbringen!
„Sechs Portionen? Ihr vergesst wohl, dass die Herren sich satt zu essen gewohnt sind!“ meinte der Wirth, allein die Köchin fuhr unerschüttert fort: „Das sollen sie auch! Man lässt noch schnell ein halbes Dutzend Koteletts holen, die brauchen wir so wie so für den Fremden, und was er übrig lässt, schneide ich in kleine Stückchen und menge sie unter die Pastete da lassen Sie nur mich machen!“
Doch der wackere Wirth sagte ernsthaft: „Köchin, ich habe Euch schon einmal gesagt, dass dergleichen in dieser Stadt und in diesem Hause nicht angeht! Wir leben hier solid und ehrenfest und vermögen es!“
„Ei der Tausend, ja, ja! rief die Köchin endlich etwas aufgeregt, wenn man sich dann nicht zu helfen weiß, so opfere man die Sache! Hier sind zwei Schnepfen, die ich den Augenblick vom Jäger gekauft habe, die kann man am Ende der Pastete zusetzen! Eine mit Schnepfen gefälschte Rebhuhnpastete werden die Leckermäuler nicht beanstanden! Sodann sind auch die Forellen da, die größte habe ich in das siedende Wasser geworfen, wie der merkwürdige Wagen kam, und da kocht auch schon die Brühe im Pfännchen so haben wir also einen Fisch, das Rindfleisch, das Gemüse mit den Koteletts, den Hammelbraten und die Pastete; geben Sie nur den Schlüssel, dass man das Eingemachte und den Dessert herausnehmen kann! Und den Schlüssel könnten Sie, Herr! mir mit Ehren und Zutrauen übergeben, damit man Ihnen nicht allerorten nachspringen muss und oft in die größte Verlegenheit gerät!“
„Liebe Köchin! Das braucht Ihr nicht übel zu nehmen, ich habe meiner seligen Frau am Todbette versprechen müssen, die Schlüssel immer in Händen zu behalten; sonach geschieht es grundsätzlich und nicht aus Misstrauen. Hier sind die Gurken und hier die Kirschen, hier die Birnen und hier die Aprikosen; aber das alte Konfekt darf man nicht mehr aufstellen; geschwind soll die Lise zum Zuckerbeck laufen und frisches Backwerk holen, drei Teller, und wenn er eine gute Torte hat, soll er sie auch gleich mitgeben!“
„Aber Herr! Sie können ja dem einzigen Gast das nicht alles aufrechnen, das schlägt’s beim besten Willen nicht heraus!“
„Tut nichts, es ist um die Ehre! Das bringt mich nicht um; dafür soll ein großer Herr, wenn er durch unsere Stadt reist, sagen können, er habe ein ordentliches Essen gefunden, obgleich er ganz unerwartet und im Winter gekommen sei! Es soll nicht heißen wie von den Wirten zu Seldwyl, die alles Gute selber fressen und den Fremden die Knochen vorsetzen! Also frisch, munter, sputet euch allerseits!“
Während dieser umständlichen Zubereitungen befand sich der Schneider in der peinlichsten Angst, da der Tisch mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde, und so heiß sich der ausgehungerte Mann vor Kurzem noch nach einiger Nahrung gesehnt hatte, so ängstlich wünschte er jetzt, der drohenden Mahlzeit zu entfliehen. Endlich fasste er sich einen Muth, nahm seinen Mantel um, setzte die Mütze auf und begab sich hinaus, um den Ausweg zu gewinnen. Da er aber in seiner Verwirrung, und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht gleich fand, so glaubte der Kellner, den der Teufel beständig umhertrieb, jener suche eine gewisse Bequemlichkeit, rief: Erlauben Sie gefälligst, mein Herr, ich werde Ihnen den Weg weisen! und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend anders endigte, als vor einer schön lackierten Türe, auf welcher eine zierliche Inschrift angebracht war.
Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch, sanft wie ein Lämmlein, dort hinein und schloss ordentlich hinter sich zu. Dort lehnte er sich bitterlich seufzend an die Wand, und wünschte der goldenen Freiheit der Landstraße wieder teilhaftig zu sein, welche ihm jetzt, so schlecht das Wetter war, als das höchste Glück erschien.
Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbsttätige Lüge, weil er in dem verschlossenen Raum ein wenig verweilte und er betrat hiermit den abschüssigen Weg des Bösen.
Unterdessen schrie der Wirth, der ihn gesehen hatte im Mantel dahin gehen: Der Herr friert! heizet mehr ein im Saal! Wo ist die Lise, wo ist die Anne? Rasch einen Korb Holz in den Ofen und einige Hände voll Späne, dass es brennt! Zum Teufel, sollen die Leute in der Waage im Mantel zu Tisch sitzen?
Und als der Schneider wieder aus dem langen Gange hervorgewandelt kam, melancholisch wie der umgehende Ahnherr eines Stammschlosses, begleitete er ihn mit hundert Komplimenten und Handreibungen wiederum in den verwünschten Saal hinein. Dort wurde er ohne ferneres Verweilen an den Tisch gebeten, der Stuhl zurechtgerückt und da der Duft der kräftigen Suppe, dergleichen er lange nicht gerochen, ihn vollends seines Willens beraubte, so ließ er sich in Gottes Namen nieder und tauchte sofort den schweren Löffel in die braungoldene Brühe. In tiefem Schweigen erfrischte er seine matten Lebensgeister und wurde mit achtungsvoller Stille und Ruhe bedient.
Als er den Teller geleert hatte und der Wirth sah, dass es ihm so wohl schmeckte, munterte er ihn höflich auf, noch einen Löffel voll zu nehmen, das sei gut bei dem rauen Wetter. Nun wurde die Forelle aufgetragen, mit Grünem bekränzt, und der Wirth legte ein schönes Stück vor. Doch der Schneider, von Sorgen gequält, wagte in seiner Blödigkeit nicht, das blanke Messer zu brauchen, sondern hantierte schüchtern und zimperlich mit der silbernen Gabel daran herum. Das bemerkte die Köchin, welche zur Thür hereinguckte, den großen Herren zu sehen, und sie sagte zu den Umstehenden: Gelobt sei Jesus Christ! Der weiß noch einen feinen Fisch zu essen, wie es sich gehört, der sägt nicht mit dem Messer in dem zarten Wesen herum, wie wenn er ein Kalb schlachten wollte. Das ist ein Herr von großem Hause, darauf wollt’ ich schwören, wenn es nicht verboten wäre! Und wie schön und traurig er ist! Gewiss ist er in ein armes Fräulein verliebt, das man ihm nicht lassen will! Ja ja, die vornehmen Leute haben auch ihre Leiden!
Inzwischen sah der Wirth, dass der Gast nicht trank, und sagte ehrerbietig: Der Herr mögen den Tischwein nicht, befehlen Sie vielleicht ein Glas guten Bordeaux, den ich bestens empfehlen kann?
Da beging der Schneider den zweiten selbsttätigen Fehler, indem er aus Gehorsam ja statt nein sagte, und alsobald verfügte sich der Waagwirt persönlich in den Keller, um eine ausgesuchte Flasche zu holen; denn es lag ihm alles daran, dass man sagen könne, es sei etwas Rechtes im Ort zu haben. Als der Gast von dem eingeschenkten Wein wiederum aus bösem Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, lief der Wirth voll Freuden in die Küche, schnalzte mit der Zunge und rief: Hol’ mich der Teufel, der versteht’s, der schlürft meinen guten Wein auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Goldwaage legt!
Gelobt sei Jesus Christ! sagte die Köchin, ich hab’s behauptet, dass er’s versteht!
So nahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf und zwar sehr langsam, weil der arme Schneider immer zimperlich und unentschlossen aß und trank und der Wirth, um ihm Zeit zu lassen, die Speisen genugsam stehen ließ. Trotzdem war es nicht der Rede wert, was der Gast bis jetzt zu sich genommen; vielmehr begann der Hunger, der immerfort so gefährlich gereizt wurde, nun den Schrecken zu überwinden, und als die Pastete von Rebhühnern erschien, schlug die Stimmung des Schneiders gleichzeitig um und ein fester Gedanke begann sich in ihm zu bilden. Es ist jetzt einmal, wie es ist, sagte er sich, von einem neuen Tröpflein Weines erwärmt und aufgestachelt; nun wäre ich ein Thor, wenn ich die kommende Schande und Verfolgung ertragen wollte ohne mich dafür satt gegessen zu haben! Also vorgesehen, weil es noch Zeit ist! Das Türmchen, was sie da aufgestellt haben, dürfte leichtlich die letzte Speise sein, daran will ich mich halten, komme was da wolle! Was ich einmal im Leibe habe, kann mir kein König wieder rauben!
Gesagt, getan; mit dem Mute der Verzweiflung hieb er in die leckere Pastete, ohne an ein Aufhören zu denken, so dass sie in weniger als fünf Minuten zur Hälfte geschwunden war und die Sache für die Abendherren sehr bedenklich zu werden begann. Fleisch, Trüffeln, Klößchen, Boden, Deckel, alles schlang er ohne Ansehen der Person hinunter, nur besorgt, sein Ränzchen voll zu packen, ehe das Verhängnis hereinbräche; dazu trank er den Wein in tüchtigen Zügen und steckte große Brotbissen in den Mund; kurz es war eine so hastig belebte Einfuhr, wie wenn bei aufsteigendem Gewitter das Heu von der nahen Wiese gleich auf der Gabel in die Scheune geflüchtet wird. Abermals lief der Wirth in die Küche und rief: Köchin! Er isst die Pastete auf, während er den Braten kaum berührt hat! Und den Bordeaux trinkt er in halben Gläsern!
Wohl bekomm’ es ihm, sagte die Köchin, lassen Sie ihn nur machen, der weiß, was Rebhühner sind! Wär’ er ein gemeiner Kerl, so hätte er sich an den Braten gehalten!
Ich sag’s auch, meinte der Wirt: Es sieht sich zwar nicht ganz elegant an; aber so hab’ ich, als ich zu meiner Ausbildung reiste, nur Generäle und Kapitelsherren essen sehen!
Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde füttern lassen und selbst ein handfestes Essen eingenommen in der Stube für das untere Volk, und da er Eile hatte, ließ er bald wieder anspannen. Die Angehörigen des Gasthofes zur Waage konnten sich nun nicht länger enthalten und fragten, eh’ es zu spät wurde, den herrschaftlichen Kutscher geradezu, wer sein Herr da oben sei, und wie er heiße? Der Kutscher, ein schalkhafter und durchtriebener Kerl, versetzte: Hat er es noch nicht selbst gesagt?
Nein, hieß es, und er erwiderte: Das glaub’ ich wohl, der spricht nicht viel in einem Tage; nun, es ist der Graf Strapinski! Er wird aber heut’ und vielleicht einige Tage hier bleiben, denn er hat mir befohlen mit dem Wagen vorauszufahren.
Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an dem Schneiderlein zu rächen, das, wie er glaubte, statt ihm für seine Gefälligkeit ein Wort des Dankes und des Abschiedes zu sagen, sich ohne Umsehen in das Haus begeben hatte und den Herren spielte. Seine Eulenspiegelei aufs Äußerste treibend, bestieg er auch den Wagen, ohne nach der Zeche für sich und die Pferde zu fragen, schwang die Peitsche und fuhr aus der Stadt, und alles ward so in der Ordnung befunden und dem guten Schneider aufs Kerbholz gebracht.