Gracie in Love - Susan Mallery - E-Book
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Gracie in Love E-Book

Susan Mallery

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Beschreibung

Gracie Landon ist 28 Jahre alt und zum ersten Mal so richtig verliebt. Allerdings ausgerechnet in Riley Whitefield - derselbe Riley, dem sie als 14-Jährige in blinder Teenagerverknalltheit nachgestellt hat. Und zwar so sehr, dass die ganze Stadt sich darüber amüsierte. Keinesfalls möchte Gracie wieder zum Gesprächsstoff von Los Lobos werden und bemüht sich, Riley so gut es geht aus dem Weg zu gehen.Als allerdings jemand versucht, Gracies mühsam aufgebauten Ruf als Hochzeitstorten-Konditorin zu zerstören, ist es ausgerechnet Riley, der ihr zu Hilfe eilt. Und Gracie stellt fest: Es ist einfach, sich den Mann seiner Träume aus dem Kopf zu schlagen - aber nur solange, bis man ihm wieder gegenübersteht …

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Seitenzahl: 435

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MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Falling for Gracie

Copyright © 2005 by Susan Macias Redmonderschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V/S.àr.l.

Titelabbildung: ipopba / GettyImages

Lektorat: Ivonne Senn

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN eBook 9783955769871

www.harpercollins.de

Für Barbara M.

Wie Gracie liebst auch du

von ganzem Herzen

1. KAPITEL

Gracie? Gracie Landon, bist du das?“ Erwischt – und keine Chance zu entkommen. Gracie Landon stand im Vorgarten ihrer Mutter, in der einen Hand die Zeitung, in der anderen die Kaffeetasse, und starrte verzweifelt in Richtung Haustür – ihrer einzigen Rettung.

Theoretisch könnte sie einfach lossprinten, aber das wäre extrem unhöflich. Das konnte sie der über achtzigjährigen Nachbarin Eunice Baxter nicht antun. Und außerdem war sie gut erzogen.

Also schüttelte sie kurz den Schopf, damit ihr die noch vom Schlaf verwuschelten Strähnen nicht ins Gesicht hingen, und schlurfte in den Tweetie-Bird-Hausschuhen ihrer kleinen Schwester hinüber zum niedrigen Gartenzaun, der das Grundstück ihrer Familie von dem von Eunice Baxter trennte.

„Guten Morgen, Mrs. Baxter“, begrüßte sie die alte Dame, in der Hoffnung, dass ihr Missmut nicht auffiel. „Richtig, ich bin es. Gracie.“

„Du liebe Güte, das gibt es doch nicht! Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen, aber ich würde dich immer und überall wiedererkennen, glaub mir. Wie lange ist das jetzt her?“

„Vierzehn Jahre.“ Ihr halbes Leben. Und sie hatte so sehr gehofft, die Leute hätten sie vergessen.

„Das kommt hin. Gut siehst du aus! Damals, als du weggegangen bist, warst du wirklich ein schrecklich hässliches Kind, das muss ich dir mal sagen. Selbst deine arme Mutter hatte Sorge, dass du niemals hübsch werden würdest. Aber jetzt bist du es – und so strahlend schön wie ein Fotomodel!“

Gracie wollte nicht unbedingt an ihre „Hässliche-Entlein-Zeit“ erinnert werden – diese Phase hatte bei ihr volle sechs Jahre gedauert. Also erwiderte sie nur: „Danke schön“ und schickte sich an, wieder ins Haus zu gehen.

Eunice schüttelte ihre Dauerwellenlocken. „Ich habe letztens erst mit meiner Freundin Wilma über dich gesprochen. Wir finden, dass ihr jungen Dinger von heute gar nicht mehr wisst, was richtige Liebe ist. So, wie man das in all den Filmen immer sieht. Oder wie es bei dir war, damals mit Riley Whitefield.“

Oh Gott, Hilfe! Bitte nicht auch noch das Thema Riley Whitefield! Alles, nur das nicht! Konnte ihre Vergangenheit als krankhaft verliebte Teenager-Stalkerin nicht irgendwann einmal begraben werden?

„Als Liebe kann man das eigentlich nicht bezeichnen“, stellte Gracie fest und fragte sich einmal mehr, warum sie überhaupt nach all der Zeit wieder hierher zurückgekehrt war. Aber der Grund war ja klar – die Hochzeit ihrer kleinen Schwester.

„Du warst das Abbild wahrer Liebe“, widersprach Eunice ihr. „Darauf solltest du stolz sein. Du hast diesen Jungen von ganzem Herzen geliebt und hattest keine Angst, das auch zu zeigen. Dazu braucht es eine Menge Mut.“

Oder Idiotie, dachte Gracie und lächelte schwach. Der arme Riley. Sie hatte ihm damals das Leben wirklich zur Hölle gemacht.

„Und als dieser eine Reporter in der Zeitung einen Artikel über dich schrieb, erfuhren alle von eurer Geschichte“, fuhr Eunice fort. „Du warst richtig berühmt.“

„Wohl eher berüchtigt“, murmelte Gracie und erinnerte sich an den demütigenden Morgen, als sie beim Frühstück in der Zeitung über ihre Liebe zu Riley lesen musste.

„Wilmas Lieblingsaktion von dir war, als du Türen und Fenster am Haus seiner Freundin zugenagelt hast, damit sie nicht zu ihrer Verabredung mit ihm gehen konnte. Das war nicht schlecht. Mich hat aber noch mehr beeindruckt, als du dich gleich da drüben einfach vor sein Auto gelegt hast.“ Eunice deutete auf die Straße vor ihrem Haus.

„Ich habe alles mit angesehen. Du hast ihm gesagt, du liebst ihn zu sehr, um ertragen zu können, dass er Pam heiratet. Und wenn er die Verlobung mit ihr nicht auflöst, könnte er dich genauso gut gleich überfahren und deinem Elend ein Ende setzen.“

Gracie hielt ein genervtes Stöhnen zurück. „Ja, das kam echt gut.“

Warum durften alle anderen die peinlichen Schandtaten ihrer Jugend vergessen, aber über ihre Aktionen wurde immer noch geredet?

„Ich schätze, ich sollte mich endlich mal bei Riley entschuldigen.“

„Er ist ja auch wieder hier“, eröffnete Eunice ihr freudestrahlend. „Wusstest du das?“

Nachdem es ihr jeder sofort mitgeteilt hatte, dem sie in den letzten Tagen in der Stadt begegnet war – ja, sie wusste es. „Ach, wirklich?“

Die alte Dame zwinkerte. „Und er ist wieder solo. Wie sieht’s bei dir aus, Gracie? Gibt es jemanden in deinem Leben?“

„Nein. Aber ich habe im Job viel zu tun und bin damit ...“

Eunice nickte wissend. „Das kann nur Schicksal sein. Ganz eindeutig. Das Schicksal hat euch beide wieder zusammengeführt, um euch eine zweite Chance zu geben.“

Gracie würde lieber nackt auf einem Ameisenhaufen festgekettet werden, als jemals wieder in ihrem Leben etwas mit Riley Whitefield zu tun zu haben. Auf weitere Demütigungen konnte sie verzichten. Und er würde bestimmt auch einiges darum geben, ihr niemals wieder zu begegnen.

„Das ist nett, dass Sie das denken. Aber ich glaube nicht...“

„Vielleicht mag er dich immer noch“, unterbrach Eunice sie.

Gracie lachte. „Mrs. Baxter, ich war das Grauen für ihn! Selbst heute noch würde er schreiend davonrennen, wenn er mich zu Gesicht bekäme!“ Und wer konnte es ihm verdenken?

„Manchmal muss man einem Mann einen kleinen Schubs geben.“

„Und manchmal muss man einen Mann auch in Ruhe lassen.

Und genau das hatte sie vor. Kein Hinterherlaufen mehr. Im Gegenteil, sie würde sämtliche Veranstaltungen meiden, auf denen sie Riley begegnen könnte. Und falls sie doch zufällig aufeinandertreffen sollten, würde sie sich ihm gegenüber kühl, distanziert und höflich geben. Wer weiß, vielleicht würde sie ihn nicht einmal erkennen. Und was immer sie damals auch für Riley empfunden hatte – dieses Gefühl gab es nicht mehr. Aus und vorbei. Sie war schon lange über ihn weg.

Außerdem war sie inzwischen eine andere. Kultiviert. Reif. Garantiert keine Stalkerin mehr.

„Was war los?“, fragte Vivian, als Gracie endlich wieder in der Landonschen Küche erschien. „Hat dir Mrs. Baxter ein Gespräch aufgezwungen?“

„Oh ja.“ Gracie legte die Zeitung auf die Anrichte und nahm einen großen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse. „Ich sag’s dir. Es kommt mir vor, als hätte ich die Stadt erst vor vierzehn Tagen verlassen, nicht vor vierzehn Jahren.“

„Alte Menschen haben ein anderes Verhältnis zur Zeit“, stellte Vivian fest und schüttelte ihre rotblonde Lockenpracht. Sie gähnte. „Außerdem stehen sie viel zu früh auf. Mom hat auch schon vor sieben das Haus verlassen.“

„Hat sie nicht was von einer besonderen Schnäppchen-Aktion im Laden erzählt?“ Gracie setzte sich auf einen Barhocker und stellte ihre Tasse ab. „Bei der du helfen solltest?“

„Ich weiß, ich weiß.“ Vivian streckte sich. „Ich bin selbst schuld. Was suche ich mir auch ein Brautkleid für dreitausend Dollar aus? Ich hatte die Wahl zwischen: mein Budget mit dem Kleid total zu überziehen und dafür meinen Gästen nichts zu essen anbieten zu können oder Sklavendienste zu tun.“ Sie grinste. „Immerhin bekomme ich eine grandiose Hochzeitstorte gratis.“

„Hast du ein Glück.“

Als Schwester der Braut hatte Gracie angeboten, für die Feier eines ihrer Tortenmeisterwerke beizusteuern. Ein schneller Blick auf den Wandkalender verriet ihr, dass die Hochzeit in genau fünf Wochen stattfinden sollte. Wäre sie schlauer gewesen, hätte sie sich bis kurz vor der Hochzeit ferngehalten, wäre erst in letzter Minute mit der Torte aufgetaucht, hätte nett mit den anderen gefeiert und wäre dann sofort wieder verschwunden. Doch die hektischen Anrufe ihrer Mutter und ihrer Schwestern Vivian und Alexis hatten bei Gracie Gewissensbisse hervorgerufen. Also hatte sie sich breitschlagen lassen, schon früher zu kommen und bei der Hochzeitsplanung zu helfen.

Zur Belohnung durfte sie nun alle vorbestellten Torten in einem seltsamen Ofen backen, dem sie nicht so recht traute. Und dann wurde sie auch noch von alten Damen gequält, die unbedingt immer noch über Gracies längst vergangenes, fragwürdiges Liebesleben reden mussten.

„Schön ist anders“, murmelte Gracie vor sich hin.

Vivian grinste. „Hat Mrs. Baxter vielleicht erwähnt, dass Riley Whitefield wieder in der Stadt ist?“

Gracie warf ihr einen wütenden Blick zu. „Wolltest du nicht gehen?“

Lachend lief Vivian die Treppe hoch.

Gracie sah zu, wie ihre Schwester oben verschwand, dann schnappte sie sich die Zeitung und freute sich auf einen geruhsamen Morgen. Am Nachmittag würde sie in das kleine Haus umziehen, das sie für ihren sechswöchigen Aufenthalt in der Stadt gemietet hatte. Aber bis dahin konnte sie es ruhig angehen lassen.

Leider riss in diesem Moment jemand die hintere Eingangstür auf.

„Oh, gut. Du bist schon auf.“ Gracies drei Jahre ältere Schwester Alexis kam herein und sah sich um. „Wo ist Vivian?

„Sie macht sich fertig, um in den Haushaltswarenladen zu fahren.“

Alexis runzelte die Stirn. „Ich dachte, sie wäre schon längst weg. Fing der Straßenverkauf nicht um acht an?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Gracie.

Immerhin war sie erst seit zwei Tagen wieder zu Hause und musste sich noch zurechtfinden. Während Alexis und Vivian hier aufgewachsen waren, hatte sie mit vierzehn die Stadt verlassen und war seitdem nie wieder hier gewesen.

Alexis goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf den Hocker neben Gracie.

„Ich muss dir etwas sagen“, eröffnete ihre Schwester ihr mit leiser, leicht zitternder Stimme. „Aber weder Vivian noch Mom dürfen etwas davon erfahren. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen machen, jetzt, in dem ganzen Hochzeitsstress.“

„In Ordnung“, willigte Gracie ein und fragte sich, was die Geheimniskrämerei zu bedeuten hatte. Aber es schien etwas Ernstes dahinterzustecken, wie sie dem Verhalten ihrer Schwester entnahm.

„Es geht um Zeke“, eröffnete ihr Alexis und presste die Lippen aufeinander. „Scheiße, ich wollte doch nicht heulen!“

Gracie wurde unruhig. Zeke und Alexis waren seit fünf Jahren verheiratet – allem Vernehmen nach glücklich.

Alexis holte tief Luft und sagte dann: „Ich glaube, er betrügt mich.“

„Was? Das kann nicht sein! Er ist verrückt nach dir!“

„Das dachte ich auch.“ Alexis wischte sich über die Augen. „Aber ...“ Sie unterbrach sich, als von oben klopfende Geräusche zu hören waren. „Er verschwindet jeden Abend und kommt nicht vor drei oder vier Uhr morgens nach Hause. Und wenn ich ihn frage, was los ist, sagt er, er ist in Sachen Wahlkampf unterwegs. Aber das glaube ich ihm nicht.“

Sorgfältig faltete Gracie die Zeitung zusammen. „Welcher Wahlkampf? Ist Zeke nicht im Versicherungsgeschäft?“

„Ja, aber er ist der Wahlkampfmanager für Riley Whitefield bei den Bürgermeisterwahlen. Ich dachte, das wüsstest du.“

Gracie war mehr als überrascht. „Seit wann das denn?“

„Seit ein paar Monaten schon. Riley hat Zeke angeheuert, weil ...“

Schritte donnerten geräuschvoll die Treppe herunter. Sekunden später stand Vivian in der Küche.

„Hey, Alexis“, sagte sie und flocht ihre langen Haare zu einem Zopf. „Willst du nicht heute für mich in den Laden gehen?“

„Nicht wirklich.“

Vivian grinste. „Man kann ja mal fragen. Dann bin ich jetzt weg zur Sklavenarbeit, um mir mein Traum-Hochzeitskleid leisten zu können. Amüsiert euch nicht allzu sehr in meiner Abwesenheit!“

Die Hintertür knallte ins Schloss, und kurz darauf hörte man, wie ein Motor startete. Erst erfolglos, dann sprang er an.

Alexis ging hinüber zum Fenster über der Spüle und schaute hinaus. „Sie ist weg. Wo waren wir stehen geblieben?“

„Du hattest mir gerade eröffnet, dass dein Mann jetzt für Riley Whitefield arbeitet. Und wie kam es dazu?“

„Nach dem Studium hat Zeke zwei Jahre für einen Senator aus Arizona gearbeitet.“ Ihre Sorge legte sich ein wenig, und lächelnd sah sie Gracie an. „Ich war damals am Arizona State College, und er ...“ Alexis schüttelte den Kopf. „Mein Gott, wie ewig ist das her. Ich fasse es nicht, dass er mir so etwas antun kann. Ich liebe ihn doch so sehr. Ich dachte ...“ Ihre Stimme brach. „Was soll ich denn jetzt bloß machen?“

Gracie hatte das Gefühl, in einer dieser Rummelplatzattraktionen zu sein, einem Haus voller Zerrspiegel, in dem nichts so war, wie es schien, und man zwangsläufig die Orientierung verlor.

Natürlich, Alexis und Vivian waren ihre Schwestern. Ihre Verwandtschaft war nicht zu übersehen, sie hatten alle lange blonde Haare – Alexis mit einem Stich ins Weiße, Vivian ins Rote und Gracie ins Goldene -, blaue Augen und in etwa dieselbe Statur. Aber ansonsten gab es kaum Gemeinsamkeiten. Gracie hatte ihre Schwestern seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, nur über die Entfernung Kontakt gehabt. Sie wusste einfach nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, wie sie plötzlich die Beraterin ihrer Schwester in privaten Dingen sein konnte.

„Du weißt doch gar nicht sicher, ob wirklich eine andere Frau dahintersteckt“, wagte sie einen Kommentar. „Vielleicht arbeitet er wirklich für die Kampagne.“

„Stimmt, das weiß ich nicht. Aber ich werde es herausfinden.“ Alexis ging einen Schritt auf sie zu.

Ein ungutes Gefühl machte sich in Gracie breit. „Tut mir leid, wenn ich frage, aber: Wie willst du das anstellen?“

„Indem ich seine Aktivitäten überprüfe. Heute Abend ist angeblich so ein Treffen mit Riley. Und ich werde da sein.“

„Das ist keine besonders gute Idee“, gab Gracie zu bedenken und griff nach ihrer Kaffeetasse. „Glaub mir. Ich weiß, wovon ich rede. Meine persönliche Riley-Erfahrung.“

„Nichts wird mich davon abhalten“, sagte Alexis trotzig, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Und du musst mir helfen.“

Gracie stellte ihre Tasse ab. „Auf keinen Fall, Alexis. Das geht nicht. Das kannst du vergessen. Das ist doch Irrsinn!“

Wieder flössen Tränen über die Wange ihrer Schwester. Alexis sah auf einmal aus wie der personifizierte Schmerz, was Gracies Ratlosigkeit noch verstärkte. Dennoch versuchte sie, Alexis von ihrer Idee abzubringen.

„Das wird in einer Katastrophe enden“, bekräftigte sie ihre Worte mit überzeugender Stimme. „Und ich mache dabei nicht mit.“

„Ich verstehe“, erwiderte Alexis, während ein Zittern ihre Mundwinkel vibrieren ließ.

„Gut. Denn das musst du alleine durchziehen.“

Ein paar Stunden später schlich Gracie mit ihrer Schwester an einer akkurat geschnittenen Hecke entlang, die zur Villa der Familie Whitefield gehörte, dem Zuhause unzähliger Generationen wohlhabender Whitefields. Inzwischen war Riley hier eingezogen.

„Das ist doch Wahnsinn“, flüsterte Gracie ihrer Schwester zu, als diese nur ein paar Meter von einem der Hinterfenster entfernt in die Hocke ging. „Ich habe damit aufgehört, Riley zu verfolgen, als ich vierzehn war. Und jetzt fange ich wieder damit an!“

„Du verfolgst nicht Riley, sondern Zeke. Das ist ein Unterschied.“

„Aber wenn Riley uns erwischt, wird er das anders sehen.“

„Wir lassen uns nicht erwischen. Hast du deine Kamera dabei?“

Gracie hielt ihre alte, zuverlässige Polaroidkamera hoch.

In der kleinen Linse spiegelte sich das Licht der Straßenlaterne.

„Bist du bereit?“, fragte Alexis. „Das Fenster der Bibliothek ist um die Ecke. Von da solltest du sie gut vor die Linse bekommen.“

„Warum machst du das Bild nicht selbst?“, wollte Gracie wissen, deren Beine plötzlich schwer wie Blei waren.

„Weil ich hier stehen bleibe, um zu sehen, ob irgendein Flittchen über den Hintereingang das Haus verlässt.“

„Warum sollte Zeke sich mit seiner Affäre ausgerechnet hier treffen und nicht in einem Motel?“

„Das wäre dumm, denn ich kümmere mich um die Rechnungen. Außerdem hat Zeke auch schon mal einem Kumpel seine Studentenbude für ein Têteà-Tête zur Verfügung gestellt, und dasselbe tut eben Riley jetzt für Zeke. Oder glaubst du im Ernst, dass so ein Treffen wegen einer Wahlkampagne bis zwei Uhr morgens dauert?“

Auf eine sehr verquaste neurotische Art war an dieser Argumentation sogar etwas dran. Gracie kroch näher ans Haus heran. Trotzdem war es Irrsinn, sich auf ein Privatgrundstück zu schleichen und durch ein Fenster Beweisfotos machen zu wollen.

„Wir wissen doch nicht mal, ob sie überhaupt in der Bibliothek sind“, flüsterte sie ihrer Schwester zu.

„Zeke hat mir aber gesagt, dass sie sich immer da treffen. Wenn es also wirklich ein Treffen gibt, dann muss er dort sein.“

„Kann ich nicht einfach durch das Fenster gucken und dir berichten, was ich sehe?“

„Ich will einen Beweis.“

Was Gracie wollte, stand offensichtlich nicht zur Debatte. Gegen ihre eigensinnige Schwester war sie einfach machtlos. Sie musste ihr helfen, ob sie wollte oder nicht. Sie würde jetzt die Bilder machen, und dann könnten sie verschwinden. Es brachte nichts, herumzuhocken und zu streiten.

„Es geht los“, sagte Gracie also und kroch noch näher auf das Haus zu.

Das Gebüsch unter dem Fenster war dichter, als es zunächst erschien. Sie zerkratzten sich die nackten Arme und blieben mit ihren Klamotten hängen. Außerdem stellte sich heraus, dass das Fenster der Bibliothek ziemlich hoch oben war. Gracie musste also die Kamera über den Kopf halten und blind den Auslöser drücken – ohne zu wissen, was oder wer in dem Zimmer war. Nur mit überaus viel Glück wäre überhaupt jemand auf dem Bild zu sehen.

Aber genau in diesem Moment sah tatsächlich eine Gestalt aus dem Fenster.

„Dann wollen wir mal“, murmelte Gracie, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte auf den Auslöser.

Ein greller Blitz durchzuckte den dunklen Garten. Im selben Moment ließ sich Gracie fluchend auf die Knie fallen. Verdammt! Wieso hatte sie nicht daran gedacht, den Blitz auszuschalten?

„Vermutlich weil ich mit der Kamera normalerweise Fotos von Hochzeitstorten mache und nicht von Leuten, denen ich hinterherspioniere“, murmelte sie, sprang dann auf und rannte zum Wagen.

Keine Spur von Alexis. Jetzt nur noch so schnell wie möglich weg von hier, bevor ...

„Stehen bleiben!“

Der harsche Befehl wurde begleitet von einem unangenehmen Gefühl zwischen ihren Schulterblättern, gegen die etwas Hartes, Pistolenartiges gedrückt wurde. Gracie erstarrte.

„Was machen Sie hier? Falls Sie etwas stehlen wollten, sind Sie ziemlich unprofessionell. Oder schießen Sie immer zuerst Leuchtraketen ab?“

„Normalerweise nicht“, gab Gracie stockend zu. „Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Aber ich kann das alles erklären. Wirklich.“

Noch während sie sprach, drehte Gracie sich um. Dann erkannte sie den Mann, der die Waffe auf sie gerichtet hatte – und er erkannte sie.

Beide erschraken. Gracie wünschte nur noch, die Erde würde sich vor ihr auftun und sie verschlingen. Wäre ihm gerade ein Gespenst begegnet, sein Blick hätte nicht erstaunter sein können.

„Herr im Himmel“, entfuhr es Riley Whitefield. „Gracie Landon, das bist doch bitte nicht du?“

2. KAPITEL

Da sich die Erde offensichtlich nicht auftun wollte, beschwor Gracie einen großen fleischfressenden Dinosaurier auf die Bildfläche, der sie mit Haut und Haaren verschlingen würde. Ein paar Außerirdische, die sie in ihr Raumschiff zerren würden, waren ebenfalls denkbar, damit sie nicht hier stehen und Riley anstarren müsste, der wirklich unglaublich gut aussah. Selbst medizinische Experimente der Außerirdischen würde sie klaglos über sich ergehen lassen.

Gracie hatte Riley seit dem Sommer, in dem sie vierzehn Jahre alt geworden war, nicht mehr gesehen. Er war damals achtzehn, in der eigenartigen, aber spannenden Phase zwischen Schuljungem und erwachsenem Mann. Inzwischen war er ein stattlicher Kerl und immer noch gefährlich sexy. Doch sein Blick erweckte in ihr lediglich den Wunsch, auf der Stelle sterben zu wollen.

„Ich kann alles erklären“, presste Gracie hervor und fragte sich gleichzeitig, ob das wirklich stimmte. Wie sollte sie ihn davon überzeugen, dass sie nicht mehr die verrückte Stalkerin von früher war, die man erst vor Kurzem aus einer medizinischen Einrichtung entlassen hatte?

„Gracie Landon?“, wiederholte er.

Seine Waffe war jetzt nicht mehr direkt auf sie gerichtet. Immerhin etwas.

„Es ist wirklich nicht so, wie du denkst“, begann sie eine Erklärung und wich zurück. Es wäre vielleicht besser für beide, wenn sie einfach im Dunkel der Nacht verschwände. Und wo war überhaupt ihre Schwester? Typisch, dass Alexis sich aus dem Staub machte, kaum dass es brenzlig wurde. Sie hatte es schon immer Gracie überlassen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

„Du bist also nicht um mein Haus geschlichen und hast Fotos gemacht?“, fragte Riley.

„Na ja. Schon. Aber dabei ging es nicht um dich. Also, theoretisch.“

Die Farbe seiner Augen erinnerte sie an einen mitternächtlichen Sturm – so hatte sie es jedenfalls als Teenager beschrieben. Sie hatte seinen Augen und seinem Mund ein wirklich schlechtes Haiku gewidmet. Sie hatte sich vorgestellt, wie er sie küssen würde, wenn er endlich begriff, dass sie beide zusammengehörten. Sogar seine diversen Freundinnen – wenn er mit ihnen Schluss gemacht hatte – bekamen ihre selbst geschriebenen Gedichte zugeschickt, um ihr Mitleid zum Ausdruck zu bringen.

Ja, liebe Jenny, nur ich kann verstehen,

Wie magisch es ist, ihm gegenüberzustehen.

Gracie legte eine Hand auf ihren Magen, der zu rebellieren begann. Wieso fielen ihr plötzlich diese Zeilen ein, die vor Ewigkeiten entstanden waren, wo sie sich morgens meistens nicht einmal daran erinnern konnte, wo sie am Vorabend den Autoschlüssel hingelegt hatte?

„Mit mir stimmt wirklich etwas nicht“, murmelte sie.

„Das glaube ich auch“, stimmte Riley ihr zu.

Sie sah ihn an. „Danke. Das macht die Situation auch nicht gerade besser. Wenn ich kurz etwas zu den Umständen sagen darf: Ich bin nicht deinetwegen hier. Es geht um meinen Schwager Zeke. Angeblich wollte er sich heute Abend mit dir treffen, wegen deines Bürgermeisterwahlkampfs. Jetzt weißt du Bescheid.“ Sie schwenkte die Kamera vor Rileys Gesicht.

Er runzelte die Stirn. „Du stellst deinem Schwager nach?“

„Wie bitte?“, rief Gracie empört. „Nein! Natürlich nicht. Igitt! Meine Schwester Alexis hat mich gebeten ...“ Sie unterbrach sich, drehte sich um und wollte gehen – falls ihre Schwester nicht schon mit dem Wagen abgehauen war. „Vergiss es einfach.“

„Moment mal. Nicht so schnell.“ Riley packte sie am Arm. „Du kannst nicht einfach auf mein Grundstück spazieren, Fotos machen und dann mir nichts, dir nichts wieder gehen. Woher soll ich wissen, ob du nicht vielleicht auch einen Sprengsatz an meinem Wagen angebracht hast?“

Wutentbrannt riss Gracie sich los und baute sich vor ihm auf. „Ich habe dich niemals körperlich angegriffen“, bemerkte sie so ruhig wie möglich, obwohl sie am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Das war alles so unfair! „Als ich in dich verknallt war, wollte ich immer nur verhindern, dass du dich mit deinen Freundinnen triffst. Aber dabei ist nie jemand zu Schaden gekommen.“

„Du hast dich vor mein Auto geworfen und mich angefleht, dich zu überfahren!“

Gracie wurde rot vor Scham. Warum musste sie jeder an die Vergangenheit erinnern? Wieso trampelten immer noch alle darauf herum?

„Da ging es um mich, damit hätte ich nicht dich verletzt.“ Sie keuchte. Sei friedlich, ermahnte sie sich. Jetzt könnte sie das Mittel gegen Sodbrennen gebrauchen. „Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Ich bereue es, dass ich mich von meiner Schwester habe überreden lassen hierherzukommen. Ich wusste von Anfang an, dass das keine gute Idee ist. Es wird nicht wieder vorkommen. Egal, welche Probleme sie mit Zeke hat, ich werde mich nie wieder einmischen. Nie wieder.“

Riley sah sie fragend an. „Probleme mit Zeke?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ich denke, es geht mich sehr wohl etwas an. Schließlich wurden auf meinem Grundstück Fotos gemacht.“

Tja. Das war ein Argument. Keine gutes, aber immerhin. „Es ist so: Zeke benimmt sich in letzter Zeit reichlich seltsam. Er kommt superspät nach Hause und sagt nicht, wo er war. Er schiebt alles auf den Wahlkampf, aber Alexis glaubt, in Wirklichkeit hat er eine Affäre.“

Riley stieß einen Fluch aus und packte sie wieder am Arm. „Na gut. Dann komm mal mit.“

„Lass mich los!“

Ohne auf Gracie zu achten, zog er sie mit sich.

„Wohin gehen wir?“

„Ins Haus. Wir müssen reden. Wenn mein Wahlkampfmanager eine Affäre hat, muss ich das wissen.“

„Ich glaube nicht, dass er eine Affäre hat. Dafür ist er gar nicht der Typ. Um wie viel Uhr war das Meeting heute Abend denn zu Ende?“

Abrupt blieb Riley auf der vorderen Veranda stehen. Die Außenbeleuchtung setzte sein Äußeres perfekt ins Licht: die dunklen Augen, die hohen Wangenknochen und ein Mund, der das Zeug dazu hatte, sogar anständige Frauen schmutzige Dinge tun zu lassen. Er trug immer noch einen Ohrring, aber es war nicht mehr der kleine goldene Ring, an den sie sich erinnerte. Jetzt war es ein kleiner Brillant.

„Wir hatten heute Abend kein Meeting“, antwortete Riley tonlos. „Ich habe Zeke seit drei Tagen nicht mehr gesehen.“

Gracie fühlte sich plötzlich sehr unwohl. Sie befreite sich aus Rileys Griff und rieb sich erneut den Magen. „Das klingt irgendwie gar nicht gut.“

„Das finde ich auch. Bitte komm mit rein. Ich möchte die Geschichte von vorne hören. Erzähl mir alles, was du über Zeke und seine Affäre weißt.“

„Wie gesagt: Ich weiß nicht, ob er überhaupt eine Affäre hat. Vielleicht ist alles ja nur eine Uberreaktion meiner Schwester.“

„Ist das denn ihre Art?“, wollte Riley wissen, als er die Haustür öffnete und Gracie aufforderte hineinzugehen.

„Eigentlich nicht. Obwohl, vielleicht. Ich lebe in L. A., ich habe nicht wirklich viel mit ihr zu tun.“

Als Gracie das Haus betreten hatte, blieb sie in der Eingangshalle stehen. Das alte Haus war riesig und verfügte über wunderbare hohe Decken. Sie war umgeben von einer Unmenge an antiken Holzschnitzereien, Möbeln, Nippes und Kunstobjekten. Es war das reinste Museum.

„Wow. Das ist ja cool“, sagte sie bewundernd, während sie sich umsah. „Ich glaube, mein ganzes Haus würde in diese Eingangshalle passen.“

„Ja, die Villa ist riesig. Ich zeige dir die Bibliothek.“

Wieder nahm er sie am Arm und zerrte an ihr. Im Vorbeigehen konnte sie einen Blick ins Esszimmer und den Salon oder das Wohnzimmer werfen, dann standen sie in der Bibliothek. Riley ließ sie los und ging hinüber zu einer Bar neben dem Fenster. Nachdem er die Schrotflinte auf den Tisch gelegt hatte, goss er in zwei Gläser etwas, das wie Scotch aussah. Gracie stellte ihre Polaroidkamera ab.

„Nur fürs Protokoll“, meinte sie und rieb ihren Arm. „Früher hast du Frauen nicht misshandelt.“

Ein wütender Blick traf sie, dann reichte er ihr eines der beiden Gläser. „Ich traue dir nicht.“

„Es ist vierzehn Jahre her, Riley. Lass doch die Vergangenheit einfach ruhen.“

„Ich hatte mit der Vergangenheit keinerlei Probleme, bis du gerade hier aufgetaucht bist. Damals hast du mich zwei Jahre lang verfolgt und belästigt. Es stand sogar in der Zeitung. Die ‚Gracie-Chroniken‘.“

Gracie schämte sich. „Ja. Aber diese Zeitungsartikel sind nun wirklich nicht auf meinem Mist gewachsen. Können wir uns jetzt vielleicht wieder aktuelleren Ereignissen zuwenden? Wie zum Beispiel Zeke?“

„Wieso kommt Alexis darauf, dass er eine Affäre hat?“

„Weil er immer so spät nach Hause kommt und ihr nicht sagen will, wo er war.“

„Und wie lange geht das schon?“

„Seit etwa sechs Wochen. Zuerst glaubte sie ihm das mit der Bürgermeisterkampagne, aber dann kam er immer später und noch später nach Hause. Und als er ihr dann nicht einmal sagen wollte, was los ist ...“ Gracie unterbrach sich und sah Riley an. „Wieso kandidierst du eigentlich für den Bürgermeisterposten? Ich wusste gar nicht, dass du politisch so engagiert bist.“

Riley ignorierte ihre Frage und deutete auf ihren Drink. „Willst du lieber was anderes?“

Gracie roch an der Flüssigkeit und stellte dann das Glas auf den Tisch. „Nein, alles gut. Es ist nur so, dass sich bei Stress sofort mein Magen meldet.“ Sie holte ihr Mittel gegen Sodbrennen aus der Hosentasche und steckte sich zwei Tabletten in den Mund. „Das ist echt ein tolles Zimmer.“

Tatsächlich waren die Bücherregale dreieinhalb Meter hoch und vollgestopft mit den verschiedensten literarischen Werken. Er wagte nicht, ihr zu sagen, dass die Bibliothek einer der wenigen Räume in dem viel zu großen Haus war, in dem er sich wohlfühlte.

„Erzähl mir mehr über Zeke“, bat er sie.

„Oder du mir.“ Sie ging hinüber zu dem Ledersofa, das gegenüber des kunstvoll verzierten Kamins stand, und ließ sich hineinfallen. „Er ist dein Wahlkampfleiter. Hat er eine Affäre?“

„Wenn ich das wüsste.“ Riley lehnte sich gegen die Schreibtischkante. „Er spricht die ganze Zeit immer nur von Alexis. Ich dachte eigentlich, er vergöttert sie.“

„Aber eure Meetings dauern nicht bis drei Uhr morgens.“

Riley lächelte. „Ich kandidiere für das Bürgermeisteramt, nicht für die Präsidentschaft.“

„Genau das ist es. Tja. Ich schätze, ich muss Alexis sagen, dass ihr Mann heute Abend nicht hier war. Das wird sie nicht gerne hören.“

Und Riley gefiel es auch nicht. Die Wahl war in fünf Wochen, er konnte sich keinen Skandal leisten. Es lief gerade gut für ihn in Los Lobos.

Er stellte seinen Drink hin und zog das Bild aus der Polaroidkamera, machte die Schutzfolie ab und betrachtete es.

Es zeigte die Decke der Bibliothek und ein paar Bücherregale – sonst nichts.

„Du bist nicht gerade eine gute Fotografin.“

Sie rollte mit den Augen. „Stell dir vor, das will ich auch gar nicht sein. Obwohl dich das vielleicht überrascht, bin ich weder Privatermittlerin geworden, noch bin ich beim Geheimdienst. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Hochzeitstorten.“

Gracie war verärgert und empört, aber sie schämte sich auch. Sie spürte, wie sie wieder rot anlief und ihre Unterlippe zu zittern begann. Sie sah beinahe so aus wie früher, als sie noch ein Teenager gewesen war. Große blaue Augen, lange goldblonde Haare, allerdings mehr weibliche Formen. Doch ihre Entschlossenheit war dieselbe – die hatte ihm damals höllisch Angst gemacht.

„Es tut mir leid.“ Endlich war es draußen. „Die Sache jetzt. Und die Sache damals. Du weißt schon.“

„Meinst du damit auch das Juckpulver in meinen Boxershorts?“

„Ja. Auch das. Ich ...“ Sie beugte sich nach vorn und kritzelte mit den Fingern verlegen ein Muster auf den niedrigen Couchtisch. „Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich kaum glauben, was ich dir damals zugemutet habe. Das war wirklich schrecklich.“

„Die Leute hier reden immer noch davon.“

Sie setzte sich wieder gerade hin und sah ihn an. „Wem sagst du das? Bei allen anderen ist es egal, was früher einmal war. Nur bei mir nicht. Klar. Ich bin ja auch eine Legende. Und ich muss dir sagen, das kotzt mich an.“

In seinen Gedanken tauchte der Nachmittag vor dem Abschlussball auf, als sie ihm Abführmittel ins Essen gemixt hatte. „Du warst ziemlich kreativ damals.“

„Ich war eine Bedrohung. Dabei wollte ich nur ...“ Wieder wurde sie knallrot. „Wir wissen beide, was ich wollte.“

„Und, hast du einen Freund?“

Sie schüttelte den Kopf. „Hin und wieder. Aber keinen werde ich jemals mit nach Los Lobos bringen.“

„Du willst also nicht, dass deine Typen erfahren, wie du mir mal ein Stinktier ins Auto gesetzt und es stundenlang nicht mehr rausgelassen hast?“

Jetzt war wohl die Zeit der Aufarbeitung gekommen. „Ich habe die Reinigung bezahlt.“

„Mein Auto war danach nicht mehr zu gebrauchen. Ich musste es verkaufen.“ Er prostete ihr zu. „Und du warst versessen darauf, Pam und mich auseinanderzubringen.“ Gemessen an dem, was später geschehen war, hätte er Gracies Warnungen besser ernst genommen.

Gracies wissender Gesichtsausdruck vermittelte ihm den Eindruck, sie teilte seine Einschätzung. Aber sie ersparte sich einen Kommentar und fragte nur: „Was jetzt?“

„Ich finde heraus, was mit Zeke los ist. Im Moment kann ich keinen Skandal gebrauchen. Kannst du deine Schwester vielleicht so lange beruhigen, bis ich konkrete Informationen habe?“

„Denk dran, du bist mir was schuldig“, gab er zu bedenken, als er ihr Zögern bemerkte.

Gracie erschauderte. „Ich weiß. In Ordnung. Ich werde tun, was ich kann. Aber mehr als ein paar Tage Aufschub kann ich dir nicht versprechen. Alexis ist eine wild entschlossene Frau mit einer Mission.“

„Und wir alle wissen, was passiert, wenn eine Landon sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“

„Genauso ist es.“ Gracie stand auf und sah Riley an. „Es tut mir wirklich sehr leid. Ich weiß, meine Entschuldigung kommt etwa vierzehn Jahre zu spät, aber sie kommt von Herzen. Ich wollte dir nie das Leben zur Hölle machen.“

„Das ist sehr nett.“

„Soll ich dir meine Handynummer dalassen, damit du mich wegen Zeke informieren kannst, oder willst du lieber direkt Alexis anrufen?“

Riley kannte Alexis überhaupt nicht. „Deine Nummer.“

Er reichte ihr ein Stück Papier. Schnell schrieb sie die Nummer auf und gab ihm den Zettel zurück.

„Oh. Meine Kamera“, fiel ihr ein.

„Wie lange bleibst du hier?“, wollte er wissen, während er Gracie die Kamera reichte.

„Nur ein paar Wochen. Meine jüngere Schwester Vivian heiratet. Ich helfe bei den Vorbereitungen und mache die Hochzeitstorte für sie. Ich habe mir am Stadtrand ein Häuschen gemietet. Ich brauche eine eigene Küche, um meine anderen Aufträge zu erledigen.“

„Ich melde mich.“

Gracie nickte und drehte die Kamera in den Händen, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Riley schaute sie erwartungsvoll an, doch sie zuckte nur die Schultern und ging dann hinaus in den Flur.

Er begleitete sie bis zur Haustür. Als sie draußen stand, drehte sie sich noch einmal zu ihm um.

„Mit Pam habe ich damals recht gehabt“, stellte sie fest.

„Ich hätte auf dich hören sollen.“

Lächelnd schaute sie ihn an. „Meinst du das im Ernst?“

„Auf jeden Fall. Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, Gracie. Gute Nacht.“

Riley schloss die Tür, blieb aber dahinter stehen. Plötzlich hörte er einen dumpfen Knall – als hätte sie gegen die Tür getreten.

„Das war ein Tiefschlag, Riley“, hörte er sie rufen. „Ein echter Tiefschlag!“

Trotz allem, was er an diesem Abend erfahren hatte, und obwohl viel Arbeit auf ihn wartete, ging er grinsend zurück in die Bibliothek.

Gracie kochte vor Wut, als sie Rileys Anwesen verließ. „Er ist das blinde Huhn“, murmelte sie vor sich hin. „Das mit Pam war kein Zufallstreffer. Ich wusste, wie sie drauf ist. So viel zum Thema Dankbarkeit. Hätte er gleich auf mich gehört, hätte er sie gar nicht erst geheiratet. Aber nein.“

Sie stampfte mit dem Fuß auf, dann blieb sie auf dem Bürgersteig stehen. Keine Spur von Alexis noch von ihrem Wagen. Na super. Los Lobos war zwar keine Großstadt, aber den Weg von der Villa der Whitefields bis zum Haus ihrer Eltern konnte man durchaus als eine kleine Wanderung bezeichnen.

Gracie wandte sich nach links und marschierte los. Die Luft war angenehm frisch und roch ein bisschen salzig. Obwohl sie so lange nicht mehr hier gewesen war, fühlte sie sich in der Stadt immer noch zu Hause. Sie mochte die Nähe des Meeres und die ruhigen Wohngebiete. In L. A. lebte sie zwar auch in einem Vorort, aber dort war es trotzdem wesentlich lauter als hier.

An der Ecke drehte sie sich noch einmal um. Riley stammte zwar aus bescheidenen Verhältnissen, aber das Leben eines reichen Mannes passte zu ihm. Sie lächelte, als sie die Straße überquerte. Und er sah immer noch so gut aus! Offensichtlich hatte sie schon mit dreizehn einen guten Geschmack in Bezug auf Männer gehabt. Eigentlich war Riley sogar noch unwiderstehlicher geworden. Mit seinem stets leicht nachdenklichen Blick und seinen feinen Zügen sah er aus wie ein gefallener Engel. Ein Engel mit Brillantohrring.

Obwohl es ihr peinlich gewesen war, ihn wiederzusehen, hatte sie auch etwas anderes gespürt. So etwas wie Anziehungskraft. Irgendwie hatte es bei ihr gefunkt. Aber das war sicherlich so einseitig wie damals in ihren Teenagertagen. Sie sollte sich hüten, sich Hoffnungen zu machen. Die Zeiten der Stalkerin waren ein für alle Mal vorbei.

Plötzlich hielt ein Wagen neben ihr. Es war Alexis’ Toyota Camry. Im selben Moment ließ ihre Schwester die Scheibe herunter.

„Du bist entkommen“, sagte sie leise. „Gott sei Dank. Steig ein!“

„Was soll das heißen, ich bin entkommen?“, polterte Grace los, als sie eingestiegen war. „Hast du vielleicht gedacht, Riley würde mich gefangen nehmen und Informationen aus mir herausfoltern?“

„Woher soll ich das wissen? Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Blitz von deiner Kamera so laut und auffällig ist.“

Gracie betrachtete ihre alte Polaroid. „Ich auch nicht. Vielleicht nicht das beste Modell für einen Undercover-Einsatz.“ Sie wandte sich wieder ihrer Schwester zu. „Im Übrigen hast du mich hängen lassen. Was sollte das denn eigentlich?“

Alexis umklammerte das Steuer. „Tut mir leid. Ich konnte es nicht riskieren, erwischt zu werden.“

„Ach so! Aber ich, oder was? Hast du vielleicht eine Ahnung, was Riley dachte, als er mich vor seinem Fenster herumschleichen sah?“

„Nichts, was er nicht schon tausendmal vorher gedacht hat.“

Ihre Schwester konnte ganz schön gemein sein. „Ich möchte dich daran erinnern, dass seitdem vierzehn Jahre vergangen sind und ich inzwischen erwachsen bin.“ Gracie seufzte. „Aber egal. Ich habe die Information, die du haben wolltest.“

„Was meinst du damit?“

„Ich habe Riley nach Zeke gefragt.“

„Wie bitte? Oh nein!“

Alexis stieg unvermittelt in die Eisen, und Gracie war froh, dass sie sich sofort angeschnallt hatte.

„Sag mal, spinnst du? Ich habe ihn gefragt, und er konnte etwas zu der Sache sagen. Was ist so schlimm daran?“

„Weil das eine Privatangelegenheit ist“, giftete Alexis sie an. „Ich will nicht, dass jemand davon erfährt. Das ist Familiensache und geht niemanden etwas an! Aber es war klar, dass du das nicht verstehst.“

Gracie erschrak. Was sollte diese Anschuldigung?

„Du hast mich da reingezogen“, erinnerte sie ihre Schwester. „Ich bin nur mitgekommen, um dir zu helfen.“

„Ja, ich weiß. Es tut mir leid. Es ist nur ...“ Alexis seufzte. „Was hat er gesagt?“

„Er hat den Eindruck, dass Zeke dich liebt und bewundert. Nur gab es heute Abend kein Meeting.“ Sollte sie ihrer Schwester auch erzählen, dass Riley sich Zeke vorknöpfen wollte?

„Sonst noch was?“

Gracie zögerte.

Alexis hielt vor dem Haus der Familie Landon und stellte den Motor ab. „Jetzt sag schon“, bohrte sie nach.

„Riley will Zeke fragen, was er macht und wo er hingeht.“

Alexis ließ ihren Kopf aufs Lenkrad sinken und stöhnte. „Sag mir bitte, dass das ein Witz ist.“

„Nein, ist es nicht. Aber es ist auch keine so schlechte Idee. Denn du selbst willst deinen Mann ja nicht fragen, und irgendjemand muss die Wahrheit herausfinden. Wenn du erst weißt, dass da nichts läuft, wirst du dich gleich viel besser fühlen.“ Gracie legte ihrer Schwester die Hand auf den Arm. „Oder du redest doch noch mal selbst mit Zeke.“

Alexis öffnete die Fahrertür. „Du verstehst das nicht. Das ist alles nicht so einfach. Vielleicht will ich ja auch lieber gar nicht wissen, was er macht. Denn wenn er eine andere hat ...“ Sie schluckte. „Ich will ihn nicht verlassen. Aber dann müsste ich es tun.“

Im Grunde genommen hatte Gracie überhaupt keine Lust auf diese – oder jede andere – Unterhaltung. Sie war erst seit ein paar Tagen wieder in Los Lobos, und schon jetzt erschien ihr eine einwöchige Wurzelbehandlung beim Zahnarzt als durchaus erstrebenswerter.

„Warte doch erst mal ab, was dabei herauskommt“, beschwichtigte sie ihre Schwester.

„Gute Idee. Das mache ich. Kommst du noch mit rein?“ Alexis wandte sich in Richtung Haus.

Am liebsten wäre Gracie in ihr Häuschen geflüchtet, aber sie nickte pflichtbewusst und stieg aus. Drinnen würde sie kurz Hallo sagen und dann so schnell wie möglich wieder verschwinden. Eine gute Begründung hatte sie auch: Sie musste noch auspacken. Doch in Wirklichkeit brauchte sie einfach Abstand. Das war echt zu viel Familie auf einmal.

Gemeinsam mit ihrer Schwester ging sie zum Haus. Als Alexis die Tür aufschloss, hörte man von drinnen Geschrei.

„Das klingt nicht gut.“

„Klingt nach Vivian.“ Alexis schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, die Hochzeit wird nicht schon wieder abgesagt.“

„Wie? Abgesagt?“ Noch bevor Gracie weiter fragen konnte, war Alexis im Haus verschwunden. Gracie folgte ihr.

Vivian stand, die Hände in den Hüften, mitten im Wohnzimmer. Die Mascara war von den Tränen ganz verschmiert, ihre Mundwinkel hingen voller Verzweiflung nach unten.

Ihre Mutter saß auf dem Sofa, vor sich auf dem Tisch mehrere Hochzeitsmagazine.

Als sie Gracie und Alexis sah, schniefte ihre Schwester. „Ich hasse Tom“, erklärte sie trotzig. „Er ist egoistisch und gemein, und ich werde ihn nicht heiraten.“

„Natürlich wirst du ihn heiraten“, beruhigte Alexis sie. „Ihr habt euch nur gestritten. Worum ging es denn diesmal?“

„Um seinen Junggesellenabschied“, schluchzte Vivian. „Er hat gesagt, ich dürfte nicht mitkommen. Aber wenn ich nicht mitgehe, weiß ich doch gar nicht, was er macht. Die Filme und das Saufen und so, das ist mir alles egal. Aber ich will nicht, dass es Stripperinnen gibt.“

„Hat er das denn vor?“, fragte Alexis.

Vivian bekam einen Schluckauf. „Er sagt, das geht mich nichts an. Bis wir verheiratet wären, müsste er nicht das machen, was ich ihm sage.“

Gracie wollte nur eins: weg. Ob sie sich einfach entschuldigen und sich verziehen sollte, oder sollte sie nur auf die Toilette gehen? Doch zu ihrem eigenen Erstaunen mischte sie sich auch noch in die Diskussion ein.

„Hast du schon mal versucht, ihm klarzumachen, dass es dir nicht darum geht, ihn zu bevormunden, sondern dass du beim Junggesellenabschied nur dabei sein willst, um sicher sein zu können, dass ihr voll Liebe und Vertrauen in euren neuen Lebensabschnitt starten könnt? Ich habe noch nie kapiert, warum man vor seiner Hochzeit noch einmal so dermaßen auf die Pauke hauen muss, dass man am Ende vielleicht sogar seine Beziehung riskiert, weil man etwas Dummes tut.“

Alle starrten sie an. Alexis schüttelte maßregelnd den Kopf, und ihre Mutter erhob sich, um sich um die von neuen Heulkrämpfen geschüttelte Vivian zu kümmern.

„Das bedeutet dann wohl: nein“, murmelte Gracie und kam sich noch deplatzierter vor als vorher.

„Das wird schon“, tröstete ihre Mutter Vivian und nahm sie in den Arm. „Morgen früh sprichst du mit Tom noch einmal darüber, und dann sieht alles gleich ganz anders aus.“

„Vermutlich hast du recht“, nuschelte Vivian gegen die Schulter ihrer Mutter. „Ich will ja nur, dass er mich liebt.“

„Natürlich willst du das. Schon gut. Alles kommt wieder in Ordnung.“

Gracie deutete auf die Tür. „Dann lass ich euch mal allein. Ich bin weg.“

„Gute Idee“, gab ihre Mutter ihr mit auf den Weg.

Nein, sie war für diese Situation nicht verantwortlich, beruhigte sie sich selbst und trat hinaus in die Nacht. Dann fuhr sie zu ihrem vorübergehenden neuen Haus und freute sich auf die Ruhe, die sie erwartete.

Hier, in ihrer Küche, ging es ihr gleich viel besser.

Ihre Spezial-Backformen passten nicht in die Schränke, deshalb hatte sie sie einfach in die Regale gestellt. Den Terminplan hatte sie an den Kühlschrank geheftet, daneben prangte ein Artikel aus der Zeitschrift People mit dem Titel „Was ist Grace’s Geheimnis?“.

Sie betrachtete den Artikel und das Bild einer beliebten Sitcom-Darstellerin, die ihren Mann gerade mit einem Stück von Gracies selbstgemachter Hochzeitstorte fütterte. Die zweite Seite des Artikels zeigte Fotos der diversen Tortenkreationen und ein Bild von Gracie beim Dekorieren einer Torte.

Das war ihre Welt. Ihr eigenes Haus in Torrance, ihre Aufträge, ihre perfekt ausgestattete Küche mit Südfenster und den drei Backöfen samt integrierten Abkühlgittern. In dieser Welt verstand sie alles – und konnte einfach nur sie selbst sein, nicht Gracie, die Schwester, oder Gracie, die Tochter. Dort gehörte sie hin, dort kam sie sich nicht vor wie ein Eindringling.

War es am Ende doch ein Fehler gewesen, wieder zurück nach Los Lobos zu gehen? Wie dem auch sei. Sie war jetzt erst mal hier, und damit musste sie sich abfinden.

„Es ist ja nur für ein paar Wochen“, ermunterte Gracie sich selbst. Und danach konnte sie einfach wieder verschwinden und nie mehr zurückkehren.

3. KAPITEL

Um Punkt zwölf betrat Gracie Bill’s Mexican Grill, wo sie mit ihrer Freundin Jill verabredet war. Die saß schon da und winkte ihr zu.

„Du bist ja echt überpünktlich“, sagte Gracie zur Begrüßung.

Jill stand auf und umarmte sie. „Ich weiß. Das ist meine Krankheit. Vielleicht sollte ich es mal mit einem Zwölf-Punkte-Ratgeber versuchen.“

Gracie löste sich aus der Umarmung ihrer Freundin und betrachtete sie. „Du siehst toll aus“, stellte sie fest. „Kenne ich den Designer?“

Die Freundin wackelte mit den Hüften und drehte sich langsam einmal um die eigene Achse, um ihre maßgeschneiderte Bluse und die schicke Nadelstreifenhose angemessen bewundern zu lassen. Dann setzte sie sich wieder hin.

„Armani. Das sind noch die Klamotten aus meiner Kanzleizeit in der großen Stadt. Meine Assistentin Tina zieht mich schon immer damit auf, dass ich für Los Lobos viel zu schick bin. Aber wenn ich die Sachen nicht einmal im Job anziehen kann, wann denn sonst?“

Gracie setzte sich neben Jill und befühlte den Ärmel von ihrer Seidenbluse. „Jedenfalls nicht, um das Bad sauber zu machen.“

„So ist es.“ Jill grinste. „Ich freue mich so, dich zu sehen. Wir haben uns ewig nicht getroffen! Bestimmt fünf Monate oder so.“

„Ja, das kommt hin. Das letzte Mal auf deiner Hochzeit in Carmel, obwohl du damals weit mehr Interesse an deinem Gatten gezeigt hast als an mir. Und das trotz der Tatsache, dass ich dir eine phänomenale Hochzeitstorte gemacht habe. Was sollte das also? Ich bin deine älteste und beste Freundin, und er ist nur ein Mann.“

Jill lachte. „Da hast du recht! Er ist nur ein Mann, aber ein toller, wunderbarer, gut aussehender ...“

Als die Bedienung an den Tisch trat, unterbrach sie ihre Lobeshymne, um ihre Getränkebestellung aufzugeben. Gracie bestellte eine Light-Limonade, Jill einen Eistee.

Meine Freundin hat sich verändert, dachte Gracie. In den letzten paar Jahren war Jill ganz groß in Sachen Karriere unterwegs gewesen, bei einer renommierten Anwaltskanzlei in San Francisco. Sie hatte spießige Hosenanzüge getragen, ihre tollen Locken zu einem gruseligen Knoten zusammengebunden und ewig lange Tage im Büro verbracht. Und jetzt ...

Gracie musste lächeln. Mit einem Mal wirkte ihre Freundin weicher, femininer, zufriedener. Ihre lange Mähne trug sie offen, die Augenringe waren verschwunden, und sie strahlte einfach.

„Das Eheleben bekommt dir“, stellte Gracie fest.

„Ich liebe es. Mac ist so wunderbar. Zuerst hatte ich ja Bedenken wegen Emily und der Stiefmutterrolle. Aber Emily ist wirklich süß und hat viel Geduld mit mir. Es stört mich nur, dass ich sie mit ihrer Mom teilen muss. Ich hätte gar nichts dagegen, sie die ganze Zeit um mich zu haben.“

„Wow. Das hört sich gut an.“

„Ja, und so fühle ich mich auch. Ich liebe die beiden sehr.“

Gracie ergriff Jills linke Hand und bewunderte ihren Ring, der aus einem beeindruckenden Solitär, umgeben von kleineren Diamanten, bestand.

„Ich mag Männer, die sich von einem großen Stein nicht einschüchtern lassen“, sagte Gracie grinsend.

„Mac weiß, wie man’s macht“, gab Jill zu. „In vielerlei Hinsicht.“

Mit einer abwehrenden Geste offenbarte Gracie ihre Gefühle. „Wenn du jetzt über Sex reden möchtest, weigere ich mich zuzuhören. Ich freue mich für dich über deinen tollen Mann und deine perfekte Stieftochter. Ich gönne dir auch einen Hund – aber von Sex will ich nichts hören.“

Jill tätschelte ihre Hand. „Weil du keinen hast?“

„Genau so ist es. David und ich haben vor drei Monaten Schluss gemacht, und seitdem hatte ich noch keine Lust, mich wieder auf die Jagd zu begeben.“

Die Kellnerin kehrte mit den Getränken zurück. Dazu stellte sie Chips und Dips auf den Tisch und fragte, ob die Damen bestellen wollten.

„Was kannst du empfehlen?“, fragte Gracie ihre Freundin.

„Der Taco-Salat hier ist großartig“, antwortete Jill.

„Gut, dann nehme ich den.“ Gegen das unausweichliche Sodbrennen hinterher hatte sie ja ihre Tabletten dabei.

„Und ich auch“, sagte Jill zu der Bedienung. „Danke.“ Dann wandte sie sich wieder ihrer Freundin zu. „Ich dachte, du kamst gut mit David aus. Was ist denn passiert?“

„Keine Ahnung. Nichts. Alles. Er war toll, aber ...“ Gracie seufzte. „Es prickelte nicht mehr. Aber das hätte ich gern. Ist das denn zu viel verlangt? Es muss ja kein loderndes Feuer sein, aber so ein bisschen Glut wäre schon schön. Weißt du, ich will Herzklopfen haben, wenn ich weiß, dass ich meinen Partner gleich sehe. Die Zeit mit ihm will ich wunderbar oder atemberaubend finden, nicht einfach nur nett oder sehr angenehm. David war sehr angenehm. Wir haben uns gut verstanden. Wir haben uns nie gestritten. Es passierte einfach nichts. Wie soll ich es mit einem Mann ernst meinen, wenn ich nicht mal merke, ob er da ist oder nicht?“

„Trotz deiner früheren Leidenschaft für einen Mann, dessen Namen wir nicht nennen, liegen dramatische Szenen dir eigentlich fern“, pflichtete Jill ihr bei.

„Vielleicht ist ja gerade das mein Problem. Vielleicht habe ich solche Angst, wieder zur Stalkerin zu mutieren, dass ich mich nicht mehr richtig auf einen Partner einlassen kann.“

Gracie nahm ihr Glas. „Aber dramatische Szenen sind schon mein Ding, ich muss nur wollen.“

Jill lächelte. „Das weiß ich.“

Gar keine schlechte Idee! Doch eigentlich war Gracie klar, dass sie in ihrem Leben Routine bevorzugte. Überraschungen liebte sie, wenn es um Geschenke ging, aber alles andere sollte doch möglichst überschaubar sein. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass alle ihre letzten Beziehungen ziemlich langweilig gewesen waren.

Außerdem ... „Ich glaube, die Hysteriegene hat in unserer Familie alle Vivian abgekriegt. Gestern hat sie sich mit Tom wegen seines Junggesellenabschieds total in die Haare gekriegt und wollte sogar schon die Hochzeit abblasen!“

Jill riss die Augen auf. „Würde sie das durchziehen?“

„Ich habe keine Ahnung. Aber wenn ja, werde ich echt sauer. Schließlich bin ich extra wegen ihrer Hochzeit hergekommen und habe für sechs Wochen ein Haus gemietet. Und das, obwohl ich bis über beide Ohren voll mit Aufträgen bin.“

„Ich dachte, du wohnst bei deiner Mutter“, sagte Jill. „Oder taugt ihr Backofen nichts?“

„Ich brauche nicht nur einen Backofen, sondern auch einen Kühlschrank und einen Gefrierschrank. Und Platz, um die Torten zu dekorieren und meine ganze Ausstattung unterzubringen. Außerdem arbeite ich oft bis in die Nacht hinein. Die eigentliche Torte ist ja nicht das Problem. Was so lange dauert, sind die verschiedenen Dekorationen.“

Gracie ließ unerwähnt, dass sie sich im Haus ihrer Mutter nicht wohlfühlte. Sie war so lange nicht dort gewesen, es war einfach nicht mehr ihr Zuhause. Sie hatte sich zwar bemüht, sich, so gut es ging, anzupassen, aber es war ihr bisher nicht wirklich gelungen.

„Ist es nicht seltsam für dich, wieder hier zu sein?“, wollte Jill wissen.

„Ja und nein. Ich bin eine andere als damals, aber das scheint keiner zu bemerken. Für die Leute hier bin ich immer noch die alte Gracie Landon – und verliebt in Riley Whitefield.“

Jill nahm ihr Glas. „Du weißt ja sicher, dass er auch wieder hier ist.“

Gracie sah sie genervt an. „Jetzt fang du nicht auch noch an. Die Nachbarin meiner Mutter, mein Vermieter, der Mann im Lebensmittelladen und irgendeine mir unbekannte Frau auf der Straße haben mich schon mit dieser Neuigkeit versorgt. Es ist irgendwie gruselig – beinahe wie in Twilight Zone.“

„Das liegt sicher an den Zeitungsartikeln von damals“, vermutete Jill. „Sogar Menschen, die dich gar nicht kannten, litten bei deiner Liebesgeschichte mit.“

„Wem sagst du das.“

„Bist du ihm schon begegnet?“

Gracie zögerte. Sie wusste nicht, wie sie Jill von der Begebenheit erzählen sollte, ohne Alexis’ Eheprobleme zu erwähnen.

„Also ja!“ Jill beugte sich näher zu ihr. „Ich will alles wissen! Fang vorne an, und sprich schön langsam.“

Gracie seufzte und nahm sich ein paar Chips. „Du darfst aber niemandem etwas davon sagen“, schwor sie ihre Freundin ein und nahm einen Bissen. „Ich habe etwas für Alexis überprüft. Aber ich kann dir nicht sagen, worum es geht.“

„Also bist du ihm zufällig im Laden begegnet, oder was?“

„Nein, so kann man das nicht sagen. Ich lungerte vor seinem Haus herum.“

Ungläubig sah Jill sah sie an. „Du machst Witze! Du hast ihn verfolgt?“

„Nein. Ich habe jemand anderen verfolgt. Aber Riley hat mich erwischt. Es war furchtbar! Es war ganz schrecklich, und ich vermute, er erwägt ein Kontaktverbot gegen mich zu erwirken.“

Jill griff in die Chipsschale. „Und, was denkst du? Er sieht immer noch super aus, oder nicht?“

„Oh ja. So grüblerischgefährlich.“

„Und sexy“, fügte Jill hinzu. „Ich liebe diesen Ohrring. Ich habe versucht, Mac zu überreden, auch einen zu tragen, aber irgendwie ignoriert er mich diesbezüglich.“

„Ja. Der Ohrring hat was.“

„Und sein Hintern! Der Mann hat einfach einen fabelhaften Hintern.“

„Ich hatte leider keine Gelegenheit, darauf zu achten, aber beim nächsten Mal denke ich dran.“

Jill bewarf sie mit einem Chipsstückchen. „Jetzt hör aber auf! Tu nicht so von oben herab! Wir reden von Riley! Ich nehme dir nicht ab, dass du mit ihm in einem Zimmer stehen kannst und nichts dabei empfindest!“

„Doch, ich fühle Erniedrigung und das brennende Verlangen, woanders zu sein.“

„Das meine ich nicht. Jetzt komm schon, Gracie. Es muss eine gewisse Anziehungskraft zwischen euch geben.“

Und wenn es so wäre, würde ich es niemals zugeben, dachte Gracie. Das war ihr zu gefährlich und könnte sie ganz schnell ganz blöd aussehen lassen. Abgesehen davon war diese Anziehung sicher nur einseitig. „Er gehört in meine Vergangenheit, und da bleibt er auch. Meinst du vielleicht, ich bin stolz auf das, was ich ihm damals angetan habe? Ich hasse es, dass mich immer noch alle Leute darauf ansprechen. Schon allein deswegen werde ich garantiert nicht noch Öl ins Feuer gießen. Was macht er überhaupt hier? Wieso will er Bürgermeister werden? Was steckt dahinter?“

Über Jills formale Antwort war Gracie ziemlich verblüfft. „Ich kann dazu nur das sagen, was öffentlich bekannt ist.“

Gracie starrte ihre Freundin fassungslos an. „Du bist seine Anwältin?“

„Ich regle ein paar Angelegenheiten für ihn.“

Immer noch verdattert, hakte Gracie nach. „Wie lange bleibt er in der Stadt?“

„Das kommt darauf an.“

„Du bist ja nicht gerade sehr hilfreich.“ Sie nahm einen Schluck von ihrer Limonade. „Du weißt aber schon, warum er für das Bürgermeisteramt kandidiert?“