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Dank der technologischen Entwicklung können sich Fremdsprachenlernende mit interaktiven Programmen zur Grammatikvermittlung selbstständig beschäftigen. Dabei können digitale Lernprogramme Animationen einzelner Übungen sowie interaktive Präsentationen grammatischer Themen enthalten. Diese Studie untersucht, wie erwachsene DaF-Lernende auf Anfängerniveau mit einer interaktiven Lernsoftware beim selbstständigen Erarbeiten eines grammatischen Themas umgehen. Anhand von Bildschirmaufzeichnungen und introspektiven Daten wird analysiert, wie sie durch das Interaktivitätspotenzial des Programms in den Lernprozess involviert werden und welche Lernwege sie dabei auswählen.
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Seitenzahl: 444
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Tamara Zeyer
Grammatiklernen interaktiv
Eine empirische Studie zum Umgang von DaF-Lernenden auf Niveaustufe A mit einer Lernsoftware
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ePub-ISBN 978-3-8233-0099-1
Als ich mit der Arbeit an der Entwicklung eines Lernprogramms im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Goethe-Institut München und der Justus-Liebig-Universität Gießen begann, war noch kein wissenschaftliches Projekt in Sicht. Der spannende Austausch und interessante Diskussionen führten nicht nur zur Entstehung des interaktiven Programms sondern auch zur Entwicklung meines Forschungsinteresses, das in Form einer Dissertation verwirklicht wurde. Die vorliegende Arbeit stellt eine etwas überarbeitete Version dieser Dissertation dar, die Ende 2017 am Fachbereich „Sprache, Literatur, Kultur” an der Justus-Liebig-Universität eingereicht worden ist. Während der Entstehung der Arbeit haben mich zahlreiche Menschen begleitet und ihnen möchte ich aufrichtig danken.
In der Anfangsphase unterstützte mich der DAAD durch ein Promotionsstipendium, das mir einen guten Start in diesen Prozess ermöglichte. Darüber hinaus danke ich der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung für die Möglichkeit, an der DGFF-Sommerschule 2014 teilzunehmen.
Keine Worte reichen aus, um meinem Doktorvater Prof. Dr. Dietmar Rösler meine Dankbarkeit ausdrücken zu können. Viele konstruktive Gespräche, hilfreiche Rückmeldungen sowie immer ein offenes Ohr und ein aufmunterndes Wort gehörten zu seinem Betreuungskonzept, das das Gelingen dieser Arbeit ermöglicht hat. Prof. Dr. Michael Legutke sei für spannende Anregungen und Diskussionen über die methodologischen und forschungsethischen Aspekte der Studie, sein Interesse und die Begutachtung der Arbeit gedankt.
Ohne DaF-Lernende wäre die Durchführung meiner Studie nicht möglich gewesen. Dafür danke ich allen, die an der Untersuchung teilgenommen haben. Darüber hinaus gilt ein großer Dank meinen Assistenten, die bei der Datenerhebung und -aufbereitung mitgewirkt haben. Besonders Maria G. Mirisola danke ich für ihr Engagement und eine unkomplizierte Arbeitsweise.
Bei der Datenerhebung in Kasachstan leisteten die Leiterin des Sprachlernzentrums Ust-Kamenogorsk Maria Kalelova sowie alle Lehrkräfte, insbesondere Anna Kozlova, eine große Unterstützung. Ihnen gilt mein aufrichtiger Dank!
Den TechAG-Mitgliedern danke ich für ihr wertvolles Feedback und den wissenschaftlichen Austausch in verschiedenen Phasen meines Projektes. Simon Falk und Susanne Krauß bin ich für ihre Rückmeldungen zu den einzelnen Kapiteln meiner Arbeit sehr dankbar. Auch bei Nina Kostka und Lara Vargas Pineda bedanke ich mich für ihr hilfreiches Feedback zu früheren Versionen des Textes.
Herzlichen Dank an Inke Schmidt-Guerbaz, die nicht nur immer wieder Korrektur gelesen, sondern mich auch durch kritische Anmerkungen, hilfreiche Hinweise und aufmunternde Worte im Laufe des gesamten Promotionsprozesses unterstützt hat.
Meinen Freundinnen und Freunden danke ich für die Unterstützung und das Verständnis, dass ich mich in intensiven Schreibphasen aus dem Sozialleben zurückgezogen habe. Спасибо моей семье за поддержку и веру в меня. Ivan sei für seinen Rückhalt, seine Ermunterung und Unterstützung in allen denkbaren Formen, die das Gelingen dieser Arbeit ermöglicht haben, gedankt. Diese Arbeit widme ich meinem Großvater Alexander Seher.
Gießen, im Februar 2018
Was genau würden Lernende1 machen, wenn sie selbstständig anhand eines Lernprogramms eine (neue) grammatische Struktur lernen? Würde die Interaktivität des Programms für den Lernprozess ausreichen? Wie hilfreich könnten visuelle Elemente für das Grammatiklernen sein? Diese Fragen interessierten mich bereits in der Konzeptionsphase als Mitglied des Autorenteams, das sich mit der Entwicklung eines interaktiven Lernprogramms zur Grammatik für DaF-Lernende im Rahmen eines Kooperationsprojektes beschäftigte. Dabei handelte es sich nicht um lineare Übungssequenzen zu den jeweiligen Themen. Die Konzeption sollte eine selbstständige Entdeckung der grammatischen Phänomene, eine Formulierung der Regeln und den Wissenstransfer durch Übungen ermöglichen. Als Lehrperson mit langjähriger Unterrichtserfahrung interessierte mich, ob Lernende ohne jegliche Unterstützung seitens einer „menschlichen“ Person (Lehrender, Tutorierender o. ä.) ausschließlich durch die Interaktivität des Programms grammatische Regelmäßigkeiten entdecken und nachvollziehen könnten. Während das Potenzial digitaler Medien für das Üben und Trainieren grammatischer Phänomene für mich immer unbestritten blieb, war ich gegenüber Möglichkeiten digitaler Lernprogramme für die Entdeckung und Erklärung von Grammatikthemen skeptisch. Die beiden Perspektiven ‒ der Materialentwicklerin und der Lehrerin ‒ mögen sich widersprechen und somit einander ausgleichen. Im Rahmen meines Forschungsprojektes möchte ich untersuchen, wie Lernende mit einem solchen interaktiven Lernprogramm umgehen. Somit bewegt sich die vorliegende Studie in den Bereichen Grammatikvermittlung, digitale Medien und teilweise auch Usability.
Grammatiklehren und -lernen gehört zu den oft und gern diskutierten Themen der Fremdsprachendidaktik. Sowohl Lehrende als auch Lernende setzen sich mit grammatischen Strukturen der deutschen Sprache auseinander, ungeachtet dessen, ob sie diesen Bereich des Fremdsprachenunterrichts mögen oder nicht. Fremdsprachendidaktische Diskussionen und Erkenntnisse aus der Forschung hinsichtlich der einzelnen Aspekte des Grammatikunterrichts lassen sich in Vermittlungsmethoden und Lernmaterialien erkennen. Die Auswahl letzterer ist heutzutage vielfältig und ermöglicht unterschiedlichen Lernenden verschiedene Vorgehensweisen beim Lernen. Die Vielfalt beschränkt sich nicht nur auf Grammatikbücher, Lehrwerke und Arbeitsblätter. Digitale Lernmaterialien bieten durch ihre Potenziale weitere Darstellungsweisen und Übungsmöglichkeiten grammatischer Phänomene.
Digitale Medien ermöglichen das Fremdsprachenlernen unabhängig von einem Unterrichtsraum, einer Lehrperson, einer Lerngruppe, einem Unterrichtsplan o. ä. Die Flexibilität bei der Gestaltung des eigenen Lernprozesses, die Bestimmung des individuellen Lerntempos und die Möglichkeit der Auswahl der Lerninhalte und der Lernformen scheinen das Lernen mit digitalen Medien sehr erfolgreich machen zu können. Eine intensive Beschäftigung mit digitalen Lernprogrammen lässt schnell erkennen, dass sich Übungsformate zu unterschiedlichen Fertigkeiten und Kompetenzbereichen einer Fremdsprache wiederholen. Im Bereich Grammatik bietet das Internet eine große Anzahl digitaler Lernprogramme. Erwähnenswert ist jedoch die Tatsache, dass Lehrmaterialentwickler Fremdsprachenlernenden vorwiegend selbstständiges Üben grammatischer Strukturen zuzutrauen scheinen. Die Präsentation grammatischer Phänomene ist jedoch, wie im Fremdsprachenunterricht einer Lehrperson, einem Lernprogramm überlassen und ermöglicht hauptsächlich nur Steuerungsaktionen seitens der Lernenden. Ebenfalls durch die Einbindung multimodaler Elemente ‒ auditiver und visueller Art ‒ bleiben die Lernenden in der Präsentationsphase oft in einer passiveren Rolle und beginnen erst beim Wissenstransfer zu agieren. Es stellt sich die Frage, wie digitale Medien eine intensive Aktivierung bereits bei der Darstellung verschiedener Aspekte eines grammatischen Phänomens gewährleisten könnten.
Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie besteht darin, mithilfe introspektiver Verfahren und der Bildschirmaufzeichnungen die tatsächlichen Aktionen der erwachsenen DaF-Lernenden aus unterschiedlichen Ländern bei der Beschäftigung mit der Einheit der Interaktiven Grammatik zum Thema Imperativ2 sowie die Rezeption der einzelnen Komponenten des interaktiven Programms zu untersuchen.
Mit der vorliegenden Forschungsarbeit sollte die zentrale Forschungsfrage beantwortet werden:
Wie gehen die Lernenden mit der Interaktiven Grammatik um?
Die Frage ist offen angelegt, daher werden auch einzelne Aspekte als Teilfragen verdeutlicht:
Wie verläuft der Lernprozess bei der Erschließung der Regelhaftigkeiten in der Entdeckungsphase?
Welche Rolle spielt grammatische Terminologie bei der Regelformulierung?
Wie verläuft der Löseprozess in den Übungen?
Wie gehen die Lernenden mit unbekanntem sprachlichem Material um?
Welche Rolle spielen multimodale bzw. visuelle Elemente im Lernprozess?
Welche Rolle spielt die Interaktivität des Programms beim selbstständigen Lernen?
Was verursacht den Abbruch der Bearbeitung?
Die Beantwortung der Fragen kann einen Einblick in selbstständige Lernprozesse der Lernenden auf der Niveaustufe A ermöglichen. Das Thema ist von großem Interesse sowohl für Lehrende als auch für Materialentwickler, da Schlussfolgerungen aus der Analyse der erworbenen Daten für die weitere Entwicklung bzw. den Fremdsprachenunterricht mit digitalen Medien gezogen werden können.
Im einleitenden Kapitel wurden der Entstehungskontext der vorliegenden Untersuchung und das Erkenntnisinteresse geschildert. Daraus ergeben sich die leitenden Forschungsfragen der Studie.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Facetten des Fremdsprachenlernens mit digitalen Medien. Zuerst wird auf das Konzept des Selbstlernens eingegangen. Danach werden die Aspekte der Multimodalität für Lernprozesse skizziert. Darüber hinaus wird die Definition der Lernsoftware für die vorliegende Studie festgelegt. Daraufhin werden Grenzen und Potenziale digitaler Übungsformate für das Fremdsprachenlernen und insbesondere für das Grammatiklernen diskutiert. Daran schließt sich die Darstellung der Interaktivität als einer der zentralen Eigenschaften digitaler Lernprogramme u. a. der Interaktiven Grammatik.
Für A1-Lernende können grammatische Lerninhalte durch eine visuelle Darstellung vorentlastet werden. Daher widmet sich Kapitel 3 Visualisierungen beim Fremdsprachenlernen. Neben der Skizzierung des Stellenwerts der Visualisierungen für einzelne Kompetenzbereiche des Fremdsprachenlernens wird die Behandlung der visuellen Medien in Handbüchern für die Fremdsprachendidaktik rekonstruiert. Darüber hinaus werden Visualisierungen in analogen Medien sowie die Veränderungen der Grammatikvisualisierungen durch die Digitalisierung geschildert.
Kapitel 4 leitet von allgemeinen Aspekten der Grammatikvermittlung zur Darstellung des Imperativs in wissenschaftlichen und didaktischen Grammatiken über und beinhaltet außerdem die Ergebnisse der Lehrwerkanalyse für die Niveaustufe A1. Im Fokus der Lehrwerkanalyse stehen die Funktionen des deutschen Imperativs, die situative Einbettung der grammatischen Struktur, die visuelle Darstellung des Imperativs und Übungstypen dazu. Anschließend werden die Schlussfolgerungen vorgestellt, die in der Entwicklungsphase bei der Umsetzung der Imperativ-Einheit der Interaktiven Grammatik beachtet wurden.
In Kapitel 5 folgt eine detaillierte Beschreibung der Lernsoftware am Beispiel der Einheit Imperativ. Neben der Darstellung der einzelnen Teile der Einheit, u. a. des sprachlichen und visuellen Materials, werden die interaktiven Elemente im Hinblick auf mögliche Lernwege analysiert. Daraufhin werden Hypothesen aufgestellt, welche Stellen Lernenden Schwierigkeiten bereiten könnten.
Kapitel 6 erläutert das Forschungsdesign der vorliegenden Studie. Da die Studie an der Schnittstelle von Fremdsprachendidaktik und Mediendidaktik liegt, werden zunächst die Korrelationen zwischen der Untersuchung und den Richtlinien des Design-Based Researchs und der Usability-Evaluation diskutiert. Der Diskussion der ausgewählten Erhebungsinstrumente folgt eine Beschreibung des Datenerhebungsprozesses. Darüber hinaus werden die Beteiligten der Studie vorgestellt. Aufgrund der Datenerhebung in den Muttersprachen der Probanden war die Einbeziehung einer dritten Person in den Erhebungsprozess vonnöten. Dieser Aspekt wird ebenfalls aus der forschungsethischen Perspektive reflektiert. Mit der Darlegung des Aufbereitungs- und Auswertungsverfahrens endet das sechste Kapitel.
In Kapitel 7 erfolgt die Auswertung der Daten. Dabei werden anhand der dokumentierten Aktionen aller Untersuchungsteilnehmenden die Lernpfade bei der Bearbeitung der Einheit in einzelnen Phasen ‒ Entdeckung, Regelformulierung, Üben ‒ analysiert. Es wird auf die Vorgehensweise bei der Lösung der Aufgaben eingegangen, um anhand der introspektiven Daten die Lernprozesse nachvollziehen zu können. Dabei liegt der Fokus u. a. auf den Aktionen der Lernenden, die die interaktiven Komponenten und die Visualisierungen bewirkten. Außerdem werden die Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Grammatik, die möglichen Ursachen und der Umgang damit untersucht.
Kapitel 8 stellt eine systematische Präsentation der Untersuchungsergebnisse dar. Abschließend widmet sich Kapitel 9 den Schlussfolgerungen aus der durchgeführten Studie und dem Ausblick auf mögliche weitere Untersuchungen.
[Es] hält das Interesse des Schülers wach; es wird ihn nie langweilen, weil es weder zu schwer noch zu leicht und das Tempo weder zu langsam noch zu schnell ist. Es wird den Schüler entsprechend seinen Fähigkeiten beanspruchen. Ein gutes Programm sorgt für die Abwechslung und sagt dem Schüler, wohin ihn der Weg führt […].
Der Beginn dieses Kapitels mit einem Zitat ohne Literaturangaben ist kein Verstoß gegen die Normen wissenschaftlichen Schreibens, sondern eine bewusste Entscheidung, die die Lesenden der vorliegenden Arbeit zum Nachdenken anregen soll. Das Zitat fasst die wesentlichen Erwartungen an ein gutes digitales Lernprogramm zusammen: Aufrechterhaltung der Motivation und des Interesses, Individualisierung des Lernens durch Adaptivität, unterschiedliche Aktivitäten, Betreuung des Lernprozesses. An dieser Stelle wird ergänzt, dass das Zitat bereits aus den 1960er Jahren stammt (King 1965: 19-20)1 und es sich dabei nicht um ein Computer- oder ein digitales Programm handelt, sondern um ein Sprachlabor. Ein Blick in die Publikationen zum Einsatz des Sprachlabors im Fremdsprachenunterricht zeigt, dass sich die Autoren mit technischen und methodischen Aspekten beschäftigten (vgl. z. B. Krumm 1975; Faber 1978; Jung 1978). Genauso wie in den Zeiten des Sprachlabors sind Lehrende mit mehreren Hürden beim Einsatz digitaler Medien im Fremdsprachenlernen konfrontiert und manchmal überfordert (vgl. Pfeil 2015: 4).
So wie das Sprachlabor nicht den Sprachunterricht durch die Lehrperson ersetzen konnte, sondern reduziert wurde auf die selbstverständliche, aber begleitende Präsenz von Audiomaterialien beim Sprachlernen, so kristallisiert sich eine Integration des Mediums Computer/Internet in bisherige Unterrichtsabläufe heraus (Biechele 2005a: 6).
Die Annahme, dass eine Lehrperson durch eine Maschine ersetzbar ist, ist m. E. irreführend. Bereits in den Zeiten des Sprachlabors ist so ein Ersetzungsversuch gescheitert. Dass analoge Medien verschwinden und Lernenden nur digitale zur Verfügung stehen, mag in Schulen einiger Länder stattfinden, ist aber noch kein verbreitetes Phänomen. Der Vergleich digitaler Medien mit analogen ist zwar sinnvoll, jedoch nicht mit der Einstellung, letztere durch erstere ersetzen zu wollen, sondern sie sich gegenseitig ergänzen zu lassen. Daher werden in der vorliegenden Arbeit Vergleiche und Parallelen zu analogen Medien gezogen, jedoch wird darauf abgezielt, sie nicht gegenüberzustellen, sondern die Potenziale und Grenzen abzuwägen. Darüber hinaus bleibt der Fokus auf selbstständigem Lernen.
Zuerst werden allgemeine Aspekte digitaler Medien für das Fremdsprachenlernen, insbesondere im Kontext des Selbstlernens, dargestellt. Darüber hinaus wird die Bedeutung der Multimodalität für den Lernprozess erläutert. Anschließend werden Übungsformate digitaler Lernmaterialien sowie ihre Potenziale für das Grammatiklernen diskutiert. Den Kern der Interaktiven Grammatik stellt, wie der Name der Lernsoftware bereits verrät, ihre Interaktivität dar. Daher werden im zweiten Teil des Kapitels der Begriff sowie Formen der Interaktivität, insbesondere das Feedback, erläutert. Anschließend wird die Frage diskutiert, wie interaktive Elemente für den Lernprozess fördernd sein könnten.
Seit dem Einsatz des Computers im Fremdsprachenunterricht werden kognitionspsychologische und mediendidaktische Dimensionen aktiv diskutiert (vgl. z. B. Rösler und Tschirner 2002; Tschirner et al. 2000; Roche 2007). Darüber hinaus unterscheidet Rösler beim Einsatz digitaler Medien zwei Bereiche: zum einen den des digitalen Materials und zum anderen den der computergestützten Kommunikation (vgl. Rösler 2006b: 68). Da in der vorliegenden Studie ein konkretes Lernangebot zur deutschen Grammatik untersucht wird, liegt der Fokus ausschließlich auf digitalen Materialien zum Fremdsprachenlernen, die sich im Bereich Computer-assisted language learning (CALL) verorten lassen. Computer-mediated communication (CMC) wird im Verlauf dieser Arbeit keine Rolle spielen und deshalb in diesem Kapitel auch nicht weiter behandelt.1 Zunächst ist aber der Begriff Digitale Medien zu klären.
In früheren Publikationen taucht der Begriff Neue Medien auf (vgl. Mitschian 1999; Rösler und Tschirner 2002; Marx und Langner 2005). Im Hinblick auf die Problematik des Begriffs stellt Biechele die Frage, wie lange Neue Medien diese Bezeichnung tragen werden, da es mittlerweile neuere Neue Medien gibt (vgl. Biechele 2005a: 5). In der vorliegenden Arbeit wird, wie im Beitrag von Biechele, der Begriff Digitale Medien benutzt; damit sind aber nicht nur Computer mit Internet-Zugang (vgl. ebd.), sondern auch tragbare Geräte wie Laptop, Tablet-PC und Smartphone gemeint, also alle Medien, die Arbeit mit Inhalten in digitaler Form sowohl online als auch offline ermöglichen.
In einer Reihe von Publikationen findet man Diskussionen über den Einsatz digitaler Medien beim Fremdsprachenlernen und zu ihren Vor- und Nachteilen (vgl. Ross 1997; Rösler 2006b, 2008). So sieht Ross die Potenziale von Medien für das Lehren und Lernen darin,
daß sie Bildungsinhalte veranschaulichen, verdeutlichen, direkt oder indirekt erfahrbar machen, Simulationen der Realität ermöglichen, Bildungsprozesse interessanter machen, den Lehrenden entlasten sowie in der Möglichkeit den Verhaltens- und Erfahrungsspielraum der Lernenden zu vergrößern und eine flexible, situationsgerechte Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse zu verwirklichen (Ross 1997: 12-13).
Digitale Medien können den Fremdsprachenunterricht interessanter und alltagsnäher gestalten, auch für das Selbstlernen bieten sie viel Potenzial: „Im Zusammenhang mit den digitalen Medien entsteht zudem der Eindruck, Lernende könnten mit ihrer Hilfe völlig isoliert eine Sprache lernen“ (Würffel 2016: 387). Unumstritten ist die Tatsache, dass man einzelne Kompetenzen und Fertigkeiten mit digitalen Medien trainieren kann. Jedoch stößt man an die Grenzen des mediengestützten Selbstlernens, wenn es sich um den kommunikativen Kontext und seine Rolle für das Fremdsprachenlernen handelt. Was digitale Medien zum Selbstlernen beitragen können, wird in folgendem Abschnitt erläutert.
Digitalen Medien wird viel Potenzial für das selbstständige Lernen zugeschrieben (vgl. Rüschoff 1988: 48; Ross 1997: 13; Würffel 2016: 386). Das erinnert wieder an die Zeiten des Sprachlabors, das auch zur Individualisierung des Lernprozesses beitragen sollte. In der Ära digitaler Medien stehen selbstgesteuertes Lernen, Individualisierung des Lernprozesses und Lernerautonomie1 wieder zur Diskussion. Eine klare Trennung zwischen diesen Begriffen ist nicht immer möglich (vgl. Rösler 2012: 116).2 Beim Selbstlernen handelt es sich um eine Lernform, bei der der Lernprozess, komplett oder teilweise, außerhalb des Unterrichts stattfindet. Es ist durch unterschiedliche Grade der Selbststeuerung gekennzeichnet, die im Kontext des mediengestützten Lernens durch die Materialien bestimmt werden (vgl. ebd.: 116-117). In Bezug auf die Verwendung des Autonomiebegriffs im Kontext des Lernens mit digitalen Medien warnt Rösler vor ihrer Trivialisierung. Bestimmt ein Lernender selbst den Ort und die Zeit der Bearbeitung von Lernmaterialien, heißt es nicht, dass es sich automatisch um selbstbestimmtes Lernen handelt. Die Inhalte des Lernprogramms sind von Entwicklern (genauso wie Inhalte eines Lehrwerks von Autoren) bestimmt, die Auswahl der Lernpfade innerhalb des Programms ist auch durch die Anzahl vorprogrammierter Verzweigungen limitiert (vgl. ebd.: 117). Inwiefern Lernende ihre Lernwege innerhalb der Interaktiven Grammatik selbst bestimmen können, wird in Kapitel 5 expliziert.
Hinsichtlich der Förderung selbstbestimmten individuellen Lernens im Anfängerunterricht schlägt Rösler vor, eine kontrollierte Überschreitung der Progressionsgrenzen als selbstverständlich zu betrachten. „Dabei ist darauf zu achten, dass die Lernenden mit Aufgaben konfrontiert werden, die es ihnen erlauben, mit einem Erfolgserlebnis aus dem für ihren aktuellen Sprachstand zu komplexen sprachlichen Material wieder ‚herauszufinden‘“ (Rösler 2006a: 160). Wenn die Bestimmung der Überschreitung im Unterricht den Lehrenden überlassen wird, ist zu überlegen, wie die Aktivitäten, Aufgabenstellungen, Navigation und Steuerung in digitalen Lernmaterialien gestaltet werden müssen, damit der selbstständige Lernprozess gefördert und überhaupt ermöglicht wird.
Durch Digitalisierung stehen Selbstlernenden vielfältige Lernmaterialien zur Verfügung.3 Selbstlernmaterialien werden „in der Regel ergänzend zum lehrergesteuerten Unterricht“ verwendet (Lahaie 1995: 30). Dabei zielen sie auf das Training einzelner Kompetenzen und Fertigkeiten ab (vgl. ebd.). Dass digitale Lernmaterialien gegenüber analogem Selbstlernen und Lernerautonomie stärker fördern, ist umstritten. So ist Koenig der Ansicht, dass Lehrwerke die Lernerautonomie konsequenter als computergestützte Lernprogramme fördern, obwohl es gerade bei der Konzeption und Programmierung digitaler Materialien mehr Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung gebe (vgl. Koenig 2000: 29ff.). In seinem Beitrag formuliert er Kriterien für Lernmaterialien, die der Förderung der Lernerautonomie dienen. Eine wichtige Rolle wird der Transparenz des Lernangebots zugewiesen, damit Lernende sich schnell orientieren und über die Art und Schwierigkeit der Aufgaben informieren könnten. Außerdem sollten Materialien Aufgaben beinhalten, die die Selbstreflexion über den eigenen Lernstil und die Lerngewohnheiten beinhalten und Lernstrategien fördern (vgl. ebd.: 33-34). Lernmaterialien sollten auch entdeckendes Lernen ermöglichen. Ein besonderes Potenzial entdeckenden Lernens wird u. a. dem Grammatikunterricht zugewiesen, in dem Lernende Gemeinsamkeiten und Unterschiede vergleichen, grammatische Strukturen erkennen, Hypothesen aufstellen, überprüfen und gefördert werden, „dadurch zunehmend ein Gefühl für die Struktur einer Sprache, in diesem Fall der deutschen, zu entwickeln“ (ebd.: 36). Die ausgearbeiteten Kriterien gelten generell für Lernmaterialien, unabhängig davon, ob sie analog oder digital sind.4
Lernmaterialien alleine reichen für den Lernerfolg nicht aus, Lernende benötigen auch gewisse Kompetenzen zum selbstständigen Lernen. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion über Lernstrategien und Lerntechniken nicht uninteressant. „Lernstrategien sind also (mentale) Handlungspläne, deren Ziel ist, etwas selbstständig zu lernen“ (Bimmel 1993: 5). Einen umfassenden Überblick über Strategien bietet Würffel (2006).
Die Erforschung von Selbstlernprozessen im fremdsprachendidaktischen Kontext steht im Mittelpunkt vieler Studien. Dabei handelt es sich sowohl um Selbstlernkurse mit analogen Medien (vgl. z. B. Lahaie 1995) als auch mit digitalen (Nandorf 20045; Würffel 20066; Schmidt 20077).
Während die Studien von Nandorf (2004), Würffel (2006) und Schmidt (2007) Lernende über einen längeren Zeitraum beim Selbstlernen begleiten und beobachten, handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um die Beobachtung eines deutlich kürzeren Lernprozesses, und zwar nur um die Untersuchung der ersten Begegnung mit dem Programm zum Grammatiklernen. Während dieser ersten Begegnung kann ein grammatisches Thema selbstständig entdeckt bzw. können Kenntnisse zum Thema durch die Regelformulierung systematisiert und in Übungen angewendet werden. In diesem Zusammenhang kann eine ausführliche Analyse einzelner Elemente des Lernprogramms – Multimodalität, Interaktivität, vorgesehene Aktivitäten etc. – zur Nachvollziehbarkeit kognitiver Prozesse bei der Bearbeitung des grammatischen Themas dienen. Darüber hinaus bearbeiteten alle Teilnehmenden dieselbe Einheit der Interaktiven Grammatik, somit erfolgte eine präzise Vergleichbarkeit der Lernwege einzelner Personen. Eine weitere Besonderheit der Teilnehmenden ist das Sprachniveau A im Deutschen, d. h. sowohl die Begegnung mit einem neuen Lernprogramm als auch eine selbstständige Auseinandersetzung mit sprachlichen Inhalten in der Anfängerstufe stehen im Vordergrund der Untersuchung. In Kapitel 6 werden weitere Unterschiede zu den genannten Studien hinsichtlich des triangulierenden Verfahrens bei der Datenauswertung aufgezeigt.
In digitale Lernangebote können unterschiedliche Medien – Texte, Audio und Bilder – integriert werden und somit die Wahrnehmung von Informationen über unterschiedliche Sinneskanäle ermöglichen (vgl. Kerres 2013: 168). Multimedia-Programmen wird eine Eigenschaft zugeschrieben, die andere Medien nicht leisten könnten: den Zugang zu Lerninhalten in textueller und auditiver Form zu ermöglichen (vgl. Grießhaber 2003: 32). Das bereits zu Kapitelbeginn erwähnte Sprachlabor ist in Form digitaler Audioaufzeichnungen und technisch auf höherem Niveau wiederbelebt (vgl. Freibichler 2000: 113). Die Einbindung mehrerer Medienarten wird auch von Ross als vorteilhaft bezeichnet; außerdem handelt es sich um eine günstige Handhabung (Ansteuerung, Bearbeitung, Abspielen etc.) digitalisierter Informationen (vgl. Ross 1997: 14), was Ende des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen sollte und heutzutage selbstverständlich scheint. Plass fasst einige potenzielle Vorteile des Multimediaeinsatzes beim Sprachenlernen zusammen. So können durch den Einsatz von Multimedia-Elementen der Realitätsbezug hergestellt und eine konstruktivistische1 Lernumgebung gestaltet werden. Informationen werden in unterschiedlichen Präsentationsformen dargestellt und damit kann der Cognitive Load Effect2 entstehen. Durch die Einbindung von Multimedia-Elementen lassen sich Lernpräferenzen und individuelle Lernprozesse unterstützen und adaptive Lernumgebungen entwickeln (vgl. Plass 1999: 27). Auf der Grundlage lernpsychologischer Studien fasst Kerres Gestaltungsprinzipien von Text, Bild und Ton zusammen, wobei sie auch aus „kognitions- oder motivationspsychologischer Sicht“ widerlegt werden könnten (Kerres 2013: 170). Auch Weidenmann weist auf den Korrekturbedarf einiger „naiver“ Argumente für das Lernen mit Multimedia, wie Verbesserung des Behaltens durch die Einbindung mehrerer Kanäle, Motivation durch Abwechslung sowie Aktivierung von Lernenden durch Multimedia, hin. Er ist der Ansicht, dass mediale Angebote nicht nur durch die Kategorie Multimedia zu beschreiben, sondern „in Bezug auf alle drei Dimensionen – technisches Medium, Codierung und Modalität“ – zu analysieren sind (Weidenmann 2011: 85). Multimodale Präsentation kann zur intensiveren Verarbeitung von Lerninhalten führen und somit die Verfügbarkeit des Wissens verbessern. Durch Multicodierung3 und Multimodalität wird die Darstellung des Lerngegenstandes realitätsnah und multiperspektivisch ermöglicht und demzufolge werden das Interesse an Lerninhalten, die Entwicklung mentaler Modelle und die Anwendung des Wissens gefördert. Interaktive multimodale Lernprogramme bieten vielfältige Aktivitäten (vgl. ebd.). Auf die Rolle der Interaktivität wird in Kapitel 2.2 ausführlicher eingegangen.
Im Hinblick auf die Veränderung mediengestützter Informationen durch die Digitalisierung weist Mitschian darauf hin, dass Lernsoftware im Vergleich zu Printmedien, Tafel etc. neuere „Verbindungen zwischen Schrift und Bewegtbild, gesprochener Sprache mit Bildinformationen sowie zwischen geschriebener und gesprochener Sprache“ haben (Mitschian 2004b: 138). Dadurch stehen Lernenden nicht nur vielfältige und abwechslungsreiche Lernmaterialien zur Verfügung. Sie zeichnen sich mit Hilfe von Multicodierung und Multimodalität durch Authentizität aus (vgl. Schmidt 2007: 30). Als Beispiel dafür nennt Schmidt eine sinnvolle Einbindung verbaler und visueller Informationen, wie bspw. Programme zum Vokabellernen, in denen die Vokabel in geschriebener Form auch visuell und auditiv dargestellt wird (vgl. ebd.). Auch für das Grammatiklernen könnte eine multimodale Präsentation grammatischer Inhalte, die häufig abstrakt und schwer erlernbar scheinen, als Vorentlastung dienen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Darlegung von Lerninhalten durch Text und Bild für Lernende mit wenig Vorwissen lernunterstützend sein kann, wenn die Darlegung didaktisch sinnvoll aufbereitet wird. Da für die Interaktive Grammatik das Zusammenspiel sprachlicher und visueller Informationen im Vordergrund steht, folgt in Kapitel 3 eine intensive Auseinandersetzung mit den Potenzialen von Visualisierungen für das Grammatiklernen. Im Folgenden werden unterschiedliche Formen digitaler Materialien dargestellt.
Laut Grünewald bedeutet Lernsoftware Computerprogramme, „mit deren Hilfe Lernende sich eigenständig mit einem bestimmten Stoffgebiet vertraut machen können“ (Grünewald 2010: 188). Mitschian grenzt den Begriff Lernprogramm von Lernsoftware ab, in dem er den Lernprogrammterminus mit dem Programmcode in der Programmiersprache in Verbindung bringt. Darüber hinaus verbindet der Verfasser den Programmbegriff mit dem behavioristischen Ansatz, den er wegen strenger Vorgabe der Lernschritte als kritisch betrachtet. Die Lernsoftware sieht er als Oberbegriff für digitale Lernwerkzeuge und Lernmedien, dabei werden die Werkzeuge für die Erstellung, Bearbeitung, Speicherung oder Übertragung von Medien eingesetzt. Lernmedien übermitteln hingegen Lerninhalte (vgl. Mitschian 2004a: 14-15). Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Lernsoftware mit grammatischen Inhalten, die Lernwerkzeuge werden nicht näher betrachtet. Die Ausdifferenzierung von Lernsoftware und Lernprogrammen spielt aus fremdsprachendidaktischer Perspektive keine Rolle, daher werden sie im Folgenden synonym verwendet.
Die Unterscheidung zwischen Werkzeugen und Medien wird auch in die Typologien übernommen und weiter differenziert als authentisch adaptiert und methodisiert (vgl. Mitschian 2004a: 26; Würffel 2016: 388). Auf Grundlage der Kriterien nach Mitschian (2004a: 26) lässt sich die Interaktive Grammatik den methodisierten Lernmedien zuordnen: Das Lernprogramm gibt Inhalte und Intentionen sowie die Vorgehensweise zur Bearbeitung der Inhalte vor. Allerdings sind Verzweigungen nicht nur für eine Art der Bearbeitung vorprogrammiert, dadurch kann das Lernziel durch unterschiedliche Lernwege erreicht werden. Würffel unterscheidet die Medientypen auch in offline stationär, online stationär und mobil (2016: 388). Beispiele für methodisierte Medien sind
Lernsoftware auf CD-ROM/DVD (offline stationär),
Lernprogramme, Lehrbuch-Erweiterungen, Lernspiele (online stationär)
Lern-Applikationen für mobile Geräte (mobil) (vgl. ebd.).
Die meisten digitalen Lernmaterialien, unabhängig davon, ob es sich um Vokabeltrainer, Online-Grammatiken, Übungen auf Lernplattformen oder Lernspiele handelt, sind heutzutage auch auf mobilen Geräten abrufbar. Somit wird der Zugang zu Lernmaterialien noch einfacher als früher. Die Grenze zwischen stationären und mobilen Medien ist klar, jedoch können die Materialien in beiden Versionen angeboten werden. Darüber hinaus scheint der Aspekt offline-online auch für mobile Materialien wichtig zu sein, da einige Applikationen nur mit einem Internetzugang funktionieren.
Im Zusammenhang des selbstgesteuerten Lernens mit mobilen Endgeräten betont Würffel die Wichtigkeit der Qualitätssicherung vorhandener Materialien zum Fremdsprachenlernen. Durch die Zugänglichkeit von Lernmaterialien mithilfe von kostenfreien Apps steigt die Motivation zum Fremdsprachenlernen. Gleichzeitig können die Begrenztheit der Anwendungen (im Hinblick auf die verwendete Lernmethode sowie die Nutzung nur weniger Vorteile von Apps) zu einer hohen Abbruchquote und Frustration führen (vgl. Würffel 2016: 390).
Da die Interaktive Grammatik sowohl in der Web- als auch App-Version vorhanden ist, würde man vermutlich an dieser Stelle noch einen Abschnitt zu Aspekten mobilen Lernens erwarten.1 Auch wenn die Bearbeitung der Einheit der Interaktiven Grammatik größtenteils am Tablet-PC, d. h. mit der App-Version, stattfand, könnte die vorliegende Studie mit Vorbehalt als Forschungsbeitrag zu mobilem Lernen betrachtet werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde die Datenerhebung unter „Laborbedingungen“ durchgeführt (s. Kapitel 6), für mobiles Lernen relevante Aspekte ‒ wie Lernen bei Zeit- und Ortsunabhängigkeit, beiläufiges Lernen etc. ‒ wurden nicht gezielt erfasst, aber von manchen Untersuchungsteilnehmenden angesprochen.
Nach dem die Organisationsform Selbstlernen, multimodale Gestaltungsmöglichkeiten der Lernmaterialien skizziert und die Lernsoftwaredefinition erläutert wurden, werden in diesem Kapitel die Aktivitäten der Lernenden in digitalen Lernmaterialien thematisiert. Die Klassifizierung der Arten von Aktivitäten bzw. Übungen kann auf Grundlage unterschiedlicher Kriterien stattfinden: Fertigkeiten (rezeptiv, produktiv), Orientierung (mitteilungs- und formorientiert bzw. inhaltsbezogen und formfokussiert), Grad der Offenheit (geschlossen, halboffen und offen) (vgl. Rösler 2012: 105; Funk et al. 2014: 30–31). Die Typologien sind keine Besonderheit der Mediendidaktik und werden aus der allgemeinen Fremdsprachendidaktik übernommen.
Im Kontext digitaler Medien, insbesondere aus der Entwicklerperspektive,1 ist die Unterteilung in geschlossene, halboffene und offene Übungsformen besonders relevant. In geschlossenen Übungsformen gibt es klare Antwortmöglichkeiten: Die Lösung ist richtig oder falsch. Offene Aufgaben lassen mehrere Lösungen und Lernwege zu (vgl. Rösler 2004: 152). „Geschlossene Übungen eignen sich eher für die Einführungs- und Übungsphasen, wenn Lernende sich unbekannte Sprachmittel zunächst erarbeiten und dann Sicherheit in der Anwendung gewinnen wollen“ (Biechele et al. 2003: 13). Gerade im Bereich Grammatik sind geschlossene Übungen verbreitet,2 wobei diese Übungstypen wegen ihrer Formfokussierung kritisiert wurden. Die Formfokussierung von Grammatikübungen ist legitim, ohne die Form zu üben, ist Grammatiklernen kaum vorstellbar.3 Grammatikbücher und Lehrwerke bieten eine Menge formfokussierter Übungen. Jedoch haben digitale Übungen im Vergleich zu Übungen auf Papier Merkmale, die ihnen einen didaktischen Mehrwert geben. Die Vorteile digitaler geschlossener Übungsformen4 gegenüber analogen fasst Biechele wie folgt zusammen:
Die Übungsaktivität lässt sich beliebig oft wiederholen; die Lernenden haben also die Möglichkeit, sie beim zweiten, dritten oder x-ten Mal richtig zu lösen.
Der eigentliche didaktische Mehrwert der Internetnutzung [und der Nutzung offline laufender digitaler Lernprogramme und Apps] besteht darin, dass Lernende unmittelbares Feedback bekommen können – auch wenn die Lehrkraft keine Zeit hat.
Die Interaktion zwischen Lernenden und Computer erfolgt ohne andere (Mit)Lernende, vor denen sich manche Lernende bei Korrekturen bloßgestellt fühlen könnten.
Schließlich wird der Computer nie ungeduldig und gibt im besten Fall auch Hilfen für den richtigen Lösungsweg (Biechele 2005b: 14 [Ergänzung TZ]).
Weiterhin lassen sich innerhalb von geschlossenen Übungen mögliche Aktivitäten unterscheiden:
Auswahl der richtigen Lösung aus einer Reihe von Vorschlägen,
Kennzeichnung als richtig oder falsch,
Ergänzung einer Lücke (durch Wortteile, einzelne Wörter oder Wortgruppen),
Anordnung der Elemente nach bestimmten Kriterien wie Zuordnung zu verschiedenen Kategorien oder Festlegung der richtigen Reihenfolge,
Umformung vorgegebener Sätze (ebd.: 12).
Die Aktivitäten sind auch in Papierform möglich, der Unterschied liegt in der Realisierung. Sie können in verschiedenen Formaten wie z. B. Anklicken von Antwortmöglichkeiten in Multiple-Choice-Fragen oder Auswahlmenüs, Ziehen (Drag & Drop), Eingabe einer Antwort (Eintippen) realisiert werden. Das Repertoire scheint nicht vielfältig zu sein. Wenn jedoch in die Aktivitäten multimodale Elemente eingebunden werden und unterschiedliche Lösungswege im Programm vorgesehen sind, können sie Lernende beim Erreichen ihrer Lernziele unterstützen.
Darüber hinaus kann die Einbindung spielerischer Elemente in digitale Lernmaterialien das Interesse am Bearbeiten von Inhalten aufrechterhalten. Die Spielmechaniken, wie z. B. levels, challenges, Punktesammeln, Belohnungssystem, etc., werden in modernen digitalen Spielen verwendet. Auch der Faktor Spaß ist nicht unwichtig.5
Die fachdidaktische Diskussion über Spiele im Fremdsprachenunterricht erlebte ihren Boom in den 1980er Jahren (s. z. B. Kleppin 1980; Klippel 1980). Zu diesen Zeiten wurden Sprachlernspiele als Bestandteil des kommunikativen Unterrichts angesehen, heutzutage werden sie dem Prinzip des aufgabenorientierten Unterricht zugeordnet und erfüllen viele Kriterien von Lernaufgaben (vgl. Kleppin 2010: 284). Seit der Verbreitung digitaler Lernmaterialien für das Fremdsprachenlernen wird versucht, die oben genannten Spielmechaniken auch in digitale Materialien, u. a. in geschlossene Übungen einzubinden. Die einfachsten Beispiele für sprachbezogene Lernspiele sind Galgenmännchen, Kreuzworträtsel, Memory, Scrabble, Wortschlangen etc. (vgl. Biechele et al. 2003: 34 ff.). Mit der Entwicklung digitaler Medien wurden Sprachlernspiele komplexer, indem sie als umfangreiche Simulationen mit Lebensweltbezug und einem großen Spektrum von sprachbezogenen Aufgaben gestaltet werden, wie z. B. das Spiel des Goethe-Instituts für B1-Lernende Lernabenteuer Deutsch. Ein rätselhafter Auftrag.6 Für Lernende auf niedrigeren Niveaustufen bietet das Goethe-Institut ein anderes Spiel, in dem Wortschatz zu alltagsnahen Themen entdeckt und geübt werden kann: Die Stadt der Wörter.7 In diesem Spiel kann außerdem gegen andere Lernende gespielt werden. Die Verbreitung der Spiele und Elemente der Gamification weckten in den letzten Jahren großes Interesse auch in der Forschungslandschaft (s. z. B. Sylvén und Sundqvist 2012; Ikumi Hitosugi et al. 2014; Schmidt et al. 2016).
Bereits in früheren Diskussionen über den Computereinsatz im Fremdsprachenunterricht werden Potenziale des Mediums speziell „bei der Darstellung und Einübung von grammatischen Strukturen“ hervorgehoben (Hope et al. 1989: 29). Insbesondere für die Auslagerung von Drill-Übungen aus dem Unterricht bieten digitale Medien viel Potenzial (vgl. ebd.), somit kann eine Lehrperson von Korrekturen entlastet werden. Solche Übungsprogramme (reine drill & practice) verfügen jedoch über wenig Interaktivitätspotenzial (vgl. Rüschoff 1988: 48ff.). Die Anfangseuphorie verschwand mit der Zeit. Die meisten digitalen Grammatikaufgaben im Netz sind weiterhin geschlossen, was mit der generellen Formfokussierung im Bereich Grammatik verbunden ist (s. o). Jedoch bieten digitale Medien weitere Möglichkeiten zur Gestaltung von Grammatikaufgaben.
Rösler (2004: 137) weist darauf hin, dass digitale Grammatikübungen „zumeist überwiegend dem Erwerben und Sichern des Formbestandes“ dienen. Darüber hinaus ermöglichen digitale Medien entdeckendes Lernen der Grammatik und steuern z. B. durch die Veränderung der Farblichkeit die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte grammatischer Phänomene (vgl. ebd. 136-137). Digitalen Medien werden auch weitere Potenziale für die Grammatikvermittlung zugeschrieben, wie z. B. die Erweiterung der Darstellungsformen von grammatischen Strukturen durch interaktive animierte Grammatiken sowie die Implementierung mehrerer Pfade, die unterschiedliche Vorgehensweisen beim Lernen zulassen. Durch den Zugriff auf linguistische Datenmengen kann auch entdeckendes Lernen ermöglicht werden (vgl. Rösler 2012: 182). Laut Freibichler ermöglichen digitale Medien spielerisches und entdeckendes Sprachenlernen, das speziell für Anfänger eine wichtige Rolle spiele (vgl. Freibichler 1997: 41). Scheller schreibt digitalen Medien viel Potenzial bei der Grammatikvermittlung, insbesondere durch animierte Darstellungsformen, zu (vgl. Scheller 2012: 2 ff.), die in Kapitel 3.5 einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
In Anbetracht der relativ einfachen Programmierung von Programmen und Materialien zur Grammatik1 ist die hohe Anzahl digitaler Grammatiklernangebote nicht verwunderlich. Interessanterweise sind jedoch wenige Forschungsbeiträge zu finden, die sich mit der Analyse dieser Materialien beschäftigen. Einen Versuch unternahm Rausch (2017), indem sie den Aufbau, die Merkmale sowie Übungstypen von Online-Übungsgrammatiken analysierte. Auf der Grundlage der Analyse fasst Rausch folgende Vorteile gegenüber gedruckten Grammatiken zusammen: Durch die Hypertextstruktur der Online-Materialien ist der Informationszugriff schneller und auf die jeweiligen Lernbedürfnisse anpassbar. In Online-Grammatiken können multimediale Komponenten eingebettet werden, was in gedruckten Übungsgrammatiken mit einer CD oder DVD allerdings auch möglich sei. Die analysierten Online-Grammatiken beinhalten interaktive Komponenten (wie z. B. Kommentarfunktion, Foren, automatisches Feedback etc.). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit zur Vernetzung mit anderen Lernenden sowie mit Experten. Außerdem ermöglichen die Online-Übungsgrammatiken die Auswahl mehrerer Beschreibungssprachen, was insbesondere für Anfänger vorentlastend ist. Als nachteilig wird die Tatsache bezeichnet, dass eine unübersichtliche Navigationsstruktur sowie die Informationsmenge überfordern könnten. Eine starke Abhängigkeit des Lernfortschrittes von Lerngewohnheiten und dem Lerntyp beim Lernen mit Online-Materialien wird ebenfalls als problematisch angesehen (vgl. Rausch 2017: 105-106).
In diesem kurzen Überblick über die Entwicklung digitaler Lernmaterialien und ihrer Vor- und Nachteile für selbstständiges Fremdsprachen- und insbesondere Grammatiklernen wurden ihre Potenziale und Grenzen gezeigt. Die Skizzierung lässt deutlich werden, dass Lernende eine aktive Rolle im Lernprozess übernehmen sollten. Das kann durch die Interaktivität von digitalen Lernmaterialien erfolgen.
Bereits vor 30 Jahren wurde die Interaktivität digitaler Medien als gewinnbringend betrachtet, weil Computer eine Eins-zu-eins-Interaktion ermöglichen (vgl. Hope et al. 1989: 8). Durch die Interaktivität werden die Rollen der Lernenden und der Maschine gleichmäßiger verteilt als im Fall Lernende-Lehrende, da Lernende selbst bestimmen, wann und wie sie mit dem Medium lernen (vgl. ebd.: 8-9). Was hinter dem Begriff Interaktivität digitaler Medien steckt und welche Formen der Interaktivität in Lernprogrammen vorhanden sind, sind Fragen, die im Folgenden erläutert werden. Auch wird in diesem Kapitel der Frage nachgegangen, wie viel Interaktivität für die Förderung eines selbstständigen Lernprozesses nötig ist.
Da es sich beim Thema der vorliegenden Arbeit um Interaktivität in der Form Mensch-Maschine-Kommunikation handelt, findet die Erklärung des Begriffs im Kontext von CALL statt.1 Nach dem konstruktivistischen Paradigma können sich Lernende im Rahmen des Lernprozesses mit einem Lerngegenstand aktiv befassen, neue Informationen explorativ erschließen, über eigene Lösungsstrategien reflektieren und das Gelernte sofort anwenden. Somit ist das Lernen mit vielen Aktivitäten Lernender verbunden (vgl. Strzebkowski und Kleeberg 2002: 229-230). In der Diskussion über mediengestütztes Lernen spielt die Interaktivität digitaler Medien eine zentrale Rolle. Durch diese Eigenschaft digitaler Medien kann ein aktiver Lernprozess bzw. eine Aktivierung der Lernenden beim Lernen ermöglicht werden.
Mitschian grenzt Interaktivität von Interaktion ab und versteht darunter „alle Aktions-Reaktionsfolgen, die sich ausschließlich zwischen Software und Lernenden abspielen“ (Mitschian 2004a: 44). Die Reaktionen des Systems werden auf Grundlage methodischer Überlegungen von Entwicklern konzipiert (vgl. ebd.: 44ff.). Interaktivität ist „das Ausmaß, in dem eine Lernumgebung Interaktionen ermöglicht und fördert“ (Niegemann et al. 2008: 295). Grünewald ist der Ansicht, dass die Interaktivität beim Lernen mit digitalen Medien nur bedingt als solche zu verstehen ist, da es sich um vorprogrammierte Reaktionen eines Programms auf Nutzereingaben handelt. Daher wird sie in seiner Arbeit durch den Begriff Reaktivität ersetzt (vgl. Grünewald 2006: 97). Seine Überlegungen sind nachvollziehbar, jedoch können vorprogrammierte Programmreaktionen unterschiedlich komplex sein, in verschiedenen Lernphasen unterschiedlichen Zwecken dienen und im engen Zusammenhang mit Aktionen der Lernenden stehen. Daher ist für die vorliegende Arbeit der Begriff Interaktivität vorzuziehen. Darunter wird die Eigenschaft eines Programms verstanden, unterschiedliche Aktion-Reaktionsketten zwischen einem Nutzer und einem Programm zu ermöglichen; damit wird eine kontinuierliche aktive Einbeziehung des Lernenden in den Lernprozess bezweckt.
Die wichtigste Funktion der Interaktionen in Lernprozessen sieht Mitschian in der Vermeidung monotoner und eindimensionaler Vermittlung von Wissen bzw. im Angebot vielfältiger Lernwege und Handlungsweisen (vgl. Mitschian 1999: 125). Niegemann et al. zählen zu den Funktionen von Interaktivität folgende: Motivieren, Informieren, Verstehensförderung, Förderung von Behalten, Förderung von Anwenden bzw. Transfer, Organisierung und Regulierung des Lernprozesses (vgl. Niegemann et al. 2008: 295). Damit diese Funktionen realisiert werden können und Lernprogramme lernwirksam sind, sollten Interaktionsketten bzw. Aktionen der Lernenden und des Systems aufeinander abgestimmt werden. Darüber hinaus ist eine Balance anzustreben, dass Lernende durch die Interaktivität der Software in gewisser Maße entlastet, jedoch gleichzeitig auch aktiviert werden. D. h. das Programm darf nicht von den Lernzielen ablenken und den Lernenden die gesamte Arbeit abnehmen (vgl. Mitschian 1999: 126-127). Insbesondere im Kontext selbstständigen Lernens scheint dieser Aspekt von großer Bedeutung zu sein.
Im Kontext des mediengestützten Lernens wird die Interaktivität häufig als Teil der multimedialen Lernumgebung neben Adaptivität, Multimodalität etc. betrachtet (vgl. Kallenbach und Ritter 1998; Niegemann et al. 2008; Betrauncourt 2010; Schulmeister 2007). Eine intensive Analyse dieser Bereiche im Zusammenspiel mit der Interaktivität findet in Jones et al. (2016) statt.2
Biechele et al. (2003: 7) unterteilen mögliche Interaktionsformen in zwei Gruppen: in die, „die nicht primär dem Lernen dienen, die Lernende aber bewältigen müssen, um überhaupt zum Lernmaterial zu gelangen“, sowie in die, „denen Lernende bei der Bearbeitung von Lernaufgaben begegnen können“. Diese Unterteilung entspricht den Kategorien von Steuerungsinteraktionen und didaktischen Interaktionen nach Strzebkowski (1995: 278). Bei Steuerungsinteraktionen handelt es sich um die Interaktionsformen, die mit Navigations- und Systemfunktionen, wie Speichern, Abspielen etc. verbunden sind. Didaktische Interaktionen dienen einer direkten Unterstützung des Lernprozesses, z. B. durch Animationen, Texteingaben, Informationstransformationen etc. Dabei ist die Grenze zwischen den Interaktionsformen nicht scharf trennbar (vgl. Strzebkowski und Kleeberg 2002: 232ff.).
Eine Unterteilung der Interaktionsformen ist auch nach den interagierenden Beteiligten des Lernprozesses möglich: So wird zwischen Aktionen Lernender und des Systems unterschieden (vgl. Niegemann et al. 2008: 287 ff.; Niegemann 2011: 125 ff.).
Mögliche Aktionen Lernender sind:
die selbstständige Auswahl von Lehrinhalten
die selbstständige Wahl einer Reihenfolge des Lehrstoffs
Auswahlentscheidungen bezüglich Beispielen und Aufgaben
das Anordnen und Nutzen von Hilfen
das Stellen von Fragen.1
Zu Aktionen des Systems gehören:
die Darbietung von Informationen
das Anbieten von Hilfen
Rückmeldung auf Eingaben
Feedback (vgl. ebd.).
Einige Aktionen stehen in direkter Verbindung miteinander, wie z. B. dass das System Informationen darbietet und Lernende aus dem Informationsangebot Inhalte selbstständig auswählen und über die Reihenfolge bei der Bearbeitung der Inhalte und Aufgaben entscheiden können. Wird eine Hilfe-Funktion im Programm vorgesehen, ist den Lernenden überlassen, ob, wann und wie sie genutzt wird. Der Umfang und die Gestaltung der Hilfe-Funktion können sowohl in unterschiedlichen Programmen als auch in verschiedenen Phasen innerhalb eines Programms unterschiedlich sein und von den didaktischen Überlegungen der Entwickler und den technischen Möglichkeiten abhängen. Für einen kontinuierlichen Lernprozess mit digitalen Medien sind Rückmeldungen bzw. Reaktionen des Systems auf jede einzelne Eingabe nötig. Eine wichtige Rolle spielt Feedback beim selbstständigen Lernen mit digitalen Medien. Dabei sind viele Aspekte zu beachten: Ausführlichkeit der Ausformulierung von Feedback, visuelle Gestaltung, kognitive Anforderungen an Lernende, Reaktionen auf eine falsche sowie eine richtige Eingabe etc. Daher wird dem Feedback ein gesondertes Unterkapitel gewidmet.
In der Forschungsliteratur wird vorprogrammiertes Feedback mit der Fehlerkorrektur im Unterricht verglichen (vgl. Biechele et al. 2003: 18 ff.; Rösler 2004: 177 ff.) und scheint laut Puskás im Vergleich zur unterrichtlichen Fehlerkorrektur „defizitär“ zu sein (Puskás 2011: 270). Jedoch stellt sich die Frage, ob solche Erwartungen, die man an die Fehlerkorrektur seitens einer Lehrperson hätte, mit den Ansprüchen an eine Fehlerkorrektur beim Selbstlernen identisch wären. Lernt man selbstständig mit analogen Medien wie z. B. einem Buch oder Arbeitsblättern, beschäftigt man sich mit grammatischen Inhalten ohne jegliche Unterstützung. Man muss seine Antworten mit dem Lösungsschlüssel abgleichen und ggf. selbst nach Fehlerquellen suchen und sie analysieren. Betrachtet man vorprogrammiertes Feedback im Kontext des Selbstlernens, scheint es Vorteile im Vergleich zu analogen Medien zu haben, da eine automatische Rückmeldung unmittelbar nach der Antworteingabe erscheint und mehrfach abrufbar ist.
Puskás weist auf die Vergleichbarkeit des programmierten Feedbacks mit der schriftlichen Fehlerkorrektur im Unterricht hin. Mögliche Feedbackformen sind:
Präsentation der richtigen Lösung,
Markierung der fehlerhaften Stelle,
Ausgabe einer Fehlermeldung, die bei der Erkennung der Fehler aus gespeicherten vorhersehbaren Fehlern erscheint,
intelligente Fehlermeldungen, die auf einer natürlichsprachlichen Analyse basieren (ebd.: 272).
Die ersten drei Feedbackarten basieren nicht auf linguistischer Analyse der Eingaben von Nutzern, sondern sind vorprogrammiert und eignen sich für geschlossene Übungstypen. Für sie ist es laut Puskás möglich, „ein angemessenes vorprogrammiertes Feedback zu liefern“ (ebd.). Der häufig kritisierte Aspekt digitaler Medien ist das Fehlen unterschiedlicher Rückmeldungen auf die Eingaben der Nutzer bzw. das Fehlen elaborierten Feedbacks. Dies wird von Mitschian im Hinblick auf die Lernmaterialien für Anfänger nicht bestätigt, da „in diesem Lernstadium in nur geringem Umfang mit Sprache produktiv umgegangen oder sie in größeren Einheiten gebraucht wird“ (Mitschian 2004a).
Eine motivierende Wirkung einer sofortigen Reaktion auf jede Eingabe1 bestätigt Schmidt in seiner Studie, jedoch kann es bei schwächeren Lernenden einen Gegeneffekt haben, wenn sie durch die Häufigkeit negativer Rückmeldungen permanent auf ihre Schwächen aufmerksam gemacht werden (vgl. Schmidt 2005: 275). Eine Rückmeldung über die Korrektheit oder Inkorrektheit der Eingabe reicht den Lernenden aus, die Feedbackinhalte selbst werden ignoriert: „Eine im Falle eines Fehlers intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten der Rückmeldungen ‒ so z. B. den Erläuterungen zur Fehlerursache im Rahmen des schriftlichen Eingabefeedbacks ‒ findet allerdings nur vergleichsweise selten statt“ (ebd.). In diesem Zusammenhang entsteht laut Schmidt eine „Feedbackverdrossenheit“, die insbesondere im Bereich Grammatik beobachtet wurde (vgl. ebd.: 276 ff.). Die Verdrossenheit kann durch unterschiedliche Aspekte verursacht werden: Wenn im Feedback die Spezifik der Fehler nicht berücksichtigt wird und die Rückmeldung sehr allgemein (und häufig gleich für verschiedenen Fehlertypen) formuliert ist, wenn die Rückmeldungen fehlerhaft sind oder wenn die selbstständige Fehlerkorrektur im Programm nicht vorgesehen ist, werden die Inhalte des Feedbacks ungelesen weggeklickt (vgl. ebd.: 290–291).
Bayerlein (2010) betont die Problematik der Anforderungen an gutes vorprogrammiertes Feedback und eine diffuse Vorstellung über die eigentliche Gestaltung der Rückmeldungen. In seiner Studie, in deren Rahmen japanische DaF-Lernende bei mediengestütztem selbstständigem Lernen beobachtet wurden, wurde festgestellt, dass die Erklärungen, warum eine Antwort in Multiple-Choice-Fragen oder Zuordnungen falsch ist, nicht gelesen werden. Stattdessen versuchen die Lernenden durch weitere Klicks eine richtige Antwort zu finden. Bei den Übungen, in denen eine Texteingabe erwartet wird, werden die Rückmeldungen hingegen gelesen, da dadurch die Anzahl der unendlichen Antwortmöglichkeiten reduziert werden kann (vgl. Bayerlein 2010: 574-575). „Die Anstrengung, elaboriertes Feedback zu konzipieren, lohnt sich also nur dann, wenn auch sichergestellt ist, dass die Lernenden sich die Mühe machen, dieses Feedback zu lesen“ (ebd. 574). Darüber hinaus weist der Autor darauf hin, dass die sprachliche Formulierung der Rückmeldung verständlich sein sollte (vgl. ebd.).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gestaltung des Feedbacks mit dem jeweiligen Übungstyp im Zusammenhang steht. Das Lernziel von Übungen und vorprogrammierten Aktivitäten, die von Lernenden erwartet werden können, ist ebenfalls zu beachten. Gerade beim entdeckenden Lernen sollte die Gestaltung der Rückmeldungen den Lernprozess fördern und die Lernenden motivieren. Dafür sind mögliche vorhersehbare Fehler zu beachten, um die entsprechenden Feedbackmeldungen zu programmieren. Außerdem trägt eine sprachniveauangemessene Formulierung des Feedbacks zur Lernwirksamkeit des Programms bei. Diese Überlegungen flossen in das Konzept der Interaktiven Grammatik ein, das in Kapitel 5 am Beispiel des Themas Imperativ detailliert aufgezeigt wird.
Wenn viele Elemente auf einer Bildschirmfläche interaktiv sein müssen, um den selbstständigen Lernprozess ermöglichen und fördern zu können, bedeutet dies aus der Entwicklerperspektive die Erhöhung des Programmieraufwandes. Sind alle angezeigten Elemente interaktiv, ist für jeden einzelnen eine (Re-)Aktion zu programmieren. Aus der (medien-)didaktischen Perspektive ist zu überlegen, welche Elemente interaktiv fungieren sollten, um die Aufmerksamkeit des Lernenden auf das zu erlernende Phänomen zu fokussieren und durch eine Menge der Interaktionsmöglichkeiten und Verzweigungen nicht zu überfordern (vgl. Zeyer 2016: 204 ff.). Darüber hinaus sollte die Menge bzw. Anzahl interaktiver Elemente, die auf einmal auf dem Bildschirm zur Verfügung stehen, nicht zu groß sein.
Das konstante Vorhandensein bestimmter interaktiver Steuerungselemente kann Lernenden Sicherheit geben: Weiß man, wo man sich im Programm befindet, wie man Hilfe abruft, wie Feedback funktioniert, bleibt man auf den Lerngegenstand fokussiert. Daher ist wichtig, dass sich diese Elemente in den verschiedenen Phasen der Lernprogramme nicht unterscheiden. Somit werden Lernende durch die Vielfalt vieler Interaktionsmöglichkeiten nicht abgelenkt bzw. überfordert und konzentrieren sich auch auf die vielfältigen didaktischen Interaktionen, die sich je nach Lernphase und Lernziel abwechseln und zum Lernziel führen. In Kapitel 5 werden mögliche Interaktionen in einzelnen Teilen der Interaktiven Grammatik schematisch dargestellt und ausführlich analysiert.
Kapitel 2.2 zielte auf eine Beantwortung der Fragen, was genau Interaktivität im CALL-Bereich bedeutet, welche Funktionen sie erfüllt und in welchen Formen sie realisiert werden kann. Darüber hinaus wurden Aspekte und didaktische Überlegungen dargelegt, die die Gestaltung des vorprogrammierten Feedbacks bestimmen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der letztgenannte Punkt zum Umfang angebotener interaktiver Elemente.
„Am Anfang war das Bild: vor der Schrift das Felsbild, vor der artikulierten Sprache der mimische Ausdruck, vor der rationalen Überlegung die mythische Vorstellung.“ Mit diesem Zitat eröffnet Doelker (1997: 16) das erste Kapitel seines Buches über die visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft. Er weist darauf hin, dass die Digitalisierung und ihre unbegrenzten Verbreitungsmöglichkeiten eine Flut visueller Informationen ermöglichen (vgl. ebd.). Etwa zehn Jahre später schreibt Lieber im Vorwort im Handbuch zur Bilddidaktik: „Gerade im Zeitalter der digitalen Medien sind Bilder unaufhaltsam auf dem Vormarsch und rücken seit einigen Jahren in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses“ (Lieber 2008: 4). Dieses Interesse trägt zur Entwicklung „einer eigenen interdisziplinär ausgerichteten Bildwissenschaft“ bei, dabei können Bilder aus der historisch orientierten, sozialwissenschaftlichen oder anwendungsorientierten Perspektive erforscht werden (ebd.). Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Bildwissenschaft werden Visualisierungen, ihre Grenzen und Potenziale, Einsatzmöglichkeiten und Anforderungen an sie, in unterschiedlichen Fachdiskursen besprochen. Ich beschränke mich in dieser Arbeit auf Visualisierungen in der Linguistik und beim Fremdsprachenlernen.
„Die visuelle Flut führt erfahrungsgemäß zu einer Abstumpfung der Wahrnehmung. Eine aktive Visualisierung beim Lernen, wie zum Beispiel die Einbeziehung visueller Vorstellungen beim Einprägen fremdsprachiger Informationen, ist wahrscheinlich wirksamer als eine Fülle von Bildmaterial“ (Schiffler 2002: 10). Schiffler weist auf die Notwendigkeit der Förderung von Visualisierungstechniken im Unterricht hin (vgl. ebd.). Übertragbar auf Selbstlernmaterialien lässt sich behaupten, dass Lernende mit visuellen Elementen interagieren müssen (s. Kapitel 2.2 zur Interaktivität), um somit die Nachvollziehbarkeit von Lerninhalten in visueller und verbaler Form anzustreben. Die technische Entwicklung trägt m. E. auch zu der medialen Ausstattung im Fremdsprachenunterricht bei und beeinflusst die visuelle Gestaltung der Lernmaterialien.
Viele Beiträge zur Rolle visueller Komponenten im Fremdsprachenunterricht beginnen mit dem Spruch „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ (s. z. B. Hieronimus 2014; Gubanova-Müller und Tommaddi 2016; Klewitz 2016). Wie viel kann ein Bild über ein grammatisches Phänomen aussagen? Und wie muss das Bild gestaltet sein? Das sind die zentralen Fragen dieses Kapitels. Zuerst werden Potenziale von Visualisierungen für verschiedene Kompetenzbereiche im Kontext des Fremdsprachenlernens skizziert und Begriffe visueller Medien in verschiedenen fremdsprachlichen Handbüchern dargestellt. Danach folgt eine Auseinandersetzung mit Typen und Funktionen der Visualisierungen. Anschließend stehen visuelle Mittel speziell zur Unterstützung bei der Grammatikdarstellung im Fokus. Dabei werden Visualisierungen in gedruckten Medien systematisch betrachtet und die Veränderungen der Visualisierungen durch die mediale Entwicklung diskutiert. Anschließend werden die Konsequenzen für die Entwicklung digitaler Lernmaterialien zur Grammatik zusammengefasst.
Visualisierungen sind ein fester Bestandteil von Lehrwerken und Lernmaterialien. Sie haben eine lange Tradition im Fremdsprachenunterricht, die mit dem Lehrbuch Orbis sensualium pictus von Comenius (1658) beginnt (vgl. Hecke 2016: 37; Reinfried 1992: 33ff.). Reinfried (1992) verschafft einen ausführlichen historischen Überblick über die Rolle des Bildes in verschiedenen Methoden des Fremdsprachenunterrichts1 und prognostiziert eine wachsende Bedeutung des Bildeinsatzes. Diese Annahme belegt er mit der Begründung, dass das Bild „[…] das einzige Medium [ist], das eine inhaltliche Stütze bietet, ohne mutter- oder fremdsprachliche Ausdrücke vorzugeben.“ (Reinfried 1992: 283). Jeder, der einmal eine Fremdsprache gelernt hat, wird die Tatsache bestätigen, dass man eine Menge visuellen Input im Lernprozess bekommt: durch Abbildungen in Lehrwerken, Tafelbilder im Klassenzimmer, Videomaterialien, Spiele etc. Durch Visualisierungen können einzelne Kompetenzbereiche des Fremdsprachenlernens unterstützt werden. Der Einsatz von Visualisierungen fördert Motivation von Lernenden (vgl. Stork und Ballweg 2009).2
Lernt man eine Fremdsprache außerhalb des zielsprachigen Landes, bekommt man Informationen über das Land und die Kultur der Zielsprache größtenteils aus Lernmaterialien. In diesem Zusammenhang spielen landeskundliche Bilder eine wichtige Rolle für den Aufbau des Bildes über das Land. Durch Bilder können Lernende für die fremde Kultur sensibilisiert werden (vgl. Macaire und Hosch 1996: 18ff.). Für die Landeskundevermittlung eignen sich fotografische Bilder wegen ihres dokumentarischen Charakters. Obwohl sie objektiv zu sein scheinen, geben sie die Realität nicht automatisch objektiv wieder (vgl. ebd.: 94). Visualisierungen bzw. Bilder können als Realitätsersatz im Fremdsprachenunterricht fungieren, sind jedoch kein Allheilmittel. In diesem Zusammenhang betont Brunsing zurecht, „dass Bilder immer nur einen Ausschnitt der Realität wiedergeben und geprägt sind durch die Darstellungsabsicht des Bildproduzenten“ (Brunsing 2016: 498). Darüber hinaus beeinflusst das Vorwissen von Lernenden das Bildverstehen: „Die Wahrnehmung des Bildinhalts ist immer abhängig von kulturbedingten Erfahrungen und Gewohnheiten der Betrachter, von ihren Schemata, zu denen Wertvorstellungen, Vorwissen und Erwartungen gehören“ (Macaire und Hosch 1996: 57). Die genannten Aspekte sind bei der Landeskundevermittlung im Fremdsprachenunterricht zu beachten.