Greta und Eule, Hundesitter - Cornelia Funke - E-Book

Greta und Eule, Hundesitter E-Book

Cornelia Funke

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Beschreibung

Sechs Wochen Sommerferien allein zu Haus, während der Regen aufs Dach prasselt ... Das wäre nicht mal schlimm, wenn Greta nur einen Hund hätte, der ihr ab und zu seinen warmen Kopf auf den Schoß legt. Doch davon kann sie nur träumen, wegen Onkel Eduards Hausordnung. Tiere ohne Federn sind darin strikt verboten. Bevor Greta aber den Kopf hängen lassen kann, kommt ihre Kusine Eule zu Besuch, und Eule weiß ganz genau, was zu tun ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2012

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Für Rico, Wutz und Ben, Sofus, Afra, Bilbo, Pippo, Clio, Pelle, Wurzel, Dukie, Aische, Zorro, Huddelmann, Billie, Nele, Kunibert und alle anderen netten Hunde

Warum freuten sich bloß alle auf die Ferien?

Greta zerrte die U-Bahn-Tür auf und hielt die Nase in den warmen Wind.

»Endstation!«, plärrte der Lautsprecher. »Alles aussteigen.«

Greta klemmte sich die Schultasche unter den Arm, sprang aus dem Wagen und trottete den menschenleeren Bahnsteig entlang. Sommerferien – bleischwer saß das Wort auf ihren Schultern. All ihre Freundinnen fuhren weg, auf Ponyhöfe, griechische Inseln oder nach Dänemark. Aber vor Greta lagen sechs endlose Wochen Langeweile. Sechseinhalb sogar. Grässliche Aussichten.

Am Bahnhofskiosk kaufte sie sich ein Eis, aber davon wurde ihre Laune auch nicht besser. Mit düsterer Miene machte sie sich auf den Heimweg, vorbei an der Reinigung, dem Bäcker und Hasenknopfs Geschäft, in dem man fast alles kaufen konnte, obwohl es kaum größer war als das Wohnzimmer von Gretas Eltern.

»Hallo, Greta!« Herr Hasenknopf lehnte in der Ladentür und hielt sein rundes Gesicht in die Sonne. »Was ist dir denn Scheußliches über die Leber gekrochen?« Pippo, sein kleiner Hund, sprang bellend an Greta hoch.

»Ach, nichts«, murmelte sie und kraulte Pippo hinter den Ohren. Greta liebte Hunde. Ganz verrückt war sie auf ihre kalten Schnüffelnasen, die wedelnden Schwänze, die weichen Ohren. Wenn sie einen Hund hätte, ja, dann würde sie sich auf die verflixten sechs Wochen freuen. Aber so ...

»Schöne Ferien!«, rief Herr Hasenknopf ihr nach.

»Danke!«, rief Greta, kickte eine leere Zigarettenschachtel in den Rinnstein und bog in die Amselstraße ein. Hier wohnte sie – große Bäume, riesige Gärten, alte Häuser und kein Kind weit und breit. Gretas Freundinnen wurden jedes Mal grasgrün vor Neid, wenn sie sie in der großen Backsteinvilla besuchten. »Du wohnst wie ein Filmstar«, sagten sie. Aber was war an so einer Villa schon aufregend? Außerdem gehörte sie Eduard, dem Onkel von Gretas Mutter, und mit Eduard in einem Haus zu leben war anstrengend, sehr anstrengend.

Greta leckte sich die eisverschmierten Finger ab und öffnete das schmiedeeiserne Gartentor. Im Vorgarten schnippelten mal wieder zwei Gärtner an den Buchsbaumbüschen herum. Greta fand, dass Büsche wie Büsche aussehen sollten, aber Eduard war da völlig anderer Ansicht.

»Was soll denn das sein?«, fragte sie und blieb neben einem der Gärtner stehen. »Ein Huhn?«

Ärgerlich guckte er auf sie runter. »Das ist ein Papagei.«

»Aha.« Greta guckte sich alle Buschkunstwerke an, dann lief sie die große Treppe zur Eingangstür hinauf. Papageien, alles Papageien. Natürlich. Hätte sie sich denken können. Eduard liebte Papageien. Vor allem seinen eigenen. Carlo war dreimal so alt wie Greta und größer als eine Gans. Carlo machte auf Eduards Perserteppiche, pfiff und kreischte herum, knabberte die Vorhänge an und biss in alles, was sich bewegte. Aber Eduard war ganz vernarrt in ihn.

Greta schloss die Haustür auf. Seifengeruch stach ihr in die Nase. Eduard beschäftigte nicht nur ein halbes Dutzend Gärtner, sondern auch zwei Putzfrauen. Ab und zu sogar einen Koch. Mama sagte, dass Eduard seine Hände nur zum Teetrinken benutzte.

Das Treppenhaus war noch feucht. Auf Zehenspitzen lief Greta über den rutschigen Marmor. Dem Goldrahmen neben der Tür streckte sie die Zunge raus, wie jedes Mal, wenn sie nach Hause kam. Dadrin steckte die Hausordnung. Eduard hatte sie eigenhändig geschrieben, mit seiner komischen Schnörkelschrift.

Greta kannte sie auswendig:

Ich bitte meine geschätzten Mitbewohnerauf folgende Dinge in diesem Hausefreundlichst zu verzichten:

1. Das Abspielen von Radiomusik auf dem Balkon oder im Garten (besonders unerwünscht: Musik des 20. Jahrhunderts)

2. Gleichzeitiger Besuch von mehr als drei auswärtigen Personen (Ausnahme: Feierlichkeiten)

3. Knoblauchgeruch im Treppenhaus

4. Lebende Tiere ohne Federn und Flügel

5. Das Aufstellen von Gartenzwergen und ähnlichen Geschmacklosigkeiten

6. Das Trocknen von Wäsche in Sichtweite der Veranda

Gretas Mutter regte sich über Punkt 2 und 6 auf und ihr Vater konnte stundenlang über Punkt 1 schimpfen. Aber Greta nahm Eduard nur eins übel, und das war Punkt 4. Denn ihr größter Wunsch auf dieser Welt und in diesem Leben war ein Hund, und ein Hund hat nun mal keine Federn und Flügel schon gar nicht. Immer noch auf Zehenspitzen stakste sie die blitzblanke Treppe rauf. Sie wohnten im ersten Stock, vier Zimmer mit Balkon, und Eduard wohnte mit seinem albernen Papagei unten, sechs Zimmer mit Wintergarten und Veranda. Als Greta gerade auf der vierten Stufe war, ging die Wohnungstür im Erdgeschoss auf und Eduard trat in voller Größe auf seine vornehme Fußmatte hinaus. Auch das noch.

»Oh, du bist schon zurück!«, rief er und schwang einen riesigen Regenschirm. »Ich hatte gerade vor, einen kleinen Spaziergang zu machen. Ist es sehr warm?«

»Den Regenschirm brauchst du bestimmt nicht«, sagte Greta und guckte beunruhigt auf die schwarzen Fußstapfen, die sie trotz aller Mühe auf der Treppe hinterlassen hatte. Aber Eduard schien sie nicht zu bemerken.

»Du siehst deprimiert aus, meine Liebe«, sagte er und hob besorgt die Augenbrauen.

»Heute fangen die Ferien an«, sagte Greta. »Und ich werd mich zu Tode langweilen.«

»Nun, mir und Carlo bist du jederzeit willkommen«, sagte Eduard.

»Kennst du den schon?« Er beugte sich etwas vor und zupfte an seiner Fliege. »Warum gibt es Gummibären, aber keine Gummielefanten?«

»Die Tüten würden zu teuer«, sagte Greta. »Ich muss hoch, das Telefon klingelt. Tschüs, Eduard.« Dann machte sie, dass sie die Treppe raufkam.

Die Ausrede mit dem Telefon wirkte immer, und Ausreden brauchte man bei Eduard, denn er hatte drei große Leidenschaften: seine Rosen, mollige Damen und Witzeerzählen. Wenn er damit erst mal angefangen hatte, war er schwer zu bremsen.

Oben in der Wohnung war es mucksmäuschenstill. Gretas Eltern waren zur Arbeit. Ihre Mutter war Verkäuferin in einem Geschäft für feine Damenunterwäsche und kam erst um drei nach Hause. Gretas Vater arbeitete bei einer Zeitung, Redaktion Lokales. Er schrieb über Feuerwehreinsätze, Hühnerausstellungen, hundertste Geburtstage und all so was. Greta schmiss die Schultasche in ihr Zimmer, machte das Radio an und aß den Nudelsalat, den Mama auf den Küchentisch gestellt hatte. (»Du musst mittags was essen, mein Schatz.«) Dann warf sie sich im Wohnzimmer aufs Sofa und starrte düster nach draußen. Weiße Wolken trieben über den blauen Himmel. Wie kleine Hunde mit runden Nasen sahen sie aus.

»Hunde, Hunde, überall siehst du Hunde«, sagte Papa immer. »Ich tret nur dauernd in die Haufen rein.«

Aber das sagte er nur so. Als Kind hatte er schließlich selbst einen Hund gehabt. Und keinen Eduard.

Greta seufzte und schloss die Augen.

Ein Hund würde ihr jetzt die Nase lecken. Er würde nachts auf ihren Füßen schlafen und seinen Kopf auf ihr Knie legen, wenn sie traurig war. Greta würde ihm Knochen kaufen, seine weichen Ohren streicheln und sein Fell bürsten, bis es glänzte. Und Mama müsste nicht dauernd ein schlechtes Gewissen haben, weil sie erst um drei nach Hause kam (was Greta, ehrlich gesagt, nicht so schlimm fand). Wunderbar wäre das, hundertprozentig und unglaublich wunderbar. Aber Eduard mochte nun mal Papageien und keine Hunde. Eduard hatte Angst vor Hunden. Und deshalb würde er Punkt 4 der Hausordnung niemals ändern, nie, niemals.

Greta hatte alles versucht. Sie hatte hundertunddreiundzwanzigmal über denselben Witz gelacht. Sie hatte Eduards Rosen gelobt und vor Bewunderung mit den Augen gerollt, wenn er ihr von seinen Jugendabenteuern erzählte. Alles Zeitverschwendung.

»Greta?«

Überrascht hob Greta den Kopf. Das war Mama. Wo kam die denn schon her?

Atemlos wie immer lehnte sie in der Tür, mit einer Tasche voll Obst, Gemüse und anderen gesunden Sachen.

»Diese Treppe bringt mich noch um!«, stöhnte sie und gab Greta einen dicken Kuss. Dann schmiss sie ihre Stöckelschuhe in die Ecke, ließ sich stöhnend in einen Sessel fallen und wackelte mit den Zehen. Sie trug ihre Berufsverkleidung: enges Kostüm, Strümpfe mit Naht und spitze Schuhe mit ellenhohen Absätzen, in denen sie Hühneraugen bekam – alles für die vornehme Kundschaft.

»Die Chefin hat heute früher zugemacht!«, seufzte sie. »Ein Glück. War sowieso nichts los. Drei kneifende Hüfthalter hab ich umgetauscht, das war alles.«

»Arme Mama!«, sagte Greta. »Soll ich dir einen Kaffee kochen?«

»Das ist lieb, mein Schatz«, sagte Mama. »Aber ...«, sie guckte Greta prüfend an. »Du siehst auch nicht gerade glücklich aus.«

»Ach, alle verreisen wieder«, murmelte Greta. »Und ich werd mich hier zu Tode langweilen.«

»Ja, es ist immer dasselbe«, Mama seufzte. »Dein Vater bekommt nur zu den unmöglichsten Zeiten Urlaub. Aber guck mal hier«, sie zog einen Briefumschlag aus der Tasche und warf ihn Greta in den Schoß. »Post von Olga.«

Olga war Gretas Kusine, aber eigentlich nannte jeder sie nur Eule, wegen ihrer runden Brille. Hastig riss Greta den Umschlag auf. Zwei platt gedrückte Gummibären steckten drin und ein Blatt gelbes Briefpapier. Eules Krakelschrift zu entziffern war schwer. Aber was da stand, war eindeutig.

»Sie will kommen!«, sagte Greta, und der blaue Himmel draußen sah plötzlich nach Ferienwetter aus. »Und die ganzen sechs Wochen kann sie bleiben.«

»Ach, ruft Olgas Eltern wieder das Abenteuer?«, fragte Mama und gähnte.

»Eule schreibt, sie ...«, Greta runzelte die Stirn, »sie machen ein Sur-vie-wal-Training in den Bergen.«

Ihre Mutter kicherte.

Greta sah sie fragend an. »Was ist das? Sur-vie-Wal?«

»Ach, ich glaube ...«, Mama zog sich die Seidenstrümpfe von den Beinen, »da lernt man Käfer essen und so was.«

Greta verzog das Gesicht.

Ja, das sah Eules Eltern ähnlich. Das ganze Jahr über saßen sie im Büro einer Versicherung, aber im Urlaub machten sie scheußlich schwierige Bergsteigerkurse, paddelten auf Wildwassern rum oder lernten Fallschirmspringen über der Sahara. Da kann man natürlich keine Kinder mitnehmen. Und so ließen sie Eule dann immer bei ihrer Oma oder bei Gretas Eltern, zusammen mit jeder Menge guter Ratschläge und Telefonnummern, wo sie vielleicht zu erreichen waren.

»Wann kommt sie?«, fragte Mama.

»Schon übermorgen«, sagte Greta.

Die Ferien waren gerettet.

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