4,99 €
»Der größte Horrorautor des 20. Jahrhunderts ist H. P. Lovecraft, daran gibt es keinen Zweifel.« Stephen King
Ein junger Mann begibt sich auf eine Reise durch Neuengland. Arkham ist sein Ziel, doch Zufall und Neugierde verschlagen ihn nach Innsmouth, eine absonderliche, heruntergekommene Hafenstadt, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Innsmouth wird gemieden, nicht zuletzt wegen des seltsamen Kults, dem seine Bewohner anhängen. Der Erzähler verbringt nur einige Stunden bei ihnen – das Grauen aber begleitet ihn noch lange. Dieser Band vereint fünf klassische Lovecraft-Erzählungen aus dem Kreis des Cthulhu-Mythos: »Der Schatten über Innsmouth«, »Der Flüsterer im Dunkeln«, »Das Ding auf der Schwelle«, »Die Farbe aus dem All« und »Der Schatten aus der Zeit«.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 520
H. P. Lovecraft
und andere Horrorerzählungen
Herausgegeben und neu übersetztvon Florian F. Marzin
Anaconda
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt undenthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugteNutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzungdurch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitungoder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere inelektronischer Form, ist untersagt und kann straf- undzivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten,so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir unsdiese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Standzum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2023 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Shutterstock / Krisnaokky, Furiarossa
Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de
Satz und Layout: Intermedia – Lemke e. K., Heiligenhaus
ISBN 978-3-641-30509-3V001
www.anacondaverlag.de
Die Farbe aus dem All
Der Flüsterer im Dunkeln
Der Schatten aus der Zeit
Der Schatten über Innsmouth
Das Ding auf der Schwelle
Westlich von Arkham erheben sich die Hügel steil in die Höhe, und es gibt tiefe Täler mit ausgedehnten Wäldern, die noch nie eine Axt gesehen haben. In den engen, dunklen Schluchten neigen sich die Bäume in fantastischen Winkeln und schmale Wasserläufe plätschern dahin, ohne dass jemals ein Sonnenstrahl sie trifft. Auf den sanfteren Hängen stehen Gehöfte, alt und wackelig, mit gedrungenen, vom Moos überwachsenen Gebäuden, die im Windschatten der hohen Bergkämme seit Ewigkeiten über die Geheimnisse des alten Neuengland brüten. Doch jetzt stehen sie alle leer, die großen Kamine sind verfallen, und die mit Schindeln verkleideten Mauern krümmen sich gefährlich unter den niedrigen Walmdächern.
Die einstigen Bewohner haben sie verlassen, und Fremde wollen hier nicht leben. Franco-Kanadier haben es versucht, Italiener ebenfalls, und die Polen waren gekommen und wieder gegangen. Es liegt an nichts, was man sehen oder hören könnte oder mit dem man zurechtgekommen wäre, sondern hat mit der Einbildung zu tun. Der Ort tut der Einbildung nicht gut und bringt in der Nacht auch keine ruhigen Träume. Das muss es sein, was die Fremden aus der Gegend fernhält, denn der alte Ammi Pierce hat ihnen nie das erzählt, was er von den seltsamen Tagen noch weiß. Ammi, der schon seit Jahren ein bisschen verwirrt ist, ist der Einzige, der noch dort ausharrt oder der überhaupt noch von den seltsamen Tagen spricht, und er wagt es nur, weil sich sein Haus sehr nahe an den offenen Feldern und den viel befahrenen Straßen rund um Arkham befindet.
Es gab einmal eine Straße über die Hügel und durch die Täler, die genau dort hindurchführte, wo sich jetzt die Öde Heide befindet, doch die Leute benutzten sie nicht mehr, und es wurde eine neue gebaut, die sich in großem Abstand Richtung Süden schlängelt. Man kann immer noch Spuren der alten Straße zwischen dem Unkraut der zurückkehrenden Wildnis finden, und Teile davon werden immer noch vorhanden sein, selbst wenn die Hälfte der Senken für das neue Wasserreservoir geflutet sein werden. Dann werden die dunklen Wälder gefällt werden und die Öde Heide wird tief unter dem blauen Wasser schlummern, in dessen Oberfläche sich der Himmel spiegeln und die sich im Sonnenlicht kräuseln wird. Und die Geheimnisse der seltsamen Tage werden eins sein mit den Geheimnissen der Tiefe, mit der Sage vom alten Ozean und all den Mysterien der urzeitlichen Welt.
Als ich mich in den Hügeln und Tälern auf die Suche nach einem Platz für das neue Reservoir begab, warnte man mich, dieser Ort sei böse. Man hat mir das in Arkham gesagt, und weil dies eine sehr alte Stadt voller Legenden ist, dachte ich, dass das Böse etwas sein müsste, was die Großmütter seit Jahrhunderten ihren Kindern zuraunten. Die Bezeichnung »Öde Heide« erschien mir sehr seltsam und übertrieben, und ich fragte mich, wie sie wohl Eingang in die Folklore von Puritanern gefunden hatte. Dann erblickte ich mit eigenen Augen das sich nach Westen erstreckende, dunkle Gewirr von Schluchten und Abhängen und bezweifelte nichts mehr, außer die alten Mysterien, die darin lagen. Ich sah es im Morgenlicht, doch dort lauerten immer die Schatten. Die Bäume standen eng beieinander, und ihre Stämme waren zu dick für jeden gesunden, neuenglischen Wald. Die Stille in den schmalen Wegen zwischen ihnen war zu groß und der Boden zu weich von dem feuchten Moos und den Lagen von unendlichen Jahren des Verfalls.
Auf den Lichtungen, hauptsächlich entlang der alten Straße, lagen kleine Bauernhöfe, manchmal standen noch alle Gebäude, manchmal nur ein oder zwei und manchmal gab es nur noch einen einzelnen Schornstein oder ein sich schnell mit Schutt füllendes Kellergewölbe. Unkraut und Dornenbüsche hatten die Herrschaft übernommen, und verborgene, wilde Dinge raschelten im Unterholz. Über allem schwebte ein Hauch von Ruhelosigkeit und Bedrücktheit, ein Anflug von Unwirklichkeit und des Abseitigen, so als ob sich ein wichtiges Element der Perspektive oder des Spiels von Licht und Schatten verschoben hätte. Ich wunderte mich nicht, dass keiner der Fremden hier bleiben wollte, denn das war keine Gegend, in der man schlafen wollte. Sie erinnerte zu sehr an eine Landschaft, gemalt von Salvatore Rosa, oder einen abseitigen Holzschnitt aus einer Horrorgeschichte.
Doch das alles war nicht so schlimm wie die Öde Heide. Das erkannte ich in dem Moment, als ich in einem weitläufigen Tal darauf stieß, denn keine andere Bezeichnung würde dazu passen, wie auch nichts anderes zu dieser Bezeichnung passen würde. Als hätte ein Dichter diesen Namen geprägt, als er genau dieser Gegend ansichtig geworden war. Es musste, so überlegte ich bei dem Anblick, das Ergebnis eines Feuers sein, doch warum war niemals etwas Neues auf diesen fünf Morgen grauer Zerstörung gewachsen, die sich offen unter dem Himmel ausbreiteten wie ein großer, von Säure zerfressener Fleck zwischen Wäldern und Feldern? Sie lag im Wesentlichen nördlich der alten Straße, doch griff sie auch ein kleines Stück weit auf die andere Seite über. Ich verspürte ein seltsames Gefühl der Abneigung, mich zu nähern, und tat es schließlich nur, weil meine Arbeit mich dort hindurch- und vorbeiführte. Auf diesem ausgedehnten, freien Gelände gab es keinerlei Vegetation, nur einen feinen, grauen Staub oder Asche, die kein Luftzug je umherzublasen schien. Die Bäume in der Nähe waren gedrungen und wirkten krank, und viele abgestorbene Stämme standen oder lagen verrottet am Rand. Als ich schnell daran vorbeiging, sah ich die zusammengefallenen Ziegel und Steine eines alten Kamins und eines Kellers zu meiner Rechten und den schwarzen, klaffenden Schlund eines aufgegebenen Brunnens, dessen träge Dämpfe sich merkwürdig mit den Sonnenstrahlen vermischten. Im Vergleich dazu wirkten die dahinter liegenden, lang ansteigenden, dunklen Wälder fast einladend, und ich wunderte mich nicht mehr über das furchtsame Geflüster der Leute in Arkham. In der Nähe gab es keine Häuser oder Ruinen, und der Ort musste selbst in vergangenen Tagen einsam und abgelegen gewesen sein. Und in der Dämmerung, aus Angst davor, den seltsamen Ort noch einmal passieren zu müssen, machte ich auf meinem Weg die südliche Straße entlang, zurück in die Stadt, einen großen Bogen darum. Unbestimmt wünschte ich, dass Wolken aufziehen würden, da eine seltsame Verzagtheit angesichts der unendlichen Weiten über mir mich ergriffen hatte.
Am Abend befragte ich ein paar alte Leute über die Öde Heide und was mit der Bezeichnung »seltsame Tage«, die von vielen ausweichend gemurmelt wurde, gemeint sei. Wie auch immer, ich bekam keine wirkliche Antwort, außer dass all diese Mysterien weniger weit zurücklägen, als ich mir vorstellen könne. Es war keineswegs eine Angelegenheit von alten Legenden, sondern etwas, was sich erst in der Lebenszeit derer, die davon sprachen, ereignet hatte. Es war in den Achtzehnhundertachtzigern geschehen; eine Familie war verschwunden oder getötet worden. Die davon sprachen wurden nicht konkret, und weil sie mir alle rieten, den wirren Erzählungen von Ammi Pierce keine Beachtung zu schenken, suchte ich ihn am nächsten Morgen auf. Ich hatte gehört, er wohne allein in dem alten, wackligen Haus, wo die Bäume begannen, sehr mächtige Stämme zu haben. Es war ein Furcht einflößender, altertümlicher Bau, und er strömte den schwachen, üblen Geruch aus, der Häusern eigentümlich ist, die schon viel zu alt sind. Erst nach heftigem, mehrfachem Klopfen konnte ich den alten Mann aufwecken, und als er verhalten zur Tür schlurfte, wurde mir klar, dass er nicht erfreut war, mich zu sehen. Er war nicht so gebrechlich, wie ich erwartet hatte, doch seine Augen hingen auf merkwürdige Weise herunter, und seine unordentliche Kleidung und der weiße Bart ließen ihn müde und verbraucht erscheinen. Da ich nicht wusste, wie ich ihn am besten zum Erzählen bringen könnte, täuschte ich etwas Geschäftliches vor. Ich berichtete ihm von meinen Untersuchungen und stellte ein paar allgemeine Fragen über die Gegend. Er war weit aufgeweckter und gebildeter, als mir glauben gemacht worden war, und bevor es mir noch bewusst wurde, hatte er schon genauso viel von der Angelegenheit erfasst wie jeder andere Mann, mit dem ich in Arkham gesprochen hatte. Er verhielt sich nicht wie andere Bauern in den Bereichen, wo Reservoirs angelegt werden sollten. Von ihm kam kein Widerspruch dagegen, dass Kilometer von alten Wäldern und Ackerland ausgelöscht würden, wie es wahrscheinlich der Fall gewesen wäre, wenn sein Heim nicht weit außerhalb der Grenzen des zukünftigen Sees gelegen hätte. Er zeigte lediglich Erleichterung, Erleichterung über den Untergang der dunklen, alten Täler, durch die er sein Leben lang gestreift war. Es sei besser, dass sie jetzt im Wasser versinken würden – besser sie verschwänden – seit den seltsamen Tagen – im Wasser. Und mit diesem Hinweis wurde seine raue Stimme leiser, während er sich vorbeugte und seinen rechten Zeigefinger bedeutungsvoll und zitternd erhob.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Geschichte erfuhr und als die faselnde Stimme kratzend und flüsternd erzählte, erschauderte ich, trotz des warmen Sommertages, immer wieder. Oftmals musste ich sein Geschwafel unterbrechen, wissenschaftliche Zusammenhänge, die er nur in einer Art von mangelhaft erinnerter Gelehrtensprache nachplapperte, zurechtrücken und Zusammenhänge herstellen, wenn ihm der Sinn für Logik und Kontinuität verloren ging. Als er geendet hatte, wunderte ich mich nicht, dass sein Geist etwas verwirrt war und warum die Bewohner von Arkham nicht viel über die Öde Heide sprachen. Ich beeilte mich, noch vor Sonnenuntergang in mein Hotel zu kommen, damit ich nicht im Freien, mit den Sternen über mir, sein müsste. Am nächsten Tag kehrte ich nach Boston zurück und kündigte meine Stellung. Ich konnte nicht noch einmal in dieses Chaos von Wäldern und Hängen gehen oder erneut dieser grauen, öden Heide gegenübertreten, wo der tiefe, schwarze Brunnen neben den verfallenen Ziegeln und Steinen gähnte. Die Reservoire werden schon bald gebaut, und all diese uralten Geheimnisse werden sicher unter den Wassermassen begraben sein. Doch selbst dann werde ich wohl diese Gegend nicht bei Nacht besuchen – zumindest nicht, wenn die unheimlichen Sterne am Himmel stehen, und nichts wird mich dazu bringen, das neue städtische Wasser von Arkham zu trinken.
Es begann alles, wie der alte Ammi sagte, mit dem Meteoriten. Davor hätte es, seit den Zeiten der Hexenprozesse, keine unnatürlichen Legenden gegeben, und selbst damals wurden diese westlichen Wälder nicht halb so gefürchtet wie die kleine Insel im Miskatonic River, wo der Teufel neben einem seltsamen Steinaltar, der älter als die Indianer war, Hof hielt. Es waren keine verwunschenen Wälder und die fantastische Abenddämmerung in ihnen war bis zu den seltsamen Tagen nie schrecklich gewesen. Dann war mittags jene weiße Wolke gekommen, eine Reihe von Explosionen in der Luft und die Rauchsäule über dem Tal tief in den Wäldern. Und in der Nacht hatte ganz Arkham von dem großen Stein gehört, der vom Himmel fiel und neben dem Brunnen auf Nahum Gardners Hof einschlug. Das war das Gebäude, das sich dort befand, wo sich die Öde Heide entwickeln sollte – das hübsche, weiße Haus von Nahum Gardner inmitten fruchtbarer Felder und Obstgärten.
Nahum war in die Stadt gekommen, um den Leuten von dem Stein zu berichten, und hatte auf dem Weg dorthin bei Ammi Pierce vorbeigeschaut. Ammi war damals vierzig Jahre alt gewesen, doch all die seltsamen Dinge waren ihm heute noch deutlich präsent. Er und seine Frau hatten die drei Professoren von der Miskatonic-Universität begleitet, die am nächsten Morgen herbeigeeilt kamen, um den unheimlichen Besucher aus unbekannten Regionen des Weltraums in Augenschein zu nehmen. Sie wunderten sich, warum Nahum ihn am Tag zuvor als sehr groß bezeichnet hatte. Er sei geschrumpft, sagte Nahum, als er auf den großen, braunen Haufen auf der zusammengeschobenen Erde und das verkohlte Gras nahe dem alten Brunnenschacht in seinem Vorgarten deutete, doch die gelehrten Männer entgegneten, dass ein Stein nicht schrumpfen würde. Der Stein strahlte immer noch Hitze aus, und Nahum sagte, dass er in der Nacht schwach geleuchtet habe. Die Professoren bearbeiteten ihn mit einem Geologenhammer und meinten, dass er seltsam weich sei. Er war in Wahrheit so weich, dass er beinahe formbar war, und sie schabten eher ein Stück davon heraus, als dass sie es abschlugen, um es für Untersuchungen mit zum College zu nehmen. Sie legten es in einen alten Eimer, den sie sich aus Nahums Küche ausborgten, denn selbst das kleine Stück kühlte nicht ab. Auf dem Rückweg legten sie bei Ammis Haus eine Rast ein, und als Mrs Pierce sagte, dass das Stück kleiner und sich durch den Eimerboden brennen würde, machten sie besorgte Gesichter. Ohne Zweifel war es nicht groß, aber vielleicht hatten sie einfach weniger genommen, als sie glaubten.
Am Tag danach – all das spielte sich im Juni 1882 ab – fielen die Professoren in heller Aufregung erneut ein. Als sie bei Ammi vorbeikamen, erzählten sie ihm, was für seltsame Dinge in Zusammenhang mit der Probe passiert seien und wie sie vollständig verschwunden sei, nachdem man sie in ein Becherglas gelegt habe. Auch das Becherglas sei verschwunden, und die gelehrten Männer berichteten über die merkwürdige Wirkung des Steins auf Siliziumverbindungen. Er hatte sich in dem gut organisierten Labor ziemlich ungewöhnlich verhalten, er veränderte sich nicht und es gab keine Anzeichen von eingeschlossenen Gasen, als man ihn über Holzkohle erhitzte. Er reagierte überhaupt nicht, als man ihn in ein Bad von borsaurem Natron legte, und zeigte sich schon bald völlig unempfindlich gegenüber jeder Temperatur, der man ihn aussetzte, einschließlich einem Schweißbrenner. Auf dem Amboss erwies er sich als überaus formbar und in der Dunkelheit war sein Leuchten deutlich erkennbar. Hartnäckig weigerte er sich abzukühlen, und schon bald befand sich das College wirklich in Aufregung, da bei der Erhitzung das Spektrometer glänzende Linien von im normalen Spektrum bisher unbekannten Farben gezeigt hatte. Es gab hastige Erörterungen von neuen Elementen, bizarren optischen Eigenschaften und anderen Dingen, die Wissenschaftler verwirren, und so sagten sie lediglich, was Wissenschaftler gewöhnlich sagen, wenn sie mit etwas Unbekannten konfrontiert werden.
So heiß wie er war, untersuchten sie ihn unter Einsatz sämtlicher infrage kommender Chemikalien in einem Schmelztiegel. Wasser bewirkte nichts, Salzsäure ebenso wenig. Salpetersäure und selbst Königswasser zischte und spritzte nur, wenn sie auf seine heiße, undurchdringliche Oberfläche trafen. Ammi hatte Schwierigkeiten, sich an all das in der richtigen Form zu erinnern, doch als ich ihm einige der üblichen Lösungsmittel nannte, erkannte er sie wieder. Man versuchte es mit Ammoniak und Ätznatron, Alkohol und Äther, dem ekelhaften Schwefelkohlenstoff und Dutzend anderen Stoffen, doch obwohl die Masse mit der Zeit immer mehr abnahm und das Bruchstück langsam abzukühlen schien, zeigte doch kein Lösungsmittel irgendeine Wirkung auf die Substanz. Ohne Zweifel handelte es sich dabei um eine Art Metall. Zum einen war es magnetisch, und nachdem man es in die Säuren gelegt hatte, schienen schwache Spuren der Widmannstätten-Strukturen erkennbar, wie man sie in Meteor-Eisen gefunden hatte. Als die Abkühlung einen beträchtlichen Fortschritt gemacht hatte, führte man die Untersuchungen in Glasbehältern fort, und man ließ all die kleinen Stücke, die man von dem Stein genommen hatte, nach der Arbeit damit in einem Becherglas zurück. Am nächsten Morgen waren die Stücke und das Becherglas spurlos verschwunden, und nur ein verkohlter Fleck zeigte die Stelle auf dem Holzbrett, wo es sich einmal befunden hatte.
Das alles hatten die Professoren Ammi erzählt, während sie bei seinem Haus eine Pause einlegten, und wieder begleitete er sie, um sich den steinigen Boten von den Sternen anzusehen, allerdings war seine Frau beim zweiten Besuch nicht dabei. Diesmal war deutlich zu sehen, dass der Stein geschrumpft war, und selbst die nüchternen Professoren konnten nicht die Wahrheit dessen leugnen, was sie sahen. Überall um den verblassenden, braunen Haufen in der Nähe des Brunnens befand sich eine freie Fläche, außer dort, wo sich in der Erde die Furche befand, doch entgegen den zwei Metern Länge vom Tag zuvor, betrug diese jetzt kaum eineinhalb Meter. Die Furche strahlte immer noch Hitze ab, und die Gelehrten studierten sie neugierig, während sie ein weiteres, größeres Stück des Steins mit Hammer und Meißel entfernten. Sie drangen tief ein, und als sie die Probe entnahmen, sahen sie, dass der Kern des Dinges nicht wirklich gleichförmig war.
Was sie freigelegt hatten, schien die Oberfläche einer großen, farbigen Kugel zu sein, die in der Substanz eingebettet war. Die Farbe, die an einige der Streifen in dem seltsamen Spektrum der Meteoritensubstanz erinnerte, war fast unmöglich zu beschreiben, und es war auch nur eine Analogie, es überhaupt Farbe zu nennen. Die Oberfläche glänzte, und als man darauf klopfte, vermittelte sie den Eindruck sowohl von Sprödigkeit als auch Hohlheit. Einer der Professoren schlug leicht mit dem Hammer dagegen, und die Kugel zerbrach mit einem beunruhigenden, leisen Plopp. Nichts trat daraus hervor, und jede Spur von dem Ding verschwand mit dem Zerbrechen. Zurück blieb ein Hohlraum von ungefähr acht Zentimetern Durchmesser, und jeder war der Überzeugung, dass man weitere finden würde, wenn sich die umgebende Substanz aufgelöst hätte.
Doch diese Vermutung war falsch, denn nachdem eifrige Versuche, durch Bohrungen weitere Kugeln zu finden, vergeblich waren, blieben die Suchenden einzig mit ihrer neuen Probe zurück, die sich aber als genauso erstaunlich erwies wie die vorherige. Abgesehen von der Ähnlichkeit mit Kunststoff, der Hitze, dem Magnetismus, einer schwachen Leuchtkraft, dem langsamen Abkühlen in konzentrierten Säuren, dem unbekannten Spektrum, dem Verfall in der Luft und der zerstörerischen Wirkung auf Siliziumverbindungen gab es keine, wie auch immer gearteten Identifizierungsmerkmale, und nach Abschluss der Untersuchungen waren die Wissenschaftler des Colleges gezwungen zuzugeben, dass sie es nicht einordnen konnten. Es war nichts von dieser Erde, sondern ein Stück aus dem Weltraum, und somit gehörte es zu außerirdischen Bereichen und unterlag außerirdischen Gesetzen.
In dieser Nacht tobte ein Gewitter, und als die Professoren am nächsten Tag zu Nahum hinausfuhren, erwartete sie eine bittere Enttäuschung. Der Stein, da er ja magnetisch war, musste eine bestimmte elektrische Ladung gehabt haben, denn er hatte die Blitze mit einer einzigartigen Kraft angezogen, wie Nahum es ausdrückte. Sechs Mal während einer Stunde hatte der Bauer Blitze in die Furche in seinem Vorgarten einschlagen sehen, und als das Gewitter vorüber war, blieb nichts weiter zurück als eine zerfetzte Grube bei der Brunnenöffnung, halb verbrannt und tief aufgerissen. Grabungen brachten nichts ein, und die Wissenschaftler fanden sich damit ab, dass alles verschwunden war. Es war ein völliger Misserfolg, sodass nichts übrigblieb, als zurück in die Labore zu gehen, und erneut das sich verflüchtigende Bruchstück zu untersuchen, das man sorgfältig in einem Bleibehälter verwahrte. Das Bruchstück überdauerte noch eine Woche, doch am Ende hatte man nichts von Bedeutung erfahren. Als es verschwunden war, war nicht das kleinste Krümelchen zurückgeblieben, und nach einer gewissen Zeit waren sich die Professoren sicher, dass sie wirklich mit offenen Augen einen rätselhaften Teil der unergründlichen Tiefen des Weltraums erblickt hatten, eine einsame, geheimnisvolle Botschaft von anderen Universen und anderen Bereichen der Materie, Kräfte und des Daseins.
Die Zeitungen in Arkham machten unter tätiger Hilfe der College-Professoren aus diesem Ereignis natürlich eine große Sache und Reporter suchten Nahum Gardner und seine Familie auf. Mindestens eine Bostoner Zeitung schickte einen Schreiberling, und Nahum wurde schnell zu so etwas wie einer lokalen Berühmtheit. Er war ein hagerer, leutseliger Mensch um die fünfzig und lebte mit seiner Frau und drei Söhnen in einem hübschen Gehöft im Tal. Er und Ammi besuchten sich häufig gegenseitig, wie es auch ihre Frauen taten, und nach all den Jahren war Ammi noch voll des Lobes für ihn. Nahum schien einigermaßen stolz auf die Aufmerksamkeit, die seiner Wohnstatt widerfahren war, und in den darauffolgenden Wochen sprach er häufig von dem Meteoriten. Im Juli und August war es heiß, und Nahum hatte mit der Heuernte auf den zehn Morgen Land jenseits von Chapman’s Brook alle Hände voll zu tun, und sein klappriger Karren riss tiefe Furchen in die schattigen Wege. Die Arbeit ermüdete ihn mehr als noch vor Jahren, und er fühlte, wie das Alter begann, seinen Tribut zu fordern.
Dann kam die Zeit der Obsternte. Birnen und Äpfel gelangten langsam zur Reife, und Nahum schwor, dass seine Obstgärten mehr trugen als jemals zuvor. Die Früchte wuchsen zu ungewöhnlicher Größe und mit ungewohntem Glanz heran und in solcher Fülle, dass man zusätzliche Fässer besorgen musste, um ihrer Herr zu werden. Doch mit der Ernte kam die totale Enttäuschung, denn trotz des prächtigen Aussehens und des vordergründigen Glanzes war nicht ein einziges Exemplar genießbar. Zwischen den feinen Geschmack der Birnen und Äpfel hatte sich eine Bitterkeit und Übelkeit erregende Note geschlichen, sodass selbst der kleinste Bissen eine anhaltende Abscheu auslöste. Dasselbe traf auf die Melonen und Tomaten zu, und Nahum stellte traurig fest, dass seine gesamte Ernte verloren war. Schnell stellte er eine Verbindung zwischen den Ereignissen her und erklärte, dass der Meteorit den Boden verseucht hätte, und dankte dem Himmel, dass die meisten anderen Feldfrüchte sich auf dem höher gelegenen Acker an der Straße befanden.
Der Winter kam früh und wurde sehr kalt. Ammi traf Nahum nicht mehr so oft wie üblich, stellte aber fest, dass sein Freund besorgt wirkte. Auch der Rest der Familie schien wortkarg geworden zu sein, und ihre Kirchenbesuche oder die Teilnahme an den verschiedenen, gemeinsamen Veranstaltungen der Landleute waren nur sehr spärlich. Für diese Zurückhaltung oder Traurigkeit fand man keine Erklärung, doch die gesamte Familie gestand ab und zu ein, nicht ganz gesund zu sein und ein leichtes Gefühl der Beunruhigung zu haben. Es war Nahum selbst, der die genaueste Aussage von allen machte, als er erklärte, dass er von bestimmten Fußabdrücken im Schnee verwirrt sei. Es gab natürlich die üblichen winterlichen Spuren von Eichhörnchen, Kaninchen und Füchsen, doch der grüblerische Bauer bestand darauf, etwas gesehen zu haben, dessen Form und Anordnung nicht zusammenpassten. Er ging niemals ins Detail, doch schien er zu glauben, dass diese Spuren nicht zu dem Körperbau und dem Verhalten von Eichhörnchen, Kaninchen und Füchsen passten. Ammi schenkte diesem Gerede wenig Aufmerksamkeit, bis zu jener Nacht, als er auf dem Rückweg von Clarks Corner mit seinem Schlitten an Nahums Haus vorbeikam. Der Mond stand am Himmel, und ein Kaninchen rannte über die Straße, und die Sprünge dieses Kaninchens waren weiter als es Ammi oder seinem Pferd gefiel. Letzteres war gerade noch durch ein heftiges Reißen an dem Zügel am Durchgehen zu hindern. Danach brachte Ammi Nahums Erzählungen mehr Interesse entgegen und fragte sich, warum die Hunde der Gardners jeden Morgen so eingeschüchtert waren und zitterten. Sie hatten, so stellte sich heraus, fast gänzlich den Willen zum Bellen verloren.
Im Februar waren die Jungs von McGregor aus Meadow Hill unterwegs, um Murmeltiere zu jagen, und nicht weit von Gardners Haus erwischten sie ein ganz besonderes Exemplar. Die Form des Körpers schien auf eine seltsame Art, die man nicht beschreiben kann, anders zu sein, während das Gesicht einen Ausdruck hatte, den man nie zuvor bei einem Murmeltier gesehen hatte. Die Jungs waren überaus erschrocken und warfen das Ding sofort weg, sodass nur ihr abseitiger Bericht jemals den Landleuten zur Kenntnis kam. Doch das Scheuen der Pferde in der Nähe von Nahums Haus war jetzt allgemein bekannt und wurde zum Auslöser geflüsterter Vermutungen, die schnell eine bestimmte Form annahmen.
Die Leute schworen, dass der Schnee um Nahums Haus schneller schmelzen würde, als sonst wo, und Anfang März kam es in Potters Kramladen in Clark’s Corner zu einer verhaltenen Auseinandersetzung. Stephen Rice war am Morgen bei den Gardners vorbeigefahren und hatte gesehen, wie der Stinkkohl schon aus dem Schlamm am Rand des Waldes auf der anderen Seite der Straße aufgeschossen war. Noch nie hatte er so große Exemplare davon gesehen und von einer so seltsamen Farbe, dass man sie nicht in Worte fassen konnte. Seine Form war monströs, und das Pferd hatte bei dem Geruch, der Stephen völlig unbekannt war, geschnauft. An diesem Nachmittag fuhren mehrere Leute an der Stelle vorbei, um die unnatürlichen Gewächse in Augenschein zu nehmen, und alle waren der Meinung, dass Pflanzen dieser Art nicht in eine intakte Welt gehörten. Man erwähnte ganz offen das Obst aus dem zurückliegenden Herbst, und es ging von Mund zu Mund, dass Nahums Land vergiftet sei. Natürlich lag es an dem Meteoriten, und als man sich erinnerte, wie merkwürdig die Männer vom College den Stein eingeschätzt hatten, sprachen einige der Bauern mit ihnen über diese Angelegenheit.
Eines Tages statteten die Professoren Nahum einen Besuch ab, aber da sie keinen Sinn für wilde Erzählungen und ländliche Folklore hatten, waren sie bei ihren Schlussfolgerungen sehr vorsichtig. Die Pflanzen waren sicherlich ungewöhnlich, doch alle Stinkkohlarten seien mehr oder weniger seltsam in Form, Geruch und Farbe. Vielleicht waren irgendwelche Mineralien aus dem Stein in den Boden gedrungen, doch die würden schon bald weggeschwemmt sein. Und was die Spuren und die verängstigten Pferde betraf – war das ganz sicher nur ländliches Gerede, das so ein Phänomen wie der Meteorit fast folgerichtig auslöste. Für ernsthafte Männer gab es in Fällen von wilden Gerüchten wirklich nichts zu tun, denn das abergläubische Landvolk würde ja alles glauben und weitererzählen. Und daraufhin blieben alle Professoren in den seltsamen Tagen aus Geringschätzung der Gegend fern. Nur einer von ihnen, als man ihm zwei Phiolen mit Staub in Zusammenhang mit einer polizeilichen Ermittlung eineinhalb Jahre später zur Analyse übergab, erinnerte sich daran, dass die seltsame Farbe des Stinkkohls sehr stark einem der abnormalen Lichtstreifen ähnelte, die man im Spektrometer des Colleges bei der Untersuchung eines Bruchstücks des Meteors gesehen hatte und ebenfalls bei jener spröden Kugel, die in dem Stein aus den Abgründen des Weltraums eingebettet gewesen war. Die Proben in der polizeilichen angeordneten Analyse zeigten anfangs die gleichen seltsamen Streifen, verloren diese Eigenschaften später dann aber.
Rund um Nahums Gehöft schlugen die Bäume zu früh aus, und nachts schwankten sie geheimnisvoll im Wind. Nahums zweiter Sohn Thaddeus, ein Junge von fünfzehn Jahren, beschwor, dass sie auch schwankten, wenn kein Wind wehe, doch selbst die Gerüchteküchen würdigten diese Aussage nicht. Wie auch immer, es lag eindeutig Unruhe in der Luft. Die gesamte Gardner Familie entwickelte die Gewohnheit, beständig verstohlen zu lauschen, allerdings nicht auf ein Geräusch, das sie bewusst hätten benennen können. Dieses Lauschen war eher in den Momenten angesiedelt, in denen das Bewusstsein schon halb hinweggedämmert war. Leider wurden diese Momente von Woche zu Woche beständig häufiger, sodass man inzwischen allgemein davon sprach; »mit allen Gardeners ist etwas nicht in Ordnung«. Als der frühe Steinbrech aufblühte, hatte auch er eine seltsame Farbe, nicht genau dieselbe wie der Stinkkohl, aber deutlich ähnlich und ebenso jedem unbekannt, der sie sah. Nahum brachte einige der Blüten nach Arkham und zeigte sie dem Herausgeber der Gazette, doch dieser ehrenwerte Mann tat nichts anderes, als einen humorvollen Artikel zu schreiben, in dem die dunklen Ängste der Landbevölkerung einem höflichen Spott ausgesetzt wurden. Es war ein Fehler von Nahum gewesen, dem sturen Städter davon zu erzählen, wie sich die zu groß geratenen Trauermantelschmetterlinge in Zusammenhang mit dem Steinbrech verhielten.
Im April breitete sich eine Form von Wahnsinn unter der Landbevölkerung aus, und man begann, die Straße an Nahums Gehöft vorbei zu meiden, was schließlich zu ihrer völligen Aufgabe führte. Es lag an der Vegetation. Alle Bäume des Obstgartens blühten unentwegt in seltsamen Farben, und durch den steinigen Boden des Hofs und des sich anschließenden Weidelandes sprossen bizarre Gewächse, die nur ein Botaniker in die übliche Flora der Region hätte einordnen können. Nirgendwo waren gesunde, gewohnte Farben zu sehen, außer beim Gras und dem Laubwerk der Bäume, doch ansonsten gab es nur diese erschütternden, spektralfarbigen Abwandlungen in einer kranken, unterschwelligen, urzeitlichen Schattierung, die keine Entsprechung in den bekannten, irdischen Farben hatte. Der blühende Doppelsporn wirke wie eine unheilvolle Drohung, und die Blutwurz breitete sich unverschämt in ihrer perversen Farbgebung aus. Ammi und die Gardners glaubten, die meisten der Farben wiesen eine quälende Vertrautheit auf und kamen zu dem Ergebnis, dass sie an die spröde Kugel in dem Meteor erinnerten. Nahum pflügte und säte die zehn Morgen Weideland und den höher gelegenen Acker, machte aber nichts mit dem Land um das Haus herum. Er wusste, dass es keinen Zweck hätte und hoffte, dass der seltsame Bewuchs im Sommer das ganze Gift aus dem Boden sog. Inzwischen war er auf fast alles vorbereitet und hatte sich an das Gefühl gewöhnt, dass etwas in seiner Nähe war und darauf wartete, gehört zu werden. Dass die Nachbarn sein Haus mieden, setzte ihm natürlich zu, seiner Frau allerdings noch mehr. Die Jungs waren besser dran, gingen sie doch jeden Tag in die Schule, dennoch versetzten sie die Gerüchte in Angst. Thaddeus, ein besonders empfindsamer Junge, litt am meisten.
Im Mai kamen die Insekten, und Nahums Gehöft entwickelte sich zu einem Albtraum aus Summen und Gekrabbel. Die meisten der Tiere schienen in ihrem Aussehen und ihren Bewegungen nicht ganz normal zu sein, und ihr nächtliches Verhalten stand im Gegensatz zu allen vorherigen Erfahrungen. Die Gardners begannen, nachts Ausschau zu halten – planlose Ausschau in alle Richtungen nach etwas …, von dem sie nicht wussten, was es war. Es war zu diesem Zeitpunkt, als sie einräumen mussten, dass Thaddeus mit den Bäumen Recht gehabt hatte. Mrs Gardner war die nächste, die es vom Fenster aus sah, als sie die angeschwollenen Äste eines Ahorns gegen den vom Mond erleuchteten Himmel beobachtete. Die Äste bewegten sich, obwohl kein Wind wehte. Es musste der Saft sein. Etwas Seltsames hatte von allem, was jetzt wuchs, Besitz ergriffen. Und doch war es kein Mitglied von Nahums Familie, das die nächste Entdeckung machte. Die Gewohnheit hatte sie abgestumpft, und das, was sie nicht mehr sahen, erblickte ein schüchterner Vertreter für Windmühlenmodelle aus Bolton, der in Unkenntnis der ländlichen Legenden dort vorbeifuhr. Was er in Arkham zu berichten hatte, erschien als kurze Meldung in der Gazette und dort erfuhren auch alle Bauern, einschließlich Nahum zum ersten Mal davon. Die Nacht war dunkel gewesen, und die Lampen des Buggy leuchteten nur noch schwach, doch im Umkreis dieses Gehöfts im Tal, von dem jeder wusste, dass es sich um Nahums handeln musste, sei die Dunkelheit weniger undurchdringlich gewesen. Von der gesamten Vegetation, ob Gras, Blätter oder Blüten, ging unterschiedslos ein bestimmtes Leuchten aus, während einen Augenblick lang ein losgelöstes, phosphoreszierendes Stück verdächtig in dem Hof neben der Scheune herumschwirrte.
Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte man, das Gras sei davon nicht betroffen, und die Kühe liefen frei auf der Weide neben dem Haus herum, doch gegen Ende Mai begann die Milch schlecht zu schmecken. Danach hatte Nahum die Kühe auf das oberhalb gelegene Land getrieben, und die Probleme waren damit verschwunden. Nicht lange danach konnte man die Veränderungen am Gras und dem Laub mit bloßem Auge erkennen. Das ganze Gemüse wurde grau und entwickelte eine absolut einzigartige Form von Sprödigkeit. Ammi war jetzt die einzige Person, die das Gehöft noch besuchte, und auch seine Besuche wurden immer seltener. Als die Schule für die Sommerferien schloss, waren die Gardners tatsächlich von der Welt abgeschnitten, und manchmal ließen sie Ammi ihre Besorgungen in der Stadt erledigen. Sie verfielen auf merkwürdige Weise sowohl körperlich als auch geistig, und niemand war überrascht, als die Nachricht vom Wahnsinn der Mrs Gardner die Runde machte.
Es trug sich im Juni zu, ungefähr um die Zeit, als der Meteor ein Jahr zuvor herabgestürzt war, und die arme Frau schrie Dinge in der Luft an, die sie nicht beschreiben konnte. Während ihres Tobens gab sie nicht ein einziges Substantiv von sich, nur Verben und Pronomen. Dinge bewegten und veränderten sich, flatterten herum und die Ohren klingelten ihr von Schwingungen, die keine richtigen Töne waren. Etwas riss sie hinweg – ihr wurde etwas ausgesaugt – etwas klammerte sich an ihr fest, was dort nicht sein sollte – jemand musste es wegnehmen – nichts war jemals still in der Nacht – die Mauern und Fenster bewegten sich. Nahum brachte sie nicht in die Irrenanstalt des Countys, sondern ließ sie im Haus herumstreichen, solange sie nicht sich selbst oder anderen etwas antat. Selbst als sich ihr Zustand verschlechterte, unternahm er nichts. Doch als die Jungs vor ihr Angst bekamen, und Thaddeus fast in Ohnmacht gefallen war, als sie ihm Grimassen schnitt, beschloss er, sie auf dem Dachboden einzuschließen. Im Juli sprach sie nicht mehr und kroch auf allen vieren herum, und bevor dieser Monat vergangen war, hatte Nahum den verrückten Eindruck, dass sie in der Dunkelheit schwach leuchtete, genauso wie er es deutlich an der umgebenden Vegetation sah.
Nicht lange vor diesen Geschehnissen waren die Pferde durchgegangen. Irgendetwas hatte sie erschreckt, und ihr Wiehern und Ausschlagen in den Boxen war schrecklich gewesen. Offensichtlich konnte man nichts tun, um sie zu beruhigen, und als Nahum den Stall öffnete, stürmten sie heraus wie verängstigte Rehe. Es dauerte eine Woche, bis man die vier Tiere wieder gefunden hatte, und es stellte sich heraus, dass sie jetzt unbrauchbar und unbeherrschbar waren. Irgendetwas war in ihren Köpfen passiert, und alle mussten zu ihrem eigenen Wohl erschossen werden. Nahum lieh sich für die Heuernte ein Pferd von Ammi, doch es stellte sich heraus, dass es nicht bereit war, sich der Scheune zu nähern. Es scheute, schlug aus und wieherte, und schließlich brachte man es vom Hof, während die Männer aus eigener Kraft den schweren Wagen zum Heuboden bringen mussten, um ihn bequem entladen zu können. Die Vegetation wurde weiterhin grau und spröde. Selbst die Blumen, deren Farbe so seltsam war, wurden jetzt grau, und die Früchte wurden grau, verschrumpelten und waren ohne Geschmack. Die Astern und Goldruten blühten grau und verkümmerten, auch die Rosen, Zinnien und Malven im Vorgarten waren zu blasphemisch aussehenden Dingern geworden, weshalb Nahums ältester Sohn, Zenas, sie wegschnitt. Zur gleichen Zeit starben die seltsam angeschwollenen Insekten, und selbst die Bienen hatten ihre Stöcke verlassen und waren im Wald verschwunden.
Als der September kam, verwandelte sich die gesamte Vegetation schnell zu einem grauen Staub, und Nahum befürchtete, dass auch die Bäume absterben würden, bevor das Gift aus dem Boden heraus war. Seine Frau hatte jetzt Anfälle, in denen sie schrecklich schrie, und er und seine Söhne befanden sich in einem andauernden Zustand nervlicher Anspannung. Sie mieden jetzt andere Menschen, und als die Schule begann, gingen die Jungs nicht hin. Allerdings war es Ammi, der bei einem seiner seltenen Besuche feststellte, dass das Wasser aus dem Brunnen nicht mehr in Ordnung war. Es hatte einen üblen Geschmack, nicht wirklich stinkend oder salzig, und Ammi riet seinem Freund, weiter oben einen neuen Brunnen zu graben und diesen zu benutzen, bis der Boden wieder in Ordnung wäre. Aber Nahum ignorierte den Hinweis, denn zu diesem Zeitpunkt war er schon unempfindlich gegenüber seltsamen und unangenehmen Dingen geworden. Er und seine Söhne nutzten weiter das verdorbene Wasser, tranken es lustlos und gleichgültig, so wie sie ihre kargen und schlecht zubereiteten Mahlzeiten einnahmen und ihre undankbaren und eintönigen häuslichen Pflichten die inhaltslosen Tage hindurch erfüllten. Über ihnen lag so etwas wie eine teilnahmslose Resignation, so als bewegten sie sich zum Teil in einer anderen Welt zwischen Reihen namenloser Wächter auf einen sicheren und vertrauten Untergang zu.
Im September wurde Thaddeus, nachdem er am Brunnen gewesen war, wahnsinnig. Er war mit einem Eimer losgegangen und kam mit leeren Händen zurück, schreiend und mit den Armen fuchtelnd, und manchmal schaute er sich verwirrt um oder flüsterte etwas wie »die sich bewegenden Farben dort unten«. Zwei in einer Familie war ziemlich übel, doch Nahum zeigte sehr viel Mut. Er ließ den Jungen eine Woche lang frei herumlaufen, bis er anfing zu stolpern und sich zu verletzen, dann schloss er ihn auf dem Dachboden in einem Raum ein, der dem seiner Mutter gegenüberlag. Die Art, wie sie sich durch die geschlossenen Türen anschrien, war sehr schrecklich, besonders für den kleinen Merwin, der mitbekam, wie sie in einer schrecklichen Sprache redeten, die nicht von dieser Erde war. Merwin begann beängstigend zu fantasieren und seine Ruhelosigkeit verschlimmerte sich, nachdem man seinen Bruder, der sein liebster Spielkamerad war, weggeschlossen hatte.
Nahezu gleichzeitig breitete sich das Sterben unter dem Vieh aus. Das Geflügel wurde grau und starb sehr schnell, sein Fleisch war trocken und beim Schneiden war es widerlich. Die Schweine wurden ungewöhnlich fett, und dann plötzlich fanden ekelerregende Veränderungen statt, die sich niemand erklären konnte. Natürlich war ihr Fleisch ungenießbar, und Nahum war mit seiner Weisheit am Ende. Keiner der Tierärzte auf dem Land würde sein Gehöft betreten, und der städtische Veterinär aus Arkham war deutlich überrascht. Die Schweine fingen an, grau und spröde zu werden, und noch bevor sie starben, fielen sie in Stücke, und ihre Augen und Schnauzen wiese einzigartige Veränderungen auf. Das war unerklärlich, denn man hatte sie nie mit den verdorbenen Pflanzen gefüttert. Dann geschah etwas mit den Kühen. Bestimmte Körperteile, manchmal auch der gesamte Körper, schienen auf unheimliche Art ausgedörrt oder zusammengedrückt, und scheußliche Dellen oder Zersetzungen waren an der Tagesordnung. Im letzten Stadium – und das Ende war immer der Tod – wurden sie grau und spröde, genau wie die Schweine. Eine Vergiftung kam nicht infrage, denn in allen Fällen befanden sich die Tiere in einer abgeschlossenen und unbehelligten Scheune. Keine Bisse von irgendwelchem herumkriechenden Viehzeug konnte den Virus eingeschleppt haben, denn welches Tier auf Erden konnte ein so festes Hindernis überwinden? Es konnte nur eine natürliche Krankheit sein – doch welche Krankheit solche Auswirkungen haben könnte, das lag jenseits aller Vermutungen. Als die Erntezeit kam, lebte auf dem Gehöft kein einziges Tier mehr, das Vieh und das Geflügel war tot, und die Hunde waren weggelaufen. Diese Hunde, drei an der Zahl, waren alle in einer Nacht verschwunden, und man hat nie mehr von ihnen gehört. Die fünf Katzen hatten sich schon vorher aus dem Staub gemacht, doch ihr Verschwinden war nicht weiter zur Kenntnis genommen worden, da es den Anschein hatte, dass es auch keine Mäuse mehr gab, und da nur Mrs Gardner an den anmutigen Katzen als Haustiere Gefallen gefunden hatte.
Am neunzehnten Oktober taumelte Nahum in Ammis Haus und brachte grässliche Neuigkeiten. In seinem Dachzimmer hatte den armen Thaddeus der Tod ereilt, und zwar auf eine Weise, die man nicht aussprechen kann. Nahum hatte in der umzäunten Familiengrabstätte hinter dem Gehöft ein Grab ausgehoben und dort hineingelegt, was er gefunden hatte. Es konnte nichts von außerhalb gewesen sein, denn das vergitterte, kleine Fenster und die verriegelte Tür waren unversehrt, die Umstände waren so wie in der Scheune. Ammi und seine Frau kümmerten sich, so gut es ging, um den verstörten Mann, waren allerdings in gleicher Weise erschüttert. Es schien, als beherrschte etwas überaus Schreckliches das Gardner-Gehöft und alles, was damit in Berührung kam, und die Anwesenheit eines Mitglieds aus dieser Familie in ihrem Haus war wie der Atem von etwas Unbekanntem und Unaussprechlichem. Ammi begleitete Nahum mit größtem Widerstreben nach Hause und tat sein Möglichstes, den hysterisch schluchzenden, kleinen Merwin zu beruhigen. Zenas brauchte nicht beruhigt zu werden. Er saß letztendlich nur da, starrte in die Ferne und machte das, was sein Vater ihm auftrug. Ammi dachte, dass sein Schicksal sehr gnädig war. Ab und zu wurden Merwins Schreie leise von dem Dachboden herab beantwortet, und als Antwort auf einen fragenden Blick erklärte Nahum, dass seine Frau sehr schwach geworden sei. Als die Nacht hereinbrach, schaffte es Ammi wegzukommen, denn noch nicht einmal seine Freundschaft konnte ihn dazu bringen, an diesem Ort zu bleiben, wenn die Vegetation schwach zu leuchten begann und die Bäume zu schwanken anfingen – oder auch nicht – ohne dass Wind wehte. Es war gut für Ammi, dass er nicht über mehr Fantasie verfügte. Aber wie die Dinge standen, war sein Geist ein bisschen angeschlagen, doch wäre er in der Lage gewesen, all die Anzeichen um ihn herum zu überdenken und in Zusammenhang zu stellen, wäre er mit Sicherheit unweigerlich dem Wahnsinn verfallen. Im Dämmerlicht eilte er nach Hause, während die Schreie der verrückten Frau und des verwirrten Kindes immer noch schrecklich in seinen Ohren klangen.
Drei Tage später, früh am Morgen, taumelte Nahum in Ammis Küche, und in Abwesenheit seines Freundes stammelte er erneut eine schreckliche Geschichte, während Mrs Pierce ihm vor Schreck erstarrt zuhörte. Diesmal war es der kleine Merwin. Er war verschwunden. Er war spät in der Nacht mit einer Laterne hinausgegangen, um einen Eimer Wasser zu holen, und nicht zurückgekommen. Schon seit Tagen war Merwin völlig aus der Fassung gewesen und hatte kaum gewusst, was er tat. Er hatte alles angeschrien. An jenem Abend erscholl ein entsetzlicher Schrei vom Hof, doch bevor der Vater noch die Tür erreichte, war der Junge schon weg. Es gab keinen Lichtschein seiner Laterne und von dem Jungen selbst keine Spur. Zu diesem Zeitpunkt, glaubte Nahum, dass auch die Laterne und der Eimer verschwunden wären, aber als die Morgendämmerung einsetzte und der Mann von seiner die ganze Nacht andauernden Suche in den Wäldern und auf den Feldern zurückkam, fand er einige seltsame Dinge neben dem Brunnen. Dort lag ein zerquetschter und offensichtlich irgendwie geschmolzener Eisenklumpen, der ganz bestimmt einmal die Laterne gewesen war, während ein verbogener Henkel und verdrehte Eisenringe, halb verschmolzen, daneben die Überreste des Eimers zu sein schienen. Das war alles. Nahum war schon darüber hinaus, sich Gedanken zu machen. Mrs Pierce war sprachlos, und Ammi, als er nach Hause kam und die Geschichte hörte, wusste auch nicht, was zu tun sei. Merwin war verschwunden, und es hätte keinen Zweck, die hier lebenden Leute zu informieren, denn die wollten mit den Gardners nichts zu tun haben. Es hätte auch keinen Zweck, die Bewohner in Arkham zu informieren, denn die nahmen das Ganze sowieso nicht ernst. Thad war dahin und nun hatte es auch Mernie erwischt. Irgendetwas kroch immerzu herum und wartete darauf, dass man es sah, fühlte und hörte. Schon bald würde es Nahum erwischen, und er bat Ammi, sich um seine Frau und Zenas zu kümmern, wenn diese ihn überleben würden. Es musste eine Art göttliche Strafe sein, doch er wusste nicht für was, er war immer ein aufrechter Mann im Sinne des Herrn gewesen, zumindest soweit er sich erinnerte.
Mehr als zwei Wochen lang sah Ammi nichts von Nahum, doch dann, in Sorge, was möglicherweise passiert sein könnte, überwand er seine Furcht und stattete den Gardners einen Besuch ab. Aus dem großen Kamin stieg kein Rauch auf, und einen Moment lang rechnete der Besucher mit dem Schlimmsten. Das Aussehen des gesamten Gehöfts war erschreckend – grau gefärbtes Gras und Laub auf der Erde, Weinreben hingen spröde von den alten Mauern und Giebeln herab, und große, kahle Bäume ragten mit offensichtlicher Bösartigkeit in den grauen Novemberhimmel, die, wie es Ammi erschien, durch unterschwellige Veränderung der Neigung der Äste ihre Ursache hatte. Trotz allem lebte Nahum noch. Er war schwach und lag in der niedrigen Küche auf dem Sofa, war aber völlig bei Bewusstsein und konnte Zenas einfache Anweisungen geben. In dem Raum war es eiskalt, und als Ammi deutlich zitterte, rief sein Gastgeber Zenas mit rauer Stimme zu, mehr Holz zu bringen. Holz wurde wirklich gebraucht, da die große Feuerstelle ungenutzt und ohne ein Feuer war und der kalte Wind, der durch den Kamin fuhr, Wolken von Ruß aufwirbelte. Augenblicklich fragte ihn Nahum, ob das Holz es für ihn komfortabler gemacht hätte, und da bemerkte Ammi, was geschehen war. Das stärkste Seil war schließlich gerissen, und der mitgenommene Geist des Bauern hatte sich gegen weitere Sorgen geschützt.
Vorsichtig Fragen stellend, konnte Ammi aber nicht herausfinden, was mit dem abwesenden Zenas geschehen war. »Im Brunnen – er lebt im Brunnen –«, war alles, was der umnachtete Vater hervorbrachte. Dann ging dem Besucher plötzlich der Gedanke an die wahnsinnige Frau durch den Kopf, und er änderte die Richtung seiner Nachforschungen. »Nabby? Warum, sie ist doch hier!«, war die Antwort des überraschten Nahum, und Ammi wurde schnell klar, dass er selbst nachsehen musste. Er ließ den harmlosen Brabbler auf dem Sofa zurück, nahm die Schlüssel von dem Nagel neben der Tür und stieg die knarrenden Stufen zum Dachboden hinauf. Es war sehr eng und eklig dort oben, und kein Geräusch war zu vernehmen. Von den vier Türen, die man sehen konnte, war nur eine verschlossen, und an dieser probierte er verschiedene Schlüssel aus, die er mitgenommen hatte. Der dritte erwies sich als der passende, und nach einiger Fummelei stieß Ammi die niedrige weiße Tür auf.
In dem Raum war es ziemlich dunkel, da das Fenster klein und mit groben, hölzernen Gitterstäben bestückt war, und Ammi konnte nichts auf dem weißen Holzfußboden sehen. Der Gestank war unerträglich, und bevor er weitergehen konnte, musste er erst zurück in einen anderen Raum und seine Lungen mit atembarer Luft füllen. Als er zurückkam, bemerkte er in einer Ecke etwas Dunkles, und als er genauer hinsah, schrie er auf. Während er noch schrie, glaubte er einen Augenblick lang, eine Wolke hätte das Fenster verdeckt, und eine Sekunde später fühlte er sich von einem hasserfüllten Luftzug berührt. Seltsame Farben tanzten vor seinen Augen, und wenn er nicht durch einen momentanen Schrecken gelähmt gewesen wäre, hätte er vielleicht an die Kugel in dem Meteor gedacht, die der Geologenhammer zerstört hatte, und an die abscheulichen Pflanzen, die im Frühling gewachsen waren. Aber so wie es war, dachte er nur an die blasphemische Monstrosität, der er gegenüberstand und die ganz eindeutig das gleiche Schicksal ereilt hatte wie den jungen Thaddeus und das Vieh. Doch das Entsetzlichste an diesem Schrecken war, dass es sich langsam und deutlich bewegte, während es weiter zerfiel.
Ammi gab keine weiteren Einzelheiten über diesen Vorfall preis, doch jenes Ding in der Ecke tauchte in seiner Erzählung nicht mehr als ein lebendes Objekt auf. Es gibt Dinge, die man nicht erwähnen sollte, und was man aus menschlicher Anteilnahme tat, wird vom Gesetz manchmal als grausam angesehen. Ich vermute, dass auf dem Dachboden nichts Lebendes zurückgelassen wurde, und wenn etwas, das noch lebte, dennoch dort verblieben wäre, dann hätte man es damit zu ewigen Höllenqualen verdammt. Jeder, außer einem sturen Bauern, wäre ohnmächtig oder wahnsinnig geworden, doch Ammi ging bei vollem Bewusstsein durch die niedrige Tür und schloss das verfluchte Geheimnis hinter sich ein. Jetzt musste er sich um Nahum kümmern, man musste ihn ernähren, ihn pflegen und ihn an einen Ort bringen, wo man für ihn sorgen konnte.
Bei seinem Abstieg die dunklen Stufen hinab hörte Ammi unten einen dumpfen Schlag. Er glaubte auch, einen plötzlichen Schrei gehört zu haben, und dadurch aufgeschreckt, erinnerte er sich an den feuchtkalten Luftzug, der ihn in dem fürchterlichen Raum dort oben berührt hatte. Welche Erscheinung hatte diesen Schrei heraufbeschworen? Eine unbestimmte Furcht ließ ihn innehalten, während weitere Geräusche von unten heraufdrangen. Ohne Zweifel wurde dort etwas Schweres herumgeschleppt, und ein überaus abscheuliches, eindringliches Geräusch – wie ein Saugen von einem teuflischen, üblen Wesen – war zu hören. In seiner fieberhaft übersteigerten Vorstellungskraft musste er unerklärlicherweise an das denken, was er auf dem Dachboden gesehen hatte. Herr im Himmel! In welche unheimliche Traumwelt war er nur hineingeraten? Er wagte sich weder einen Schritt vor noch einen zurück, sondern verharrte zitternd auf dem engen Treppenabsatz. Jede Kleinigkeit der Szenerie brannte sich in sein Gehirn ein. Die Geräusche, die fürchterliche Vorahnung, die Dunkelheit, die enge, steile Treppe – und, gütiger Himmel! …, das schwache, doch eindeutige Glühen sämtlichen Holzes in Sichtweite, einschließlich der Stufen, der Paneele, hervorstehender Latten und Balken!
Dann erklang von draußen das verzweifelte Wiehern von Ammis Pferd, gefolgt von einem Klappern, das auf eine kopflose Flucht hindeutete. Einen Moment später waren Pferd und Wagen schon außer Hörweite und ließen den verschrecken Mann auf der dunklen Treppe zurück, der sich fragte, was das Tier wohl in die Flucht getrieben hatte. Doch das war nicht alles, dort draußen waren noch andere Geräusche gewesen. Etwas wie ein Platschen – Wasser –, das musste vom Brunnen stammen. Er hatte sein Pferd, ohne es anzubinden, in der Nähe zurückgelassen, und ein Wagenrad musste die Kante des Brunnens gestreift und einen Stein hineingestoßen haben. Und immer noch glühte das schwache Phosphoreszieren in dem abscheulichen, alten Holz. Mein Gott, wie alt dieses Haus war! Ein Großteil davon schon vor 1670 erbaut, und das Walmdach nicht später als 1730.
Jetzt war ein kraftloses Kratzen auf dem Fußboden unten deutlich zu vernehmen, und Ammis Griff um den schweren Stock, den er auf dem Dachboden zu irgendeinem Zweck an sich genommen hatte, wurde fester. Langsam bekam er seine Nerven wieder unter Kontrolle, beendete seinen Abstieg und ging kühn in Richtung Küche. Doch er kam nicht ganz dorthin, denn was er suchte, war nicht mehr da. Es war ihm entgegengekommen, und es lebte immer noch – irgendwie. Ob es nun gekrochen oder von einer fremden Kraft gezogen worden war, konnte Ammi nicht sagen, doch es war dem Tod ausgeliefert. Alles war in der letzten halben Stunde geschehen, doch der Zusammenbruch, die graue Verfärbung und der Zerfall waren schon weit fortgeschritten. Es war schrecklich spröde, und ausgetrocknete Teile fielen von ihm ab. Ammi brachte es nicht fertig, es zu berühren, blickte aber entsetzt in die verzerrte Parodie, die einmal ein Gesicht gewesen war. »Was ist geschehen, Nahum – was ist geschehen?«, flüsterte er, und die klaffenden, aufgeworfenen Lippen waren gerade noch in der Lage, eine letzte Antwort zu geben.
»Nichts … nichts … die Farbe … sie brennt … kalt und nass, aber sie brennt … es lebt im Brunnen … ich hab es gesehen … eine Art Rauch … fast wie die Blumen letzten Frühling … der Brunnen leuchtet bei Nacht … Thad und Mernie und Zenas … alle leben … saugen das Leben aus allem … in dem Stein … es muss in dem Stein gekommen sein … hat die ganze Gegend vergiftet … ich weiß nicht, was es will … das runde Ding, das die Männer vom College aus dem Stein geholt haben … sie haben es zerbrochen … es hatte dieselbe Farbe … genau dieselbe wie die Blumen und die anderen Pflanzen … müssen noch mehr von ihnen gewesen sein … Samen … Samen … sie wuchsen … diese Woche habe ich sie zum ersten Mal gesehen … müssen durch Zenas stark geworden sein … er war ein großer Junge, voll von Leben … es ringt deinen Geist nieder, und dann kriegt es dich … brennt dich aus … im Wasser des Brunnens … du hattest Recht … böses Wasser … Zenas ist nie vom Brunnen zurückgekommen … konnte nicht wegkommen … zieht dich … du merkst, irgendwas kommt, kannst aber nichts dagegen tun … ich habs hin und wieder gesehen, seit es Zenas geholt hat … was ist mit Nabby, Ammi …? Mein Kopf ist nicht in Ordnung … weiß nicht mehr, wie lange es her ist, dass ich sie gefüttert habe … es wird sie kriegen, wenn wir nicht aufpassen … nur eine Farbe … ihr Gesicht nimmt manchmal nachts die Farbe an … und es brennt und saugt … es kommt von einem Ort, wo die Dinge nicht so sind wie hier … einer der Professoren hat das gesagt … er hatte Recht … nimm dich in Acht, Ammi, es will mehr … saugt das Leben aus …«
Das war alles. Was gesprochen hatte, konnte nicht mehr sprechen, denn es war völlig in sich zusammengefallen. Ammi bedeckte das, was übrig geblieben war, mit einem rotkarierten Tischtuch und torkelte aus der Hintertür in die Felder. Er stieg den Hang hinauf zu den zehn Morgen Weideland und stolperte auf der nördlichen Straße durch die Wälder nach Hause. Er brachte es nicht fertig, noch einmal an dem Brunnen vorbeizugehen, vor dem sein Pferd geflohen war. Er hatte durch das Fenster noch einen Blick darauf geworfen und festgestellt, dass in der Umrandung kein Stein fehlte. Also hatte der schlingernde Wagen nichts losgerissen, das Platschen war von etwas anderem gekommen – etwas, das, nachdem es mit dem armen Nahum fertig war, in den Brunnen gegangen war.
Als Ammi nach Hause kam, waren das Pferd und der Wagen schon da, und seine Frau befand sich in den Klauen der Angst. Nachdem er sie, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben, beruhigt hatte, begab er sich sofort nach Arkham, um die Behörden darüber zu informieren, dass die Familie Gardner nicht mehr existierte. Er nannte keine Einzelheiten, berichtete nur vom Tod von Nabby und Nahum, der von Thaddeus war ja schon bekannt, und erwähnte, dass der Grund der gleiche zu sein schien, der auch für den Tod des Viehs verantwortlich war. Auch gab er an, dass Merwin und Zenas verschwunden seien. Auf der Polizeistation wurde Ammi eindringlich befragt und schließlich dazu verpflichtet, drei Polizisten, zusammen mit dem Leichenbeschauer, einem Arzt und dem Veterinär, der die kranken Tiere behandelt hatte, zum Gehöft der Gardners zu bringen. Widerwillig stimmte er zu, denn der Nachmittag war schon fortgeschritten, und er fürchtete, dass die Nacht über den verfluchten Ort hereinbrechen würde, doch die vielen Leute, die bei ihm waren, beruhigten ihn etwas.
Die sechs Männer fuhren in einem offenen, mehrsitzigen Wagen, der Ammis Buggy folgte, und kamen gegen vier Uhr bei dem heimgesuchten Gehöft an. Obwohl die Beamten an grausame Dinge gewohnt waren, blieb niemand von dem, was man unter der rotkarierten Tischdecke und auf dem Dachboden fand, unberührt. Der gesamte Eindruck des Gehöfts mit dem schrecklichen, grauen Verfall war schon schlimm genug, doch diese beiden, verschrumpelten Objekte waren jenseits aller Grenzen. Niemand ertrug ihren Anblick lange, und selbst der Leichenbeschauer musste zugeben, dass es da nicht viel zu untersuchen gab. Natürlich musste man Proben analysieren, also ging er daran, sie zu nehmen, und an diesem Punkt kam es im Nachhinein zu den überraschenden Entwicklungen im Labor des Colleges, wohin die beiden Phiolen mit Staub schließlich gelangten. Im Spektrometer zeigten sie ein unbekanntes Spektrum, in dem die rätselhaften Streifen genau die gleichen waren, die der seltsame Meteor ein Jahr zuvor aufgewiesen hatte. Die Fähigkeit, dieses Spektrum abzugeben, verschwand innerhalb eines Monats, danach bestand der Staub hauptsächlich aus alkalischen Phosphaten und Karbonaten.
Wenn Ammi geahnt hätte, dass die Männer sofort an Ort und Stelle etwas unternehmen würden, dann hätte er nichts über den Brunnen gesagt. Der Sonnenuntergang stand kurz bevor, und er war bemüht, rechtzeitig wegzukommen, aber er konnte nicht vermeiden, nervös auf die Steineinfassung auf der großen, freien Fläche zu blicken, und als ein Polizist ihn nach dem Grund fragte, gestand Ammi ein, dass Nahum vor irgendetwas dort unten Angst gehabt hatte – und zwar so große, dass er nie auch nur daran gedacht hatte, Merwin und Zenas dort zu suchen. Danach gab es nichts mehr, was die Leute davon abhielt, den Brunnen sofort trocken zu legen und zu untersuchen. Ammi musste zitternd warten, während Eimer nach Eimer faulen Wassers nach oben gebracht und auf dem durchnässten Boden um den Brunnen herum ausgegossen wurde. Die Männer rümpften angewidert die Nasen über die Flüssigkeit, und als es dem Ende zuging, hielten sie sich wegen des Gestanks, den sie nach oben brachten, die Nasen zu. Es dauerte nicht so lange, wie sie befürchtet hatten, da der Wasserstand überaus niedrig war. Es besteht kein Grund, ausführlich zu erwähnen, was sie fanden. Merwin und Zenas waren beide dort, zumindest Teile von ihnen, denn die Überreste bestanden hauptsächlich aus Knochen. Außerdem gab es noch ein kleines Reh und einen großen Hund im gleichen Zustand sowie eine Anzahl Knochen von kleineren Tieren. Der Schlamm und Schleim am Boden schien ungewöhnlich brüchig und warf Blasen. Ein Mann, der an den Griffen in der Brunnenwand mit einem langen Stab nach unten stieg, stellte fest, dass er den hölzernen Stab so weit er konnte in den Schlamm auf dem Boden stecken konnte, ohne auf festen Widerstand zu treffen.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und man holte aus dem Haus Laternen. Als man dann feststellte, dass bei dem Brunnen nichts mehr zu holen war, gingen alle hinein, um sich in dem alten Wohnzimmer zu besprechen, während das wechselnde Licht eines geisterhaften Mondes draußen matt über die graue Verwüstung flimmerte. Die Männer standen bei der ganzen Angelegenheit offensichtlich vor einem Rätsel und konnten kein überzeugendes, glaubhaftes Element finden, das einen Zusammenhang herstellte zwischen dem seltsamen Pflanzenwuchs, der unbekannten Krankheit bei Vieh und Menschen und dem unerklärlichen Tod von Merwin und Zenas in dem verseuchten Brunnen. Sie hatten natürlich von den Gerüchten gehört, konnten aber nicht glauben, dass etwas, was den Naturgesetzen so widersprach, sich ereignet hatte. Ohne Zweifel hatte der Meteor den Boden vergiftet, doch die Erkrankung von Vieh und Menschen, die nie etwas gegessen hatten, was auf diesem Boden gewachsen war, war eine ganz andere Sache. War es das Brunnenwasser? Sehr wahrscheinlich. Es wäre wohl eine gute Idee, es zu analysieren. Doch welche Form von Wahnsinn hatte die beiden Jungen dazu gebracht, in den Brunnen zu springen? Ihre Taten waren so ähnlich, und die Überreste beider zeigten, dass sie an dem grauen, spröden Tod gelitten hatten. Warum war alles so grau und spröde?
Zuerst bemerkte der Leichenbeschauer, der neben einem Fenster saß, von dem man den Hof überblicken konnte, das Glühen um den Brunnen herum. Die Nacht war inzwischen vollständig hereingebrochen, und der abscheuliche Boden schien schwach zu leuchten – mehr als es im unbeständigen Mondlicht sein dürfte, doch dieses neue Leuchten war etwas anderes und existierte tatsächlich, und es schien, als käme es aus dem schwarzen Loch wie der gedämpfte Strahl eines Suchscheinwerfers und wurde von den kleinen Pfützen am Boden, wo man das Wasser hingeschüttet hatte, reflektiert. Es hatte eine abseitige Farbe, und als die Männer sich um das Fenster drängten, zuckte Ammi heftig zusammen. Denn die Farbe dieses seltsamen Strahls grässlicher Abscheulichkeit war ihm nicht unbekannt. Er hatte diese Farbe schon einmal gesehen und fürchtete sich, daran zu denken, was sie wohl bedeuten könnte. Er hatte sie an der scheußlichen, spröden Kugel in dem Meteoriten vor zwei Jahren gesehen, an den Pflanzen im Frühling und glaubte, sie auch für einen Moment an diesem Morgen vor dem kleinen, vergitterten Fenster des schrecklichen Dachbodens, wo sich unaussprechliche Dinge ereignet hatten, gesehen zu haben. Sie hatte dort für eine Sekunde aufgeleuchtet, und ein feuchtkalter, Hass erfüllter Luftzug war an ihm vorbeigestrichen – und der bemitleidenswerte Nahum war von etwas dieser Farbe geholt worden. Er hatte das kurz vor seinem Ende gesagt – gesagt, es sei wie die Kugel und die Pflanzen. Danach war das Pferd davongaloppiert, und Ammi hatte das Platschen im Brunnen gehört – und jetzt schickte der Brunnen einen bleichen, heimtückischen Strahl von derselben, dämonischen Farbe in die Nacht.
Es kommt der Aufgewecktheit von Ammis Denken zugute, dass er selbst in diesem Moment der extremen Anspannung über etwas nachdachte, das rein wissenschaftlich war. Er konnte sich aufgrund dessen, was er gelesen hatte, nur wundern, warum ein Dunst, den man bei Tageslicht an einem Morgen durch ein Fenster sah, und Ausdünstungen, die man als phosphoreszierenden Nebel vor einer schwarzen, öden Landschaft sah, den gleichen visuellen Eindruck hinterließen. Das war nicht in Ordnung – das war gegen die Natur –, und er dachte an die letzten schrecklichen Worte seines sterbenden Freundes: »es kommt von einem Ort, wo die Dinge nicht so sind wie hier … einer der Professoren hat das gesagt …«
Die drei Pferde, die an zwei ausgedörrten, kleinen Bäumen neben der Straßen angebunden waren, begannen nun panisch zu wiehern und zu scharren. Der Kutscher des Wagens wollte zur Tür stürmen, um sie zu beruhigen, doch Ammi legte ihm seine zitternde Hand auf die Schulter. »Geh nich da raus«, flüsterte er. »Da is mehr da draußen, als mer glauben. Nahum hat gesagt, da lebt etwas im Brunnen, das saugt dir das Leben aus. Sagte, es is aus einer runden Kugel gewachsen, so einer, wie wir in dem Meteor gesehen haben, der vor einem Jahr im Juni herunterkam. Es saugt und brennt, sagte er, und hat die gleiche Farbe wie jetzt das Licht dort, man kann es kaum sehen, und weiß nicht, was es ist. Nahum glaubte, es ernährt sich von allem, was lebt, und wird immer stärker. Sagte, er hätt es letzte Woche gesehen. Es muss was sein von weit draußen, von den Sternen, von wo, wie die Männer vom College letztes Jahr gesagt haben, der Meteor herkam. Aus was es ist und wie es funktioniert, ist nicht von Gottes Welt. Es kommt von irgendwo jenseits.«