H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 - S. T. Joshi - E-Book

H. P. Lovecraft − Leben und Werk 2 E-Book

S. T. Joshi

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Beschreibung

H. P. Lovecraft ist, ohne Wenn und Aber, der bedeutendste Autor unheimlicher Phantastik des 20. Jahrhunderts. Im angloamerikanischen Raum ist er längst als Klassiker anerkannt, und auf Deutsch liegt sein Werk in verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen vor. Sein Leben dagegen ist mehr als umstritten: Als "Einsiedler von Providence" wurde er bezeichnet, als Rassist und Menschenfeind. Dem steht entgegen, dass er sich sein Leben lang als Amateurjournalist innerhalb eines großen Bekanntenkreis bewegte. Außerdem hat er Zehntausende von Briefen geschrieben, an Schriftstellerkollegen wie Robert E. Howard und Clark Ashton Smith und an "Fans" wie den Psycho-Autor Robert Bloch und den späteren Lovecraft-Verleger August Derleth. Grundlage jeder ernsthaften Beschäftigung mit Lovecraft ist das Standardwerk I am Providence: The Life and Times of H. P. Lovecraft von S. T. Joshi, erstmals 1996 erschienen und, als definitive Ausgabe überarbeitet und erweitert, in zwei Bänden 2010. Diese materialreiche Biographie schildert Lovecrafts Werdegang und Werk mit einer Akribie, die ihresgleichen sucht. Mit der deutschen Übersetzung von Joshis Biographie werden erstmals auch zahlreiche längere Passagen aus Essays und Briefen Lovecrafts auf Deutsch zugänglich. Wer sich mit seinem Leben und Werk auseinandersetzen möchte, kommt an diesen beiden Bänden nicht vorbei.

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Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 als gekürzte einbändigeAusgabe unter dem Titel »H. P. Lovecraft, A Life«. Die vollständige zweibändige Ausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Titel »I am Providence. The Life and Timesof H. P. Lovecraft« bei Hippocampus Press, New York.

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

1. eBook-Ausgabe 2021

Deutsche Erstausgabe

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

Golkonda Verlag in Europa Verlage GmbH, München© 2010 S. T. Joshi

© der Übersetzung 2019 Andreas Fliedner

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

Lektorat: Melanie Wylutzki

Redaktion: Hannes Riffel

Korrektur: Anne-Marie Wachs, Frank RoßnagelUmschlag & Gestaltung: benswerk [https://benswerk.com]

Satz: Hardy Kettlitz, Berlin

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-944720-54-8

Alle Rechte vorbehalten.www.golkonda-verlag.de

Inhalt

16. DIE ATTACKEN DES CHAOS (1925–1926)

17. DAS WIEDERGEWONNENE PARADIES (1926)

18. DAS KOSMISCHE AUSSERHALB (1927–1928)

19. LÜNETTENFENSTER UND GEORGIANISCHE KIRCHTÜRME (1928–1930)

20. NICHT-ÜBERNATÜRLICHE KOSMISCHE KUNST (1930–1931)

21. GEISTIGER HEISSHUNGER (1931–1933)

22. IN MEINER EIGENEN HANDSCHRIFT (1933–1935)

23. DAS EINZIG WICHTIGE IST DIE ZIVILISATION (1929–1937)

24. NAH AM EXISTENZMINIMUM (1935–1936)

25. WENN DAS LEBEN SICH DEM ENDE ZUNEIGT (1936–1937)

26. DU BIST NOCH BEI UNS (1937–2010)

ANHANG

ABKÜRZUNGEN

ZITATE

LITERATURVERZEICHNIS

REGISTER

16. DIE ATTACKEN DES CHAOS (1925–1926)

Am 31. Dezember 1924 bezog ich ein großes, ansprechend & geschmackvoll geschnittenes Zimmer in der Clinton Street 169, Ecke State Street in der Heights oder Borough Hall genannten Gegend von Brooklyn, in einem Haus aus früher viktorianischer Zeit mit weißem, klassischem Balkenwerk & hohen Fenstern mit getäfelten Passungen. Dank zweier abgeteilter Alkoven kann man den Raum wie eine reine Bibliothek wirken lassen, & und das Ganze, mit seinem großzügigen Blick über die alten Ziegelhäuser der State und Clinton Street, ergibt eine erfreuliche Einsiedelei für einen altmodischen Mann wie mich.1

So beginnt eines der ungewöhnlichsten Schriftstücke aus Lovecrafts Feder, sein »Tagebuch« für das Jahr 1925. Fragt man sich, warum dieses Dokument, das für die Rekonstruktion jenes entscheidenden Lebensjahrs so zentral erscheint, erst vor wenigen Jahren veröffentlicht wurde,2 wo doch, mit Ausnahme seiner Briefe, praktisch jedes Wort, das Lovecraft geschrieben hat, unabhängig von Bedeutung oder literarischem Wert gedruckt worden ist, so liegt die Antwort vielleicht in seiner Alltäglichkeit. Für Lovecraft diente das Tagebuch vor allem als Gedächtnisstütze, sodass ihm die literarische Dimension von Tagebüchern wie jenen von Pepys oder Evelyn fehlt. Er führte es in einem Taschenkalender für das Jahr 1925, der jedem Tag nur vier Zeilen zuwies. Obwohl Lovecraft auf die Linierung wenig Rücksicht nahm – er verabscheute liniertes Papier –, sind die Einträge so kryptisch und verkürzt, dass es bis heute nicht gelungen ist, alle Worte und Begriffe zu entschlüsseln. Nehmen wir zum Beispiel den Eintrag vom 16. Januar:

SH verabschiedet – für SL Schreibtisch ausgesucht, Zimmer SL in Ordnung gebracht – Fahrten hin & her – SL & RK in 169 getroffen – McN & GK angekommen – Unterhaltung Cafeteria, verlegt zu SL – Überraschung – 2 Uhr früh Runde aufgelöst – GK McN & HPL U-Bahn – HP & GK zur 106 St., Gespräch – geschlafen

Nicht gerade eine fesselnde Lektüre. Das Tagebuch hatte jedoch eine rein zweckgebundene Funktion: In ihm notierte Lovecraft Anhaltspunkte für die Briefe an seine Tante Lillian. Diese Praxis hatte sich wahrscheinlich schon Jahre zuvor, während seines Aufenthalts in New York im Sommer 1922 etabliert. Schon damals ließ Lovecraft in einem langen Brief an seine Tante die Bemerkung fallen: »Dies ist gleichzeitig ein Brief und ein Tagebuch!«3 In späteren Jahren hat Lovecraft vermutlich auf all seinen Reisen solche Tagebücher geführt, diese sind jedoch verschollen.

Das Tagebuch für 1925 ermöglicht es, Lovecrafts Aktivitäten Tag für Tag nachzuvollziehen. Ein solches Unternehmen wäre jedoch einigermaßen fruchtlos. Zwar lassen sich mit seiner Hilfe viele Lücken der Korrespondenz zwischen Lovecraft und seinen Tanten ausfüllen, doch liegt seine eigentliche Bedeutung darin, dass es uns hilft, die Grundzüge seiner New Yorker Existenz zu rekonstruieren. Zum ersten Mal überhaupt lebte Lovecraft allein, ohne Mutter, Tante oder Ehefrau an seiner Seite. Natürlich waren da seine Freunde: 1925 war die große Zeit des Kalem Club, dessen Mitglieder in ihren bescheidenen Wohnungen gegenseitig nach Belieben ein- und ausgingen, sodass sie beinahe eine Art literarischer Kommune bildeten. Dennoch war Lovecraft in einem Maße auf sich gestellt wie nie zuvor in seinem Leben. Er musste sich selbst um Essen und Wäsche kümmern, sich allein neue Kleidung kaufen und mit den lästigen alltäglichen Verrichtungen und Problemen zurechtkommen, die für die meisten von uns eine Selbstverständlichkeit sind.

In einem Brief aus dem Sommer 1925 bemerkt Lovecraft, dass er die Wohnung in der Clinton Street 169 »mit Unterstützung meiner Tante« ausgewählt hatte.4 Die Wohnungssuche fand also offenbar während Lillians ausgedehntem Aufenthalt im Dezember 1924 statt. Dass Lovecraft in diesem Zeitraum gemeinsam mit seiner Tante auch einen Ausflug nach Elizabeth unternahm,5 deutet darauf hin, dass er diese ländliche Kleinstadt in New Jersey ebenfalls als Wohnort in Erwägung zog. Doch möglicherweise war es die Nähe zu Manhattan, die letztlich den Ausschlag für die Clinton Street gab. Lovecraft gefiel das Apartment im ersten Obergeschoss gut, da die beiden Alkoven – von denen der eine als »Ankleidezimmer« und der andere als »Badezimmer« diente – es ihm ermöglichten, den Hauptraum als reines Arbeits- und Wohnzimmer einzurichten. In einem Brief an Maurice W. Moe skizziert Lovecraft einen Plan der Einrichtung (siehe Seite 11).6

Es überrascht wenig, dass zwei Wände des Zimmers vollständig von Bücherregalen eingenommen werden, obwohl Lovecraft immer noch einen Gutteil seiner Bücher eingelagert hatte. Ein Nachteil war das Fehlen einer Kochgelegenheit. Lovecraft bemühte sich, die Wohnung sauber zu halten, wobei er jedoch gleichzeitig Wert darauf legte, keine unnötige Zeit mit Hausarbeit zu vergeuden. Seiner Tante Lillian berichtete er: »Ich wische nur alle drei Tage Staub, mache den Boden nur einmal in der Woche, & meine Mahlzeiten sind so schlicht, dass ich außer einem Teller oder Tasse & Untertasse & etwas Besteck kaum Geschirr abspülen muss.«7 Das Einzige, wovon Lovecraft, zumindest anfangs, enttäuscht war, war der verwahrloste Zustand der Gegend um die Clinton Street. Doch er war sich nur allzu bewusst, dass man mit schmalem Geldbeutel nehmen musste, was man bekam. Die Miete von 40 Dollar im Monat war ausgesprochen günstig, und da sich das vorhandene Schlafsofa zu einem Doppelbett ausklappen ließ, konnte Sonia während ihrer Besuche in New York relativ bequem dort übernachten. Wenn Sonia nicht da war, schlief Lovecraft häufig auf der Couch, ohne sie auszuklappen, oder döste schlicht ein paar Stunden in seinem Morris-Chair.

Eigentümlicherweise ist die Gegend um die Clinton Street und das gesamte Brooklyn-Heights-Viertel im Zuge der Gentrifizierung, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat, zu einer der beliebtesten – und teuersten – Wohngegenden Brooklyns geworden, während das ehemals schicke Flatbush, wo die Parkside Avenue 259 liegt, deutlich heruntergekommen ist. Schon damals zeichnete sich die Clinton Street jedoch dadurch aus, dass es von dort eine bessere U-Bahn-Verbindung nach Manhattan gab. Während die Parkside Avenue auf der anderen Seite des Prospect Park liegt, sind es von der Clinton Street 169 nur ein paar Blocks bis zur Borough Hall, dem Sitz der Stadtverwaltung von Brooklyn, wo zwei der drei städtischen U-Bahn-Linien halten. Auch in der nahe gelegenen Bergen Street befindet sich eine Metrostation. Die meisten dieser Linien verkehrten bereits in den 1920er-Jahren, sodass Lovecraft praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit mühelos von beinahe überall in Manhattan nach Hause fahren konnte – was im Hinblick auf seine häufigen nächtlichen Exkursionen mit der »Gang« durchaus bedeutsam war.

Versuchen wir zunächst zu umreißen, wie sich die beruflich bedingte Trennung von Sonia und Lovecraft konkret gestaltete. Während Sonia in dem Kaufhaus Mabley & Carew’s in Cincinnati arbeitete, konnte sie offenbar jeden Monat ein paar Tage in New York verbringen. Doch bereits Ende Februar 1925 hatte sie die Stellung dort entweder verloren oder von sich aus aufgegeben. Lovecraft schreibt an seine Tante Annie: »… trotz einer deutlichen Verbesserung ihrer Gesundheit seit ihrem letzten Besuch ist S. H. die feindselige und kleinliche Atmosphäre bei Mabley & Carew’s unerträglich geworden. Am Ende wurde sie von spitzfindigen Vorgesetzten und gehässigen Mitarbeitern geradezu aus ihrer Stellung vertrieben.«8 Später berichtet Lovecraft, dass Sonia sich zwei Mal für kurze Zeit in einer Privatklinik in Cincinnati aufhielt.9 Sonia kehrte zunächst nach Brooklyn zurück, wo sie die letzten Februartage und den größten Teil des März verbrachte. Dann entschloss sie sich, jene sechswöchige Auszeit zu nehmen, die ihr die Ärzte bereits im vorangegangenen Herbst empfohlen hatten. So hielt sie sich von Ende März bis Anfang Juni zumeist bei einer Ärztin in Saratoga Springs im Bundesstaat New York auf. Lovecraft notiert allerdings im April, dass Sonia dort »ein Kind in ihrer Obhut hat«,10 was darauf hindeutet, dass der Aufenthalt in irgendeiner Weise mit einer Arbeit als Kindermädchen verbunden war. Vielleicht war die Tätigkeit jedoch Teil der Bezahlung des Kuraufenthalts, da es sich offenbar um einen privaten Haushalt und nicht um ein Sanatorium handelte. Im Mai schreibt Lovecraft an Lillian: »Sie hält sich in Saratoga gut & obwohl ihr letztes kleines Hutunternehmen nicht von Erfolg gekrönt war, hält sie immer noch nach besseren Stellen Ausschau.«11

Im Juni und Juli verbrachte Sonia wieder mehr Zeit in Brooklyn. Mitte Juli nahm sie eine Stellung in einem Hutgeschäft oder Kaufhaus in Cleveland an. Am 24. reiste sie dorthin und bezog ein Zimmer in einer Pension in der East 81st Street 2030 für 45 Dollar im Monat.12 Ende August zog sie in die East 86th Street 1912.13 Mitte Oktober hatte Sonia jedoch auch diese Stellung bereits wieder verloren oder aufgegeben. Lovecraft berichtet: »Das Problem mit der neuen Stellung ist, dass sie nur auf Kommissionsbasis ist, sodass während geschäftlicher Flauten das Gehalt gegen null geht.«14 Mitte November, vielleicht auch schon etwas früher, hatte Sonia sich bereits wieder eine neue Stelle verschafft, diesmal bei Halle’s, damals (und bis zu seiner Schließung 1982) das führende Kaufhaus von Cleveland.15 Diese Stellung scheint Sonia bis Mitte oder Ende 1926 behalten zu haben.16

Sonia hatte geplant, über die Weihnachtsfeiertage nach New York zu kommen, doch offensichtlich konnte sie sich bei Halle’s nicht freinehmen. Während der dreieinhalb Monate, die Lovecraft 1926 in Brooklyn verbrachte, war Sonia für einen Zeitraum von etwa drei Wochen dort. Mit anderen Worten: Während der fünfzehneinhalb Monate, die Lovecraft in der Clinton Street 169 wohnte, verbrachte Sonia insgesamt kaum mehr als drei Monate in New York, wobei es sich, bis auf den sechswöchigen Aufenthalt im Juni und Juli 1925, um vereinzelte Kurzbesuche handelte.

Wenn Sonias berufliche Situation während dieser Zeit schwierig war, so war diejenige Lovecrafts buchstäblich hoffnungslos. Im Tagebuch von 1925 und in der 160.000 Wörter umfassenden Korrespondenz, die Lovecraft 1925–26 mit seiner Tante Lillian führte, erwähnt er nur dreimal sein vergebliches Studium der sonntäglichen Stellenanzeigen der NEW YORK TIMES. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Lovecraft, nachdem Sonia die Stadt verlassen hatte, die aktive Arbeitssuche praktisch einstellte. Ich glaube nicht, dass man ihm daraus einen Vorwurf machen kann. Viele Menschen können aus eigener Erfahrung von der entmutigenden Wirkung langanhaltender Arbeitslosigkeit berichten, und mag Lovecrafts Arbeitssuche im Vorjahr auch noch so unbeholfen und unprofessionell gewesen sein, so hatte er sie doch mit Ausdauer und Nachdruck betrieben.

Die Versuche, die Lovecraft 1925 unternahm, um Arbeit zu finden, gingen zum größten Teil auf Hinweise seiner Freunde zurück. Das vielversprechendste Projekt war die freie Mitarbeit bei einer Handelskorrespondenz, die von einem Mann namens Yesley herausgegeben wurde, zu dem Arthur Leeds Kontakt hatte. Ende Mai schrieb Lovecraft an Lillian:

Die Arbeit in diesem Yesley-Laden ist einfach. Es geht ausschließlich darum, Gefälligkeitsartikel zu verfassen, in denen außergewöhnliche Unternehmen oder hervorragende Persönlichkeiten der Handels- und Geschäftswelt in leuchtenden Farben porträtiert werden. Jeder Artikel muss etwa 1 ¼ bis 1 ½ zweizeilig beschriebene Schreibmaschinenseiten lang sein. Die Artikel werden ausschließlich aufgrund von vorgegebenen Informationen verfasst, die »Leads« genannt werden und die aus der Presse oder aus Werbematerial entnommen sind …

Wenn der Artikel fertig ist, wird er an das Büro gesandt & solange er nicht zu schlecht ist, um angenommen zu werden, geht ein geschulter Vertreter damit zu der Person oder Firma, um die es in dem Artikel geht. Nachdem er ihm die Möglichkeit gegeben hat, letzte Änderungen an dem Artikel vorzunehmen, bearbeitet er den potentiellen Kunden, damit dieser eine Anzahl der Zeitschriften, in denen der Artikel erscheint, bestellt – die der Kunde dann zu Werbezwecken verwenden kann. Wenn der Vertreter Erfolg hat – was überraschend oft der Fall ist, schließlich sind es echte Experten auf ihrem Gebiet – erhält der Verfasser des Artikels 10% der Summe, die der Kunde bezahlt – einen Betrag, der zwischen 1,50 Dollar und mehr als 30 Dollar liegen kann, je nachdem, wie viele Zeitschriften bestellt werden.17

Das klingt zunächst nicht unbedingt nach einer Arbeit, die zu Lovecraft passte. Letztlich bedurfte es jedoch vor allem einer gewissen Geläufigkeit beim Verfassen von Texten, über die Lovecraft zweifellos verfügte. So schwer es ist, sich Lovecraft beim Schreiben von Werbetexten vorzustellen, besitzen wir doch fünf solcher – allerdings wohl unveröffentlichter – Arbeiten, die sich in seinem Nachlass fanden.18 Ein Auszug mag genügen, um sich einen Eindruck zu verschaffen:

Die Palette der Holzmöbel von Curtis Woodworks reicht von klassischen Stücken, die Räumen eine Struktur geben, bis zu überaus geschickten individuellen Lösungen für bewegliche wie auch für Einbaumöbel. Das Angebot umfasst Bücherregale, Kommoden, Anrichten und Schränke. Jedes Modell wird mit größter Kunstfertigkeit, ausgereiftestem Wissen und vollendeter Handwerkskunst entworfen und hergestellt, wobei besonderer Wert darauf gelegt wird, dass es aufs Genaueste mit der Architektur des Hauses harmoniert, für das es angefertigt wird. Zieht man die Qualität der Stücke in Betracht, dann ist das Verhältnis von Preis und Leistung sehr gut. Ein Warenzeichen auf jedem Möbel bürgt dafür, dass es nicht von achtlosen Handwerkern vertauscht wird.

Nicht anders als Lovecrafts berühmtes Bewerbungsschreiben von 1924 sind diese Texte später oft mit Spott und Geringschätzung bedacht worden. Doch muss man sich vor Augen führen, dass die Sprache der Werbung vor siebzig Jahren eine völlig andere war als heute. Zudem versuchten die Firmen, über die Lovecraft schrieb, offenbar den pseudo-aristokratischen Geschmack der damaligen Mittelklasse anzusprechen, wozu Lovecrafts hochtrabender Ton durchaus passte.

Doch leider war der Zeitschrift kein Erfolg beschieden. Schon Ende Juli berichtet Lovecraft, dass Yesleys Projekt in Schwierigkeiten steckte, und kurz darauf muss es endgültig gescheitert sein. Lovecraft erwähnt zwar, dass er und Long – der sich, wie auch Loveman, ebenfalls an dieser Arbeit versucht hatte – für ihre Artikel ein Honorar erhalten sollten, es ist jedoch zweifelhaft, ob sie jemals bezahlt wurden.

Im Februar trat Morton seine Stelle beim Paterson Museum an, wo er für den Rest seines Lebens bleiben sollte. Mitte Juli spricht Lovecraft davon, dass Morton ihn zu seinem Assistenten machen könnte, und diese vage Aussicht wird bis zu Lovecrafts Abreise aus New York im April 1926 immer wieder sporadisch erwähnt. Das Problem war dabei weniger, dass Lovecraft das fachliche Wissen fehlte, um in einem Naturkundemuseum zu arbeiten – Morton selbst musste sich viele Kenntnisse noch in letzter Minute einpauken, um das Bewerbungsgespräch zu überstehen –, sondern dass die finanzielle Situation des Museums es nicht erlaubte, weitere Mitarbeiter einzustellen. Zudem war das Museum in einem Stall in der Nähe der öffentlichen Bibliothek untergebracht, und die Errichtung eines geplanten Neubaus verzögerte sich, sodass auch aus diesem Grund an eine Erweiterung des Personals zunächst nicht zu denken war. Diese Situation hielt während Lovecrafts gesamtem New Yorker Aufenthalt an. Doch nachdem er Ende August Morton in Paterson besucht hatte, scheint Lovecrafts Bedauern darüber deutlich geringer geworden zu sein.

Natürlich erhielt Lovecraft während dieser Zeit immer wieder kleinere Honorarzahlungen von WEIRD TALES. Im Laufe des Jahres 1925 erschienen dort fünf Erzählungen aus seiner Feder (dazu seine Überarbeitung von C. M. Eddys »Deaf, Dumb, and Blind« [April 1925], für die Lovecraft jedoch vermutlich kein Geld verlangt hatte). Für »The Festival« (Januar) erhielt er 35 Dollar, für »The Unnamable« (Juli) 25 Dollar, und das Honorar für »The Temple« (September) betrug 30 Dollar. Über die Höhe des Honorars für die anderen beiden 1925 veröffentlichten Erzählungen – »The Statement of Randolph Carter« (Februar) und »The Music of Erich Zann« (Mai) – gibt es keine Angaben, aber es wird wohl ebenfalls um die 30 Dollar gelegen haben. All diese Erzählungen hatte Lovecraft natürlich schon Jahre zuvor verfasst und vermutlich Ende 1924 oder Anfang 1925 eingereicht. Das Gesamthonorar, das Lovecraft 1925 von WEIRD TALES erhielt, betrug also etwa 170 Dollar – kaum genug, um für vier Monate die Miete seines Apartments zu bezahlen.

Woher aber stammte das übrige Geld, das er für seinen Lebensunterhalt – Miete, Lebensmittel, Wäscherei, kleinere Ausflüge, Kleidung, Haushaltsgeräte – benötigte? Fraglos kam Sonia für das meiste auf, und Lovecrafts Tanten unterstützten ihn, so gut sie konnten. In einem Brief an Samuel Loveman äußert sich Sonia jedoch rückblickend mit einiger Bitterkeit zu diesem Thema:

Als wir in der Parkside Avenue 259 wohnten, schickten ihm seine Tanten jede Woche fünf Dollar. Sie erwarteten von mir, dass ich für ihn aufkam. Als er in die Clinton Street umzog, schickten sie ihm 15 Dollar pro Woche. Die Miete betrug 40 Dollar im Monat. Essen, Geld für die Untergrundbahn, Wäscherei und Schreibzeug kosteten mehr als 5 Dollar die Woche. Für dieses »mehr« kam ich auf. Und wenn ich alle zwei Wochen in die Stadt fuhr, um die Einkäufe für meine Firma zu erledigen, bestritt ich seine gesamten Ausgaben und bezahlte auch für seine Freizeitunternehmungen. Und wenn ich wieder abfuhr, ließ ich ihm immer eine großzügige Summe da …19

Auch in Sonias Erinnerungen an Lovecraft findet sich eine Passage mit ähnlichem Tenor. Mit ihr wollte sie einerseits W. Paul Cooks Darstellung korrigieren, der behauptet hatte: »Er verdiente so gut wie nichts und hatte nur zwanzig Cent pro Tag für Essen zur Verfügung, die er jedoch meistens für Briefmarken ausgab«,20 und andererseits deutlich machen, dass Lovecrafts Tanten ihrer Meinung nach den Neffen nicht ausreichend unterstützten. Allerdings scheint auch Sonia ein wenig übertrieben zu haben. Lovecraft bat seine Tante Annie im Dezember 1924 um 75 Dollar für seinen Lebensunterhalt und die Kosten des Umzugs – eine Summe, die er wahrscheinlich auch erhielt.21 Bestimmte Formulierungen in seinen Briefen lassen darauf schließen, dass dies keineswegs seine erste und einzige derartige Bitte war. Eine Bemerkung über die »stets pünktlichen Schecks«22 in einem Brief an Annie von Ende Februar deutet darauf hin, dass diese, wenn sie auch möglicherweise Lovecraft nicht direkt unterstützte, doch zumindest seine – und vielleicht auch Lillians – finanzielle Angelegenheiten regelte. Während Sonias Aufenthalt in Saratoga Springs im Frühjahr gestand Lovecraft seiner Tante Lillian: »Sie kann im Moment natürlich ihren ursprünglich vereinbarten Anteil an der Miete nicht aufbringen.« Allerdings fügt er hinzu, dass Sonia dennoch, immer wenn es ihr möglich war, kleinere Beträge – zwischen zwei und fünf Dollar – schickte.23 Öfters bedankt sich Lovecraft bei Lillian für die Übersendung nicht näher spezifizierter Geldbeträge, und Annie bezahlte sein Abonnement des PROVIDENCE EVENING BULLETIN, seiner heimatlichen Tageszeitung, die er auch in New York bezog. Mit anderen Worten: Wir haben allen Grund anzunehmen, dass Lovecrafts Tanten ihr Möglichstes taten, um ihren Neffen finanziell zu unterstützen, wenn auch Sonia zweifellos den Löwenanteil seiner Ausgaben bestritt.

Doch wie hoch waren Lovecrafts Lebenshaltungskosten konkret? Die Miete belief sich auf 40 Dollar im Monat. Im Oktober 1925 änderte Lovecrafts Vermieterin die Zahlungsweise jedoch auf 10 Dollar wöchentlich, was faktisch einer Mieterhöhung von drei Dollar pro Monat gleichkam. Angenommen, dass diese Änderung zum 1. November in Kraft trat, dann belief sich die Jahresmiete für Lovecrafts Apartment 1925 auf 490 Dollar. Etwa um diese Zeit berichtet er, dass er fünf Dollar pro Woche für Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs ausgab,24 was etwa 260 Dollar im Jahr entspricht. Wenn wir mindestens 20 Dollar pro Monat für sonstige Ausgaben hinzurechnen (240 Dollar im Jahr), dann kommen wir für das gesamte Jahr auf eine Summe von 990 Dollar. Zu diesem Betrag kann Lovecraft aus eigenen Einkünften kaum mehr als 250 Dollar beigesteuert haben – 170 Dollar aus seinen WEIRD-TALES-Honoraren und 74 Dollar aus der jährlichen Pachtzahlung von Mariano de Magistris. Damit bleiben etwa 750 Dollar, die Sonia und seine Tanten aufgebracht haben müssen. Ich bezweifle, dass seine Tanten ihm tatsächlich volle 15 Dollar wöchentlich schicken konnten, denn dann hätte Lovecraft nicht so sparsam leben müssen, wie er es tat. Sonia, die nur selten in New York war, wird kaum detailliert über die Zahlungen, die aus Providence kamen, Bescheid gewusst haben. Wenn man sich vor Augen führt, dass Lovecrafts Tanten selbst keine Einkünfte hatten, sondern ausschließlich vom Erbe von Whipple Phillips lebten, dann erscheint Sonias Kritik an ihrer mangelnden Großzügigkeit ein wenig unfair.

Ohne Arbeit konnte Lovecraft natürlich umso mehr Zeit mit seinen Freunden verbringen, und das Jahr 1925 war die eigentliche Blütezeit des Kalem Club. Das Verhältnis zwischen Lovecraft und Kirk war weiterhin eng, und obwohl Kirk nominell eine eigene Buchhandlung führte, konnte er doch über seine Zeit frei verfügen und war für die Nachteule Lovecraft ein idealer Gefährte. Ein Tag wie der 16. Januar 1925 illustriert beispielhaft Lovecrafts Lebensweise: Nachdem er Sonia nachmittags zum Zug nach Cincinnati gebracht hatte, ging er zu Lovemans Apartment – zu dem er einen Schlüssel besaß – und dekorierte das Zimmer seines Freundes mit verschiedenen Geschenken, die Long als verspätete Geburtstagsüberraschung besorgt hatte. Daraufhin kehrte er zu sich nach Hause in die Clinton Street zurück, wo er die »Gang« zu einem ihrer regelmäßigen Treffen empfing. Irgendwann wechselten dann alle gemeinsam in Lovemans Apartment, wo die Geburtstagsgeschenke warteten. Später in der Nacht ging Lovecraft mit Kirk in dessen Wohnung in der 16. Straße, wo sie angezogen ein paar Stunden schliefen, um am nächsten Morgen Kirks Zimmer in ähnlicher Weise wie Lovemans zu dekorieren. Ein paar Tage später, am 20. Januar, entschloss sich Kirk, ebenfalls in die Clinton Street 169 zu ziehen, und mietete das Apartment direkt über Lovecrafts. An diesem Abend gingen die beiden in Kirks alte Wohnung, bereiteten dessen Sachen für den Umzug vor und legten sich gegen fünf Uhr früh schlafen. Am nächsten Morgen packten sie zu Ende, und am folgenden Tag zog Kirk in der Clinton Street ein. Eine Weile spielte auch Loveman mit dem Gedanken, dorthin zu ziehen, entschied sich jedoch letztlich dagegen.

Während des ganzen Jahres verging kaum ein Tag, an dem Lovecraft nicht einen oder mehrere seiner Freunde traf – entweder besuchten sie ihn, man traf sich in einem der zahlreichen Selbstbedienungscafés in Manhattan oder mittwochs bei den regelmäßigen Treffen des Clubs, die immer noch abwechselnd bei McNeil und Leeds stattfanden, da der Streit zwischen beiden weiter schwelte. So viel zu Lovecrafts Dasein als »exzentrischer Einsiedler«! Seine sozialen Verpflichtungen – und eine umfangreiche Korrespondenz in Sachen der UAPA – nahmen ihn so sehr in Anspruch, dass er in den ersten sieben Monaten des Jahres 1925 praktisch nichts schrieb, außer ein paar Gelegenheitsgedichte für die Treffen des Blue Pencil Club.

In einem Brief vom 6. Februar erklärt Kirk seiner Verlobten die Namensgebung des Kalem Club: »Da die Nachnamen der ständigen Mitglieder alle mit K, L oder M beginnen, haben wir vor, uns KALEM KLYBB zu nennen. Heute Abend wird etwa ein halbes Dutzend Freunde kommen. Die meisten sind Langweiler. Eigentlich alle, außer mir und HPL …«25 In einem etwa zehn Jahre später verfassten Artikel gibt Kleiner eine leicht abweichende Version der Namensfindung: »›Kalem‹ beruhte auf den Buchstaben K, L und M, den Anfangsbuchstaben der Nachnamen der Gründungsmitglieder – McNeil, Long und der Verfasser – und derjenigen, die in den ersten sechs Monaten dem Club beitraten.«26 Eine weitere Frage ist die nach der »offiziellen« Gründung des Klubs. Am 3. Februar fand im Restaurant Milan ein großes Treffen statt, an dem neben Kirk, Kleiner und Loveman auch Sonia, C. M. Eddy – der für ein paar Tage zu Besuch war – und Lillian – die, nach dem Besuch bei einer Freundin in Westchester Country vom 10.–28. Januar, offenbar noch einmal nach New York zurückgekommen war – teilnahmen. Gegen die Annahme, dass es sich hierbei um ein Treffen des Clubs im engeren Sinne gehandelt hat, spricht jedoch, dass zu dessen Zusammenkünften normalerweise nur männliche Mitglieder zugelassen waren.27 Merkwürdigerweise kommt die Bezeichnung Kalem Club in Lovecrafts Korrespondenz dieser Zeit nicht vor. Er spricht stets nur von der »Gang« oder den »Boys«.

Wenn Sonia zu einem ihrer unregelmäßigen Besuche in der Stadt war, achtete Lovecraft zunächst durchaus darauf, Zeit mit ihr zu verbringen: So notiert er, dass er am 4. Februar ein Treffen mit den »Boys« ausfallen ließ, weil Sonia sich nicht wohl fühlte.28 Doch mit der Zeit – und besonders während Sonias längerem Aufenthalt im Juni und Juli – ließ seine Gewissenhaftigkeit nach. Schon während ihres Besuchs im Februar und März blieb er abends oft so lange weg, dass Sonia schon schlief, wenn er nach Hause kam, und stand erst auf, wenn sie bereits ausgegangen war. Aus dieser Zeit gibt es nur wenige Briefe Lovecrafts an seine Tanten, sodass wir auf sein Tagebuch angewiesen sind, um seine Aktivitäten zu rekonstruieren. Aus diesem erfahren wir beispielsweise, dass am 1. März ein Treffen der »Gang« in Kirks Apartment stattfand, nach dem einige Mitglieder noch in die nahe gelegene Scotch Bakery gingen. Später kehrten Lovecraft und Kirk in dessen Zimmer zurück und unterhielten sich bis zum Morgengrauen. Am 10. März machten die beiden – ohne Sonia – einen Ausflug nach Elizabeth und kehrten über Perth Amboy und Tottenville, Staten Island, nach Brooklyn zurück. Am nächsten Abend fand ein »offizielles« Treffen des Kalem Club bei Frank Long statt, nach dem Lovecraft und Kirk noch bis halb sechs morgens bei Kirk zusammensaßen.

Sonias Abwesenheit gab Lovecraft zudem Gelegenheit, sein Gewicht wieder unter Kontrolle zu bringen. Maurice W. Moe gegenüber hatte er gescherzt, dass er nie wieder eine Waage besteigen würde, nachdem er die 88 Kilo überschritten hatte. Doch von Januar an begann er, ernsthaft Diät zu halten. Im Ergebnis reduzierte Lovecraft innerhalb weniger Monate sein Gewicht von fast 100 auf 66 Kilogramm. Seine Kragenweite ging von 41 auf 37 zurück. Alle seine Anzüge mussten geändert werden, und jede Woche kaufte er kleinere Kragen. Oder wie Lovecraft es ausdrückte:

Wie die Pfunde dahinschmolzen! Ich half durch Leibesübungen und Spaziergänge an der frischen Luft nach, und jedes Mal, wenn meine Freunde mich sahen, waren sie entweder erfreut oder entsetzt über den erstaunlichen Schrumpfungsprozess. Glücklicherweise bin ich nicht so lange dick gewesen, dass sich die Haut dauerhaft gedehnt hat. Stattdessen schrumpfte sie faltenlos im Einklang mit dem darunterliegenden Gewebe. Zurück blieb eine straffe Oberfläche, und die verloren geglaubten Umrisse von 1915 und früher stellten sich wieder ein. Es war ein dramatischer – atemloser – sensationeller Vorgang, wie die ein Jahrzehnt lang verlorene Gestalt unter dem ekelhaften Schlamm, der sie so lange umschlossen hatte, wieder zum Vorschein kam.

Wie aber reagierten Lovecrafts Freunde, seine Tanten und nicht zuletzt Sonia?

Wie Sie sich vorstellen können, erhob meine Frau ängstlichen Einspruch gegen das, was für sie wie ein alarmierender Verfall aussah. Ich erhielt lange, vorwurfsvolle Briefe von meinen Tanten und wurde jedes Mal, wenn ich den kleinen Belknap besuchte, von Mrs. Long aufs Strengste ermahnt. Aber ich wusste, was ich tat, und machte mit grimmiger Entschlossenheit weiter … Mittlerweile bekenne ich mich öffentlich dazu, selbst Herr über meine Essgewohnheiten zu sein, und lasse es nicht zu, dass meine Frau mich über das von mir festgelegte Maß hinaus mästet.29

Lovecrafts Briefe an seine Tanten liefern eine ganze Reihe von Details, die diesen Bericht ergänzen. Das Thema Ernährung kommt im späten Frühjahr und frühen Sommer 1925 verstärkt zur Sprache:

Ernährungsfragen und Spaziergänge stehen auf der Tagesordnung – was mich daran erinnert, dass ich heute Abend mein Zuhause-Ess-Programm begonnen habe. Für 30 Cent habe ich eine Menge Lebensmittel eingekauft, die für ca. 3 Mahlzeiten reichen sollten.

1 Laib Brot0,061 mittelgroße Dose Bohnen0,14¼ Pfund Käse0,10Gesamt0,3030

Lovecraft scheint diese Liste verfasst zu haben, um seinen Tanten zu beweisen, dass er in der Lage war, in knappen Zeiten hauszuhalten, und erwartete zweifellos, für seine Sparsamkeit gelobt zu werden. Doch sein nächster Brief lässt vermuten, dass die Antwort anders als erwartet ausfiel:

Was mein Ernährungsprogramm angeht – Unsinn! Ich esse genug! Nehmen wir ein mittelgroßes Brot, teilen es in vier gleiche Teile & fügen diesen jeweils ¼ Dose (ebenfalls mittelgroß) Heinz-Bohnen & ein großzügig bemessenes Stück Käse hinzu. Wenn das Resultat nicht eine reichliche, gesunde Tagesration für einen alten Gentleman ist, dann trete ich von meinem Posten im Ernährungsausschuss des Völkerbunds zurück! Die Kosten belaufen sich auf nur 8 Cent – aber lass Dich davon nicht in die Irre führen! Es ist gutes, gesundes Essen & mancher kräftige Chinese lebt von weitaus weniger. Natürlich wechsle ich beim »Fleischgang« von Zeit zu Zeit ab, indem ich etwas anderes als Bohnen kaufe – Spaghetti aus der Dose, Rindereintopf, Corned Beef usw. usw. usw. – & gelegentlich füge ich Kekse zum Dessert oder etwas in der Art hinzu. Obst kommt ebenfalls infrage.31

Diese Passage ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie wirft ein grelles Licht auf die verheerende Armut, in der Lovecraft damals lebte und die ihn, wenn auch nicht in derart extremer Form, für den Rest seines Lebens begleiten sollte. Es wird deutlich, dass er sich Restaurantbesuche, selbst in Automatenrestaurants, nicht mehr leisten konnte. Auffällig ist auch der schuljungenhafte Ton, den Lovecraft anschlägt, als wäre er ein Teenager, der versucht, sich seinen Eltern gegenüber zu rechtfertigen. Später im selben Brief greift Lovecraft das Thema noch einmal auf, offenbar nachdem er einen weiteren Brief von Lillian erhalten hatte:

Großer Gott! Wenn Du den erdrückenden Überfluss nutzloser Nahrungsmittel sehen könntest, mit denen mich S. H. während ihres Aufenthalts hier gemästet hat! Zwei Mal am Tag bis an die Grenzen meiner Aufnahmefähigkeit & darüber hinaus. Rindfleischsülze, Schinken, Brot, amerikanischer & Schweizer Käse, Kuchen, Limonade, Brötchen, gestürzten Pudding (selbst gemacht …) usw. usw. usw. – wie in Pegānas Namen soll ich jetzt noch meine neuen Kragen anziehen!

Doch selbst unter diesen verschärften Bedingungen fuhr Lovecraft fort, seinen kulinarischen Horizont zu erweitern, sowohl bei gemeinsamen Restaurantbesuchen mit Sonia als auch bei einsamen Erkundungen. Anfang Juli lud Sonia ihn in ein chinesisches Restaurant ein, wo sie jedoch nur das enttäuschende Chow Mein, ein dem amerikanischen Geschmack angepasstes Nudelgericht mit Fleisch und Gemüse, aßen.32 Ende August probierte Lovecraft zum ersten Mal Minestrone, die ihm so gut schmeckte, dass er in der Folgezeit oftmals ins Milan in Manhattan ging und dort eine große Terrine Minestrone für 15 Cent bestellte, die ihm als komplette Mahlzeit genügte.33 Um diese Zeit verkündete Lovecraft seiner Tante Lillian, dass seine Ernährungsgewohnheiten sich »weitgehend italienisiert« hätten, beeilte sich jedoch, zu versichern, dass dies vom Standpunkt der Gesundheit unbedenklich sei: »… ich bestelle stets Spaghetti & Minestrone, außer wenn sie nicht auf der Karte stehen. Diese Gerichte enthalten eine fast ideale Balance von aktiven nahrhaften Bestandteilen: das Getreide, aus dem die Spaghetti bestehen, die Fülle von Vitaminen, die in der Tomatensauce enthalten sind, die Gemüsemischung in der Minestrone & der reichliche geriebene Käse, der beiden Gerichten gemeinsam ist.«34

Ein Detail wirft jedoch ein bedrückendes Licht auf Lovecrafts Ernährungsgewohnheiten: Im Oktober sah er sich gezwungen, einen Ölheizer für den Winter zu kaufen, da sein Apartment von Seiten seiner Vermieterin, Mrs. Burns, nur unzureichend beheizt wurde – was nicht zuletzt an einem landesweiten Streik der Kohlearbeiter lag.35Der Ölheizer, den Lovecraft anschaffte, besaß einen Kochaufsatz, sodass er sich von nun an den Luxus erlauben konnte, »warme Mahlzeiten zuzubereiten. Keine kalten Bohnen & Spaghetti mehr …«36 Heißt das, dass Lovecraft sich in den ersten neun Monaten des Jahres hauptsächlich von kalten Konserven ernährt hatte? Auch wenn Lovecraft zu einem früheren Zeitpunkt einmal davon spricht, dass er sich Bohnen auf einem »Sterno« – einem aus einer Dose mit Brennpaste bestehenden Notkocher – zubereitet hat,37 scheint dies die triste Realität gewesen zu sein.

Auch Lovecrafts Apartment in der Clinton Street 169 war letztlich eine recht trostlose Bleibe. Es lag in einer heruntergekommenen Gegend mit zwielichtigen Bewohnern und wurde von einer Mäuseplage heimgesucht. Um letzterer Herr zu werden, kaufte Lovecraft, auf Anraten von Kirk, Einweg-Mausefallen für fünf Cent pro Stück – »da ich diese wegwerfen kann, ohne das corpus delicti aus ihnen entfernen zu müssen, was bei einem kostspieligeren Mechanismus notwendig wäre«.38 (Später entdeckte Lovecraft sogar noch billigere Fallen, die fünf Cent für zwei Stück kosteten.) Man hat sich aufgrund dieser Episode über Lovecrafts Zimperlichkeit lustig gemacht, aber ich bin überzeugt, dass kaum jemand gern mit den Kadavern toter Mäuse oder anderem Ungeziefer hantiert. In seinem Tagebuch bezeichnet Lovecraft die Mäuse als »Invasoren« oder abgekürzt »Inv.«. Im September musste die Deckenlampe in dem Alkoven, den er als Badezimmer benutzte, repariert werden, aber seine Vermieterin weigerte sich, einen Handwerker zu beauftragen. Lovecraft zeigte sich darüber äußerst irritiert und schrieb an seine Tante Lillian: »Es ist mir unmöglich, einigermaßen bequem ein Bad zu nehmen, das Geschirr zu spülen oder meine Schuhe zu polieren, wenn ich auf die paar schwachen Strahlen Tageslicht angewiesen bin, die von draußen hereinfallen.«39 Diese Situation zog sich bis zum Januar 1926 hin, als – während eines Besuchs von Sonia – ein Elektriker aus einem nahe gelegenen Haushaltswarengeschäft die Reparatur schließlich vornahm. Möglicherweise können wir in dieser Episode einen weiteren Hinweis auf Lovecrafts Unfähigkeit sehen, mit den praktischen Anforderungen des täglichen Lebens zurechtzukommen. Doch die Vermieterin, Mrs. Burns, hatte ihm offenbar gesagt, dass ein Elektriker der Edison Company allein für die Inspektion der Deckenbeleuchtung eine astronomische Summe berechnen würde, sodass Lovecraft aus diesem Grund abwartete, bis Sonia die Angelegenheit regeln konnte.

Der entscheidende Schlag traf Lovecraft jedoch am Sonntag, dem 24. Mai 1925. Während er auf der Couch schlief, nachdem er die ganze Nacht geschrieben hatte, wurde in den Alkoven, den er als Kleiderschrank und Ankleidezimmer nutzte, eingebrochen. Fast alle seine Anzüge und eine Reihe weiterer Gegenstände wurden entwendet. Die Diebe hatten das Nachbarapartment gemietet, von dem aus eine unverriegelte Tür zu Lovecrafts Alkoven führte, und waren durch diese in seine Wohnung eingedrungen, Sie entwendeten drei Anzüge (von 1914, 1921 und 1923), den Mantel, den Sonia 1924 für ihn gekauft hatte, einen Weidenkoffer aus Sonias Besitz – dessen Inhalt jedoch später im Apartment der Diebe gefunden wurde, das sie verlassen hatten, ohne ihre Miete zu begleichen – und ein teures Radio im Wert von 100 Dollar, das Loveman in Lovecrafts Alkoven gelagert hatte. Nach dem Diebstahl blieb Lovecraft nur noch ein leichter blauer Anzug aus dem Jahr 1918, der über einem Stuhl in seinem Wohnzimmer hing, das die Diebe nicht betreten hatten. Lovecraft entdeckte den Einbruch erst um ein Uhr dreißig nachts am 26. Mai, da er vorher keinen Anlass gehabt hatte, den Alkoven zu betreten. Er war am Boden zerstört:

Ich kann mich noch nicht mit dem Schock abfinden – mit der unerbittlichen Wahrheit, dass ich keinen Anzug mehr besitze, außer dem dünnen blauen Sommeranzug. Was ich machen soll, wenn die Sachen nicht wieder auftauchen, das weiß der Himmel!

… am liebsten würde ich fluchen wie ein Rohrspatz. Gerade als ich mich dazu entschlossen hatte, mir einen etwas respektableren Anstrich zu verleihen, indem ich meine Kleidung in Ordnung halte, trifft mich dieser verfluchte, höllische Donnerschlag und bringt mich um meine vier Anzüge und den einzigen wirklich ordentlichen Mantel, den ich besitze, also um das Minimum dessen, was nötig ist, um anständig auszusehen! Zum Hades mit allem!40

Natürlich tauchte das Diebesgut nicht wieder auf, obwohl Lovecraft Besuch von einem Polizeibeamten bekam, der versprach, sein Bestes zu tun. Doch letztlich gelang es Lovecraft, auf die ganze Situation mit erstaunlichem Humor zu reagieren. Nur zwei Tage später macht er sich in einem langen Brief an seine Tante Lillian über seine missliche Lage lustig:

Weh über die Gewänder meiner Kindheit in ihrem immerwährenden Glanz, die in der Blüte ihrer ersten paar Jahrzehnte dahingerafft wurden – nicht vom Sensenmann, sondern von räuberischen Händen! Sie kannten den schlanken jungen Knaben früherer Tage & wuchsen, um den beleibten Bürger der Lebensmitte zu kleiden & schrumpften wieder zusammen, um die weise gewordenen Glieder des Alters zu bergen! Und jetzt sind sie dahin – dahin & der graue, gramgebeugte Träger lebt weiter, um seine Blöße zu beklagen, und rafft um seine mageren Weichen so gut es geht die Strähnen seines langen weißen Bartes, die ihm von nun an als Kleidung dienen müssen!41

Dieser scherzhaften Klage hat Lovecraft eine äußerst witzige Zeichnung beigefügt, die ihn zeigt, wie er, nur mit einem Gürtel bekleidet, den er um seine knielangen Haare und den ebenso langen Bart geschlungen hat, vor einem Bekleidungsgeschäft steht, in dessen Schaufenster Anzüge zum Preis von 35 und 45 Dollar ausgestellt sind, in den Händen ein Plakat mit der Aufschrift »I want my clothes!«. Die Erwähnung der »Gewänder meiner Jugend« spielt auf Lovecrafts Gewohnheit an, seine Anzüge Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang zu tragen – er berichtet, dass sich unter den Kleidungsstücken, die die Diebe verschmäht hatten, ein Sommermantel von 1909, ein Wintermantel von 1915, ein leichter Mantel von 1917 und verschiedene Hüte, Handschuhe und Schuhe befanden, für die kein Kaufdatum angegeben ist.

Was folgte, war eine fünfmonatige Suche nach den billigsten und zugleich geschmackvollsten Anzügen, die Lovecraft sich zu tragen überwinden konnte. In dieser Zeit erwarb er nicht nur eine intime Kenntnis preiswerter Herrenausstatter, sondern lernte auch die Grundbegriffe der Feilschkunst. Lovecraft fühlte sich unwohl, wenn er nicht mindestens vier Anzüge besaß: zwei helle und zwei dunkle, davon jeweils einen für den Sommer und einen für den Winter. Nach entsprechenden Beratungen mit Long, Leeds und anderen zweifelte er zwar daran, dass es überhaupt möglich war, einen akzeptablen Anzug für weniger als 35 Dollar zu bekommen, aber er war entschlossen, es wenigstens zu versuchen. Anfang Juli, als Sonia in der Stadt war, gelang es ihm, in einer Filiale des Herrenausstatters Monroe Clothes einen grauen Anzug mit hinreichend konservativem Schnitt für 25 Dollar zu finden. »Insgesamt hat der Anzug«, so Lovecraft, »eine erfreuliche Ähnlichkeit mit meiner allerersten langen Kombination, die wir im April 1904 bei Browning & King erstanden haben.«42

Es handelte sich um einen Sommeranzug, den Lovecraft sogleich tragen konnte. Im Oktober, als das Wetter kälter wurde, entschloss er sich, einen Anzug aus schwererem Stoff für den Winter zu kaufen. Er war sich bewusst, dass es sich um ein schwierigeres Unterfangen handelte, da gute Winteranzüge im Herbst kaum zu reduzierten Preisen zu haben sind. Außerdem hatte Lovecraft zwei zwingende Anforderungen an einen Anzug: Der Stoff durfte nicht gemustert sein, und es musste sich um einen Anzug mit drei Knöpfen handeln. Zu seiner Bestürzung fand er auf seinen beschwerlichen Streifzügen heraus, dass »in Zeiten wohlgeheizter Wohnungen Anzüge nicht mehr aus denselben schweren Stoffen gemacht sind wie früher … sodass das unglückliche Opfer eines Hauswesens, in dem zwar die Familie Burns heißt, die Öfen jedoch zumeist kalt bleiben, buchstäblich in der Kälte steht!«43 Die Stoffe der Anzüge, die Lovecraft sich bei Monroe Clothes und in anderen Geschäften ansah, waren kaum schwerer als die seines Sommeranzugs. Und Anzüge ohne Muster mit drei Knöpfen waren schlicht nicht zu finden. Lovecraft hatte gelernt, Stoff und Schnitt eines Anzugs genau unter die Lupe zu nehmen: »Alles unter 35 Dollar war entweder dünn & lappig oder zu sportlich geschnitten oder unschön gemustert oder entsetzlich gewebt und verarbeitet … die Stoffe scheinen entweder mit einer stumpfen Axt bearbeitet worden zu sein oder von einem Blinden mit einer rostigen Schere!«44

Schließlich fand Lovecraft bei Borough Clothiers in der Fulton Street doch noch genau das, was er suchte – abgesehen davon, dass die Anzugjacke nur zwei Knöpfe hatte. Lovecraft verhandelte geschickt mit dem Verkäufer: Er gab vor, dass er sich nur einen Übergangs-Anzug kaufen wollte, bis er sich einen besseren anschaffen konnte, womit er andeutete, dass er vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt einen weiteren Anzug kaufen würde – wobei natürlich keine Rede davon war, dass es noch über ein Jahr dauern könnte, bis es so weit war. Der Verkäufer beriet sich mit seinem Vorgesetzten und zeigte Lovecraft einen teureren Anzug, setzte den Preis jedoch auf nur 25 Dollar herab. Lovecraft probierte den Anzug an und »war überaus entzückt«, zögerte jedoch wegen des fehlenden dritten Knopfes. Er bat den Verkäufer, den Anzug für ihn zurückzulegen, während er sich noch in weiteren Geschäften umsah. Der Verkäufer meinte, dass er kaum ein besseres Angebot finden werde, und nachdem Lovecraft sich noch in einigen weiteren Läden umgeschaut hatte, kehrte er zu Borough Clothiers zurück und kaufte den Anzug für 25 Dollar.

In dem langen Brief, in dem Lovecraft seiner Tante Lillian von der Episode berichtet, findet sich mehr als ein Hinweis darauf, dass die Anzugfrage für Lovecraft geradezu den Charakter einer Obsession angenommen hatte. Die ständige Betonung des Wunsches nach einem Anzug mit drei Knöpfen wirkt beinahe manisch, und als der Schneider, der später die erforderlichen Änderungen an dem Anzug vornahm, die Stoffreste – die Lovecraft seiner Tante schicken wollte, damit sie sich von der Güte des Materials überzeugen konnte – weggeworfen hatte, machte Lovecraft Anstalten, ihr die komplette Anzugjacke per Expresspost zu schicken. Lillian lehnte dieses Ansinnen offenbar ab, woraufhin Lovecraft mit der folgenden Klage antwortete:

… aber wie zum Teufel willst Du Dir dann eine Vorstellung davon machen, was ich ergattert habe? Es geht ja gerade darum, dass ich Dir die Webart des Stoffes zeigen will – die glatte, aber nicht steife Oberfläche, die vornehme Mischung eines ungemusterten Gewebes, in dem sich helle & dunkelgraue Fäden auf aristokratische Weise zu einem einheitlichen Ganzen verbinden, in dem die Unruhe des »Pfeffer-&-Salz-Effekts« nur von ferne angedeutet wird, insofern das Auge schwankt, ob der Stoff schwarz, dunkelblau oder von sehr dunklem Grau ist.45

Lovecraft gewöhnte sich an, den Anzug liebevoll »den Triumph« zu nennen. Doch schnell wurde ihm klar, dass er zusätzlich noch einen billigeren Winteranzug kaufen musste, um den guten nicht vorzeitig aufzutragen, sodass er sich Ende Oktober erneut auf eine langwierige Suche nach einem Straßenanzug für weniger als 15 Dollar machte. Lovecraft sah sich zunächst in den Geschäften an der 14. Straße zwischen der 6. und 7. Straße in Manhattan um – damals wie heute die erste Adresse für preiswerte Bekleidung im Stadtzentrum. Nachdem er »ein Dutzend mehr oder weniger unmögliche Anzugjacken« anprobiert hatte, fand er einen »schlaffen Fetzen, zerknittert, staubig, faltig und ungebügelt«, erkannte aber, »dass Schnitt, Stoff & Sitz gerade richtig waren«. Die Jacke wurde im Ausverkauf für 9,95 Dollar angeboten. Das Problem war jedoch, dass sich keine passende Hose fand, nur noch zwei, die zu kurz, und eine, die zu lang waren. Der Verkäufer versuchte, Lovecraft davon zu überzeugen, eine der kurzen Hosen zu nehmen, doch Lovecraft wollte die lange. Nach einigem Hin und Her überredete er den Verkäufer, ihm die Anzugjacke, die lange und eine der zu kurzen Hosen für 11,95 Dollar zu überlassen. Lovecraft hatte ziemlich geschickt verhandelt und ließ die Jacke und die Hosen am nächsten Tag von einem Schneider ändern. Auch von diesem Abenteuer berichtete Lovecraft seiner Tante Lillian in einem ausführlichen, ziemlich sarkastischen Brief, der in einer langen Tirade über das Thema Kleidung gipfelt:

Ich glaube, mittlerweile kann ich im Großen und Ganzen den Unterschied zwischen dem erkennen, was ein Gentleman anziehen sollte & was nicht. Was diesen Sinn geschärft hat, ist der beständige Anblick des verfluchten dreckigen Gesindels, das die Straßen von N.Y. verstopft & dessen Kleidung sich so grundlegend von der normalen Kleidung wirklicher Menschen auf der Angell Street & in der Butler Avenue oder der Elmgrove Avenue unterscheidet, dass besagten Gentleman ein entsetzliches Heimweh überfällt & er verzweifelt nach anderen Gentlemen Ausschau hält, deren Kleidung sauber & geschmackvoll ist & eher an den Blackstone Boulevard als an Borough Hall und Hell’s Kitchen erinnert … Zur Hölle damit, entweder kleide ich mich mit Geschmack, wie ich es in Providence gelernt habe, oder ich laufe in einem verdammten Bademantel herum! Der Schnitt eines Revers, der Stoff & der Sitz eines Anzugs sprechen Bände. Es amüsiert mich, wie einige dieser schicken jungen Lackaffen & Ausländer ein Vermögen für alle möglichen teuren Kleidungsstücke ausgeben, die sie für den Höhepunkt des guten Geschmacks halten, die aber in Wirklichkeit ihr unwiderrufliches gesellschaftliches & ästhetisches Verdammungsurteil sind. Sie könnten sich genauso gut Plakate umhängen, auf denen in großen Buchstaben steht: »Ich bin ein ungebildeter Bauerntölpel«, »Ich bin eine bastardisierte Kanalratte«, »Ich komme aus der Provinz und habe keinen Geschmack.«

Woraufhin er mit entwaffnender Naivität hinzufügt: »aber vielleicht ist diesen Geschöpfen gar nicht daran gelegen, in jeder Hinsicht dem ästhetischen Standard eines Gentlemans zu entsprechen.«46 Diese bemerkenswerte Passage, die einmal mehr von Lovecrafts Unfähigkeit zeugt, sich von den gesellschaftlichen Konventionen seiner Jugend zu lösen, endet mit einer anrührend persönlichen Note:

In meinen besten Zeiten hätte ich mich nie derart über Kleidungsfragen aufgeregt, aber das Exil & das Alter lassen Kleinigkeiten wichtig werden. Angesichts meiner Empfindlichkeit in Hinsicht auf nachlässige & plebejische Kleidung & nach dem nervenaufreibenden Einbruch, der drohte, mich genau in jenen Zustand zu versetzen, den ich bei anderen verabscheue, musst Du zugeben, dass es naheliegend ist, dass Kleidungsfragen für mich zu einem »heiklen Thema« geworden sind – so lange bis ich wieder die vier Anzüge besitze, die notwendig sind, um sommers wie winters stets angemessen gekleidet zu sein.

Doch nun besaß Lovecraft wieder seine vier Anzüge, und er musste sich nicht länger den Kopf über die Angelegenheit zerbrechen. Nicht alle seine Briefe aus dieser Zeit sind so manisch wie der vorstehende. Zumeist gelang es ihm, auch im Angesicht von Armut und Not seine gute Laune zu bewahren. Ende August bemerkt er über seine Schuhe, »die guten alten Regals stehen kurz vor einem atemberaubenden Zerfall«47 – um wenig später zu notieren, dass die neuen Regal-2021-Schuhe, die er Ende Oktober kaufte, beim folgenden Treffen des Kalem Club eine »echte Sensation« waren.48

Keine Arbeit zu haben, bedeutete für Lovecraft zumindest, dass er sich jederzeit mit seinen Freunden treffen konnte und genug Freiraum hatte, um bescheidene Ausflüge zu unternehmen. In seinem Tagebuch und seinen Briefen finden sich zahlreiche Berichte über Exkursionen in den Van Cortlandt Park, den Greene Park, nach Yonkers und zu anderen Zielen in der Umgebung von New York. Er unternahm seine üblichen Touren durch die alten Teile von Greenwich Village und überquerte unzählige Male die Brooklyn Bridge. In seinen Briefen zeichnet er seinen Tagesablauf oft sehr detailliert auf. So schreibt er Anfang April an seine Tante Lillian:

Wie verabredet ging ich zu den Longs, bekam ein exzellentes Mittagessen vorgesetzt, & er las mir eine ausgezeichnete neue Geschichte & ein neues Prosagedicht vor. Später begleitete ich ihn und seine Mama in das Kino in der 95. Straße, wo wir den deutschen Film The Last Laugh ansahen,49 über den im Moment so viel geredet wird … Nach der Vorstellung kehrte ich nach Hause zurück, las & legte mich hin. Am nächsten Tag machte ich nach dem Aufstehen mein Zimmer für das Treffen der »Boys« am Abend sauber. Mortonius traf als Erster ein, dann folgten zeitgleich Kleiner & Loveman & schließlich Leeds. Sonny konnte nicht kommen, und Kirk entschuldigte sich per Telegramm aus New Haven. Die Stimmung war angeregt, aber Morton musste früh aufbrechen, um noch den letzten Zug nach Paterson zu erwischen – Loveman ging mit ihm zusammen. Als Nächster verabschiedete sich Kleiner – woraufhin Leeds & ich nach oben gingen, um uns Kirks Bücher & Bilder anzusehen. Leeds ging um drei Uhr morgens & ich schloss mich ihm für Kaffee & Aprikosenkuchen bei Johnson’s an. Dann nach Hause, las – legte mich hin – & ein neuer Tag.50

Kirk beschreibt einen Abend mit Lovecraft später im April:

HPL kam zu Besuch und las, während ich über einer Patience grübelte. Jetzt schläft er auf dem Sofa, vor ihm aufgeschlagen The Ghost Girl – kein Kompliment für Saltus51 … HPL wachte auf – sagte »Avernus!« und kehrte ins Nirvana zurück … gegen Mitternacht gingen wir in Tiffany’s Restaurant, wo ich einen wunderbaren Krabbensalat und Kaffee verzehrte, während H ein Stück Käsekuchen und zwei Tassen Kaffee hatte. Wir saßen 1 ½ Stunden bei unserer Mahlzeit und den Morgenzeitungen …52

Anscheinend standen die Wohnungen der Mitglieder des Kalem Clubs den anderen Mitgliedern jederzeit offen. Für den 15. und 16. März gibt es einen merkwürdigen Eintrag in Lovecrafts Tagebuch, der auch durch Lovecrafts erhaltene Korrespondenz nicht erhellt wird. Nach einem Spaziergang entlang des Gowanus Expressway in der Nähe des East River gingen Lovecraft und Long zu Lovemans Apartment, und Lovecraft schreibt »trage FBL nach oben«. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Long betrunken war oder etwas Ähnliches. Vielleicht war er nach dem langen Spaziergang schlicht zu erschöpft, um die Treppen hinaufzusteigen.

Am Abend des 11. April bestiegen Lovecraft und Kirk an der Pennsylvania Station gegen Mitternacht den Nachtzug nach Washington D. C. und kamen frühmorgens in der Hauptstadt an. Sie nutzten ein spezielles Angebot der Eisenbahngesellschaft, bei dem Hin- und Rückfahrt nur 5 Dollar kosteten, hatten dadurch jedoch nur bis nachmittags Zeit, die Stadt zu besichtigen. Sie versuchten, das Beste daraus zu machen. Es gab in Washington zwei Amateurkollegen, die ihnen als Fremdenführer dienten: Anne Tillery Renshaw und Edward L. Sechrist. Renshaw hatte Lovecraft und Kirk zuvorkommenderweise angeboten, sie so weit wie möglich in ihrem Auto herumzufahren. Zunächst besichtigten Lovecraft, Kirk und Sechrist jedoch zu Fuß die Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum: die Library of Congress, die Lovecraft nicht besonders beeindruckte, das Kapitol, das er weniger imposant fand als das State Capitol von Rhode Island mit seiner Marmorkuppel, das Weiße Haus, das Washington Monument, das Lincoln Memorial und weitere historische Bauten. Anschließend fuhr Renshaw sie nach Georgetown, der heute zu Washington gehörenden Kolonialstadt, 1751 gegründet – Jahrzehnte bevor die zukünftige Hauptstadt geplant oder gebaut war. Lovecraft war angetan von der Vielfalt an Häusern aus der Gründungszeit der Stadt. Dann überquerte die Reisegesellschaft die Key Memorial Bridge nach Virginia und fuhr durch Arlington und Alexandria, wo sie neben anderen historischen Gebäuden die exquisite Christ Church (1772–73) besichtigten, in der George Washington den Gottesdienst zu besuchen pflegte. Anschließend fuhren sie weiter zu Washingtons Landsitz, Mount Vernon, der allerdings sonntags geschlossen war. Nach Arlington zurückgekehrt, besichtigten sie das gleichnamige Anwesen der Custis-Familie und erkundeten den Soldatenfriedhof, insbesondere das riesige, 1920 fertiggestellte Amphitheater, das Lovecraft als »einen der außerordentlichsten und spektakulärsten architektonischen Triumphe der westlichen Welt« bezeichnete.53 Es erstaunt nicht, dass sowohl die antike Anmutung – das Amphitheater wurde nach dem Vorbild des Dionysos-Theaters in Athen erbaut – als auch die gewaltige Größe des Bauwerks – es misst fast 3.200 Quadratmeter – Lovecraft begeisterten. Danach kehrten sie nach Washington zurück, wo sie sich unter anderem noch das Brick Capitol (1815) und das Gebäude des Supreme Court ansahen, bevor sie den 4-Uhr-35-Zug zurück nach New York nahmen, den sie gerade noch rechtzeitig erreichten.

Etwa Mitte Mai 1925 herum scheint diese endlose Folge geselliger Aktivitäten für Lovecraft schließlich ermüdend geworden zu sein. Während der ersten vier Monate des Jahres hatte seine kreative Arbeit praktisch brachgelegen. Das Einzige, was er in dieser Zeit literarisch zu Papier gebracht hatte, waren fünf Gedichte gewesen, von denen zwei – »My Favourite Character« (31. Januar) und »Primavera« (27. März) – anlässlich von Treffen des Blue Pencil Club entstanden waren, bei denen die Mitglieder die Aufgabe bekommen hatten, Texte zu einem vorgegebenen Thema zu verfassen. »My Favourite Character« ist ein witziges, harmloses Gedicht, das zunächst einen humoristischen Überblick über verschiedene Arten fiktionaler Charaktere gibt, von den kanonischen Klassikern der Schullektüre (»Esmond, D. Copperfield, or Hiawatha, / Or anything from some nice highschool author«) bis zu den gewagteren (»Jurgen, Clerk Nicholas, Boccaccio’s misses, / And sundry things of Joyce’s, from Ulysses«), ohne dabei die Lieblingsgestalten seiner Kindheit zu vergessen (»Boyhood’s own idols, whom the sages hear not – / Frank Merriwell, Nick Carter, and Fred Fearnot!«), um dann zu dem Schluss zu kommen:

Now as for me, I am no man of learningTo know just what I like and why I like it;Letters and hist’ry set my poor head turningTill not a choice can permanently strike it!My fav’rite? Fie on printed information—I’ll frankly hand myself the nomination!*

Wenn man bedenkt, dass Lovecraft heute tatsächlich selbst zu einer literarischen Figur geworden ist, dann klingen die beiden letzten Zeilen geradezu wie eine Vorahnung. »Primavera« hingegen ist ein nachdenkliches Naturgedicht, das in der nicht-menschlichen Welt sowohl Schönheit als auch Schrecken entdeckt:

There are whispers from groves auroral

To blood half-afraid to hear,

While the evening star’s faint choral

Is an ecstasy touch’d with fear.

And at night where the hill-wraiths rally

Glows the far Walpurgis flame,

Which the lonely swain in the valley

Beholds, tho’ he dare not name.*

Von den drei anderen Gedichten sind zwei künstlerisch nicht weiter erwähnenswert: Das eine ist Lovecrafts jährliches Geburtstagsgedicht für Jonathan E. Hoag, das er dieses Jahr gerade einen Tag vor Hoags Geburtstag am 10. Februar verfasste. Das zweite ist ein ebenfalls recht leichtgewichtiges Geburtstagsgedicht für Sonia: »To Xanthippe«. Sonia erklärt die Herkunft dieses Spitznamens: »Die Bezeichnung ›Sokrates und Xanthippe‹ brachte ich in unsere Korrespondenz ein, als diese mit der Zeit persönlicher wurde. Ich meinte in Howard sokratische Weisheit und Genie zu erkennen – oder schrieb ihm diese zumindest zu – und machte mir dementsprechend in scherzhafter Weise die Rolle der Xanthippe zu eigen.«54 Da die Überlieferung bekanntlich kein allzu positives Bild von der antiken Xanthippe zeichnet, bewies Sonia mit dieser Wahl entweder beträchtliche Selbstironie oder eine gewisse Naivität.

Das letzte Gedicht, »The Cats« vom 15. Februar, ist von einem ganz anderen Kaliber. Diese dämonische Beschwörung in sechs Strophen ist eines von Lovecrafts wirkungsvollsten unheimlich-phantastischen Gedichten – eine wilde, unkontrollierte Tour de Force, die das ganze schauerliche Geheimnis dieser Tierart effektvoll in Szene setzt:

Legions of cats from the alleys nocturnal,

Howling and lean in the glare of the moon,

Screaming the future with mouthings infernal,

Yelling the burden of Pluto’s red rune.**

Was bei allen fünf Gedichten positiv auffällt, ist, dass Lovecraft völlig auf den stereotypen heroischen Paarreim verzichtet.

Sie waren jedoch alles, was Lovecraft in den ersten Monaten des Jahres literarisch zu Papier gebracht hatte, und offensichtlich empfand er die Notwendigkeit, »der täglichen Besucherei und dem Herumsitzen im Café«, zu denen ihn seine zahlreichen Freunde immer wieder verführten, ein Ende zu machen. Er war sich nur allzu bewusst, dass ein solches Dasein »tödlich für jedes persönliche intellektuelle Leben und jede kreative Leistung« war.55 Lovecraft gewöhnte sich an, sich zum Lesen in sein »Ankleidezimmer« im Alkoven zurückzuziehen und das Licht im Wohn- und Arbeitszimmer auszuschalten, damit es aussah, als sei er nicht zu Hause. Oft genug war dieser Täuschungsversuch jedoch erfolglos: Lovecraft und Kirk hatten eine Methode entwickelt, sich durch Klopfen gegen die Heizungsrohre zu verständigen, und da Kirk inzwischen Lovecrafts Tagesabläufe kannte, musste dieser seinen Signalen antworten. Gleichzeitig entwickelte Lovecraft die Strategie, Besucher im Bademantel, mit ungemachtem Bett und umgeben von verstreuten Papieren und Manuskripten zu empfangen, um zu verhindern, dass sie sich bei ihm häuslich einrichteten. An den wöchentlichen Treffen der »Gang« nahm er jedoch weiterhin gewissenhaft teil, sowohl um seine Freunde nicht zu enttäuschen als auch weil er diese Zusammenkünfte wirklich genoss.

Am 20. Mai unterrichtete Lovecraft seine Tante Lillian brieflich von dem Entschluss, seiner »Bohèmeexistenz« ein Ende zu setzen. Der Einbruch am 25. Mai bestärkte ihn in gewissem Sinne darin, wenn auch nur, weil er jetzt nur noch einen annehmbaren Anzug besaß und diesen schonen musste. Doch wenn man seinem Tagebuch Glauben schenkt, dann wurde Lovecraft schon nach einem Monat rückfällig und nahm seine Streifzüge mit der »Gang« wieder auf.

Auch der Amateurjournalismus nahm Lovecrafts Zeit in Beschlag. Da die UAPA im Vorjahr weder einen Kongress noch Vorstandswahlen durchgeführt hatte, amtierte der bestehende Vorstand weiter, sodass Lovecraft noch immer den Posten des Official Editor bekleidete. Während Sonias ausgedehntem Aufenthalt im Juni und Juli stellte Lovecraft eine Ausgabe des UNITED AMATEUR für Juli 1925 zusammen – die einzige Nummer des offiziellen Organs, die in der Amtsperiode 1924–25 erschien. Lovecraft wusste wohl, dass dies sein Abschied von der UAPA war – und zugleich sein Abschied vom organisierten Amateurjournalismus, bis er Anfang der 1930er-Jahre wieder in die Angelegenheiten der NAPA hineingezogen wurde –, und er hatte vor, einen stilvollen Abgang hinzulegen. Vom 4. bis 6. Juni schrieb er den inhaltlich dünnen, aber schmeichelhaften Artikel »The Poetry of John Ravenor Bullen« über den anglo-kanadischen Dichter und Romancier, der allerdings erst im UNITED AMATEUR für September 1925 erschien.

Der UNITED AMATEUR für Juli 1925 wurde fast vollständig mit Beiträgen der »Gang« bestritten: Clark Ashton Smiths Gedicht »Apologia«, ein kurzer Artikel von Long über die Dichtung Samuel Lovemans, eine Besprechung von zwei Gedichtbänden von Smith aus der Feder von Alfred Galpin unter dem Titel »Pirates and Hamadryades«, zwei Gedichte von Long, von denen das eine, »A Man from Genoa«, Longs im folgenden Jahr erscheinendem Gedichtband seinen Titel geben sollte, Samuel Lovemans fein ziselierte Kurzerzählung »The One who Found Pity« und die üblichen, von Lovecraft verfassten »News Notes«, ein »Editorial«, ebenfalls von Lovecraft, und eine »President’s Message« aus der Feder von Sonia.

In gewisser Hinsicht ist die »President’s Message« der interessanteste Beitrag der gesamten Nummer, da Sonia in ihm offen über ihre persönliche Situation und ihre Schwierigkeiten im letzten Jahr spricht:

Pflichten von unerwartetem Ausmaß außerhalb des Amateurjournalismus und gesundheitliche Probleme, die ihren Höhepunkt in meinem Aufenthalt im Brooklyn Hospital im Herbst fanden, hinderten mich im Sommer 1924 vollständig daran, mich der amateurjournalistischen Arbeit zu widmen. Die Nachwirkungen dieser verhängnisvollen Zeit waren zu tiefgreifend, um im restlichen Jahr wieder wettgemacht zu werden, insbesondere da meine Energie und freie Zeit seither äußerst eingeschränkt waren.

Sowohl Sonia als auch Lovecraft beklagen die Apathie, die den gesamten Amateurjournalismus befallen hat. Beide erwähnen die häufigen Diskussionen darüber, UAPA und NAPA zu einer Organisation zu vereinigen, um die Amateurbewegung als Ganzes zu retten. Sie stimmen jedoch darin überein, dass dies nur ein letzter Ausweg sein kann und die UAPA, wenn irgend möglich, als eigenständige Organisation erhalten bleiben sollte. Zu diesem Zweck rief Sonia für den 15. Juli zur Briefwahl eines neuen Vorstands auf. Lovecraft berichtet seiner Tante Lillian, dass er am 3. Juli zweihundert Wahlzettel faltete, in Umschläge steckte und zur Post brachte.56

Im Ergebnis wurde Edgar J. Davis zum Präsidenten, Paul Livingston Keil zum Vizepräsidenten und Grace M. Bromley zur zweiten Vizepräsidentin gewählt. Davis ernannte Victor E. Bacon zum Official Editor und Frank Long zum Leiter des Department of Public Criticism. In einem Brief an Maurice W. Moe gibt Lovecraft seiner Hoffnung Ausdruck, dass es Davis und Bacon irgendwie gelingen könnte, das Ruder herumzureißen:

Glauben Sie nicht, dass die United mit zwei solchen Cherubim an ihrer Spitze eine gewisse Chance auf einen Wiederaufstieg hat? Mit Davis’ Verstand & Bacons ruhelosem Egoismus & Energie, die diesen Verstand zur Tätigkeit zwingen, haben wir doch wohl ein Team, dessen Möglichkeiten nicht zu verachten sind … Es scheint mir nicht ausgeschlossen, dass es Bacon gelingt, genügend »Überlebende« aufzuwecken & um sich zu scharen, um den Verfallserscheinungen des Zeitalters zu widerstehen … sodass wir es noch ein oder zwei Jahre aufschieben können, den Bestatter zu rufen.57

In den nächsten Monaten unternahm Lovecraft einiges, um die Arbeit des neuen Vorstands in Gang zu bringen. Der Erfolg war allerdings mäßig: 1925–26 erschienen einige dünne Ausgaben des UNITED AMATEUR, doch wurden 1926 keine Vorstandswahlen mehr abgehalten, womit die United definitiv am Ende war. Ich habe keinen Überblick, wie viele Amateurzeitschriften in diesem letzten Jahr der Organisation noch herausgegeben wurden. Sicher ist, dass Lovecraft keinerlei Ambitionen hatte, seinen CONSERVATIVE wiederzubeleben, selbst wenn er die finanziellen Möglichkeiten dazu gehabt hätte.

Während Sonias langem Aufenthalt in New York im Juni und Juli unternahmen die Eheleute eine Reihe von Ausflügen. Am 13. Juni besuchten sie den Scott Park in Elizabeth. Am 28. fuhren sie nach Bryn Mawr Park in Yonkers, dem Ort ihres kurzlebigen Hausbauprojekts vom Vorjahr. In Lovecrafts Briefen an seine Tanten findet sich nichts über diesen Ausflug oder seinen Zweck. In seinem Tagebuch notiert er lakonisch »Zauber noch da«. Gemeinsam mit Frank Long besuchte Lovecraft ein weiteres Mal The Cloisters an der Nordwestspitze von Manhattan.

Am 2. Juli unternahmen Sonia und Lovecraft einen Ausflug nach Coney Island, wo Lovecraft zum ersten Mal in seinem Leben Zuckerwatte aß. Sonia ließ dort von einem Afroamerikaner namens Perry einen Scherenschnitt von sich anfertigen. Lovecraft hatte dies bereits am 26. März getan. Dieser Scherenschnitt ist durch seine getreue und vielleicht sogar etwas schmeichelhafte Wiedergabe von Lovecrafts Profil zu einer regelrechten Ikone geworden. Dass es ebenfalls einen Scherenschnitt von Sonia gibt, wissen jedoch nur die wenigsten.