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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Hamlet ist der größte Zweifler der Weltliteratur. Vor allem seine berühmte Frage nach Sein oder Nichtsein, die Frage also nach dem Sinn des Lebens inmitten von Vergänglichkeit und Tod, hat nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. So verständlich jedoch sein Grübeln und Zögern, so großartig seine Monologe – er ist alles andere als ein strahlender Held: Wenn er handelt, hat es stets fatale Folgen, und Ophelia, seine Geliebte, treibt er mit buchstäblich in den Wahnsinn.
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William Shakespeare
CLAUDIUS, König von Dänemark
HAMLET, Sohn des vorigen und Neffe des gegenwärtigen Königs
POLONIUS, Oberkämmerer
HORATIO, Hamlets Freund
LAERTES, Sohn des Polonius
VOLTIMAND, ein Hofmann
CORNELIUS, ein Hofmann
ROSENKRANZ, ein Hofmann
GÜLDENSTERN, ein Hofmann
OSRICK, ein Hofmann
Ein andrer Hofmann
Ein Priester
MARCELLUS, ein Offizier
BERNANDO, ein Offizier
FRANCISCO, ein Soldat
REINHOLD, Diener des Polonius
Ein Hauptmann
Ein Gesandter
Der Geist von Hamlets Vater
FORTINBRAS, Prinz von Norwegen
GERTRUDE, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter
OPHELIA, Tochter des Polonius
Herren und Frauen vom Hofe, Offiziere, Soldaten, Schauspieler, Totengräber, Matrosen, Boten und andres Gefolge.
Die Szene ist in Helsingör.
Helsingör. Eine Terrasse vor dem Schlosse. Francisco auf dem Posten. Bernardo tritt auf.
BERNARDO
Wer da?
FRANCISCO
Nein, mir antwortet: Steht und gebt Euch kund!
BERNARDO
Lang’ lebe der König!
FRANCISCO
Bernardo?
BERNARDO
Er selbst.
FRANCISCO
Ihr kommt gewissenhaft auf Eure Stunde.
BERNARDO
Es schlug schon zwölf; mach’ dich zu Bett, Francisco.
FRANCISCO
Dank für die Ablösung! ’s ist bitter kalt,
Und mir ist schlimm zumut.
BERNARDO
War Eure Wache ruhig?
FRANCISCO
Alles mausestill.
BERNARDO
Nun, gute Nacht!
Wenn Ihr auf meine Wachtgefährten stoßt,
Horatio und Marcellus, heißt sie eilen!
(Horatio und Marcellus treten auf.)
FRANCISCO
Ich denk’, ich höre sie. – He! halt! Wer da?
HORATIO
Freund dieses Bodens.
MARCELLUS
Und Vasall des Dänen.
FRANCISCO
Habt gute Nacht!
MARCELLUS
O grüß dich, wackrer Krieger:
Wer hat dich abgelöst?
FRANCISCO
Bernardo hat den Posten.
Habt gute Nacht.
(Ab.)
MARCELLUS
Holla, Bernardo! Sprecht!
BERNARDO
He, ist Horatio da?
HORATIO
Ein Stück von ihm.
BERNARDO
Willkommen Euch! Willkommen, Freund Marcellus!
HORATIO
Nun, ist das Ding heut wiederum erschienen?
BERNARDO
Ich habe nichts gesehn.
MARCELLUS
Horatio sagt, es sei nur Einbildung,
Und will dem Glauben keinen Raum gestatten
An dieses Schreckbild, das wir zweimal sahn.
Deswegen hab’ ich ihn hierher geladen,
Mit uns die Stunden dieser Nacht zu wachen,
Damit, wenn wieder die Erscheinung kommt,
Er unsern Augen zeug’ und mit ihr spreche.
HORATIO
Pah, pah! Sie wird nicht kommen.
BERNARDO
Setzt Euch denn,
Und laßt uns nochmals Euer Ohr bestürmen,
Das so verschanzt ist gegen den Bericht,
Was wir zwei Nächte sahn.
HORATIO
Gut, sitzen wir,
Und laßt Bernardo uns hievon erzählen!
BERNARDO
Die allerletzte Nacht,
Als eben jener Stern, vom Pol gen Westen,
In seinem Lauf den Teil des Himmels hellte,
Wo jetzt er glüht: da sahn Marcell und ich,
Indem die Glocke eins schlug –
MARCELLUS
O still! halt’ ein! Sieh, wie’s da wieder kommt!
(Der Geist kommt.)
BERNARDO
Ganz die Gestalt wie der verstorbne König.
MARCELLUS
Du bist gelehrt: sprich du mit ihm, Horatio!
BERNARDO
Sieht’s nicht dem König gleich? Schau’s an, Horatio!
HORATIO
Ganz gleich; es macht mich starr vor Furcht und Staunen.
BERNARDO
Es möchte angeredet sein.
MARCELLUS
Horatio, sprich mit ihm!
HORATIO
Wer bist du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt
Und dieser edlen krieg’rischen Gestalt,
Worin die Hoheit des begrabnen Dänmark
Weiland einherging? Ich beschwöre dich
Beim Himmel, sprich!
MARCELLUS
Es ist beleidigt.
BERNARDO
Seht, es schreitet weg.
HORATIO
Bleib’, sprich! Sprich, ich beschwör’ dich, sprich!
(Geist ab.)
MARCELLUS
Fort ist’s und will nicht reden.
BERNARDO
Wie nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich:
Ist dies nicht etwas mehr als Einbildung?
Was haltet Ihr davon?
HORATIO
Bei meinem Gott, ich dürfte dies nicht glauben,
Hätt’ ich die sichre, fühlbare Gewähr
Der eignen Augen nicht.
MARCELLUS
Sieht’s nicht dem König gleich?
HORATIO
Wie du dir selbst.
Genau so war die Rüstung, die er trug,
Als er sich mit dem stolzen Norweg maß;
So dräut’ er einst, als er in hartem Zweisprach
Aufs Eis warf den beschlitteten Polacken.
’s ist seltsam.
MARCELLUS
So schritt er, grad’ um diese dumpfe Stunde,
Schon zweimal krieg’risch unsre Wacht vorbei.
HORATIO
Wie dies bestimmt zu deuten, weiß ich nicht;
Allein so viel ich insgesamt erachte,
Verkündet’s unserm Staat besondre Gärung.
MARCELLUS
Nun setzt euch, Freunde, sagt mir, wer es weiß,
Warum dies aufmerksame, strenge Wachen
Den Untertan des Landes nächtlich plagt?
Warum wird Tag für Tag Geschütz gegossen,
Und in der Fremde Kriegsgerät gekauft?
Warum gepreßt für Werfte, wo das Volk
Den Sonntag nicht vom sauren Werktag trennt?
Was gibt’s, daß diese schweißbetriefte Eil’
Die Nacht dem Tage zur Gehülfin macht?
Kann jemand mich belehren?
HORATIO
Ja, ich kann’s;
Zum mind’sten heißt es so. Der letzte König
Ward, wie ihr wißt, durch Fortinbras von Norweg,
Den eifersücht’ger Stolz dazu gespornt,
Zum Kampf gefordert; unser tapfrer Hamlet
(Denn diese Seite der bekannten Welt
Hält ihn dafür) schlug diesen Fortinbras,
Der laut dem untersiegelten Vertrag,
Bekräftiget durch Recht und Rittersitte,
Mit seinem Leben alle Länderei’n,
So er besaß, verwirkte an den Sieger;
Wogegen auch ein angemeßnes Teil
Von unserm König ward zum Pfand gesetzt,
Das Fortinbras anheim gefallen wäre,
Hätt’ er gesiegt; wie durch denselben Handel
Und Inhalt der besprochnen Punkte seins
An Hamlet fiel. Der junge Fortinbras
Hat nun, von wildem Feuer heiß und voll,
An Norwegs Ecken hier und da ein Heer
Landloser Abenteurer aufgerafft,
Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen,
Das Herz hat; welches denn kein andres ist
(Wie unser Staat das auch gar wohl erkennt),
Als durch die starke Hand und Zwang der Waffen
Die vorbesagten Land’ uns abzunehmen,
Die so sein Vater eingebüßt: und dies
Scheint mir der Antrieb unsrer Zurüstungen,
Die Quelle unsrer Wachen und der Grund
Von diesem Treiben und Gewühl im Lande.
BERNARDO
Nichts anders, denk’ ich, ist’s, als eben dies.
Wohl trifft es zu, daß diese Schreckgestalt
In Waffen unsre Wacht besucht, so ähnlich
Dem König, der der Anlaß dieses Kriegs.
HORATIO
Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug’ zu trüben.
Im höchsten palmenreichsten Stande Roms,
Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen
Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien
Und wimmerten die röm’schen Gassen durch.
Dann feu’rgeschweifte Sterne, blut’ger Tau,
Die Sonne fleckig; und der feuchte Stern,
Des Einfluß waltet in Neptunus’ Reich,
Krankt’ an Verfinst’rung wie zum Jüngsten Tag.
Und eben solche Zeichen grauser Dinge
(Als Boten, die dem Schicksal stets vorangehn,
Und Vorspiel der Entscheidung, die sich naht)
Hat Erd’ und Himmel insgemein gesandt
An unsern Himmelsstrich und Landsgenossen.
(Der Geist kommt wieder.)
Doch still! Schaut, wie’s da wieder kommt! Ich kreuz’ es,
Und sollt’ es mich verderben. – Steh, Phantom!
Hast du Gebrauch der Stimm’ und einen Laut:
Sprich zu mir!
Ist irgend eine gute Tat zu tun,
Die Ruh’ dir bringen kann und Ehre mir:
Sprich zu mir!
Bist du vertraut mit deines Landes Schicksal,
Das etwa noch Voraussicht wenden kann:
O sprich!
Und hast du aufgehäuft in deinem Leben
Erpreßte Schätze in der Erde Schoß,
Wofür ihr Geister, sagt man, oft im Tode
Umhergeht: sprich davon! verweil’ und sprich!
(Der Hahn kräht.)
Halt’ es doch auf, Marcellus!
MARCELLUS
Soll ich nach ihm mit der Hellbarde schlagen?
HORATIO
Tu’s, wenn’s nicht stehen will.
BERNARDO
’s ist hier.
HORATIO
’s ist hier.
MARCELLUS
’s ist fort.
(Geist ab.)
Wir tun ihm Schmach, da es so majestätisch,
Wenn wir den Anschein der Gewalt ihm bieten.
Denn es ist unverwundbar wie die Luft
Und unsre Streiche nur boshafter Hohn.
BERNARDO
Es war am Reden, als der Hahn just krähte.
HORATIO
Und da fuhr’s auf, gleich einem sünd’gen Wesen
Auf einen Schreckensruf. Ich hab’ gehört,
Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,
Erweckt mit schmetternder und heller Kehle
Den Gott des Tages, und auf seine Mahnung,
Sei’s in der See, im Feu’r, Erd’ oder Luft,
Eilt jeder schweifende und irre Geist
In sein Revier; und von der Wahrheit dessen
Gab dieser Gegenstand uns den Beweis.
MARCELLUS
Es schwand erblassend mit des Hahnes Kräh’n,
Sie sagen, immer wann die Jahrszeit naht,
Wo man des Heilands Ankunft feiert, singe
Die ganze Nacht durch dieser frühe Vogel.
Dann darf kein Geist umher gehn, sagen sie,
Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern,
Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern:
So gnadevoll und heilig ist die Zeit.
HORATIO
So hört’ auch ich und glaube dran zum Teil.
Doch seht, der Morgen, angetan mit Purpur,
Betritt den Tau des hohen Hügels dort:
Laßt uns die Wacht aufbrechen, und ich rate,
Vertraun wir, was wir diese Nacht gesehn,
Dem jungen Hamlet; denn, bei meinem Leben,
Der Geist, so stumm für uns, ihm wird er reden.
Ihr willigt drein, daß wir ihm dieses melden,
Wie Lieb’ uns nötigt und der Pflicht geziemt?
MARCELLUS
Ich bitt’ Euch, tun wir das; ich weiß, wo wir
Ihn am bequemsten heute finden werden.
(Ab.)
Ein Staatszimmer im Schlosse.
Der König, Die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes, Voltimand, Cornelius, Herren vom Hofe und Gefolge.
KÖNIG
Wiewohl von Hamlets Tod, des werten Bruders,
Noch das Gedächtnis frisch; und ob es unserm Herzen
Zu trauern ziemte und dem ganzen Reich,
In eine Stirn des Grames sich zu falten:
So weit hat Urteil die Natur bekämpft,
Daß wir mit weisem Kummer sein gedenken,
Zugleich mit der Erinn’rung an uns selbst.
Wir haben also unsre weiland Schwester,
Jetzt unsre Königin, die hohe Witwe
Und Erbin dieses kriegerischen Staats,
Mit unterdrückter Freude, so zu sagen,
Mit einem heitern, einem nassen Aug’
Mit Leichenjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wägend Leid und Lust,
Zur Eh’ genommen; haben auch hierin
Nicht eurer bessern Weisheit widerstrebt,
Die frei uns beigestimmt. – Für alles, Dank!
Nun wißt ihr, hat der junge Fortinbras,
Aus Minderschätzung unsers Werts, und denkend,
Durch unsers teuren sel’gen Bruders Tod
Sei unser Staat verrenkt und aus den Fugen:
Gestützt auf diesen Traum von seinem Vorteil,
Mit Botschaft uns zu plagen nicht ermangelt
Um Wiedergabe jener Länderei’n,
Rechtskräftig eingebüßt von seinem Vater
An unsern tapfern Bruder. – So viel von ihm;
Nun von uns selbst und eurer Herberufung.
So lautet das Geschäft: wir schreiben hier
An Norweg, Ohm des jungen Fortinbras,
Der schwach, bettlägrig, kaum von diesem Anschlag
Des Neffen hört, desselben fernern Gang
Hierin zu hemmen; sintemal die Werbung,
Bestand und Zahl der Truppen, alles doch
Aus seinem Volk geschieht; und senden nun,
Euch, wackrer Voltimand, und Euch, Cornelius,
Mit diesem Gruß zum alten Norweg hin;
Euch keine weitre Vollmacht übergebend,
Zu handeln mit dem König, als das Maß
Der hier erörterten Artikel zuläßt.
Lebt wohl, und Eil’ empfehle Euren Eifer!
CORNELIUS UND VOLTIMAND
Hier, wie in allem, wollen wir ihn zeigen.
KÖNIG
Wir zweifeln nicht daran. Lebt herzlich wohl!
(Voltimand und Cornelius ab.)
Und nun, Laertes, sagt, was bringt Ihr uns?
Ihr nanntet ein Gesuch: was ist’s, Laertes?
Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden
Und Euer Wort verlieren. Kannst du bitten,
Was ich nicht gern gewährt’, eh’ du’s verlangt?
Der Kopf ist nicht dem Herzen mehr verwandt,
Die Hand dem Munde dienstgefäll’ger nicht,
Als Dänmarks Thron es deinem Vater ist.
Was wünschest du, Laertes?
LAERTES
Hoher Herr,
Vergünstigung, nach Frankreich rückzukehren,
Woher ich zwar nach Dänmark willig kam,
Bei Eurer Krönung meine Pflicht zu leisten;
Doch nun, gesteh’ ich, da die Pflicht erfüllt,
Strebt mein Gedank’ und Wunsch nach Frankreich hin
Und neigt sich Eurer gnädigen Erlaubnis.
KÖNIG
Erlaubt’s der Vater Euch? Was sagt Polonius?
POLONIUS
Er hat, mein Fürst, die zögernde Erlaubnis
Mir durch beharrlich Bitten abgedrungen,
Daß ich zuletzt auf seinen Wunsch das Siegel
Der schwierigen Bewilligung gedrückt.
Ich bitt’ Euch, gebt Erlaubnis ihm zu gehn!
KÖNIG
Nimm deine günst’ge Stunde: Zeit sei dein
Und eigne Zierde; nutze sie nach Lust!–
Doch nun, mein Vetter Hamlet und mein Sohn –
HAMLET (beiseit)
Mehr als befreundet, weniger als Freund.
KÖNIG
Wie, hängen stets noch Wolken über Euch?
HAMLET
Nicht doch, mein Fürst, ich habe zu viel Sonne.
KÖNIGIN
Wirf, guter Hamlet, ab die nächt’ge Farbe,
Und laß dein Aug’ als Freund auf Dänmark sehn.
Such’ nicht beständig mit gesenkten Wimpern
Nach deinem edlen Vater in dem Staub:
Du weißt, es ist gemein: was lebt, muß sterben
Und Ew’ges nach der Zeitlichkeit erwerben.
HAMLET
Ja, gnäd’ge Frau, es ist gemein.
KÖNIGIN
Nun wohl,
Weswegen scheint es so besonders dir?
HAMLET
Scheint, gnäd’ge Frau? Nein, ist; mir gilt kein »scheint«.
Nicht bloß mein düstrer Mantel, gute Mutter,
Noch die gewohnte Tracht von ernstem Schwarz,
Noch stürmisches Geseufz’ beklemmten Odems,
Noch auch im Auge der ergieb’ge Strom,
Noch die gebeugte Haltung des Gesichts,
Samt aller Sitte, Art, Gestalt des Grames,
Ist das, was wahr mich kund gibt; dies scheint wirklich:
Es sind Gebärden, die man spielen könnte.
Was über allen Schein, trag’ ich in mir;
All dies ist nur des Kummers Kleid und Zier.
KÖNIG
Es ist gar lieb und Eurem Herzen rühmlich, Hamlet,
Dem Vater diese Trauerpflicht zu leisten.
Doch wißt, auch Eurem Vater starb ein Vater;
Dem seiner, und der Nachgelaßne soll,
Nach kindlicher Verpflichtung, ein’ge Zeit
Die Leichentrauer halten. Doch zu beharren
In eigenwill’gen Klagen, ist das Tun
Gottlosen Starrsinns; ist unmännlich Leid;
Zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt,
Ein unverschanztes Herz und wild Gemüt;
Zeigt blöden, ungelehrigen Verstand.
Wovon man weiß, es muß sein; was gewöhnlich
Wie das Gemeinste, das die Sinne rührt:
Weswegen das in mürr’schem Widerstande
Zu Herzen nehmen? Pfui! es ist Vergehn
Am Himmel; ist Vergehen an dem Toten,
Vergehn an der Natur; vor der Vernunft
Höchst töricht, deren allgemeine Predigt
Der Väter Tod ist, und die immer rief
Vom ersten Leichnam bis zum heut verstorbnen:
»Dies muß so sein.« Wir bitten, werft zu Boden
Dies unfruchtbare Leid, und denkt von uns
Als einem Vater; denn wissen soll die Welt,
Daß Ihr an unserm Thron der Nächste seid,
Und mit nicht minder Überschwang der Liebe,
Als seinem Sohn der liebste Vater widmet,
Bin ich Euch zugetan. Was Eure Rückkehr
Zur hohen Schul’ in Wittenberg betrifft,
So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,
Und wir ersuchen Euch, beliebt zu bleiben,
Hier in dem milden Scheine unsers Aug’s,
Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.
KÖNIGIN
Laß deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet:
Ich bitte, bleib’ bei uns, geh nicht nach Wittenberg!
HAMLET
Ich will Euch gern gehorchen, gnäd’ge Frau.
KÖNIG
Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort.
Seid wie wir selbst in Dänmark! – Kommt, Gemahlin!
Dies will’ge, freundliche Nachgeben Hamlets
Sitzt lächelnd um mein Herz; und dem zu Ehren
Soll das Geschütz heut jeden frohen Trunk,
Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,
Und wenn der König anklingt, soll der Himmel
Nachdröhnen ird’schem Donner. – Kommt mit mir!
(König, Königin, Laertes und Gefolge ab.)
HAMLET
O schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging’ und löst’ in einen Tau sich auf!
Oder hätte nicht der Ew’ge sein Gebot
Gerichtet gegen Selbstmord! – O Gott! O Gott!
Wie ekel, schal und flach und unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!
Pfui! pfui darüber! ’s ist ein wüster Garten,
Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut
Erfüllt ihn gänzlich. Dazu mußt’ es kommen!
Zwei Mond’ erst tot! – nein, nicht so viel, nicht zwei;
Solch trefflicher Monarch! der neben diesem
Apoll bei einem Satyr; so meine Mutter liebend,
Daß er des Himmels Winde nicht zu rauh
Ihr Antlitz ließ berühren. Himmel und Erde!
Muß ich gedenken? Hing sie doch an ihm,
Als stieg’ der Wachstum ihrer Lust mit dem,
Was ihre Kost war. Und doch in einem Mond –
Laßt mich’s nicht denken! – Schwachheit, dein Nam’ ist Weib! –
Ein kurzer Mond; bevor die Schuh’ verbraucht,
Womit sie meines Vaters Leiche folgte,
Wie Niobe, ganz Tränen – sie, ja sie;
O Himmel! würd’ ein Tier, das nicht Vernunft hat,
Doch länger trauern. – Meinem Ohm vermählt,
Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich
Wie ich dem Herkules: in einem Mond!
Bevor das Salz höchst frevelhafter Tränen
Der wunden Augen Röte noch verließ,
War sie vermählt! – O schnöde Hast, so rasch
In ein blutschänderisches Bett zu stürzen!
Es ist nicht und es wird auch nimmer gut.
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.
(Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.)
HORATIO
Heil Eurer Hoheit!
HAMLET
Ich bin erfreut, Euch wohl zu sehn.
Horatio – wenn ich nicht mich selbst vergesse?
HORATIO
Ja, Prinz, und Euer armer Diener stets.
HAMLET
Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen!
Was macht Ihr hier von Wittenberg, Horatio?
Marcellus?
MARCELLUS
Gnäd’ger Herr –
HAMLET
Es freut mich, Euch zu sehn. Habt guten Abend!
Im Ernst, was führt Euch weg von Wittenberg?
HORATIO
Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz.
HAMLET
Das möcht’ ich Euren Feind nicht sagen hören.
Noch sollt Ihr meinem Ohr den Zwang antun,
Daß Euer eignes Zeugnis gegen Euch
Ihm gültig wär’. Ich weiß, Ihr geht nicht müßig.
Doch was ist Eu’r Geschäft in Helsingör?
Ihr sollt noch trinken lernen, eh’ Ihr reist.
HORATIO
Ich kam zu Eures Vaters Leichenfeier.
HAMLET
Ich bitte, spotte meiner nicht, mein Schulfreund;
Du kamst gewiß zu meiner Mutter Hochzeit.
HORATIO
Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf.
HAMLET
Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne
Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.
Hätt ich den ärgsten Feind im Himmel lieber
Getroffen, als den Tag erlebt, Horatio!
Mein Vater – mich dünkt, ich sehe meinen Vater.
HORATIO
Wo, mein Prinz?
HAMLET
In meines Geistes Aug’, Horatio.
HORATIO
Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König.
HAMLET
Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.
HORATIO
Mein Prinz, ich denk’, ich sah ihn vor’ge Nacht.
HAMLET
Sah? wen?
HORATIO
Mein Prinz, den König, Euren Vater.
HAMLET
Den König, meinen Vater?
HORATIO
Beruhigt das Erstaunen eine Weil’
Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,
Auf die Bekräftigung der Männer hier,
Euch kann berichten.
HAMLET
Um Gottes willen, laßt mich hören.
HORATIO
Zwei Nächte nacheinander war’s den beiden,
Marcellus und Bernardo, auf der Wache
In toter Stille tiefer Mitternacht
So widerfahren. Ein Schatte wie Eu’r Vater,
[Geharnischt, ganz in Wehr, von Kopf zu Fuß,]
Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt
Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal
Vor ihren starren, furchtergriffnen Augen,
So daß sein Stab sie abreicht; während sie,
Geronnen fast zu Gallert durch die Furcht,
Stumm stehn’ und reden nicht mit ihm. Dies nun
In banger Heimlichkeit vertraun sie mir.
Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;
Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,
Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,
Kommt das Gespenst. Ich kannte Euren Vater:
Hier diese Hände gleichen sich nicht mehr.
HAMLET
Wo ging dies aber vor?
MARCELLUS
Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten.
HAMLET
Ihr sprachet nicht mit ihm?
HORATIO
Ich tat’s, mein Prinz,
Doch Antwort gab es nicht; nur einmal schien’s,
Es höb’ sein Haupt empor und schickte sich
Zu der Bewegung an, als wollt’ es sprechen.
Doch eben krähte laut der Morgenhahn,
Und bei dem Tone schlüpft’ es eilig weg
Und schwand aus unserm Blick.
HAMLET
Sehr sonderbar.
HORATIO
Bei meinem Leben, edler Prinz, ’s ist wahr;
Wir hielten’s durch die Pflicht uns vorgeschrieben,
Die Sach’ Euch kundzutun.
HAMLET
Im Ernst, im Ernst, ihr Herrn, dies ängstigt mich.
Habt ihr die Wache heut?
ALLE
Ja, gnäd’ger Herr.
HAMLET
Geharnischt, sagt ihr?
ALLE
Geharnischt, gnäd’ger Herr.
HAMLET
Vom Wirbel bis zur Zeh’?
ALLE
Von Kopf zu Fuß.
HAMLET
So saht ihr sein Gesicht nicht?
HORATIO
O ja doch, sein Visier war aufgezogen.
HAMLET
Nun, blickt’ er finster?
HORATIO
Eine Miene, mehr
Des Leidens als des Zorns.
HAMLET
Blaß oder rot?
HORATIO
Nein, äußerst blaß.
HAMLET
Sein Aug’ auf euch geheftet?
HORATIO
Ganz fest.
HAMLET
Ich wollt’, ich wär’ dabei gewesen.
HORATIO
Ihr hättet Euch gewiß entsetzt.
HAMLET
Sehr glaublich,
Sehr glaublich. Blieb es lang’?
HORATIO
Derweil mit mäß’ger Eil’
Man hundert zählen konnte.
MARCELLUS, BERNARDO
Länger, länger.
HORATIO
Nicht, da ich’s sah.
HAMLET
Sein Bart war greis, nicht wahr?
HORATIO
Wie ich’s an ihm bei seinem Leben sah,
Ein schwärzlich Silbergrau.
HAMLET
Ich will heut wachen.
Vielleicht wird’s wieder kommen.
HORATIO
Zuverlässig.
HAMLET
Erscheint’s in meines edlen Vaters Bildung,
So red’ ich’s an, gähnt’ auch die Hölle selbst
Und hieß’ mich ruhig sein. Ich bitt’ euch alle:
Habt ihr bis jetzt verheimlicht dies Gesicht,
So haltet’s ferner fest in eurem Schweigen;
Und was sich sonst zu Nacht ereignen mag,
Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge.
Ich will die Lieb’ euch lohnen; lebt denn wohl!
Auf der Terrasse zwischen eilf und zwölf
Besuch’ ich euch.
ALLE
Eu’r Gnaden unsre Dienste!
HAMLET
Nein, eure Liebe, so wie meine euch.
Lebt wohl nun!
(Horatio, Marcellus und Bernardo ab.)
Meines Vaters Geist in Waffen!
Es taugt nicht alles: ich vermute was
Von argen Ränken. Wär’ die Nacht erst da!
Bis dahin ruhig, Seele! Schnöde Taten,
Birgt sie die Erd’ auch, müssen sich verraten.
(Ab.)
Ein Zimmer in Polonius’ Hause. Laertes und Ophelia treten auf.
LAERTES
Mein Reisegut ist eingeschifft. Leb wohl,
Und, Schwester, wenn die Winde günstig sind
Und Schiffsgeleit sich findet, schlaf’ nicht, laß
Von dir mich hören!
OPHELIA
Zweifelst du daran?
LAERTES
Was Hamlet angeht und sein Liebsgetändel,
So nimm’s als Sitte, als ein Spiel des Bluts;
Ein Veilchen in der Jugend der Natur,
Frühzeitig, nicht beständig – süß, nicht dauernd,
Nur Duft und Labsal eines Augenblicks:
Nichts weiter.
OPHELIA
Weiter nichts?
LAERTES
Nur dafür halt’ es.
Denn die Natur, aufstrebend, nimmt nicht bloß
An Größ’ und Sehnen zu; wie dieser Tempel wächst,
So wird der innre Dienst von Seel’ und Geist