Hamlet - William Shakespeare - E-Book

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William Shakespeare

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Beschreibung

"Hamlet" ist das meistgespielte Stück Shakespeares und Hamlet ist Shakespeares berühmteste Figur. Als vor rund 250 Jahren die Shakespeare-Begeisterung in Deutschland um sich griff, gehörte auch ein sogenanntes ›Hamlet-Erlebnis‹, nämlich die Identifikation mit dem melancholischen Dänenprinzen, zu den Reaktionen auf Shakespeares Stücke. Die menschliche Psyche und ihre Widersprüchlichkeiten sowie die Reflexion über Ich, Fiktion und Welt stehen in diesem Stück auf dem Prüfstand, und nicht umsonst hat der berühmteste Monolog der Theatergeschichte in diesem Stück seinen Platz: "To be or not to be, that is the question" / "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage". Die sogenannte Schlegel-Tieck-Übersetzung, zu der August Wilhelm Schlegel und - unter Mitübersetzer- und Herausgeberschaft von Ludwig Tieck - auch Dorothea Tieck und Wolf Heinrich Graf Baudissin beigetragen haben, ist im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem eigenständigen deutschen Klassiker geworden. Indem sich die Übersetzer der Literatursprache der deutschen Klassik im Gefolge Goethes und Schillers bedienten, schufen sie ein poetisches Übersetzungswerk von großer sprachlicher Geschlossenheit und weitreichender Wirkung. – Text in neuer Rechtschreibung. Gertrude, die Witwe des Königs von Dänemark, hat dessen Bruder Claudius geheiratet, der nun König ist. Gertrudes Sohn, der wie sein verstorbener Vater Hamlet heißt, hat eine Erscheinung seines toten Vaters, der ihm erklärt, von seinem Bruder Claudius getötet worden zu sein. Hamlet will Rache nehmen, der Gertrude und Claudius zum Opfer fallen, aber auch die von ihm geliebte Ophelia, Tochter des Oberkämmerers Polonius. Schließlich wird Hamlet von Ophelias Bruder Laertes getötet. "Nichts ist fremd, überflüssig, oder zufällig in diesem Meisterstück des künstlerischen Tiefsinns." Friedrich Schlegel

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Seitenzahl: 156

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William Shakespeare

Hamlet

Übersetzt von August Wilhelm Schlegel

Herausgegeben von Dietrich Klose

Reclam

Englischer Originaltitel: The Tragedy of Hamlet, Prince of Denmark

 

1969, 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961056-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-000031-1

www.reclam.de

Inhalt

Hamlet, Prinz von DänemarkPersonenErster AktZweiter AktDritter AktVierter AktFünfter AktZu dieser Ausgabe

[5]Hamlet, Prinz von Dänemark

[6]Personen

CLAUDIUS, König von Dänemark

HAMLET, Sohn des vorigen und Neffe des gegenwärtigen Königs

POLONIUS, Oberkämmerer

HORATIO, Hamlets Freund

LAERTES, Sohn des Polonius

Hofleute

VOLTIMAND

CORNELIUS

ROSENKRANZ

GÜLDENSTERN

OSRICK, ein Hofmann

Ein andrer Hofmann

Ein Priester

Offiziere

MARCELLUS

BERNARDO

FRANCISCO, ein Soldat

REINHOLD, Diener des Polonius

Ein Hauptmann

Ein Gesandter

Der Geist von Hamlets Vater

FORTINBRAS, Prinz von Norwegen

GERTRUDE, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter

OPHELIA, Tochter des Polonius

 

Herren und Frauen vom Hofe. Offiziere. Soldaten. Schauspieler. Totengräber. Matrosen. Boten und andres Gefolge.

 

Die Szene in Helsingör.

[7]Erster Akt

Erste Szene

Helsingör. Eine Terrasse vor dem Schlosse.

Francisco auf dem Posten. Bernardo tritt auf.

BERNARDO.

Wer da?

FRANCISCO.

Nein, mir antwortet: Steht und gebt Euch kund.

BERNARDO.

Lang lebe der König!

FRANCISCO.

Bernardo?

BERNARDO.

Er selbst.

FRANCISCO.

Ihr kommt gewissenhaft auf Eure Stunde.

BERNARDO.

Es schlug schon zwölf; mach dich zu Bett, Francisco.

FRANCISCO.

Dank für die Ablösung! ’s ist bitter kalt,

Und mir ist schlimm zumut.

BERNARDO.

War Eure Wache ruhig?

FRANCISCO.

    Alles mausestill.

BERNARDO.

Nun, gute Nacht!

Wenn Ihr auf meine Wachtgefährten stoßt,

Horatio und Marcellus, heißt sie eilen.

(Horatio und Marcellus treten auf.)

FRANCISCO.

Ich denk, ich höre sie. – He! halt! Wer da?

HORATIO.

Freund dieses Bodens.

MARCELLUS.

    Und Vasall des Dänen.

FRANCISCO.

Habt gute Nacht.

MARCELLUS.

    O grüß dich, wackrer Krieger,

Wer hat dich abgelöst?

[8]FRANCISCO.

    Bernardo hat den Posten.

Habt gute Nacht.

(Ab.)

MARCELLUS.

    Holla, Bernardo! sprecht!

BERNARDO.

He, ist Horatio da?

HORATIO.

    Ein Stück von ihm.

BERNARDO.

Willkommen Euch! Willkommen, Freund Marcellus.

HORATIO.

Nun, ist das Ding heut wiederum erschienen?

BERNARDO.

Ich habe nichts gesehn.

MARCELLUS.

Horatio sagt, es sei nur Einbildung,

Und will dem Glauben keinen Raum gestatten

An dieses Schreckbild, das wir zweimal sahn.

Deswegen hab ich ihn hierher geladen,

Mit uns die Stunden dieser Nacht zu wachen,

Damit, wenn wieder die Erscheinung kommt,

Er unsern Augen zeug’ und mit ihr spreche.

HORATIO.

Pah, pah! Sie wird nicht kommen.

BERNARDO.

    Setzt Euch denn,

Und lasst uns nochmals Euer Ohr bestürmen,

Das so verschanzt ist gegen den Bericht,

Was wir zwei Nächte sahn.

HORATIO.

    Gut, sitzen wir,

Und lasst Bernardo uns hiervon erzählen.

BERNARDO.

Die allerletzte Nacht,

Als eben jener Stern, vom Pol gen Westen,

In seinem Lauf den Teil des Himmels hellte,

[9]Wo jetzt er glüht; da sahn Marcell und ich,

Indem die Glocke eins schlug –

(Der Geist kommt.)

MARCELLUS.

O still! halt ein! Sieh, wie’s da wieder kommt!

BERNARDO.

Ganz die Gestalt wie der verstorbne König.

MARCELLUS.

Du bist gelehrt, sprich du mit ihm, Horatio.

BERNARDO.

Sieht’s nicht dem König gleich? Schau’s an, Horatio.

HORATIO.

Ganz gleich; es macht mich starr vor Furcht und Staunen.

BERNARDO.

Es möchte angeredet sein.

MARCELLUS.

Horatio, sprich mit ihm.

HORATIO.

Wer bist du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt

Und dieser edlen kriegrischen Gestalt,

Worin die Hoheit des begrabnen Dänmark

Weiland einherging? Ich beschwöre dich

Beim Himmel, sprich.

MARCELLUS.

Es ist beleidigt.

BERNARDO.

    Seht, es schreitet weg.

HORATIO.

Bleib, sprich! Sprich, ich beschwör dich, sprich!

(Geist ab.)

MARCELLUS.

Fort ist’s und will nicht reden.

BERNARDO.

Wie nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich:

Ist dies nicht etwas mehr als Einbildung?

Was haltet Ihr davon?

HORATIO.

Bei meinem Gott, ich dürfte dies nicht glauben.

Hätt ich die sichre, fühlbare Gewähr

Der eignen Augen nicht.

[10]MARCELLUS.

Sieht’s nicht dem König gleich?

HORATIO.

    Wie du dir selbst.

Genau so war die Rüstung, die er trug,

Als er sich mit dem stolzen Norweg maß;

So dräut’ er einst, als er in hartem Zweisprach

Aufs Eis warf den beschlitteten Polacken.

’s ist seltsam.

MARCELLUS.

So schritt er, grad um diese dumpfe Stunde

Schon zweimal kriegrisch unsre Wacht vorbei.

HORATIO.

Wie dies bestimmt zu deuten, weiß ich nicht;

Allein so viel ich insgesamt erachte,

Verkündet’s unserm Staat besondre Gärung.

MARCELLUS.

Nun setzt euch, Freunde, sagt mir, wer es weiß,

Warum dies aufmerksame, strenge Wachen

Den Untertan des Landes nächtlich plagt?

Warum wird Tag für Tag Geschütz gegossen,

Und in der Fremde Kriegsgerät gekauft?

Warum gepresst für Werfte, wo das Volk

Den Sonntag nicht vom sauren Werktag trennt?

Was gibt’s, dass diese schweißbetriefte Eil’

Die Nacht dem Tage zur Gehilfin macht?

Kann jemand mich belehren?

HORATIO.

    Ja, ich kann’s;

Zum mindsten heißt es so. Der letzte König

Ward, wie ihr wisst, durch Fortinbras von Norweg,

Den eifersücht’ger Stolz dazu gespornt,

Zum Kampf gefordert; unser tapfrer Hamlet

[11](Denn diese Seite der bekannten Welt

Hält ihn dafür) schlug diesen Fortinbras,

Der laut dem untersiegelten Vertrag,

Bekräftiget durch Recht und Rittersitte,

Mit seinem Leben alle Länderein,

So er besaß, verwirkte an den Sieger;

Wogegen auch ein angemessnes Teil

Von unserm König ward zum Pfand gesetzt,

Das Fortinbras anheim gefallen wäre,

Hätt er gesiegt; wie durch denselben Handel

Und Inhalt der besprochnen Punkte seins

An Hamlet fiel. Der junge Fortinbras

Hat nun, von wildem Feuer heiß und voll,

An Norwegs Ecken hier und da ein Heer

LandloserAbenteurer aufgerafft,

Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen,

Das Herz hat; welches denn kein andres ist

(Wie unser Staat das auch gar wohl erkennt),

Als durch die starke Hand und Zwang der Waffen

Die vorbesagten Land’ uns abzunehmen,

Die so sein Vater eingebüßt: und dies

Scheint mir der Antrieb unsrer Zurüstungen,

Die Quelle unsrer Wachen und der Grund

Von diesem Treiben und Gewühl im Lande.

BERNARDO.

Nichts anders, denk ich, ist’s, als eben dies.

Wohl trifft es zu, dass diese Schreckgestalt

In Waffen unsre Wacht besucht, so ähnlich

Dem König, der der Anlass dieses Kriegs.

[12]HORATIO.

Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug’ zu trüben.

Im höchsten palmenreichsten Stande Roms,

Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen

Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien

Und wimmerten die röm’schen Gassen durch.

Dann feu’rgeschweifte Sterne, blut’ger Tau,

Die Sonne fleckig; und der feuchte Stern,

Des Einfluss waltet in Neptunus’ Reich,

Krankt’ an Verfinstrung wie zum Jüngsten Tag.

Und eben solche Zeichen grauser Dinge

(Als Boten, die dem Schicksal stets vorangehn,

Und Vorspiel der Entscheidung, die sich naht)

Hat Erd und Himmel insgemein gesandt

An unsern Himmelsstrich und Landsgenossen.

(Der Geist kommt wieder.)

Doch still! Schaut, wie’s da wieder kommt. Ich kreuz es,

Und sollt es mich verderben. – Steh, Phantom!

(Der Geist breitet die Arme aus.)

Hast du Gebrauch der Stimm’ und einen Laut:

Sprich zu mir!

Ist irgendeine gute Tat zu tun,

Die Ruh’ dir bringen kann und Ehre mir:

Sprich zu mir!

Bist du vertraut mit deines Landes Schicksal,

Das etwa noch Voraussicht wenden kann:

O sprich!

Und hast du aufgehäuft in deinem Leben

Erpresste Schätze in der Erde Schoß,

[13]Wofür ihr Geister, sagt man, oft im Tode

Umhergeht: sprich davon! verweil und sprich!

(Der Hahn kräht.)

Halt es doch auf, Marcellus!

MARCELLUS.

Soll ich nach ihm mit der Hellbarde schlagen?

HORATIO.

Tu’s, wenn’s nicht stehen will.

BERNARDO.

’s ist hier.

HORATIO.

’s ist hier.

(Geist ab.)

MARCELLUS.

’s ist fort.

Wir tun ihm Schmach, da es so majestätisch,

Wenn wir den Anschein der Gewalt ihm bieten.

Denn es ist unverwundbar wie die Luft

Und unsre Streiche nur boshafter Hohn.

BERNARDO.

Es war am Reden, als der Hahn just krähte.

HORATIO.

Und da fuhr’s auf, gleich einem sünd’gen Wesen

Auf einen Schreckensruf. Ich hab gehört,

Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,

Erweckt mit schmetternder und heller Kehle

Den Gott des Tages, und auf seine Mahnung,

Sei’s in der See, im Feu’r, Erd’ oder Luft,

Eilt jeder schweifende und irre Geist

In sein Revier; und von der Wahrheit dessen

Gab dieser Gegenstand uns den Beweis.

MARCELLUS.

Es schwand erblassend mit des Hahnes Krähn,

Sie sagen, immer, wann die Jahrszeit naht,

Wo man des Heilands Ankunft feiert, singe

Die ganze Nacht durch dieser frühe Vogel.

[14]Dann darf kein Geist umhergehn, sagen sie,

Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern,

Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern:

So gnadevoll und heilig ist die Zeit.

HORATIO.

So hört’ auch ich und glaube dran zum Teil.

Doch seht, der Morgen, angetan mit Purpur,

Betritt den Tau des hohen Hügels dort:

Lasst uns die Wacht aufbrechen, und ich rate,

Vertraun wir, was wir diese Nacht gesehn,

Dem jungen Hamlet; denn, bei meinem Leben,

Der Geist, so stumm für uns, ihm wird er reden.

Ihr willigt drein, dass wir ihm dieses melden,

Wie Lieb’ uns nötigt und der Pflicht geziemt?

MARCELLUS.

Ich bitte Euch, tun wir das; ich weiß, wo wir

Ihn am bequemsten heute finden werden.

(Ab.)

Zweite Szene

Ein Staatszimmer im Schlosse.

Fanfare. Der König. Die Königin. Hamlet. Polonius. Laertes. Voltimand. Cornelius. Herren vom Hofe und Gefolge.

KÖNIG.

Wiewohl von Hamlets Tod, des werten Bruders,

Noch das Gedächtnis frisch; und ob es unserm Herzen

Zu trauern ziemte und dem ganzen Reich,

In eine Stirn des Grames sich zu falten:

So weit hat Urteil die Natur bekämpft,

Dass wir mit weisem Kummer sein gedenken,

[15]Zugleich mit der Erinnrung an uns selbst.

Wir haben also unsre weiland Schwester,

Jetzt unsre Königin, die hohe Witwe

Und Erbin dieses kriegerischen Staats,

Mit unterdrückter Freude, sozusagen,

Mit einem heitern, einem nassen Aug’,

Mit Leichenjubel und mit Hochzeitklage,

In gleichen Schalen wägend Leid und Lust,

Zur Eh’ genommen; haben auch hierin

Nicht eurer bessern Weisheit widerstrebt,

Die frei uns beigestimmt. – Für alles, Dank!

Nun wisst ihr, hat der junge Fortinbras,

Aus Minderschätzung unsers Werts und denkend,

Durch unsers teuren sel’gen Bruders Tod

Sei unser Staat verrenkt und aus den Fugen:

Gestützt auf diesen Traum von seinem Vorteil,

Mit Botschaft uns zu plagen nicht ermangelt

Um Wiedergabe jener Länderein,

Rechtskräftig eingebüßt von seinem Vater

An unsern tapfern Bruder. – So viel von ihm;

Nun von uns selbst und eurer Herberufung.

So lautet das Geschäft: wir schreiben hier

An Norweg, Ohm des jungen Fortinbras,

Der schwach, bettlägrig, kaum von diesem Anschlag

Des Neffen hört, desselben fernern Gang

Hierin zu hemmen; sintemal die Werbung,

Bestand und Zahl der Truppen, alles doch

Aus seinem Volk geschieht; und senden nun,

Euch, wackrer Voltimand, und Euch, Cornelius,

Mit diesem Gruß zum alten Norweg hin;

Euch keine weitre Vollmacht übergebend,

[16]Zu handeln mit dem König, als das Maß

Der hier erörterten Artikel zulässt.

Lebt wohl, und Eil’ empfehle Euren Eifer.

CORNELIUS UND VOLTIMAND.

Hier, wie in allem, wollen wir ihn zeigen.

KÖNIG.

Wir zweifeln nicht daran. Lebt herzlich wohl.

(Voltimand und Cornelius ab.)

Und nun, Laertes, sagt, was bringt Ihr uns?

Ihr nanntet ein Gesuch: was ist’s, Laertes?

Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden

Und Euer Wort verlieren. Kannst du bitten,

Was ich nicht gern gewährt’, eh du’s verlangt?

Der Kopf ist nicht dem Herzen mehr verwandt,

Die Hand dem Munde dienstgefäll’ger nicht,

Als Dänmarks Thron es deinem Vater ist.

Was wünschest du, Laertes?

LAERTES.

    Hoher Herr,

Vergünstigung, nach Frankreich rückzukehren,

Woher ich zwar nach Dänmark willig kam,

Bei Eurer Krönung meine Pflicht zu leisten;

Doch nun, gesteh ich, da die Pflicht erfüllt,

Strebt mein Gedank’ und Wunsch nach Frankreich hin

Und neigt sich Eurer gnädigen Erlaubnis.

KÖNIG.

Erlaubt’s der Vater Euch? Was sagt Polonius?

POLONIUS.

Er hat, mein Fürst, die zögernde Erlaubnis

Mir durch beharrlich Bitten abgedrungen,

Dass ich zuletzt auf seinen Wunsch das Siegel

Der schwierigen Bewilligung gedrückt.

Ich bitt Euch, gebt Erlaubnis ihm zu gehn.

[17]KÖNIG.

Nimm deine günst’ge Stunde: Zeit sei dein

Und eigne Zierde; nutze sie nach Lust. –

Doch nun, mein Vetter Hamlet und mein Sohn –

HAMLET

(beiseite). Mehr als befreundet, weniger als Freund.

KÖNIG.

Wie, hängen stets noch Wolken über Euch?

HAMLET.

Nicht doch, mein Fürst, ich habe zu viel Sonne.

KÖNIGIN.

Wirf, guter Hamlet, ab die nächt’ge Farbe,

Und lass dein Aug’ als Freund auf Dänmark sehn.

Such nicht beständig mit gesenkten Wimpern

Nach deinem edlen Vater in dem Staub.

Du weißt, es ist gemein: was lebt, muss sterben

Und Ew’ges nach der Zeitlichkeit erwerben.

HAMLET.

Ja, gnäd’ge Frau, es ist gemein.

KÖNIGIN.

    Nun wohl,

Weswegen scheint es so besonders dir?

HAMLET.

Scheint, gnäd’ge Frau? Nein, ist; mir gilt kein scheint.

Nicht bloß mein düstrer Mantel, gute Mutter,

Noch die gewohnte Tracht von ernstem Schwarz,

Noch stürmisches Geseufz beklemmten Odems,

Noch auch im Auge der ergieb’ge Strom,

Noch die gebeugte Haltung des Gesichts,

Samt aller Sitte, Art, Gestalt des Grames

Ist das, was wahr mich kundgibt; dies scheint wirklich:

Es sind Gebärden, die man spielen könnte.

[18]Was über allen Schein, trag ich in mir;

All dies ist nur des Kummers Kleid und Zier.

KÖNIG.

Es ist gar lieb und Eurem Herzen rühmlich, Hamlet,

Dem Vater diese Trauerpflicht zu leisten.

Doch wisst, auch Eurem Vater starb ein Vater;

Dem seiner, und der Nachgelassne soll,

Nach kindlicher Verpflichtung, ein’ge Zeit

Die Leichentrauer halten. Doch zu beharren

In eigenwill’gen Klagen, ist das Tun

Gottlosen Starrsinns; ist unmännlich Leid;

Zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt,

Ein unverschanztes Herz und wild Gemüt;

Zeigt blöden, ungelehrigen Verstand.

Wovon man weiß, es muss sein; was gewöhnlich

Wie das Gemeinste, das die Sinne rührt:

Weswegen das in mürr’schem Widerstande

Zu Herzen nehmen? Pfui! es ist Vergehn

Am Himmel; ist Vergehen an dem Toten,

Vergehn an der Natur; vor der Vernunft

Höchst töricht, deren allgemeine Predigt

Der Väter Tod ist, und die immer rief

Vom ersten Leichnam bis zum heut verstorbnen:

»Dies muss so sein.« Wir bitten, werft zu Boden

Dies unfruchtbare Leid, und denkt von uns

Als einem Vater; denn wissen soll die Welt,

Dass Ihr an unserm Thron der Nächste seid,

Und mit nicht minder Überschwang der Liebe,

Als seinem Sohn der liebste Vater widmet,

Bin ich Euch zugetan. Was Eure Rückkehr

Zur hohen Schul’ in Wittenberg betrifft,

[19]So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,

Und wir ersuchen Euch, beliebt zu bleiben,

Hier in dem milden Scheine unsers Augs,

Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.

KÖNIGIN.

Lass deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet:

Ich bitte, bleib bei uns, geh nicht nach Wittenberg.

HAMLET.

Ich will Euch gern gehorchen, gnäd’ge Frau.

KÖNIG.

Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort.

Seid wie wir selbst in Dänmark. – Kommt, Gemahlin!

Dies will’ge, freundliche Nachgeben Hamlets

Sitzt lächelnd um mein Herz; und dem zu Ehren

Soll das Geschütz heut jeden frohen Trunk,

Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,

Und wenn der König anklingt, soll der Himmel

Nachdröhnen ird’schem Donner. – Kommt mit mir.

(König, Königin, Laertes und Gefolge ab.)

HAMLET.

O schmölze doch dies allzu feste Fleisch,

Zerging’ und löst’ in einen Tau sich auf!

Oder hätte nicht der Ew’ge sein Gebot

Gerichtet gegen Selbstmord! – O Gott! o Gott!

Wie ekel, schal und flach und unersprießlich

Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!

Pfui! pfui darüber! ’s ist ein wüster Garten,

Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut

Erfüllt ihn gänzlich. Dazu musst’ es kommen!

Zwei Mond’ erst tot! – nein, nicht so viel, nicht zwei;

Solch trefflicher Monarch! der neben diesem

Apoll bei einem Satyr; so meine Mutter liebend,

[20]Dass er des Himmels Winde nicht zu rau

Ihr Antlitz ließ berühren. Himmel und Erde!

Muss ich gedenken? Hing sie doch an ihm,

Als stieg’ der Wachstum ihrer Lust mit dem,

Was ihre Kost war. Und doch in einem Mond –

Lasst mich’s nicht denken! – Schwachheit, dein Nam’ ist Weib! –

Ein kurzer Mond; bevor die Schuh’ verbraucht,

Womit sie meines Vaters Leiche folgte,

Wie Niobe, ganz Tränen – sie, ja sie;

O Himmel! würd ein Tier, das nicht Vernunft hat,

Doch länger trauern. – Meinem Ohm vermählt,

Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich

Wie ich dem Herkules: in einem Mond!

Bevor das Salz höchst frevelhafter Tränen

Der wunden Augen Röte noch verließ,

War sie vermählt! – O schnöde Hast, so rasch

In ein blutschänderisches Bett zu stürzen!

Es ist nicht und es wird auch nimmer gut.

Doch brich, mein Herz! denn schweigen muss mein Mund.

(Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.)

HORATIO.

Heil Eurer Hoheit!

HAMLET.

Ich bin erfreut, Euch wohl zu sehn.

Horatio – wenn ich nicht mich selbst vergesse?

HORATIO.

Ja, Prinz, und Euer armer Diener stets.

HAMLET.

Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen.

Was macht Ihr hier von Wittenberg, Horatio?

Marcellus?

MARCELLUS.

    Gnäd’ger Herr –

[21]HAMLET.

Es freut mich, Euch zu sehn. Habt guten Abend.

Im Ernst, was führt Euch weg von Wittenberg?

HORATIO.

Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz.

HAMLET.

Das möcht ich Euren Feind nicht sagen hören.

Noch sollt Ihr meinem Ohr den Zwang antun,

Dass Euer eignes Zeugnis gegen Euch

Ihm gültig wär. Ich weiß, Ihr geht nicht müßig.

Doch was ist Eu’r Geschäft in Helsingör?

Ihr sollt noch trinken lernen, eh Ihr reist.

HORATIO.

Ich kam zu Eures Vaters Leichenfeier.

HAMLET.

Ich bitte, spotte meiner nicht, mein Schulfreund;

Du kamst gewiss zu meiner Mutter Hochzeit.

HORATIO.

Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf.

HAMLET.

Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne

Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.

Hätt ich den ärgsten Feind im Himmel lieber

Getroffen, als den Tag erlebt, Horatio!

Mein Vater – mich dünkt, ich sehe meinen Vater.

HORATIO.

Wo, mein Prinz?

HAMLET.

    In meines Geistes Aug’, Horatio.

HORATIO.

Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König.

HAMLET.

Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,

Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.

HORATIO.

Mein Prinz, ich denk, ich sah ihn vor’ge Nacht.

HAMLET.

Sah? wen?

HORATIO.

    Mein Prinz, den König, Euren Vater.

HAMLET.

Den König, meinen Vater?

HORATIO.

Beruhigt das Erstaunen eine Weil’

Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,

[22]Auf die Bekräftigung der Männer hier,

Euch kann berichten.

HAMLET.

Um Gottes willen, lasst mich hören.

HORATIO.

Zwei Nächte nacheinander war’s den beiden,

Marcellus und Bernardo, auf der Wache

In toter Stille tiefer Mitternacht

So widerfahren. Ein Schatte wie Eu’r Vater,

<Geharnischt, ganz in Wehr, von Kopf zu Fuß,>

Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt

Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal

Vor ihren starren, furchtergriffnen Augen,

So dass sein Stab sie abreicht; während sie,

Geronnen fast zu Gallert durch die Furcht,

Stumm stehn und reden nicht mit ihm. Dies nun

In banger Heimlichkeit vertraun sie mir.

Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;

Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,

Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,

Kommt das Gespenst. Ich kannte Euren Vater:

Hier diese Hände gleichen sich nicht mehr.

HAMLET.

Wo ging dies aber vor?

MARCELLUS.

Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten.

HAMLET.

Ihr sprachet nicht mit ihm?

HORATIO.

    Ich tat’s, mein Prinz,