Handling Shit - Dr. Frederik Hümmeke - E-Book

Handling Shit E-Book

Dr. Frederik Hümmeke

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Beschreibung

SHIT steht für Stress, Heuchler, Idioten und Temperamente – die wichtigsten Verursacher von belastenden Situationen im Berufs- und Privat­leben. Der Unternehmer und Coach Dr. Frederik Hümmeke vermittelt dem Leser in "Handling SHIT" leicht erlernbare Strategien, um SHIT-Situationen zu verstehen, zu entschärfen … und sogar zum eigenen Vorteil zu nutzen. Anhand von zahlreichen Beispielen aus der Praxis zeigt Frederik, wie es jedem gelingt, in kritischen Situationen gelassen und besonnen zu reagieren. Dabei führt er Erkenntnisse der Neurowissenschaft, der Verhaltensphilosophie und der Kulturphilosophie zu einem innovativen Ansatz zusammen. Lernen auch Sie, jederzeit souverän und wirksam mit schwierigen Personen und kritischen Situationen umzugehen und SHIT an sich abperlen zu lassen.

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Seitenzahl: 374

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Copyright 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Johanna Wack

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Lektorat: Christoph Landgraf

Korrektorat: Sebastian Politz

ISBN 978-3-86470-745-2

eISBN 978-3-86470-746-9

Ein erweitertes Quellen- und Referenzverzeichnis ist hinterlegt unter www.handlingshit.de/quellen.

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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FÜR MEINE FAMILIE

Meinem Vater, der mich hat wachsen lassen.Meiner Mutter, die immer für mich da war.Meiner Frau und meiner Tochter,ich bin froh und dankbar, dass es euch gibt.

DR. FREDERIK HÜMMEKE

HANDLINGSHIT

Der richtige Umgangmit schwierigen Personenund Situationen

INHALT

VORWORT VON MARTIN LIMBECK

1. EINE EINLEITUNG

2. VIER TYPEN SHIT – EINE ÜBERSICHT

2.1 STRESS

2.1.1 Neurologische Grundlagen von Stress

2.1.2 4F in der Praxis

2.2 HYPOKRITEN

2.3 IDIOTEN

2.3.1 Die weiße Triade

2.3.2 Die dunkle Triade

2.3.3 Gastkapitel von Michael Ehlers – Die weiße Triade und rhetorische Werkzeuge

2.4 TEMPERAMENTE

2.5 WARUM WIR TUN, WAS WIR TUN – DIE GENESE VON VERHALTEN

2.5.1 Offenheit: Intellekt & Erleben

2.5.2 Extraversion: Dominanz & Enthusiasmus

2.5.3 Neurotizismus: Volatilität & Rückzug

2.5.4 Verträglichkeit: Politeness & Empathie

2.5.5 Gewissenhaftigkeit: Fleiß & Ordnung

2.5.6 Individuelle und soziale Psychodynamik

3. WANN UND WARUM WIR SHIT ERWARTEN KÖNNEN

3.1 NOCH EINMAL STRESS: WANN SHIT ZUSCHLÄGT

3.2 NOCH MEHR ÜBER STRESS: DAS BÖSE SIEGT IMMER

3.3 WAS DER STRESS DER ANDEREN MIT IHNEN ZU TUN HAT

4. HALTUNG: WIE SHIT IHNEN HILFT, ZU WACHSEN

4.1 DAS GESCHICHTSBUCH (WERKZEUG)

4.2 DIE CHANCEN-MAP (WERKZEUG)

5. ROLLEN: OPFER ODER HELD, WAS WOLLEN SIE SEIN?

5.1 KONTROLLE IM KOPF: RESPONSE-ABILITY (WERKZEUG)

5.1.1 Response-Ability 1: Stress reduzieren

5.1.2 Response-Ability 2: Dynamik verstehen und fokussiert handeln

5.2 RUHE IM KOPF: ACHTSAMKEIT (WERKZEUG)

5.3 RUHE FÜR AHA-ERLEBNISSE

5.4 KINDERKACKE – EIN LEBEN LANG, AUCH OHNE KINDER

6. GEGEN DIE INTUITION: NICHT AUF DEN ANGRIFF ANTWORTEN, NICHT ABWEHREN

6.1 DIE SHITMAP ZUR VORBEREITUNG (WERKZEUG)

6.2 ZWÖLF VERBALE KONTERWERKZEUGE

6.2.1 Die Rückfrage

6.2.2 Die Beweisanforderung

6.2.3 Das Schlüsselwort

6.2.4 Die Metakommunikation

6.2.5 Ich-Aussage

6.2.6 Die Verbalisierung

6.2.7 Der Rollenverweis

6.2.8 Das Weiterdenken (Ja, und …)

6.2.9 Die Interpretation

6.2.10 Der Sachfokus

6.2.11 Das Kontrastieren

6.2.12 Die Weiterleitung

6.2.13 BONUS: Die Paradoxe Intervention

6.2.14 Gastkapitel von Alexander Hartmann und Vanessa Buchner – Preventing SHIT – SHIT vermeiden in drei Schritten

7. ERFOLGREICH ABGEWEHRT – WAS NUN!?

7.1 DAS WIRKSAME INSIDE BEIM OUTSIDE

7.2 DAS „DIRECTION OF FOCUS“-MODELL

7.3 SHIT KLÄREN – ABER WANN?

7.4 SHIT-GESPRÄCHE BEGINNEN

7.5 SHIT-GESPRÄCHE FÜHREN

7.5.1 Bitte nicht! Die Don’ts

7.5.2 Wie geht es also richtig? 5+M!

7.6 GESPRÄCHE MIT ZÄHEM SHIT

7.6.1 Was den SHIT so zäh macht

7.6.2 Denkmuster verändern

7.7 ERLEBEN WIRKT

8. SHIT HANDLED! EINE ERFOLGSGESCHICHTE

8.1 DIE BAUSTEINE ZUM ERFOLG

8.2 DIE SHITMATRIX (WERKZEUG)

8.3 MENSCHEN FÜR SICH GEWINNEN

8.3.1 Offenheit

8.3.2 Extraversion

8.3.3 Neurotizismus

8.3.4 Verträglichkeit

8.3.5 Gewissenhaftigkeit

8.4 EINMAL SHIT UND ZURÜCK

8.5 KONKRETE STRATEGIEN FÜR SHIT-VERHALTEN

8.5.1 Aktive SHIT-Verhaltenstypen

8.5.2 Passive SHIT-Verhaltenstypen

9. IMMER WIEDER SHIT.IMMER WIEDER DÜNGER!

VORWORT

VON MARTIN LIMBECK

Endlich! Endlich ist es da. Das erste Buch von Dr. Frederik Hümmeke. Endlich, denn es ist das Buch, das ich gerne bereits zu Beginn meiner Karriere als Verkäufer in den Händen gehabt hätte. Das hätte mir viel Ärger und noch mehr Stress gespart. Genau den Stress und den Ärger, der dich nächtelang umtreibt. Und dir so unglaublich viel Energie raubt, die du besser in andere Dinge investiert hättest.

Dieses Buch hätte mir erlaubt, mich von Anfang an auf das zu konzentrieren, wofür ich brenne: das Verkaufen.

Handling SHIT ist ein Buch über den Umgang mit schwierigen Personen und herausfordernden Situationen. Oft genug bist du im Job und im Privatleben Blitzableiter für andere. Zu viele Menschen sind von Personen umgeben, die andere Menschen kleinhalten wollen, die ihnen auf die eine oder andere Art deutlich machen: Das bekommst du nicht hin. So wie du es machst, ist es falsch. Oder sogar: Du bist falsch. Da es nicht mein Buch, sondern mein Vorwort ist, erlaube ich mir in meiner Ruhrpott-Manier, diese Personen so zu nennen, wie sie es verdient haben: Ärsche! Was für ein großartiger Titel Handling SHIT allein deshalb ist!

Als pummeliges, rothaariges Kind im Ruhrpott habe ich mir, was Stress und schwierige Personen angeht, ein ziemlich dickes Fell zulegen müssen. Da, wo ich „wech komm“, gab es von beidem schon immer genug. Schön war das nicht. Doch ich bin daran gewachsen. Und heute bin ich so erfolgreich in dem was ich tue, dass ich keinem mehr etwas beweisen muss.

Doch auch ich erlebe immer noch Situationen, die mich unglaublich stressen. Momente mit anderen Menschen, in denen ich mich angegriffen und verletzt fühle. Im Laufe der Jahre bin ich deutlich besser darin geworden. Ab und an greife ich jedoch in so einem Fall zum Telefonhörer, rufe Frederik an und hole mir Hilfe. Er fordert mich dann auf, einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen: „Was hat der Stress der anderen mit mir zu tun?“ Und die Antwort lautet meistens: Nichts! Dass die neurowissenschaftlich basierten Methoden von Frederik funktionieren, weiß ich deshalb aus eigener Erfahrung. Sie funktionieren im doppelten Sinne des Worts einfach. Ob du daran glaubst oder nicht.

Das Beste an Frederiks Handling-SHIT-Programm ist für mich jedoch, dass es nicht nur mit leicht erlernbaren Strategien dabei hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Dinge richtig einzuordnen, wenn es heiß hergeht. Mindestens genauso toll ist, dass er in dem Buch klar aufzeigt, wie du schwierige Situationen und Gespräche als Dünger für das eigene Wachstum nutzt und aus persönlichen Angriffen gestärkt und mit ehrlichem Erfolg herausgehst.

Wenn ich es mir genauer überlege, wünsche ich mir lieber doch nicht, dass ich dieses Buch bereits am Anfang meines Berufslebens hätte lesen können. Denn dann hätte ich Frederik vermutlich nicht kennengelernt. Einen der klügsten Köpfe, die ich bisher treffen durfte. Ein Wissenschaftler und Unternehmer mit einem ganz anderen Hintergrund als meinem. Und doch mit dem gleichen Ziel: die Menschen um sich herum erfolgreicher zu machen.

Lieber Frederik, ich wünsche dir viel Erfolg mit diesem Titel. Und den hoffentlich zahlreichen Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Erfolg mit den Methoden, die dieses Buch vermittelt. Und dass sie beim Lesen genauso viel Spaß haben werden, wie du offenbar beim Schreiben hattest.

Dein Martin Limbeck

Martin Limbeck, Inhaber der Limbeck® Group, ist Vollblutunternehmer, Wirtschaftssenator (EWS), Mitglied des BVMW-Bundeswirtschaftssenats sowie einer der führenden Experten für Sales und Sales Leadership in Europa. Als Kind des Ruhrgebiets nimmt er kein Blatt vor den Mund, sondern sagt klar, wahr und auf den Punkt, was Sache ist. Der Blended-Learning-Fachmann und vierfache Bestsellerautor hat es sich zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit seinem Team Unternehmen dabei zu unterstützen, ihren Vertrieb auf den Punkt zu bringen. Das Motto der Limbeck® Group: Vertrieb. Macht. Zukunft.

EINS

EINE EINLEITUNG

Der Umgang mit schwierigen Menschen ist herausfordernd. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist der Umgang mit ihnen für die meisten von uns nicht nur herausfordernd, sondern wirklich problematisch. Und schwierige Menschen sind nicht nur für uns persönlich problematisch, sondern können im Berufsleben echte Störfaktoren sein, die unseren persönlichen Zielen und den Unternehmenszielen im Weg stehen.

Schwierige Menschen machen uns das Leben schwer. Wir können ihnen im Betrieb, im Büro oder im Meeting, in Familie und Freundeskreis nicht immer ausweichen. Wir müssen deshalb, wenn wir erfolgreich sein wollen, Strategien entwickeln, um mit schwierigen Menschen auskommen und erfolgreich mit ihnen zusammenarbeiten zu können. Unser Glück ist, dass es nur wenige Menschen gibt, die per se und in allen Situationen schwierig sind. Meist sind es bestimmte Situationen, in denen sich jemand aus unserer Sicht wie ein kompletter Idiot verhält. Und umgekehrt gibt es immer wieder Situationen, in denen wir selbst uns im Nachhinein betrachtet wie komplette Idioten aufgeführt haben. Echte SHITuations eben.

Aus meinen Seminaren und Coachings weiß ich, dass viele Menschen, die sich mit dem beschäftigen, was ich – zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Faktoren – SHIT-Verhalten nenne, eine ganz bestimmte Auslösersituation im Hinterkopf haben, in der sie gar nicht gut aussahen und die ihnen Schwierigkeiten bereitete, oder sie an eine bestimmte Person denken, die ihnen das Leben durch ihr Verhalten schwer macht.

In diesem Buch verrate ich Ihnen die entscheidenden Methoden und Tricks, sodass Sie beim nächsten Mal die richtige Antwort geben und besser reagieren können. Ich werde Ihnen ein Best-of praxiserprobter, wissenschaftlich fundierter Strategien und Werkzeuge vorstellen, die Ihnen vor allem im Berufsleben helfen werden, souverän durch die größten Schwierigkeiten und – wenn es hart auf hart kommt – die größten „Sauereien“ des menschlichen Verhaltens zu navigieren.

Auf dem Weg zu einem souveränen und erfolgreichen Umgang mit schwierigen Situationen ist der erste und wichtigste Schritt, und zwar noch weit bevor wir uns dem Gegenüber zuwenden, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. Ein Beispiel aus meinem eigenen Erleben soll Ihnen verdeutlichen, warum es wichtig ist, diesen Umweg zu nehmen:

Ich war 24 Jahre alt. Unser Beratungsunternehmen hatte durch ein paar Kontakte und durch einen sehr glücklichen Umstand die Möglichkeit bekommen, einen in der Region beheimateten Weltmarktführer als Mandanten zu gewinnen. Der für uns glückliche Umstand war, dass die Unternehmensführung sehr unzufrieden mit einer sehr bekannten und sehr großen Unternehmensberatung war. Die hatten nämlich ihr Projekt so gründlich gegen die Wand gefahren, dass man nun bereit war, es mit einem kleinen Newcomer zu probieren. Nur deshalb klingelte bei uns das Telefon. Man war sich sympathisch und wir starteten eine erste Analysephase. Nach ein paar Wochen durfte ich dem Vorstand das Ergebnis dieser Analyse vortragen. Eines der Ergebnisse lautete, dass die Innovation, auf die man im Unternehmen große Stücke hielt und in die man bereits einige Millionen Euro gesteckt hatte, deswegen nicht so am Markt performte, wie man sich das im Vorstand gewünscht hatte, weil sie nicht sauber im Vertrieb gemanagt wurde. Auch das Preismanagement fanden wir unpassend. Wir sahen jedenfalls klare Fehler auf Unternehmensseite und ich benannte sie. Mit einem stolzen Nicken in die Runde beendete ich den Vortrag und sah überhaupt nicht kommen, dass der SHIT mit Vollgas – losgeschickt in Form einer einfachen Frage des Vertriebschefs – auf mich zuschwappte: „Und was genau befähigt denn Sie zu dieser Analyse?“

Ich war auf ziemlich viel vorbereitet, hatte meine Zahlen parat, war in jedem Slide der Präsentation zu Hause. Aber auf den in dieser Frage enthaltenen Vorwurf, ein dummer und ahnungsloser Junge zu sein, hatte ich zunächst keine passende Antwort. Vielleicht hatte der Vertriebschef sogar recht. Hatte ich denn schon genügend Erfahrung vorzuweisen mit meinen 24 Jahren? Auf welche erfolgreichen Projekte konnte ich verweisen? Jetzt bloß nicht nervös werden. Ich spürte das Adrenalin einschießen. Der Magen krampfte sich zusammen. Mein Verhalten in dieser SHIT-Situation – meine Antwort auf diesen Angriff – würde jetzt den Unterschied machen zwischen Sekt oder Selters.

Solche oder ähnliche Situationen kennen Sie alle, denn Sie begleiten uns durch unser Berufsleben: unangenehme Fragen während der Präsentation, die uns aus dem Konzept bringen (sollen), ungerechtfertigte Anschuldigungen bis hin zum Mobbing, verborgene Motive (hidden agendas) oder einfach schlecht gelaunte Menschen. Solange wir mit Menschen arbeiten, werden wir solche Situationen nicht gänzlich verhindern können. Die entscheidenden Fragen bleiben deshalb: Wie kann ich die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass ich selbst durch mein Verhalten unbeabsichtigt einen SHIT-Storm auslöse? Und wie kann ich eine entsprechende Situation gewinnbringend auflösen, wenn ich bereits durch eigenes Verhalten oder durch das Verhalten von anderen hineingeraten bin?

Das Verstehen des Gegenübers und daraus abgeleitet ein Verstehen seines Verhaltens sind die Grundsteine für eine gelungene Interaktion. Aus dieser Logik heraus geht es darum, zu erkennen, was den Vertriebschef in dieser Situation zu seinem Verhalten, nämlich einen persönlichen Angriff auf mich, motiviert haben könnte.

Sein Angriff auf mich war natürlich eine bewusste Reaktion auf meinen Hinweis, dass die Innovation im Vertrieb nicht sauber gemanagt wurde – den er als Verantwortlicher mindestens als Angriff auf seine Arbeit, wenn nicht sogar auf ihn persönlich verstehen musste. Er fühlte sich von mir bloßgestellt. Ich selbst hatte den Mann also durch mein Verhalten in eine Verteidigungsstrategie gebracht. War ich vielleicht eine SHIT-Person für ihn? Seine Verteidigungsstrategie jedenfalls war ein Angriff auf mich, indem er meine Kompetenz und meine Autorität öffentlich infrage stellte. Dabei wäre diese Eskalation leicht zu vermeiden gewesen. Was ich gebraucht hätte, wäre ein Weg, meine Fakten wahrheitsgemäß zu präsentieren, ohne ihn bloßzustellen oder ihm das Gefühl zu geben, sich verteidigen zu müssen. Diese Wege gibt es.

Die geschilderte Situation und der SHIT-Auslöser sind natürlich vergleichsweise leicht zu analysieren. Aber es gibt auch immer wieder Situationen im Berufsleben, deren Analyse wesentlich schwieriger ist. Wie kann es sein, dass zehn kluge und gutwillige Fachleute in einen Meetingraum gehen und 30 Minuten später bricht darin die Hölle los? Hinterher weiß niemand, worin der Unterschied zum letzten Mal bestand, als dieselben zehn Fachleute in denselben Raum gingen und doch nach 30 Minuten ein hervorragendes Ergebnis zustande gebracht hatten.

Um die Auslöser und die auslösenden Strukturen dahinter zu erkennen, müssen wir sehr genau hinsehen. Am besten bis tief hinein in die Funktionsstruktur unseres Gehirns. Und am allerbesten fangen wir damit bei uns selbst an.

Was passiert mit uns und was geht in unserem Gehirn vor sich, wenn wir uns wie ein ausgewiesener Idiot verhalten? Welche Faktoren machen unser Verhalten schwierig für andere? Und welche Faktoren am Verhalten anderer Menschen empfinden wir – und aus welchen Gründen – als schwierig?

Um gut mit SHIT umgehen zu können, ist es wichtig zu verstehen, was SHIT in uns auslöst. Welche Konsequenzen hat SHIT für uns selbst und für unsere Mitmenschen? Dauerhafter SHIT kann nicht nur tiefgreifende gesundheitliche oder psychologische Konsequenzen haben, sondern SHIT beeinflusst uns vor allem in der konkreten Situation negativ. Dabei sind das zumeist genau die Situationen, in denen wir eigentlich all unsere Kompetenz und Souveränität bräuchten. Aber es wird noch schlimmer. Dieser SHIT beeinflusst nicht nur die aktuelle, sondern auch kommende Situationen beziehungsweise unsere Einstellung gegenüber zukünftigen Situationen. Wenn wir einmal eine Präsentation in den Sand gesetzt haben, kommt vor der nächsten unweigerlich die Frage auf, ob es dieses Mal wieder so blamabel wird, was die Leute denken werden et cetera. SHIT kann uns unglaublich runterziehen. Und das für einen Zeitraum, der weit über die konkrete Situation hinausreicht.

Die gute Nachricht ist, dass wir SHIT nicht hilflos ausgeliefert sind. Denn auf welche Weise wir den Stress und die Konsequenzen, die damit verbunden sind, erleben, wird maßgeblich von unserer subjektiven Erlebniswelt bestimmt. Wenn dich jemand anbrüllt, weil er gerade einen miesen Tag hat, was hat das mit dir zu tun? Es sind doch erst einmal nur Schallwellen, die auf dich zukommen und denen du eine Bedeutung gibst. Du fühlst dich gekränkt und unfair behandelt. Aber muss das sein? Eine Situation ist zwar von objektiven Faktoren gekennzeichnet, wie beispielsweise durch die Schallwellen, die der andere produziert, und vielleicht auch durch die weiteren Personen im Raum. Aber es hängt von unserer persönlichen Interpretation dieser Faktoren ab, wie wir die Situation wahrnehmen und ob diese Situation für uns eine positive Herausforderung oder eine SHIT-Situation ist. Beleidigt ein Gegenüber uns, neigen wir natürlich dazu beleidigt zu sein. Verstehen wir aber, dass unser Gegenüber gerade selbst am Limit ist und die Beleidigung seine unschöne, aber einfache Strategie ist, sich selbst besser zu fühlen, indem er oder sie jemand anderen angreift, können wir viel besser einschätzen, ob die Beleidigung wirklich etwas über uns aussagt. Der jeweilige Kontext lädt uns eben nur zu einem bestimmten Erleben ein. Aber er zwingt uns nicht! Mit dem richtigen Wissen und Verständnis können wir unser Erleben völlig autonom generieren, also ganz neu über Situationen nachdenken und konstruktiv und lösungsorientiert mit ihnen umgehen. Dazu müssen wir – und das ist für viele Menschen die schlechte Nachricht – Verantwortung für das eigene Verhalten und Denken übernehmen. Wenn Sie dazu bereit sind, lade ich Sie ein, weiterzulesen.

Das Ziel ist es, sich selbst nicht als hilfloses und passives Opfer einer stressigen Situation zu erfahren, sondern als aktive handelnde Person, die den Stress meistert. Denn genau das ist es, was Heuchler, Idioten und verschiedene Temperamente in uns auslösen … Stress! Das Fundament von SHIT. Erst wenn wir diese Ebene im Griff haben, wirken die konkreten Kommunikationsmethoden, die wir später besprechen werden, vollends.

ZWEI

VIER TYPEN SHIT – EINE ÜBERSICHT

2.1STRESS

In der Psychologie beschreibt Stress eine bestimmte physiologischemotionale Reaktion, die bei Menschen dann eintritt, wenn es zu einem gefühlten oder echten Kontrollverlust kommt. In der Regel fühlen wir uns in SHIT-Momenten nicht, als hätten wir alles unter Kontrolle, sie führen ganz im Gegenteil zu massiven körperlichen wie psychischen Reaktionen, durch die wir uns oft wie ferngesteuert oder von uns selbst oder der Situation distanziert fühlen. Die Kontrolle ist uns entglitten, wir agieren nicht mehr überlegt, sondern reagieren nur noch.

Wenn viel auf dem Spiel stand, wenn Zeitdruck herrschte oder im zwischenmenschlichen Bereich ein Konflikt aufbrach, sind wir häufig im Nachhinein nicht zufrieden mit unserem Verhalten und mit den erreichten Ergebnissen. Im Extremfall kann es in einer heiklen Situation sogar zu einem Blackout kommen – wir wissen nicht mehr, was wir tun und wie wir reagieren sollen. Es ist das Sinnbild des Kontrollverlusts. In der Rückschau wünschen wir uns nur noch, souveräner reagiert zu haben. Oder uns fallen Tage später die besseren Lösungen und klügeren Erwiderungen ein. Und dann hadern wir oft zusätzlich mit uns und werfen uns selbst vor, dass uns diese Lösungen nicht gleich in der Situation eingefallen sind. Daneben belasten uns häufig noch die ungeklärten Konflikte auf der persönlichen Ebene, die vielleicht in einem aus dem Ruder gelaufenen Gespräch oder Meeting entstanden sind und die danach weiter vor sich hin schwelen und sich natürlich negativ auf Folgesituationen auswirken werden.

Zudem ist der Mensch nach bisherigen Erkenntnissen das einzige Lebewesen auf diesem Planeten, das sich gleich doppelt Stress macht. Wir leiden nämlich, wie jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten, an direkten Stressauslösern. Potente Stressoren abseits von direkt lebensbedrohlichen Situationen – die bei uns Stress auslösen – sind beispielsweise:

Verbale oder sogar echte körperliche Angriffe durch Mitmenschen

Kritische Situationen, wie die wichtige Prüfung, die ausgebrochene Krise oder der gefährliche Moment beim Heimwerken

Ablehnung und das Gefühl, nicht dazuzugehören, wenn über unseren Witz niemand lacht oder man vergisst, uns zur Party einzuladen

Drohungen und das Heraufbeschwören dramatischer Konsequenzen, wenn zum Beispiel in der Presse der erneute Weltuntergang ausgerufen wird

Darüber hinaus machen wir Menschen uns aber auch noch indirekten Stress: Denken Sie an eine der letzten stressigen Situationen zurück. Wenn Sie diese Situation jetzt im Kopf haben, ließe sich allein ausgelöst durch diese Gedanken eine mindestens milde, aber signifikante Stressreaktion in Ihrem Körper nachweisen. Dies gilt genauso, wenn Sie sich eine mögliche zukünftige negative Situation vorstellen. Je lebendiger und plastischer, desto intensiver wird die Reaktion Ihres Körpers sein. Wenn Sie sich beispielsweise vorstellen, wie es wäre, wenn Sie von einem Dritten vor versammelter Mannschaft angegriffen werden, wenn Ihnen schlampige Arbeit oder unlautere Absichten vorgeworfen werden würden, wird diese Vorstellung bereits eine starke Stressreaktion auslösen. An möglicherweise auftretenden Stress zu denken ist für Menschen ein Stressor an sich.

Im Gegensatz zu Tieren zeigen wir also häufig eine Stressreaktion, wenn wir nur daran denken, dass vielleicht etwas Negatives passieren könnte. Dieses Phänomen heißt „Antizipatorischer Stress“. Bei diesem Stress, wenn er auch nur das Nachdenken über die mögliche negative Zukunft als Ursache hat, aktivieren wir dennoch die gleiche Stressreaktion wie bei realen physischen Gefahren – mit den gleichen physiologischen Auswirkungen.

2.1.1Neurologische Grundlagen von Stress

Ein Schlüsselthema ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie Stress entsteht und wie dieser Zustand in unserem Körper wirkt. Entsprechend lohnt sich der Blick ins Gehirn – also dorthin, wo die Stressreaktion entsteht und von wo sie auf unser Denken, aber auch auf unsere körperlichen Reaktionen wirkt.

Wenn wir uns in einer extremen Stresssituation befinden, nimmt vor allem unsere Fähigkeit ab, rational zu entscheiden. Wir können nicht mehr richtig nachdenken. Dabei benötigen wir doch gerade in diesen Stresssituationen all unsere Kompetenz und all unsere Schlagfertigkeit. Gerade in Stresssituationen wollen wir doch auf unsere sämtlichen Fähigkeiten zurückgreifen können. Die Natur scheint hier bei uns versagt zu haben. Aber das ist natürlich Unsinn. Schuld an diesem gefühlten Dilemma ist das Zusammenspiel zwischen zwei Gehirnarealen, dem limbischen System und dem präfrontalen Cortex, den wir hier frontales System nennen, weil er frontal, vorne im Gehirn ist, direkt hinter Ihrer Stirn also. Das frontale System ist für viele Forscher das Prunkstück unseres Gehirns. Es ist zuständig für das aktive Verstehen, Bewerten und Entscheiden. Es ist unser „Arbeitsspeicher“, in dem sich die klugen und passenden Antworten befinden, die uns in Stresssituationen so oft fehlen. Wenn Sie sich eine Zahlenreihe merken wollen und diese so lange vor sich hinmurmeln, bis sie sitzt, dann passiert dieser kurzzeitige Erinnerungsvorgang im frontalen System. Außerdem ist es Sitz unserer Impulskontrolle, sorgt also dafür, dass wir einen aufmüpfigen Vertriebschef nicht mit der Keule zum Verstummen bringen. Denn genau das wäre vielleicht der Vorschlag des zweiten wichtigen Gehirnareals.

FRONTAL & LIMBISCH

Dieser zweite Bereich, der für unser Thema eine sehr große Rolle spielt, ist das limbische System. In diesem Hirnareal laufen wesentlich grundlegendere – und für unser biologisches Überleben wichtigere – Operationen ab als im frontalen System. Hier werden unsere Emotionen verarbeitet, hier sitzt unser Belohnungssystem und im limbischen System werden auch alle Routinen und Gewohnheiten koordiniert. Wenn Sie sich morgens im Büro wiederfinden und sich fragen, wie Sie dorthin gekommen sind, weil der Weg dorthin bereits wieder im Dunklen liegt und Sie keinerlei Erinnerung daran haben: Das limbische System hat Ihre morgendliche Routine abgespielt und Sie sicher ankommen lassen.

Natürlich arbeiten das frontale und das limbische System eng zusammen. Und wie diese beiden Systeme zusammenarbeiten, beschreibt eingängig das sogenannte „umgekehrte U-Modell“. Dieses Modell bildet folgendes Prinzip ab: Solange wir auf routinierte Verhaltensmuster, also auf unsere automatisierten Abläufe, zurückgreifen können, müssen wir nicht nachdenken. Dann hat das limbische System die Kontrolle. Um das frontale System zu aktivieren, wird ein „Schalter“ benötigt. Ein Schalter in Form einer Herausforderung, die das limbische System allein nicht bewältigen kann. Diese Arbeitsteilung ist evolutionär sehr sinnvoll, denn das frontale System frisst erstaunlich viel Energie auf. Es zu starten und in Betrieb zu halten ist für unseren Körper sehr aufwendig, argumentieren Evolutionsbiologen. Aus diesem Grund verschiebt der Körper so viele Abläufe wie möglich in das limbische System und bildet durch dieses System eine automatisierte Verhaltens- und Denkroutine, die entspannt ohne großen Energieaufwand bei Bedarf im Hintergrund mitläuft.

Wenn ein System von der Evolution über Hunderttausende von Jahren so fein ausbalanciert wurde, sollte man sich darauf verlassen können. Und tatsächlich ist dieses System ideal darauf ausgelegt, um das Überleben in einer feindlichen Welt zu sichern.

So mancher menschliche Blackout beweist jedoch, dass es in unserer modernen Welt hinderlich sein kann. Das liegt daran, dass das frontale System ein „Not-Aus“ beinhaltet. Bei mittlerem Stresslevel läuft unser frontales System auf Hochtouren. Wir sind intellektuell im Flow. Das kennen Sie aus dem Job. Wenn Ihre Aufgaben genau die passenden Herausforderungen an Sie stellen, sind Sie am besten. Sie langweilen sich nicht, fühlen sich aber auch noch nicht alleingelassen und überfordert. Sie sind zuversichtlich, die gestellten Aufgaben lösen zu können. Sie haben alles im Griff und alles ist gut. Wenn aber ein bestimmter Stresslevel überschritten wird, fährt unsere Denkfähigkeit sehr, sehr schnell zurück. Dieses unangenehme „Hilfe, das schaffe ich nicht!“-Gefühl setzt ein. Wir fühlen uns überfordert und reagieren dann im wahrsten Sinne des Wortes kopflos, nämlich mit automatisierten Verhaltensweisen, die uns seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte begleiten. Der Schalter, der das frontale System bedient, ist also eher ein Dimmer. Ganz links ist das frontale System wegen zu wenig Stress aus, auf mittlerer Stellung ist das frontale System voll an, dreht man weiter, geht es wieder aus.

Gehen wir viele Tausend Jahre und noch weiter zurück in der menschlichen Geschichte. In der Savanne lebt eine Gruppe Frühmenschen friedlich ihr Leben. Und Sie sind ein Teil dieser Horde. Ihr Dasein ist weitestgehend geprägt von Instinkten und von seit Generationen trainierten Verhaltensmustern und Routinen. Sie haben einen entspannten Tag, gehen morgens Früchte, Wurzeln und Beeren sammeln und hängen ansonsten ganz entspannt mit Ihren Kumpels ab. Das limbische System hat die Kontrolle. Es lenkt Sie entspannt und automatisiert – energieeffizient eben – zu der Stelle, an der Sie während der ganzen letzten Wochen die dicksten Beeren gefunden haben, es ist eine Stelle, an der Sie und Ihre Horde „schon immer“ Beeren gesammelt haben. Ein weiterer ruhiger Tag in der Savanne eben. Auch am nächsten Tag steht eigentlich außer zu schlafen, Nahrung zu sammeln und abzuhängen nichts weiter auf dem Programm. Sie gehen wieder zu der Stelle mit den ergiebigen Beerenbüschen. Aber ganz überraschend sind an diesem Tag keine Beeren mehr da! Im limbischen System geht das Angst- und Fehlererkennungsprogramm los: Hier stimmt was nicht! Eine messbare Stressreaktion des Körpers ist die Folge. Und je weiter der Stresslevel ansteigt, umso aktiver wird das frontale System.

DAS UMGEKEHRTE U

„Ach herrje … keine Beeren mehr da. Muss ich verhungern? Welches blöde Tier hat die wieder weggefressen?“ Die vom limbischen System ausgelöste Stressreaktion fungiert als Weckruf an den „intellektuellen“ frontalen Gegenspieler: „Keine Beeren mehr da. Wir haben hier ein Problem!“ Und das frontale System sucht die Antworten. Es erkennt das Problem, es bewertet die potenziellen Alternativen und schätzt ein, wo jetzt am meisten zu holen wäre. Das scheint, nach Abwägung aller Faktoren, der Busch da drüben bei dem Hügel zu sein und deshalb laufen Sie – ganz stolz darauf, wie toll Sie das Problem gerade gelöst haben – zum Busch bei dem Hügel. Ihr frontales System ist bereit, sich mit ein paar anderen Regionen des Gehirns in Tagträume zu verabschieden. Gerade wollen Sie entspannt die leckeren und nahrhaften Beeren einsammeln, da erkennt Ihre Alarmfunktion im Gehirn gerade noch rechtzeitig das große Tier hinter dem Busch, das Sie in intellektuellem Stolz übersehen hatten. Diese Alarmfunktion sitzt im limbischen System und dort wiederum in einem Gebiet namens Amygdala. Diese mandelförmige Region begreifen Sie am besten als die Alarmanlage Ihres Gehirns. In dieser Region werden externe Impulse verarbeitet und in Zusammenarbeit mit dem Hypothalamus die vegetativen Reaktionen dazu eingeleitet.

Ein Löwe also! Ihr frontales System würde nun tun, was es immer tut: erkennen, verstehen, bewerten und Impulse hemmen. Sie könnten in dieser Situation versuchen zu verstehen, was der Löwe wohl mit Ihnen machen könnte. Sie könnten versuchen herauszufinden, ob das vielleicht ein sehr alter Löwe ist, mit dem Sie eventuell fertigwerden. Sie könnten abschätzen, ob der überhaupt hungrig aussieht et cetera. Sie könnten den Impuls zum Weglaufen hemmen lassen. Aber weil der Löwe schon sehr, sehr nahe ist, ist unser frontales System an dieser Stelle bereits ausgestiegen und hat die Verantwortung panisch an den handfesten Kollegen abgegeben. Das limbische System hat nach diesem Weckruf der Alarmanlage wieder übernommen und den Körper im wahrsten Sinne des Wortes – nämlich auch physiologisch – auf Überlebenskampf eingestellt.

Alle für die Notsituation irrelevanten körperlichen Systeme werden dank der durch die Amygdala eingeleiteten Ausschüttung von Hormonen und Neurotransmittern blitzschnell heruntergefahren. Dieser Cocktail wirkt sich sofort hemmend auf folgende Funktionssysteme aus:

Verdauungssystem, Immunabwehr und das Immunsystem – denn sich fortpflanzen und Bakterien bekämpfen kann man machen, nachdem man überlebt hat.

Reproduktionssystem, Wachstum und Gewebereparatur – auch hier gilt: erst überleben, dann verdauen und den Zellzimmerservice aufräumen lassen.

Schmerzwahrnehmung, damit wir auch weiterrennen oder weiterkämpfen können, wenn es schon wehtut.

Gleichzeitig führen die Stresshormone zu einer aktivierenden Wirkung. Bei Stress werden buchstäblich alle körperlichen Kräfte mobilisiert:

Schnellere Atmung mit gesteigerter Sauerstoffaufnahme durch Erweiterung der Bronchien, um mehr Energie zu bekommen.

Steigerung von Blutdruck und Puls sowie Weitung der Blutgefäße zur besseren Versorgung auch von Gehirn und Muskeln und um besser reagieren zu können.

Erhöhung des Muskeltonus („Anspannung“), damit schnellere Reaktionen möglich sind.

Selektive Steigerung der Sinne, extreme Fokussierung der Aufmerksamkeit, um noch besser wahrzunehmen, was gerade passiert und um noch reaktionsschneller sein zu können.

Diese körperlichen Reaktionen sollen es uns ermöglichen, mit einer der folgenden evolutionären Strategien am Leben zu bleiben: Angriff, Flucht, Erstarren oder Schutzsuche in der großen Gruppe, vor der der Löwe hoffentlich Angst hat! Und wenn nicht, besteht immer noch die Hoffnung, dass er jemand anderen frisst.

Diese vier Strategien nenne ich die 4F. Die 4F stehen für Fight, Flight, Freeze und – wenn man den Schutz in der Gruppe sucht – Flock. Übersetzt bedeuten die 4F Angriff/Aggression, Flucht, Erstarren und Zusammenrotten. Manchmal wird in der deutschen Übersetzung für Freeze statt „Erstarren“ auch „Totstellen“ genutzt. Ich bevorzuge deshalb den Begriff Erstarren, weil es sich bei dem damit beschriebenen Verhalten um einen Automatismus handelt. Der Begriff „Totstellen“ (auch „sich tot stellen“) impliziert dagegen eine aktive, fast schon bewusste Beteiligung, die in Stresssituationen aber nicht gegeben ist. Wenn Sie schon einmal während einer Präsentation erstarrt sind, nämlich einen Blackout hatten, wissen Sie, was ich meine.

Bei den 4F handelt es sich um grundlegende, evolutionär geprägte und in ihrer Systematik genetisch festgelegte Verhaltensweisen, auch Fixed Action Patterns genannt, die sich immer dann zeigen, wenn der Stresslevel über ein moderates Niveau hinausgeht. Jedes F steht dabei als Oberbegriff für eine Reihe von Verhaltensweisen, die damals für uns Menschen und für Affenmännchen oder -weibchen auch heute noch bei der überraschenden Begegnung mit einem Löwen Erfolg versprechend wären. Wenn der Löwe weit genug weg ist, verlassen wir uns noch auf die Fähigkeiten unseres frontalen Systems. Wir suchen bewusst eine Lösung: Vielleicht können wir auf den Baum dort klettern? Aber können Löwen nicht auch klettern? Oder ins Wasser flüchten? Aber leben da nicht auch gefährliche Tiere? Kann ich mich verteidigen? All dies sind Fragen, über die wir nachdenken, und Lösungsalternativen, die wir abwägen – wenn wir die Zeit dazu haben. Das passiert, wenn wir noch moderaten Stress empfinden, also in der Mitte des umgekehrten U. Aber je näher der Löwe kommt, umso weniger glaubt unser Gehirn noch, dass Abwägen wirklich hilft – denn ab einem gewissen Zeitpunkt, weit genug rechts im U, helfen nur noch die genannten Strategien: entweder Angriff, Flucht, Totstellen oder Schutzsuche in der großen Gruppe. In der beschriebenen Situation, in der Sie der Löwe bei der Suche nach Beeren überrascht, bleibt keine Zeit mehr zum Nachdenken. Sie rennen um Ihr Leben. Und im Notfall kämpfen Sie um Ihr Leben.

Die folgende Grafik zeigt einige Beispiele der typischen Reaktionen innerhalb der 4F, die wir bei Personen unter Stress und natürlich auch bei uns selber beobachten können. Dabei kann – abhängig von der Höhe des Stresslevels – jede dieser Reaktionen von sehr milde bis zu extrem ausfallen. Auch Überschneidungen sind möglich. Selbst bei moderatem Stress zeigen sich jedoch grundsätzlich schon diese genetisch verankerten Muster. Ein verbaler Angriff, eine ungerechtfertigte Schuldzuweisung oder Ähnliches tut uns immer noch weh und löst die uralten Muster aus.

DIE 4F-STRESSREAKTIONEN

Fight/Aggression: Nicht nur direkte körperliche und die viel häufigere verbale Aggression („Müller, Sie Vollidiot!“, „Was guckst du denn so bescheuert?“) fallen unter diesen Punkt, sondern auch Schuldzuweisungen: „Das geht ganz klar auf Ihre Kappe.“ Sehr beliebt gerade im Berufsleben ist der Ruf nach Autorität: „Mal sehen, was der Chef dazu sagt!“, „Einer sollte jetzt mal mit der Faust auf den Tisch hauen und klar sagen, was hier Sache ist.“ Genauso wie der Versuch, sich selbst als Autorität zu etablieren: „Das entscheide ich, nicht Sie!“ oder auch Führung einzufordern: „Nun tun Sie doch was, Chef!“ Auch den Verhaltensweisen, die sich hinter dem Begriff „Problemfokus“ verbergen, sind Sie sicher schon begegnet: „Ich sehe die große Gefahr, dass …“, „Wir riskieren damit, dass der ganze Laden den Bach runtergeht!“, „Wir können das nicht umsetzen, weil …“ Man bleibt auf diese Weise im Problem stecken, anstatt über Lösungen nachzudenken.

Flight/Flucht: Hinter diesem Begriffspaar verbergen sich Verhaltensweisen, die darauf abzielen, sich nicht mit dem Problem beschäftigen zu müssen, sich im Idealfall sogar mental (oder auch körperlich durch Verlassen des Raumes) schnell davon verabschieden zu können: „Das interessiert an dieser Stelle nun wirklich nicht“, „Ich glaube nicht, dass diese Entscheidung für uns kriegsentscheidend ist“, „Ganz ehrlich? Das Thema erledigt sich doch meiner Meinung nach schnell von selbst“, „Ja, dann machen wir das eben so, wird schon passen.“

Freeze/Erstarren: Hier verbirgt sich der gefürchtete Blackout. Wenn Sie gerne komplett den Faden verlieren, dann sind Sie hier richtig. Bei Ihrem Gegenüber erkennen Sie diesen Stressor vielleicht an Gestotter, Redewendungen wie: „Das ist doch Quatsch“, „Das hat ja wohl noch Zeit“ oder meist eher daran, dass Sie überhaupt nichts mehr von ihm hören, in der Situation nicht oder weil er nämlich nicht auf E-Mails oder Anrufe antwortet und sich vor Ihnen verleugnen lässt.

Flock/Zusammenrotten: Dieser Punkt ist erst seit etwa 20 Jahren auf der Agenda von Evolutionsbiologen und Verhaltensforschern zu finden und basiert auf der Beobachtung, dass Tiere im Angesicht von Gefahren ihre Interaktionsweise untereinander ändern. Büffel bilden beispielsweise einen Kreis und nehmen dabei die schwächsten Herdenmitglieder in die Mitte. Aber nicht nur das. Sie reagieren auch auf das „Schreien“ eines angegriffenen Herdenmitglieds. Unter dem Titel „Lions Attack Buffaloes – Another Battle at Kruger“ hat ein Video einige Berühmtheit erlangt, in dem eine Herde Büffel einem angegriffenen Kalb zu Hilfe kommt und mit der Macht der Gruppe die angreifenden Löwen vertreibt.

Den Schutz der Gruppe zu suchen ist eine Verhaltensweise, die auch wir Menschen angesichts von Gefahr oder Aggression zeigen. Und es ist eine Verhaltensweise, die auch heute noch in vielen Lebenslagen funktioniert und oft zu beobachten ist. Wenn jemand beispielsweise nach einem verbalen Angriff unwillkürlich in Tränen ausbricht, ist dies nichts anderes als eine Reaktion seines Körpers, der sich an diese uralte Verhaltensweise „erinnert“, er setzt auf Zusammenrotten. Aber Achtung: Nicht jedes Weinen ist auf Flocking zurückzuführen. Menschen weinen tatsächlich auch vor Glück und vor Rührung, ebenso wie vor Wut und Enttäuschung und vor Schmerzen. Im Zusammenhang mit Flocking signalisiert Weinen jedoch: „Ich brauche Schutz!“ Andere Menschen in der Gruppe reagieren sehr häufig auf dieses Signal und bieten diesen Schutz an: „Ich denke, Herr Meyer hat durchaus einen Punkt in seiner Aussage und diesen scharfen Angriff nicht verdient!“ Wenn verschiedenen Standorten eines Unternehmens die Schließung droht, werden Sie es sehr schwer haben, einzelne Mitglieder standortübergreifend zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu motivieren. Dann heißt es: Wir gegen die! Auch im Privatleben ergreift man bei einem Angriff von außen viel öfter die Partei seiner Freunde oder von Familienmitgliedern, auch wenn man selbst gar nicht wirklich von dem Standpunkt der angegriffenen Person überzeugt ist.

Eine milde Form ist in Diskussionen, ob geschäftlich oder privat, sehr häufig zu beobachten, nämlich die Suche nach Bestätigung: „Ich denke, hier stimmen wir alle überein, dass …“, „Der Leiter der Entwicklungsabteilung und ich sind der Ansicht, dass …“

Viele von Ihnen sagen nun vielleicht: Moment, also „Fight or Flight“-Reaktion, das habe ich ja schon oft gehört, aber wo kommt denn der Rest nun her? Dabei sollte die Frage lauten, warum Sie von den übrigen Reaktionen noch nichts gehört haben. Denn bei der Reduzierung der möglichen Reaktionen auf „Fight or Flight“ handelt es sich einfach um einen veralteten wissenschaftlichen Stand, der allerdings immer noch von vielen, die nicht auf der Höhe der Forschung bleiben, immer wieder repliziert wird.

„Fight or Flight“ ist geprägt durch Walter Cannon. Jeffrey Grey schlug deutlich später dann die „Freeze“-Reaktion ähnlich dem Totstellen/Erstarren vor. Noch neuer ist der Vorschlag des „Flock“, jedoch unter der sperrigen Bezeichnung „Tend and Befriend“ mit dem aus meiner Sicht vollkommen unzutreffenden Hinweis, dass dies üblicherweise eine eher für Frauen typisch genutzte Strategie sei.

Eine ganz ähnliche Funktion im Hinblick auf Flocking wie das Weinen kann übrigens auch das Lachen erfüllen. Soziales Lachen spielt eine wichtige Rolle in der sozialen und nonverbalen Kommunikation. Lachen ist eine Aktivität, die auf evolutionärer Grundlage die Gruppenbindung fördert. Für hoch entwickelte Primaten wie uns Menschen ist gemeinsames Lachen nämlich so eine Art „Lausen auf Distanz”. Und es steckt so tief in uns, dass sogar Babys instinktiv lächeln, ohne zu wissen, dass sie es und warum sie es tun. Genau wie manchmal im Stress auch wir. Wir alle kennen diese Menschen, die zu spät zu einem Meeting kommen oder ein Glas auf den Boden fallen lassen und dann anfangen zu lachen.

2.1.24F in der Praxis

Stellen Sie sich vor, dass Ihrem Unternehmen ein größeres Geschäft durch die Lappen gegangen ist, weil eine aussichtsreiche Kundenanfrage einfach im Spamfilter Ihres Mailprogramms hängen geblieben ist. Über Umwege kommt heraus, dass sich der Kunde ausschließlich deshalb für einen Mitbewerber entschieden hat, weil Sie nicht auf seine Anfrage reagiert haben. Zumindest teilte er das so mit. Es beginnt daraufhin das beliebte Spiel der Schuldzuweisung und Sie sind als aktiver und passiver Mitspieler mittendrin: „Meyer, das darf doch nicht wahr sein. Diesen Deal hätten wir machen können und er hätte uns gerade in der jetzigen Situation sehr geholfen. Das geht auf Ihre Kappe!“

Jetzt haben Sie eine ganze Reihe von Optionen, wie Sie gestresst auf diese Schuldzuweisung reagieren könnten. Alle haben gemeinsam, dass sie nicht besonders konstruktiv sind. Und dass sie sich – übrigens genau wie die ursprüngliche Schuldzuweisung – unter einem der 4F einordnen lassen. Ich bitte Sie, sich bei jeder aufgeführten Reaktion zu überlegen, zu welchem F sie gehören könnte. Vielleicht erkennen Sie sich in einer der Reaktionen ja auch schon wieder. Meine Einschätzungen finden Sie in den Klammern.

1. Sie könnten zum Beispiel einfach gar nichts tun und warten, bis der Sturm vorüberzieht. Die Sache ist ja nun auch schon passiert und morgen kommt vielleicht eine neue Anfrage. (Freeze)

2. Sie könnten abwiegeln. Das war schließlich nur eine einzige Anfrage! Eine Anfrage und kein Deal! Keiner weiß, ob sich daraus überhaupt etwas entwickelt hätte. (Flight, wenn Sie damit das Thema oberflächlich abwiegeln, Fight, wenn Sie damit die Glaubwürdigkeit der eben getroffenen Aussage angreifen wollen.)

3. Sie könnten Ihrerseits mit Schuldzuweisung beginnen. Wahlweise gegenüber dem potenziellen Kunden, weil der ja offensichtlich auf irgendwelchen Blacklists steht oder seine Mails spamverdächtig formuliert. Oder Sie könnten die Schuld auf Ihren IT-Administrator abwälzen, der die Filterkriterien so scharf eingestellt hat. Sie könnten auch den Hersteller des Mailprogramms verfluchen, schließlich haben Sie ja gleich gesagt, dass man mit yz nur Ärger hätte und mit xy viel besser gefahren wäre. (Fight)

4. Sie könnten sich mit dem Hinweis verteidigen, dass das ja wohl jedem schon einmal passiert sei. Derjenige werfe den ersten Stein, der jeden Abend seinen Spamordner kontrolliert. Von Müller wüssten Sie beispielsweise ganz genau, dass er letztes Jahr im Dezember eine Anfrage unbeantwortet gelassen hat … (Flock für den Teil, dass es jedem hätte passieren können, der Hinweis mit Müller ist Fight.)

5. Sie könnten auch vor Wut schreien und irgendwas vom Tisch fegen und später zu Hause Ihren Partner wegen einer Kleinigkeit anschreien. (Fight)

6. Sie könnten in Tränen ausbrechen und sagen, wie leid ihnen alles tut, dass es nie wieder vorkomme und Sie schon immer Probleme mit systematischem Arbeiten gehabt hätten, und den Chef anflehen, dass es keine Abmahnung gibt. (Flock)

Wenn Sie die Situationen durchgegangen sind und die Auflösung in der Klammer gelesen haben, dann wissen Sie jetzt auch, dass sich die 4F gern selbst zusammenrotten. Gern werden auch mal zwei oder drei Reaktionen kombiniert.

Auf welche Strategie wir individuell zurückgreifen, ist ganz offen und sehr stark situationsabhängig. Natürlich spielen unsere Persönlichkeit wie auch die gelernten Muster immer in den Auswahlprozess hinein, denn wir alle haben durch die Persönlichkeit eine bestimmte Veranlagung bezüglich der Frage, wann wir welche 4F-Reaktion zeigen.

Stattdessen lässt sich aber relativ sicher vorhersagen, inwiefern Menschen denn überhaupt zu Stressreaktionen neigen. Denn es gibt Persönlichkeiten, die sich auf dem umgekehrten U eher links oder eher rechts wiederfinden. „Linkslastige“ Persönlichkeiten haben eine hohe Robustheit gegenüber Stress. Sie haben wahrscheinlich noch nie die ganz heftigen Reaktionen wie einen Blackout erlebt und auch die anderen 4F zeigen sich bei diesen Menschen höchstens moderat und nur kurz und selten. Sie haben einen höheren Stress-Schwellenwert. „Rechtslastige“ Persönlichkeiten neigen dagegen eher zu Stress, Blackouts und zu extremen Stressreaktionen. Wenn Sie sicher wissen möchten, ob Sie auf dem U eher nach rechts oder eher nach links tendieren, können Sie dazu auf unserer Website (www.handlingshit.de/TestU) einen kostenlosen Test durchführen. Dieser sagt Ihnen, wie stark Ihre Neigung zu intensiven Stressreaktionen ist oder eben auch nicht.

Die 4F in Ihrem Ablauf der Stressreaktion sind genetisch vorprogrammiert. In welchen Situationen wir aber welche Reaktion zeigen, das haben wir im Wesentlichen im Laufe unserer Entwicklung und unseres Erwachsenwerdens gelernt: Welche Strategie hat in welcher Situation für uns selbst am besten funktioniert? Dass die Strategie funktioniert hat, muss nicht bedeuten, dass die gewählte Strategie auf lange Sicht die Beste für uns sein muss. Wir können sogar Strategien lernen, die auf lange Sicht schädlich für uns sind (beispielsweise Flucht in Drogen, totale Konfliktvermeidung et cetera). Die, die kurzfristig gut passen, werden auch zukünftig in den Stresssituationen immer wieder gezeigt. Wir „wählen“ also die Strategie, die unseren Stress für uns am schnellsten und effektivsten lindert.

Tatsächlich haben uns die vier Strategien über Jahrmillionen gute Dienste geleistet. Die ersten Vertreter unserer Gattung, nämlich der Gattung Homo, traten vor zwei bis drei Millionen Jahren auf und hatten diese Bewältigungsstrategien womöglich bereits von ihren Stammeltern geerbt. Für unsere heutige Lebenswelt sind diese Strategien ein teils schweres bis destruktives Erbe – was daran liegt, dass der „Empfänger“ der Stressreaktion heute meist ein Mitmensch ist und eben nicht mehr der Löwe. Wenn ein Kollege von Ihnen auf seinen Stress beispielsweise mit einer Schuldzuweisung reagiert und es trifft ausgerechnet Sie, weil die Situation das nun einmal gerade so hergibt, dann ist der initiale Stressauslöser Ihres Mitmenschen ja nicht einfach verschwunden. Stattdessen haben jetzt Sie und er Stress. Sinnvoll erscheint das auf den ersten Blick nicht. Und gerade deshalb ist es für uns entscheidend, diese Strategien identifizieren zu können, um zu verstehen, welche Funktion die jeweilige Reaktion für das Individuum hat.

Wenn Sie morgens in der Küche halb verschlafen eine volle Kaffeetasse umschmeißen und eine riesige Sauerei in Form eines auf abgestandenem Kaffee basierenden Star-Wars-Sternenmusterfleckens auf der Tapete machen, dann könnte eine typische Reaktion sein – Sie haben so etwas bestimmt schon erlebt –, ins Blaue hinein zu meckern: „Welcher Idiot hat die Tasse dorthin gestellt?!“ Es könnte Ihnen nun gut und ebenso laut etwas entgegenschallen wie: „Mach halt mal deine Augen auf. Selber Idiot.“ Innerhalb von Sekunden entwickeln sich der schönste Streit, Schreierei und Stress.

Sie wissen schon, dass es sich bei Ihrer Reaktion um eine Fight-Reaktion handelt. Sie suchen – dabei handelt es sich um den Klassiker – nämlich einen Schuldigen. Wer ist der Idiot, der uns diesen Stress aufgehalst hat? Die Suche nach einem Schuldigen beinhaltet nämlich vor allem, dass Sie selbst NICHT schuld an der Sauerei sind. Jemand anderes ist schuld und das beweist ja wohl, dass Sie nach wie vor alles unter Kontrolle haben – hach, wie beruhigend! Die Schuldzuweisung erfüllt für Sie die Funktion eines Ventils, um den emotionalen Aufruhr loszuwerden. Leider reichen Sie auf diese Weise Ihren Stress nur an den Lebensgefährten oder die Lebensgefährtin weiter: Diese/r fühlt sich durch Ihre Aggression mindestens unfair behandelt und herabgesetzt. Denn schließlich haben ja Sie die Tasse umgeworfen und niemand sonst. Sie sind doch der Idiot! Oder zumindest, ein bisschen fairer ausgedrückt, sind Sie in diesem Moment nicht aufmerksam gewesen. Die von Ihnen angegriffene Person lässt ihr limbisches System die Sache lösen und greift ebenfalls auf eine der bewährten 4F-Strategien zurück. Der SHIT kommt deshalb selbstverständlich postwendend zu Ihnen zurück. Sie streiten sich. Für den Rest des Tages wird geschmollt. Bei der Arbeit sind Sie unkonzentriert oder lassen jemand gänzlich Unbeteiligten büßen. Und das macht dann wieder dem Nächsten Stress: Geteilter Stress ist doppelter Stress!

Sie haben aber auch die Möglichkeit – egal welche dieser Personen Sie sind –, sich zu fragen, wie viel vom Stress wirklich mit Ihrem Gegenüber und wie viel mit Ihnen selbst zu tun hatte. Und genau das sind die entscheidenden Fragen, um die richtige Haltung gegenüber Stress zu entwickeln und SHIT-Situationen zu meistern.

Ihr Verhalten und ebenso das Verhalten Ihres Gegenübers ist in eine Kette aus Aktionen und Reaktionen eingebunden. Viele dieser Reaktionen sind unbewusste Affektreaktionen auf Situationen, die wir als stressig erleben. Wir erleben diese Situationen als stressig, wenn es einen Stressor gibt, also einen Reiz, der uns unsicher werden lässt (genauer schauen wir uns das in Kapitel 3.1