Hans & Isabel - Walter Messner - E-Book

Hans & Isabel E-Book

Walter Messner

4,4

Beschreibung

Hans, der gut situierte Single, erlebt eine schicksalhafte Begegnung, als er in einer Münchner Milonga die unnahbare, aber verführerische Isabel kennenlernt. Diese Italienerin fasziniert ihn, weil sie sich beim Tanzen traumhaft gut verstehen. Aber nicht nur deshalb wollen sie sich wiedersehen. Per SMS teilt sie ihm in Codes verpackte Informationen mit, wo und wann er sie auf einer Milonga treffen könne. Hans folgt sehnsüchtig ihrem „Ruf“. Ihre anfangs distanzierte Beziehung vertieft sich mit jeder weiteren Begegnung. Doch in Hans’ Leben gibt es noch andere Frauen. Zur selben Zeit entsteht eine Nähe zu Franzi, einer hübschen und liebenswerten Bedienung in seinem Stammlokal. Diese hat das Herz am rechten Fleck und verliert es schließlich ganz an ihn. Doch Hans kann sich nicht für eine der beiden Frauen entscheiden. Er lässt sich vom Schicksal führen und gerät dabei immer wieder in heftige Turbulenzen. Diese Liebesgeschichte führt den Leser in das Milieu der Isarvorstadt in München und ihrer Lokale. Er erhält auch Einblick in die Tangoszenen von Zürich, Salzburg und London. Wie wird die Geschichte am Ende für Hans ausgehen? Amour fou in den Großstädten Europas oder sicherer Hafen in München?

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Walter Messner, geboren in Trossingen, lebt seit 30 Jahren am östlichen Bodensee, arbeitet dort als Yogalehrer und tanzt seit langer Zeit Tango. Für das Portal »Tango am Bodensee« schreibt er den Newsletter. Darüber hinaus verfasste er auch schon Beiträge für die Zeitschrift »Tangodanza«. Seine Lebensstationen waren Zürich, Wiesbaden und München. Während seiner Reisen besuchte Messner zahlreiche Milongas, die ihm unter anderem den Stoff für dieses Buch lieferten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

Kapitel 11.

Kapitel 12.

Kapitel 13.

Kapitel 14.

Kapitel 14.

Kapitel 15.

Epilog

Glossar

Dank

1.

Obwohl ihr Mund ein Lächeln andeutet, umgibt sie eine unnahbare Aura. Ich sitze nun schon eine ganze Weile an einem Tisch in ihrer Nähe. Ich sitze hier nicht zufällig. Ihre Präsenz fasziniert mich und ich möchte freie Sicht auf sie haben. Während sie meine Blicke magnetisch auf sich zieht und mir die schier unmögliche Aufgabe abverlangt, nicht allzu aufdringlich nach ihr zu schauen, richten sich ihre Augen auf das Geschehen auf dem Parkett, ohne dabei jemanden zu fixieren. Diesen Blick kenne ich. Es ist der Blick einer attraktiven Südländerin, die keinen Mann direkt anschaut und doch jeden wahrnimmt.

Diese Frau ist Gesprächsthema unter den Tänzern, die den Mut nicht aufbringen, sie, ohne einen Blick von ihr bekommen zu haben, zum Tanzen aufzufordern. Als ich an die Bar gehe, um ein Getränk zu holen, weiß ich, dass sie mir verstohlen nachschaut. Ich deute dies als Zeichen dafür, dass sie sich wünscht, von mir zum Tanzen aufgefordert zu werden.

Manchmal läuft es im Leben zäh, manchmal klappt alles. Heute habe ich Glück und es geschieht Letzteres. Ich stelle mein Weinglas noch im Stehen ab, eine neue Tanda beginnt mit einem Dreivierteltakt, ihr Kopf dreht sich wieder leicht zu mir, sodass sie mich auf ihre Art zum Tanzen einlädt.

»Möchten Sie tanzen?«, frage ich sie, als ich vor ihr stehe.

Welch ein Spiel! Sie schaut mich an, als ob sie mich bisher nicht gesehen hätte, lächelt aber und nickt. Mit einer fließenden Bewegung ziehe ich ihren Stuhl zurück, als sie aufsteht. Es ist mir bewusst, dass sich alle Blicke auf uns richten, doch ich habe nur Augen für sie, für ihre aufrechte, stolze Haltung, für die Art, mit der sie ihr perfekt geschnittenes Kleid trägt und für den tief sitzenden Haarknoten, unter dem sich das weite Rückendekolleté öffnet, für ihre graziösen Schritte, die sich an Tischen und Stühlen vorbeibewegen. Obwohl die Musik längst begonnen hat, zögere ich, sie gleich zu berühren. Es ist ihre Aura, die mich zögern lässt. Ich brauche jetzt ihren einladenden Blick. Als ich ihn von ihr bekomme, biete ich ihr meine linke Hand an, in die sie ihre rechte legt. Ihre linke Hand legt sie auf mein Schulterblatt, kurz darauf lege ich meine rechte auf ihren Rücken. Meine Handfläche spürt geschmeidiges Satin, das elektrisch geladen scheint, meine Augen sehen die Farbe Aubergine. Sie weiß, was sie will, legt ihren Kopf an meinen, richtet ihren Körper noch eine Idee mehr auf und lehnt sich an mich. Ich danke dem Tango Argentino, der mir diese körperliche Nähe mit ihr schenkt.

Meine bewusst geführten Schritte folgen dem Takt und ich bin darauf bedacht, stets in engem Kontakt mit ihr zu sein.

Ist meine Führung perfekt oder verfügt sie über hellseherische Fähigkeiten? Ich fühle mich wie Yang, der mit Yin einen Tango tanzt.

Nun traue ich mich, sie in noch anspruchsvollere Figuren zu führen, was sie keineswegs in Verlegenheit bringt. Im Gegenteil – ich habe den Eindruck, sie fühlt sich wohl in meinen Armen.

»Ich heiße Isabel, und Sie?«, fragt sie mich, ein paar Sekunden nach dem letzten Takt.

»Ich heiße Hans. Woher kommen Sie?«

»Ich bin Italienerin und ich sprechen leider sehr schlechte Deutsch.« Sie rollt das »R«, wie es die Italiener tun.

»Nein, Sie sprechen sehr gut! Wo haben Sie Deutsch gelernt?«

»Ich erzähle Ihnen später, Sie nicht wollen tanzen?« Sie bietet mir für den nächsten Vals ihre Arme an und ich komme ihr nur zu gerne entgegen.

Nach dem letzten verklungenen Takt des Vals führe ich sie zu ihrem Tisch zurück und bedanke mich.

»Möchten Sie sich an meine Tisch setzen?«, lädt sie mich völlig unerwartet ein.

»Ja, gerne.« Diese glückliche Fügung lässt meine Pulsfrequenz steigen. Ich hole das Glas Wein von meinem Tisch und setze mich rechts neben sie, in Blickrichtung zur Tanzfläche, obwohl ich ein größeres Interesse daran habe, ihr interessantes Profil zu betrachten. Sie dreht es von mir weg, als sie mich anschaut und fragt: »Sie mich schauen an, warum?«

»Sie sind eine wunderschöne Frau und ich glaube, Sie zu kennen.«

»Sie mich nicht können kennen, ich Sie sehe zum ersten Mal.«

»Ich vermute, Sie sind Schauspielerin. Wahrscheinlich habe ich Sie in irgendeinem Film gesehen«, sage ich, mehr im Spaß, zu ihr.

»Aber ich bin nicht eine Schauspielerin!« Ihr Mienenspiel zeigt, dass sie zumindest das Talent dazu hätte.

»Dann habe ich mich getäuscht. Aber eines weiß ich sicher: Sie sind eine gute Tänzerin!«

»Danke für die schöne Komplimente, Sie mich machen verlegen.« Doch sie errötet keine Spur und wirkt nicht im Geringsten verlegen. Sie legt ihre Hand auf meine und spricht weiter: »Jetzt ich möchte gerne tanzen.« Schade, dass sie ihre Hand wieder wegzieht, ich hätte sie gerne gehalten und sie auf die Tanzfläche geführt. Nach nur einer Minute habe ich sie aber wieder, denn sie legt die eine Hand sanft auf meine Schulter und bietet mir gleichzeitig auch ihre andere an. Kurz darauf spüre ich auch ihre Brüste und ihre Wangen, als sie ihre Tanzposition vollendet. Wir beide bilden nun in unserer äußeren und auch inneren Haltung einen geschlossenen Kreis, in den wir nur die Musik hineinlassen. Der DJ spielt zu Beginn der Tanda einen gesungenen Tango von Arienzo, auf dessen schnellen Rhythmus ich mich erst einstellen muss. Doch Isabel macht es mir leicht, denn sie folgt meiner Führung mit traumwandlerischem Einfühlungsvermögen.

In jeder Pause gibt sie im Gespräch etwas von sich preis, ohne jedoch so viel von sich zu verraten, als dass ich sie identifizieren könnte. Sie sieht sich lieber in der Rolle derjenigen, die fragt, als umgekehrt. Immerhin weiß ich nun, dass sie in Bologna lebt und sich auf einer Geschäftsreise befindet. Und es gibt eine Gemeinsamkeit: Wir beide leben allein. Für meinen Beruf habe ich den Begriff Privatier verwendet, was für sie ebenso nebulös klingen mag wie für mich ihre Geschäftsreisen.

Ich wünsche mir diese Nacht in einer Endlosschleife. Doch Isabel schaut irgendwann auf ihre Rolex, als wir wieder an unseren Tisch zurückkehren.

»Lieber Hans, die Abend war schön mit Ihnen, ich leider muss in meine Hotel zurück. Ich habe eine sehr frühe Rückflug gebucht.« Wieder berührt sie mich, diesmal am Arm.

»Sehen wir uns wieder?«

»Nicht in München, aber wir können uns in eine andere Stadt treffen, Sie müssen flexibel sein.«

»Und wie erfahre ich, wann Sie wo sind?«

»Sie mir geben die Nummer von Telefonino, ich Ihnen schreiben eine SMS.«

»Tun Sie das wirklich?«

»Ich versprechen!« Isabel streckt mit ernster Miene Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger nach oben.

Wir holen beide unsere Smartphones hervor, sie tippt meine Nummer ein und wählt sie sogleich an. Als es bei mir klingelt, meint sie: »Jetzt Sie haben auch meine Nummer.«

»Kann ich Sie anrufen?«

»Sie mir schreiben, ich selten gehe an meine Telefonino.«

»Darf ich Sie zum Hotel begleiten?«, frage ich sie, als sie aufsteht.

»Danke, ich habe eine Taxi bestellt.«

Als ich ihr an der Garderobe in den Mantel helfe, bittet sie mich um meine Begleitung durch den Hinterhof bis zum Taxi. Es steht auch schon an der Straße, während der Fahrer am Kotflügel lehnt und die Wartezeit für eine Zigarette nutzt, die er wegschnipst, als er uns kommen sieht. Er öffnet ihr mit fragendem Blick die Hintertür, und ich höre sie sagen: »Hotel… Hof.« Dann ein kurzes Zögern, bevor sie einsteigt – sie legt ihre Fingerkuppen an ihre Lippen und überträgt diesen Kuss mit einer leichten Berührung auf meinen Mund, was sich verführerisch anfühlt, mir aber nicht genügt. Ich ziehe sie zu mir heran und gebe ihr einen Kuss auf den Mund. Einen kurzen Moment lang sehe ich ihren erstaunten Blick, bevor sie im Fond des Taxis entschwindet. Die getönten Scheiben lassen nicht erkennen, ob sie mir noch zuwinkt. Ich bleibe stehen und sehe, wie das Taxi wendet und in Richtung Altstadtring davonfährt.

Ihre Anweisung an den Taxifahrer geht mir durch den Kopf: Hotel Bayerischer Hof oder Königshof. Beides gehobene Adressen, die zu ihr passen könnten, wenn ich mich an ihr gutsituiertes Benehmen und den kostbaren Schmuck erinnere, den sie an ihren Ohren und am rechten Ringfinger trägt.

Ich gehe, weil ich das Erlebte ungestört in Erinnerung behalten möchte, nicht mehr zurück, sondern zu meinem Wagen, den ich in einer Seitenstraße geparkt habe. Es ist zum Glück nicht allzu weit bis zu mir nach Hause, denn ich fahre unkonzentriert. Doch ein eingespielter Automatismus bringt mich sicher in mein Viertel zurück. In der näheren Umgebung meiner Wohnung benötige ich dann noch einmal meine ganze Aufmerksamkeit, um eine der um diese Zeit besonders seltenen Parklücken zu finden. Danach kreisen meine Gedanken unablässig um Isabel und verbinden das Geschehene mit einem möglichen Wiedersehen. Meine Fantasie kennt dabei keine Grenzen – sie lässt Isabel neben mir die Treppen zu meiner Wohnung hochsteigen und die Nacht mit mir verbringen. Ein Wunsch, der ihre fehlende physische Präsenz nur minimal ersetzen kann. Unabhängig davon kann ich mir nicht vorstellen, dass sie – wie auch ich – unserem nächsten Treffen entgegenfiebern wird. Eine Frau wie sie lebt entgegen ihrer Aussage nicht allein, dessen bin ich mir sicher. Herrgott, wenn mir nur einfallen würde, wo ich sie schon einmal gesehen habe.

Mein andauerndes Grübeln verhindert in dieser Nacht einen erholsamen Tiefschlaf und beschert mir stattdessen wirre Träume, deren Inhalte sich mir in dem Moment entziehen, als ich aufwache. Nachhaltiger dagegen ist meine Erinnerung an den gestrigen Abend.

Jede Sehnsucht trägt Schmerz in sich, den die Hoffnung zu mildern versucht. Eine Aussicht, mit der ich allerdings nicht leben will. Ich muss mit Richard reden, meinem Freund aus alten Zeiten. Wir beide haben seit Langem einen zweiwöchentlichen Jour fixe im Paulaner Bräuhaus am Kapuzinerplatz. Richard, der Bauingenieur, hat das Zeug zum Psychologen, und wendet diese Fähigkeit von Zeit zu Zeit bei mir an.

»Wenn du einen vorgezogenen Termin haben möchtest, dann bist du verliebt oder in Nöten«, ist seine Antwort auf meinen Vorschlag, ein Treffen außer der Reihe zu verabreden. Doch ich will ihm am Telefon noch nichts verraten. Dennoch willigt er ein.

Auch die Bedienung ist überrascht über unser Erscheinen an einem anderen Abend, als wir an unserem Tisch in der Schwemme unser erstes Bier bestellen.

»Wie wär’s mit der Variante Verliebt und in Nöten?« Ich beginne meine Erzählung mit dieser Frage, die Richard neugierig werden lässt. Heute könnte er als Psychologe auf seine Kosten kommen.

»Am besten beginnst du von vorne, ich bin ganz Ohr. Die Rechnung geht selbstverständlich auf dich.«

Ich warte ab, bis die Bedienung die Getränke gebracht hat.

»Heid liegt wos in da Luft, do möcht i gern a Mäuserl sei.« Franzis oberbayerischem Instinkt entgeht auch rein gar nichts. Richard und ich stoßen an, was den Startschuss für meinen Bericht bedeutet. Ich erzähle ausführlich, ohne ein Detail auszulassen, vom gestrigen Abend mit Isabel. Doch der aufmerksame Zuhörer fordert schon bald eine Ergänzung ein.

»Wenn dir die Dame eine schlaflose Nacht beschert hat, wird sie nicht nur hübsch sein, sondern auch noch das gewisse Etwas haben, vermute ich.«

»Lass mich erst noch ein Bier bestellen«, sage ich und winke Franzi. Sie kommt nach einigen Minuten zurück, und wir geben unsere Bestellung auf.

»Also, wie sieht sie aus?«

»Mit hohen Absätzen ist sie beinahe so groß wie ich, unsere Augen waren auf gleicher Höhe. Ihre Haut ist gepflegt und nahezu faltenfrei.«

»Wie passend zu deinem Dreitagebart.«

»Der hat sie anscheinend nicht gestört, im Gegensatz zu meinem Handy, das ich immer in meiner rechten Hosentasche trage.«

»Ihre Figur ist, wie ich vermute, makellos, das Kleid, das sie trug, aus erlesener Seide und eng anliegend. Erzähl weiter, beschreibe mir ihr Gesicht!«

»Sie hatte ihr schwarzes Haar seitlich gescheitelt, nach hinten gekämmt und zu einem Knoten gebunden, sodass ihre feinen Gesichtszüge zur Geltung kommen.«

»Und das Besondere daran?«

»Ihre Nase! Ihr Nasenrücken ist leicht gebogen, besonders vorne zur Nasenspitze hin. Ihre Nasenflügel offen und grazil. Solche Nasen habe ich bisher nur bei Inderinnen gesehen. Ihre Wangen sind etwas hervortretend, ebenso ihr Kinn, aber nicht zu viel. Ihre Physiognomie zeugt von starker Willenskraft.«

»Ihre Augen und ihr Mund, nicht erwähnenswert?«

»Sei doch nicht so ungeduldig, ich vergesse nichts!«

»Also schieß los!«

»Ihre Lippen faszinieren mich, wenn sie aufeinanderliegen, aber auch, wenn sie spricht. Es klingt irgendwie bedeutsam, was sie sagt, und das auch noch mit wohlklingender Stimme, so zwischen Alt und Sopran. Und wie sie dazu ihre Lippen bewegt und schließt – das wirkt so sinnlich, als ob sie’s vor dem Spiegel einstudiert hätte.«

»Jetzt noch ihre Augen. Ich vermute, sie sind ausdrucksstark. Habe ich recht?«

»Dezent geschminkt, ihr Blick ist hellwach und klug. Ich hatte das Gefühl, ich kann ihr nichts vormachen.«

»Nicht schlecht, und das in Kombination mit vornehmer Unerreichbarkeit. Diese Frau verkörpert genau das, worauf du anspringst, mein Lieber. Du wirst nicht die geringste Chance haben, mit ihr glücklich zu werden.«

»Kannst du mir das genauer erklären, Herr Psychologe?«

»Aber erst nach dem nächsten Bier. Franzi, noch eine Runde bittschön.«

»Darf der Herr Richard überhaupt noch? A wenn’s nach Sendling ned weid is, a Bedienung hod schließlich Verantwortung für ihre Gäst!«

»Is scho guat, Franzi, heid bin i mit da Öffentlichen kumma.«

»Dann sehr zum Wohle! Hoffentlich huift’s Eana bei den schwierigen Erörterungen.«

»Ganz bestimmt Franzi. Dankschön.«

Bevor Richard wieder zum vornehmen Hochdeutsch übergeht, stoßen wir an.

»Auf die Liebe!«

»Danke, Prost.«

»Aus astrologischer Sicht ist deine Isabel sicher eine Skorpion-Frau, die eine magische Anziehungskraft auf eine ganz bestimmte Art von Männern ausübt. Obwohl sie den anderen männlichen Anwesenden sicher auch gefallen haben dürfte, bist du derjenige gewesen, der den Abend mit ihr verbracht hat. Wir wissen nichts über ihr Leben und was sie geprägt hat und deshalb auch nicht, warum sie diese Mauer um sich herum aufbaut. Eine geheime Tür oder das verborgene Guckloch in den vordersten ihrer inneren Räume hast du mit deinem Instinkt öffnen können, da du bei ihr keinen Schaden anrichten kannst.«

»Das verstehe ich jetzt nicht.«

»Wir haben an diesem Tisch schon häufig darüber gesprochen und zwar über deine Bindungsangst! Sie zieht sich durch dein ganzes Leben.«

»Du meinst, ich bin der Mann für ein Abenteuer oder gar eine Affäre, aber nicht gerade prädestiniert für herkömmliche Familienplanung.«

»Wie man sieht, ist es so. Du hast lang genug Zeit gehabt und sie nicht genutzt. Und du hast dir das immer mit dem Argument erklärt, noch nicht die Richtige gefunden zu haben. Entweder war diejenige bereits gebunden oder zu jung. Apropos Alter, darf ich raten? Sie ist wesentlich jünger als du.« Richard grinst hämisch, weil er weiß, dass er recht hat.

»Isabel ist im besten Alter. Ich schätze sie etwas über die Vierzig ein. Also kaum jünger als ich.«

»Da muss ich dir recht geben, fünfzehn Jahre Altersunterschied sind so gut wie nichts.« Richard hat bereits zu viel Bier intus und will sich anscheinend über mich lustig machen.

»Sie ist übrigens Italienerin!«

»Nein, auch das noch! Aber dieser Umstand beruhigt mich, bei dieser räumlichen und charakterlichen Distanz seid ihr sicher voreinander.«

»Wir wollen uns wiedersehen. Sie will mir eine SMS schicken, wenn sie wieder einmal in der Nähe ist.«

»Ich sehe schon, du brauchst meine Hilfe! Bei unserem regulären Treffen nächste Woche werde ich dir meinen Therapieplan unterbreiten.«

Unser Sprechen verwandelt sich allmählich in ein undeutliches Nuscheln.

»Und was mache ich in der Zwischenzeit, lässt du mich vor die Hunde gehen in meiner Not?«

»Lieber Hans, ich kann nicht immer bei dir sitzen und deine Hand halten. Sei ein Mann und halte durch, wie ich, der mit drei Frauen zusammenleben muss. Eine davon ist in den Wechseljahren und zwei befinden sich in der Pubertät.«

»Ja, so kommt’s, wenn das Leben in wohlgeordneten Bahnen verläuft und nicht im Chaos der Bezugsängste.«

»Beziehungsängste!« verbessert Richard lallend meine Unkenntnis in Sachen Psychologie.

»So, meine Herrschaften, die Wirtschaft schließt, die Bedienung muss ins Bett und die Herren müssen irgendwie heimkommen.« Franzi legt einen Zettel mit Zahlen vor mich hin, und weil ich draufschaue, als ob es Chinesisch wäre, kommt sie mir akustisch zur Hilfe.

»Das macht dann 25,20 für den Herrn Hans.«

»Die Franzi spricht Hochdeutsch, dann wird’s ernst!« Franzi ignoriert Richards Bemerkung und freut sich, als ich drei Zehner hinlege und sage: »Stimmt so.«

Ich erhebe mich mühsam und erlebe eine seltsame mentale Leichtigkeit in der Schwere meines Körpers.

Zwischen der Glastür und der Eingangstür fängt mich Franzi ab und steckt mir einen Bierdeckel in meine Manteltasche. Ihre feuchten Lippen berühren mein Ohr, als sie mir zuflüstert: »Wenn’s a Huif braucha, i hob a großes Herz. Ruafn’s mi o, i mog Eana.« Mit einem Kuss auf meine Wange besiegelt Franzi ihr freundschaftliches Angebot. Sie wendet sich nach ihrem überraschenden Geständnis abrupt ab, und im Hinterherschauen stelle ich einmal mehr fest, dass sie hübsch und gut gebaut ist. Richard wartet derweil draußen auf mich.

»Was hast noch mit der Franzi zum Tuscheln ghabt?«

»Sie hat mir gestanden, dass sie mich mag.«

»Manche Frauen scheinen auf bindungsunfähige Männer zu stehen.«

»Dann bring am Donnerstag doch deinen Therapieplan für mich mit.«

Wir schlurfen unsicher über das vom Regen rutschig gewordene Herbstlaub vor dem Paulaner in Richtung Goetheplatz. Ab meinem Hauseingang in der Häberlstraße lasse ich Richard allein weiterziehen in der Hoffnung, dass er gut heimkommen wird. Er kehrt in den Schoß seiner Familie zurück, während mir nur die Gedanken an Franzi bleiben und die Hoffnung auf eine SMS von Isabel.

2.

Unter Zuhilfenahme des Treppengeländers, an dem ich mich mit beiden Händen hochziehe, schaffe ich auch die letzte Hürde des Tages, das Treppenhaus. Ich habe Glück, keiner meiner Nachbarn ist um diese Zeit unterwegs und kann mich in dieser peinlichen Situation sehen. Ich brauche eine Zeitlang, bis ich mit dem Schlüssel endlich das Loch treffe. Dieser Vorgang geht nicht gerade lautlos vonstatten. Das übliche Prozedere vor dem Schlafengehen wie Ausziehen, Waschen und Zähneputzen schaffe ich nicht mehr. »Passt scho«, sage ich halblaut zu mir und lege mich auf die Couch. Doch irgendetwas drückt mich in der Hosentasche und hindert mich am Einschlafen. Ich muss mich umdrehen, um den Störenfried zu finden. Siehe da, Geldbeutel und Smartphone liegen dick aufeinander in meiner Hosentasche. Umständlich ziehe ich beide heraus und sehe, dass das Smartphone beleuchtet ist, da es eine SMS anzeigt. Das Entsperren macht mir Mühe, doch meine Ausdauer wird belohnt; einmal streiche ich dann doch noch mit dem richtigen Gefühl übers Display und kann die SMS öffnen. Ich reibe meine müden Augen wach, denn ich traue meinem verschwommenen Blick nicht ganz:

Lieber Hans, ich kann nicht schlafen. Vielleicht die Grund ist bei Ihnen? Ich Sie möchte wiedersehen und tanzen. Sie bald werden von mir hören, ich versprechen! Buonanotte e mille grazie! Ihre Isabel

Bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann, ist alles in mir in Aufruhr. Am liebsten möchte ich ihr spontan antworten und ihr mitteilen, wie sehr auch ich sie vermisse. Doch das bisschen Vernunft, zu dem ich noch Zugang habe, hält mich zurück. Ich würde jetzt nur sentimentales Zeugs schreiben, denn ich weiß, dass es in solch einem Fall klüger ist, eine Nacht darüber zu schlafen. Nur – an Schlaf ist nach dieser Nachricht kaum noch zu denken. Ich wälze mich bis in die frühen Morgenstunden von einer Seite auf die andere und gebe auf. Das Beste, was mir im jetzigen Moment einfällt, ist, ihr einen Brief zu schreiben, den sie nie erhalten wird.

Am nächsten Morgen kann ich nachholen, wozu ich in der Nacht nicht mehr in der Lage gewesen bin. Ich ziehe meine verknitterten und muffigen Sachen aus und gehe ins Bad. Eine halbe Stunde später sitze ich frisch geduscht am Küchentisch, ein Schreibblock liegt vor mir, daneben steht eine Tasse Kaffee. Um diese frühe Zeit muss ich das Licht anmachen. Es ist nicht das einzige Licht, das brennt, ein paar Hinterhofnachbarn, die in der Frühschicht arbeiten, sind auch schon auf. Die üblichen Geräusche wie Türenschlagen, eilige Schritte auf dem Hof und Raucherhusten schallen an den Hauswänden nach oben, bilden die vertraute Geräuschkulisse und künden den Tag an.

Ich bin es nicht mehr gewohnt, auf Papier zu schreiben, die Tastatur hat schon lange den Kugelschreiber abgelöst. So früh am Morgen befinde ich mich in meiner gewohnt frühmorgendlich romantischen Stimmung, in der ich mich jetzt gedanklich mit Isabel verbinden möchte. Ich finde auch noch eine Kerze, die ich anzünde, und beginne zu schreiben. Alle meine Eindrücke des vorgestrigen Abends kann ich nun zu Papier bringen. Der Kugelschreiber überträgt nach und nach jedes in Erinnerung gebliebene Detail auf das hellgraue Briefpapier, das aus längst vergangenen Zeiten stammt, als ich noch Briefe schrieb. Meine Fantasie produziert die Vorstellung, Isabel würde es mir in ihrer Küche im fernen Bologna gleichtun. »Schlaflos in Bologna« wäre ein passender Filmtitel, wenn es einen solchen nicht schon mit dem Namen einer anderen Stadt gäbe.

Inzwischen ist meine Stimmungslage ausgeglichen, und ich bin endlich fähig, angemessen auf Isabels SMS zu antworten. Mein dreiseitiger Brief hat meine Gefühle sortiert, und aus der Essenz meines Briefes formuliere ich eine SMS an sie:

Liebe Isabel, die Begegnung mit Ihnen hat mich verzaubert. Auch ich konnte diese Nacht nicht schlafen. Wenn Sie nachher mit mir bei Tiffany frühstücken möchten, werde ich kommen. Und auch ich sehne mich nach einem Tango mit Ihnen! Wie lange noch muss ich geduldig sein? Ihr Hans

Ohne Rücksicht darauf, was Richard zu meiner SMS sagen würde, klicke ich auf »Senden« und lasse dem Schicksal seinen Lauf. Und es nimmt seinen Lauf, nur ein paar Minuten später erhalte ich ihre Antwort:

Lieber Hans, Sie haben schöne Ideen, ich sehr gerne möchte mit Ihnen tanzen! Aber nicht böse sein, wenn unser Treffpunkt nicht in NYC kann sein, er ist viel näher. Wir müssen sein geduldig. Ich spüre Ihren Abschiedskuss, immer! Ich Ihnen wünschen una bella giornata. Bacio, Ihre müde Isabel

Wer das Verliebtsein kennt, wird mich verstehen können. Es ist das schönste Gefühl, das ich in meinem bisherigen Leben erlebt habe, doch leider nie lupenrein und ungetrübt. Eine Seite kann man anscheinend nicht ohne die andere haben. Sehnsucht ist eine Form von Schmerz, der sich in einer ziemlich großen Bandbreite zeigt. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen mindert diesen Schmerz etwas – doch ich kann nicht anders und will damit leben! So begleitet mich Isabel den Tag hindurch; ich sehe sie vor mir, spüre sie und höre ihre Stimme.

Ein paar Tage später treffe ich Richard bei unserem Jour fixe im Paulaner. Dort sehe ich auch die Franzi wieder, zum ersten Mal, nachdem sie mir ihr Freundschaftsangebot gemacht hat.

Franzi scheint etwas verlegen, als sie mich begrüßt und meine Bestellung entgegennimmt. Richard verspätet sich und so haben wir beide die Möglichkeit für ein ungestörtes Gespräch.

»I möcht mi bei Eana entschuldigen für mei Benehmen kürzlich. Aber i hob mei Herz ned zruckhoitn kinna.«

»Is scho guad, Franzi, Sie sind ein Schatz! Wie könnt ich ohne Sie leben? Ob ich ab jetzt immer ein Abschiedsbusserl bekommen könnt?«

»Wenn’s des möchten, gern. Nur mei Chef darf mi ned derwischn.«

»Darf ich Sie nach Feierabend einmal abholen, oder ist das zu spät?«

»Wenn’s ned…« Richard kommt herein und unterbricht Franzis Antwort.

»Guten Abend allerseits.« Er ist immerhin so feinfühlig und merkt, dass er gerade gestört hat. Er entschuldigt sich mit einem kurzen Kopfnicken Richtung Franzi.

»Wie immer?«, fragt Franzi und nimmt ihm den Mantel ab.

Richard nickt bejahend und bedankt sich, dann wendet er sich mir zu.

»Da hätte ich mir die ganze Arbeit mit meinem Therapieplan ja sparen können«, grinst er und dreht seinen Kopf in Richtung Franzi.

»Wieso, ich verstehe nicht.«

»Eine andere Frau ist eindeutig die beste Möglichkeit, dich von Isabel abzulenken.«

»Hör mal zu, Richard, sie hat mir geschrieben, dass sie mich wiedersehen möchte und ich leide nicht unter meiner Situation. Eigentlich brauche ich keine psychologische Hilfe mehr.«

»Aber ihr beide habt doch keine Chance auf eine gemeinsame Zukunft! Irgendwann wird dich der Liebeskummer einholen, wenn sie dir plötzlich gesteht, dass sie einen andern hat. Und gerade davor möchte ich dich bewahren.«

»Ich gebe dir recht, wir haben keine Perspektive, trotzdem will ich jede gemeinsame Minute mit ihr genießen, die mir das Leben schenkt.«

»Einverstanden! Du sollst deine Begegnungen mit ihr genießen, diese aber nicht mit einer Lebensperspektive in Verbindung bringen. Das macht den großen Unterschied! Die ganze Angelegenheit bekommt dadurch eine geringere Bedeutung, ebenso der Trennungsschmerz, wenn es dann mal soweit sein wird. Ich habe mir in den vergangenen Tagen Gedanken darüber gemacht, wie Du ohne größere Komplikationen mit dem Thema »Isabel« klarkommst.«

»Dein Therapieprogramm?«

»Genau. Das, was ich dir jetzt zu sagen habe, ist dir nicht ganz fremd, du bist bereits vor dreißig Jahren damit in Kontakt gekommen.«

»Jetzt mach’s nicht so spannend! Vor dreißig Jahren, das war meine spirituelle Zeit, Poona und so…«

»Pscht, die Franzi kommt!”

»So, meine Herren, sehr zum Wohle. Die Gespräche warn a scho lustiger, i hob a Gspür dafür.«

»Gut beobachtet, Franzi, im Leben geht’s halt rauf und runter. Des kennen’s sicher a.«

»Wem sogn’s des, i red nur ned drüber.«

»Den gegenwärtigen Moment zu leben, das ist meine Lösung für dich, lieber Hans! Schau mal, wir sitzen jetzt hier im Paulaner, unterhalten uns, genießen unser Bier und freuen uns auf die Franzi, wenn sie uns bedient. Auf Isabel freust du dich dann, wenn du ihr begegnest, aber das ist jetzt nicht der Fall.«

»Damals bei Bhagwan haben wir paarweise eine Übung gemacht. Jeder musste dem anderen bei einem Spaziergang eine halbe Stunde lang erzählen, was seine Sinne im Moment wahrnehmen, ohne dies gedanklich zu bewerten oder gar abzuschweifen. Mein Partner, ein Deutscher, schweifte ab und gestand mir, Poona wäre die letzte Chance in seinem Leben, denn wenn ihm dieser Aufenthalt nichts bringen würde, hätte er keine Wahl mehr und würde sich das Leben nehmen.«

Richard muss dies erst einmal verdauen, bevor ihm ein Kommentar dazu einfällt.

»Wünschen wir ihm, dass er’s geschafft hat. Den gegenwärtigen Moment zu leben ist nicht einfach, braucht Übung, und man muss es wollen, mit jeder Faser seines Seins. Hör nur mal zu, wenn sich andere unterhalten, zum Beispiel diese jungen Männer an unserem Nachbartisch! Geht es ums Jetzt? Nein, sie unterhalten sich über die Spiele der Bundesliga vom vergangenen Wochenende. Unser Verstand braucht Futter und beschäftigt sich deshalb mit Themen aus Vergangenheit und Zukunft. Wenn sie im Jetzt bleiben würden, würden sie feststellen, wie gut das Bier schmeckt, wie sie allmählich betrunken werden und wie schön die Franzi ist.«

Was Richard mir da erzählt, ist mir längst bekannt. In meinen Zwanzigern habe ich mich intensiv mit Spiritualität auseinandergesetzt und meditiert. Danach wurden Computer und digitale Elektronik Gesprächsthemen an unserem Stammtisch. Jetzt holt mich meine Vergangenheit wieder ein – ich erinnere mich dank Richard an bereits erkundete, spirituelle Pfade meines Lebens.

»Einverstanden. Lass uns am besten im alltäglichen Leben bleiben! Angenommen, ich erhalte von Isabel eine SMS, in der sie mir mitteilt, dass sie mich dann und dort treffen möchte. Wie kann ich in dieser Situation im Jetzt bleiben?«

Richard ist in seinem Element und sprüht vor leidenschaftlichem Interesse.

»Ganz einfach, du liest die Nachricht von ihr und freust dich darüber. Du merkst, wie du vor Aufregung deinen Kaffee verschüttest und nimmst alles wahr, was mit dir und um dich herum los ist. Du möchtest ihr gleich darauf zurückschreiben, tust es aber erst später, denn zuerst musst du prüfen, ob du überhaupt Zeit für sie hast. Deinen Tagesablauf nimmst du bewusst wahr, wenn du zum Beispiel wieder einmal auf diese Treppenstufe trittst, die jedes Mal knarrt. Oder wenn die Hausmeisterin über den Taubendreck vor dem Hauseingang schimpft und über die auf dem Boden herumliegende Werbung. Nur in der Gegenwart spielt sich dein Leben ab, nirgendwo sonst. Isabel wird vielleicht bald wieder in deine Gegenwart eintreten, dann soll sie auch deine volle Aufmerksamkeit erhalten.«

»Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Und ich sehe darin mehr eine Lebenseinstellung als eine Therapie.«

»Es ist ja noch Zeit, noch bist du erst am Beginn einer möglichen Beziehung. Gib der Gegenwart immer mehr Raum in dir, das wird auch Isabel beeindrucken. Schau, die Franzi lebt sie, sie hat gemerkt, dass unsere Gläser leer sind und sie wird uns fragen, ob…«

»No zwoa Bier für meine Lieblingsgäst?« Franzi schaut während ihrer Frage eher mich an und ich erkenne zum ersten Mal ihre grüngrauen Augen und entdecke ihre Grübchen. Wo kommen die denn plötzlich her?

»Bringen’s no a Helles für mi und oans für Ihren Lieblingsgast.« Wieder einmal typisch Richard, er registriert alles und zieht seine Fäden. Franzi dreht sich verlegen von uns weg, und ich schimpfe mit ihm.

»Ich mein’s ja nur gut mit euch beiden. Ich kann die Zukunft in der Gegenwart sehen.«

»Und ich habe zum ersten Mal ihre Augenfarbe bemerkt und ihre Grübchen und überhaupt…«

»Ja, genau, das überhaupt ist es! Sei dir bewusst, bei der Franzi kannst du noch viele Schätze entdecken, wenn du dich ihr aufmerksam zuwendest. Sie ist ein Rohdiamant und noch zu haben. Achtung, sie kommt!«

»Die Herrn san plötzlich so komisch und schaun mi so o.«

»Franzi, wir beide haben Sie heute Abend unter Abwägung aller uns zur Verfügung stehenden Kriterien zur wunderbarsten Frau Münchens erkoren.«

»Soso, erkoren. Ob’s no Bestand hod, wann’s wieder nüchtern san?«

»Ganz sicher, Franzi, das ist das Ergebnis unserer Langzeitstudie und entstand nicht aus einer Bierlaune heraus. Hans, habe ich recht?« Ich verdrehe peinlichst berührt die Augen. Jetzt muss ich mir was Gescheites einfallen lassen, um die Situation zu retten.

»Der Richard hat etwas zu viel getrunken, hat aber recht, nur hätte ich mich anders ausgedrückt«, sage ich leise und schaue ihr dabei tief in die Augen.

»Dann sogn’s?«

»Gerne, aber erst später unter vier Augen.« Franzi stellt verlegen die zwei Biergläser vor uns ab, will noch etwas sagen, wird aber lautstark von den vier Burschen am Nebentisch abgelenkt, die grölend nach Bier verlangen.

Wir stoßen an, während Richard mich wissend angrinst.

»Findest du nicht auch, das Leben im Hier und Jetzt hat es in sich, da muss man nicht ständig abschweifen.«

»Aber den Schmarrn hättest nicht zu erzählen brauchen, warum machst denn so was?«

»Da steckt Strategie dahinter, mein Lieber. Es war nicht nur für Franzi peinlich, sondern auch für dich – das hat euch einander näher gebracht, und nachher wirst du ihr was ganz Liebes ins Ohr flüstern.«

»Hast was gegen die Isabel? Ich habe den Eindruck, du arbeitest partout gegen sie.«

»Nein, da verstehst du mich falsch. Ihr beide habt keine Zukunft, das ist sicher. Genieße die Begegnungen mit ihr, solange es andauert! Mein Therapieansatz, der auf jahrhundertelanger, menschlicher Erfahrung basiert, lautet: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah.«

Ein wahrhaft spiritueller Trinkspruch! Wir prosten uns zu.

»Lade die Franzi zu einem Tangokurs ein. Frag sie aber vorher, wann sie ihre freien Tage hat. Irgendwo in München wird doch sicher zurzeit ein Anfängerkurs angeboten. Wie findest du diese Idee?«

»Du bist verrückt! Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Warum nicht? Ihr beide passt gut zusammen, auch wenn sie um einiges jünger ist als du. Aber das bist du ja gewohnt.«

»Ich kann mir die Franzi nur im Dirndl vorstellen. Was sie wohl sonst trägt, wenn sie privat unterwegs ist?«

»Mach dir da keine Sorgen! Ihr Kleiderschrank wird so voll sein wie der von meiner Frau. Leg los! Ich beneide dich um deine Situation.«

Unsere Gläser sind weder halb voll noch halb leer. Sie sind leer, was die aufmerksame Franzi längst bemerkt hat.

»Mechten’s no oans, oder liaba zoin?” Bei diesen geschäftlichen Angelegenheiten wendet sie sich immer an Richard, der nach einem Blickkontakt mit mir die Rechnung verlangt.

»Des macht de üblichen 25,20.« Richard ist großzügig, er verdient gut. »Passt scho.«

Franzi begleitet uns zur Garderobe. In dieser Jahreszeit gehen wir nicht mehr ohne Mäntel außer Haus.

»Ich geh schon mal vor. Servus, Franzi.«

Sie hilft zuerst Richard in den Mantel, weil sie ihn loshaben will. Bei mir lässt sie sich Zeit und zelebriert den Vorgang.

»I bring Eana zur Tür.« Sie öffnet aber nur die Glastür und bleibt mit dem Rücken zur Eingangstür stehen. Wie fesch sie in ihrem Dirndl aussieht!

»Kemma’s doch amoi ohne Ihren Spezi vorbei. I dad mi g’frein!«

»Franzi, ich besuche Sie bald, versprochen. Wann haben Sie Ihren freien Tag?« Wir stehen auf Tuchfühlung beieinander. Wie gerne würde ich jetzt ihre Hände halten.

»Montags und dienstags. Möchten’s ausgehn mit mir?«

»Ja, aber vorher muss ich was mit Ihnen besprechen.«

»Sie wolltn ma doch sowieso no wos sogn.«

So, wie sie vor mir steht und mich so nett fragend anschaut, macht sie mir mein Geständnis leicht: »Ich mag Sie, Franzi.« Und ohne ihre Reaktion abzuwarten, halte ich ihre Hände und gebe ihr drei Küsschen auf die Wangen, so, wie ich es vom Tango her gewohnt bin.

»So vui?« Ungläubig schaut sie mich an. Ich nicke und lächle.

»Lassen’s mi ned wartn, i mog Eana a.« Franzi gibt mir einen schnellen Kuss auf den Mund und dreht sich bedauernd mit einem Ruck von mir weg, sodass ihr kunstvoll geflochtener Zopf ins Baumeln gerät.

»Alles klar?« Richard hat sich die Wartezeit mit einer Zigarette vertrieben. Ich nicke und lächle ihm zu mit der Miene eines vollauf zufriedenen Mannes. Die paar Meter zu meiner Wohnung gehen wir schweigend nebeneinander her. Details über meinen Abschied von Franzi behalte ich für mich und Richard fragt auch nicht nach. Er bemüht sich wacker, seine U-Bahn-Haltestelle am Goetheplatz zu erreichen, während mir einmal mehr die Überwindung des Treppenhauses bevorsteht.

3.

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