Begegnungen in Bonnieux - Walter Messner - E-Book

Begegnungen in Bonnieux E-Book

Walter Messner

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Beschreibung

Dieser Roman steht für sich, kann aber auch als Fortsetzung der Vorgänger-Romane "Hans & Isabel" und "Marie" gelesen werden, sozusagen als letzter Teil einer Trilogie. Die Protagonisten der ersten beiden Bücher lernen sich nun im dritten Roman aus unterschiedlichen Anlässen auf dem Friedhof in Bonnieux kennen. Es sind Franzosen und Deutsche, die sich bei der anschließenden Feier in einem Lokal des südfranzösischen Dorfes näherkommen. Hans, der Münchner, und Paul, der Berliner, entdecken dabei ihre gemeinsame Leidenschaft für den Tango Argentino und werden Freunde. Sie bleiben in Kontakt, widmen sich dem Tango und pflegen ihre Freundschaft gemeinsam mit ihren Frauen. Die beschriebenen Szenen spielen in Nizza, München, Berlin, Bologna und in Bonnieux. Der Roman lebt vor allem vom Wechselspiel harmonischer wie auch dramatischer Szenen, bis das Geschehen schließlich in einer Bologneser Klinik sein Ende findet. Und immer spielt in diesem Buch auch der Tango eine gewichtige Rolle.

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Walter Messner, geboren in Trossingen, lebt seit mehr als 30 Jahren am östlichen Bodensee, arbeitet als Yogalehrer und ist seit vielen Jahren begeisterter Tangotänzer. Für das Portal »Tango am Bodensee« schreibt er den Newsletter. Darüber hinaus verfasste er Beiträge für die Zeitschrift »Tangodanza«. Seine Lebensstationen waren Zürich, Wiesbaden und München. Während seiner Reisen besucht Messner regelmäßig Milongas, die ihm den Stoff für seine Bücher liefern.

Seine ersten beiden Tango-Romane »Hans & Isabel« sowie »Marie« wurden 2016 bzw. 2017 veröffentlicht. Mit dem nun erschienenen Buch »Begegnungen in Bonnieux« hat Messner seine Roman-Trilogie vollendet.

Ich lobe den Tanz,

denn er befreit den Menschen

von der Schwere der Dinge

bindet den Vereinzelten

zu Gemeinschaft.

Ich lobe den Tanz

der alles fordert und fördert

Gesundheit und klaren Geist

und eine beschwingte Seele.

Tanz ist Verwandlung

des Raumes, der Zeit, des Menschen

der dauernd in Gefahr ist

zu zerfallen ganz Hirn

Wille oder Gefühl zu werden.

Der Tanz dagegen fordert

den ganzen Menschen

der in seiner Mitte verankert ist

der nicht besessen ist

von der Begehrlichkeit

nach Menschen und Dingen

und von der Dämonie

der Verlassenheit im eigenen Ich.

Der Tanz fordert

den befreiten, den schwingenden Menschen

im Gleichgewicht aller Kräfte.

Ich lobe den Tanz.

O Mensch

lerne tanzen,

sonst wissen die Engel

im Himmel mit dir

nichts anzufangen.

Dieser Text wird Aurelius Augustinus (354 – 430 n. Chr.) zugeschrieben.

Inhaltsverzeichnis

Nizza

Bonnieux

München

München – zwei Jahre später

Berlin

Trossingen

Bologna

Epilog

1.

Nizza

Paul Berger betrachtet während des Landeanflugs auf den Aéroport Nice Côte d’Azur das atemberaubende Mittelmeer-Panorama, das unter ihm vorbeizieht. Als das Flugzeug etwas kippt, zeigt das kleine Fenster zur Linken eine spärlich bebaute Halbinsel, die wie ein Finger in das Mittelmeer hineingreift. Etwa eine Minute später kündigt die dichter werdende Besiedlung die Nähe einer größeren Stadt an: Nizza, mit seiner prächtigen Häuserkulisse, dem Segelhafen und den Hügelketten dahinter, zu denen hin sich die Stadt allmählich auflöst. Kurz, bevor das Flugzeug zur Landung ansetzt, rückt der Terminal in Form einer riesigen Glasschüssel ins Blickfeld.

Vor einem Jahr war Paul auf dem Flughafen Marseille Provence angekommen, als Marie zu Grabe getragen wurde. Seine tiefe Trauer besetzte jede Zelle seines Körpers, seine Sinne waren eingeschränkt und er hatte keine Augen für die Schönheiten der Provence, die ihm an diesem schrecklichen Tag verborgen blieben. Mühevoll und energielos erledigte er die Formalitäten, als er seinen Mietwagen in Empfang nahm, um nach Bonnieux zu fahren.

Nach der Beerdigung hatten die Trauergäste, bestehend aus Maries ehemaligen Arbeitskollegen sowie Conny und Paul, vereinbart, sich künftig einmal im Jahr in Bonnieux zu treffen, um gemeinsam den Jahrestag von Maries Tod zu begehen. Conny, die Pfälzerin, die inzwischen ständig in Paris lebt, sollte Paul benachrichtigen, ob das Treffen zustande kommt. Der hatte schon gar nicht mehr daran gedacht, als er von einer SMS überrascht wurde.

Lieber Paul,

wie geht es Dir? Ich vermisse unseren Kontakt – doch ich weiß, ich bin selbst schuld daran, dass Du Dich nicht mehr meldest. Es tut mir so leid, wie ich mich damals in Bonnieux Dir gegenüber verhalten habe! Ich hoffe, dieses Zerwürfnis wird Dich nicht davon abhalten, zu unserem jährlichen Treffen zu kommen! Es wäre schön, wenn Du es einrichten könntest, vor allem wegen Marie! Wir treffen uns am Samstag, 5. Juli, 15 Uhr, auf dem Parkplatz vor dem Friedhof. Wird Lore auch mitkommen?

Bitte melde dich! Ich hoffe auf eine positive Antwort.

Mit einem Versöhnungsküsschen

Conny

Marie wurde im vorigen Jahr bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt. Ihre Kollegin und Freundin Dominique hatte den Wagen gelenkt, aber nur leichte Verletzungen davongetragen, während Marie, die auf dem Beifahrersitz saß, sich in der ungünstigeren Position befand – das Auto prallte mit seiner rechten Vorderseite gegen einen Alleebaum. Dominique machte sich hinterher schwere Vorwürfe. Eine lange Leidenszeit folgte. Schließlich gelang ihr mit Hilfe einer einfühlsamen Psychotherapeutin die Rückkehr ins Leben.

Paul wollte es Lore, seiner Frau, überlassen, ihn zu dem Treffen zu begleiten. Denn das hätte er sich gewünscht. Doch ihr Chef hatte ihr wegen der momentanen Auftragslage nicht freigeben wollen. Allerdings war sich Paul nicht sicher, ob das nur ein Vorwand war, weil Lore vielleicht die Nähe zu Marie meiden wollte, auch wenn diese nicht mehr am Leben war. »Fahr du nur allein, wir können dann später gemeinsam Urlaub im Süden machen, wenn es dir dort gefallen hat.« Paul wollte nicht weiter nachbohren, denn Marie stellte ein heikles Thema ihrer gemeinsamen Vergangenheit dar. Lore hatte damals sehr unter seiner Beziehung zu Marie gelitten, weil sie ihn doch selbst liebte. Paul in seiner inkonsequenten Art war nicht in der Lage gewesen, sich zwischen diesen beiden Frauen zu entscheiden. Olaf, sein lebenserfahrener Freund, gab ihm des Öfteren den Rat: »Wenn du dich nicht entscheiden kannst, wird das Leben es für dich tun!« Und so geschah es – Marie verunglückte tödlich.

Im Gegensatz zu damals befindet sich Paul heute in bester Urlaubsstimmung. Vor eineinhalb Stunden noch in Berlin-Tegel eingecheckt, erlebt er nun das volle Kontrastprogramm, als er die weitläufige Ankunftshalle verlässt und ihn der heiße Süden mit den Düften seiner prächtigen Flora empfängt. Die Hinweisschilder zu den Car Rentals lassen ihn ins Leere laufen. So muss er sich erkundigen, wo er sein BMW Cabrio in Empfang nehmen kann. Diesen Luxus wollte er sich unbedingt gönnen: mit offenem Verdeck die Promenade des Anglais auf- und abfahren – auf der einen Seite das Spalier der vornehmen Hotels, auf der anderen die Palmenallee, welche die Strandpromenade vom Verkehr trennt. Das hatte er sich schon lange gewünscht.

Bevor er losfährt, tippt er die Adresse seines Hotels ins Navi und öffnet das Verdeck. Er genießt den kühlenden Fahrtwind, der die Hitze des Südens etwas mildert. Leider wird er nicht, wie er es erhofft hatte, am Meer entlang geleitet, sondern direkt hinein in das Verkehrschaos der Innenstadt von Nizza. Sein Hotel liegt in der Nähe des Bahnhofs und nicht in der Nähe des Strandes. Auf diesen Kompromiss musste er sich einlassen, um in nächster Umgebung seines Hotels einen Parkplatz finden zu können.

Als Paul vor dem ockerfarbenen, mit reichlich Stuck verzierten Gebäude steht, weist lediglich eine Visitenkarte, die an das Klingelschild geheftet ist, auf dieses Hotel hin. Seltsam! Ein junger Mann verlässt gerade das Haus, während Paul durch das geöffnete schmiedeeiserne Tor schlüpft, ohne geklingelt zu haben. Er nimmt die Treppe zum ersten Stock, dort findet er die gleiche Visitenkarte, an einer Tür, rechter Hand. Er läutet. Sogleich wird er von einem kuscheligen Hund begrüßt, der sich an seinem linken Bein aufrichtet, um gekrault zu werden. Eine schick gekleidete Dame mittleren Alters steht in der Tür und zieht ihren Liebling mit mahnenden Worten von Paul weg. Dann erst begrüßt sie ihn:

»Vous êtes Monsieur Berger?«

»Oui, that’s me.«

»Welcome et bienvenu à Nice!«

Sein Zimmer, zu dem ihn die in Rot gekleidete Hotelbesitzerin führt, ist mit antiken Möbeln geschmackvoll eingerichtet. Auch Topfpflanzen stehen im Zimmer. Der Blick vom winzigen Balkon geht hinüber auf die Geschäfte der anderen Straßenseite, die teilweise von prächtigen Oleanderbäumen in geradezu überquellender Blüte fast verdeckt werden. In ähnlich architektonischer Fülle wurden die Häuser in diesem Viertel erbaut. Keine Verzierung, ob an Mauerwerk oder an den Balkongeländern, war den Architekten zu viel. Man hatte damals, während der Epoche des Jugendstils, anscheinend ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung. Dieser Reichtum prägte denn auch den optischen Charakter dieser Stadt.

Paul wird sich nun bewusst, dass er nicht in einem Hotel, sondern mehr oder weniger in einer Privatwohnung gelandet ist. Madame, eigentlich eine Lady, denn sie stammt aus Schottland, hat drei Räume ihrer 5-Zimmer-Wohnung als Hotelzimmer eingerichtet – was ihr offenbar zum Leben reicht. Paul hat noch genügend Zeit bis zum Abendessen, er will sie für einen Besuch am berühmten Stadtstrand von Nizza nutzen. Doch bevor er das Hotel verlässt, möchte er noch Lore anrufen und ihr sagen, dass er gut angekommen ist.

»Hier auch Berger, mit lieben Grüßen von der sonnigen Côte d’Azur. Wie geht es dir?«

»Na ja, geht so. Ich habe eine Menge Arbeit von meinem Chef aufgedrückt bekommen, und dann auch noch das Wetter, das mich nicht gerade aufbaut. Ich wäre jetzt lieber bei dir!«

»Und ich hätte dich gerne bei mir! Dabei traue ich mich gar nicht dir zu sagen, dass ich gleich an den Strand gehen werde. Für heute Abend habe ich im Internet eine Open Air Milonga gefunden, die nicht allzu weit vom Hotel entfernt liegt.

»Na dann, viel Spaß! Ich muss weitermachen.«

»Arme Lore, mach’s gut! Ich liebe dich!«

»Ich liebe dich auch Paul, und beim nächsten Mal lasse ich dich nicht mehr allein gehen!«

Er hätte ein Taxi zum Strand nehmen sollen, denn Parkplätze sind in der Innenstadt Mangelware, ganz besonders in den Seitenstraßen der Promenade. Doch er hat Glück. Ausgerechnet an der Seitenfront des mondänen Hotels Negresco fährt vor ihm ein Auto aus einer Parklücke und macht ihm den Platz frei. Ihm fällt auf, dass die Menschen in Nizza elegant gekleidet und die Autos ein bis zwei Nummern größer sind als in Berlin.

Als er auf seinem Handtuch zwischen all den Badenden Platz nimmt und seinen Blick über den Strand schweifen lässt, wird ihm seine Großstadtblässe erst so richtig bewusst. Neugierig schaut er sich um. Seine Augen verweilen bei den rassigen Französinnen, die ihn an Marie erinnern. Allerdings besaß Marie das schwer zu beschreibende, gewisse Etwas, das er bei den Schönen um sich herum vermisst. Es sind die Augen, der tiefe Blick, der eine interessante Persönlichkeit dahinter erscheinen lässt. Hier am Strand jedoch erscheint ihm vieles so oberflächlich. Nur ein Ausdruck des schönen Scheins? Aber Paul will diese Frauen nicht abwerten, man ist wie man ist, und Marie gab es nur einmal. Diese Feststellung macht ihn traurig und zieht ihn schließlich ins Wasser. Er muss jetzt für ein paar Minuten mit seiner schmerzhaften Erinnerung allein sein.

Erfrischt und losgelöst von Marie kehrt er zu seinem Platz zurück, wo sich zwischenzeitlich eine junge Frau neben seinem Handtuch niedergelassen hat. Da sie ihm keine Beachtung schenkt, kann er sie in aller Ruhe betrachten. Sie unterscheidet sich vom Typ her von den einheimischen Frauen; sie könnte Slawin sein. Ihr Teint ist hell, ihre Nase leicht gebogen und ihre Wangenknochen sind etwas ausgeprägter als hier üblich. Ihr schlanker Hals gleicht dem eines eleganten Gepardenweibchens, das mit knurrendem Magen über die Spitzen der Savannengräser hinweg nach einer schmackhaften Gazelle Ausschau hält. Anfang dreißig ist sie, schätzt er.

Sie legt sich auf den Bauch, ihren Kopf hat sie in seine Richtung gedreht. Er tut es ihr gleich. So begegnen sich ihre Blicke, länger als allgemein üblich. Eine dezente Begegnung zwischen zwei Unbekannten. Dann schließt sie ihre Augen. Als sie sich auf den Rücken dreht und vorher ihren Haarknoten löst, kann er ihr Profil betrachten. Eine Tschechin? Ihr rollendes R würde sie verraten, doch sie spricht nicht. Sie ist nahezu die Einzige unter all den anderen Badegästen, die sich nicht mit ihrem Handy beschäftigt. Paul vergisst in diesen Momenten seine wunderbare Frau Lore. Ist er der sich stets auf der Jagd befindende Single geblieben? Nein, nicht mehr so wie früher, denn Lore macht den Unterschied – deshalb hält sich Paul zurück und spricht diese Frau nicht an. Allerdings ist er, wie so oft, hin- und hergerissen und entscheidet sich für einen Kompromiss. Nachdem er sich umgezogen und sein Handtuch zusammengefaltet hat, verabschiedet er sich mit »au revoir«, während sich ihre Blicke noch einmal begegnen. Doch ihre Lippen bleiben geschlossen, nur ihre Mundwinkel bewegen sich minimal nach oben. Wie gerne hätte er diesen Abend mit dieser reizenden Frau verbracht. Fast traut er sich nicht, diesen Wunsch zu denken und denkt ihn deshalb ganz leise. Ob sie vielleicht auch gerne …?

Erst als er die Tür seines Cabrios öffnet, kann er sich gedanklich von dieser Frau lösen. Nein, er wird ihr keine Nachricht hinterlassen.

Als Junge kämpfte er jahrelang mit dem belastenden Gedanken: Er werde wohl einiges im Leben verpassen, wenn er sich an eine einzige Frau binden würde. Obwohl seine Lebenserfahrung ihn eines Besseren belehrt, blieb diese Idee in seinem Unterbewusstsein haften und wurde immer dann wiederbelebt, wenn eine bestimmte Situation eintrat.

Kaum hat er den Wagen gestartet, klingelt sein Handy.

»Bist du schon im Meer gewesen?«

»Ja, gerade. Die Temperatur ist genau richtig, du versäumst was.«

»Sind die Frauen hübsch?«

»Welche Frauen?«

»Du Esel!«

»Weißt du, auf diesem Breitengrad sind alle Frauen hübsch. Doch das gewisse Etwas hängt von anderen Koordinaten ab. Zum Beispiel kenne ich da eine zauberhafte Frau, die am Rosenthaler Platz wohnt, die genau das hat!«

»Immer noch Esel, aber danke für die Blumen! Ich muss weitermachen, werde erst spät Feierabend haben. Unser Chef hat uns danach noch ins Maison Blanche eingeladen.«

»Ach schön, ich wäre gerne mit dabei. Weißt du noch?«

»Ja, den Abend werde ich nie vergessen.«

»Du Lore, drei Wörter für dich!«

»Danke Paul, sie haben mein Herz erreicht!«

Dann legte sie auf.

Zum Abendessen geht er zu einem Restaurant in der Nähe seiner Unterkunft. Lamm mit Spinat, die perfekte Zusammenstellung, genau nach seinem Geschmack und deshalb auch sein Leibgericht, das er immer dann bestellt, wenn er einen Inder aufsucht.

Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain, Place Yves Klein. Diese Adresse hatten die Veranstalter angegeben. Auch diesmal hätte er besser ein Taxi nehmen sollen. Runde um Runde muss er drehen, bis er endlich, hinter einem Müllcontainer verborgen, den einzig freien Parkplatz im Viertel findet. Einfacher wär’s gewesen, in die Tiefgarage des Museums zu fahren, doch deren Eingang hatte er übersehen.

Paul hatte sich diese Open-Air-Milonga in einer romantischeren Umgebung vorgestellt. Vier klotzige Türme aus Steinquadern – dort muss er hinein, statt unter Bäumen in einem lauschigen Park zu wandeln. Im Zentrum dieser Türme, durch das der Verkehr fließt, befindet sich nahe der Straße ein weitläufiges Treppenhaus. In kahlen Betonnischen liegen vereinzelt Obdachlose. Grüppchen von Jugendlichen haben sich versammelt. Als Paul die letzten Stufen hinaufsteigt, vermischen sich die Klänge ihrer Musikinstrumente mit der immer lauter werdenden Tangomusik.

Théâtre National de Nice – dieser Schriftzug taucht als erstes über dem oberen Rand der letzten Treppenstufe auf. Während Paul weitergeht, erscheinen nach und nach Köpfe, Schultern, Oberkörper, Beine und schließlich tanzende Menschen. Es ist nicht das gewohnte Bild einer Open-Air-Milonga, das sich ihm zeigt. Eine Fläche von mehreren hundert Quadratmetern liegt vor ihm. Jedes der cirka 10 Tanzpaare könnte 15 Quadratmeter und mehr für sich in Anspruch nehmen. Doch sie scharen sich zu einem Grüppchen zusammen, auch um in akustischer Reichweite der Anlage zu bleiben, die auf einer Betonbrüstung neben einem noch jungen Olivenbäumchen aufgestellt ist. Oben, auf der Tanzebene angekommen, muss sich Paul erst einmal orientieren – eine Situation, die er nicht zum ersten Mal erlebt. Links von ihm befindet sich ein Restaurant, auf dessen Terrasse Tische und Stühle aufgestellt waren. Er hat keine Wahl, nur noch ein freier Tisch steht zur Verfügung. Diesen nimmt er in Beschlag, obwohl er weiß, dass er ihn eigentlich nur braucht, um später dort ein Getränk abzustellen. Er positioniert seinen Stuhl so, dass er alles beobachten und aus dieser Perspektive seine Möglichkeiten zum Tanzen am besten einschätzen kann.

Gerade, als er zu einer Tänzerin asiatischer Herkunft, die allein an einem Tisch sitzt, gehen will, bemerkt er zwei Männer, die an der Mauerbrüstung neben der Anlage lehnen und sich unterhalten – und zwar in deutscher Sprache.

»Und welches Motiv hast du für heute Abend ausgesucht?« Der Fragende deutet auf die Kamera des anderen.

»Vielleicht habe ich Glück und sie kommt heute wieder.«

»Ich bin kein Gedankenleser. Wen meinst du?«

»Du hast doch schon mit ihr getanzt. Diese Rumänin mit der tollen Figur und … «

» … und mit dem rollenden R, das so lustig klingt, wenn sie französisch spricht.«

Paul gesellt sich zu den beiden.

»Darf ich stören? Auf einer französischen Milonga habe ich eher mit Franzosen als mit Deutschen gerechnet. Ich heiße Paul und komme aus Berlin.«

»Ich bin der Alfred, wohnhaft in Ventimiglia.« Alfred mit seinen kurzen grauen Haaren dürfte etwas älter als Paul sein. Er gibt ihm die Hand.

»Frank aus San Remo.« Der kurz angebundene Frank ist der Jüngere der beiden. Sein Markenzeichen: Eine lange blondgelockte Künstlermähne.« Auch er schüttelt Paul die Hand.

»Was hat dich nach Nizza verschlagen?«, fragt Alfred.

»Das ist eine lange Geschichte, die ich jetzt lieber nicht erzählen möchte.«

»Lass mich raten! Die Liebe?«

»Ja, so ist es«, antwortet Paul einsilbig.

»Sie kommt!« Trotz der nicht wenigen Dioptrien, die Franks dicke Brillengläser verraten, hat sein geschultes Fotografenauge das Objekt seiner Begierde als erster entdeckt. Seine stets bereite Profikamera hält er in seiner rechten Hand.

Wie Paul eine Viertelstunde zuvor, sieht sie sich nach einem freien Platz um. Pauls Tisch sieht unbesetzt aus, darunter steht nur eine Tasche, in der sich seine Schuhe befinden. Sie steuert auf diesen zu, an den Männern vorbei, ohne sie zu beachten. Erst als sie sich auf gleicher Höhe mit Paul befindet, erkennt er sie wieder: Seine Nachbarin vom Strand! Fast hätte er sie nicht wiedererkannt, in ihrem eng geschnittenen blauen Kleid und den dazu farblich abgestimmten langen Ohrringen. Ihre dunklen Haare trägt sie seitlich gescheitelt und zu einem Knoten zusammengesteckt. Paul ist unschlüssig, wie er ihr begegnen soll, und entscheidet sich dafür, sie später zum Tanz aufzufordern. Diese junge Frau ahnt nicht, dass sie gerade von Frank fotografiert wird. Ihre Bewegungen sind natürlich und graziös, auch daran zu erkennen, wie sie ihre offenen roten Tangoschuhe anzieht. Ebenso wenig ist ihr in diesem Moment bewusst, dass sie sich gerade in einer der schönsten und ästhetischsten Posen befindet, die eine Frau einnehmen kann. Den Männern hingegen schon, sie betrachten diese Schönheit mit Hochgenuss aus den Augenwinkeln heraus! Für Paul gibt es nur noch eine schönere Pose, nämlich die, welche er an Lore so liebt: Wenn sie im Tangokleid vor dem Badspiegel steht und ihren Schmuck anlegt.

»Voulez vous danser?«, fragt Paul, nachdem sie ihre Schuhe angezogen und sich zur Tanzfläche hingedreht hat. Und wieder dieser Blick von ihr, als sie antwortet: »Ja, gerne.« Sie sagt das auf Deutsch, also weiß sie, dass er Deutscher ist. Paul hat beim Auffordern nur auf einen günstigen Moment gewartet und nicht darauf, wie weit die Tanda bereits fortgeschritten ist. »Ich bin Paul«, stellt er sich vor, bevor sie zu tanzen beginnen. »Cristina, die Franzosen nennen mich Christine.« Ein neuer Tango wird gespielt. Paul kennt ihn, es ist Hotel Victoria von Canaro. Er stellt Cristina auf das richtige Bein, beginnt mit einem Seitschritt und führt sie in den kleinen Grundschritt. Er spürt, dass sie ihm leicht folgen kann und führt sie ins Kreuz. Dieser Tango bietet sich für rhythmisches Gehen an, aber auch für Ochos und Ocho Cortados. Cristina liegt ihm, auch wenn sie nicht unbedingt eine sehr gute Tänzerin ist.

Das ist der letzte Tango der Tanda gewesen, denn die Cortina ertönt. Paul wartet ab, ob sie zu ihrem Platz gehen möchte – doch sie bleibt stehen.

»Ich freue mich, dass wir uns wiedersehen!«

»Es hat so sein sollen. Es gibt keine Zufälle.«

»Lebst du in Nizza?«

»Ja, ich bin im Service tätig. Und du?«

»Ich bin sozusagen auf der Durchreise. Morgen fahre ich weiter in den Luberon.«

»Schade!«

»Ich konnte doch nicht damit rechnen, dass wir uns kennenlernen. Du sprichst perfekt Deutsch. Wie kommt’s?«

»Ich habe die letzten zehn Jahre in Deutschland gelebt. Kennst du den Bodensee?«

»Nein, nicht direkt, aber … « Paul wird unterbrochen, der DJ spielt eine neue Tanda und beginnt mit einem Klassiker, Desde el Alma, einem Vals. Cristina legt ihren Kopf an den von Paul, nachdem sie auf Hotel Victoria noch offen getanzt hatten. Paul testet sie und führt sie in die Volcada. Doch diese Figur kennt sie nicht – ein lustiges Missverständnis entsteht.

Jede kurze Pause zwischen zwei Tangos nützen sie für ein paar Sätze.

»Woher kommst du?«

»Aus Bukarest. Und du?«

»Aus Berlin.«

Sie tanzen diese Tanda zu Ende, dann gehen sie zurück zu ihrem Tisch. Paul bestellt für sie einen Vin rouge. Während sie mit einem »Santé« anstoßen, nimmt Cristina eine Bewegung auf dem Boden wahr. »Schau mal!« Sie zeigt erschrocken mit ihrem Finger auf etwas kleines Kugeliges mit Schwanz, das unmittelbar vor ihnen über die Terrasse läuft. »Das ist eine Spitzmaus.« »Wie süß!« Auch wenn sie dieses Tierchen aus sicherer Distanz niedlich findet, klammert sie sich sicherheitshalber mit beiden Händen an Pauls Oberarm fest. »C’est Mickey Mouse«, klärt sie der gerade vorbeikommende Kellner lächelnd auf. Das Mäuschen hat also den Status eines Haustieres. Die Sonnenschirme auf der Terrasse sind an hohlen Vierkantrohrgestellen befestigt. In eines der Rohre flüchtet die Maus; zu viel Aufmerksamkeit mag sie offenbar nicht. Ganz im Gegensatz zu Paul – er mag es, von Cristina festgehalten zu werden. Diese löst zwar ihren Griff, als die »Gefahr« vorüber ist, bleibt aber trotzdem in körperlichem Kontakt mit ihm. Eine Haarsträhne hatte sich beim Tanzen gelöst. Sie streicht sie immer wieder mit der Hand aus der Stirn. Eine anmutige Bewegung, die Paul gefällt.

Sie bleiben unzertrennlich an diesem Abend; nur einmal, als sie sich auf die Toilette zurückzieht, gesellt sich Paul zu den beiden Deutschen.

»Jetzt kommt er einmal in seinem Leben hierher und nimmt uns die schönste Frau weg.« Alfred ist nicht wirklich so entrüstet, wie er sich ausdrückt.

»Morgen bin ich schon wieder weg und ihr habt mich los. Ach ja, Frank, bevor ich’s vergesse – ich hätte noch gerne Fotos von ihr. Könntest du mir welche zukommen lassen?«

»Klar doch, gib mir deine Mailadresse! Du bekommst sie dann in den nächsten Tagen.«

Paul reicht ihm seine Visitenkarte. Frank schaut ihn überrascht an.

»Du arbeitest in einer Werbeagentur?«

»Ja, warum?«

»Ich bin professioneller Fotograf. Vielleicht könnt ihr einen Freelancer für den Mittelmeerraum brauchen.«

»Ja, kann schon mal vorkommen. Schick mir doch deine Mappe zu!«

»Nein, ich komme vorbei, wenn ich das nächste Mal in Berlin bin.«

»Auch gut, ich würde mich freuen!«

Inzwischen ist Cristina zurück – sie hat sich nicht zu den Männern gesellt, sondern sich an den Tisch gesetzt. Gleich darauf wird sie aufgefordert. Als Paul zur Tanzfläche schaut, sieht er sie tanzen. Auch Alfred verfolgt die Szene. »Auf die musst du gut aufpassen!« Dann fordert er die Asiatin auf. Er tanzt fast jede Tanda, während Frank unermüdlich fotografiert. Paul wiederum nickt einer Frau mit langen brünetten Haaren zu. Diese stellt sich auf der Tanzfläche mit Carol vor. Sie ist aus Nizza, spricht aber auch Englisch. Einmal treffen sich seine Augen mit denen von Cristina. »Bis nachher« signalisieren sie einander.

»Bist du mit dem Auto hier?«, fragt Cristina ihn, als sie wieder beieinandersitzen.

»Ja, kann ich dich nach Hause fahren?«

»Das wäre nett. Tanzen wir noch einmal?«

»Gerne, das wäre unser Abschiedstanz.« Pauls Miene drückt Bedauern aus.

»Ich darf gar nicht daran denken. Komm, lass es uns genießen!«

Die beiden verlassen die Milonga, während eine Tanda im Gange ist. Frank und Alfred tanzen, Paul winkt ihnen zum Abschied zu. »Bis zum nächsten Mal!« formulieren seine Lippen. Sie heben jeweils grüßend ihre rechte Hand.

Pauls und Cristinas Hände finden sich, als sie die Milonga verlassen und die Treppe hinuntergehen. Erneut vermischt sich die Tangomusik mit dem Jazz, der von den Musikern aus der Gruppe der Jugendlichen gespielt wird. Auf dem nächsten Treppenabsatz fragt Cristina: »Hören wir kurz zu?« Die Jugendlichen beachten sie kaum, als sie sich zu ihnen stellen. Zu sehr sind diese mit sich selbst beschäftigt. Sie wiegen ihre Oberkörper zum Rhythmus der Musik. Saxophon, Gitarre, Percussion und eine Melodica sind die Instrumente der vier jungen Musiker. Besonders der akkordeonähnliche Klang der Melodica fasziniert Paul. »Schön!« flüstert Cristina ihm ins Ohr.

Er öffnet das Verdeck des Cabrios, bevor sie losfahren. Da sie selbst nicht Auto fährt, kann sie ihm den Weg zu ihrer Wohnung nicht beschreiben. So nennt sie ihm nur die Adresse, die er in das Navi eingibt. Nach einer Viertelstunde Fahrt durch das verwirrende Straßennetz hält er vor dem Block, in dem sie wohnt. Allerdings muss er in der zweiten Reihe parken. Cristina legt ihre Hände in seine.

»Danke für den schönen Abend!« sagt er, als sie sich in die Augen schauen.

»Sehen wir uns wieder?«

»Ich hoffe es. In einem Jahr bin ich wieder in Nizza.«

»Ob ich dann noch hier bin? Ich weiß es noch nicht.« Traurig legt sie ihre Stirn an die seine, ihre Nasenspitzen berühren sich leicht.

»Wenn wir uns jetzt küssen, wird es noch schlimmer. Versteh’ mich bitte!«

»Wie schade, wenn man auf das Schönste verzichten muss! Aber dann tut es auch nicht so weh.«

»Du hast recht! Wann fliegst du zurück?«

»Übermorgen, am frühen Nachmittag.«

»Da muss ich leider arbeiten, sonst hätten wir uns verabschieden können.«

Eine Straßenlaterne beleuchtet diese Abschiedsszene. In deren Schein gibt sie ihm noch ein Küsschen auf den Mund, wendet sich entschlossen von ihm ab und verlässt ihn mit eiligen Schritten. Er schaut ihr nach, doch sie dreht sich nicht mehr nach ihm um. Paul bleibt noch eine Zeitlang sitzen. Er sieht die Lichter, die im Treppenhaus angehen und anbleiben, bis sie in ihrer Wohnung im dritten Stock angelangt ist. Ein Fenster geht auf, Cristina winkt ihm doch noch einmal zu. Jetzt kann er fahren. Sich an den Bahngleisen orientierend findet er seine Unterkunft und ganz in der Nähe sogar einen Parkplatz.

2.

Bonnieux

Das Navi zeigt 222 Kilometer bis Bonnieux, Fahrtzeit 2 Stunden und 54 Minuten. Als Paul den Motor startet, sind seine Gedanken bei Cristina. Auch trägt er noch die Müdigkeit der zu kurz geratenen Nacht in sich. Selbst zwei Tassen Café Noir hatten nicht genügt, um ihn auf Touren zu bringen. Während der ersten Hälfte der Fahrt kann er den Reiz der Landschaft kaum genießen, auch ist die wärmende Morgensonne nicht in der Lage, eine belebende Wirkung auf ihn auszuüben. Ihm ist bewusst, dass das nicht nur an seinem übernächtigten Zustand liegt. Vielmehr spürt er, dass er zu dem heutigen Treffen eigentlich gar nicht kommen wollte, doch er konnte die Einladung nicht ablehnen. Marie, der man heute gemeinsam gedenken will, war seine große Liebe gewesen. Er hatte sehr unter ihrem Tod gelitten und wollte sich dem Schmerz nicht wieder aufs Neue aussetzen. Schließlich hatte er mit Lore einen Weg gefunden, Marie nicht ganz zu vergessen, aber mit ihrem tragischen Ende doch einigermaßen klarzukommen. Die schmerzhafte Aufarbeitung einer Trennung ist nicht gerade seine Stärke, denn er ist der Typ, der, wenn’s drauf ankommt, eher auf Verdrängen setzt. Doch was gelebt werden muss, lässt sich nicht verdrängen, so sehr man sich auch dagegen sträuben mag! Deshalb ist Paul nun auf dem Weg nach Bonnieux.

Erst als er St. Maximin hinter sich gelassen hat, öffnen sich nach und nach seine Sinne, deren Aufnahmefähigkeit sich bis jetzt wie hinter einer Milchglasscheibe versteckt gehalten hatte.

Die hügelige provencalische Landschaft schiebt sich in das Sichtfeld seiner Augen, die bislang ausschließlich mit dem Verkehr beschäftigt waren. Paul will anhalten, als sich die nächste Raststätte ankündigt. Die Klimaanlage, die das Wageninnere angenehm kühl gehalten hatte, täuschte ihn über die tatsächliche Außentemperatur hinweg. Und die schlägt ihm jetzt entgegen, als er die Tür öffnet. Mittagszeit in Südfrankreich! Eilig sucht er einen Platz im Schatten. Er streckt sich wie ein Küken, das gerade die einengende Eierschale durchbrochen hat und sich erstmals dem Leben stellt.

Jetzt erst nimmt er wahr, dass er vergessen hatte, das Verdeck seines Cabrios zu öffnen. Gleich will er es nachholen. Der Duft der mediterranen Pflanzenwelt dringt in seine Nase. Hierher muss er unbedingt wieder kommen – mit Lore!

Dieser Gedanke gibt Paul den nötigen Energieschub. Er ist jetzt so weit, dass er sich dem Grab Maries und dem Wiedersehen mit ihren ehemaligen Arbeitskollegen, vor allem Conny, stellen kann. Auf einmal hat er es eilig, er möchte pünktlich ankommen – nicht wie damals, als er die Beerdigung verpasst hatte. Mit Elan steigt er in das Cabrio ein; das Fahren macht ihm von jetzt an Freude! Anfangs hält er sich noch an das Tempolimit von 130 km/h, dann fährt er schneller.

Aix-en-Provence. Paul ist froh, dass er ein Navi zur Verfügung hat. Denn wonach hätte er sich richten sollen, als er die A8 verlässt. Auch wenn sich seine Gedanken mit dem kommenden Ereignis beschäftigen, kann er den Wechsel in der Umgebung links und rechts der Straße wahrnehmen. Der Luberon, in dem Bonnieux liegt, ist zwar Teil der Provence, doch ist der Charakter der Landschaft ein anderer. Schroffe und zerklüftete Kalkfelsen sind Merkmale dieser Gegend. Die nicht wegzudenkenden Pinienwälder haben es hier nicht so einfach, sie müssen sich teilweise in unwirtlichem Gelände behaupten, was sie allerdings auch widerstandsfähiger macht.

Die letzten Kilometer bis zum Zielort kann Paul genießen; die aufsteigende Straße nach Bonnieux ist extrem kurvig, was beiden Spaß macht – ihm und dem Cabrio.

In einer Minute ist er am Ziel. Er erkennt es, weil er schon einmal hier gewesen ist. Zweihundert Meter sind es noch bis zu Maries Grab. Als er die Straße verlässt, rechts um die Ecke biegt und den Parkplatz des Friedhofs erreicht, sieht er mehrere Autos dort stehen. Eines davon trägt das Kennzeichen von Paris, die 75, und ein anderes ein Münchner Kennzeichen. Wie seltsam! Conny und Dominique erkennt er sofort, als er sich dem Grüppchen nähert. In seinem Bauch rumort es vor Nervosität, wie immer, wenn er sich in einer solchen Situation befindet.

Mit »Bonjour Paul, ça va?« begrüßen ihn Maries ehemalige Kollegen, begleitet von Umarmungen und Küsschen. Leider hat er ihre Namen in der Zwischenzeit vergessen, was ihm offensichtlich peinlich ist.

Conny hat sich anfangs im Hintergrund gehalten, umso mehr lässt sie jetzt ihre Zuneigung ihm gegenüber in die Intensität ihrer Umarmung fließen. Sie mögen sich immer noch sehr, trotz allem, was zwischen ihnen geschehen ist. Eingebettet in die Gruppe von Maries Freunden fühlt sich Paul geschützt, er muss den Weg zu ihrem Grab nicht alleine gehen.