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Eine Erzählung für Mädchen. Die Serie "Meisterwerke der Literatur" beinhaltet die Klassiker der deutschen und weltweiten Literatur in einer Sammlung.
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Seitenzahl: 212
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Hansis Europareise
Käthe van Beeker
Inhalt:
Käthe van Beeker – Biografie und Bibliografie
Hansis Europareise
Hansis Europareise, Käthe van Beeker
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849638009
www.jazzybee-verlag.de
Deutsche Jugendbuch-Autorin, geboren am 1. April 1863 bei Königsberg, verstorben am 21. Juli 1917 in Meran-Obermais. Käthe van Beeker wurde auf einem Landsitz bei Königsberg in Preußen geboren. Sie erhielt ihre Erziehung seit ihrem dritten Lebensjahr in Königsberg und lebte später unverheiratet in Wiesbaden, wo sie ab 1897 literarisch tätig wurde. Sie verfasste vor allem Bücher für Mädchen und galt neben Brigitte Augusti, Bertha Clément und Henny Koch als eine der erfolgreichsten Autorinnen von Backfischliteratur ihrer Zeit. Sie verfasste unter anderem Reiseerzählungen für junge Mädchen und Mädchenkolonialromane, die sich erstmals auf dem Gebiet der Mädchenliteratur mit der Auswanderung und dem Leben in der Fremde beschäftigten. Dabei liegt der Fokus statt zum Beispiel auf dem typischen Pensionsaufenthalt der jungen Heldin in der Backfischliteratur auf der Entwicklung der Heldin in einem fremden Land. Hedda, die Heldin aus Heddas Lehrzeit in Südwest, wird zum Beispiel von ihrer verarmten Familie zu ihrem Bruder nach Südwestafrika geschickt, wo sie sich unabhängig von ihrer Mutter – der Vater ist bereits verstorben – selbstständig entwickeln kann. Käthe van Beekers Romane erreichten zum Teil hohe Auflagen und wurden unter anderem ins Niederländische und Schwedische übersetzt.
Wichtige Werke :
Großstädtischer Besuch. Eine kleinstädtische Familiengeschichte (1899)Die wilde Hummel. Erzählung für junge Mädchen (1899)Tante Auroras Erbin (1900)Die Familie von Ellernbruck (1901)Komteßchen Reh. Erzählung für junge Mädchen (1901)Fräulein Schulmeister und andere lustige Liebesgeschichten (1902)Guste, Gretel und ich. Erzählung für junge Mädchen (1902)Glücksklee. 4 Sommergeschichten (1904)Hansis Europareise. Erzählung für Mädchen (1906)Gretes Verlobung. Die Geschichte einer Jugend (1907)Heddas Lehrzeit in Südwest. Erzählung für Mädchen (1909)Fräulein Wildkatz. Erzählung für junge Mädchen (1913)Der Ring der Nuramaja (1919)Der Text ist unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Im Gesamten ist dieser Text verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Beeker.
Der Schnellzug, der von München aus die wander- und reiselustigen Leute ins schöne bayerische Hochgebirge führt, ist zur Sommerzeit immer ziemlich besetzt.
Personen mit viel Handgepäck und breitem Körperumfang sind in ihm weder willkommen, noch finden sie selbst, was ihren Wünschen und ihrem Verlangen genügt.
Da waren nun die drei Passagiere, die eben in den zu den einzelnen Wagenabteilen führenden Gang traten, ganz ideale Reisende. Der voranschreitende Herr trug nichts als einen Überzieher auf dem Arme; die ihm folgende, sehr hagere, langgewachsene Dame hielt als einziges Gepäck ein zierliches, rundes Deckelkörbchen in der Hand; und das dunkelhaarige, schlanke Backfischchen, das so leicht und gewandt die Wagenstufen nahm, schien auch nicht gerade niedergedrückt von der Last zweier Schirme und einer mäßigen Reisetasche.
Trotzdem mußte die Gesellschaft die ganze Reihe des Wagens entlang wandern, ohne Platz zu finden. Alle Abteile waren schon so besetzt, daß drei Personen nicht mehr hinein konnten. Endlich, im letzten, saßen nur eine Dame und ein Herr.
"Da ist noch Raum für uns," winkte die vorangeeilte Kleine.
Die am Fenster sitzende Dame machte ein unfreundliches Gesicht. Sie hatte neben und über sich alles mit Köfferchen, Körbchen, Kissen und Mänteln belegt und dachte nicht daran, irgend etwas fortzurücken, sondern sah starr nach der Seite und überhörte die höfliche, mit etwas fremdländisch klingendem Akzent gestellte Frage des jungen Mädchens: "Sind diese Plätze besetzt?" vollkommen.
Die Kleine wiederholte den Satz in englischer Sprache und etwas lauter.
Wieder keine Antwort. Statt dessen sagte der in der gegenüberliegenden Ecke sitzende Herr, den ihr fragender Blick jetzt streifte, lächelnd: "Soviel ich weiß, sind außer den beiden mit Menschen besetzten Plätzen alle frei."
"O danke, mein Herr. Ja, Miß Holymat, hier ist Raum. Bitte, wollen Sie Ihre Sachen von dem gegenüberliegenden Sitz forträumen? Die Dame verträgt nicht rückwärts zu sitzen," wandte sie sich höflich, aber ganz bestimmt, an die noch immer laut- und gefühllos dasitzende Mitreisende.
"Da ist ja überall Platz," gab diese nun mürrisch und widerwillig ihre Taubstummheit auf, ohne ihre Sachen anzurühren.
"Ja, aber die Dame will am Fenster sitzen."
Flink packten die kleinen, festen Hände zu, um der eintretenden Begleiterin Platz zu schaffen.
Mit einem wütenden Auffahren riß die Fensterdame ihr Gepäck an sich.
"Fassen Sie meine Sachen nicht an! Der Korb – rühren Sie ihn nicht an, den Korb! Wie die Heringe wird man zusammengepreßt! Nicht einmal die notwendigsten Kleinigkeiten kann man bergen! Bei der Hitze, wo es sicher ein Gewitter gibt. In überfüllten Räumen entladet sich die Elektrizität am schnellsten," sprach sie laut und zornig dazwischen.
Die große, hagere Dame, die sich eben schüchtern auf den freigemachten Sitz niederlassen wollte, fuhr erschreckt zurück.
"O, Mister Uildes, ich möchte nicht haben eine Blitzschlag in dieses Zug. Ich möchte verlassen dieses Zug und uarten, bis ist verganget das Geuitter," rief sie ängstlich dem hinter ihr eintretenden Herrn zu und machte ein paar Schritte rückwärts nach der Türe.
In diesem Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung.
"O, es sein zu spät!" Mit einem kläglichen Seufzer sank die Miß auf den Sitz zurück. "Uir uerden haben eine Blitzschlag!"
"Woher denn? Warum?" fragte Mister Wildes überrascht und legte seinen Überzieher in das Wagennetz. "Es ist ja gar kein Wölkchen am Himmel!"
"Vielleicht aber hier im Coupé," lachte das junge Mädchen leise, mit schelmischem Spott auf, und der gegenübersitzende Herr, der ihr vorher so freundlich Bescheid gegeben, erwiderte ihren lustigen Blick mit einem amüsierten, verständnisvollen Lächeln.
"Bleiben Sie nur ruhig sitzen," fuhr Herr Wildes fort, "Wir haben hier sehr bequem Platz. Ich gehe gleich auf den Gang hinaus und Hansi wird wohl auch nicht lange drin bleiben."
"Herrgott, rücken Sie doch nicht so nah ans Fenster! Sie stoßen ja unten meinen Korb um, den ich Ihretwegen gerad' forträumen mußte," fuhr die unliebenswürdige Reisegefährtin zornig auf und schob die Füße der verstörten Miß heftig zur Seite. "Es ist etwas Zerbrechliches drin, der Korb muß geschont werden!"
Die Miß, auf deren langem, schmalem Körper ein langer, schmaler Hals und über diesem ein winzig kleines Gesichtchen saß, dem ein Paar sehr hochgezogene, stark gewölbte Augenbrauen einen seltsam verwunderten und ängstlichen Ausdruck gaben, sah erschreckt und schuldbewußt auf ihr eigenes Körbchen nieder, das sie besorgt auf ihrem Schoß hielt, und rückte gehorsam weit vom Fenster weg.
Aber Hansi, die Dreizehnjährige, die ein sehr mutiges Herz und ein starkes Rechtsgefühl in sich trug, war bei der erneuten Ungezogenheit der fremden Dame ganz rot vor Unwillen geworden und sprach jetzt heftig in englischer Sprache zu ihrer Genossin hinüber: "Aber, Miß, Sie werden sich doch nicht von dieser ungezogenen Dame einschüchtern lassen! Sie haben ein Recht aus den Platz am Fenster. Was geht Sie der Korb an. Nicht wahr, Pa?"
Der angerufene Pa hatte sich schon, wie er vorher ankündigte, in den Gang begeben, konnte also seiner kleinen, erzürnten Tochter nicht beistimmen, und wieder wandten sich deren Augen, Hilfe und Zustimmung heischend, an den still vor sich hinlächelnden Fremden.
Er nickte ihr freundlich zu: "All right, Miss –"
Im selben Augenblick ein erschreckter Doppelschrei vom Fenster her.
Bei dem ermutigenden Anruf ihres Zöglings hatte die lange Miß einen energischen Ruck nach dem umstrittenen Fenster zu gemacht und dabei heftig an den untenstehenden Korb gestoßen, in dem etwas Zerbrechliches sein sollte. Der Korb war durch den Stoß ins Kippen gekommen und das Zerbrechliche mit einem zwischen Knurren und Kläffen schwankenden Ton aus ihm heraus und auf den Schoß der Miß gesprungen.
Laut aufschreiend vor Schreck schnellte diese in die Höhe und ließ dabei ihr ängstlich gehütetes Körbchen fallen, aus dem sich im Fallen ein kläglich miauendes, schneeweißes Etwas rollte und im nächsten Augenblick unten am Boden des Coupés mit gesträubtem Fell und funkelnden Augen vor dem niedlichen, schwarzbraunen Rehpinscher stand, der sich als das Zerbrechliche des anderen Korbes entpuppt hatte.
Wahrend die beiden Besitzerinnen der blinden Passagiere noch erstarrt vor Schreck dastanden, tönte von unten herauf ein durchdringendes Bellen und wütendes Fauchen, man sah blitzschnell ein Paar weiße Pfötchen um ein Paar schwarze Öhrchen fliegen, der Pinscher duckte sich aufheulend nieder und das Kätzchen sprang blind und wild vom Boden auf den Schoß der Hundebesitzerin.
"Lissie, my darling," jammerte die Miß auf und wollte ihren Liebling an sich reißen. Aber schon flog er, von der Hundebesitzerin im Bogen wütend fortgeschleudert, in das Wagennetz zwischen die dort aufgetürmten Köfferchen, Kästchen und Mäntel, und die Hundedame kniete nieder neben dem wimmernden Pinscher, ihn mit den zärtlichsten Koseworten tröstend und streichelnd.
Das alles war so blitzschnell und verblüffend vor sich gegangen, daß weder Hansi noch der fremde Herr recht zur Besinnung und zum Eingreifen gekommen waren. Wie aber jetzt das erregte, geängstigte Kätzchen oben im Wagennetz einen kühnen Sprung nach der anderen Seite machte und die Miß verzweifelt aufjammerte: "O, she will escape!" packte der Herr schnell den Griff der Türe und zog diese fest zu.
"So, damit ist wenigstens jede Flucht verhindert," sagte er lächelnd. "Hoffentlich überhaupt die Verhandlung unter Ausschluß der Öffentlichkeit gebracht. Bitte, lassen Sie das Tierchen zur Ruhe kommen, dann fangen Sie es nachher leicht ein."
"Nein, das Katzenvieh muß heraus, gleich heraus! Ich leide es nicht hier im Coupé. Solche Verrücktheit, eine Katze bei sich zu haben! Ich verlange überhaupt Schadenersatz, Kurkosten! Mein Pikkolo hat ein blutendes Öhrchen! Mein Goldenster muß so leiden!" schrie die Hundedame wütend, ihren winselnden Pinscher an sich drückend und die verängstigte Miß, deren Augenbrauen noch höher gezogen waren wie sonst, mit ihren Blicken aufspießend.
"O, man darf doch auch keinen Hund im Coupé haben," warf sich Hansi mutig und erzürnt zur Verteidigerin ihrer Miß auf; "nicht wahr, mein Herr?"
Pa war doch nun einmal nicht da, und eigentlich machte sie das sehr froh, denn sie wußte, daß Pa solch unangenehme Dinge nicht liebte. Er war immer dagegen, daß die Miß ihr Kätzchen mit sich führte, und sicher würde er jetzt bei dieser Katastrophe sehr erzürnt und vielleicht sogar geneigt sein, der bösen, unangenehmen, fremden Dame recht zu geben. Dagegen dieser liebe, nette Herr nahm sicher für sie und Miß Holymats Kätzchen Partei. Sie hatte ein großes Vertrauen zu ihm und daher rief sie ihn unwillkürlich wieder zu ihrem Beistand auf.
"Es fragt sich, ob die Dame ein Hundebillett hat," sagte er achselzuckend. "Wenn die Angelegenheit vor den Schaffner kommt, wird sich das ja erweisen."
"Um einen so kleinen Hund, der artig in seinem Körbchen liegt, hat sich kein Schaffner zu kümmern," fuhr die Dame mit feindlichem Blick nach dem Redner auf.
"Er lag aber nicht artig in seinem Körbchen."
"Nein, natürlich nicht, wenn er herausgeworfen und von einer Katze geohrfeigt wird! O, mein Süßerchen, mein Herzblättchen, tut es so weh? Schaffen Sie die Katze fort, gleich! Mein Pikkolo zittert am ganzen Körperchen, er kann das Katzenvieh nicht vertragen."
"O, mein klein armes Katz kann das Hund auch nicht vertragen," raffte sich die Miß ihrerseits zum Zorn und zur Verteidigung ihres Lieblings auf und sah mit ängstlich zärtlichen Blicken nach der zum Sprunge Geduckten.
"Dann gehen Sie doch aus dem Coupé. Ich wollte Sie gleich nicht darin haben," zürnte die andere.
Hansi sah ängstlich und unsicher zu ihrem Nachbar auf.
"Es waren doch nirgend mehr drei Plätze frei," sagte sie leise, "und Pa wird böse sein –"
"Ich würde Ihnen vielmehr raten, meine Dame, daß Sie sich ein anderes Coupé suchen," wandte sich dieser höflich aber sehr bestimmt an die Hundebesitzerin. "Wir sind hier zu vier Personen und Sie nur eine –"
"Fällt mir nicht ein. Ich war die erste, ich habe das meiste Gepäck und Sie können meinetwegen auch ruhig drinbleiben. Sie stören mich nicht. Nur das Katzenvieh muß heraus!"
"Es ist kein Vieh, mein kleines, feines Katz! Es ist eine impoliteness, zu nennen es Vieh," empörte sich die Miß, und der Herr sagte kopfschüttelnd: "Ich stehe auf seiten und zum Schutz dieser Damen, bleibe folglich mit ihnen zusammen, und da sonst kein Coupé mehr so viel freie Sitze bietet, liegt es nahe, daß Sie als einzelne, die überall Platz findet, auswandern. Für die Überführung Ihres Gepäckes werde ich Sorge tragen. Auch bin ich bereit, einen Platz für Sie zu suchen –"
"Bemühen Sie sich nicht, ich lasse mich nicht hinauswerfen, ich bleibe und die Katze muß hinaus!"
Miß Holymat war es jetzt glücklich gelungen, das Streitobjekt einzufangen und die Knurrende und Fauchende in ihrem Körbchen zu bergen.
"Ich will gehen und suchen ein anderes Platz," erbot sie sich verängstigt, und Hansi, der es direkt gegen Ehre und Empfindung gegangen wäre, wenn sie und ihre Miß als Besiegte hätten abziehen müssen, warf einen flehenden Blick auf ihren kampfbereiten Freund.
Er nickte ihr ermutigend zu und sprach dann zu der feindlichen Dame hinüber: "Gut, dann wollen wir den Schaffner rufen und ihn entscheiden lassen. Ein Kätzchen, das lautlos in seinem Körbchen sitzt, ist ein erlaubter blinder Passagier, dagegen ein Hund – "
"Ach, ich habe nicht Lust, mich mit so hinterlistigen, unerzogenen Leuten weiter herumzuärgern, – der Klügere gibt nach," fiel die Hundedame giftig ein. "Solche Katzenluft fällt mir auf die Gesundheit. Mein Süßerchen, mein Pikkolochen, wir gehen aus der verpesteten Atmosphäre heraus, wir finden schon noch ein anderes, reines Plätzchen, ja, mein Goldhündchen!"
Dabei packte sie das Goldhündchen in sein Körbchen, warf einen Mantel über dieses, so daß kein Mensch es bemerken konnte, versetzte im Vorüberschreiten der auf den Sitz gesunkenen Miß noch einen kräftigen Puff und rauschte grußlos zum Coupé hinaus.
Hinter ihr brachen der fremde Herr und Hansi in ein lustiges und siegesfrohes Gelächter aus. Hansi ergriff die Hände ihres hilfreichen Freundes und rief begeistert: "Wir haben sie geschlagen! Wir sind Sieger geblieben. Nein, nicht wir, nur Sie! O, ich danke Ihnen viel, vielmals. Sie sind so furchtbar nett gewesen und so klug –"
" O yes, ich danke Ihnen auch vielmal. Jane hat recht. Sie uaren so tapfer und gentlemanlike uie ein Amerikaner," fiel die Miß lebhaft ein.
Der Fremde wehrte lächelnd ab. "O bitte, bitte, gar keine Veranlassung. Bei uns in Deutschland nimmt man sich des Rechtes ebenso an wie in Amerika."
" O yes, I believe, aber Sie haben in Deutschland sehr häßliche, unfreundliche Ladys."
"Vereinzelt, ja. In Amerika wohl auch."
" O yes," gab die Miß kleinlaut zu und Hansi lachte vergnügt auf.
"Da kann die Miß nicht widersprechen, trotzdem sie schrecklich amerikanisch ist."
"Und Sie nicht, mein kleines Fräulein? Sie scheinen mir doch auch eine Amerikanerin zu sein?" fragte lächelnd der fremde Herr.
Hansi nickte eifrig mit dem Köpfchen. "Ja, natürlich, aber doch nur Halbblut, wie Miß Holymat sagt. Bei ihr sind nämlich schon die Großeltern in Amerika eingewandert und bei mir erst die Eltern. Pa ist in Deutschland geboren und hat Ma erst herübergeholt als er sie heiratete. Bei uns zu Hause wird immer noch Deutsch gesprochen und die Eltern gehen oft hinüber nach Europa."
"Dann haben Sie gewiß auch noch Großeltern hier drüben?"
"Nein, sie sind alle tot seit ein paar Jahren, aber meine älteren Geschwister haben sie noch gekannt, nur ich nicht. Ich bin nämlich zum ersten Male drüben, und das habe ich auch nur einem ganz bösen Scharlachfieber zu verdanken. Da sollte ich eine Luftveränderung haben, und deshalb hat mich Pa mitgenommen. Ach, ich bin dem Scharlachfieber so dankbar! Es war gräßlich, wochenlang in der dunkeln Stube zu liegen, o, so häßlich! Und dann habe ich mich gehäutet wie eine Schlange, ja, wirklich! Ma sagte immer, sie hoffe, es bleibe auch ein bißchen alter, unnützer Adam in der alten Haut stecken. Aber ich glaube nicht; Miß Holymat, was meinen Sie?"
Sie lachte schelmisch zu der langen Miß hinüber, die ihren Katzenliebling eben mit einem Milchsaugfläschchen wieder in friedliche, angenehme Verfassung zu bringen versuchte und nun mit sanftem Lächeln den kleinen Kopf schüttelte.
"O, Jane, du hast genommen dich sehr geschickt auf die Reise. Ich habe gehabt viele Angst um dir, daß du fallst auf das Meer und unter den Eisenbahnen, aber du hast gehabt viele Haltung auf das uilde Uasser."
"Ja, alle waren seekrank, sogar Lissie, das arme Kätzchen, hat gewinselt und ist auf dem Bauch gekrochen," lachte Hansi, "nur Pa und ich nicht. Das war doch aber auch Ehrensache, nicht? Wenn Pa sein Jüngstes mit nach Deutschland nimmt, kann er wohl verlangen, daß es ihm keine Kopfschmerzen macht."
"Na, na, was nicht ist, kann noch werden," neckte der Fremde. "Wer weiß, wie viel Kopfschmerzen Sie Ihrem Papa noch machen werden! Sie sind doch wohl erst im Anfange der Reise?"
"Ja, wenigstens auf Land. Von Hamburg sind wir gleich bis München durchgereist, da Pa so schnell wie möglich ins Gebirge kommen wollte. Ach, ich freue mich so schrecklich auf die Berge! Ich habe noch nie Berge gesehen, denken Sie nur! Wohl auf Bildern, aber noch nie in Wirklichkeit. Und ich will auf alle hinaufsteigen – ja, wirklich. Pa lacht zwar, wenn ich das sage, aber ich kann so gut klettern. Man kann doch alle Berge besteigen, nicht?"
"Alle?" Der Fremde lächelte amüsiert. "So kleine Damen können nur kleine Berge besteigen."
"O, die Größe tut es doch nicht," widersprach Hansi lebhaft. "Sehen Sie, dann könnte die Miß ja die höchsten Berge besteigen. Aber die schüttelt sich schon, wenn es heißt über einen Maulwurfshügel gehen – nicht, Mißchen?"
"O, Jane, du langueilest den Herrn mit deine viele Reden, Kleine Mädchen dürfen nicht reden so viele Dinge."
"Bitte, bitte, es macht mir großen Spaß, solch junges, frisches Geplauder zu hören," wehrte Hansis Freund liebenswürdig ab.
Aber Hansi war sehr rot geworden und sagte, halb beschämt, halb ärgerlich: "Ich wollte, ich wäre erst groß und erwachsen wie meine Schwestern, damit all das, was kleine Mädchen nicht dürfen, endlich überwunden wäre. Haben Sie auch eine kleine Tochter?"
"O, Jane, du darfst nicht sein curious," mahnte die Miß wieder, aber der Fremde antwortete sehr freundlich: "Nein, leider nicht. Ich habe nur einen sehr großen, lustigen Jungen, den man jetzt schon beim Militär drillt und seinen langen Beinen den Parademarsch beibringt."
Ehe Hansi, die bei Erwähnung der langen Beine und des Parademarsches lustig aufgelacht hatte, sich weiter über die Familienverhältnisse ihres Nachbars unterrichten konnte, trat ihr Vater in das Coupé, sah sich neugierig um und fragte leise: "Was gab es denn für eine merkwürdig laute Unterhaltung hier bei euch und wo segelte die umfangreiche, fremde Dame hin? Sie pustete, als sie bei mir vorüberkam, wie eine Dampfmaschine, und hat mir so kräftig auf den Fuß getreten, daß ich noch hinke."
Die Miß schob schnell und mit zerknirschter Miene ihr Katzenkörbchen in die äußerste Ecke des Sitzes und Hansi erzählte.
Daraufhin bedankte sich Mister Wildes sehr höflich bei dem Schutzgeist seiner beiden Damen, stellte sich und diese vor, und der Schutzgeist, der sich gleichfalls vorstellte als ein Professor Nickel aus München, versicherte freundlich, wie gern er alles getan und wie sich das lustige, frische Töchterlein des Amerikaners schon vollkommen seine Freundschaft erworben hätte.
Bei einer fortgesetzten Unterhaltung ergab es sich dann, daß Herr Professor Nickel das gleiche Reiseziel hatte wie seine Coupégenossen. Auch er ging nach Reichenhall, war sogar dort ein alter Kurgast und genauer Kenner des Ortes und seiner Umgebung, und er nickte zustimmend mit dem Kopf, als Mister Wildes ihn fragte, ob er hoffen dürfe, sich dort ihm anschließen und von seiner Ortskenntnis profitieren zu können.
Hansi, deren warmes, enthusiastisches Kinderherz sich gleich dem liebenswürdigen Helfer in der Not zugewandt hatte, jubelte wie eine Lerche im Morgenlicht, als sie das hörte, und als schließlich die beiden Herren noch verabredeten, im gleichen Hause Wohnung zu nehmen, war sie auf dem Gipfel des Entzückens.
Als sie in Reichenhall eintrafen, lag schon Abenddämmerung über den Bergen und Matten; aus den Restaurationsräumen der eleganten Hotels und Badehäufer schimmerte Lampenlicht, und an eine Besichtigung des Ortes war nicht mehr zu denken.
Desto köstlicher präsentierte er sich am folgenden Morgen bei blauem Himmel und goldenem Sonnenglanz, als Hansi auf die breite Terrasse trat, auf der die Gäste des Hotels ihr Frühstück einnahmen.
Professor Nickel saß schon hinter seinem Kaffeekännchen und den Münchener Neuesten Nachrichten, legte diese aber sogleich beiseite, um seine kleine Freundin zu begrüßen und ihr ein Plätzchen an seinem Tische einzuräumen.
"O, danke tausendmal. Pa schläft noch und die Miß wäscht und kämmt Lissies weißes Pelzchen, weil sie fürchtet, es könnten gestern bei der wilden Jagd durch das Coupé gesundheitsschädliche Bazillen hineingekommen sein," erzählte Hansi lachend und der Professor lachte mit.
Schelmisch mit den Augen blinzelnd, meinte er: "Wenn Lissie keine bösere Einquartierung dabei bekommen hat, dann braucht die Miß sich nicht zu ängstigen. In welch einem Verhältnis stehen Sie übrigens zu der Dame?"
"Sie hat meine beiden älteren Schwestern unterrichtet. Sie ist sehr klug und sehr gut, und da Ma nicht mitkommen konnte, weil Mary und Gertie verlobt sind und doch jemand bei ihnen bleiben muß, so hat sie Miß Holymat gebeten, statt ihrer mitzugehen, mich zu bewachen und, da ich durch die Krankheit so lange Ferien hatte, jetzt unterwegs etwas zu unterrichten."
"Ach so. Hm, die arme Miß, da hat sie nun zwei Wildfänge und Durchgänger zu bewachen," neckte der Professor.
"O nein, im Gegenteil, ich muß doch immer die Miß bewachen, die ist viel ängstlicher und ungeschickter wie ich," beteuerte Hansi wichtig, warf, wie zur Bestätigung dieser Bemerkung, das Sahnetöpfchen um, versuchte erschreckt mit ihrer Serviette den Milchstrom zu stoppen, tauchte diese dabei in das Honigschälchen und starrte dann entsetzt auf ihre Hände, über die der Honig in goldigen schweren Tropfen hinfloß.
"O, wie gräßlich, wie klebrig! Und alles schmutzig! Was habe ich bloß gemacht?"
Kläglich und beschämt schaute sie zu ihrem Tischnachbar hinüber.
"Sie haben sich bemüht, das Land herzustellen, in dem Milch und Honig fließt," lächelte dieser gutmütig. "Und das ist Ihnen sehr gut gelungen. Aber da wir nicht mehr in der Zeit des Alten Testamentes leben, denke ich doch, daß es besser ist, wenn wir nun den Kellner rufen und wieder Verhältnisse der Neuzeit schaffen lassen."
"Ach, ich geniere mich so vor dem Kellner. Es ist mir so peinlich –"
"Haha – sollten Sie doch vielleicht auch ebenso ängstlich sein wie die Miß?"
"Ja, ich glaube, ängstlich und ungeschickt," sagte Hansi kleinlaut. "Sie haben ganz recht, mich zu necken. Ich werde mich nie mehr auf Kosten meiner guten Miß loben. Ich bin ein greuliches Geschöpf."
"Augenblicklich nur ein zu süßes," lachte der Professor. "Laufen Sie schnell die Händchen zu waschen. Bis Sie zurückkommen ist hier alles wieder klar und sauber, und während Sie dann ganz still und artig frühstücken, mache ich Sie mit den schönen grünen Bergen bekannt, die, trotzdem sie uns fast in die Kaffeetassen hineinsehen, doch von Ihrem Unfall nichts gemerkt und keine Empörung darüber verraten haben." –
"Sehen Sie," sagte er dann, als Hansi nach einigen Minuten wirklich still, sauber und dankbar hinter ihrem Frühstück saß, "das dort, was sich so merkwürdig spaltet, ist die Felsenkette des Lattengebirges; daneben lehnt sich scharfkantig die rotgesteckte Marmorwand der Reitalm –"
"Marmor? – Ach! Das rotschmutzige Gestein?" unterbrach Hansi zweifelnd und etwas nichtachtend.
"Ja, ja, Marmor, kleine Ungläubige. Nur haben die Berggeister ihn noch nicht so blank geschliffen und poliert, wie Sie ihn auf dem Nachttischchen in Ihrem Zimmer sehen, aber es ist trotzdem derselbe."
"Ach? Ja freilich, er wird wohl nicht von Natur aus so glatt und hübsch sein," gab Hansi nachdenklich zu. "Ja, es war dumm gesagt. Aber man kann sich das nicht gleich vorstellen."
"Nein, aber es ist mit vielen Dingen so. Schliff und Behandlung verwandeln und veredeln die Natur. Wir Menschen würden auch einen anderen Eindruck machen, wenn Kultur, Bildung und Christentum nicht durch Jahrhunderte an uns geschliffen, geglättet und veredelt hätten. Und so ist es überall, wohin wir unsere Blicke lenken: was wenig gepflegt, bearbeitet und gebildet wird, verrät seinen rohen Ursprung."
"Ach ja, wie zum Beispiel die Hundedame. Die war auch noch wenig bearbeitet und geglättet," lächelte Hansi verständnisvoll. "Aber wahrhaftig, wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt; sehen Sie nur, sehen Sie, Herr Professor, sie ist uns gefolgt, sie ist auch hier! Da geht sie mit ihrem Goldhündchen, ihrem Süßerchen!"
Wirklich, drüben im schönen Morgensonnenlicht ging mit unfreundlicher, muffiger Miene die böse Coupégenossin und hinter ihr, auf dünnen, wackeligen Beinchen schwänzelte Pikkolo, das Goldhündchen.
"Ach, meine arme Miß, die wird sich nun immer ängstigen hier auszugehen, weil sie die Rache der Hundedame fürchten wird."
"Aber wir leben doch nicht mehr in der Zeit des Faustrechts und auch nicht in den Abruzzen, wo hinter jedem Busch ein blutdürstiger Räuber lauert," beruhigte der Professor kopfschüttelnd. "Und wenn die böse Fee Hundoline unserer guten Miß etwas antun will, verbannen wir sie einfach in die Tiefen des Untersberges. Sehen Sie, dort drüben der gewaltige Gebirgsstock, das ist der Untersberg, an den sich die schönsten Sagen dieser Gegend knüpfen und in dessen Tiefen Frau Saelde und Frau Aventüre hausen." "O, wie entzückend! Ein Gespenster- und Sagenberg!" Hansis Augen weiteten sich in staunender Begeisterung. "Bei uns in Amerika hat man keine Sagen, keine Märchen, keine Gespenster, und Miß Holymat sagt, das wäre auch alles Lüge und Unsinn."