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Was schenken wir einem wie Kant zum 300. Geburtstag? Mit dieser einfachen Frage stecken wir mitten in Kants Philosophie der Moral und der Freundschaft, aber auch in einem nicht eben kleinen Dilemma. Lassen Sie uns, sekundiert von Kants Gedanken, ein wunderbares Geschenk für den Philosophen suchen – eines, das er kaum erwartet, vielleicht aber doch erhofft hat.
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Seitenzahl: 35
© Parodos Verlag, Berlin 2024
ISBN: 978-3-96024-053-2
Alle Rechte vorbehalten
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Was schenken wir einem wie Kant zum 300. Geburtstag? Mit dieser einfachen Frage stecken wir mitten in Kants Philosophie der Moral und der Freundschaft, aber auch in einem nicht eben kleinen Dilemma. Lassen Sie uns, sekundiert von Kants Gedanken, ein wunderbares Geschenk für den Philosophen suchen - eines, das er kaum erwartet, vielleicht aber doch erhofft hat. Aber Vorsicht: Geschenke haben Risiken und Nebenwirkungen, wenn sie auf Missverständnissen beruhen. Georg Christoph Lichtenberg, Kants Briefpartner, hat uns gewarnt: »Es gibt kaum eine unangenehmere Lage als die Geschenke von nichtswürdigen Dingen zu erhalten auf [die] aber der Geber einen außerordentlichen Wert setzt und wirklich dafür zwar keine Gegengeschenke aber doch Ergebenheit erwartet.«1
Passt ein gutes Geschenk jemals dazu, dass der Schenkende vor allem selbstsüchtige Absichten verfolgt? Für den Beschenkten muss es passen und es sollte sogar noch für Überraschungen gut sein. Ein Geschenk wird zur Probe aufs Exempel, ob wir den anderen verstehen, was uns mit ihm verbindet und was wir mit ihm zu tun haben wollen. Da empfiehlt es sich nicht, Blinde Kuh zu spielen und der Frage auszuweichen, welches besondere Geschenk es denn für den einen besonderen Menschen sein soll.
Zum 300. Geburtstag erinnert man allerorten an Immanuel Kant – auch die Deutsche Post schickt eine brandneue Kant-Briefmarke durch das Land, wie sie es zum 250. Geburtstag zum Preis von 10 Pfennigen (Ost) und 90 Pfennigen (West) tat. Auch fern der alten analogen Nachrichtenwege kennen wir alle »unseren« Kant. Halbzitate und geflügelte Worte flattern durch den Sinn, wir kramen im eigenen Hinterkopf nach mehr und rechnen damit, dass uns demnächst Kant-Koryphäen medial auflauern und weiteres Bildungsgut ungefragt zuliefern werden. Schon sind aus einer Frage zwei geworden: Wer ist Kant und wer ist dieses Wir, das sich um die gemeinsame Erinnerung bildet, und sei sie auch bloß virtuell in den Sekundenfluten des Internet vermittelt?
Sie hat mit Kant zu tun, führt aber zunächst dessen Sachwalter und Wortführer auf den Plan. Selbst der nur mäßig bis gar nicht an Kant Interessierte kommt in die Lage, ihren Präsentationen zu folgen, zu nicken oder mitzuklatschen. Wer es schafft, mit verständiger Miene punktgenau an der richtigen Stelle Zustimmung auszudrücken, signalisiert, ein vielleicht gerade erst frisch gebackener, aber doch schon legitimer Vertreter der Kant-Gedächtnisgruppe zu sein. Die Zugehörigkeit zum ad hoc gebildeten Kant-Verein wertet die intellektuelle Integrität auf und weist auf solide Bildung hin, selbst wenn das aufgeschnappte Bildungsgut kaum länger im Kopf verbleiben sollte als eine Silvesterrakete das Gemüt erleuchtet.
Dieses schon immer so schwer fassbare Wir macht in ganz unterschiedlichen, historisch bedeutsamen Ausprägungen von sich reden: Einstmals führte der geteilte Seelenadel die Menschen in ein gemeinsames Elysium. Gern wurde es Wahlverwandtschaft genannt, wenn auch Kants Gedanken als die eigenen anerkannt wurden. Generationen später liefen die akribischen Lektüren voll wissenschaftlicher Redlichkeit der seelenvollen Kant-Teilhabe den Rang ab. Dieser akademisch recht anspruchsvolle »Verein« war nicht jedem zugänglich. Er pochte auf exaktes Arbeiten und setzte seine Goldwaagen für Begriffe und Argumente in Dauerbetrieb. Dennoch ließen Vertreter aus ihren Reihen bisweilen Mitteilungen einfachster Art ins Land ergehen, gern zu Kants Festen und Jubeltagen, damit die Massen auch ihren Kant hatten – einen, den sie gerade noch verdauen konnten. In unseren Tagen nennen es Kritiker »kulturelles Kapitel«, wenn mit Kants Namen die Zugehörigkeit zum Wir einer Oberschicht betont oder eingekauft wird – nicht nur zur intellektuellen.2 Gegenwärtig scheint der Zugang zu spezifischen Datenblasen die Karten neu zu sortieren und unübersehbar viele Wir-Runden in Gang zu setzen.