Hasenherz. Held aus Versehen - Julia Blesken - E-Book

Hasenherz. Held aus Versehen E-Book

Julia Blesken

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Beschreibung

Als der schüchterne Fridi die Pfadfinder-Ausfahrt vor lauter Angst vor deren Prüfungen sausen lässt, trifft er seine Schulfreund*innen. Mit ihnen erlebt Fridi einen Roadtrip der besonderen Art am Stadtrand von Berlin, bei dem er auf einmal merkt, wie viel doch in ihm steckt. Und so wird er zum Helden, wenn auch eigentlich aus Versehen.

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Über dieses Buch

Weißt du, was ein Hasenherz ist? Das ist jemand, der sich vor allem fürchtet – jemand wie ich.

Vor lauter Schiss hab ich die Pfadfinder-Fahrt geschwänzt, und dann stand ich da, mit einem Hasen-Schlafanzug (oberpeinlich!) und vollkommen ohne Plan.

Ein Glück, dass es echte Freunde gibt. Mit denen verbringe ich zwar plötzlich ungewollt eine Nacht im Wald, aber das wird die aufregendste überhaupt (ich sag nur Wildschweine! Und neue Punk-Otter-Frisur und – haltet euch fest, Leute, mein erster Kuss!). Am Ende steckt in jedem Hasenherz eben auch ein Held, na ja, also fast. Und mehr so aus Versehen …

 

Eine besondere Geschichte über Freundschaft, Schüchternheit und den Mut, zu sich selbst zu stehen.

Es geht los!

»FRIDI!«

Fridi sitzt auf dem Teppich im Kinderzimmer und hört nichts. Er ist viel zu beschäftigt.

»Der Fuchs kommt aus dem Loch, um den Baum herum und wieder zurück ins Loch«, murmelt er, aber im selben Moment ist das Seil in seinen Händen auch schon vollkommen verknotet, und er hat nicht die leiseste Ahnung, welches Ende man wo durchfädeln muss. Mist!

Fridi hält sein altes Springseil in der Hand. Es ist hoffnungslos. Dabei hat er sich mindestens siebzehn Mal auf YouTube angeguckt, wie man so einen Knoten richtig macht. Den Palstek kriegt er nie im Leben hin! Das ist der schwierigste Knoten von allen. Den Webleinstek und den Achter aber garantiert auch nicht. Vergiss es, Fridi Schulze. Absolut keine Chance! Es ist …

»FRIDI!«

… als ob seine Finger immer automatisch was anderes machen.

»Fridolin, das Frühstück ist fertig!«

Seufzend erhebt er sich, trottet in die Küche, lässt sich auf einen Stuhl plumpsen und …

»WASISTDAS?«

»Schnurzelchen, das ist Haferbrei«, sagt Mama und lächelt.

Vor Fridi auf dem Tisch steht eine Schüssel mit … Ja, so genau ist das eigentlich nicht zu erkennen. Es ist grau und schleimig. Sieht fast ein bisschen aus wie … wie Kotze. Sofort überkommt ihn ein Gefühl größter Übelkeit. Seine Kehle wird ganz trocken, die Zunge klebt im Mund wie Esspapier.

»Iss doch, mein Hase!« Mama steht in einem dottergelben Pullover am Herd und wirft ihm einen aufmunternden Blick zu.

Fridi starrt auf den Haferbrei. Er sitzt ganz steif da. Wie ein paralysiertes Kaninchen. Ihm ist heiß und kalt gleichzeitig. Klarer Fall von Schockstarre. Die kann durch alles Mögliche ausgelöst werden, wenn ihn ein Lehrer ausschimpft, zum Beispiel, weil er sein Bonbonpapier einfach auf der Treppe hat fallen lassen, obwohl er versucht hat, es ganz heimlich und unauffällig zu Boden gleiten zu lassen, oder wenn einer ankommt und was Blödes zu ihm sagt, Stinkmorchel oder Mistmade oder Pupskopf. Oder durch Haferbrei, der aussieht wie Kotze.

»Haferbrei ist sehr gesund.« Mama strubbelt Fridi durch die Haare. Die stehen sofort in alle Richtungen ab, wie elektrisch.

Seine Haare, das ist sowieso ein Thema für sich.

Er lässt sie grad wachsen. Aber so eine coole Frisur geht bei ihm nicht. Das Blöde ist nämlich, dass seine Haare nicht nur sehr hell, sondern auch ziemlich dünn sind. Sie hängen an den Seiten runter wie Strippen, und wenn er rennt, flattern sie im Wind. Zum Glück kleben sie an der Kopfhaut fest und können nicht wegfliegen.

Die Sache ist die: Er braucht seine Haare zur Tarnung. Fridi hat nämlich leider auch ziemlich abstehende Ohren, richtige Segelohren, und immer, wenn ihm etwas unangenehm ist, was ziemlich oft vorkommt, dann färben sie sich knallrot und beginnen an den Rändern mordsmäßig zu glühen, und das sieht so außerirdisch aus, dass alle anfangen zu lachen und so Sachen rufen wie: »Ey, deine Segel brennen!« Früher hat er seine Ohren probehalber mal mit Tesakrepp am Kopf festgeklebt, hat aber nicht so gut gehalten.

Es ist natürlich ziemliches Pech, dass er abstehende Ohren und dann noch solche Haare abgekriegt hat, weil: Alles, was auffällt, ist riskant. Es ist besser, ungefähr so unauffällig wie ein Borkenkäfer zu sein, der sitzt auf der Rinde eines Baumes, unsichtbar, du siehst ihn nicht. So fühlt sich der Borkenkäfer am wohlsten. Ich mich auch.

Fridi sitzt da und starrt auf den Haferbrei.

»Du brauchst doch Kraft für die Fahrt«, sagt seine Mama und streicht ihm über die Wange.

Fridi zuckt zusammen. Oh, mein Gott! Heute geht es los. Er hat sich so lange davor gefürchtet, und jetzt ist es so weit. Im Flur steht schon sein Rucksack, ein riesiger Rucksack. Fridi hasst den Rucksack. Er hasst auch die Pfadfinder und das Wandern und überhaupt diese ganze blöde Fahrt. Dass er die Sache mit den Knoten nicht hinkriegt, ist sowieso schon klar. Knoten, die hasst er auch. Sollte er aber können, denn am letzten Abend findet so eine Prüfung statt: das große Ankerkreuz. Da geht man in kleinen Gruppen von Station zu Station und muss Aufgaben lösen: Knoten binden, ein Feuer mit möglichst wenig Streichhölzern entzünden, zu zweit eine Kothe aufbauen, das ist so was wie ein Zelt aus vier großen Stoffbahnen, die man aneinanderknüpfen muss, einen Flicken aufnähen und ein Lied singen.

Echt, ein Lied! Ich kann überhaupt nicht singen. Das Schlimmste ist aber, dass alle um einen rumstehen, während man diese Dinge tut, die man noch nie in seinem Leben getan hat, denn, mal ehrlich, wann versucht man schon mal ein Feuer mit Streichhölzern in Gang zu bringen oder einen superfesten Knoten zu machen oder einen Flicken aufzunähen? Und wann, verdammt noch mal, singt man bitte schön ein Lied?

Während Fridi auf den Haferbrei starrt, fallen ihm noch mehr Dinge ein, die er hasst.

In seiner Pfadfinder-Horte, da ist zum Beispiel so ein Junge namens Knall. Ist natürlich nur sein Spitzname, klar. Aber der hat auch echt einen Knall, und was für einen. Einmal hat der ihm eine Kröte in den Schlafsack gesteckt. Das muss man sich mal vorstellen. Hat schon mal einer eine Kröte angefasst? Das ist eklig! Also, angefasst hat Fridi die natürlich nicht, er hat nur den Schlafsack aufgemacht, und da ist sie zum Glück von ganz alleine rausgehüpft.

Und plötzlich fällt ihm auch noch das Allerschrecklichste ein: Auf der Fahrt kriegt jeder einen Spitznamen. Für ihn gibt es da, klar, eine ganze Menge möglicher Namen: Tomatenohr. Segelschiff. Feuermelder … Seine Ohren fühlen sich schon ganz heiß an.

Das Einzige, was vielleicht noch furchtbarer ist, als auf Fahrt zu gehen, ist zu haiken. Da wandert man mit seinem Gepäck einfach drauflos. Gekocht wird überm Feuer, geschlafen in der Kothe, und du weißt nicht, wo du ankommst …

»Jetzt iss doch endlich«, sagt Mama und nickt mit dem Kopf in Richtung Brei.

Oh Mann, da kann man sich gar nicht entscheiden, was grad am schlimmsten ist. Sogar das Kaninchen hat sich wieder verkrochen und wartet erst mal ab. Das Kaninchen ist eigentlich immer irgendwo in ihm drin, es kann sich ganz klein machen, und manchmal vergisst er es sogar, aber wenn die Angst besonders schlimm ist, BÄM, springt es hervor! Dann kann Fridi nichts mehr machen. Dieser Schockzustand dauert manchmal nur ein paar Sekunden und manchmal eine Ewigkeit, also gefühlt.

Der Haferbrei riecht komisch, irgendwie muffig. Und dieser Geruch, das spürt Fridi ganz genau, lockt das Kaninchen hervor. So eine Mischung aus geronnener Milch, Spülschwamm und Staubsaugerbeutel.

In dem Moment, als er seiner Mama gerade sagen will, dass er den Brei hier unmöglich essen kann, kommt sein Papa in die Küche und setzt sich ihm gegenüber. Er ist richtig aufgekratzt und trommelt mit den Fäusten auf den Tisch. Seine rotblonden Haarsträhnen wippen. Ansonsten hat Papa nicht mehr so viele Haare, also, hinten zum Beispiel und an den Seiten. Deshalb ist er auch sehr stolz auf seine neueste Errungenschaft, Streuhaare. Die sind in einer kleinen runden Dose, die aussieht wie für Gewürze, nur dass eben nicht Gewürze drin sind, sondern Haare, keine echten natürlich. Sondern künstliche. Die schüttet sich sein Papa jetzt voller Begeisterung über den Kopf, damit niemand sieht, dass er eigentlich eine Glatze hat, also fast.

So oder so: Ich würde mal sagen, Papas Frisur ist noch außerirdischer als meine!

Ein Glück, dass er nicht noch so einen Westernhut aufsetzt, weil sein Papa liebt Western. Ich mein, das wär echt oberpeinlich!

»Heute geht es los, mein Junge.« Papa rüttelt ihn an der Schulter. Er freut sich, dass sein Sohn heute auf Fahrt geht. Das ist deutlich zu sehen. Papa war früher auch mal Pfadfinder, und das war die schönste Zeit seines Lebens, sagt er.

»Das wird top! Den ganzen Tag wandern«, schwärmt Papa. »Den ganzen Tag an der frischen Luft und in der Natur!« Er trommelt so doll auf den Tisch, dass der Breilöffel kleine Hüpfer macht. »Zelten, ein Traum!«

Fridi schluckt. Den ganzen Tag wandern! Natur und frische Luft! Zelten! Was für ein Albtraum! Da würde er ja schon lieber mit seiner Mama zum Friedhof gehen und seiner Oma Chrysanthemen aufs Grab pflanzen.

»Fridi, ich pack dir noch das Nähzeug ein«, sagt Mama. Fridi geht im Kopf blitzschnell die Packliste durch. Auf der Packliste steht, was sie alles mitnehmen dürfen, und nur das, wirklich nur das, darf in den Rucksack rein. Fridi hat die Liste so oft angestarrt, dass er sie schon auswendig kennt.

Punkt zwölf: Nähzeug, okay!

Ist natürlich alles andere als okay! Erstens kann ich nicht nähen, und zweitens komm ich mir dabei, na ja, auch irgendwie blöde vor.

Warum kann ich nicht einfach zu Hause bleiben? Ich würde viel lieber drei Tage in meinem Zimmer verbringen, als auf Fahrt zu gehen. Ich mag mein Zimmer. Mama hat es gelb gestrichen, und wir haben ganz viele Fotos an die Wand geklebt, lauter Erinnerungen an Sachen, die ich mal gut fand, zum Beispiel meine früheren Lieblings-Pokémons, Pikachu, Reitschu, Evoli und Glurak (also eigentlich mag ich die immer noch).

Fridi stochert ein bisschen im Haferbrei herum. Wie Kotze, ehrlich!

Da klingelt das Telefon. »Alle leise!«, ruft Papa. Er springt vom Stuhl, wirft einen schnellen Blick in den Spiegel, alles top!, schiebt sich mit einer Hand die Haare zurecht und lächelt. Dann öffnet er schwungvoll die Tür zur Kabine.

Die Kabine steht mitten in der Küche wie eine Raumkapsel. Sie ist nur sehr klein, gerade mal ein Minischreibtisch und ein Stuhl passen rein, es ist wahnsinnig eng da drin, aber wenn man mit irgendjemandem einen Videoanruf macht, sieht es aus wie ein echtes Büro. Papa hat die Rückwand der Kabine mit einem riesigen Bürofoto tapeziert. Da ist ein Fenster drauf mit einem kleinen Blumentopf davor und als Aussicht der Fernsehturm. Jeden Morgen Punkt sieben Uhr dreißig verabschiedet Papa sich, zieht seine Schuhe und die graue Blousonjacke an, sagt: »Ich geh ins Büro«, und verschwindet in der Kapsel.

Mama wollte früher mal Gärten mit ganz vielen Blumen anlegen, doch dann kam Papa dazwischen und Fridi gleich hinterher, und es wurde nichts draus. Jetzt hilft sie Papa bei der Buchführung, und manchmal geht sie auch ans Telefon wie eine echte Sekretärin. Sie darf nur nicht wieder vergessen, die Tür der Kapsel zuzumachen, das hat sie nämlich einmal, und da hat der Anrufer gefragt, was mit dem Fernsehturm los ist, weil der ja in der Mitte eine Kugel hat, und da war jetzt ein Loch, und man guckte genau auf Schulzes Küchentisch mit dem schmutzigen Frühstücksgeschirr. »Wird gerade umgebaut«, hatte Mama nur gesagt. Papa war das natürlich sehr peinlich!

Jetzt hört man, wie er sich räuspert: »Guten Tag, Versicherungsbüro Reiko Schulze am Apparat, was kann ich für Sie tun?«

Leider sind die Wände der Kapsel nur sehr dünn, weil sie aus Pappe sind, und man versteht jedes Wort. Mama und Fridi müssen ganz still dasitzen. Obwohl am Telefon, das hört man genau, nur der Klempner dran ist, weil das Klo schon seit Ewigkeiten Verstopfung hat.

»Muss dein Büro ausgerechnet in unserer Küche stehen?«, fragt Mama wieder mal genervt, als Papa aus der Kapsel kommt.

Papa macht ein wichtiges Gesicht: »Give all for your business.« Das ist sein Lieblingsspruch und heißt so viel wie: Gib alles für dein Geschäft.

Papa hat im Sommer einen Kurs in Business-Englisch belegt, den Rest hat er sich selbst beigebracht. Seitdem Papa den Menschen auf eigene Faust Versicherungen verkauft, sitzt er den ganzen Tag in der Kapsel und wartet darauf, dass ihn jemand anruft. Das klappt nur so semi, also besonders viele Leute rufen ihn, um ehrlich zu sein, jetzt nicht an. Aber Papa gibt die Hoffnung nicht auf. »Abwarten, man muss nur bereit sein für den richtigen Moment«, sagt Papa, und dann: »When the luck flies over you, take it!«

Das ist sein Motto und heißt so viel wie: »Wenn das Glück an dir vorbeifliegt, greif zu!«

Nur, dass es bis jetzt eben noch nicht an ihm vorbeigeflogen ist …

»Die Margarine!« Mama schlägt sich an die Stirn.

Margarine, geht klar. Knall bringt Marmelade mit. Brett Honig. Ich Margarine.

Plötzlich fällt Papa ein, dass sie auf Fahrt nachts mal einem die Füße mit Margarine eingerieben und mit zerriebenen Hundeleckerlis paniert haben, am nächsten Morgen hingen dann ganz viele Nacktschnecken an seinen Füßen dran. »Überall klebten die Dinger!« Er klopft sich auf die Schenkel vor Lachen. »Oh Mann, wie viel Spaß wir damals hatten!«

Also, wie Spaß hört sich das für mich jetzt nicht unbedingt an.Mehr wie: Hell on earth, was so viel heißt wie: Hölle auf Erden! Sofort fällt Fridi eine Kröte in einem gewissen Schlafsack ein, und auf einmal fühlt er sich ganz schlapp, vielleicht ist er ja krank, wenn man krank ist, kann man unmöglich auf Fahrt gehen. »Ich glaub, ich bin krank«, piepst Fridi.

Seine Mama legt ihm die Hand auf die Stirn.

»Ach, Quatsch! Der Junge ist kerngesund!« Papa lacht.

»Aber du solltest jetzt wirklich etwas essen.« Mama sieht Fridi besorgt an.

Oben auf dem Brei hat sich eine dicke, schleimige Haut gebildet. Er kann diesen Schleimbrei nicht essen, niemals. Lieber fällt er auf der Stelle tot um, tot ist noch besser als krank. Wenn man tot ist, kann man definitiv keinen Haferbrei essen. Und man kann definitiv auch nicht auf Fahrt gehen.

»FRIDOLIN, DUISSTJETZTSOFORTDIESENBREI!« Sein Papa klopft ungeduldig mit der Hand auf den Tisch.

Da traut man sich gar nicht, tot zu sein.

»Was meinst du, was wir auf Fahrt alles gegessen haben, da dreht sich dir der Magen um.« Papa grinst.

Fridi spürt, wie sein Magen sich jetzt schon umdreht. Das Zeug sieht aus, als hätte es schon mal jemand gegessen, also echt wie … Lieber nicht dran denken. Er sitzt mit aufgerissenen Augen da und starrt auf den Brei. Es dauert nicht mehr lange, und das Kaninchen springt hervor. Nie kriegt er so was runter. Lieber würde ich mir jedes Haar einzeln ausrupfen und mit dem Hammer auf beide Daumen hauen … Ich muss den Brei irgendwie verschwinden lassen, nur wohin damit, ist die Frage?

»Hast du deinen Ausweis?«, fragt Mama, und genau in dem Moment kommt Fridi die Idee!

Ganz langsam macht er die blaue Bauchtasche auf. Sipp. Ganz langsam holt er den Ausweis und die Krankenkassenkarte heraus und legt sie neben sich auf die Küchenbank. Ganz langsam streckt er seine Hand aus, und langsam, ganz langsam schiebt er den Löffel in den Haferbrei, lädt sich eine volle Fuhre auf, zieht ihn aus der klebrigen Masse, hebt ihn zum Mund und macht, kurz bevor der Löffel seine Lippen berührt, eine scharfe Biege nach unten. Mit einem Schwung kippt er den Haferbrei in die Bauchtasche. Klatsch!

Fridi schielt zu seinem Papa rüber. Sein Blick ist weit weg, wahrscheinlich denkt er gerade an all den Spaß, den er damals hatte.

Vorsichtig streckt Fridi seine Hand noch einmal aus. Diesmal lädt er den Löffel so richtig voll, führt ihn in Richtung Mund, biegt ab und, schwupps, in die Bauchtasche damit. Der dritte Löffel gleitet schon fast von ganz allein da hin. Sipp. Bauchtasche zu, fertig! Jetzt kann man nur hoffen, dass die Tasche wirklich wasserdicht ist, wie der Typ in dem Outdoor-Laden behauptet hat, sonst hat er ein echtes Problem.

Fridi wirft einen erleichterten Blick in die Schüssel, die tatsächlich schon viel leerer aussieht.

»JETZTGEHT’S LOS!«, sagt Papa und schiebt den Stuhl mit einem entschlossenen Schwung zurück. Seine Stimme ist voll freudiger Erregung, so als ob er selbst gleich auf Fahrt gehen würde.

Fridi guckt seine Mama an. Sie muss doch spüren, dass ihr Sohn lieber hier in seinem gemütlichen Zimmer bleiben will, als auf Fahrt zu gehen.

Da macht seine Mama den Mund auf, aber, Fridi sieht wohl nicht richtig, nur, um sich da eine Blüte, Hallo? Eine Blüte!, reinzustecken. Sie kaut und kaut und macht ein Gesicht, als würde sie gerade auf so was wie einem Center Shock mit Colageschmack herumbeißen.

»Komm schon!«, ruft Papa und winkt ihm ungeduldig zu.

Fridi schluckt. In Zeitlupe erhebt er sich. In Zeitlupe geht er in den Flur. In Zeitlupe zieht er seine schweren Wanderschuhe an. Das ist nicht so einfach, weil am linken Fuß sein dritter Zeh so komisch absteht. Der ist irgendwie immer im Weg. Als Papa ihm den Rucksack aufsetzt, sackt Fridi gleich ein bisschen zusammen. »Keine Muckis.« Papa schüttelt bekümmert den Kopf. Er mustert ihn. »Und deine Haare!«, stöhnt er. »Die müssen dringend mal geschnitten werden!«

Fridi setzt sich lieber schnell das Käppi auf. Fehlte noch, dass Papa mir jetzt die Haare schneidet, dass man meine Ohren vielleicht noch besser sieht? Die längsten Ohren hat laut Guinness-Buch übrigens ein englisches Widderkaninchen namens Nipper’s Geronimo. Seine Löffel sind ganze 79 Zentimeter lang. Das ist mehr als ein Drittel seiner Gesamtkörperlänge. Na gut, soo lang sind meine Ohren jetzt nicht, aber kommt fast hin!

»Ich pack noch die Pflaster ein«, ruft Mama. »Und fünf Euro.«

Pflaster? Blitzschnell scannt Fridi die Packliste vor seinem inneren Auge. Abgehakt! Und fünf Euro Taschengeld, Punkt sieben auf der Packliste, auch in Ordnung.

Papa wirft noch einen Blick in den Spiegel, top!, und schon geht’s los! Nein, nicht ganz, da ist noch was. Papa sieht Mama an. »Ach, und Sigune, würdest du bitte diesen grellen Pullover ausziehen, da kann ich mich bei der Büroarbeit sonst gar nicht konzentrieren«, jammert er.

»Sag mal, spinnst du?«, faucht Mama. »Konzentrieren, wobei denn? Besonders viel hast du ja nicht zu tun.«

Mama sieht Papa böse an. So richtig böse. Und plötzlich schießt Fridi der Gedanke durch den Kopf, dass seine Mama sich von seinem Papa trennen könnte. Ich mein, viele Eltern trennen sich. Das ist jetzt gar nicht so ungewöhnlich.

Mama drückt Fridi an sich. Es knistert ein bisschen, und er kriegt einen kleinen Schlag. Das kommt eindeutig vom dottergelben Pullover. Der ist irgendwie elektrisch. »Tschüss, mein Hase! Und zieh dich immer schön warm an«, ruft Mama. »Ich hab dir auch noch deinen Schlafanzug eingesteckt.«

Meinen Schlafanzug … MEINENSCHLAFANZUG!

Der steht nicht auf der Packliste, ganz klar. Ein Schlafanzug ist was für Weicheier und Windelfurzer, für Lappen. Und so was gibt’s bei den Pfadfindern natürlich nicht.

Das Ding muss da wieder raus. Und zwar sofort! Er dreht sich um und will in die Wohnung zurück stürzen, doch sein Papa hält ihn am Arm fest und zieht ihn, falsche Richtung, da geht’s lang, einfach mit sich.

Fridis Beine sind ganz wackelig, als er mit seinem Riesenrucksack Stufe für Stufe die Treppe runtersteigt. Die ganze Zeit denkt er nur an den Schlafanzug, weil … Das … das ist jetzt auch nicht irgendeiner, sondern na ja …

Papa klickt schon ungeduldig den silbernen Audi auf. Fridi legt den Rucksack auf die Rückbank und quetscht sich daneben.

Plötzlich dreht Papa sich noch mal um und hält Fridi ein riesiges Messer mit einer ziemlich langen, glänzenden Klinge entgegen: »Für dich!«

Fridi zuckt zurück.

»Ein Fahrtenmesser«, haucht Papa. »So eins hab ich mir immer gewünscht!« Er guckt das Messer einen Moment zärtlich an, dann schiebt er es wieder in die lederne Hülle und überreicht es ihm feierlich.

»Danke.« Ein dicker Kloß sitzt in Fridis Hals. Messer sind, er schluckt, so überhaupt nicht mein Ding. Zögernd streckt er die Hand aus und greift zu.

»DASISTEINMESSER!« Papa strahlt.

Er schiebt eine CD in den Player, seine Finger wippen im Takt der Musik.

On the road again

can’t wait to get on the road again

fliegt eine leichte Stimme durch das Auto. Fridis ganzer Körper vibriert.

Papa dreht gleich ein bisschen lauter. »Super Song!« Er lässt das Fenster runter. Seine Haarsträhnen flattern im Wind. Fridi fragt sich, warum der, der da singt, so scharf drauf ist, wieder unterwegs zu sein, aber eigentlich ist es ihm auch völlig egal, denn eins steht fest: Er, Fridi, würde jetzt viel lieber zuhause sein als in diesem Auto auf dem Weg in den Albtraum seines Lebens. Er würde so ziemlich überall lieber sein …

Der Schlafanzug! Ihm ist heiß und kalt gleichzeitig. Sein Hirn hämmert im Takt der Musik. Ich muss das Ding schleunigst loswerden, aber wie, ohne dass Papa was merkt? Es bleibt auch nicht mehr viel Zeit, gleich sind sie da. Ist die Not am größten, ist Gott am nächsten, hat Oma mal gesagt. Und da, ganz plötzlich, bleibt Papa einfach stehen.

Er dreht sich zu Fridi um. »Los, du steigst schon hier aus, da hinten kriege ich keinen Parkplatz«, meint er nervös.

Gott hat mich erhört!

Papa guckt immer wieder in den Rückspiegel und kommt so ins Schwitzen, dass ihm lauter platinblonde Härchen auf der Stirn kleben. Klar, Schweiß ist Gift für Streuhaare!

»Hast du das Messer?«, fragt Papa heiser. Fridi nickt. »Dann los!« Papa macht eine eilige Handbewegung.

Schon ist Fridi ausgestiegen, den Rucksack wuchtet er hinter sich her und schmeißt die Autotür zu. Papa knufft Fridi gegen die Schulter. »Und lass dir nichts gefallen, mein Junge!« Der Motor gibt schmerzvolle Töne von sich. »See you later, Alligator!« Und schon braust er los.

Da steht er, Fridi Schulze, mit seinem Riesenrucksack, in dem der absolut peinlichste Schlafanzug auf Erden steckt, und guckt dem silbernen Auto hinterher. Am liebsten will er schreien: Nimm mich wieder mit. Aber aus seiner Kehle kommt kein Ton.

Irgendwo im Nirgendwo

Eine Stunde später

Fridi trottet langsam, mit gesenktem Blick die Straße runter. Er hält sich immer dicht am Bordstein, damit er mit seinem Riesenrucksack niemanden anrempelt. Seine Schultern schmerzen, die Wanderschuhe drücken, und er hat keine Ahnung, wo er gerade ist.

Aber das ist eigentlich auch gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass er es echt gemacht hat! Er hat die Fahrt einfach geschmissen! Nicht mit Absicht, ist ja klar, es war, sagen wir mal, eine Verkettung unglücklicher Umstände … An der ich, zugegebenermaßen, nicht ganz unschuldig bin.

Jedenfalls sind die Pfadfinder jetzt gerade auf dem Weg in den Harz, und er ist nicht dabei. Ein bisschen ist Fridi deshalb erleichtert, nein, halt, stopp: Er ist sogar sehr erleichtert, aber in die Erleichterung mischt sich gleich sein schlechtes Gewissen und, klar, die Angst. Denn eins steht fest: nach Hause geht nicht. Er hat absolut keinen Plan, was er jetzt machen soll und wie er die nächsten drei Tage übersteht. Plötzlich fällt ihm was ein: die Survival-Regeln. Die hat er im Internet gelesen. Die Regeln sollen einem helfen, in Notsituationen zu überleben. Regeln sind gut, an Regeln kann man sich halten.

Survival-Regel Nummer eins: Bleib ruhig und kriege nicht die Panik, sonst hast du schon verloren.

Okay, okay, okay, ichversuche,ruhig zu bleiben, auch wenn das in Anbetracht der Lage ziemlich schwierig ist, ich mein, es ist gar nicht so leicht, ruhig zu bleiben, wenn man grade was Superschlimmes gemacht hat und … egal, komm schon Fridi, RUHIGBLEIBEN, tief durchatmen.

Survival-Regel Nummer zwei: Sei gut vorbereitet, geh nie unvorbereitet los.

Also, unvorbereitet bin ich wenigstens nicht. Schließlich schleppe ich einen Riesenrucksack mit mir rum, in dem ist eine Menge drin, was man braucht, um in der Natur zu überleben. Einziges Problem: Ich bin nicht in der Natur, sondern in der Stadt, egal, zumindest bin ich vorbereitet (was immer das heißt) …

Survival-Regel Nummer drei: Du kannst schaffen: drei Wochen ohne Nahrung, drei Tage ohne Trinken, drei Stunden ohne Unterschlupf, drei Minuten ohne Sauerstoff.

Ich brauche die nächsten drei Tage also nicht unbedingt was zu essen und was zu trinken, das ist schon mal beruhigend. Sauerstoff ist nicht das Problem, ich bin ja nicht im Meer gelandet oder verschüttet oder so. Bleibt nur ein Punkt, der schwierig werden könnte: ein Platz für die Nacht! Wahrscheinlich hab ich etwas mehr Zeit als drei Stunden, ich hab mich schließlich nicht in den Bergen verirrt, wo sich das Wetter von einer Sekunde zur nächsten ändert, also vielleicht so ungefähr, bis es dunkel wird, aber bis dahin muss ich dringend einen Unterschlupf gefunden haben! Sonst … Denk nach, Fridi!

Durch seinen Kopf schießen alle Gedanken gleichzeitig:

Ein Hausflur, das Blöde ist nur, dass es da ziemlich zieht und jeder rein und raus kann, vielleicht ein Dachboden, quatsch, die meisten Dachböden sind abgeschlossen, genauso wie die Keller, und wer will schon in einem dunklen, feuchten Keller schlafen? Okay, wie wär’s damit: Ich könnte mich im Naturkundemuseum einschließen lassen, da ist es warm, aber, also die ausgestopften Tiere sind schon gruselig, und da gibt es garantiert auch Kameras, weiter, der Park wär eine Möglichkeit, ja, eine Bank im Park … bloß was, wenn da nachts jemand vorbeikommt, der mich ausraubt, ein Obdachloser oder so … außerdem gibt’s da vielleicht auch Ratten, nee, ganz sicher sogar …

Fridi schüttelt sich. Zum Glück hat er ja noch ein bisschen Zeit, bis die Sonne untergeht. So lange kann er ja einfach durch die Gegend laufen.

Natürlich ist es ziemlich gefährlich, einfach so durch die Straßen zu laufen, vor allem, weil er gleich wieder in seinem Viertel angekommen ist. Irgendwie haben seine Beine ihn von ganz alleine da hingetragen. Das ist blöd, weil sein Papa manchmal das Talent hat, in den unmöglichsten Situationen plötzlich irgendwo aufzutauchen. Neulich hat Fridi Jennifer Klar auf dem Parkplatz vom Supermarkt getroffen, und er hat sich gerade überlegt, dass er ihr ja vielleicht einen Kaugummi anbieten könnte, Hubba Bubba, den er für genau diesen Fall immer in der Tasche hat. Er hat sich also gerade überlegt, wie er das möglichst locker rüberbringen kann, das erste Wort lag schon so gut wie auf der Zunge, nach kurzem Zögern hatte er sich für Hallo entschieden, also räusperte er sich, checkte nur noch mal schnell seine Ohren, alles war gut, da stand sein Papa auf einmal hinter ihm, und Fridi hat absolut keinen Ton mehr rausgekriegt, das Hallo klebte auf der plötzlich staubtrockenen Zunge, er schluckte, hustete, schluckte, doch es steckte fest, so hartnäckig wie ein Krümel im Hals. Im selben Moment schoss ihm auch schon das Blut in die Ohren, und klar: paralysiertes Kaninchen, totale Katastrophe.

In solchen Momenten würde Fridi seine Angst am liebsten eintauschen: gegen Wutanfälle oder Lachkrämpfe in den unmöglichsten Situationen zum Beispiel. Alles ist besser als das Kaninchen. Geht natürlich nicht, klar.

Fridi biegt um die Ecke. Er muss echt aufpassen! Nicht dass er noch seiner Mama in die Arme rennt. Die ist in letzter Zeit sowieso ständig unterwegs. Und plötzlich fragt sich Fridi: Was ist, wenn Mama irgendwann einfach gar nicht mehr wieder kommt? So wie Frau Pistorius, die ist auch weggegangen und nie wieder zurückgekommen. Dabei war Frau Pistorius sehr nett, sie hat Danny immer Schrippe mit Duplo mit in die Schule gegeben, und einmal hat sie beim Schulfest Saft ausgeschenkt. Und wenn Frau Pistorius Danny und ihren Mann einfach dagelassen hat, könnte es ja sein, dass seine Mama das auch macht. Ich mein, so böse, wie sie Papa vorhin angeguckt hat.

Plötzlich wird der Himmel ganz dunkel. Na toll, jetzt fängt es bestimmt auch noch an zu regnen!

Auf einmal fallen ihm Papas Streuhaare ein, die schwimmen bei Regen bestimmt weg, und er muss kichern. Aber er hört gleich wieder damit auf, weil lustig ist das Ganze ja nun wirklich nicht. Nein, er, Fridi Schulze, hat ein echtes Riesenproblem! So sieht es mal aus.

Sein Blick fällt auf eine gelbe Jelly Bean im Rinnstein, ihm fallen manchmal solche kleinen Sachen auf.

Ich sehe

eine gelbe Jelly Bean

etwas Moos in einer Ritze zwischen zwei Pflastersteinen

ein …

»Hoppla!«

Kaugummi-Operation mit Komplikationen

Fridi hebt den Kopf.

Da steht sie, Jennifer Klar, vor dem roten Dreischachter an der bröckeligen Hauswand. Also, wenn man jemanden vor dem Süßigkeitenautomaten trifft, dann natürlich Jennifer, klar! Die Dinger ziehen sie einfach magisch an.

Sie steht im ersten hellen Lichtfleck dieses Tages, weil die Sonne beschlossen hat, ganz plötzlich hinter den Wolken hervorzukriechen, und ihr Haar schimmert golden, ehrlich wahr!

Fridis Herz macht einen kleinen Hüpfer. Seine Ohren werden gleich ein bisschen warm und bestimmt auch rot, aber er versucht, sich sofort zu beruhigen, wahrscheinlich sieht man die Ohren durch die Haare gar nicht durch, und er hat ja auch noch das Käppi auf. Also alles okay.

Jennifer hat ihre Glitzerbauchtasche heute so schräg über der Schulter, ziemlich cool! Sie trägt einen türkisen, flauschigen Pullover mit einem winzigen Loch am Ellenbogen. Und sie hat ihren Katzen-Haarreif auf, der ist schwarz und hat kleine dreieckige Katzenohren rechts und links mit so Spitze drum herum. In ihrer Jeans sind ziemlich viele Löcher und Risse, und Fridi ist sich jetzt nicht sicher, ob die mit Absicht drin sind oder aus Versehen.

»Wolltest du nicht mit den … wie heißen die gleich noch mal … weg?« Jennifer sieht ihn forschend an.

Fridi schluckt. »Pfadfinder«, murmelt er und spürt, wie seine Ohren unter dem Käppi gleich warm werden, aber Jennifer ist mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders.

»Die Wunderschnuller sind leider alle.« Sie zeigt auf das leere Fach in der Mitte des Dreischachters. »Na ja, ich hab eh kein Geld«, meint sie und nagt ein bisschen an ihrer Unterlippe. »Mama wollte mir heute Morgen was geben, sie hat stundenlang in ihrer Handtasche gekramt, aber viel war da nicht drin, und sie brauchte noch Zigaretten …«

Fridi weiß nicht so richtig, was er sagen soll. Vielleicht, dass Rauchen ziemlich ungesund ist.

Plötzlich schreit Jennifer auf.

»Mensch, guck mal, da unten!« Sie deutet mit dem Finger auf einen vergitterten Schacht am Boden.

Mit Jennifer ist das wie bei einem Feuerwerk, alles glitzert und sprüht und funkelt und knistert gleichzeitig, und man weiß gar nicht, wo man zuerst hingucken soll. Das macht ihn manchmal ein bisschen nervös, er ist eher so der Typ für nacheinander. Wenn er eine Rakete anzündet, sieht er zu, wie sie durch den Himmel schießt, so lange, bis sie im Nichts verglüht. Manchmal würde er auch gerne im Nichts verglühen.

Irgendwann würde ich dann auch gerne wiederauftauchen, klar, aber eine Zeit lang unsichtbar zu sein, würde mir nichts ausmachen.

Aufgeregt zieht Jennifer Klar an seinem Rucksackriemen. »Guck doch mal!«

Fridi lässt den schweren Rucksack zu Boden gleiten und hockt sich neben sie. Jennifers türkisfarbener Pullover kitzelt ihn am Knie. Er schiebt seinen Kopf dicht über das Gitter. Ja, eindeutig, Jennifer hat recht, da unten ist was!

Neben dem Papier eines Schokoriegels, einer alten Brottüte und welken Blättern, liegt etwas rundes Glänzendes …

»Zwei Euro!« Jennifer beißt auf ihrem Daumennagel herum. »Nur, wie wir sie da rauskriegen, ist die Frage.« Sie reißt ein kleines Stück vom Fingernagel ab und, Fridi sieht wohl nicht richtig, schluckt es runter.

»Auf Fingernägeln herumbeißen ist ziemlich gefährlich, weil sich unter den Nägeln Bazillen sammeln, und davon kann man Würmer bekommen, und die kleinen Nagelstückchen können im Magen stecken bleiben und tierische Bauchschmerzen machen«, stottert Fridi.

Jennifer guckt ihn interessiert an. »Ach, echt?«

Fridi nickt. Das weiß er von Oma. Die war Gesundheitsexpertin. Sie hörte den Menschen gerne zu, wenn sie von den Ursachen ihrer Leiden erzählten, und dann versuchte sie, genau diese Dinge nicht zu tun, also zum Beispiel keine Fingernägel zu kauen. Auf diese Weise hatte sie vor, den Altersrekord für Frauen in Europa zu knacken und im Guinness-Buch der Rekorde zu landen. Oma meinte, den Rekord weltweit schaffe sie nicht, da müsse man realistisch sein. Deshalb hatte sie sich ein überschaubares Ziel gesetzt: hundertzwanzig. Minimum.

Aber Jennifer hat grade ganz andere Probleme, sie fasst mit beiden Händen ans Gitter und rüttelt. »Manno, sitzt bombenfest.« Dann wirft sie einen prüfenden Blick zu Fridis Rucksack. »Hast du da vielleicht ’ne Angel oder so was drin?«

Fridi spürt, wie er rot wird. Dieser Riesenrucksack ist ja auch echt peinlich. Schnell schüttelt er den Kopf. »Ich glaub nicht.« Was natürlich Quatsch ist, er ist sich ganz sicher, dass da keine drin ist, weil sie ja nicht auf der Packliste steht. Genauso wenig wie der Schlafanzug …

»Mensch, ich hab eine Idee!« Jennifer strahlt. »Das hab ich mal in einem Film gesehen! Man klebt einfach einen Kaugummi an einen Faden, und dann, schwuppsdiwupps, zieht man ihn mit dem Geld dran wieder hoch.«

Im nächsten Moment macht sie ein trauriges Gesicht. »Leider hab ich keinen mehr.«

So ein Riesenmist, an jedem gewöhnlichen Tag hätte er jetzt ganz lässig eine Kaugummipackung aus der Tasche ziehen und Jennifer einen Kaugummi anbieten können. Das wäre so was von perfekt gewesen! Aber leider ist das kein gewöhnlicher Tag! Und alles nur wegen dieser blöden Pfadfinder-Fahrt! Nur deshalb hat er diese total bescheuerte Hose an, mit hundert Taschen, die alle vollkommen leer sind, das heißt … nicht ganz … Schnell schiebt Fridi die Hand in die linke Hosentasche. Da stecken noch vierzig Cent drin. Der letzte Rest, der vom Fahrten-Taschengeld noch übrig ist.

Fridi hält Jennifer die Geldstücke hin.

»Super!«, jubelt sie. »Wozu sitzen wir vor dem Süßigkeitenautomaten!« Nur eine Sekunde später streckt sie Fridi einen zitronengelben Kaugummi entgegen. Den orangen steckt sie selber in den Mund. Zufällig liebt er Süßigkeiten!

Die stehen auch auf der Packliste, nur andersrum, ganz unten mit Ausrufezeichen: Keine technischen Geräte, keine Taschenlampe, keine Süßigkeiten!

Also, Oma hatte ja schon lange nichts mehr mit Zucker drin gegessen …

»Na, dann mal los.« Jennifer schiebt sich den Kaugummi, den sie im Mund hat, in die Backe und beißt kräftig zu. Es knackt laut zwischen ihren Zähnen. Die Dinger liegen bestimmt schon hundert Jahre da drin und sind jetzt hart wie Stein. »Garantiert mörderisch schlecht für die Zähne.« Jennifer grinst.

Fridi nickt. Während er noch versucht, das Ding so vorsichtig wie möglich zu kauen, sieht sich Jennifer schon um: »Bloß, wo nehmen wir jetzt den Faden her?«

Ihr Blick gleitet umher. »Mensch, ich hab’s!« Sie guckt auf ihre Chucks. Der linke ist lila, »darf ich vorstellen, das ist Charly«, der rechte, »das ist Oskar«, war mal grün. Oskar sieht schon ziemlich grau und mitgenommen aus. Während Fridi noch verblüfft denkt: Wer bitte gibt denn seinen Schuhen einen Namen, mal ganz davon abgesehen, dass sie zwei verschiedene anhat, ist Jennifer schon dabei, einen langen schwarzen Schnürsenkel aus dem lila Turnschuh, also aus Charly?, zu ziehen. »Meine waren schon total ausgefranst, die hier sind aus Mamas alten Wanderschuhen, aber Mama benutzt die eh nicht«, erklärt Jennifer. »Irgendwann, da hatte sie mal kurz einen Freund, der hieß Jakob und wollte mit ihr auf einen Berg steigen, irgend so einen hohen, Alpia oder so. Der hat Mama immer Vorträge gehalten über Rauchen und Kaffee, wie ungesund das ist und dass man da nicht fit genug ist fürs Wandern. Morgens hat er immer Müsli gegessen, und er hatte so Dosen mit allen möglichen Kernen drin.« Jennifer macht eine Pause.

Fridi überlegt. Solche Elternsachen mit Liebe und so, das ist doch eigentlich privat. Aber es wäre schon gut, etwas darüber zu erfahren, warum sich andere Frauen denn so trennen …

Er zögert. »Und dann hat deine Mama vorher Schluss gemacht, und sie sind gar nicht auf den Berg gestiegen?«, fragt er vorsichtig.

Jennifer schüttelt den Kopf. »Nee, nee, die sind schon losgewandert, Mama hat den ganzen Rucksack mit Instantkaffeetütchen und Zigaretten vollgestopft, sie hat gesagt, sonst hält sie das nicht durch, also nicht das Wandern, sondern den ganzen Tag mit Jakob. Aber nach zwei Tagen war Mama schon wieder da, Jakob hatte Höhenfieber und Luftnot, typischer Fall von Kreislaufkollaps. Na ja, Mama hat sich dann von ihm getrennt, die ganzen Körner und so waren echt nicht ihre Sache.« Sie zuckt mit den Schultern. »Hat einfach nicht gepasst.«

Ganz schnell macht Fridi im Kopf eine Liste.

Trennungsgrund: Müsli und Körner. Na ja, da besteht bei Papa kein Grund zur Besorgnis. Sein Lieblingsessen ist Bratwurst. Aber dann kommt er zum nächsten Punkt.

Passt nicht.

Fridi überlegt gerade, ob seine Mama und sein Papa eigentlich zusammenpassen, da holt Jennifer den Kaugummi aus dem Mund. »Gib mal deinen«, meint sie.

Jennifer findet irgendwie gar nichts eklig, sie küsst sogar ihren Rehpinscher Püppi. Auf den Mund! Da würde Fridi lieber gleich tot umfallen.

Fridi zögert. Er nimmt den Kaugummi vorsichtig zwischen zwei Finger und hält ihn Jennifer hin. Fasziniert betrachtet er, wie sie an der Masse herumdrückt und knetet, brrr!, dann den weißen Klumpen am Metallschniepel des Schuhbandes befestigt und zufrieden nickt. »Müsste klappen. Klebt fan-tastisch.«

Jennifer leckt sich die klebrigen Finger ab, also echt!, und los geht’s. Seelenruhig fädelt sie den Schnürsenkel durch das Gitter. Mit angehaltenem Atem verfolgt Fridi, wie der Kaugummi auf die glänzende Münze trifft. »Bete, dass sie nicht abfällt«, murmelt Jennifer. Fridi betet stumm, lieber Herrgott im Himmel, doch da ist die Münze schon runtergefallen. Zweimal so kurz hintereinander kann man eben nicht auf Gottes Hilfe hoffen!

»So eine Scheiße!« Jennifer schließt die Augen. »Jetzt nur nicht nervös werden, ganz ruhig bleiben. Meeresrauschen.« Sie macht mit den ausgebreiteten Armen kleine Wellenbewegungen. »Da wird man ganz ruhig. Ist Mamas und meine Medazion. Mama war im Mallorca-Urlaub mal mit einem Typen zusammen, der war Surflehrer und hat ihr das beigebracht. Wenn der vorher Medazion gemacht hat, konnte er mit seinem Bord minutenlang auf den Wellen reiten. Mama sagt, Chris war der beste Wellenreiter vom ganzen Strand und der coolste.«

»Und warum sind sie nicht zusammengeblieben?«, fragt Fridi interessiert.

Jennifer macht eine wegwerfende Handbewegung. »Da war sie noch ganz jung, und Mama sagt, der hatte nur Wasser im Hirn.«

Fridi ergänzt blitzschnell seine Liste. Grund der Trennung: Wasser im Hirn.

Fridi weiß nicht genau, was sein Papa im Hirn hat. Wasser wahrscheinlich nicht, eher Sauerkraut, also, etwas in der Art.

Jennifer legt sich auf den Bauch, robbt ganz dicht an das Gitter heran und lässt den Schnürsenkel erneut in die Tiefe gleiten. »Schön dranbleiben«, murmelt sie. »Jetzt klappt es, ganz sicher.«

Der Trick ist, den Kaugummi geschickt auf die Münze treffen und ihn zuerst ein paarmal hintereinander auf dem Boden auftippen zu lassen, bevor man die Schnur wieder hochzieht. »Okay!« Ganz langsam versucht Jennifer, den Kaugummibatzen durch das Gitter zu fädeln, da stößt das Geldstück schon mit einem hellen Pling gegen das Gitter und schaukelt bedenklich. Jennifer zischt, als hätte sie auf eine heiße Herdplatte gefasst, doch der Faden beruhigt sich wieder und taumelt nur noch sacht. »Ja, gut so«, sagt sie ganz sanft und beginnt, auf das Geldstück einzureden, wie bei einer komplizierten Operation. »Ruhig. Gleich haben wir es geschafft. Schön stillhalten.«

Plötzlich steht ein kleiner Junge mit Spider-Man-Turnschuhen vor ihnen. »Das da unten ist mein Geld«, sagt er mit einer ziemlich quakigen Stimme und deutet auf die zwei Euro am Kaugummischnürsenkel. Fridi erschrickt, doch Jennifer hebt nur genervt den Kopf. »Ach ja, und woher weiß ich das bitte schön?«

Der Junge zuckt mit den Achseln. »Ist eben meins.«

Jennifer hält den Schnürsenkel einen Moment still. Sie sieht den Jungen scharf an. »Ganz einfach. Wer es rausholt, dem gehört es.«

Der Kleine zieht bloß laut seinen Rotz durch die Nase. »Wenn du mir mein Geld nicht gibst, dann hol ich meinen großen Bruder.«

Fridi ist jetzt schon ein bisschen beunruhigt. Aber Jennifer grinst nur. »Das hab ich früher auch immer gesagt, der Witz ist nur, ich hab gar keinen.« Sie zwinkert Fridi zu.

Der Junge verschränkt wieder die Arme vor der Brust und quakt: »Ich hab einen. Der ist da drüben beim Späti.« Er deutet mit einem Arm die Straße runter. »Und der hat einen Hund. Der heißt Fletscher.«

Jennifer verstellt ihre Stimme. »Ach Gottchen, da hab ich aber Angst.« Sie lacht laut auf. »Das kannst du von mir aus deiner Omi erzählen, und jetzt ab mit dir! Für so einen Schwachsinn haben wir echt keine Zeit, also kusch dich.«

Da dreht sich der Kleine um und läuft in seinen Spider-Man-Turnschuhen mit merkwürdig tippelnden Schritten die Straße runter. Fridi schaut ihm besorgt hinterher.

»Tok. Tok. Tok. Geht’s noch?« Jennifer tippt sich an die Stirn. »Glaubt der jetzt allen Ernstes, wir holen ihm die zwei Euro raus und geben sie ihm dann, oder wie?«, schnauft sie. »Nö!« Jennifer sagt auch immer NÖ, wenn Herr Schmittkatze sie um einen Gefallen bittet. Kannst du bitte mal die Tafel wischen, das Klassenbuch holen, die Blumen gießen, die Hausaufgaben einsammeln. Nö. Fridi würde nie Nö sagen, wenn ihn ein Lehrer um einen Gefallen bittet, er würde vielleicht so tun, als hätte er nichts gehört, höchstens, allerhöchstens … »Aber wenn es wirklich sein Geld ist«, beginnt Fridi vorsichtig. »Vielleicht wollte er sich ja was aus dem Automaten holen, und es ist ihm runtergefallen.«

»Pech. Dann hätte er eben besser aufpassen müssen.« Jennifer schüttelt energisch den Kopf. »Außerdem gibt es an diesem Automaten gar nichts für zwei Euro«, sie wirft einen triumphierenden Blick auf den Dreischachter an der grünen Hauswand, »und deshalb werden wir mit diesem wunderschönen Zweieurostück auch zum Kiosk gehen und uns eine Superriesenleckkugel holen.«

Hilfe!

Fridi zuckt gleich ein bisschen zusammen. Leckkugel heißt ja, dass sie beide an einer Kugel lecken, klar. Jennifer macht das unter Garantie nichts aus, ich mein, die küsst sogar Rehpinscher, aber er ist sich da jetzt nicht so sicher, denn selbst wenn jeder von einer Seite anfängt, trifft man sich ja irgendwann in der Mitte …

»Also, wenn, dann müsste er schon beweisen, dass es sein Geld ist«, überlegt Jennifer, während sie auf den schlenkernden Kaugummi starrt, »und das klappt höchstens bei Geldscheinen, die können zerrissen sein oder Flecken haben oder so.« Sie beugt sich wieder über den Schacht.

Jennifer hat natürlich recht, bei Emil und den Detektiven funktioniert das vielleicht, da sind dann so Nadelstiche in den Scheinen drin, die beweisen, dass das Geld Emil Tischbein gehört, aber im echten Leben ist das nicht so einfach. Und im echten Leben kennt sich Jennifer Klar nun mal aus.

Jennifer hängt jetzt so dicht über dem Gitter, dass sie es fast mit ihrer Nasenspitze berührt. »Wenn wir es uns nicht holen, holt es sich ein anderer«, murmelt sie.

Also, mir wäre das, um ehrlich zu sein, gar nicht so unlieb. Gerade als Fridi das denkt, sieht er ein Stück weiter zwei Gestalten auftauchen, eine kleine mit Spider-Man-Turnschuhen, die über das Pflaster tippeln, und eine große, ziemlich breite, die einen Boxer an der Leine hält.

»Du«, murmelt Fridi, »ich glaub, wir sollten jetzt besser gehen.«

»Spinnst du?« Jennifer fixiert mit zusammengekniffenen Augen die Münze, während sie dabei ist, den Schatz zielsicher durch das Gitter zu fädeln.

»Bitte«, drängt Fridi, »da hinten ist der Kleine, und er hat seinen Bruder dabei und den Hund.« Fridi spürt, wie seine Ohren langsam immer wärmer werden. »Die sehen echt sauer aus!«, stottert er.

Fridi schaut nervös zwischen den Gestalten, die immer näher kommen, und der Kaugummi-Operation hin und her. Der Hund sieht ziemlich angriffslustig aus. Die schwarze Zunge hängt ihm sabbernd aus dem Maul. Das ist eindeutig Fletscher! Fridi würde am liebsten ganz schnell wegrennen, aber vor Hunden darf man nicht wegrennen, da werden sie erst so richtig aggressiv, weil ihr Jagdtrieb angeregt wird. Die denken dann, sie verfolgen ein Kaninchen oder einen Angsthasen.

Fletscher zieht so stark an der Leine, dass der Typ ihn nur mit Mühe festhalten kann. Dabei haben seine Arme so viele Muskeln, dass sein enges T-Shirt fast platzt.

Im nächsten Moment jubelt Jennifer laut auf. »Yeah! Geschafft!« Sie steckt sich, oh mein Gott, ich glaub’s nicht, den Kaugummi wieder in den Mund und hält Fridi strahlend das blanke Zweieurostück unter die Nase. »Riesenleckkugel, wir kommen!«

Eine Schocksekunde lang weiß er wirklich nicht, was schlimmer ist, doch dann, ganz plötzlich, weiß er es, denn genau vor ihnen stehen das Muskelpaket und Fletscher, und kein Zweifel: Dagegen ist eine Riesenleckkugel mit Rehpinscherspucke gar nichts!

Können Totenköpfe grinsen?

»Hergeben.« Der Muskeltyp streckt seine Hand aus. Auf seinem Hals prangt ein Totenkopf-Tattoo, echt gruselig. Aber Jennifer denkt überhaupt nicht dran, irgendetwas herzugeben. Sie hält das Geld fest in der Hand.

Fridi kann sich von einer Sekunde zur anderen nicht mehr bewegen.

»Geld her, hab ich gesagt, oder hast du was an den Ohren.«

Jennifer schüttelt nur trotzig den Kopf. Das Geld gibt sie nicht her.

Bitte, gib’s ihm doch! Mit solchen Typen ist echt nicht zu spaßen!

»Pass mal auf, ich hab die Faxen jetzt langsam dicke. Du gibst meinem Bruder hier sofort sein Geld zurück!«, donnert Muskels Stimme so laut, dass ihr Echo in Fridis Brustkorb wiederhallt. »ISTDASKLAR?!«

Muskelprotz stemmt die Hände in die Hüften. Seine Muskeln sind wirklich dicker als dick. Dafür hat er fast keine Haare auf dem Kopf. Der Totenkopf an seinem Hals grinst hämisch.

Können Totenköpfe grinsen? Keine Ahnung. Aber der tut’s, ehrlich wahr.

Jennifer schüttelt wieder den Kopf. Fletschers Zunge hängt ihm hechelnd aus dem Mund. Wenn Fridi könnte, würde er jetzt doch am liebsten weglaufen. Geht aber nicht. Er steht da wie festgefroren.

»Okay, du hast es nicht anders gewollt. Wenn das Geld bei drei nicht in meiner Hand liegt, kann dich deine Mutter im Krankenhaus besuchen. Verstanden! Eins, zwei …«

Fridi wird es ganz kalt ums Herz. Es ist ja klar, was jetzt passiert, entweder Jennifer gibt ihm das Geld, oder er macht Hackfleisch aus ihr. Eins von beidem.

Warum gibt sie ihm, verdammte Scheiße noch mal, nicht einfach das …

Da fühlt er plötzlich etwas Kaltes, Glattes in seiner Hand.

Das ist doch wohl jetzt nicht ihr Ernst?

Drei!

Jennifer macht ein ganz unschuldiges Gesicht und streckt dem Muskeltyp ihre leeren Hände entgegen.

»Weggezaubert!« Sie lächelt von einem Ohr zum anderen.

Oh, mein Gott!

Fridis Hände werden sofort ganz schwitzig. Kaninchen-Totalkatastrophe, war ja so was von klar! Das Blut schießt ihm in den Kopf, dafür frieren seine Füße.

Survival-Regel Nummer eins: Ruhig bleiben, Fridi, sonst hast du schon verloren.

Der Muskeltyp guckt immer noch wie ein Mondkalb. Er hat fest damit gerechnet, dass Jennifer das Geld in der Hand hat. Und um ehrlich zu sein, wäre mir das auch lieber, viel, viel lieber sogar. Fridis Herz fängt an zu flattern.

Da wirft Jennifer ihm einen Blick zu und zwinkert, und dieses Zwinkern, er weiß auch nicht. Fridi hat auf einmal Angst, na ja, dass sie nach der ganzen Mühe dann sauer auf ihn ist. Außerdem werden diese Typen in den Western erst so richtig fies, wenn sie bekommen haben, was sie wollen. Aus Rache oder so. Oder um den anderen zu demütigen.

Jetzt guckt Muskel zu Fridi. Gleich wird er seine Hände sehen wollen, ist ja klar. Und dann?

Was mache ich nur? Was mache ich nur? WASMACHICHNUR?

Er könnte das Geld einfach ganz unauffällig auf den Boden fallen lassen und einen Schuh draufstellen, aber da beißt ihm Fletscher vor Wut womöglich noch den Fuß ab, der sieht so was von verfressen aus. Hoffentlich nimmt er dann wenigstens den Teil mit hochstehendem Zeh, der macht ohnehin nur Ärger. OHMANN, was denke ich nur für Schwachsinn. Mein Zeh ist jetzt wirklich nicht das Problem!