Hätte ich netter schimpfen sollen? - Heidemarie Brosche - E-Book

Hätte ich netter schimpfen sollen? E-Book

Heidemarie Brosche

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Beschreibung

Die meisten Eltern wollen ihre Kinder sanft, liebevoll und wertschätzend erziehen. Was aber, wenn dem geliebten Kind Grenzen gesetzt werden müssen? Und was, wenn das Kind sich nicht an die vereinbarten Grenzen hält? Nur allzu leicht verfallen Eltern dann wieder ins Schimpfen, Drohen oder Schreien. Erziehungsexpertin Heidemarie Brosche zeigt in ihrem Buch, wie Eltern wertschätzend bleiben und dennoch Grenzen setzen können: Mit praktischen Anleitungen und Situationsbeispielen gibt sie Hilfestellung, um im Familienalltag gelassen zu bleiben. Dabei erhebt sie niemals den moralischen Zeigefinger, sondern begegnet auch den Eltern wertschätzend.

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Seitenzahl: 318

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Heidemarie Brosche

HÄTTE ICH NETTERSCHIMPFEN SOLLEN?

Heidemarie Brosche

HÄTTE ICHNETTERSCHIMPFENSOLLEN?

Wie eine wertschätzendeErziehung gelingen kann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2020

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Sybille Beck

Redaktionelle Mitarbeit: Sabine Thum

Umschlaggestaltung: Karina Braun

Umschlagabbildung: shutterstock.com/KayaMe

Layout und Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Druck: Florjančič Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0164-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-528-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-529-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Persönliches Vorwort

Kleine Bestandsaufnahme

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Zu den Interviews und Erfahrungsberichten

KAPITEL 1

Eigentlich eine klare Sache – wie wichtig Wertschätzung in der Erziehung ist

KAPITEL 2

Kein Wunder, dass sich alles so schwer anfühlt – was heutige Eltern stemmen müssen

KAPITEL 3

So viele Hürden – was einer wertschätzenden Erziehung konkret im Wege steht

KAPITEL 4

Vorbeugen ist besser als heilen – wie Eltern so manche herausfordernde Situation verhindern können

KAPITEL 5

Die Stunde der Wahrheit – wie wertschätzendes UND klar führendes Verhalten in herausfordernden Situationen aussehen kann

KAPITEL 6

Perfekte Eltern sind ein Albtraum – wie Eltern mit dem Scheitern umgehen können

KAPITEL 7

Klassische Konfliktthemen – Wertschätzung UND klare Führung konkret

KAPITEL 8

Das Wichtigste in Kürze

KAPITEL 9

Hilfreiche Glaubenssätze

Dank

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

»Heidemarie Brosche findet für das Worte, was viele Eltern fühlen. Sie schreibt nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit viel Wärme und guten Tipps.«

Katharina Nachtsheim & Lisa Harmann,Autorinnen von WOWMOM undBetreiberinnen des Blogs stadtlandmama.de

»Die Erfahrung, dass ihnen hinterher ihr Schimpfen leidtut, haben alle Eltern schon gemacht. Die entscheidende Frage bleibt: Beschädige ich mein Kind damit, oder frustriere ich es nur?

Heidemarie Brosche gibt auf diese Frage wertvolle Betrachtungsweisen, immer mit dem Blick auf eine stärkende Beziehung für Kind und Eltern.«

Mathias Voelchert, Gründer & Leiter familylab.de

Für Biene, Eylem und Giulia – die drei liebenswerten jungen Frauen, die dieses Buch von Anfang an begleitet und inspiriert haben

Persönliches Vorwort

Wertschätzung – ich kann mich nicht mehr erinnern, wann dieses Wort begonnen hat, seine magische Wirkung in mir zu entfalten. Irgendwann war sie einfach da – die Gewissheit, dass Wertschätzung etwas Zentrales in unserem Leben ist. Dass sie der Schlüssel zum gesunden Selbstwertgefühl des Individuums und zum guten Miteinander in jeglicher Gemeinschaft ist. Wenn Menschen von klein auf genug davon bekommen, können sie gedeihen und wachsen, davon bin ich seit Langem überzeugt.

Zu meiner großen Freude konnte ich beobachten, dass es nicht nur mir so ging. Immer öfter wurde in den letzten Jahren das Hohelied auf die Wertschätzung gesungen. Gerade auch, was den Umgang von Eltern mit ihren Kindern betraf. Das erfüllte mich mit Zuversicht.

Was ich aber auch beobachten konnte: Dass Eltern mit sich unzufrieden waren. Weil sie das mit der Wertschätzung zwar theoretisch gut, aber in der Umsetzung immer mal wieder schwer fanden. Weil sie in ihrer Rolle als wertschätzende Eltern an ihre Grenzen kamen. Vor allem dann, wenn die Kids Grenzen austesteten oder überschritten.

Ich stellte fest – auch in zahlreichen Gesprächen –, dass es Müttern und Vätern mächtig auf die Psyche gehen kann, wenn sie ihrem eigenen Anspruch nicht genügen, wenn sie hinter ihren eigenen Erwartungen zurückbleiben. Weil sie ihren Kindern gegenüber wertschätzend agieren wollen, aber in und an der Praxis scheitern.

Gleichzeitig beobachtete ich etwas anderes: Es schossen Bücher wie Pilze aus dem Boden in die Regale der Buchhandlungen und in die Bestsellerlisten, die Eltern das Gefühl vermittelten, wenn sie nur bereit dazu seien, ein gewisses Training, ein paar Übungen zu absolvieren und gewisse Strategien zu beherzigen, dann habe dies ein Erziehen ohne Strafen, Ausrasten, Anschreien und Schimpfen zur Folge. Was ja eine wunderbare Verheißung ist! Gleichzeitig schwang in jedem dieser Titel mehr oder weniger subtil die Botschaft mit, Kindern geschehe Leid, ihre Entwicklung nehme Schaden, wenn Müttern das Strafen, Ausrasten, Anschreien und Schimpfen dann doch immer wieder mal passiere.

Ich hörte von Frauen, die sich in ihren Grundfesten erschüttert fühlten, weil es ihnen trotz aller Bemühungen nicht gelang, das mit dem Wertschätzen in jeder Situation durchzuhalten. Die sich durch Blogs, Foren und Bücher lasen und immer wieder unglücklich über ihr Handeln waren.

Und natürlich bekam ich als Lehrerin auch mit, wie Kinder und Jugendliche so auffällig wurden, dass ihre Eltern professionelle Hilfe suchten. Eine Schulpsychologin erzählte mir:

Wenn ich an die Eltern denke, die mit ihren Kindern bei mir landen, muss ich sagen: Die Eltern gibt es nicht. Manche erziehen Laisserfaire, andere sind sehr streng und auch gewalttätig. Manche machen sich wegen ihres Erziehungsstiles Gedanken und andere nicht. Der Erziehungsstil ist oft von den eigenen Erziehungserfahrungen als Kind geprägt, meist wird dann umgesetzt, was man selber als Kind erlebt hat. In wenigen Fällen gibt es konträre Reaktionen, also beispielsweise sehr streng erzogene Erwachsene, die dann sehr locker mit eigenen Kindern sind. Außerdem bestimmt auch die Lebenssituation, wie man mit den eigenen Kindern umgeht: Gestresste, schichtarbeitende Eltern mit wenig finanziellen und sozialen Ressourcen reagieren auch in Erziehungssituationen eher gestresst.

Mehr und mehr wuchs in mir der Wunsch, ein Buch zu schreiben, das es fertigbringt, beides zu sein: ein leidenschaftliches Credo für die Wertschätzung und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Zuversicht-Spender für Mütter und Väter, die vom Albtraum des Versagens und Verzagens gequält werden.

Da mir die zahllosen Gespräche mit meiner jungen, kompetenten Kollegin Sabine Thum, selbst liebevolle Mutter von zwei Söhnen, stets eine Bereicherung waren, habe ich sie aus ganzem Herzen eingeladen, mir auf die Finger zu gucken. Auf dass das, was Sie hier lesen, nicht nur auf dem Mist einer älteren Lehrerin und Mutter gewachsen ist, sondern auch auf dem einer Vertreterin der jungen Generation.

Ich hoffe, dieses Buch lässt Sie, liebe Leserin und lieber Leser, nicht mit schlechtem Gewissen und Angst vor erneutem Scheitern zurück, sondern es verleiht Ihnen neuen Schwung, die Herausforderung »Kinder wertschätzend erziehen« anzunehmen und aus dem gelegentlichen Scheitern das Bestmögliche zu machen.

Wenn es ganz allgemein auch noch dabei hilft, die kostbare Zeit, die Erwachsene gemeinsam mit ihren Kindern verbringen, bis diese flügge sind, zu einer schöneren zu machen – trotz aller Reibereien und Konflikte –, dann freut mich dies umso mehr.

Ihre Heidemarie Brosche

Kleine Bestandsaufnahme

Liebe Eltern,

zu Beginn dieses Buches eine kleine Bestandsaufnahme für Sie persönlich. Es erfordert Mut, diesen kleinen »Test« zu machen, obwohl es keine Auswertung und schon gar keine Bewertung gibt. Sie müssen einfach nur ehrlich auf das Zusammenleben mit Ihren Kindern blicken. Auf dass so manches (noch) besser werde.

(Und Sie können sicher sein: Sie sind nicht alleine! So wie Ihnen geht es vielen.)

Konflikte und Streit in der Familie

Wie in jeder Familie gibt es bei uns zwischen Kindern und Eltern öfter mal Konflikte.

Manchmal sind mir die ewigen Streitigkeiten mit meinen Kindern zu viel.

Ich habe nie Probleme mit meinen Kindern, weil ich ihnen ihre Wünsche erfülle.

Ich erfülle meinen Kindern alle Wünsche, soweit es mir möglich ist, aber sie sind trotzdem nie zufrieden.

Manchmal gebe ich einfach nach, denn ich habe Angst, dass mein Kind mir sonst böse ist.

Sonstiges: ___________________________________________

___________________________________________________

Unsicherheit in der Erziehung

Manchmal bin ich mir nicht sicher, wie ich mich meinem Kind gegenüber verhalten soll.

Sehr oft weiß ich gar nicht, was in der Erziehung richtig ist.

Ich habe keinerlei Probleme. Ich weiß immer, was richtig ist.

Ich bin nie unsicher. Ich mache einfach, was mein Kind sich wünscht.

Ich kann nicht verstehen, wie man in der Erziehung unsicher sein kann. Wenn Kinder nicht tun, was man von ihnen will, dann muss man halt mal hart durchgreifen.

Sonstiges: ___________________________________________

___________________________________________________

Zeit in der Erziehung

Für die Kindererziehung kann ich mir nicht viel Zeit nehmen, weil ich sie einfach nicht habe. Ich muss ja arbeiten.

Für meine Kinder würde ich mir gerne mehr Zeit als bisher nehmen.

Man braucht nicht viel Zeit für Kinder. Die sollen selbst Verantwortung übernehmen.

Für Jugendliche ab 14 braucht man nicht mehr viel Zeit. Die sind doch schon fast erwachsen.

Jugendliche haben ihre Freunde zum Reden. Das hilft ihnen viel mehr, als wenn ich mit ihnen rede.

Sonstiges: ___________________________________________

___________________________________________________

Mit den Wünschen der Kinder umgehen

Die Kinder heutzutage wollen so viele Dinge. Ich versuche, die Wünsche meines Kindes zu erfüllen.

Die Kinder heutzutage wollen so viele Dinge. Da muss man sehr oft »NEIN!« sagen.

Ich finde nicht, dass die Kinder heutzutage viele Wünsche haben.

Wegen der Wünsche meiner Kinder habe ich schon mal mehr Geld ausgegeben, als ich wollte.

Es ist mir eigentlich egal, welche Wünsche mein Kind hat.

Meine Kinder haben so viele Wünsche, dass das Geld gar nicht reicht, um sie zu erfüllen.

Sonstiges: ___________________________________________

_________________________________________________

Verbieten und erlauben

Ich finde, man sollte möglichst wenig verbieten.

Ich finde, man sollte möglichst wenig erlauben.

Ich habe Angst vor dem Streit, wenn ich meinem Kind etwas verbiete.

Ich habe Angst, dass mich mein Kind nicht mehr mag, wenn ich ihm etwas verbiete.

Ich habe Angst vor der Reaktion meines Kindes, wenn ich ihm etwas nicht erlaube.

Sonstiges: ___________________________________________

________________________________________________

Verhältnis zum Kind

Mein Kind sollte mein/e Freund/in sein.

Mein Kind ist für mich wie mein/e Freund/in. Das klappt wunderbar.

Kinder sollen nicht die Freunde ihrer Eltern sein.

Zu viele Kinder haben keinen Respekt mehr vor ihren Eltern.

Zu viele Kinder haben zu wenig Respekt vor ihren Eltern.

Sonstiges: ___________________________________________

________________________________________________

Nachdenken über das Elternverhalten

Ich mache mir oft Gedanken, ob ich mein Kind richtig erziehe.

Ich habe keine Zeit, mir Gedanken zu machen.

Ich finde es nicht nötig, sich so viele Gedanken zu machen.

Neben allen anderen Problemen kann ich mir nicht auch noch Gedanken über die Erziehung machen.

Gebrauchsanweisung fürdieses Buch

Wenn Sie gerade misstrauisch in dieses Buch äugen, weil Sie das mit der Bedeutung der wertschätzenden Erziehung nicht so recht glauben wollen, dann schnuppern Sie doch bitte mal in das erste Kapitel! Und vielleicht, ganz vielleicht, wollen Sie ja dann auch weiterlesen.

Wenn Sie dieses Buch gekauft oder ausgeliehen haben, weil Sie sich gerne über die Möglichkeiten einer wertschätzenden Erziehung auch in »herausfordernden Situationen« informieren wollen, wunderbar! Dann lesen Sie es am besten von vorne nach hinten.

Wenn Sie nach einer kleinen Aufmunterungsspritze lechzen, weil alles so schwer und so anstrengend ist, stürzen Sie sich auf

Kapitel 2

. Danach werden Sie wissen, warum Sie sich so fühlen. Den Rest können Sie dann anschließend in ruhigen Minuten lesen.

Wenn Sie gerade ziemlich erschüttert sind, weil Sie wieder einmal Ihren eigenen Ansprüchen nicht genügt haben und das Gefühl des Scheiterns zentnerschwer mit sich herumschleppen, dann fangen Sie mit

Kapitel 6

an! Die Lektüre wird Ihnen guttun. Und bestimmt haben Sie danach Lust auf den Rest des Buches.

Falls Sie sich nicht sicher sind, kann der folgende Fragebogen vielleicht helfen.

Bitte kreuzen Sie an, was auf Sie zutrifft.

Wenn Untenstehendes auf Sie zutrifft …

… ist dies die Empfehlung der Autorin:

Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meinem Erziehungsverhalten.

Um noch sicherer zu werden, beginnen Sie die Lektüre dieses Buches und lesen, solange Sie es interessant finden! Neue Denkanstöße haben noch nie geschadet.

Manchmal fühle ich mich sehr unsicher, wie ich mich meinem Kind gegenüber verhalten soll.

Lesen Sie bitte das ganze Buch!

Ich würde gerne wissen, wie sich das mit dem Erziehen im Laufe der Geschichte entwickelt hat und warum wir heute manchmal so unsicher sind.

Beginnen Sie bitte unbedingt mit Kapitel 1!

Ich finde das Eltern-Sein ziemlich anstrengend.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 2 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich wäre froh, wenn ich manchmal netter zu meinem Kind sein könnte.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 2 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich würde gerne wissen, was bei mir ganz persönlich dazu führt, dass ich meinem Kind gegenüber nicht wertschätzend handle.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 3 und lesen dann den Rest des Buches!

Es fällt mir immer wieder schwer, mich meinem Kind gegenüber wertschätzend zu verhalten. Warum nur?

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 3 und lesen dann den Rest des Buches!

Es fällt mir schwer, meinem Kind etwas zu verbieten.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 3 und lesen dann den Rest des Buches!

Es fällt mir schwer, etwas von meinem Kind zu fordern.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 3 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich möchte gerne wissen, was ich tun kann, damit es möglichst selten zu herausfordernden Situationen mit meinem Kind kommt.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 4 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich möchte gerne wissen, was ich in herausfordernden Situationen konkret tun kann, um möglichst wertschätzend zu bleiben und dabei dennoch klar zu sein.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 5 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich bin manchmal nicht so nett zu meinem Kind, wie ich es gut finden würde, und leide darunter.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 6 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich bin manchmal richtig erschüttert über mein Verhalten als Mutter/Vater.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 6 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich halte mich manchmal für eine/n sehr schlechte/n Mutter/ Vater.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 6 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich habe Angst, dass mein Kind unter meinem Verhalten als Mutter/Vater leidet.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 6 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich bin sicher, dass mein Kind manchmal unter meinem Verhalten als Mutter/Vater leidet.

Beginnen Sie bitte mit Kapitel 6 und lesen dann den Rest des Buches!

Ich bin sicher, man könnte das mit dem Erziehen besser machen als ich.

Lesen Sie bitte das ganze Buch!

Ich würde mir gerne dabei helfen lassen, dass das mit dem Erziehen in Zukunft besser klappt.

Lesen Sie bitte das ganze Buch!

Etwas Grundsätzliches zur Auswertung dieses Fragebogens und aller weiteren Fragebögen, die im Buch noch folgen:

Beurteilungen à la »Bei fünf Kreuzchen sind Sie eine gute Mutter!« suchen Sie hier vergebens. Es geht in diesem Buch nicht ums Bewerten, sondern um Denkanstöße, die zum Innehalten und Reflektieren anregen. Wenn Sie als Leserin und Leser dank dieser Anstöße dazu verlockt werden, über sich selbst und Ihren Umgang mit Ihren Kindern nachzudenken, ist dies wunderbar. Denn wir wissen ja: Unsere Gedanken beeinflussen unser Handeln!

Zu den Interviews undErfahrungsberichten

Für dieses Buch haben wir Eltern und Vielleicht-mal-Eltern von 20 bis 72 befragt, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen.

Um die Privatsphäre unserer Interviewpartner*innen schützen und so ehrliche Antworten erwarten zu können, wurden die Namen meist durch Pseudonyme ersetzt, alle weiteren Daten blieben unverändert.

Immer wieder bekamen wir die Rückmeldung, dass das Beantworten der Fragen den Interviewten gutgetan, sie zum Reflektieren verlockt habe. Vielleicht machen sie auch Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, Lust, sich in Gedanken oder auf dem Papier mit ihnen auseinanderzusetzen.

Dies waren unsere Fragen an Eltern:

1.

Wie wichtig ist Ihnen Wertschätzung in der Erziehung?

2.

Glauben Sie, dass eine Erziehung ohne Schimpfen, Strafen (und Schlagen) möglich ist?

3.

Hatten Sie sich, bevor Sie Kinder hatten, schon Gedanken gemacht, wie Sie in Konfliktsituationen reagieren wollen?

4.

Gibt es spezielle Situationen, in denen es Ihnen besonders schwerfiel/-fällt, gelassen/wertschätzend zu bleiben?

5.

Können Sie sich an Situationen erinnern, in denen Sie nicht mehr liebevoll/wertschätzend sein konnten?

6.

Welche Situationen, die ganz anders gelaufen sind, als Sie es wollten, haben Sie später noch belastet?

7.

Hatten Sie das Gefühl, Ihr Kind leide unter dem Verhalten, das Sie so nicht wollten? Falls ja, was denken Sie: Worunter (bezogen auf Ihr Verhalten) leidet Ihr Kind?

8.

Entschuldigen Sie sich auch mal oder sogar oft bei Ihrem Kind? Falls ja, wie fühlen Sie sich dabei? Wie reagiert Ihr Kind?

Und die Fragen an junge Erwachsene, die vielleicht mal Eltern werden wollen:

1.

Hast du jetzt schon ein Gefühl dafür, wie du deine Kinder erziehen möchtest, falls du mal Kinder kriegst?

2.

Falls ja, wie wichtig ist dir Wertschätzung in der Erziehung?

3.

Glaubst du, dass eine Erziehung ohne Schimpfen, Strafen, Ausrasten (und Schlagen) möglich ist?

4.

Kannst du dir jetzt schon vorstellen, inwiefern es auch Konflikte mit deinem Kind geben könnte?

5.

Kannst du dir vorstellen, wie du selbst dich in solchen Konfliktsituationen verhalten wirst?

6.

Und kannst du dir vorstellen, dass es ganz besondere »wunde Punkte« gibt, bei denen dich dein Kind mal besonders leicht aus der Fassung bringen kann?

Alle Interviewpartner*innen gaben an, dass ihnen Wertschätzung sehr wichtig sei. Einig waren sie sich auch in der Ablehnung von Schlägen als Erziehungsmittel. Was darüber hinausging, werden Sie über das ganze Buch verteilt lesen können.

Auch den Kindern wollten wir gerne eine Stimme geben. Es antworteten uns junge Menschen im Alter zwischen 5 und 19 Jahren.

Falls Sie Lust haben, auch mit Ihren Kindern ins Gespräch zum Thema zu kommen, können Sie unsere Fragen als Anregung nehmen.

Hier sind sie:

1.

In welchen Situationen schimpfen Mama oder Papa?

2.

Wie ist das für dich? Wie fühlst du dich dabei?

3.

Gibt es Situationen, in denen du es verstehen kannst, dass du geschimpft wirst?

4.

Stell dir vor, du hast etwas angestellt/etwas getan, was du nicht solltest. Welche Reaktion von Mama oder Papa ist für dich besonders schlimm?

KAPITEL 1

Eigentlich eine klare Sache –wie wichtig Wertschätzung inder Erziehung ist

Buse, 28, verheiratet, noch kinderlos

Ich denke, Wertschätzung ist das A und O, um ein »gesundes« und selbstbewusstes Kind zu erziehen. Sie stärkt die Bindung zwischen Kind und Eltern und fördert das soziale Miteinander (auch später mit Gleichaltrigen).

Was Wertschätzung (nicht) ist

Wer das Wort »Wertschätzung« verwendet, wird nicht immer richtig verstanden.

Achtung, Missverständnis!

Ist Wertschätzung nicht dieses Loben um jeden Preis, das bewirkt, dass die Kinder süchtig nach Verstärkung werden? Führt sie nicht auch dazu, dass Kinder viel zu oft das Gefühl haben, großartig zu sein? Ist sie nicht gleichbedeutend mit diesem Lieb-Tun, das gar nicht immer echt sein kann? Heißt Wertschätzung nicht, dass man als Erwachsener immer nett sein muss, auch wenn einem gar nicht danach ist? Hat Wertschätzung nicht viel mit Sich-Anbiedern und Einschmeicheln zu tun? Führt sie nicht zu einer Art Kuschelpädagogik, bei der alle immer auf Harmonie bedacht sind? Werden die Kinder durch eine beständige Wertschätzung von klein auf nicht verweichlicht und dementsprechend schlecht auf das Leben vorbereitet? Wird Wertschätzung nicht sogar manipulativ eingesetzt, das heißt, dass Erwachsene mit vorgetäuschter Wertschätzung beim Kind ein bestimmtes Verhalten erzielen wollen?

Jeder Mensch verdient Wertschätzung!

Nein, um all das geht es eben nicht, wenn man Wertschätzung ernst nimmt! Der Schlüssel zur Bedeutung liegt so wunderbar im Wort selbst: den Wert eines Menschen schätzen. Und dabei muss nichts gemessen, nichts verglichen werden. Jeder Mensch hat einen Wert – einfach nur deshalb, weil er geboren wurde. Von der Sprachgeschichte her ist »Wert« mit »Würde« verwandt, und Letztere ist laut Artikel 1 unseres Grundgesetzes unantastbar. Auch in Artikel 1 der Menschenrechte steht geschrieben, dass alle Menschen von Geburt an gleich an Würde und Rechten sind. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass sein höchstpersönlicher Wert nicht beschädigt wird, auch nicht von seinen Eltern.

Wertschätzung nennt man also eine positive Grundhaltung anderen Menschen gegenüber, die nicht seine Leistung oder sein Handeln betrifft, sondern sein Wesen.

Diese Grundhaltung der Wertschätzung hat viel mit Respekt, Achtung, Wohlwollen, Anerkennung, Zugewandtheit, Interesse und Aufmerksamkeit zu tun. Wer eine wertschätzende Haltung hat, richtet seinen Blick vor allem auf Stärken und Ressourcen und nicht auf Fehler und Unzulänglichkeiten.

Warum Wertschätzung grundsätzlich wichtig ist

Wertschätzung als eines der menschlichen Grundbedürfnisse

»Bin ich etwas wert?« – Diese Frage stellt sich unbewusst oder bewusst jeder Mensch, ganz unabhängig davon, wie er durch dieses Leben geht. Wenn die Antwort ein gefühltes Ja ist, weil er von klein auf keinen Grund hatte, an seinem eigenen Wert zu zweifeln, ist der Nährboden für eine gute Entwicklung geschaffen worden. Die Psychologie zählt die Wertschätzung zu den menschlichen Grundbedürfnissen.

Der Neurowissenschaftler Joachim Bauer spricht davon, dass Menschen aus neurologischer Sicht auf soziale Resonanz und Kooperation angelegt seien. Für Menschen sei es extrem wichtig, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben.

Umgekehrt wird leider auch ein Schuh draus: Bei fehlender Wertschätzung kann ein Mensch nicht gut gedeihen!

Bewertung, Abwertung, Entwertung

Warum auch immer: Menschen tun es so oft – sich selbst oder andere Menschen vergleichen und bewerten. Was in der Regel zur Folge hat, dass einer besser abschneidet und einer schlechter. Ganz schnell wird aus der Bewertung eine Abwertung. Klar, niemand ist perfekt, niemand ist fehlerfrei. Aber, und das ist ein entscheidendes Aber: Zentral ist hier, ob man ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation be- beziehungsweise abwertet oder das Wesen des Menschen an sich. Es ist ein großer Unterschied, ob ich sage: »Du bist dumm!«, oder:»Da hast du einen Fehler gemacht. Aber aus dem kannst du lernen.«

Kritik äußern kann man also durchaus wertschätzend. Leider aber fühlt sich Bewerten für den einzelnen Menschen oft wie Abwerten oder gar Entwerten seiner Person an. Und es bedarf dazu noch nicht mal großer Abfälligkeiten oder Gemeinheiten, sondern bereits kleine, dahingeworfene Bemerkungen können gewaltig am Wert eines Menschen kratzen.

An dieser Stelle habe ich schon oft zu hören bekommen, dass man das mit dem Ab- und Entwerten nicht so hoch hängen solle. Dass es nicht schlimm, sondern gelegentlich nötig sei. Weil Menschen ab und zu eins auf den Deckel brauchen, damit sie nicht übermütig werden. Und weil das noch niemandem geschadet habe.

Noch einmal – und davon bin ich überzeugt: Gelegentliche Kritik an Verhaltensweisen hat tatsächlich noch niemandem geschadet. Im Gegenteil, sie gibt Orientierung und damit die Möglichkeit, etwas zu ändern. Aber wenn sich ein Mensch in seinem So-Sein, an dem er nun mal nichts ändern kann, nicht wertgeschätzt fühlt, schadet dies sehr wohl!

Wer ernsthaft daran zweifelt, der braucht sich nur mal eine Situation in Erinnerung zu rufen, in der es ihm selbst »an den Wert« ging, in der ihm selbst das Gefühl vermittelt wurde, er sei wenig oder nichts wert. Vielleicht wird in der Erinnerung dann doch spürbar, wie Äußerungen à la »Du bist einfach furchtbar!«, »Kannst du wirklich gar nichts?« oder »Bist du eigentlich blöd?!« ihre schlimme Wirkung entfalten.

Ältere Menschen, die zu einem ehrlichen Blick zurück in ihre Kindheit und Jugend bereit sind, erinnern sich oft noch an Einzelheiten abwertender Situationen. Über all die Jahre wurden diese nicht vergessen, so tief waren sie getroffen.

Wie wichtig Wertschätzung speziell in der Erziehung ist

Und trotzdem herrscht immer wieder Unsicherheit unter Eltern: Können sie mit zu viel Wertschätzung Schaden anrichten? Gilt das mit der Wertschätzung auch, wenn Kinder oder Jugendliche Mist gebaut haben? Kann man Grenzen wertschätzend setzen und einfordern?

Exkurs: Blicke über den Tellerrand

Weil man alles auf dieser Welt besser einordnen und verstehen kann, wenn man über den eigenen Tellerrand hinausspäht, lade ich Sie an dieser Stelle zu einem kleinen Rund- und einem kleinen Rückblick ein. Der Rundblick liefert ein paar Informationen darüber, wie es unterschiedliche Länder und Kulturen dieser Erde mit der Wertschätzung halten. Der Rückblick lässt ein wenig spüren, wie sich das mit der Wertschätzung im Laufe der Geschichte entwickelt hat.

Kleiner Rundblick – Wertschätzung in anderen Ländern und Kulturen

Ein paar Eingangsfragen:

Erziehen alle Eltern dieser Erde in etwa gleich?

Kann man erkennen, wer auf dieser Erde richtig erzieht und wer nicht?

Gibt es Beweise dafür, dass die bei uns derzeit übliche Art zu erziehen die einzig richtige ist?

Wie wird die Rolle der Wertschätzung anderswo gesehen?

In ihrem Buch Kindheiten. Wie kleine Menschen in anderen Ländern groß werden1 zeigt die Soziologin Michaela Schonhöft ein paar interessante Dinge auf, nämlich:

wie unterschiedlich auf der ganzen Welt, aber selbst innerhalb Europas erzogen wird,

wie unterschiedlich gerade auch die kritischen Themen sind, die zu Konflikten und Disziplinierungsversuchen seitens der Eltern führen und

wie unterschiedlich die Eltern dieser Welt mit diesen kritischen Themen umgehen.

So erfahren die Leser,

dass die Samen – im Norden Norwegens, Schwedens und Finnlands beheimatet – ihren Kindern viel körperliche Nähe und Wärme schenken, aber auch mal zum Mittel der Angst greifen, um sie zum Befolgen von Anweisungen zu bewegen,

dass die Kinder in Spanien in der Regel lange aufbleiben dürfen, damit sie am Familienleben teilhaben können – interessant, wenn man bedenkt, welche Kämpfe sich hier in Deutschland manchmal rund ums Thema »Schlafengehen« abspielen,

dass in Frankreich Respekt als sehr wichtig angesehen wird, die Erziehung streng ist und »Ich mag kein Gemüse«-Theater schlichtweg nicht zur Debatte steht, denn: »Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!«

Im Beitrag »Kindererziehung im Ausland«2 kann man zum Beispiel nachlesen,

dass russische Familien viel streiten und diskutieren, die Kinder bei Fehlverhalten auch mal einen Klaps auf den Po bekommen, aber dass die Liebe zu Kindern zentral ist,

dass traditionell islamische Eltern ihren Kindern in den ersten drei Lebensjahren fast alles erlauben, die Mütter für ihre liebevolle Fürsorge höchste Achtung in der Gesellschaft genießen, ältere Kinder aber zunehmend zu Gehorsam, Dankbarkeit und Ehrfurcht erzogen werden,

dass der Umgang mit den Kindern in den USA recht streng ist und Fehlverhalten gerne mit Zimmerarrest oder »time-outs« bestraft wird,

dass Eltern in China sich für die Gefühle ihrer Kinder lange nicht so sehr interessieren wie deutsche Eltern, sondern dass Disziplin, Erfolg und Respekt wichtiger sind als Spiel und Freude,

dass im afrikanischen Namibia kleine Kinder bis zu einem Jahr stark umsorgt werden, spätestens nach dem Sauber-Werden aber weder weinen noch die Erwachsenen sonst irgendwie stören sollen und bei Ungehorsam mit Schlägen zu rechnen haben.

Zu den zahlreichen Unterschieden, die bereits innerhalb Europas nicht zu übersehen sind, gesellen sich also jede Menge Abweichungen, wenn man den Blick über die gesamte Erde schweifen lässt.

Einen nicht unwesentlichen Punkt betont Schonhöft: Erziehung ist in vielen Ländern nicht hauptsächlich Sache der Eltern – wie dies bei uns üblich ist. Im Gegenteil, in so manchen Ländern gilt das alte afrikanische Sprichwort »Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf«. Was nichts anderes heißt, als dass die Eltern viel mehr Unterstützung in der Erziehung genießen als hier bei uns, im Gegenzug aber auch mit mehr Einmischung leben müssen.

Schonhöft berichtet in ihrem Buch auch darüber, dass in vielen Ländern Kinder von ihren Eltern geschlagen werden – weil diese es für richtig und nötig halten, weil sie es nicht besser wissen oder weil sie unter Traumatisierungen leiden, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Nirgendwo aber hat sie Vorteile des Schlagens und Geschlagen-Werdens ausmachen können. Allerdings gibt es Unterschiede: Manche Kinder, die große Strenge oder gar Gewalt von ihren Eltern erfahren, scheinen recht gut damit klarzukommen, manche scheinen daran zu zerbrechen, manche geben die Gewalt weiter. Vermutlich ist das so, weil manche Eltern, die ihre Kinder mit Gewalt erziehen, diesen dennoch emotional nahe sind, sie im Gegenzug zum Beispiel auch wieder herzen und küssen oder einfach nur ein sicheres Gefühl von Aufmerksamkeit und Liebe vermitteln. Die Kombination aus »harter Hand« und emotionaler Distanz allerdings ist eine ziemlich sichere Grundlage für unglückliche Menschen und gewaltbereite Gesellschaften.

Auch der Kinderarzt und Wissenschaftler Herbert Renz-Polster zeigt in seinem Buch Kinder verstehen3, dass die Erziehungsziele und -methoden der Menschen auf dieser Erde weit auseinandergehen – zum Beispiel von dem bei uns gültigen »Mein Kind soll selbstständig und selbstbewusst werden« bis zu »Mein Kind soll so ruhig und unauffällig wie möglich sein«. bei den Danis in Indonesien.

Renz-Polster spricht davon, dass alle Eltern dieser Welt unbewusst eine gedankliche Erstausstattung im Kopf haben, die sich für sie selbstverständlich und natürlich anfühlt. Jede Elterngeneration wird sozusagen mit den gerade anerkannten Erziehungszielen und -methoden infiziert und ist so weitgehend der Meinung, es richtig zu machen. Der Witz dabei: Diese gedankliche Erstausstattung ist nicht überall gleich, sondern – im Gegenteil – vollkommen unterschiedlich.

Das heißt: Auf der ganzen Welt erziehen Eltern ihren Nachwuchs in der Annahme, es richtig zu machen, aber sie tun dies auf ganz unterschiedliche Art.

Natürlich stellt sich da die Frage: Woher können Eltern überhaupt wissen, ob die Art, wie sie ihr Kind guten Gewissens erziehen, wirklich eine gute ist?

Manche Eltern blicken zur Orientierung voller Ehrfurcht auf die Tradition von »Urkulturen«. Renz-Polster warnt davor, diese zu überschätzen. Nur weil Naturvölker etwas tun, muss es noch lange nicht gut sein – wofür die weibliche Genitalbeschneidung ein trauriges Beispiel bilde.

Außerdem sagt Renz-Polster klar, dass wir so manches, das wir bei anderen Kulturen sehen und gut finden, gerne übernehmen können, zum Beispiel die Babys zu tragen, anstatt sie im Kinderwagen zu schieben, dass aber nicht alles, was wir gut finden, auch zu uns passen muss. So kann das beständige Tragen von Säuglingen eine Überforderung für Menschen sein, die diesem körperlichen Kraftakt aufgrund ihrer Lebensweise nicht gewachsen sind.4

Aus diesem kleinen Rundblick lassen sich mehrere Schlüsse ziehen:

Die Art, wie anderswo erzogen wird, hat etwas mit den dort geltenden Traditionen und mit Erfahrungen vorhergehender Generationen, aber auch mit gesellschaftlichen Erfordernissen und Absichten zu tun.

Die Kombination aus einem Mangel an Nähe zu den Kindern und Gewalt gegenüber Kindern ist ein Garant für mangelndes Lebensglück und für Gewaltbereitschaft im Kleinen wie im Großen.

Wenn auch aus Kindern, die so ganz anders groß werden als bei uns, normale, gesunde Erwachsene werden können, gibt es offensichtlich nicht nur den

einen

richtigen Weg zu glücklichen Kindern – solange die Basis eine Beziehung ist, in der die Kinder sich der Wertschätzung sicher sein können.

Auch ein Blick in die Vergangenheit lässt manches klarer werden.

Kleiner Rückblick – Wertschätzung von früher bis heute

Ein paar Eingangsfragen:

Wie haben die Generationen vor uns erzogen?

Was waren ihre Ziele?

Was könnte dazu geführt haben, dass Eltern sich heute oft so unsicher fühlen?

Wie wurde die Rolle der Wertschätzung früher gesehen?

Alles, was jetzt ist, hat sich aus dem entwickelt, was einmal war. Und es war ja mit Menschen schon lange irgendwas. Genau genommen müssten wir also bei den allerersten Menschen beginnen und uns die Frage stellen: Wie haben die damals ihren Nachwuchs groß bekommen?

Da zuverlässige Quellen zum Erziehungsverhalten der ersten Menschen fehlen und ein Rundumschlag zur Geschichte der Erziehung den Rahmen dieses Buches sprengen würde, startet der Streifzug vor knapp tausend Jahren.

12. Jahrhundert – Hochmittelalter

Kinder sind als Arbeitskräfte wichtig.

15. Jahrhundert – Spätmittelalter

Kinder werden streng erzogen, damit sie ehrbare Menschen werden.

17. Jahrhundert – Aufklärung

Kinder werden bewusst geformt, Milde dient als Trick.

18. Jahrhundert – Frühe Neuzeit

So langsam wird die Kindheit als kostbarer Lebensabschnitt angesehen, der die Grundlage für ein glückliches Leben bildet. Mitte des 18. Jahrhunderts macht sich Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) Gedanken über eine ideale Erziehung. Er schafft es, viele Eltern mit seinen Ideen zu erreichen. Was er nicht schafft: seine eigenen fünf Kinder zu erziehen; er gibt sie allesamt nach der Geburt in ein Findelhaus.

Der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) lehnt sich stark an Rousseaus Gedanken an. Er gründet sogar eine Schule, die die Kinder nach Rousseaus Ideen erzieht. Bitter: Auch er ist nicht erfolgreich mit seinem eigenen Sohn!

19. Jahrhundert – Neuzeit

1844 schreibt der Frankfurter Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann für seinen dreijährigen Sohn den Struwwelpeter, ein Buch, in dem Kinder, die ihren Eltern nicht gehorchen, traurig enden. Die Tatsache, dass das Buch extrem erfolgreich wird, zeigt, dass viele Eltern gerne mithilfe dieser brutalen Art der Abschreckung erziehen.

In der wilhelminischen Zeit Ende des 19. Jahrhunderts werden Zucht, Ordnung und Gehorsam eingefordert. Das Motto »Wer sein Kind liebt, der züchtigt es!« wird mit dem Rohrstock in die Tat umgesetzt. Ziel der Erziehung sind Menschen, die Gott und die Obrigkeit fürchten.

Anfang des 20. Jahrhunderts – Imperialismus

Allmählich werden zunehmend Stimmen von Pädagogen laut, die sich gegen die strenge, autoritätsgläubige Erziehung wehren. So kommt es zur Strömung der Reformpädagogik, der zum Beispiel Maria Montessori und das Ehepaar Freinet angehören. Ziel dieser Erziehung ist es, jedes Kind als Individuum zu sehen und seine kreativen Kräfte zu wecken. Als besonders wichtig wird es angesehen, dass Kinder selbsttätig und durch Handeln lernen.

1933 bis 1945 – Nationalsozialismus

Kaum beginnt sich eine freiere und dem Kind zugewandte Einstellung auszubreiten, wirkt der Geist des Nationalsozialismus mit Brachialgewalt auf die Erziehung ein. Mehr denn je wird bedingungsloser Gehorsam gefordert, eigenständiges Denken und selbstverantwortliches Handeln sind verpönt. Ein hartes Menschenbild schlägt schon im Umgang mit Säuglingen durch: »Schreien stärkt die Lungen!«, wird propagiert. Das Erziehungsbuch der NS-Zeit, Dr. Johanna Haarers Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind ist ein Riesenerfolg und macht sich für die frühe Trennung von Mutter und Kind stark.

Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – antiautoritäre Erziehung

Während manche der Älteren noch am Gedankengut der autoritären Erziehung hängen, wird über die 1968 beginnende Studentenbewegung in Westdeutschland die Idee der antiautoritären Erziehung verbreitet. Nie mehr soll es Duckmäuser geben, kritisches Denken und Ungehorsam sind nun erwünscht, Grenzen und Regeln sind verpönt. Was zunächst gut und kindgemäß klingt, ist nicht generell von Erfolg gekrönt. Viele der so Erzogenen klagen später über zu wenig Interesse, Halt und Orientierung seitens der Erziehenden. In seinem Vorwort zu Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden von Hans-Otto Thomashoff erklärt Joachim Bauer, dass bei dieser Art des Erziehens zwei zentrale Elemente, die jedes Kind von klein auf braucht, zu kurz kommen: Es fehle zum einen »die frühe liebevolle Fürsorge durch die konkrete Präsenz von verlässlichen Bezugspersonen«, zum anderen »die liebevolle Anleitung des Kindes zur Einhaltung von Regeln, das Setzen von Grenzen und die Entdeckung der Geheimnisse, wie ein soziales Miteinander funktionieren kann.«5

Interessant ist an dieser Stelle ein kleiner Exkurs nach England: Der Pädagoge Alexander Sutherland Neill hatte 1921 das berühmte Internat Summerhill gegründet. Summerhill gilt bis heute als eine der ältesten demokratischen Schulen der Welt. Neill betonte stets, dass sein Prinzip nicht »frei von Erziehung« lautete, wie er gerne missverstanden wurde, sondern »freie Erziehung«. Obwohl die Kinder viel Freiheit hatten, gab es sehr wohl Regeln. Die Erziehungsmethode »antiautoritär« schrieb man ihm zu, obwohl er selbst den Begriff nie verwendet hatte. Neill nannte seine pädagogische Praxis »selbstregulative Erziehung«. Ausdrückliches Ziel war es, dass Kinder ihr eigenes Leben leben und nicht die Erwartungen von Eltern und Lehrern erfüllen müssen. Bei aller Kritik, die sich Neill immer wieder gefallen lassen musste, gab es auch viel Positives zu hören, zum Beispiel dass die große Freiheit in Verbindung mit Verantwortlichkeiten innerhalb der Gemeinschaft das Selbst- und Verantwortungsbewusstsein der Jugendlichen extrem förderte.

Übergang ins 21. Jahrhundert – partnerschaftliche Erziehung

Schließlich scheint vielen die Idee einer partnerschaftlichen Erziehung logisch und angebracht: Warum sollen Kinder unterdrückt und klein gehalten werden? Kann man nicht auf Augenhöhe mit ihnen umgehen? Mehr und mehr aber stellt sich die Frage, ob man das Kind damit nicht auf eine Stufe stellt, die ihm und seiner Entwicklung nicht angemessen ist. Müssen Eltern wirklich alles erklären und ständig nachfragen, damit sie gute Eltern sind? Ist es nicht für ein Kind zu viel Verantwortung, ständig entscheiden zu müssen, vor allem auch Entscheidungen zu treffen, die seinem Entwicklungsstand nicht angemessen sind?

Trotz dieser kritischen Einwände halten nicht wenige Eltern an der partnerschaftlichen Erziehung fest. Und das Modell scheint auch nicht zu scheitern, denn die Kinder erhalten viel Zuwendung und Emotionalität, was ihnen guttut – auch wenn das Partnerschaftliche manchmal eine Überforderung für Kinder wie für Eltern darstellen mag.

Anfang des 21. Jahrhunderts – Zeit der Verunsicherung

Im Laufe der letzten Jahre beginnt eine Entwicklung, die bis heute anhält: Eltern geraten zunehmend in die Kritik, ja man kann geradezu von einem Eltern-Bashing sprechen. »Dürfen die denn alles? – Verunsicherte Eltern, orientierungslose Kinder: Erziehung scheint so kompliziert zu sein wie noch nie. Wo liegt das Problem?« heißt es im STERN vom 24. Oktober 20196.

Insgesamt herrscht eine große Bandbreite, wie von heutigen Eltern erzogen wird: Die einen – eher wenige – erziehen »altmodisch«, geben viele Regeln vor, verteilen Pflichten, werden auch schon mal ruppig und versuchen dennoch, die Bedürfnisse der Kinder zu stillen. Die anderen – eher mehr – setzen nie oder erst sehr spät Grenzen. Bei Letzteren kommt es irgendwann leicht zum Kipppunkt, denn den Kindern fehlt Orientierung, sie ecken im gesellschaftlichen Rahmen – zum Beispiel im Kindergarten, bei Familientreffen, im Sportverein et cetera – immer wieder an. Gerade dann eskaliert es plötzlich bei so manchen Eltern, die auf klare Führung bewusst oder unbewusst verzichtet haben, denn sie spüren, dass ihre Kinder sich rein gar nichts mehr von ihnen sagen lassen.

Respektlose, computersüchtige, wohlstandsverwahrloste, mobbende, selbstverliebte und psychisch gestörte Kinder und Jugendliche sind Stoff für Vorträge, Artikel, Bücher, Talkshows. Und weil mit den Sprösslingen so vieles falsch läuft, wird über die Eltern von heute gelästert und geschimpft, was das Zeug hält. Die einen – erfährt man – erziehen zu wenig oder zu lasch, sodass aus den Kindern kleine Nervensägen und Tyrannen werden. Die anderen verfallen in Überbetreuung und kreisen wie Helikopter über ihren Kindern, bis diese lebensuntauglich, unselbstständig und fordernd geraten.

Weil Polarisierungen noch nie geholfen haben, wenn es um Menschliches geht, empfehle ich also, genauer hinzuschauen. Wenn es auch die Eltern nicht gibt, so gibt es doch Elterntypen: Eltern, die übelsten Druck ausüben, Eltern, die ihre Kinder in Watte packen, Eltern, die nicht oder zu spät bemerken, dass ihre Kinder aus dem Ruder laufen, Eltern, die ihr eigenes Leben so anstrengend finden, dass ihnen keine Kraft mehr für die Kinder bleibt – und daneben natürlich jede Menge Eltern, die sich alle Mühe der Welt geben, es gut zu machen, und dennoch immer wieder an ihre Grenzen stoßen.

Dass Eltern derzeit so verunsichert sind, ist eigentlich kein Wunder, wenn man an die Extreme denkt, die die Generationen vor uns erzieherisch ausgelebt haben.