Hearts & Falcons. Im Herzen wild und frei - Nora Lynn - E-Book

Hearts & Falcons. Im Herzen wild und frei E-Book

Nora Lynn

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Können zwei Herzen im Wettbewerb eins werden? Prickelnde Rivals-to-Lovers-Romance um eine toughe Falknerin und einen einflussreichen Adligen  Der modern erzählte historische New-Adult-Liebesroman »Hearts & Falcons. Im Herzen wild und frei« handelt von einer starken Heldin, die keine Kompromisse macht, einem selbstbewussten, arroganten Adligen, der immer bekommt, was er will und einem Jagdturnier voller knisternder Rivalität. Wienerwald, 1895: Die freiheitsliebende Hedwig liebt ihr selbstbestimmten Leben als Falknerin im Wald. Sie sorgt selbst für sich und ihre kleine Schwester. Seit einer Ewigkeit träumt sie davon, mit ihrem geliebten Habicht das anstehende Jagdturnier zu gewinnen und dem machtgierigen Adel zu zeigen, wozu eine Frau fähig ist. Doch dann kommt alles ganz anders: Der einflussreiche Adlige Konrad erpresst sie, ihn in der Falkenjagd zu unterrichten, damit er selbst das Turnier gewinnen kann. Gezwungener Maßen lässt Hedwig sich auf den Deal ein. Für den äußerst selbstbewussten, aber völlig unerfahrenen Konrad beginnen harte Wochen in den unwegsamen Wäldern des Wienerwaldes. Er will das Turnier gewinnen - schließlich hat er bisher immer bekommen, was er wollte ... Das Jagdturnier der beiden Rivalen lässt ihre Herzen schneller schlagen und die Funken zwischen ihnen sprühen. Bis eine niederträchtige Tat plötzlich alles infrage stellt ... Große Romance in einem historischen Setting – für Leser*innen von Bridgerton und der Wallflower-Serie! Historical Romance meets New Adult voller Intrigen, Gefühl und Spice Die österreichische Autorin Nora Lynn entführt Fans von New Adult und historischen Liebesromanen in den abenteuerlichen Wienerwald des Jahres 1895. Diese beliebten Tropes kommen vor:  - rivals to lovers - he falls firstEntdecke auch Nora Lynns historischen New-Adult-Liebesroman »Rebellin der Hohen Schule« über eine junge Frau, die sich von den Männern an der Wiener Hofreitschule nichts vorschreiben lässt – auch nicht von ihrem unausstehlich charmanten Widersacher.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nora Lynn

Hearts & Falcons

Im Herzen wild und frei

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Können zwei Herzen im Wettbewerb eins werden?

Prickelnde Rivals-to-Lovers-Romance um eine toughe Falknerin und einen einflussreichen Adligen 

Wienerwald, 1895: Die freiheitsliebende Hedwig liebt ihr selbstbestimmtes Leben als Falkerin im Wald. Sie sorgt selbst für sich und ihre jüngere Schwester. Seit einer Ewigkeit träumt sie davon, mit ihrem geliebten Habicht das anstehende Jagdturnier zu gewinnen und dem arroganten Adel zu zeigen, wozu eine Frau fähig ist. Doch dann kommt alles ganz anders: Der einflussreiche Adlige Konrad Ahnen erpresst sie, ihn in der Falkenjagd zu unterrichten, damit er selbst das Turnier gewinnen kann - schließlich hat er bisher immer bekommen, was er wollte. Das Jagdturnier der beiden Rivalen lässt ihre Herzen schneller schlagen und die Funken zwischen ihnen sprühen. Bis eine niederträchtige Tat plötzlich alles infrage stellt ...

Große Romance in einem historischen Setting - für Leserinnen von Bridgerton und der Wallflower-Serie!

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Zitat

Vorwort der Autorin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Danksagung

Für mein Mädchen.

Für Bernadette.

Bleib im Herzen wild und frei.

Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.

(Perikles)

Vorwort der Autorin

Natürlich mag es zum Thema Beizjagd Stimmen geben, die sie ethisch hinterfragen und den Freiheitsentzug der Greifvögel an den Pranger stellen.

Während meiner Recherche durfte ich allerdings feststellen, dass die Beizjagd sehr viel mit Geduld, Vertrauen und Bindung zwischen Mensch und Tier zu tun hat. Das Wohlbefinden des eigenen Greifvogels steht an erster Stelle – und ebendiese Haltung spiegelt sich auch im Verhältnis meiner Protagonistin Hedwig Wolf zu ihrem Habicht Avis wieder.

Die beiden bilden in der Jagd eine Einheit, durchleben jeden Schritt gemeinsam. Hedwig behält Avis voller Achtsamkeit im Auge, eilt ihm zu Hilfe, wenn er in Bedrängnis gerät, und freut sich über seine Erfolge, belohnt ihn, behütet ihn.

Avis zu verlieren würde den Verlust ihrer Existenz, ihres Vertrauten, ihres Wegbegleiters bedeuten.

 

Die Beizjagd ist mehr als eine Jagdmethode – sie ist ein lebendiges Zeugnis menschlicher Kulturgeschichte und ein Beispiel für die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur. Ob als traditionsbewusstes Hobby oder seit 2010 anerkanntes UNESCO-Weltkulturerbe: Die Falknerei bietet einen faszinierenden Einblick in eine Welt, in der Respekt, Geschick und Geduld maßgeblich sind.

 

Nora Lynn, 2024

Prolog

Mit dem Habicht auf meiner Faust fühlte ich mich groß. Dann war mir, als könnte ich den ganzen Himmel überblicken. Die Wolken, die sich auftürmten – dunkel und hell, grau und weiß. Die Gipfel und Hügel des Wienerwaldes, die sich bis zum Horizont ausbreiteten und dabei nichts an ihrer Größe verloren. Der Wald, der üppig und grün Wurzeln schlug. Der Wasserfall, der wild tosend in die Tiefe stürzte und schäumend in den tiefschwarzen See mündete.

Mit meinem Habicht Avis auf der Hand war ich eins mit mir selbst. Dann fühlte ich jeden einzelnen Herzschlag und war nicht sicher, ob es mein eigener war oder der meines Greifvogels. Dann verharrten wir. Warteten. Fühlten. Rochen die würzige Luft und vergaßen das Gestern, das Heute und das Morgen. Die Zeit blieb stehen – nur für uns beide, meinen Habicht und mich – und gewährte uns Einblick in die Unendlichkeit.

Aus weiter Entfernung hörte ich den Gesang meiner Mutter. Ich lächelte, denn nichts vermisste ich mehr, seit ihrem Verschwinden vor unzähligen Jahren.

Der Wind umwob mein Gesicht, fing mich auf und entließ mich in einem Gefühl von Freiheit, das mich zutiefst berührte.

»Avis«, flüsterte ich und war nicht sicher, ob ich meinen Mund überhaupt geöffnet hatte. Ein Blick in seine wachsamen Augen genügte. Er war längst bereit. Klar und durchdringend starrte er mich an, sein Körper stand unter Anspannung, war bereit für die Jagd. Das Federkleid glänzte in den Farben der Erde. Braune Wellen überzogen seine sandfarbene Brust. Seine dunkelbraunen Flügel würde er in Sekundenschnelle von sich spreizen, um sich seiner Beute entgegenzustürzen. Seine spitzen Krallen kerbten sich tief in meinen Lederhandschuh, seinen Kopf wandte er in alle Richtungen, um sich zu orientieren und Ausschau nach einer Beute zu halten.

Avis war ein bedachter Jäger. Er ließ sich Zeit, blieb so lange bei mir, bis er ein Ziel ausgemacht hatte.

Gemeinsam überblickten wir den Hang, der sich zu unserer Linken auftat. Karge Wiesen, Felsen, vereinzelte Büsche – mit etwas Glück könnten wir hier ein Kaninchen oder einen Fasan aufstöbern.

In diesem Augenblick galt es nicht nur, Avis im Auge zu behalten und seinem Blick zu folgen, sondern die mögliche Beute vor ihm auszumachen. Denn sobald mein Habicht sein Beutetier im Visier hatte, überschlugen sich die Abläufe. Dann zählte seine Geschwindigkeit ebenso wie meine. Dann hatte ich temporeich zu sein und vorausschauend.

Und als könnte er meine Gedanken lesen, stieß Avis sich von meiner Faust ab und glitt den Hang hinab. Mit weit ausgebreiteten Flügeln zischte er so knapp über dem kargen Boden, dass der ein oder andere Grashalm seinen Bauch berührte.

Ab dem Augenblick, da Avis meine Hand verlassen hatte, hörte ich nur noch das Rauschen meines Blutes, das aufgeregt durch meinen Körper pulsierte. Dann lief ich los, sprintete. Schnell und noch schneller. Der Boden donnerte unter meinen Füßen, und meine Atmung hastete aufgeregt. Und während ich meine Schritte noch weiter verlängerte, hielt ich meinen Blick auf Avis gerichtet, haftete regelrecht an ihm, um ihn nicht zu verlieren. Ich beobachtete jeden seiner raschen Flügelschläge, verfolgte ihn mit meinen Blicken, während er sein Tempo immerfort steigerte. Er streifte mit einer Geschwindigkeit den Hang entlang, wie ich sie bei keinem anderen Tier je zuvor gesehen hatte. Er schnellte über die Wiesen, vorbei an den Büschen und Bäumen. Dabei schien er trotz seines Tempos nie sein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Meine Atemzüge wurden lauter und übertönten sogar das Rauschen meines Blutes im Kopf. Jeder Schritt kostete Kraft, nagte an meiner Ausdauer, und doch würde ich mir erst Ruhe gönnen, wenn die Jagd beendet war.

Endlich hatte Avis seine Beute erreicht, drückte sie zu Boden und begann hektisch und von der Jagd erregt an ihr zu rupfen. Doch der Fasan wehrte sich, schlug mit Flügeln und Läufen um sich, versuchte sich zu befreien.

Schneller. Ich musste noch schneller laufen, um Avis vor einer möglichen Verletzung zu schützen. Nur noch wenige Schritte, dann hätte ich es geschafft.

Ich komme, rief ich Avis in Gedanken zu. Wenige Schritte bevor ich mein Ziel erreicht hatte, drosselte ich das Tempo, griff nach meinem Messer, das im Gürtel steckte, und ging in die Knie. Unmittelbar vor meinem Habicht landete ich auf der trockenen Erde und griff behände nach der Beute.

»Avis, mein guter Junge!«, flüsterte ich und trennte ihn vorsichtig von seinem Riss, um ihn kurz und schmerzlos zu erlegen. Dann teilte ich die Beute mit Avis, belohnte ihn für seine Arbeit, seine Anstrengung und den Erfolg, der meiner Schwester und mir eine nahrhafte Mahlzeit bescheren würde.

Avis folgte in der Jagd seinen Instinkten – so wie ich. Seit ich denken konnte, verdankte ich unser Überleben unseren Greifvögeln.

»Du bist der beste Jäger von allen.« Mit diesen Worten strich ich über sein Federkleid. Er blickte mich an, und ich lächelte. Wir kannten einander, waren uns nahe – vor der Jagd noch mehr als danach, wenn wir uns erschöpft und zufrieden auf den Heimweg machten. Avis auf meiner Faust, der erlegte Fasan in meinem Stoffbeutel, die Sonne im Rücken und das Gras, das meine Knöchel umspielte.

Schritt für Schritt stieg ich den Berg hinab. Hier oben gab es keinen Weg, nur die Wiese, die mich leitete, und den Wind, der mich antrieb. Die Sonne, die mich wärmte, oder den Regen, der mich durchnässte. Die Winter waren kalt und die Winternächte noch kälter. Dennoch lebte ich für dieses Land, liebte jede seiner Begebenheiten. Wenn ich träumte, dann von meinem unsichtbaren Pfad und dem Ruf meines Habichts. Die Berge erdeten mich, verliehen mir ein Gefühl, das man wohl Heimat nannte.

Die Strecke war noch weit, doch das störte mich nicht. Das war mein Leben: die Jagd, mein Habicht, der Berg. Jeden Tag aufs Neue. Immer wieder ein Erfolg. Immer wieder dieser Stolz, weil mein Avis erfolgreich gewesen war und dafür sorgte, dass Valerie und ich satt wurden.

Es gab nichts Schöneres, nichts, das mich mehr erfüllte. Mehr brauchte ich nicht. Und kein Wunsch in mir war größer als dieser eine: dass es für immer so bleiben möge.

Und doch spürte ich sie, diese Unruhe, die langsam in mein Leben kroch und nach etwas verlangte, das ich noch nicht zu geben bereit war.

Kapitel 1

Konrad

Wien, 1895

Es war ein sonniger Tag, an dem ich meine Kutsche bestieg, um meinen Onkel in Eichgraben zu besuchen. In einem Brief hatte er mir mitgeteilt, dass er seit Tagen zu schwach war, um das Bett zu verlassen. Er hätte mich nie darum gebeten, und doch konnte ich zwischen den Zeilen lesen, dass er sich über Besuch eines Familienangehörigen freuen würde. Ich mochte Onkel Leonhard und sein weitläufiges Anwesen, das sich mit seinen Pferdeweiden an die sanften Ausläufer des Wienerwaldes schmiegte. Natürlich mochte ich mein Leben hier in Wien noch mehr. Die durchzechten Nächte mit meinen Freunden, die ruhigen Tage in der überschaubaren Bibliothek meiner Wohnung inmitten der Innenstadt.

Ich blickte hoch zur vergoldeten Kaiserkrone, die das Dach des Reichskanzlertrakts der Hofburg zierte. Im Licht der Sonne blitzte der prunkvolle Schmuck und überstrahlte den inneren Burghof mit einer Kraft, die mich demütig zurückließ. Das Geklapper der Pferdehufe hallte an den Wänden der Hofburg wider, die Gebäude, die mir seit meiner Kindheit vertraut sind, zogen an mir vorbei. Das lang gezogene Parlamentsgebäude mit seinen weißen Säulen und dem Pallas-Athene-Brunnen, zwischen dessen weißen Statuen sich das Wasser ergoss. Das Rathaus mit seinen neugotischen Spitzbögen und dem mächtigen Hauptturm, der bis in den Himmel zu ragen schien.

Der Schottenring war auffallend belebt für diese Tageszeit. Händler zogen beladene Leiterwägen hinter sich her, Frauen flanierten mit ihren Ehegatten und Kindern im Schatten der Baumallee, ein junger Herr auf einem Fahrrad schlenkerte gefährlich nahe an ein Fuhrwerk, und das Bimmeln der Pferdetramway ließ eine ältere Dame erschrocken aufschreien.

Wien. Wie sehr ich mein Leben hier doch genoss.

Ich mochte es, dass niemand mir Vorschriften machte und niemand sich für meine kaum geleistete Arbeit interessierte. Das Vermögen meiner Eltern ermöglichte mir jeden Luxus, und ich sagte nicht Nein zu maßgeschneiderten Gehröcken und Zylindern, zu teurem Wein aus Frankreich und Zigarren aus Kuba.

Wenn mir langweilig war, machte ich einen Ausritt durch den gepflegten Stadtpark oder wandelte durch das Kunsthistorische Museum und ließ mich von den prunkvollen Gemälden des Kaisers unterhalten. Hier hatte ich alles.

Und doch sah ich es als meine Pflicht, nach meinem kranken Onkel zu sehen, an seinem Bett zu sitzen und ihm die Zeit bis zur Genesung unterhaltsamer zu gestalten.

Zudem böte sich mir dort die Gelegenheit, meinem Freund Wilhelm einen Besuch abzustatten. Bestimmt hatte er Lust, mit mir auf die Jagd zu gehen. Mit mir und meinem kürzlich erworbenen Gerfalken, der bereits in den Stallungen meines Onkels auf mich und unseren ersten gemeinsamen Jagdausflug wartete. Man hatte mir versichert, dass das edle Tier die beste Ausbildung erhalten hatte und mir gute Dienste leisten würde.

»Aber du bist noch nie zur Jagd gegangen!«, würde Wilhelm mein Vorhaben kommentieren.

»Und wennschon«, würde ich antworten. »Es gibt nichts, das für mich unerreichbar wäre.«

Wilhelm würde schmunzeln und zustimmend nicken, weil er wusste, dass ich recht hatte. Alle, die mich kannten, wussten es: Mir lag die Begabung für vielerlei Dinge im Blut. Es gab für mich keine Hindernisse oder Grenzen. Und wenn doch, dann würde ich sie zu Fall bringen. Wie immer.

 

Die Straßen wurden unebener, die Landschaft weitläufiger. Und nach etwa vier Stunden stieg ich aus der Kutsche und streckte mich vor dem Panorama der Berge des Wienerwalds durch. Onkel Leonhards Anwesen machte wie immer einen sehr gepflegten Eindruck, die Gärtner waren emsig bei der Arbeit, ein Hausmädchen polierte singend die Fenster, und der hagere Hausdiener trug meinen Koffer ins Gästezimmer.

Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, suchte ich das Schlafzimmer meines Onkels auf. Blass und verloren versank er in seinem Kissen und dämmerte vor sich hin. Erschrocken setzte ich mich an sein Bett und griff nach seiner Hand.

»Konrad, mein lieber Junge!«, begrüßte er mich matt und versuchte sich an einem Lächeln.

»Onkel«, sagte ich und drückte seine Hand.

»Sehe ich so schlimm aus?«, fragte er und tastete mit seinen trüben Augen meine Miene ab.

»Bald bist du wieder der Alte«, sagte ich und hatte Sorge, dass dem nicht so sein könnte. »Ich bin jetzt hier und kümmere mich um dich«, versprach ich und befühlte seine Stirn. Sie war heiß. »Ich lasse uns frischen Tee kommen, und dann lese ich aus deinem Lieblingsbuch von Charles Dickens vor. So wie früher, weißt du noch?«

Onkel Leonhard nickte dankbar und schloss seine Augen, während meine einzige Hoffnung seiner Genesung galt.

Kapitel 2

Hedwig

Eichgraben/Wienerwald, 1895

Federn und Daunen klebten in meinem Gesicht, hingen in meinem Haar und kitzelten an meiner Nase. Ich versuchte, mich vom Flaum zu befreien, zupfte ihn aus meinem blonden Zopf, der geflochten bis zur Taille reichte. Dabei lächelte ich zufrieden – mit Recht, immerhin hatten Avis und ich eine erfolgreiche Jagd hinter uns. Sorgsam begutachtete ich den Fasan, der neben mir auf der Holzbank ordentlich gerupft in einem Korb voller Kräuter lag und darauf wartete, verkocht zu werden.

Ich konnte es kaum erwarten, ihn meiner Schwester Valerie zu zeigen, bestimmt würde sie sich über die reichhaltige Mahlzeit freuen. Fasan gab es nicht jeden Tag, aber dieser hier war wohlgenährt und würde uns beide für zwei Tage sättigen.

Zufrieden ausatmend lehnte ich mich zurück an die sonnengewärmte Hausmauer und blickte in die Landschaft, die sich vor mir auftat: Bäume, aneinandergereiht wie Kinder, die sich zum Tanz die Hände reichten. Baumkronen, die mächtig in den Himmel ragten und im satten Licht der Sonne ihre Grüntöne entfalteten. Weite. Eine unendliche Weite, die mich glauben ließ, ich würde schweben. Ich schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, um der Stille zu lauschen, die mich umgab. Der Tag war gerade erst am Erwachen und doch schon so lebendig, warm und eindringlich.

Meine Gesichtszüge wurden weich, während ich dem Wind lauschte, der über die Wipfel der Tannen und Fichten strich. Aus weiter Ferne hörte ich das unablässige Klopfen eines Spechts und das liebliche Fiepen eines Sperlings. Unter das monotone Wetzen eines Auerhahns mischte sich der aufgeregte Schrei eines Steinadlers.

Sobald ich den Fasan fertig zerlegt hätte, würde Graf Hohenberg zu seinem wöchentlichen Jagdausflug erscheinen. Jeden Donnerstag, pünktlich nach seinem ausgiebigen Frühstück, kam er und hatte seine wahre Freude daran, wenn wir mit seinem Gerfalken zur Jagd gingen. Sein Tier war prächtig und eines Königs würdig. Der Anblick, wenn der Gerfalke sich auf seine Beute stürzte, war ein Schauspiel, dem man sich nicht entziehen konnte. Sein Tempo war rasant, schneller als jede andere Falkenart schnellte er durch die Luft und stieß dabei seine Beute mit einer Wucht zu Boden wie kein anderer Greifvogel.

Wenn Hohenberg doch nur wüsste, welch unbezahlbaren Jäger er auf seiner Faust trug. Doch für ihn schien es keine Rolle zu spielen, über welches Talent sein Vogel verfügte. Hohenberg ging es einfach darum, Zeit in der Natur zu verbringen und mit mir zu plaudern. Er war anders als die vielen gelangweilten Reichen, die in die Berge kamen, um Tiere aus reiner Lust am Töten zu erlegen.

Solche Männer bezahlten Geld, damit man ihnen den Umgang mit ihrem teuer erstandenen Greifvogel nahebrachte. Und sie zahlten Geld, damit man sie begleitete, sie ins beste Jagdrevier lotste und für ihre Vögel die Beute aufstöberte.

Geld. Bei den Reichen ging es immer nur ums Geld und um Macht. Dabei war die Arbeit mit einem Greifvogel so viel mehr als ein Freizeitspaß. Die Beziehung, die ich zu Avis aufgebaut hatte, ging tiefer, als diese Männer sich überhaupt vorzustellen vermochten. Mein Habicht war in meiner Hand groß geworden, war auf mich geprägt, für ihn war ich eine Leitfigur. Und er war für mich ein Vertrauter, ein inniger Wegbegleiter.

»Hier bist du!« Es war Valerie, die plötzlich vor mir stand. Ihre zierliche Silhouette verdeckte die Sonne, die mich bis eben noch gewärmt hatte.

»Wo sonst?«, fragte ich und klopfte mit der Hand einladend auf den leeren Platz neben mich.

»Du bist früh zurück von der Jagd!«

»Aber auch nur, weil ich unglaublich erfolgreich war.« Ich hob den Korb an, um Valerie den gerupften Fasan zu zeigen.

Mit großen Augen blickte sie auf meine Ausbeute und lächelte zufrieden. Sie war nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet, und das sonst so geschmeidige Haar stand wirr vom Kopf, so als wäre sie eben erst aus dem Bett gestiegen. Und vermutlich war sie das auch.

»Oh, Graf Hohenberg ist heute früh da?«, meinte Valerie. Und tatsächlich kamen er und seine beiden Diener just in diesem Moment zu Pferden den schmalen Pfad zu unserer Hütte hochgeritten. Die Hufe der Tiere glitten unsicher über das Geröll des unbefestigten Weges und hatten Schwierigkeiten, den Anstieg zu bewältigen.

»Geh ins Haus«, sagte ich zu Valerie und zeigte auf ihr Nachtkleid, das nicht gedacht war für Männerblicke. Erschrocken sah sie an sich hinab und huschte dann ins Haus.

»Guten Tag, gnädigstes Fräulein Wolf«, meinte er lächelnd vom Pferd herab. Sein Teint war blass, nur die Wangen waren rosig, was wohl an den sommerlichen Temperaturen lag. Sein dunkel gelocktes Haar fiel fast bis auf seine Schultern, und seine Kleidung saß so perfekt, dass sie den Eindruck erweckte, ihm auf den Leib geschneidert worden zu sein. Bestimmt sahen die Menschen in ihm eine schillernde Persönlichkeit. Die pompösen Kleider, der schreitende Gang, sein mildes Lächeln und seine grazile Handhaltung. Doch ich sah in ihm einfach nur einen Schüler, den es in die Berge zu führen galt – und vielleicht gefiel ihm gerade das an der Zeit mit mir. Dieser ungezwungene Umgang, die Nähe, wenn ich hinter ihm stand und ihn anleitete, seinen Arm höher zu tragen.

Ein Mann von seinem Rang war vermutlich daran gewöhnt, dass man sich stets vor ihm verbeugte, seine Blicke mied und ihm niemals widersprach. Ich war anders und hielt ihn stets dazu an, das Beste aus sich und seinem Gerfalken zu holen. Zwar waren die Fortschritte bescheiden, den Spaß an den Jagdausflügen verlor er dennoch nicht.

»Graf Hohenberg«, sagte ich zum Gruß und deutete einen Knicks an. Einer der Diener eilte Hohenberg zu Hilfe und griff in den Zügel seines Pferdes, damit er sich ungehindert aus dem Sattel schwingen konnte.

»Sind Sie bereit für unser Abenteuer?«, fragte Hohenberg und zog seine Jacke straff.

»Ich bin immer bereit, das wissen Sie doch!«, antwortete ich und wies den Grafen an, in seinen Falknerhandschuh zu schlüpfen und sein Tier vom Diener zu übernehmen. Die beiden würden wie immer bei den Pferden warten, während der Graf und ich uns der Beizjagd widmeten.

»Wie viel Zeit haben Sie mitgebracht, Graf Hohenberg? Sollen wir heute eine Wanderung hoch zum Gipfel versuchen?«, fragte ich und hoffte insgeheim, dass er ablehnte. So schön die Wanderung hoch zum höchsten Punkt des Schöpfl auch war, ich war nicht sicher, ob die Ausdauer des Grafen dem weiten Marsch gewachsen war.

Hohenberg blickte mich an, dann hoch zum Gipfel hinter mir und dann wieder zu mir.

»Ich fürchte fast, dass ich heute nicht das passende Schuhwerk für eine Gipfelbesteigung trage.«

Wir blickten beide auf seine mit Seide bezogenen spitzen Schühchen, die nicht einmal für einen kurzen Gang in den Wald geeignet waren.

»Dann nehmen wir den Wald – wie immer?«, schlug ich lächelnd vor.

»Sehr gerne.« Der Graf grinste breit und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Niemand passte weniger in den rauen Wienerwald als dieser Adlige, und doch schien er die Stunden hier draußen in vollen Zügen zu genießen.

Er strahlte förmlich, als wir nebeneinander hergingen und eintauchten in das gedämpfte Licht des Waldes. Er schwieg wie immer. Und ich hielt mich an unsere unausgesprochene Abmachung, es ihm gleichzutun. An manchen Tagen vermutete ich hinter seinem freundlichen Gesicht eine gewisse Schwermütigkeit. An anderen Tagen wiederum lächelte er in einem fort. Dieser Mann war ein Rätsel, und doch war die Stille an seiner Seite unterhaltsam.

»Dort«, flüsterte ich und zeigte mit dem Finger auf einen Hasen, der in weiter Entfernung am Fuße eines Baumes saß. Obwohl seine Löffelohren gespitzt waren, hatte der Hase unser Kommen noch nicht bemerkt und verhielt sich entspannt.

Hohenberg und ich blieben stehen, und er entfernte die Lederhaube vom Kopf des Gerfalken. Sofort begann der Gerfalke zu spähen und die Umgebung mit seinem Blick abzutasten. Es würde nicht lange dauern, bis er den Hasen ausmachte und sich von der Faust des Grafen stieße, um zwischen den Baumstämmen hindurchzusegeln und den Hasen zu packen. Dann würden der Graf und ich es dem Vogel gleichtun und uns in hohem Tempo auf den Weg machen.

Tatsächlich hatte der Gerfalke rasch die Beute ausgemacht, visierte sie an mit seinen dunklen Augen – hart und berechnend. Seine Haltung schärfte sich, jeder Muskel wurde angespannt. Hohenberg löste den Griff um das Geschüh, mit dem er den Gerfalken an sich gebunden hatte, und schon stemmte sich der Vogel vom festen Leder des Handschuhs ab und schnellte durch den Wald.

»Los!«, gab ich dem Grafen das Startsignal, und schon rannten wir beide dem Gerfalken hinterher. Der Graf liebte den Moment, wenn sein Gerfalke im Anflug auf die Beute war und er ihm hinterhereilen konnte. So unpassend seine Kleidung auch war, seine Bewegungen waren energievoll und geschmeidig. Es gab immer ein seltsames Bild ab: der junge Graf in seinen Schühchen und der schillernden Kleidung, der sich kämpferisch durch den Wald bewegte und dabei jede Hemmung hinter sich ließ.

Dabei sprangen wir über Wurzeln, wichen Ästen aus, schlängelten uns an Baumstämmen vorbei – den Blick immer auf den Gerfalken gerichtet. Wir mussten den Vogel und seine Beute erreicht haben, ehe er sich damit in die Lüfte begeben und davonfliegen könnte. Ich hörte nur meine Atemzüge und die des Grafen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich seine purpurrote Jacke und seine dunkelbraunen Locken, die hinter ihm herflatterten.

Der Gerfalke stürzte sich auf den Hasen, packte ihn und begann sofort an seinem Fell zu rupfen.

»Schneller«, rief ich dem Grafen zu und bekam kaum noch Luft. Der verstand, legte an Tempo zu und sprang dem Falken und seiner Beute förmlich entgegen. Ohne auf Wurzelwerk zu achten, ließ er sich auf die Knie fallen und griff nach den Hinterläufen des Hasen, die im Kampf um sein Leben wild um sich schlugen.

»Sehr gut«, keuchte ich, als ich hinter dem Grafen angekommen war. »Und jetzt trennen Sie vorsichtig den Gerfalken von der Beute. Ja, gut so.«

Ich griff nach meinem Messer, um die Beute zu erlegen.

»Nein!«

Ein lauter Ruf brachte den Grafen und mich aus der Fassung. Sofort wandten wir uns beide um … und blickten in die Gesichter zweier völlig fremder Männer.

»Verdammt! Was …?«, rief ich so fassungslos laut aus, dass meine Stimme zwischen den Bäumen widerhallte. Erschrocken über meine eigene Stimme hielt ich inne und blickte hinab zum Hasen, der unter meiner Hand um sein Leben zappelte, und zum Gerfalken, der nervös sein Gefieder plusterte.

Ohne mich weiter um die Fremden zu kümmern, stieß ich dem Hasen das Messer in den Leib, um ihn von seinen Schmerzen zu erlösen.

Und während Graf Hohenberg sich um seinen Vogel kümmerte und ihn behutsam auf seinen Handschuh steigen ließ, erhob ich mich vom Waldboden, wischte meine Hände am Rock trocken und wandte mich aufgeregt an die beiden Störenfriede.

»Was zum Teufel sollte das?«, fragte ich erbost und funkelte die beiden an.

»Die Frage sollte wohl eher von mir kommen!«, zischte einer der beiden. Er wirkte aufgebracht, erregt. Sein Blick wanderte zwischen mir und dem erlegten Hasen hin und her. »Sie haben ein unschuldiges Tier ermordet.«

»Unschuldig? Wie meinen Sie das? Soll ich mich auf die Suche nach einem schuldigen Hasen machen?« Ich griff in meinen Lederbeutel und holte den Lappen hervor, in den ich die scharfe Klinge des Messers einwickelte.

»Wie gehen Sie denn vor, wenn Ihr Gerfalke Beute gemacht hat?«, fragte ich und zeigte auf das edle Tier, das auf seinem Lederhandschuh saß – die Sicht mit einer schwarzen Kappe verdeckt, auf seinen Einsatz wartend.

Der Fremde sah mich an. Mir war, als sähe er durch mich hindurch. Er wirkte verloren, fast wie ein kleiner Junge, dem man eben gesagt hatte, dass das Leben endlich war.

»Sie haben noch nie Beute gemacht, habe ich recht?«, fragte ich ihn.

»Ach was!«, erwiderte der Fremde wenig überzeugend und tat meine Entlarvung mit einer wegwerfenden Handbewegung ab.

»Wer sind Sie überhaupt? Ich habe Sie hier noch nie gesehen!«

»Das wird sich in Zukunft ändern. Mein Name ist Konrad Ahnen, und ich werde hier im Revier meines Onkels, so lange er krank ist, regelmäßig jagen.«

»Ahnen?«, fragte ich. Schlagartig wurde mir klar, um wen es sich handelte. »Er ist krank?«

»Der ist zäh und erholt sich wieder«, meinte Konrad Ahnen salopp, so als würde ihn der Zustand seines Onkels nur beiläufig interessieren.

»Und wie wollen Sie jagen, wenn Sie Ihre Beute nicht erlegen können?«, fragte ich, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen. Ahnens Neffe blickte mir in die Augen und ich ihm. Sein Blick war stechend und traf mich mit einer Wucht, die mir meine Denkfähigkeit raubte. Ein leichter Bartschatten überzog sein Kinn und verlieh ihm etwas Raues. Seine Haltung war aufrecht und stolz. Anders als der Graf war Konrad Ahnen passend für die Jagd gekleidet. Die tannengrüne Jacke passte sich perfekt seinen auffallend breiten Schultern und seinem schlanken Oberkörper an. Ich hatte noch nie einen entkleideten Mann gesehen und hatte auch nicht das Bedürfnis danach. Dennoch blitzte für einen kurzen Augenblick in meinem Kopf die Frage auf, wie dieser überhebliche Mann wohl aussah, wenn er sich aus seinen perfekt sitzenden Kleidern geschält hatte. Ich atmete schwer aus uns ließ meinen Blick wieder hochwandern in sein Gesicht. Dann schloss ich für einen kurzen Moment die Augen und versuchte, mich zu fokussieren. Ahnens Neffe hatte hier oben das Sagen, also musste ich mich entgegenkommend zeigen.

»Wollen Sie damit sagen, ich wäre kein geeigneter Jäger? Ich kann Ihnen versichern, dass ich besser bin, als Sie es je sein werden!«

Ich verkniff mir ein Schmunzeln. Was war das für ein Kerl, der vorgab, ein unschlagbar guter Jäger zu sein und in Wahrheit nicht mit ansehen konnten, wie ein Hase getötet wurde?

»Sie sind also der bessere Jäger?«, fragte ich süffisant.

»Das bin ich. Wenn ich wollte. Wenn ich es versuchen würde.« Konrad begann zu stottern, hielt aber meinem Blick stand und hob sein Kinn sogar noch ein Stück weiter an. Unter seinem Filzhut lugte sein dunkelblondes Haar hervor. Seine Züge waren markant und nicht weich, wie die des Grafen. Ahnens Neffe erschien mir wie ein Mann, dem ich lieber aus dem Weg ging.

Der Graf stand so eng neben mir, dass unsere Oberarme sich berührten. Es war eine Nähe, an der ich mich nicht störte. Ich ließ sie zu und wusste, dass er mich vor den beiden Gecken beschützen wollte. Er würde sich für mich starkmachen wie ein großer Bruder. Aber natürlich hatte ich es nicht nötig, dass ein Mann in Seidenschuhen mich beschützte.

»Vielleicht sollten wir einander vorstellen, bevor hier ein wildes Wortduell entbrennt«, schlug Graf Hohenberg vor. »Ich bin Graf Hohenberg. Seit Jahren nehme ich Jagdunterricht bei Fräulein Wolf und kann Ihnen versichern, dass sie die Beste ist.«

»Graf Hohenberg!«, flüsterte der Jüngere der beiden fast andächtig und deutete eine Verbeugung an. »Mein Name ist Wilhelm Goldbach – ein Freund von Konrad Ahnen.«

»Sie nehmen Jagdunterricht bei einer Frau?«, fragte Konrad Ahnen beinahe angewidert.

»Wie gesagt: Sie ist die Beste!«

Konrad schüttelte den Kopf und lächelte auf mich herab.

»Sie müssen nicht den Starken mimen«, richtete ich mich an Konrad Ahnen. »Wir alle wurden eben Zeuge davon, dass Sie nicht Manns genug sind, um einen Hasen zu töten!« Ich stemmte meine Hände in die Taille und stachelte ihn mit meinem stechenden Blick zusätzlich an.

»Unsinn!«, fauchte Konrad Ahnen etwas hilflos.

»Ertragen Sie es nicht, im Schatten einer Frau zu stehen?«

»Was die immer daherredet«, meinte Konrad an seinen Freund Wilhelm Goldbach gewandt. »Sie nimmt sich wohl zu wichtig.«

»Zeig ihr, dass du in der Beizjagd unschlagbar bist!«, feuerte Wilhelm seinen Freund an.

Ich sah zu Graf Hohenberg. Wir grinsten uns an und rollten mit den Augen. Dann wandte ich mich wieder Konrad und Wilhelm zu. Die beiden standen da, starrten uns an und schienen sich ernsthaft zu fragen, was wir so lustig fanden.

»Das ist euer Ernst, nicht wahr? Ihr glaubt tatsächlich, ihr wärt besser als Fräulein Wolf. Ist das so?«, fragte Graf Hohenberg die beiden mit seiner tiefen Stimme, die förmlich durch den Wald brummte.

»Natürlich ist das so.« Konrad zog eine Augenbraue hoch und kraulte durch das Gefieder seines Gerfalken.

»Wenn das so ist«, meinte Graf Hohenberg und trat einen Schritt vor mich. »Warum treten Sie dann nicht beim großen Falkenjagdturnier im September an? Da können Sie sich direkt mit dem gnädigen Fräulein Wolf und den anderen Falknern messen. Dort können Sie beweisen, dass Sie der Beste sind! Und wenn Sie erst die Gewinnertrophäe in Händen halten, werden wir Ihr Talent anerkennen. Was sagen Sie?« Graf Hohenberg stand vor mir, sein gewelltes Haar lag auf seinen Schultern auf, und der Wind trug den Duft seines süßlichen Parfums an mich heran. Seine purpurne Jacke war am Rücken mit farbenfrohen Blüten bestickt und an den Schultern dick ausgepolstert.

»Natürlich trittst du bei dem Turnier an«, meinte Wilhelm und stieß seinen Freund in die Seite. »Du schaffst das!«

»Von einem Turnier war nie die Rede«, meinte Konrad Ahnen und blickte verunsichert zu seinem Freund Wilhelm.

»Konrads Gerfalke ist bestens ausgebildet. Dem kann niemand das Wasser reichen«, erklärte Wilhelm.

»Es ist schön, dass Sie sich derart für Ihren Freund einsetzen«, meinte Graf Hohenberg, »aber ich fürchte, Sie haben ebenso wenig Ahnung von der Beizjagd wie ein Bäcker von der Kriegsführung.«

Graf Hohenberg und Wilhelm blickten einander an. Lange. Es war, als ob sie schweigend Zwiesprache führten. Nur worüber?

Auch Konrad dürfte den intensiven Blickkontakt der beiden bemerkt haben und sah wiederum mich fragend an.

»Kommen Sie, Graf Hohenberg.« Ich fasste ihn am Ärmel seiner Samtjacke und zog ihn neben mir her.

»Was war das?«, zischte ich, nachdem wir uns ein Stück von den beiden entfernt hatten.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Graf Hohenberg gedankenverloren und legte an Tempo zu. Forsch und ohne das übliche Lächeln im Gesicht durchschritt er den Wald und hielt erst inne, als wir meine Hütte erreicht hatten. Wortlos übergab er dem Diener seinen Gerfalken und ging zu seinem Pferd, um in den Sattel zu steigen.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte ich Graf Hohenberg ehrlich besorgt und trat an sein Pferd heran.

Doch der nickte nur, griff in den Zügel und trieb sein Pferd mit der Zunge schnalzend an. Üblicherweise winkte er mir noch einmal und rief mir ein paar Worte des Abschieds zu, doch dieses Mal verschwand er schweigend, den Kopf gesenkt und nachdenklich.

Der Graf war längst verschwunden, als ich immer noch vor meiner Hütte stand und auf den leeren Weg starrte. Was konnte es gewesen sein, das Graf Hohenberg derart aus der Fassung gebracht hatte?

Als ich mich meiner Hütte zuwandte, stieg mir der Duft des Mittagessens in die Nase. Bestimmt hatte Valerie das Fleisch mit frischen Kräutern aus dem Garten gewürzt und junges Gemüse gegart. Bei dem Gedanken an die knusprig gebratene Haut des Fasans knurrte mein Magen, und die Gedanken an Hohenberg waren schnell vergessen.

Kapitel 3

Wir müssen heute dringend ins Dorf«, meinte Valerie aufgeregt. »Der Mehlvorrat muss aufgestockt werden.«

Ich legte den Hammer beiseite. Die losen Fensterläden konnte ich auch später reparieren. Meine Schwester strahlte heller als jeder Stern, und das bestimmt nicht wegen unseres Mehlvorrats, der zur Neige ging, sondern weil sie es kaum erwarten konnte, hinunter ins Dorf zu gehen.

»Heute?« Ich dachte daran, dass ich nach den Arbeiten am Haus auf den Berg wollte, um mit Avis für das Turnier zu trainieren. Es gab noch ein paar Kleinigkeiten, an denen wir arbeiten mussten. Zum Beispiel wollte ich zusehen, dass Avis an Tempo zulegte, um mit Konrads Gerfalken mithalten zu können. Ich wusste noch nicht genau, wie ich seine Schnelligkeit forcieren konnte, aber wenn wir erst oben waren auf dem Schöpfl, dem Gipfel unseres Berges, dann würde mir bestimmt eine passende Idee einfallen.

»Ja, heute!«, meinte Valerie. Ihr Strahlen verblasste ein wenig und machte Platz für ihre finstere Miene, die mich davon überzeugen sollte, den Marsch ins Dorf heute anzutreten.

Vielleicht schaffte ich beides? Nein, der Weg zum Gipfel war beschwerlich, da fände ich nicht noch die Kraft für den Abstieg ins Tal und den anschließenden Heimweg.

»Also gut«, seufzte ich. Das Training konnte ich auch auf morgen verschieben. Valerie umarmte mich und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Und wie immer, wenn meine Schwester sich freute, steckte sie mich mit ihrer positiven Stimmung an.

»Ich mach mich sofort fertig«, trällerte sie und huschte ins Haus, während ich mich wieder dem losen Fensterladen zuwandte.

Noch ehe ich den Hammer wieder in Händen hielt, wurde ich von lauter werdendem Hufgeklapper abgelenkt. Ich blickte hinter mich und wartete gespannt, wer sich unserer Hütte näherte. Ein Jäger aus dem Dorf? Oder gar Graf Hohenberg, der um einen zusätzlichen Jagdausflug bat?

Mit Staunen stellte ich fest, dass es Konrad Ahnen war, der mir freundlich von seinem Pferd herab zuwinkte – fast als wären wir gute Bekannte. Ich enthielt mich des Grußes und verschränkte meine Arme vor der Brust.

»Guten Tag, gnädiges Fräulein Wolf!«, sagte er, nachdem er sein Pferd vor mir angehalten hatte. Er hob seinen Hut an und lächelte charmant. Bestimmt gab es einen Grund für seinen plötzlichen Sinneswandel.

»Guten Tag«, sagte ich verhalten und behielt ihn genau im Blick, als er vom Pferd stieg. Mit einem strahlenden Lächeln, das unmöglich echt sein konnte, kam er zu mir, klopfte den Staub aus seiner Reithose und verbeugte sich unnötig tief vor mir.

»Was für ein herrlicher Tag heute«, meinte er und blickte hoch zum wolkenlosen Himmel. Dabei schirmte er das grelle Licht der Sonne mit einer Hand ab.

»Herrlich«, erwiderte ich trocken und musterte jede Regung in seinem Gesicht. Eindeutig führte Konrad etwas im Schilde, ich wusste nur noch nicht, was.

»In wenigen Wochen findet doch hier das große Falkenjagdturnier statt …« Konrads Worte ließen mich innehalten.

»Ich weiß«, erwiderte ich und dachte an die vielen Monate, in denen ich mich genau auf dieses Turnier vorbereitet hatte.

Mein Habicht und ich waren in Bestform und hatten gute Chancen, den Sieg für uns zu verbuchen. Gleich in den nächsten Tagen würde ich meinen Namen auf die Liste der Teilnehmer setzen lassen. Ich wäre die erste Frau, die es wagte, an diesem Turnier teilzunehmen. Bislang war die Beizjagd eine Männerdomäne gewesen, aber das würde ich ab sofort ändern – und niemand könnte mich daran hindern. Ich wollte nicht nur gewinnen, ich musste – das war ich meiner Schwester schuldig. Seit ihrem Sturz vor ein paar Jahren konnte sie nicht mehr zur Jagd. Die Verletzung an ihrem Bein war schlecht verheilt und erlaubte nur noch kurze Märsche – und selbst dann litt sie unter Schmerzen. Sie fühlte sich dem Leben hier draußen nicht mehr gewachsen, sehnte sich nach der Stadt. Nach Wien. Zu unserer Tante. Doch Tante Irma lebte in bescheidenen Verhältnissen und konnte Valerie nur bei sich aufnehmen, wenn diese zum monatlichen Einkommen beitrug. Ich musste also gewinnen, um meiner Schwester mit dem Preisgeld von zweihundert Kronen ihren Start ins neue Leben zu ermöglichen. Und neben Valeries Unterstützung könnte ich den adeligen Herren, die sich jährlich zum Turnier einfanden, beweisen, dass sie nicht im Recht waren, wenn sie uns Frauen unterschätzten. Wir waren ernsthafte Gegner – sei es nun bei der Jagd oder im Alltag. Wenn man Frauen nur die benötigten Bücher und eine gleichwertige Bildung zukommen ließe, wären sie ernst zu nehmende Gesprächspartner und müssten sich nicht hinter ihrer Stickerei verstecken oder hinter einem neu erprobten Kochrezept.

»Hatten wir nicht bereits darüber gesprochen, dass wir beide daran teilnehmen werden?«, fragte ich knapp.

»Das hatten wir, aber ich hielt diese Aussage für einen Scherz.« Konrad Ahnen funkelte mich ungläubig aus seinen stechend grünen Augen an. Kurz dachte ich, er wollte mich auslachen, doch er schwieg und schien sich zu fragen, ob ich die Wahrheit sagte oder ihn täuschen wollte. Es war wie ein Blickduell, bei dem man verloren hätte, sobald man sich zuerst abwandte.

»Keine Frau hat je an so einem Turnier teilgenommen. Warum sollten ausgerechnet Sie die Regel brechen?«, fragte Konrad spitz und mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Warum sollte ich nicht?«, stellte ich ihm meine Gegenfrage, ohne zu blinzeln.

Konrad wich meinem Blick aus und wirkte dabei unsicher.

»Gewiss wäre es unterhaltsam, wenn wir beide uns beim Turnier messen könnten. Die Sache ist nur die … ich muss gewinnen. Wilhelm hat doch tatsächlich unseren Freunden erzählt, dass ich vorhabe, beim Turnier als Bester abzuschneiden.«

Ich biss mir auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken. Die Vorstellung, wie Konrad sich unter all den Profis beim Turnier bloßstellte, fand ich einfach zu erheiternd.

»Das Problem ist nur …« Er brach ab und blickte an mir vorbei zur Hütte. »… ich kann unmöglich gewinnen.«

»Was? Wie kommen Sie darauf?« Meine Stimme überschlug sich gespielt.

»Tun Sie nicht so. Sie wissen, dass ich völlig talentlos bin, was die Beizjagd betrifft.«

»Natürlich weiß ich das. Mich überrascht allerdings die Tatsache, dass Sie sich dessen ebenfalls bewusst sind. Schließlich haben Sie gestern noch geprahlt, der Bessere von uns beiden zu sein.«

»Das bin ich auch! Also, ich könnte es sein, wenn ich jemanden hätte, der mich in der Beizjagd unterrichtet. So wie Sie zum Beispiel.«

Ich verschluckte mich, hustete und bekam kaum Luft.

»Bist du verrückt?«, fragte ich.

»Ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns duzen!«

»Also gut: Sind Sie verrückt?«

»Das klingt auch nicht besser«, meinte Konrad mürrisch.

»Ich werde Sie ganz bestimmt nicht in der Beizjagd unterrichten. Wie kommen Sie auf die Idee?«

»Ich dachte, damit verdienen Sie Ihr Geld? Unterrichten Sie nicht auch Graf Hohenberg?«

»Graf Hohenberg ist ein angenehmer Mann.«

»Man kann sich seine Kundschaft nicht immer aussuchen.«

»Ich bin mein eigener Herr. Glauben Sie mir: Ich kann mir meine Kundschaft aussuchen.«

»Sie vergessen, dass mein Onkel der Grundbesitzer Ihrer Hütte ist.« Konrads Stimme blieb ruhig, er schien sich seiner Sache sicher zu sein.

»Was wollen Sie mir damit sagen? Wollen Sie mich erpressen?« Ich spürte, wie sich in mir ein Grollen aufbaute, das ich nur schwer in Zaum halten konnte.

»Ach was, wer redet denn von Erpressung! Allerdings habe ich mich erkundigt, und das mündliche Abkommen, das mein Onkel mit ihrem Vater abgeschlossen hat, ist wohl jederzeit auflösbar.«

»Sie ungehobelter Wichtigtuer!«

»Beruhigen Sie sich!«, sagte er forsch und legte einen Finger an seinen Mund.

Ich atmete tief ein und blickte hinauf zum Schöpfl. Der Berggipfel rekelte sich förmlich in der Sonne. Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen und abzuwägen. Konnte ich es mir leisten, Konrads Vorschlag abzulehnen? Das Verhältnis mit Leonhard Ahnen war immer entspannt gewesen, aber wie würde er reagieren, wenn ich mich nicht bereit erklärte, seinem Neffen diesen Gefallen zu tun?

Andererseits war mir kaum ein Mensch so zuwider wie dieser Konrad. Bei der Vorstellung, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn zu unterrichten, fühlte ich mich unbehaglich.

»Ich bin eine Frau! Wie soll ich Ihnen auch nur das Geringste über die Beizjagd beibringen? Ich könnte Ihnen allerhöchstens zeigen, wie man einen Topflappen häkelt«, sagte ich barsch.

»Oh, bitte, tun Sie nicht so, als wären Sie beleidigt. Das steht Ihnen nämlich nicht«, meinte Konrad eindringlich. Ich sah ihn an. Konrad. Sein kantiges Kinn, seine markanten Wangenknochen, die fein geschnittene Nase, die glatte Stirn und die grünen Augen. Das dunkelblonde Haar, das er hinter seine leicht abstehenden Ohren gestrichen hatte.

Konrad strahlte nicht nur dieses ruhige Selbstbewusstsein aus, er schien es tatsächlich in sich zu tragen. Wäre es klug, den Zorn dieses Mannes auf mich zu ziehen, nur weil meine Eitelkeit es verlangte? Schließlich trug ich nicht nur für mich Verantwortung, sondern auch für meine Schwester. Wir lebten hier, hier waren wir zu Hause. Konnte ich es zulassen, dass mein Stolz unsere Heimat, unseren Anker, in Gefahr brachte? War es nicht einfacher, mit diesem Konrad Ahnen ein paar Jagdausflüge zu machen, bei denen ich ihm einige Kniffe beibrachte, die er ohnehin nicht umsetzen konnte?

Ich atmete tief ein, machte mir bewusst, dass ich Leonhard Ahnen nicht erklären wollte, warum ich zu hochmütig war, um seinen Neffen zu unterrichten.

Ich fühlt mich dabei schlecht, da ich in Leonhard Ahnens Schuld stand, weil er uns stets mit Sorge und Güte begegnet war, immer freundlich gewesen war und sich Zeit genommen hatte für Valerie und mich.

Plötzlich hatte ich das milde Lächeln des alten Mannes vor Augen, seine weiße faltige Haut, den treuen Blick aus ebenso grünen Augen wie die seines Neffen.

Nein, ich konnte die Schuld, in der ich gegenüber Leonhard Ahnen stand, nicht verleugnen. Sie ließ mir keine Wahl – ob es mir gefiel oder nicht.

»Sei morgen vor Sonnenaufgang hier, dann beginnen wir mit der Ausbildung.«

»Sie«, erinnerte Konrad mich an die förmliche Anrede.

»Sei pünktlich«, entgegnete ich ihm stur.

Er sah mich an und rollte mit den Augen.

»Ich bin immer pünktlich«, murmelte Konrad und marschierte zu seinem Pferd.

Konrad hatte sichtlich Mühe, sich in den Sattel zu schwingen. Mehr als einmal rutschte er aus dem Steigbügel und stolperte tollpatschig ein paar Schritte zurück, während sein Pferd geduldig auf der Stelle verharrte. Verwundert verfolgte ich das seltsame Schauspiel und konnte nicht glauben, was ich sah. Als er es endlich geschafft hatte, auf sein Pferd zu steigen, atmete ich erleichtert auf.

Ich stand noch eine Weile da und blickte ihm hinterher, während er den schmalen Pfad hinabritt.

Noch eben war ich der Meinung gewesen, dass der lose Fensterladen mein einziges Problem wäre, aber da war ich mir nun nicht mehr sicher.

Um mich zu beruhigen, ging ich hinüber zu Avis, der auf seinem Holzblock sitzend sein Gefieder putzte. Wie zufrieden er dabei aussah und so ruhig. Er widmete all seine Konzentration nur der Reinigung seines Körpers, und zog erst seinen Kopf unter dem Flügel hervor, als ich direkt vor ihm stand.

Ich ging in die Hocke, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. Und wie immer spiegelte sich darin die ganze Welt.

»Der gehört dir. Kümmer dich ordentlich um ihn!« Mit diesen Worten hatte Vater mir wenige Monate nach Mutters Verschwinden einen jungen Habicht in die Hand gedrückt, den er aus einem Gelege ausgehorstet hatte. Flaumig war er gewesen und vermutlich kurz vor der ersten Mauser. Vater hatte die Greifvögel gekannt, hatte gewusst, wann der ideale Zeitpunkt war, um sie in menschliche Hände zu übersiedeln, damit sie im Besitzer ihre Leitfigur fanden.

Damals hatte ich mich gefragt, warum Vater mir diesen Vogel geschenkt hatte. War es, weil er mir eine Freude bereiten wollte oder weil er von mir erwartete, dass ich in seine Fußstapfen trat und ihn bei der Jagd unterstützte?

»Wie soll er heißen?«, hatte Valerie mich damals gefragt.

»Ich weiß es nicht«, hatte ich gelogen. Denn bereits beim ersten Blick in die Augen des jungen Habichts hatte ich gewusst, dass ich ihn Avis nennen würde. Trotzdem hatte ich den Namen wenigstens eine Weile für mich behalten wollen. Er sollte mein Geheimnis sein. Keiner außer mir durfte wissen, auf welchen Namen mein Habicht den Rest seines Lebens hören würde. Avis. Diesen Namen hatte ich in einem von Vaters Büchern gelesen. Avis – dieser Klang hatte sich in mein Herz eingebrannt.

Ungefiedert und schutzlos, wie er damals gewesen war, kümmerte ich mich Tag und Nacht um ihn. Und auch wenn ich es war, die den Habicht umsorgt hatte, so waren wir doch beide aneinander gereift.

Sein Schnabel hatte sich verformt, sein Federkleid war gewachsen, sein Blick war stechend geworden und seine Krallen kräftig. Ich hatte ihn dafür bewundert, dass er auch ohne den Schutz seiner Eltern zu einem derart imposanten Vogel heranwachsen konnte.

Vater und ich hatten über Avis’ erste Flugversuche gelacht und darüber, wie tollpatschig er auf Valeries Kopf gelandet war und aus ihrem Haar ein unansehnliches Nest gerupft hatte.

Ich war zu seinem Mittelpunkt geworden und er zu meinem. Und daran hatte sich nichts geändert. Das Band zwischen uns war mit jeder Jagd gewachsen.

Ich stand auf, ging zurück zur Hütte und dachte an Konrad. Wie konnte er auch nur im Ansatz glauben, dass er dieses Band, das ich mit meinem Habicht in jahrelanger Arbeit geknüpft hatte, in ein paar Wochen mit seinem Greifvogel erschaffen könnte?

»Der hat sie nicht alle!«, murmelte ich und griff nach dem Hammer, um meine Reparaturarbeiten fortzusetzen.

Der Gedanke, dass dieser eingebildete Tollpatsch in meinen Alltag eingreifen würde, stimmte mich zornig. Ich wollte ihn nicht hierhaben. Meine einzige Hoffnung war, dass er schon nach ein paar ernsthaften Jagdversuchen einsah, dass er nicht geschaffen war für unwirtliche Wildnis und die energieraubende Jagd. Ich würde ihn hart trainieren, das schwor ich mir. Er sollte sehen, was es bedeutete, mit seinem Vogel auf die Jagd zu gehen und ihn nicht nur gemütlich durch den Wald zu tragen.

Der Gedanke an einen erschöpften und völlig verschmutzten Konrad Ahnen rang mir tatsächlich ein Lächeln ab.

»Was wollte er von dir?«, fragte Valerie neugierig.

»Sich lächerlich machen, mehr nicht.«

Valerie kniff ihre Augen etwas zu und schüttelte fragend den Kopf. Sie war kaum siebzehn Jahre, doch der nachdenkliche Blick ihrer eisblauen Augen ließ sie älter und reifer wirken.

»Auch wenn du drei Jahre älter bist als Valerie, so seht ihr dennoch aus wie Zwillingsschwestern«, hatte Mutter einmal gesagt. Trotz Mutters Worten war mir bewusst, dass die Schönheit meiner Schwester nicht mit meiner zu vergleichen war. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich eine wilde junge Frau, ungestüm, hart und abgeklärt. Ich hatte mich der Wildnis hier oben angepasst, war mit ihr verschwommen und verwachsen. Hier oben spielte es keine Rolle, wie ich aussah. Hier galt es nur, ausdauernd zu sein und kräftig. Meine Hände waren zerfurcht vom Klettern und mein goldblondes Haar zerzaust vom ewigen Wind.

»Wir könnten nach dem Essen hinüber auf die Wiese. Es ist herrliches Wetter, die Aussicht ist bestimmt unvergleichlich, und die Strecke wäre nicht so weit wie hinunter ins Dorf«, schlug ich vor und zeigte mit dem Kinn auf ihr verletztes Bein.

»Keine Ausflüchte! Du hast mir bereits zugesagt, mit mir ins Dorf zu gehen. Die Strecke habe ich noch immer geschafft, das weißt du«, entgegnete Valerie.

Ich schlug mit dem Hammer einen Nagel ins Holz und lachte, ohne den Blick von der Arbeit zu wenden, trocken auf. Ich kannte meine Schwester. Sie würde alles tun, um ins Dorf zu kommen – wobei es ihr dabei nicht um das dringend benötigte Mehl ging, sondern darum, Menschen zu treffen, mit ihnen zu plaudern und den neuesten Tratsch zu erfahren.

»Ich kann auch allein ins Dorf, und du gehst hoch zu deinem geliebten Gipfel und bewunderst die aufregenden Farben der Wolken.« Valerie machte eine übertriebene Geste mit beiden Händen und kicherte.

»Mach dich nicht lustig über mich!«, sagte ich und warf lachend einen Holzspan nach ihr.

»Sieh nur Valerie«, äffte sie mich nach, »wie die Wolken rot und golden schimmern im Licht der untergehenden Sonne!«

»Hör auf!« Ich lachte. »Was bist du nur für ein Banause! Jeder Mensch liebt die unzähligen Formen und Farben der Wolken.«

»Nein, tun sie nicht, glaub mir!« Valerie riss ihre ohnehin schon großen Augen noch weiter auf. »Menschen lieben Nachmittage im Kreis ihrer Familie und ihren Freunden, den Duft von frischem Brot und Umarmungen – aber woher sollst du das wissen, wenn du dich ständig nur zwischen Felsen und Bäumen herumtreibst und deine Freude daran hast, einen Fasan auszuweiden.«

Gerne hätte ich Valerie erklärt, dass die Gefahr, die im Dorf lauerte, nicht vergleichbar war mit der Stille und der Einsamkeit, die mich durch die Wälder begleitete. Ich sah sie doch, die lüsternen Blicke der jungen Männer, wenn Valerie fröhlich lächelnd an ihnen vorbeilief.

»Ich komme mit ins Dorf«, wiederholte ich, ohne Valerie meine Beweggründe zu erklären.

»Aber erst nachdem ich hier fertig bin«, sagte ich und klemmte erneut einen Nagel zwischen meine Lippen.

 

Als wir uns nach dem Essen auf den Weg ins Tal machten, ließ ich mich von Valeries guter Laune anstecken. Trotz ihrer körperlichen Einschränkung spazierte sie leichtfüßig dahin und pfiff ein fröhliches Lied. Sie trug ihr bestes Kleid und hatte sich das Haar ordentlich hochgesteckt. Der safrangelbe Baumwollstoff ihres Rocks flatterte bei jedem ihrer Schritte, und ihre Melodie hallte in den Wäldern wider.

»Du hättest dich ruhig auch etwas hübscher machen können. Wie willst du je das Interesse eines Mannes wecken, wenn du ungekämmt und mit schmutzigem Rocksaum durch das Dorf schlenderst, ohne jemanden zu grüßen?« Valerie war stehen geblieben und begutachtete mein Erscheinungsbild.

»Ich hab mich doch gekämmt!«, entgegnete ich entrüstet und strich über meinen Hinterkopf. Natürlich hatte Valerie recht, und ich hätte mehr Wert auf mein Auftreten legen sollen. Andererseits: Wozu? Weder interessierte es meinen Habicht, wie ich gekleidet war, noch würde eine kunstvoll hochgesteckte Frisur meine beschwerlichen Wege durch Wald und Wiese überstehen. Zudem war die Antwort auf die Frage, ob ich einem Mann gefallen wollte, eindeutig mit Nein zu beantworten. Niemals würde ich zulassen, dass ein Mann mein Leben steuerte oder meine Gefühlswelt beeinflusste.

»Sei nicht gleich beleidigt«, meinte Valerie. »Dein Haar sieht schön aus, aber der Rest …« Sie zog mit ihrem Finger einen angedeuteten Kreis um meinen Körper und schnitt dabei eine derartige Grimasse, dass ich lauthals über sie lachen musste.

Als die Hausdächer des Dorfes langsam immer größer wurden und die Baumgrenze sich mit jedem Schritt weiter von uns entfernte, wurden meine Schritte kürzer.

Valerie hakte sich bei mir unter und zerrte mich geradezu durch die Gassen. An den kleinen Fenstern der Häuser standen üppige Blumenkästen, an den Balkonen hingen Decken und Polster. Durch die geöffneten Fenster drangen Gesprächsfetzen, und der Duft von frisch gebackenem Gugelhupf lag in der Luft.

»Wir könnten vor unserem Einkauf ins Gasthaus gehen und etwas trinken«, schlug Valerie vor.

Tu mir das bloß nicht an, hätte ich fast geantwortet. Aber dann sah ich in ihr Gesicht, das beim bloßen Gedanken an einen Umtrunk im Gasthaus zu leuchten begann. Und so schwieg ich. Wir würden uns an einen der hinteren Tische setzen, wo uns keine neugierigen Blicke verfolgen konnten.

»Komm schon«, meinte Valerie und stieß mich leicht gegen den Oberarm. »Trink einfach einen Krug Bier, so wie Vater früher, dann fühlst du dich vielleicht beschwingter.«

»Keine schlechte Idee«, murmelte ich, während Valerie mich bereits zum Gasthof lenkte. Die Tore standen weit offen, und von drinnen drang lautes Gelächter zu uns auf die Straße.

Es konnte nur schrecklich werden, trotzdem ließ ich mich von Valerie in die Gaststube ziehen, die für einen gewöhnlichen Nachmittag relativ gut gefüllt war. Der Lärmpegel war unerträglich. Krüge schepperten, Männer lachten grölend und schrien sich über die Tische hinweg zu.

Als man Valerie und mich wahrnahm, flachte die Lautstärke etwas ab. Ich konnte sie fühlen, die Blicke, und ich glaubte, sie hören zu können, die stummen Gedanken, die fragend ihre Runde machten: Was wollen die beiden Wilden vom Berg hier?

»Schau, da ist noch ein Tisch für uns frei!«, meinte Valerie und rückte einen Stuhl für mich zurecht. Ihr Lächeln überstrahlte mein Unwohlsein, also nahm ich mir vor, es ihr gleichzutun und breit zu grinsen.

Nachdem die Kellnerin uns jeweils ein Glas trüben Apfelsaft serviert hatte, prosteten wir uns zu und nahmen einen großen Schluck. Der Saft war kühl und erfrischte nach dem Marsch vom Berg hinunter ins Dorf.

»Schön ist es hier«, meinte Valerie und ließ ihren Blick über die Blumensträußchen und die bestickte Tischdecke wandern. Ihr Lächeln war so lieblich, dass ich über den Tisch nach ihrer Hand greifen musste, um sie zu spüren.

»Ja, das ist es«, antwortete ich, weil ich ihr die Freude nicht verderben wollte. Valeries Grinsen war so breit, dass es ansteckend war.

»Was für ein Zufall!«

Eine lallende Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erschrocken blickte ich hoch und sah in ein Gesicht, von dem ich gehofft hatte, es heute nicht noch einmal sehen zu müssen.

»Wohl eher ein Unglücksfall«, erwiderte ich an Konrad Ahnen gerichtet. Was machte er hier im Gasthof, der für die einfachen Dorfbewohner bestimmt gut genug war, aber für einen Freiherrn wie ihn gewiss erbärmlich und zu wenig pompös. Dennoch schien er sich wohlzufühlen. Seine Wangen waren – vermutlich von zu viel Bier – tiefrot gefärbt, und sein Blick war wässrig. Und doch wirkte er völlig zufrieden – fast so, als wäre er ein angenehmer Zeitgenosse.