Rebellin der Hohen Schule - Nora Lynn - E-Book

Rebellin der Hohen Schule E-Book

Nora Lynn

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Beschreibung

Mit ihrem Pferd wagt sie die höchsten Sprünge, trotzt jeder Konvention - und die Konkurrenz ihres Widersachers spornt sie noch mehr an Der modern erzählte historische New-Adult-Liebesroman »Rebellin der Hohen Schule« handelt von einer rebellischen jungen Frau, dem glamourösen Leben in Wien und der damals von Männern dominierten Spanischen Hofreitschule. Wien, 1875: Kaiserin Sisi, die im Herrensattel reitet, inspiriert die zwanzigjährige Margarete zu ihrem großen Traum. Als erste Frau will sie Bereiterin an der Spanischen Hofreitschule in Wien werden. Während sie dafür hart arbeitet, plant ihre Mutter sie gewinnbringend zu verheiraten - ausgerechnet mit dem reichen, arroganten sowie unwiderstehlich attraktiven August. Während ihm der Posten als Bereiter und sämtliche weibliche Aufmerksamkeit zu fliegen, ist Margarete sich sicher: Ihr Herz wird er nicht erobern! Wird sie ihren Traum, als Bereiterin arbeiten zu dürfen, verwirklichen können, ohne sich durch die Liebe ablenken zu lassen?  Große Romance in einem historischen Setting – für Leserinnen von Bridgerton  und der Wallflower-Serie! Historical Romance meets New Adult voller Intrigen, Gefühl und Spice Die österreichische Autorin Nora Lynn entführt Fans von New Adult und historischen Liebesromanen ins prachtvolle Wien des Jahres 1875. Diese beliebten Tropes kommen vor: - Enemies to lovers - Secret Baby - Found Family

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Seitenzahl: 512

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Nora Lynn

Rebellin der Hohen Schule

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Mit ihrem Pferd wagt sie die höchsten Sprünge - und der Neid ihres Widersachers spornt sie noch mehr an

 

Wien, 1875: Kaiserin Sisi, die im Herrensattel reitet, inspiriert die zwanzigjährige Margarete zu ihrem großen Traum. Als erste Frau will sie Bereiterin an der Wiener Hofreitschule werden. Wer sie auf einem Pferd sieht, weiß, dass Margarete das Zeug dazu hat – trotzdem scheint ihr Ziel unerreichbar. Stattdessen soll sie nach dem Willen ihrer Mutter den arroganten, gutaussehenden Sohn des Oberstallmeisters August heiraten. Als ihr Zwillingsbruder als Bereiter der Quadrille ausfällt, ergibt sich für sie noch die Chance, vor Sissi zu reiten. Wird sie es wagen, als Mann verkleidet einzuspringen? Und wird August sie verraten?

 

Historical Romance meets New Adult voller Intrigen, Gefühl und Spice

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Motto

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Epilog

Nachwort

Danksagung

Für meinen Papa, dessen ungebrochene Begeisterung für Pferde den Grundstein für dieses Buch gelegt hat.

»Sei die Heldin deines Lebens, nicht das Opfer.«

Nora Ephron

1

Margarete
Wien im März 1875

Die Pferdetramway ruckelte auf den Holzschienen der Ringstraße entlang, kutschierte vorbei am neu erbauten Fundament des Burgtheaters, dessen Mauern nur zögerlich emporwuchsen, und vorbei am Volksgarten, der mit seinen prächtigen Baumalleen zu einem ausgedehnten Spaziergang einlud. Das Hufgeklapper wirkte beinahe einschläfernd, während Wien an mir vorüberzog. Ein Herr neben mir räusperte sich lautstark und gab mir mit hochgezogenen Augenbrauen zu verstehen, dass er meine bequeme Haltung nicht befürwortete. Wenig damenhaft, wie Mutter oder mein Kindermädchen dem Herrn beigepflichtet hätten. Doch Mutter war nicht hier und konnte sich nicht über meine von mir gestreckten Beine mokieren. Und Eugenie, mein verschrobenes Kindermädchen, hatte Vater aufgrund unseres finanziellen Engpasses entlassen. Nun war nur noch Martha, unser Hausmädchen, geblieben, und die hatte weiß Gott keine Zeit, um mich bei meinen Ausflügen zu begleiten. So eine kleine Geldnot hatte demnach auch ihre Vorteile. Endlich durfte ich das Haus allein verlassen, ohne Eugenie, die nach ein paar Schritten ihren schmerzenden Rücken durchdrücken musste und ständig zeterte, weil ich junges Ding viel zu umtriebig war.

Ohne auf die fordernden Blicke meines Sitznachbarn zu reagieren, richtete ich den Blick wieder nach draußen. Ein Herr lüftete seinen Zylinder zum Gruß, eine Dame fasste ihr Kind an der Hand und zerrte es hastig über die Straße, ein Einspänner wirbelte mit seinen Rädern Staub auf, ein junger Mann bog mit seinem Fahrrad wackelig in eine Seitenstraße ab.

Wien lebte, war emsig und geschäftstüchtig. Und ich? Ich konnte es kaum erwarten, an der nächsten Haltestelle auszusteigen.

Es war jeden Morgen derselbe Weg, den es zu meistern galt: Über den weitläufigen Heldenplatz, auf dem zu dieser Tageszeit reges Treiben herrschte. Vorbei an der lang gezogenen Hofburg mit dem Reiterdenkmal des Prinzen Eugen, der wie immer griesgrämig in die Welt blickte. Und dann, wenige Schritte weiter, stand ich vor der Hofreitschule und konnte ihn förmlich riechen, den Geruch der Pferde, der Ledersättel und der Zaumzeuge. Wie ein magisches Elixier leitete der Geruch mich durch den Eingang, vorbei an den übermenschlich großen Statuen aus hellem Marmor und durch den mächtigen Rundbogen mit dem verschnörkelten schmiedeeisernen Tor.

Bestimmt würde die Morgenarbeit in wenigen Minuten beginnen, und ich war spät dran, aber die Tortur des Ankleidens hatte wie immer mehr Zeit beansprucht, als mir lieb war: die Schnürung des Korsetts, die Martha mir so eng zurrte, bis mir die Luft wegblieb und die Fischbeine sich in meine Lenden bohrten. Die unzähligen Röcke, in die es sich hineinzuquälen galt, und das Haar, das akkurat hochgesteckt werden musste, um mit einem unnützen Hütchen gekrönt zu werden. Natürlich etwas zartes Rouge auf die Wangen, die Augenbrauen in Form gebracht und Handschuhe aus feinem Rehleder übergezogen. Martha hatte mir noch den mit Spitze bezogenen Schirm in die Hand gedrückt, der meine Haut vor Sonnenstrahlen schützen sollte – und den ich nie benutzte, weil ich es bevorzugte, mein Gesicht den wärmenden Strahlen entgegenzurecken. Martha wusste das, dennoch würde sie es nie verabsäumen, mich wie eine feine Dame auszustaffieren, bevor sie mich aus dem Haus entließ. Und ich ließ es wortlos über mich ergehen, denn schließlich befolgte das Dienstmädchen nur Mutters Anweisungen. Mutter, die darauf hoffte, aus mir eine Dame zu formen, die sie ohne peinliche Zwischenfälle in die feine Gesellschaft einführen konnte.

»Da bist ja, mein Madl!« Hinter Vaters buschigem Schnurrbart zeichnete sich ein Lächeln ab, das selbst seine grauen Augen zum Strahlen brachte. »Die Morgenarbeit beginnt in wenigen Minuten, also beeil dich!« Er schnalzte mit der Zunge und zog die ergrauten Augenbrauen hoch.

»In wenigen Minuten? Dann solltest du dich wohl selbst beeilen, nicht wahr, Papa?«, erwiderte ich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Ich warte auf Marjan, aber der scheint ebenso zum Trödeln zu neigen wie du.« Er hielt in der Stallgasse Ausschau nach seinem Stallknecht und klatschte schallend laut in die Hände.

»Er wird schon kommen«, sagte ich, um seine Ungeduld zu besänftigen und zu verhindern, dass er Marjan grundlos maßregelte. Mein Vater bekleidete seit Jahren das Amt des ersten Oberbereiters in der Spanischen Hofreitschule und wurde als solcher geachtet, respektiert und in manchen Augenblicken wohl auch gefürchtet, wenn er zum Beispiel in der Sattelkammer penibel die Sauberkeit der Trensen oder den Hochglanz der Reitstiefel prüfte. Er behielt stets den Überblick, erkannte, wenn ein Hengst zu hart beritten worden war und ein paar Tage Pause benötigte – oder einen erfrischenden Galopp durch den Volksgarten.

Er erwartete von seinen Bereitern, dass sie sich verausgabten und das Beste aus sich und ihren Hengsten herausholten; schließlich fühlte er sich dafür verantwortlich, das Kaiserpaar und seine Gäste gut zu unterhalten, um im besten Fall mit einem wohlwollenden Lächeln der Hoheiten belohnt zu werden.

»Komme schon, Herr Oberbereiter Böhm!« Marjan, der Stallknecht, der erst vor ein paar Jahren seine Heimat Slowenien verlassen hatte, um hier in der Hofreitschule zu arbeiten, nickte mir schüchtern lächelnd zu. Sein Blick fühlte sich an wie eine zarte Berührung, die meine Wangen aufgeregt prickeln ließ. Reumütig blickte er zu meinem Vater, wissend, dass der es nicht leiden konnte, wenn man mich ansah wie eine Dame, eine Frau, eine Erwachsene. Für ihn sollte ich das kleine Mädchen bleiben, dessen weibliche Rundungen nicht durch die Schnürung des Korsetts hervorgehoben wurden und deren volle Lippen nicht die Blicke der Männer auf sich zogen.

Wie gern wäre auch ich dieses Mädchen geblieben, das sich nicht zu kümmern hatte um gesellschaftliche Regeln, das wild sein konnte und auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes von seiner Freiheit träumte. Eine Freiheit, die es nicht gab. Nicht für das weibliche Geschlecht. Wir Frauen mussten uns anpassen, unterordnen, zustimmen oder schweigend nicken. Wir Frauen waren Zierrat, aufgeputzt, um der Welt zu zeigen, welch teuren Schmuck man sich für die Gattin oder die Tochter zu leisten vermochte. Perlenbesetzte Ohrringe, Broschen aus Elfenbein, Kleider aus teurer Seide und obendrauf ein mit Pfauenfedern verziertes Hütchen. Von Frauen wurde erwartet, dass sie sich stillschweigend den Wünschen der Männer unterordneten, sich in Verzicht übten und dennoch ein gütiges Lächeln auf den Lippen trugen.

Marjan führte Vaters weißen Lipizzanerhengst am Zügel. Gidrane blähte die Nüstern und brummelte sanft zur Begrüßung. Die spitzen Ohren des Pferdes waren aufmerksam auf meinen Vater gerichtet, den Blick wach und den Kopf hoch getragen, tänzelte er förmlich an mir vorbei in die Reithalle, deren Sand vor dem Morgentraining der Bereiter frisch geharkt worden war.

Vater schwang sich in den Sattel, griff in den Zügel, stieg in die Steigbügel, straffte die Schultern und drückte den Rücken durch. Dann griff er nach der Gerte, die Marjan ihm reichte, und trieb Gidrane in die Halle.

»Geht es Ihnen gut, Fräulein Böhm?«, fragte Marjan leise, nachdem Vater sich bei den anderen Bereitern eingereiht hatte.

Ohne zu antworten, blickte ich ihn an und suchte in seinem klaren Blick nach meinem Spiegelbild. Lange Wimpern zierten seine Augen, deren Farbenspiel ein Repertoire an Grüntönen bot. Sein Blick wirkte temperamentvoll, doch ich wusste es besser: Marjan war ein ernster Mensch, neigte zur Zurückgezogenheit und Stille. Stets war er getrieben von der Sorge, meinen Vater oder die anderen Bereiter nicht zufriedenzustellen. Und doch war er der beste Stallknecht, der je für meinen Vater gearbeitet hatte. Stets war Marjan der Erste, der morgens den Stall betrat, und abends verließ er ihn erst, wenn alle Pferde versorgt waren und zufrieden an ihrem frischen Heu malmten.

»Danke, es geht mir gut«, antwortete ich und stellte fest, dass es der Wahrheit entsprach. Hier in der Hofreitschule fühlte ich mich wohl, blühte ich auf, hier erschien die Welt sofort klarer, alle Sorgen in die Ferne entrückt. Hier vergaß ich Mutters Drängen nach einer pläsierlichenHandarbeit, wie sie es gern nannte, wenn sie mich zu einer Blumenstickerei nötigte, die in mir den Wunsch wachrief, das Stück Stoff in die lodernden Flammen im Kamin zu schleudern. Hier gab es nur die Pferde, ihre schwungvollen Bewegungen und ihre kraftvolle Leichtigkeit, die mich gedanklich in weite Ferne trugen.

»Ich muss hoch, wenn ich den Bereitern zusehen will«, sagte ich und wandte mich mit einem leichten Knicks von Marjan ab. Mit einem Griff nach meinen schweren Röcken machte ich mich auf den Weg, hoch zu den Tribünen, wo das Licht der Frühlingssonne durch die großzügig angelegten Fenster wärmte. Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte ich hoch zu den Säulen und Pfeilern, welche die Halle gliederten und die Zuschauergalerie zierten, und zur Kastendecke mit den prachtvollen Blüten aus Stuck und den kristallenen Kronleuchtern, deren üppiges Kerzenlicht die Reitschule abends in warmes Licht tauchte.

»Schau nicht so verbissen!«

Dieser Satz ließ mich hellhörig zu den Reitern nach unten starren. Die Zweispitze auf den Köpfen erschwerten den Blick in die Gesichter. Natürlich kannte ich sie alle, doch eines schien mir an diesem Tag völlig fremd. Kantige, schmale Züge, hohe Wangenknochen und dunkles Haar, das unter der Kopfbedeckung hervorlugte, die Haltung so aufrecht, als wollte er alle anderen überragen.

Hatte Vater nicht vom neuen Oberstallmeister erzählt, der dieser Tage sein Amt antreten würde? Ein gewisser Herr Hoffmann, der seine Heimatstadt Hamburg hinter sich gelassen hatte, um mit frischem Wind der Hofburg neues Leben einzuhauchen? Aber der Reiter war zu jung, um das hochrangige Amt des Oberstallmeisters bekleiden zu können, zudem hätte der wohl kaum die Zeit, um an der Morgenarbeit teilzunehmen. Wer also war dieser Mensch mit dem spöttischen Lächeln?

»Wenn man dich so ansieht, möchte man meinen, du leidest unter Magenschmerzen!«, zischte der Wichtigtuer erneut und richtete seinen Blick auf meinen Zwillingsbruder Wenzel, der neben ihm sein Pferd im lockeren Trab aufwärmte.

Dieses Großmaul wagte es, sich auf Kosten meines Bruders zu amüsieren?

»Fertig aufgewärmt?«, richtete sich mein Vater an die Reiter. »Bevor wir mit der Einheit beginnen, möchte ich euch August Hoffmann vorstellen. Er ist neu in unserer Runde und wird der Hofreitschule ab heute als Anwärter zur Verfügung stehen. Als Sohn des neuen Oberstallmeisters habe ich hohe Erwartungen an dich, August. Wollen wir mal sehen, ob du ihnen gerecht wirst.«

»Das werde ich, Oberbereiter Böhm. Das werde ich …«, erwiderte August und lächelte breit.

Mein Zwillingsbruder und ich blickten einander an und schüttelten kaum merklich die Köpfe. Wir brauchten nicht viele Worte, um zu wissen, welche Gedanken der andere gerade hegte. Wir konnten beide kaum erwarten, dass dieser August sich vor Vater blamierte. Es war den anderen Reitern gegenüber nicht rechtens, dass dieser Neue gleich als Bereiteranwärter aufgenommen wurde, während alle anderen sich durch jahrelangen Einsatz als Eleven mit Stall- und Putzarbeiten ihren Platz als Bereiteranwärter schwer hatten verdienen müssen.

»Gut, dann beginnen wir mit der Passage durch die Diagonale«, befahl mein Vater.

Das war das Stichwort für die Bereiter. Zügig fassten sie die Zügel nach und ließen ihre weißen Hengste im Schwebeschritt langsam durch die Halle tänzeln. Voller Präzision, im Gleichtakt, Schritt für Schritt, war dies für Hengste und Bereiter eine der leichten Übungen. Und auch wenn jeder Reiter für sich arbeitete, so gab Vater dennoch gern eine gewisse Abfolge vor und startete die Übungseinheiten meist mit der Passage, weil sie seiner Meinung nach den Reiter mit dem Pferd in vollkommenen Einklang brachte.

Im Anschluss an die Passage folgte die Piaffe, bei der die Bereiter den Trab ihrer Hengste so sehr verlangsamten und begrenzten, bis sie sich schwungvoll tänzelnd auf der Stelle bewegten. An den Körpern der Pferde traten die Adern hervor, und ihre Atmung beschleunigte sich. Ich lehnte mich konzentriert an die Balustrade der Tribüne und verfolgte jede Bewegung von Pferden und Reitern. Jeden Schenkeldruck, jeden Stups mit der Ferse, jede Parade mit dem Zügel und jedes Verlagern vom Gewicht im Sattel. Dabei war ich mir sicher, dass ich jede dieser ausgeführten Übungen mindestens genauso präzise ausführen konnte wie die Bereiteranwärter der Hofreitschule.

Es gab in meinem Leben keine Erinnerung ohne die Hofreitschule mit ihrer Betriebsamkeit, dem Hufgeklapper, dem Wiehern, dem Geruch von frischem Heu oder dem kühlen Gemäuer. Auch wenn es Mutter widerstrebt hatte, so hatte Vater Wenzel und mich dennoch immer hierher mitgenommen, hatte uns den Umgang mit Pferden nahegebracht und uns zu sich in den Sattel gehoben, ehe wir laufen konnten. Er erzählte immer noch gern von dem kleinen Damensattel, den er für mich hatte anfertigen lassen und in dem ich eine bessere Figur gemacht hatte als so mancher seiner Kollegen. Er hatte uns beigebracht, das Pferd in jeder Gangart zu beherrschen, stets die Kontrolle zu behalten, egal, ob ein flatternder Vogel draußen im Volksgarten unsere Pferde erschrocken steigen ließ oder ob sie energiegeladen durch die Halle zu preschen versuchten. Schon als Mädchen wusste ich, wie ich mich bei jedem Sprung im Sattel zu halten hatte. Kein Wunder also, dass in mir der Wunsch gewachsen war, es meinem Vater gleichzutun und Bereiterin in der Hofreitschule zu werden.

Doch sobald dieser Wunsch leichtsinnigerweise laut ausgesprochen war, hatte sich das Verhalten meines Vaters mir gegenüber verändert. Meinem Zwillingsbruder war der Weg zum Bereiter vorherbestimmt, doch für mich galten andere Regeln. Mit einem Mal hatte sich Vaters Ehrgeiz mit voller Intensität auf Wenzel verlagert. Immer öfter fuhren die beiden ohne mich in die Hofreitschule und überließen mich Mutters Unterricht in Haushaltsführung.

Wenzel konnte ich deshalb nicht böse sein, denn für meinen Bruder war die Arbeit mit dem Pferd seit jeher ein Unding, das er nur absolvierte, um einem Streit mit Vater aus dem Weg zu gehen. Und selbst für Vater hatte ich entschuldbare Beweggründe erfunden, warum er mich immer öfter aus seinem Leben und der Hofreitschule ausschloss und weshalb es für mich keine fliegenden Galoppwechsel oder Traversen mehr geben sollte.

Was nicht verblasst war, war die Liebe zu den Pferden, die mich immer wieder hierhertrieb, auf die Tribüne, als stumme Zuschauerin, die sehnsuchtsvollen Blickes das Können anderer zu bewundern hatte, obwohl mein Talent das der meisten Bereiter gewiss überwog.

»Wenzel, verdammt!« Vaters verärgerte Stimme riss mich aus meinen Gedanken zurück in die prunkvolle Reithalle. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deine Hände tiefer tragen. Du siehst aus, als wolltest du deinem Pferd den Kopf ausreißen.«

Ein Blick in Wenzels Gesicht genügte, um zu wissen, wie sehr ihn diese Rüge innerlich brodeln ließ – noch dazu vor diesem August.

»Du tust, als wäre ich ein Anfänger!«, begehrte Wenzel gegen Vater auf, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Freilich, Wenzel war nicht der beste Reiter, er hatte aber auch nie um diese Ausbildung gebeten. Stattdessen hatte Vater ihn in diese Rolle gedrängt, so wie Mutter mich in die des genügsamen Weibsbildes zu pressen versuchte. Wir beide hegten andere Wünsche, als sie unsere Eltern für uns hatten.

Wenn wir doch nur tauschen könnten! Ich wäre liebend gern in die Rolle der Bereiterin geschlüpft, um die Welt davon zu überzeugen, dass sich eine Frau im Damensattel sehr wohl in die Quadrille einordnen konnte.

Aber konnte eine Frau das wirklich?, fragte ich mich und rückte meinen Hut zurecht. Mein Blick fiel auf Wenzel, dessen gerötete Wangen unter seinem Zweispitz hervorleuchteten – ob nun der Anstrengung oder seines Verdrusses wegen, das konnte ich nicht ausmachen. Sein Blick hing starr zwischen den Ohren seines Hengstes.

Armer Wenzel, und doch war ich neidisch auf ihn. Auf seine Position, auf seine Möglichkeiten als Mann. Er war zu empfindsam, um Vaters rauem Ton standzuhalten, oder dem Getuschel der Bereiter, oder Mutters Strenge, wenn er nicht aufrecht bei Tisch saß. Manchmal fragte ich mich, ob Wenzel überhaupt geschaffen war für diese Gesellschaft, in der man nur bestehen konnte, wenn man mit Härte und Selbstbewusstsein durchs Leben ging. Als Kinder liebten wir es, gemeinsam mit meinen Puppen zu spielen, zurückgezogen in meinem Zimmer, heimlich, weil Vater nichts von Wenzels Liebe zu meinen Mädchen-Spielsachen wissen durfte.

Die Hofreitschule war nicht der richtige Platz für meinen geliebten Bruder. Ich atmete tief durch und blickte in Wenzels Gesicht. Er hatte keine Wahl, oder etwa doch? Gab es eine Möglichkeit für ihn, seinem Schicksal zu entfliehen? Und wenn ja, gab es dann womöglich auch für mich einen Weg, mir meine Träume zu erfüllen?

Mein Herz pochte gegen meinen Brustkorb. Laut und drängend versuchte es, mich voranzutreiben, meinem Ziel entgegen. Was, wenn mein Herz recht hatte und es an der Zeit war?

Ich musste es nur richtig angehen, mich ganz vorsichtig in die richtige Richtung tasten, unerkannt und heimlich. Meine Wangen glühten und leuchteten gewiss genauso rot wie die meines Bruders, der mir einen Blick zuwarf. Sofort hob ich das Kinn an, drückte die Schultern durch und hielt meine Hände in Höhe der Taille – gerade so, als trüge ich eine Tasse mit zwei Henkeln. Die Hände tiefer, formte ich tonlos mit den Lippen und blickte ihm eindringlich in die Augen.

Just in diesem Moment sah August zu mir hoch, dann zu Wenzel und wieder zu mir. Unsere Blicke trafen aufeinander – seiner kalt und berechnend. August gab seinem Pferd die Gerte, verschnellerte dessen Tempo, ohne sich von mir abzuwenden.

»Herr Oberbereiter Böhm?«, fragte August und durchbohrte mich mit seinem starren Blick. »Ist es hier üblich, dass Frauen den Unterrichtseinheiten als Zuschauerinnen beiwohnen dürfen? Ich möchte meinen, dass derartiges Publikum doch sehr an der Konzentration der Bereiter rüttelt.«

Vater räusperte sich, ließ Gidrane in einen langsamen Schritt fallen und sah zu mir hoch, während er wohl nach einer Antwort suchte.

Was bildete sich dieser August ein? Seit jeher durfte ich den Reiteinheiten beiwohnen, und noch nie hat sich einer der Bereiter daran gestört. Vater würde ihm gewiss gehörig die Meinung sagen, ihm klarmachen, dass ich, seine Tochter, sehr wohl ein gebetener Gast war.

Ich hielt den Atem an, während mein Blick an Vaters Schnurrbart hing und ich darauf wartete, dass er mich in Schutz nahm vor diesem aufgeblasenen und ungehörigen Kerl.

»Gretel?«, meinte Vater gedehnt und räusperte sich. »Vielleicht ist es tatsächlich besser …«

Nein! Mein Vater würde doch nicht vor diesem Ekelpaket in die Knie gehen und mich der Reithalle verweisen. Immerhin wusste er, wie viel es mir bedeutete, hier oben von meinem angestammten Platz aus den Fortschritten der Hengste und Reiter zu folgen. Niemals würde er mir diese eine Freude nehmen! In meinem Kopf dröhnte es laut und eindringlich.

»… vielleicht ist es tatsächlich besser, wenn wir nicht von den Blicken eines Zuschauers in Verlegenheit gebracht werden.«

»Papa! Das kann nicht dein Ernst sein!«, stieß ich entrüstet aus und spürte die Blicke aller Reiter auf mir ruhen. Insbesondere die von August. Ich brauchte nicht in seine Richtung zu sehen, um zu wissen, dass seine Lippen zu einem siegessicheren Lächeln verzogen waren.

»Aber Vater, du kannst nicht …«, meinte Wenzel.

»Gretel!«, unterbrach unser Vater Wenzel und wies mit dem Kinn in die Richtung des Treppenabganges.

Heiße Schauder durchzuckten meinen Körper, ließen mich innerlich toben und wüten. Und doch hatte ich keine andere Wahl, als dem Befehl meines Vaters Folge zu leisten.

Stufe für Stufe entfernte ich mich von der Tribüne und versuchte, mir zu erklären, was hier soeben geschehen war. Konnte es wirklich sein, dass mein Vater vor diesem Nichtsnutz klein beigegeben hatte? Warum? Um dem neuen Oberstallmeister zu gefallen?

Die Mauern um mich herum schienen zu wanken. Ich lehnte mich an die kühle Wand und versuchte, mich zu sammeln. Ich musste klaren Verstandes sein, wenn ich diesem August Hoffmann zeigen wollte, was hier an der Hofreitschule geduldet wurde und was nicht. Niemals würde ich mich von diesem Kerl herumkommandieren lassen. Niemals, das schwor ich mir.

2

Zurückgezogen in die Sattelkammer, saß ich auf einer sperrigen Holztruhe und kraulte Fussel, den grauen Stallkater, der es vorzog, die Mäusejagd seinen jüngeren Artgenossen zu überlassen und die Tage geruhsam auf einer Satteldecke schlafend zu verbringen. Er schnurrte und zog mit seinen scharfen Krallen Fäden an meinem dunkelroten Seidenrock.

Mutter würde die Katze packen und von meinem fülligen Rock entfernen, doch ich brachte es nicht übers Herz, dem alten zahnlosen Kater die Zuneigung zu entziehen, nur weil ein Stück Stoff darunter litt.

Tatsächlich ließ mich Fussels verschmustes Schnurren etwas zur Ruhe kommen.

»August Hoffmann – so ein aufgeblasener Name!«, flüsterte ich, und schon schnellte mein Puls erneut in die Höhe. Der Gedanke, dass in wenigen Metern Entfernung die Morgenarbeit ohne mich stattfand, erweckte in mir eine Wut, die sich nicht einmal von Fussels treuherzigem Blick bändigen ließ. Ich musste etwas unternehmen, durfte nicht klein beigeben.

»Hier bist du, Gretel. Ich habe dich schon gesucht.« Vaters Blick war gezeichnet von einem Schuldeingeständnis.

»Darf ich?«, fragte er und setzte sich neben mich auf die Truhe, die sein Gewicht mit einem lauten Knarzen quittierte.

»Der Fussel schläft wieder nur, anstatt sich den saftigen Mäusen zu widmen«, meinte er und lachte unbeholfen auf, während ich den Blick nicht von der Katze abwandte.

»Papa, was willst du?«, raunte ich, weil ich die Spannung zwischen uns nicht länger ertrug.

»Ach, Mädel, du weißt genau, wo mich der Schuh drückt.« Er hob seine buschigen Augenbrauen und legte den Kopf etwas schief. An seiner Stirn und seinem grauen Haar zeichnete sich der Abdruck des Zweispitzes ab, der sein Haupt umkreiste wie ein Heiligenschein.

»Der Schuh?«, fragte ich und nahm die Hand von Fussels Nacken. »Die Druckstellen, die dein Schuh hinterlässt, belasten mich nicht im Geringsten. Schließlich bin ich es, die man ihres Platzes verwiesen hat.« Meine Wangen glühten, und meine Stimme zitterte. »Wie konntest du es wagen, diesem blasierten Kerl recht zu geben, anstatt mir den Rücken zu stärken.«

»Ich weiß.« Er senkte den Kopf und atmete laut auf. »Er ist der Sohn des neuen Oberstallmeisters. Ich hatte keine andere Möglichkeit, das musst du verstehen.«

»Wenn du der Meinung bist, für diesen August und seinen Vater sämtliche Regeln ändern zu müssen, dann sind wir nicht mehr einer Meinung.« Mit diesen Worten erhob ich mich von der hölzernen Truhe, ging vorbei an der gläsernen Vitrine, in der die auf Hochglanz polierten Zaumzeuge hingen – die Stirnriemchen mit Golddekor verziert. Und ich ging vorbei an den Sätteln, die in Reih und Glied an der Wand hingen, wie Soldaten, die mir zum Abschied salutierten.

»Gretel!« In Vaters Stimme schwang eine Traurigkeit mit, die nicht zu überhören war und mich dazu veranlasste, mich ihm wieder zuzuwenden.

»Was kann ich tun, damit du mir verzeihst?« Die Falten um seine Augen gruben sich tief in seine Haut. Wann war Vater so alt geworden? War es nicht erst gestern gewesen, dass ich ihn für seine Ausstrahlung, seinen Schneid bewundert hatte? Und nun saß er in gebückter Haltung vor mir, das Haar grau meliert, das Feuer in seinem Blick nur noch ein sanftes Lodern. War es das, was ihm Angst machte? Das Alter und die Tatsache, dass man ihn beim kleinsten Fehlverhalten durch einen Jüngeren ersetzte? Durch einen Mann wie August?

»Es gäbe da etwas …«, sagte ich und setzte mich wieder neben ihn auf die Truhe. Ich griff nach seiner Hand, die schwer und warm in meiner lag und das Band zwischen uns festigen sollte – so sehr, dass es Vater unmöglich war, mir meine Bitte abzuschlagen.

»Ich möchte wieder reiten. Egal, was Mutter dazu sagt, oder dieser August Hoffmann. Ich möchte diese Sehnsucht nicht länger ungestillt in meinem Herzen tragen, ich möchte sie wieder ausleben, wieder auf dem Rücken eines Pferdes sitzen und durch die Hofreitschule galoppieren. Ich habe es satt, Mutters Marionette zu sein, die mit teuren Seidenkleidern ausstaffiert dazu verdonnert wird, sich in Haushaltskunde zu üben oder irgendwelche Buchstaben auf ein Taschentuch zu sticken. Wie unsinnig, nicht wahr? Wer braucht schon Initialen auf einem Stück Stoff – der Nase ist es einerlei, die will einfach nur geputzt werden.«

Ich hielt inne und sah in das Gesicht meines Vaters.

Er musste meinen unstillbaren Hunger nach regelmäßigen Reitstunden begreifen, er musste wissen, wie sehr ich mich danach verzehrte, auf dem Rücken eines Pferdes nach der Freiheit zu suchen. Viel zu lange hatte ich mich damit abgefunden, meiner größten Freude beraubt worden zu sein. Und warum? Weil ich eine Frau war? Weil mein kindlicher Wunsch vom Beruf der Bereiterin im Keim erstickt werden musste?

Heute war ich erwachsen und wusste, dass nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen. Ich wusste aber auch, dass es Wünsche gab, für die es sich zu kämpfen lohnte – wenn auch nur im Geheimen. Ich würde nicht erneut den Fehler machen und Vater mit meinem hoch gesetzten Ziel entrüsten. Sollte er ruhig glauben, dass ich einen Ausgleich suchte zu den belanglosen Häkelarbeiten und den eintönigen Lesestunden. Eine körperliche Ertüchtigung, die meinen Kreislauf in Schwung brachte und meine Wangen rosig färbte.

»Du möchtest wieder reiten?« Vater räusperte sich und blickte mir in die Augen, schien abzuwägen, wie wichtig mir der Wunsch war und ob es womöglich Leichtsinn war, ihn mir zu gestatten.

»Ja, das möchte ich«, setzte ich nach und versuchte mich an einem treuherzigen Blick. Ein Blick, der mir nicht allzu gut stand und den ich nur selten zum Einsatz brachte. Lieber überzeugte ich meine Eltern mit Worten und Taten. Doch in diesem speziellen Fall war es unabdingbar, zu altbewährten Mitteln zu greifen. Vaters Herz sollte überquellen vor Erinnerungen an meine Kindheit. Vor seinem geistigen Auge sollten Bilder erwachen, auf denen ich als Mädchen pausbackig und lachend durch die Hofreitschule galoppiert war. Damals, als man mich noch nicht meiner Träume beschnitten hatte. Damals, als es noch erlaubt gewesen war, mich frei zu fühlen und nach den Sternen zu greifen. Und Vater sollte sich daran erinnern, mit welchem Stolz er mein Reittalent gefeiert hatte. Sämtliche Bereiter hatte er mehr als einmal dazu genötigt, meinen Reitstunden als Zuschauer beizuwohnen, um ihm im Anschluss mit einem Schulterklopfer zur begnadeten Tochter zu gratulieren.

Vater hatte es geliebt, mit mir gemeinsam herzukommen, zu reiten und in den Stallungen nach dem Rechten zu sehen. Was wohl passiert wäre, wenn ich meinen Wunsch, Bereiterin zu werden, nicht laut ausgesprochen hätte? Wenn ich ihn für mich behalten hätte, wie es sich für ein Mädchen oder eine Frau geziemte? Bestimmt erhielte ich auch heute noch Reitunterricht, auf meinem eigenen Pferd, in meinem eigenen Damensattel.

Hätte ich damals nur geschwiegen. Doch zu schweigen war wohl seit jeher eine Tugend, die mir nicht leichtfiel.

»Du warst die beste Reiterin, die die Hofreitschule je gesehen hat«, schwelgte Vater in Erinnerungen. »Besser noch als die Kaiserin Elisabeth – und die hat weiß Gott eine Hochbegabung.«

»Die Kaiserin ist unglaublich, Papa. Nie könnte irgendjemand ihr das Wasser reichen«, sagte ich und schmiegte mich an seine Schulter. »Ich möchte einfach anknüpfen an damals, wieder hart arbeiten und mein Talent vorantreiben.«

Vater blickte durch das Fenster in den von Arkaden gesäumten Innenhof der Hofreitschule.

»Du hast Mutter damals so lange mit deinem Bestreben, Bereiterin zu werden, konfrontiert, bis sie entschieden hat, dir das Reiten endgültig zu verbieten. Geschämt hat sie sich für dein Temperament, das so unlenkbar war wie das eines Burschen.«

»Das war mir nicht bewusst«, sagte ich und folgte Vaters Blick aus dem Fenster. Ein Stallbursche führte einen der Hengste über den Innenhof. Das monotone Hufgeklapper ließ mich entspannt aufatmen.

»Mutter muss auch gar nichts davon wissen«, schlug ich vor.

»Natürlich soll sie es wissen. Und solange es sich in einem Rahmen hält, der einer Dame würdig ist, hat sie bestimmt keine Einwände.«

»Das heißt, du erlaubst es mir?« Freudig sprang ich von der Truhe auf und klatschte in die Hände. Ich würde wieder reiten, hier in der Hofreitschule. Um den Schein zu wahren, würde ich mit kurzen Reiteinheiten beginnen. Niemand sollte sich an mir stören. Ich würde unsichtbar sein, leise und den Bereitern aus dem Weg gehen. Sie nicht mit Fragen behelligen oder ihre Aufmerksamkeit beanspruchen.

Meine Wangen prickelten unter der freudigen Aufregung, während ich mich in Vaters Arme stürzte und ihn fest an mich drückte.

»Danke!«, jauchzte ich und küsste ihn auf die Wange, die noch von der morgendlichen Ausbildung verschwitzt war.

»Willst du denn gar nicht wissen, welches Pferd ich dir zur Verfügung stelle?«, fragte Vater und erhob sich von der Truhe. In einer Hand hielt er seine Reithandschuhe aus Rehleder, die andere reichte er mir, um mich aus der Sattelkammer zu geleiten.

Mir war danach, vor Aufregung durch die Stallgasse zu hopsen wie ein kleines Mädchen. Und in diesem Augenblick wusste ich, dass es keine Rolle spielte, welchen Hengst Vater für mich auserkoren hatte – ich würde ihn auf jeden Fall lieben. Ich erinnerte mich daran, dass ich es als Mädchen befremdlich gefunden hatte, dass hier nur männliche Pferde geritten wurden. Damals war ich der Meinung gewesen, dass ich als Mädchen auch auf einem weiblichen Pferd reiten sollte.

»Die Hengste hier würden auf die Anwesenheit einer Stute mit Unruhe reagieren. Die Arbeit würde darunter leiden, weil es ihnen schwerfiele, sich zu konzentrieren, verstehst du?«, hatte Vater mir damals erklärt.

Vielleicht war auch das ein Grund, warum sich die Obrigkeiten der Hofreitschule dagegen sträubten, eine Frau als Bereiterin zuzulassen? Die Hofreitschule war eine Männerdomäne. Frauen wurden nur geduldet, wenn sie dem Adel entsprangen und sich den Unterricht hier leisten konnten. Und dann war da noch ich, die Tochter des Oberbereiters Böhm, die es kaum erwarten konnte, wieder in den Damensattel zu steigen, und die sich in Gedanken schon in der Quadrille reiten sah. Warum auch nicht? Die Welt sollte sehen, dass das Talent einer Frau dem eines Mannes in nichts nachstand. Es war an der Zeit, dass wir Frauen ernst genommen wurden und man uns nicht mehr belächelte, wenn wir unsere Meinung kundtaten. Und wenn ich einen Beitrag zu diesem Wandel leisten durfte, dann erfüllte mich das mit Stolz.

»Hier sind wir richtig«, sagte Vater und blieb stehen. »Ich habe dir doch von Hans Berger erzählt, dessen Beinbruch nicht wieder ordentlich verheilt ist und der das Amt des Bereiteranwärters niederlegen musste. Das war vielleicht eine Tragödie. Er war so ein Talent, der Hans. Er und sein Hengst Sardinia waren ein unschlagbares Gespann. Es hat mir das Herz gebrochen, den jungen Mann aus seinem Dienst zu entlassen.«

Vater ging selbstbewusst zum Kopf des Pferdes. Entspannt dösend stand Sardinia auf seinem Stehplatz, die Augen geschlossen, das Maul locker geöffnet, die Ohren leicht zur Seite gedreht. Erst als Vater den Strick nahm, öffnete der Hengst die Augen, blickte dem Oberbereiter wach entgegen und spitzte die Ohren.

»Komm, mein Bursche!«, sagte Vater und führte Sardinia in die Stallgasse.

»Ein Prachtkerl, nicht wahr? Das Stockmaß seines Vaters hat er nicht ganz erreicht, aber für eine Dame wie dich ist er gerade recht.«

»Er ist wunderschön«, sagte ich und legte meine Hand an das Maul des Hengstes. Sofort suchte er mit seiner Lippe meine Handfläche ab, blähte dabei die Nüstern und stupste mich frech an, als er das erhoffte Stück Zucker nicht vorfand.

Als ich meine Hand auf seine Stirn legte und das warme Fell unter meinen Fingerspitzen fühlte, durchflutete mich etwas, das ich nicht benennen konnte. Vielleicht war es Glück, vielleicht aber auch eine Vorahnung der Erfüllung, die mich auf dem Rücken dieses schneeweißen Lipizzanerhengstes durchfluten würde. Seine Mähne fiel üppig über seinen ausgeprägten Hals und die Stirn. Sein Fell glänzte, schimmerte. Ich konnte nicht anders und strich über seine Schulter. Die Wärme, die er ausstrahlte, ließ mich unwillkürlich lächeln. Die Gutmütigkeit in seinem Blick berührte mich und steigerte meine Vorfreude auf den ersten gemeinsamen Ritt. Sardinia schnaubte zufrieden und scharrte fordernd mit dem Huf.

»Ich werde gleich morgen den Sattlermeister herbestellen, damit er Maß nimmt für deinen Sattel.«

»Ja«, sagte ich und schwelgte dabei in einer Glückswoge. Vater hatte es mir tatsächlich einfach gemacht. Nun blieb mir nur zu hoffen, dass Mutter ebenso entgegenkommend war, wenn ich um ein neues Reitkostüm bat. Sie würde die Nase rümpfen und darauf hinweisen, wie viel Geld ich die Familie kostete. Geld, das wir nicht hatten! Soll sie nur, dachte ich bei mir und kraulte meinem Pferd – meinem Pferd! – die weichen Backen. Solange Mutter ihrem Drang, sich teure Vasen zu kaufen, nachgeben durfte, sah ich keinen Grund, auf mein größtes Glück zu verzichten.

»Und ich dachte immer, dieser Hengst ist für Hans Berger gemacht, aber nun muss ich feststellen, dass er offenbar nur auf dich gewartet hat.« Vaters Augen glänzten, und fast glaubte ich, ein paar Freudentränen glitzern zu sehen.

»Ich werde dich nicht enttäuschen, Papa.«

»Das weiß ich doch, Gretel. Hans hat den Burschen in jahrelanger Arbeit zugeritten. Es hätte nicht mehr viel gebraucht, und er wäre zum kaiserlichen Bereiter ernannt worden. Wenn er erfährt, dass seine Mühen nicht umsonst gewesen sind und sein Hengst nun in deine gewissenhaften Hände übergeht, wird er sich bestimmt freuen.«

Vater schnalzte mit der Zunge und führte den Hengst zurück an seinen Platz.

»Dann hätten wir das geklärt«, meinte Vater, nachdem er den Hengst angebunden hatte. »Ich möchte mir nur noch das Einverständnis des neuen Oberstallmeisters Hoffmann holen, und schon kannst du loslegen.«

Ohne es zu wollen, entfuhr mir ein lauter Seufzer. Für den heutigen Tag hatte ich den Namen Hoffmann weiß Gott oft genug gehört. Plötzlich schien die Hofreitschule nur noch zu funktionieren, wenn diese Hoffmanns zufrieden waren.

Dennoch beschloss ich, mir meine Laune nicht verderben zu lassen. Bald schon durfte ich mich wieder in den Sattel schwingen und hatte mir somit ein Stück meiner Freiheit zurückerobert. Ich hatte einen Sieg errungen, ohne großen Kampfeinsatz zu investieren. Und das war nur die erste Etappe. Dieser August würde schon noch sehen, dass er sich besser nicht mit einer Margarete Böhm oder gar ihrem Bruder anlegte. Dieser Schnösel würde Augen machen, wenn er mich im Sattel sitzend Pirouetten drehen sähe und er zugeben müsste, dass einer Frau sehr wohl ein Platz in der Hofreitschule zustand.

Ich konnte mich nicht erinnern, mein Kinn je so hoch getragen zu haben. Lächelnd, beinahe schwebend lief ich durch die Stallgasse, nachdem ich mich von Vater verabschiedet hatte.

 

Die Sonne blendete, als ich hinaustrat auf den Michaelerplatz, über den gerade ein zweispänniger Fiaker zog – die Rappen hatten die Ohren gespitzt, ihre Augen hinter Scheuklappen versteckt, der Kutscher hielt die Zügel fest in der Hand und trug eine graue Melone auf dem Kopf. Das Hufgeklapper der beiden Pferde erfüllte den Platz ebenso wie das Gekicher junger Damen, die sich um einen Mann gruppiert hatten und ihn mit allen Mitteln zu umgarnen schienen.

Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf und marschierte an dem gut gelaunten Grüppchen vorbei.

Mir war, als träfe mich der Blitz, als ich in dem jungen Mann, der von den Damen hofiert wurde, August Hoffmann erkannte. Groß und galant baute er sich vor den Damen auf, seine Augen strahlten, sein Blick war offen und wach, sein Lachen schien auf seine Bewunderinnen geradezu berauschend zu wirken.

Ich verlangsamte meine Schritte, um wenigstens ein paar Wortfetzen seines Geschwätzes aufzuschnappen. Unauffällig, den Blick von der damenreichen Runde abgewandt, schlich ich förmlich an ihnen vorbei.

»Vater hat mein Talent als Reiter schon in frühen Kinderjahren entdeckt«, schwelgte er, seinen Zweispitz unter einen Arm geklemmt. »Meine Erfolg versprechende Begabung wird mir hier an der kaiserlichen Hofreitschule viele Türen öffnen.« Mit einer ausladenden Geste wies er hinter sich auf das schmiedeeiserne Tor, das zur Hofreitschule führte. Dabei trafen sich unsere Blicke. Nur für einen kurzen Augenblick, und doch lange genug, um seinen Hochmut in vollem Ausmaß zu spüren. Seine Überheblichkeit umfing ihn wie ein dichter Schleier, eine Nebelwand, die um ihn herum waberte, die er stolz und voller Überzeugung mit sich trug, als wäre sie ein Geschenk an die Damenwelt. Kurz hielt er inne, hielt an unserem Blickkontakt fest, schien abzuwägen, wie ich ihm gesinnt war. Doch der Augenblick verstrich, und schon wandte er sich wieder den rotwangigen Damen zu, die ihn anhimmelten und an seinen Lippen hingen, um jedes seiner Worte zu kosten und in sich aufzusaugen.

Ich konnte nicht umhin und verdrehte die Augen. Etwas in mir drängte mich dazu, diesem August jetzt und hier davon zu berichten, dass sein Plan, mich zu verscheuchen, fehlgeschlagen war – dass er vielmehr das Gegenteil erreicht hatte und ich in Kürze wieder selbst als Reiterin in der Hofreitschule anzutreffen wäre.

Aber ich zog es vor, zu schweigen. Er würde bald genug davon erfahren und mich vermutlich belächeln in meinem Bestreben. Doch er würde nicht lange lachen.

Von August abgewandt, legte ich an Tempo zu, um die Station der Pferdetramway zu erreichen. Ich wollte nach Hause, musste mit Mutter sprechen, sie sachte auf die von Vater und mir geschmiedeten Pläne vorbereiten. Sie würde sich zieren, die Hände an die Wangen legen und mir entsetzte Blicke zuwerfen.

»Die Reiterei ist weiß Gott nichts für eine junge Dame«, würde sie mir vorwerfen. Und doch wusste ich, dass sie nach einer kurzen Bedenkzeit einlenken würde. Sie würde mit mir zu Schneiderin gehen und ihre Freude daran haben, die schimmernden Stoffproben zu sichten und sich am Entwurf für mein Reitkostüm zu beteiligen.

Am Ende werde ich triumphieren, dachte ich und warf August einen letzten Blick über die Schulter hinweg zu.

3

Wien im April 1875

Mit beiden Händen strich ich über das eng geschnürte Mieder meines Empfangskleides und begutachtete im bodentiefen Spiegel meine Taille. Ich liebte die moosgrüne Seide, die schillernd an den harzigen Duft von Wald erinnerte. Die Tournüre ausladend genug, um mein Gesäß ordentlich zur Geltung zu bringen und dennoch nicht aufdringlich zu wirken. Um den Hals rankte sich goldenes Geschmeide, und ein in Gold gefasstes elfenbeinfarbenes Kamee-Medaillon zierte mein Dekolleté. An meinen Ohren funkelten Mutters tropfenförmige Diamantohrringe. Ich erinnerte mich, wie sehr ich mich als Mädchen danach gesehnt hatte, endlich diese kostbaren Ohrringe tragen zu dürfen, doch nun, da es so weit war, fühlte es sich nicht annähernd so festlich an wie erwartet. Beinahe im Gegenteil. Sie wogen schwer, waren schon fast eine Last. Mir war danach, sie abzunehmen, aus meinen Röcken zu schlüpfen und mich im Bett zu verkriechen – eine Tasse dampfenden Tee in den Händen, meine Wärmepfanne an den Zehen und ein paar Tagträumereien, die sich um die Hofreitschule rankten. Mehr bräuchte ich nicht.

Doch Mutter hatte für diesen Abend etwas anderes geplant. Etwas derart Schauerliches, dass es mir Gänsehaut verursachte, und das, obwohl in den üppigen Schichten meines Kleides kein Platz war für Kälte.

»Ist sie bald fertig? Die Gäste kommen in wenigen Minuten!«, fragte Mutter aufgeregt durch den Türspalt. Ihre Haare türmten sich auf ihrem Haupt, keine einzige ihrer grau melierten Wellen erlaubte sich ein Eigenleben und war gefangen zwischen unzähligen Haarnadeln.

»Sie ist schon fast fertig«, antwortete ich anstelle von Martha. »Sie hat nur überhaupt keine Lust auf den von dir geladenen Besuch«, setzte ich nach und blickte Mutter über den Spiegel hinweg in die Augen.

»Du weißt, dass ich keine Wahl hatte.« Mutter räusperte sich und betrat mein Ankleidezimmer. Mit wenigen Blicken taxierte sie den Schrank, aus dem die bauschigen Röcke quollen, und den Toilettentisch, auf dem Puderdöschen, Haarklammern, Haarbürsten und Flakons für ein heilloses Chaos sorgten.

»Wir sind dazu verpflichtet, den neuen Oberstallmeister samt seiner Familie zu einem gepflegten Abendessen zu laden. Was würde er sonst von uns denken? Immerhin ist er nun der Vorgesetzte deines Vaters.«

Ich schnaubte laut aus und suchte nach einem Argument, das die Einladung widerlegte. Doch ich fand keins.

Dennoch verursachte mir der Gedanke an die kleine Runde, die sich unausweichlich um unseren fein eingedeckten Esstisch versammeln würde, Magenschmerzen.

»Zudem hat dein Vater erzählt, dass der Sohn des Oberstallmeisters ein gut aussehender und ehrgeiziger junger Mann ist! Ich bin sehr gespannt auf diese Bekanntschaft.« Mutters Blick glitt in die Ferne. Nur ganz kurz, dann holte sie sich wieder zurück in diesen Raum und begutachtete meine Erscheinung. Mit kreisendem Finger forderte sie mich auf, mich zu drehen.

»Sehr schön«, sagte sie, nachdem sie mich von allen Seiten inspiziert hatte. »Diese Farbe steht dir ausgezeichnet, wobei ich für einen abendlichen Empfang das hyazinthfarbene mit der goldenen Bordüre gewählt hätte. Aber bitte, das hier geht natürlich auch.«

Ich atmete so tief durch, wie mein eng geschnürtes Mieder es erlaubte, und verzichtete auf einen Kommentar. Mutter meinte es nicht böse, sie war seit jeher darauf bedacht, ihre Kinder im besten Licht zu präsentieren.

»Danke, Martha.« Mit diesen Worten entließ ich das Dienstmädchen und machte mich gemeinsam mit Mutter auf den Weg zur Wohnungstür, wo wir im großzügigen Foyer unseren Gästen aufwarten würden.

Während ich neben Mutter herschritt, zwinkerte mir mein Bruder Wenzel entgegen. Sein Anblick entlockte mir ein freudiges Lächeln. Gut sah er aus. Der Schnitt seines Gehrocks war extravagant, das Material schillerte in dunklen Blautönen, die Weste war in hellem Blau gehalten und betonte zusätzlich das Strahlen seiner Augen. Der Hemdkragen wurde von einem weichen Tuch umschlungen, das lässig über seine Brust fiel. Sein dunkelbraunes Haar trug er aus der Stirn gekämmt und war lang genug, um seine Schultern zu berühren und Vaters Wunsch nach einem ordentlichen Haarschnitt immer wieder aufs Neue entflammen zu lassen.

Sein schiefes Lächeln zeugte davon, dass er dem Abend ebenso wenig entgegenfieberte wie ich.

»Ich hoffe, du hast dich unter deinen Röcken schwer bewaffnet«, flüsterte Wenzel mir zu. »Kann sein, dass seine spitze Zunge nicht genügt, wenn August Unterstützung von seinen Eltern bekommt.«

»Keine Bange, die Messer sind gewetzt«, antwortete ich und zwinkerte meinem Bruder verschwörerisch zu.

»Sie kommen!« Vater räusperte sich aufgeregt, zog das Revers seines Gehrocks stramm und strich sich sorgsam über das Haar.

»Wir sind bereit!«, trällerte Mutter in einem Singsang, der Wenzel und mich verwundert schmunzeln ließ.

Erst als wir vier in Reih und Glied an der Eingangstür standen, forderte Vater das Dienstmädchen mit einem Nicken dazu auf, die Tür zu öffnen. Als die Familie Hoffmann unser Foyer betrat, waberte eine gewisse Anspannung durch die großzügige Wohnung. Starr wie eine Statue stand ich neben Mutter, knickste vor der gnädigen Frau Hoffmann und ließ zu, dass August und sein Vater mir einen angedeuteten Kuss auf den Handrücken hauchten. Herr Hoffmann hielt meine Hand etwas zu lange, und Frau Hoffmann lachte eine Spur zu laut.

Als wir endlich am Esstisch saßen und jeder mit Getränken versorgt war, begannen die Eltern am einen Ende des Tisches damit, sich in rege Unterhaltungen zu stürzen, während wir Jungen uns in Schweigen übten. Die Mütter sprachen über die Vorzüge von Seidentapeten und den neuen Hüten, die man in Paris trug und die immer kleiner zu werden schienen.

Die Väter hingegen sprachen über die Finanzen der Hofreitschule und davon, dass die Oberbereiter in den nächsten Wochen der Kaiserin zur Verfügung zu stehen hatten, da diese mit ihrem Hengst die hohe Kunst der Piaffe und Levade ausbauen wollte.

August lachte kurz auf und nahm einen kräftigen Schluck Rotwein.

»Ich spreche mich nur ungern gegen die Kaiserin aus, aber ist es tatsächlich vonnöten, dass eine Frau derartige Kunststücke beherrscht?«, meinte er an Wenzel und mich gewandt und stellte sein geleertes Rotweinglas ab.

Während die Eltern ihre Gespräche ungebrochen fortführten, wechselten Wenzel und ich verwunderte Blicke.

»Wovon sprichst du?«, meinte Wenzel verlegen und stellte auch sein Glas beiseite. »Der oberste Zweck der Hofreitschule ist es, die Reitkünste des Kaiserpaars voranzutreiben und sie mit den Darbietungen der Quadrille zu erfreuen. Wir dienen dem Kaiserpaar und stehen ihm demütig zur Verfügung. Wenn also die Kaiserin wünscht, die hohe Kunst der Levade zu erlernen, dann stehen wir ihr dabei mit Freuden beiseite.«

August lachte süffisant und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Bei der Levade verlagert das Pferd sein gesamtes Gewicht auf die Hinterbeine und verharrt mit den Vorderbeinen für eine Weile in der Luft. Wie sollte die Kaiserin – deren Wünsche und Können ich vollumfänglich respektiere – in ihrem Damensattel in einer solchen Stellung nicht den Halt verlieren und vom Pferd stürzen?«

»Haben Sie denn schon einmal in einem Damensattel gesessen?«, fragte ich spitz. »Oder sprechen Sie hier nur Vermutungen aus?«

»Haben Sie denn schon einmal im Damensattel gesessen, gnädiges Fräulein Margarete?« August lehnte sich über den Tisch zu mir, die Ellbogen auf der Tischplatte abgelegt, und sah mir herausfordernd in die Augen.

»Und ob Gretel schon im Sattel gesessen hat. Wenn man den Worten unseres Vaters Glauben schenken darf, dann war sie des Reitens fähig, bevor sie das Gehen erlernt hat. Sie ist ein Naturtalent«, versuchte Wenzel mich zu verteidigen.

»Ein Naturtalent!«, wiederholte ich Wenzels Worte theatralisch, ohne dabei zu blinzeln oder Augusts Blick auszuweichen.

»Nun bin ich schon seit einigen Wochen hier an der Hofreitschule tätig, aber Sie habe ich bislang nur auf der Tribüne erblickt.«

»Tja, das muss schon eine Weile her sein, denn den Platz auf der Tribüne hat man mir verboten. Vielleicht haben Sie davon gehört?«

Das Blut rauschte durch meinen Kopf.

»So manches Mal habe den Eindruck, dass Sie noch nicht allzu viel über die Gepflogenheiten an der Hofreitschule Bescheid wissen«, setzte ich nach, obwohl ich wusste, dass ich damit zu weit ging. Immerhin saß der Oberstallmeister direkt neben mir, und ich wollte weder Vater noch Wenzel vor ihrem Vorgesetzten in eine unangenehme Situation bringen.

»Das stimmt allerdings«, pflichtete mir Herr Hoffmann überraschend bei und legte dabei seine Hand auf meine. »August fehlt es tatsächlich an Wissen, was die Geschichte der Hofreitschule betrifft – und auch die Lipizzaner, deren Zucht und Namensgebung.«

»Vater, bitte! Ich weiß alles, was ich wissen muss!«, meinte August über den Tisch und lächelte breit.

»Erst vor ein paar Tagen hat er mich gefragt, warum die Stehplätze der Hengste allesamt mit Doppelnamen beschriftet sind, man die Pferde aber nur mit einem der beiden Namen anspricht«, fuhr der Oberstallmeister unbeirrt fort. »Vielleicht könnten Sie, gnädiges Fräulein Böhm, den Wissensstand meines Sohnes auf Vordermann bringen?« Herr Hoffmann starrte mich eindringlich an, dann wandte er sich wieder dem Gespräch mit meinem Vater zu.

Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich August in die Augen und konnte mir ein siegessicheres Lächeln nicht verkneifen. Wie gern hätte ich in diesem Augenblick seine Gedanken gelesen. Was für eine Schmach es für ihn sein musste, dass ausgerechnet ich ihm einige Gepflogenheiten der Hofreitschule näherbringen sollte.

»Außerdem wird es nicht mehr lange dauern, und Sie können meine Schwester hoch zu Ross bewundern«, knüpfte Wenzel an das längst abgeschlossene Gesprächsthema an. »Mit der Erlaubnis unseres Vaters darf sie auf Sardinia ihr Können zutage tragen – oder wie er richtig heißt: Pluto Sardinia.«

»Pluto Sardinia«, wiederholte August gelangweilt. »Pluto Africa, Maestoso Africa, Favory Sardinia und wie sie alle heißen! Sie müssen zugeben, dass diese Namen für einen Neuling an der Hofreitschule seltsam klingen.«

»Ja, das gebe ich zu, aber hinter dieser Namensgebung steht eine lange Tradition. Sehen Sie, die Hengste der kaiserlichen Hofreitschule gehen zurück auf sechs Hengstlinien und sechzehn Stutenstämme. Jedes Fohlen erhält den Namen des Vaters an vorderer Stelle und den der Mutter an zweiter. Unter den Bereitern und Stallarbeitern hat es sich allerdings eingebürgert, die Pferde vorrangig beim Zweitnamen, also dem der Mutter, zu benennen. Für den seltenen Fall einer Doppelung hängen wir an den Namen einfach eine Nummer. War das verständlich erklärt?« Ich erhob mein Weinglas und prostete August zu.

»Nicht umsonst durchläuft ein Bereiteranwärter im Normalfall die Elevenjahre, in denen er die Hofreitschule von der Pike auf kennenlernt«, versuchte Wenzel, dem Gespräch einen schnippischen Unterton zu verleihen. »Selbst ich weiß, was es heißt, Sättel zu putzen und Pferdemist zu schaufeln.«

Innerlich applaudierte ich meinem Bruder. Das hatte gesessen! Jetzt war ich es, die sich genüsslich zurück in ihren Stuhl lehnte und einen herablassenden Blick auf mein Gegenüber warf.

Und auch wenn August versuchte, seine kühle Fassade zu wahren, so konnte ich dennoch erkennen, dass seine Kiefer mahlten und sein Blick stechend scharf zu meinem Bruder funkelte.

»Und Sie, Fräulein Margarete, wissen Sie auch, wie man mit der Mistgabel umgeht? Oder können Sie am Ende gar nicht sagen, wo diese zu finden ist?«

Hätte ich August nicht derart verachtet, hätte ich ihn für seine Wortgewandtheit bewundert. Aber so blieb mir nichts anderes, als ihn mit einem strengen Blick zu strafen.

Zum Glück hörte ich auf dem Flur bereits das Servierwägelchen, mit dem der erste Gang des Abendmahls ins Esszimmer herangebracht wurde. Während Martha auf jeden Suppenteller einen Schöpflöffel dampfender Grießnockerlsuppe kredenzte, ließ ich mich von Wenzel in ein Gespräch verwickeln.

»Ich glaube, nach diesem Abendessen benötige ich ein paar Gläser Wein, drüben im Heinrichshof«, flüsterte Wenzel mir zu und trank gierig sein Weinglas leer.

»Ein paar?«, stutzte ich. »Vergiss nur nicht, dass ich morgen zum ersten Mal auf Sardinia reiten werde. Mein Sattel wurde heute angeliefert und ist erpicht darauf, endlich eingeritten zu werden. Und ich habe gehofft, dass du mir hilfreich zur Seite stehen könntest.«

»Auf mich ist Verlass, das weißt du doch.« Wenzel warf mir einen Kuss zu und lächelte sanft. Doch trotz seines Lächelns wirkte er verloren, verletzlich, fast traurig. Etwas in ihm schien entzweit zu sein, stets auf der Suche nach einem Platz im Leben, an dem er ernst genommen wurde, respektiert und geachtet.

»Wir werden aus dir die beste Reiterin der Hofreitschule machen«, sagte Wenzel und schnippte mit den Fingern, um Martha anzuweisen, sein Weinglas erneut nachzufüllen.

»Kein Wunder, dass dein Hengst ständig schlenkert«, meinte August und zeigte auf Wenzels frisch gefülltes Glas Wein.

»Ich denke nicht, dass mein Alkoholkonsum in deinen Zuständigkeitsbereich fällt«, meinte Wenzel überraschend forsch.

»Der Zuständigkeitsbereich des Herrn August Hoffmann ist quasi unbegrenzt. Seine Befugnis in der Hofreitschule ist unerschöpflich«, sagte ich, um meinem Zwillingsbruder beizupflichten.

»Vielleicht hast du für heute tatsächlich schon genug getrunken!«, meinte Vater hinter vorgehaltener Hand.

Wenzel und ich wechselten entsetzte Blicke. Warum nur behandelte Vater meinen Bruder stets strenger als mich?

»Am besten, wir belästigen die Gesellschaft nicht länger und nehmen unser Mahl schweigend zu uns«, flüsterte ich Wenzel zu und legte meine Hand auf seine. Ich wusste, wie viel ihm an Vaters Meinung lag, wie sehr er ihn vergötterte und ihm in allem nacheiferte. Und dennoch langte es immer nur zu Tadeleien.

»Gemeinsam werden wir die besten Reiter an der Hofreitschule«, flüsterte ich gerade so laut, dass August es hören konnte. Dann griff ich nach meinem Löffel und kostete von der vorzüglichen Gemüsebrühe, in der drei wohlgeformte Grießnockerl schwammen, die so appetitlich weich waren, dass sie förmlich auf der Zunge zergingen.

»Wenn ich auf etwas gespannt bin, dann darauf, Ihre so hochgelobten Reitkünste zu sehen. Seien Sie versichert, dass ich morgen zur Stelle bin, wenn Sie sich in Ihren neuen Damensattel schwingen.«

Augusts Stimme ließ keinen Raum für Spekulationen. Es war offensichtlich, dass er mich scheitern sehen wollte. Ich blickte von meinem Teller hoch und direkt in sein Gesicht. Mir war danach, ihm zischend zu kontern, ihm die Meinung zu sagen. Doch ich zog es vor, zu schweigen. Sollte er doch glauben, dass ich keine Konkurrentin war, sondern mich am nächsten Tag lächerlich machte. Er würde sich noch wundern. Und er würde eines Tages zugeben, dass er sich geirrt hat.

»Herrlich«, schwärmte ich nach dem nächsten Löffel meiner Suppe. Und mit einem Mal gelang es mir, mein überhebliches Gegenüber auszublenden und die Vorfreude auf den nächsten Tag aufleben zu lassen. Ich konnte seine Blicke förmlich auf mir ruhen fühlen. Sie durchbohrten mich, krallten sich an mir fest. Doch ich dachte nicht daran, August anzusehen und ihm erneut eine Angriffsfläche zu bieten. Für heute war es genug. Wir würden unser Kräftemessen am nächsten Tag weiter ausfechten.

Ich konnte es kaum erwarten …

4

Sardinia ist für Sie vorbereitet, Fräulein Margarete«, meinte Marjan und tätschelte dabei die ordentlich gebürstete Mähne meines Hengstes. »Ihr Vater hat mir aufgetragen, mich um Sie und Ihr Pferd zu kümmern, wann immer Sie danach verlangen. Gern helfe ich Ihnen noch in den Sattel, wenn Sie erlauben.«

Marjan lächelte mir offen entgegen und strahlte förmlich. Ich mochte seine Art zu sprechen, seinen slowenischen Akzent, den er auch nach drei Jahren nicht zur Gänze abgelegt hatte. Drei Jahre waren inzwischen vergangen, seit er seine Heimat verlassen und sein Glück in Wien gesucht hatte. Schließlich wollte er mehr aus seinem Leben machen, hatte er mir einmal erzählt. Er wollte sich in der Kaiserstadt eine Zukunft aufbauen und nicht in Lipica auf dem kaiserlichen Zuchtgestüt seine Tage fristen. Dem Gestütsleiter Franc Dolenc verdankte er die Stellung als Reitknecht an der Hofreitschule. Und die sollte, seiner Meinung nach, nur der Anfang sein.

»Hast du heute Geburtstag?«, fragte ich neugierig. »Ich meine nur, weil du so glücklich aussiehst.«

»Nein, kein Geburtstag«, erwiderte er und strich sich verlegen durch das blond gewellte Haar. »Ich freu mich nur …« Marjan brach den Satz ab und kontrollierte den Sitz des Kinnriemens, der Sardinias Maul umschloss. »… ich freu mich, weil ich Sie nun öfter sehen werde, Fräulein Margarete. Oder sollte ich das lieber nicht so offen aussprechen?«

Ich holte tief Luft und griff mit einer Hand an meine Brust. War es dreist von meinem Reitknecht, mir gegenüber seine Gefühle zu erwähnen? Oder war es gar mutig? Und was genau wollte er mir damit sagen? Dass er mich verehrte, mir den Hof machen wollte?

Meine Wangen prickelten unter der unerwarteten Aufregung, die meinen Körper durchflutete. Natürlich waren mir weder Komplimente fremd noch betörende Blicke. Ich war mir meiner Schönheit durchaus bewusst, machte mir aber nicht viel daraus. Vielmehr verspürte ich den Drang nach Freiheit und danach, zu sagen, was immer mir auf der Zunge lag.

Ob mein braunes Haar nun ordentlich hochgesteckt oder meine Wangen ausreichend rougiert waren, spielte für mich keine so große Rolle, wie Mutter es sich wünschte. Es gab so vieles, das schwerer wog als das Aussehen einer Frau und die Zuneigung eines Mannes. Ich wünschte mir, dass wir Frauen gehört wurden und ernst genommen. Dass man sich für unsere Meinungen interessierte und unsere Wünsche mit Aufmerksamkeit verfolgte. Schließlich hatten wir so viel mehr beizutragen, als die Welt mit unserem Lächeln zu erfreuen. War das ein Grund, warum ich mich bislang für keinen Mann erwärmen konnte? Weil ich Angst hatte, in einer Ehe unterzugehen?

Und doch gelangten an diesem Tag die schüchtern formulierten Worte von Marjan direkt in mein Herz, wo sie sich wohlig warm ausbreiteten und mein gesamtes Innerstes erfüllten. Ohne mein Zutun lächelte ich und war für einen Moment nicht ganz sicher, ob ich stand oder schwebte.

»Ich freu mich auch, Marjan! Ich werde fortan jeden Tag nach der Morgenarbeit erscheinen. Vater hat mich gebeten, den Reitbetrieb auf keinen Fall zu stören.«

»Das klingt gut, Fräulein Margarete. Ich werde die Hengste der Bereiter absatteln, pflegen und dann immer sofort Sardinia für Sie vorbereiten.«

»Ja, das klingt gut«, wiederholte ich Marjans Worte und strich über den Rock meines neu geschneiderten Mieders. Ich liebte den Schnitt meines Reitkostüms. Der Rock war in großzügige Falten gelegt, um mir Beinfreiheit zu garantieren. Die Schleppe war gerade lang genug, um im Sattel sitzend meine Stiefel zu bedecken. Die Ärmel waren keulenartig und erlaubten so eine angenehme Bewegungsfreiheit, und selbst das Mieder saß so locker, dass ich unbeschwert atmen konnte. Was für eine Wohltat. Gewöhnungsbedürftig waren nur die Reithosen aus feinstem Rehleder, die ich unter den Röcken trug und die sich bei jedem Schritt anfühlten, als steckten meine Beine in einer teigig weichen Masse fest.

Marjan nickte und führte Sardinia an mir vorbei in Richtung Reithalle. Ich rückte mein Hütchen zurecht, griff nach meiner Gerte und folgte den beiden. Freudig aufgeregt sah ich auf Sardinias weißen Schweif, der bei jedem seiner gemächlichen Schritte hin und her schwang.

Mit einem schwungvollen Ruck hob Marjan mich in den Sattel und hielt den Hengst am Zügel, während ich ein Bein über das Horn des maßgefertigten Damensattels platzierte, in den Steigbügel schlüpfte und den Rock aufschüttelte, damit er locker über meine Knie fiel. Erst dann fasste ich den Zügel und gab Marjan mit einem Nicken zu verstehen, dass ich seine Dienste nicht länger benötigte.

»Ich bin in Hörweite, wenn Sie mich brauchen, Fräulein Margarete«, sagte er und verschwand in der Stallgasse. Mit sanftem Schenkeldruck trieb ich Sardinia in die Reithalle, die völlig leer vor mir lag. Die Luft hier drinnen war frisch, so als hätte die Hofreitschule den Winter noch nicht ganz verabschiedet.

Sardinia war ein relativ junger Hengst und noch nicht zur Gänze ausgeschimmelt. Seine Mähne war noch von schwarzen Haaren durchzogen, und sein Fell schimmerte an den Beinen und am Kopf mausgrau. Erst in einigen Jahren würde er ebenmäßig weiß glänzen.

Aber gerade das mochte ich so an ihm – dass wir beide noch am Anfang unserer Laufbahn standen. Immerhin war es üblich, dass ein Bereiteranwärter im Laufe der Ausbildung seinen eigenen Hengst in die Hohe Schule der Pferdedressur einführte. Erst wenn es dem Bereiteranwärter gelungen war, sein Pferd in den Ansprüchen der Hofreitschule auszubilden, stand ihm der Titel des Bereiters zu.

Natürlich hätte ich Sardinia gern von der Pike auf an Sattel und Reiter gewöhnt, aber das hatte ja nun bereits Hans Berger erfolgreich für mich erledigt. Laut Vater beherrschte Sardinia bereits alle Grundgangarten, Seitengänge und im Ansatz sogar Versammlung in Schritt und Trab.

Nachdem wir ein paar gemütliche Runden im lang gezogenen Schritt hinter uns gebracht hatten, legte sich meine Aufregung. Der Sattel fühlt sich angenehm an, und auch meine Haltung gewann stetig an Sicherheit. Die Zügel lagen straff am Hals des Hengstes, sein Kopf wippte locker, immer wieder schnaubte er mit einer Zufriedenheit, die mich mit einer ungeahnten Freude erfüllte.

»Wahrscheinlich wunderst du dich über den fremdartigen Sattel, was? Aber keine Bange, an den hast du dich rasch gewöhnt.« Ich strich über Sardinias kräftigen Hals und lächelte, als ich sah, wie er die Ohren neugierig zu mir nach hinten ausrichtete. Bald schon wären wir beide ein eingespieltes Gespann, aber ich wusste auch, dass ich mir Sardinias Vertrauen erst erarbeiten musste.

Solange ich auf Wenzel wartete, könnte ich in einen unbeschwerten Trab übergehen und dabei erspüren, wie sich Sattel und Pferd unter mir anfühlten. Die vielen Jahre, in denen ich nicht geritten war, gehörten der Vergangenheit an. Die Vertrautheit, mit der sich mein Schenkel an die Flanke des Hengstes schmiegte und ihn stetig vorwärtstrieb, die Haltung des Zügels, die Verlagerung meines Gewichts, die Sardinia zusätzliche Impulse setzte – all das funktionierte scheinbar ohne mein Zutun. Wie hatte ich nur so lange ohne dieses Glücksgefühl überleben können? Der warme Körper des Pferdes unter mir, der mir mit jedem Tritt vertrauter wurde, die stimmige Einheit, dieses Gefühl, über der Erde zu schweben und von hier oben einen klaren Blick auf das Leben zu erhalten.

Freilich wusste ich, dass Sardinia und mir auch noch andere Reiteinheiten bevorstanden. Wir würden arbeiten, und zwar hart. Wir würden uns neue Lektionen aneignen, uns vorantreiben und gegenseitig fordern. Das ein oder andere Mal würde ich zornig sein über seinen Eigensinn, aber heute war es einfach nur schön. Und dieses Gefühl wollte ich ganz tief in mir einpflanzen, um mich an schlechten Tagen daran zu erbauen.

»Eine Frau auf einem Lipizzaner. Was für ein seltener und unnötiger Anblick!« Es war Augusts Stimme, die mich aus den Gedanken riss und zurückholte in die Realität. Stur blickte ich zwischen den Pferdeohren hindurch und versuchte, mich so unverkrampft wie möglich zu geben, während er mich von der Tribüne herab anstarrte. Mit einem Mal war die Leichtigkeit aus meinem Körper verschwunden, krampfhaft krallte ich mich in die Zügel.

Was will er hier? Und wo war Wenzel? Er hätte doch schon längst hier sein müssen.

»Ist es nicht so, dass Zuschauer auf den Tribünen verpönt sind?«, fragte ich forsch und warf ihm einen durchdringenden Blick zu.

»So einfach ist das nicht, liebstes Fräulein Böhm. Ich lasse mich nicht so leicht verjagen wie Sie. Ich habe Sitzfleisch und die bessere Ausgangssituation.«