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Seit Jahrzehnten erfreut sich das Genre des Heimat-Bergromans sehr großer Beliebtheit. Je hektischer unser Alltag ist, umso größer wird unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben, wo nur das Plätschern des Brunnens und der Gesang der Amsel die Feierabendstille unterbrechen.
Zwischenmenschliche Konflikte sind ebenso Thema wie Tradition, Bauernstolz und romantische heimliche Abenteuer. Ob es die schöne Magd ist oder der erfolgreiche Großbauer - die Liebe dieser Menschen wird von unseren beliebtesten und erfolgreichsten Autoren mit Gefühl und viel dramatischem Empfinden in Szene gesetzt.
Alle Geschichten werden mit solcher Intensität erzählt, dass sie niemanden unberührt lassen. Reisen Sie mit unseren Helden und Heldinnen in eine herrliche Bergwelt, die sich ihren Zauber bewahrt hat.
Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:
Alpengold 166: Sie ging den schweren Weg ...
Bergkristall 247: Kleiner Weihnachtsengel Steffi
Der Bergdoktor 1689: Wenn niemand deine Wünsche hört ...
Der Bergdoktor 1690: Herbergssuche in St. Christoph
Das Berghotel 103: Abgeschnitten von der Welt
Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 600
Monika Leitner, Sissi Merz, Andreas Kufsteiner, Verena Kufsteiner
Heimat-Roman Treueband 8 - Sammelband
Cover
Impressum
Sie ging den schweren Weg …
Vorschau
Sie ging den schweren Weg …
Aus Leid kann das wahre Glück erblühen
Von Monika Leitner
Außer sich vor Wut ist der Wurzbacher-Veit, als der junge Kilian Adler um die Hand seiner schönen Tochter Leni anhält. Ein Habenichts und Hungerleider sei der Holzschnitzer, der sich auf dem reichen Wurzbacher-Hof nur ins gemachte Nest setzen will, tobt er. Doch die hübsche Leni ist entschlossen, um ihr Glück zu kämpfen und nicht von Kilian zu lassen. Noch in diesem Jahr will sie mit ihrem Schatz vor den Traualtar treten – notfalls auch ohne den Segen des Vaters …
Doch beim Perchtenlauf zur Fastnacht, dem traditionsreichen Umzug mit den alten Holzmasken, kommt es vor den Augen der Zuschauer zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen dem alten Wurzbacher und einem der Maskierten! Am Ende des Tages wird Veit Wurzbacher in einer schmalen Gasse in seinem eigenen Blut aufgefunden – tot, erschlagen! Im Nu steht für alle fest, dass sein Mörder nur der Träger der Perchtmaske sein kann! Und das ist in diesem Jahr kein anderer als Kilian Adler …
In breiten Bahnen fiel das blasse Licht der Wintersonne durch die Fester in die holzvertäfelte Stube des Wurzbacher-Hofs. Noch ließ der Frühling in den Bergen auf sich warten. Der weiß verputzte Ofen in der Ecke verbreitete eine behagliche Wärme.
Ein großer Korb voll Bügelwäsche stand mitten in der Stube, gleich neben dem aufgeklappten Bügelbrett. Geschickt fuhr die junge Leni mit dem heißen Bügeleisen über ein weißes, geripptes Unterhemd. Dann faltete sie es gewissenhaft und legte es auf einen Wäschestapel, um sich gleich darauf das nächste Hemd vorzunehmen.
Das blonde Haar hatte die Bauerntochter mit einem bunten Band aus der Stirn gebunden, sie trug helle Jeans und einen Wollpullover, dessen leuchtendes Blau mit der Farbe ihrer Augen wetteiferte. Die schmalen Wangen waren rosig von der Ofenwärme. Ganz still war es in der Stube. Außer dem leisen Zischen des Bügeleisens auf der feuchten Wäsche und dem gleichmäßigen Ticken der alten Pendeluhr war nichts zu hören.
Wäre es nur immer so friedlich auf dem Wurzbacher-Hof wie in diesem Moment!, dachte Leni. Unwillkürlich entfuhr ihr ein leiser Seufzer.
In der Küche klapperten Töpfe, dort begann ihre Mutter wohl, das Mittagessen vorzubereiten. Draußen im Hof hörte sie das Brummen eines Motors. Offenbar war der Lastwagen gekommen, der das bestellte Kraftfutter für die Mastkälber bringen sollte. Das war gut so. Eigentlich hatten sie ihn schon vor zwei Tagen erwartet, aber dann hatte es noch einmal geschneit und der Fahrer hatte sich wohl nicht auf die oftmals schlecht geräumte Straße gewagt, die nach Obersteinbach führte.
Im nächsten Moment war es mit dem Frieden auf dem Wurzbacher-Hof vorbei. Krachend flog die Tür der Stube auf. Wie ein Gewitter stürmte der Bauer herein. Seine Gummistiefel hinterließen auf den blanken Holzdielen Spuren von Lehm und Schnee.
»Du dumme Gans! Bist du denn zu gar nix nütze!«, herrschte er Leni an. Sein rundes Gesicht war vor Zorn dunkelrot angelaufen, und die feisten Wangen wabbelten vor Erregung, die dunklen Augen sprühten Blitze. Erschrocken fuhr Leni zusammen. Sie war sich keiner Schuld bewusst.
»Was ist denn, Vater?«, stammelte sie.
»Was los ist? Das fragst du? Ha! Das falsche Futter hast du bestellt. Das ist los! Erst kommt die Lieferung zu spät, und jetzt musste ich alles wieder zurückschicken. Mit was soll ich die Viecher jetzt füttern? Na? Da sagst du nix mehr.« Der Bauer stemmte die Arme in die Seiten und baute sich vor ihr auf. »Du weißt doch, dass jeder Tag bei der Kälbermast zählt. Zumindest sollte dir das klar sein. Aber selbst das ist wohl zu viel verlangt bei meinem Fräulein Tochter.«
»Aber Vater«, presste Leni hervor. Ihre schmalen Wangen waren blass geworden. »Ich bin ganz sicher, dass ich das richtige Futter bestellt hab. Da muss der Händler sich geirrt haben.«
»Was!«, polterte Veit Wurzbacher. »Jetzt willst du die Schuld auch noch auf andere schieben, anstatt deinen Fehler zuzugeben. Das wird ja immer schöner. Du bist für den Schreibkram hier auf dem Hof zuständig. Aber diese Verantwortung hätt ich dir wohl besser net übertragen. Da sieht man’s wieder, alles muss man selbst machen.«
Leni biss sich auf die Lippen. Das war so ungerecht! Sie war ganz sicher, dass sie nichts falsch gemacht hatte. Seit sie die Buchführung und die Büroarbeiten für den Hof erledigte, war sie ganz besonders gründlich und ordentlich, weil sie wusste, wie wichtig das war. Allerdings hatte sie die Bestellung telefonisch aufgegeben, und so hatte sie keinen Beweis, dass der Fehler nicht bei ihr lag.
»Du sagst nix mehr?« Ihr Schweigen schien den Bauern nur noch mehr aufzubringen. »Mit Trotz kommst du auch net weiter. Jetzt gib deinen Fehler zu, schau zu, dass du so schnell wie möglich das richtige Futter beschaffst, und entschuldige dich gefälligst! Das ist wohl das Mindeste, was ich von meiner Tochter erwarten kann.«
Leni schossen Tränen in die Augen. Wie konnte sie etwas zugeben, was sie gar nicht gemacht hatte? Und sich obendrein noch entschuldigen? Oft genug gab sie nach, wenn der Vater ihr Vorwürfe machte, und das war viel zu häufig der Fall. Schon um des lieben Friedens willen verbiss sie sich manche Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Aber das war einfach zu viel verlangt! Alles in ihr wehrte sich dagegen.
»Vater, so glaub mir doch!«, begehrte sie auf. »Du tust mir unrecht.«
»Was sagst du? Du wagst es, auch noch Widerworte zu geben?« Er machte einen Schritt auf Leni zu. »Dir werde ich schon Respekt und Ordnung beibringen! Dafür bist du mit deinen einundzwanzig Jahren net zu alt!«
Unwillkürlich ließ Leni das Bügeleisen los und hob schützend die Hände. Es war nicht das erste Mal, dass der Vater auf sie losging. In dem Moment stieg ein beißender Gestank vom Bügelbrett auf. Ein braun verbrannter Fleck breitete sich auf dem Unterhemd aus.
Entsetzt starrte Leni auf die Bescherung. Hastig riss sie das Bügeleisen fort, doch der Schaden war angerichtet.
»Da, schau! Net einmal zum Bügeln taugst du!« Der Bauer brüllte auf und hob die Hand. Mit schreckgeweiteten Augen wich Leni zurück.
***
»Veit! Halt ein! Versündige dich net!« Keiner von ihnen hatte bemerkt, wie die Wurzbacher-Anna, alarmiert von den lauten Stimmen, aus der Küche in die Stube gekommen war. Sie fiel ihrem Mann in den Arm.
»Was willst denn du hier?« Der Bauer fuhr herum wie ein gereizter Stier. »Misch dich da net ein! Allweil nimmst du das Flitscherl in Schutz, anstatt es richtig zu erziehen. Das war schon immer so. Kein Wunder, dass es zu nix taugt. Es wird höchste Zeit, dass ich ihm Manieren beibringe.«
»Lass doch gut sein, Veit, ich bitte dich!« Die Mutter rang die Hände. »Reg dich net auf. So schlimm ist es doch net. Das Unterhemd war eh schon alt und verwaschen. Die Leni wird auch gleich neues Futter bestellen, das kann schon morgen geliefert werden, gell, Leni?« Beschwörend sah sie ihre Tochter an. Ihre Augen hatte dieselbe Farbe wie die des Mädchens. Sie hatte auch die gleichen schmalen Wangen. Freilich waren ihre blassen Gesichtszüge verhärmt, und graue Strähnen durchzogen das einst blonde Haar.
»Ach, du willst wieder mal gut Wetter machen.« Veit dachte gar nicht daran, sich beschwichtigen zu lassen. »Es ist immer dasselbe mit dir, wenn es um dein ach so kostbares Madl geht. Da drückst du allweil die Augen zu. Schau dir doch nur an, wie sie herumläuft. In neumodischen Hosen wie ein Bursch. Dabei sollte sie als erwachsene Hoftochter wirklich mehr auf sich achten. Da muss man sich ja schämen. Aber dich kümmert das alles net. Und wenn ich ein Machtwort spreche, dann stellst du dich gegen mich, und das vor dem Madl.«
»Veit, bitte, lass doch endlich Leni in Frieden! Nix kann sie dir recht machen. Merkst du denn net selbst, dass du ihr unrecht tust?«
»Ha, jetzt ist es also wieder einmal meine Schuld, ja? Weiberleut! Du vergisst wohl, wer eigentlich der Herr im Haus ist und wo dein Platz ist.« Geradezu hasserfüllt starrte er seine Frau an. Jetzt richtete sich all seine Wut auf sie. Er packte sie an den schmalen Schultern und begann, sie zu schütteln.
»Vater!«, rief Leni entsetzt. »Hör auf!«
»Geh hinaus, Leni!«, befahl die Bäuerin dem Mädchen.
»Aber …!« Leni wollte die Mutter nicht im Stich lassen.
»Geh. Dein Vater und ich haben zu reden. Geh jetzt! Sofort!«, drängte die Wurzbacher-Anna. »Lass uns allein!«
Mit äußerstem Widerstreben gehorchte Leni. Noch einmal sah sie verzweifelt zu ihrer Mutter hin, dann schloss sie die Tür hinter sich. Tränen rannen über ihre Wangen. Jetzt würde die Mutter an ihrer Stelle den geballten Zorn des Vaters zu spüren bekommen. Sie hörte das Gebrüll des Bauern selbst durch die geschlossene Tür. Etwas polterte.
Leni fuhr zusammen. Am liebsten wäre sie zurück in die Stube gestürzt. Sie presste sich die Hände auf die Ohren.
»Lieber Gott«, betete sie, »lass es net zu, dass er sich an der Mutter vergreift! Ich halte das nimmer aus!«
Längst ahnte sie, dass der Vater es nicht immer bei Worten beließ. Hin und wieder bekam auch sie seine Hand zu spüren, obwohl sie schon längst kein Kind mehr war. Das war schlimm genug, aber wenn der Vater seine Launen an der Mutter ausließ, dann war das für Leni ganz und gar unerträglich! Dass die Mutter alles widerspruchslos ertrug, das konnte sie einfach nicht begreifen.
Keinen Augenblick länger konnte Leni im Haus bleiben. Sie lief auf den Hof hinaus und weiter auf die Straße, die Hände noch immer auf die Ohren gepresst. Tränen rannen ihr über die Wangen, ohne dass sie es bemerkte. Es war einfach alles zu furchtbar! Sie wünschte sich nur fort, weit fort vom Wurzbacher-Hof.
***
Bremsen quietschten, Schneematsch spritzte, und im letzten Moment kam der schwarze Geländewagen zum Stehen. Um ein Haar hätte er Leni erfasst.
»Jesses, Madl!« Der Bursch, der aus dem Auto stieg und zu dem Mädchen lief, war ganz blass vor lauter Schreck. Besorgt nahm er sie in die Arme. »Ist dir was passiert? Was tust du denn? Um ein Haar hätt ich dich überfahren.« Erst jetzt sah er ihre geröteten Augen und die Spuren der Tränen auf ihren Wangen. »Aber da musst du doch net gleich weinen. Es ist ja zum Glück nix passiert.«
Ein wenig ratlos stand Beni Niedertaler vor der noch immer stummen Leni. Gerade erst hatte er im Auto darüber gegrübelt, wie er es anstellen sollte, sie allein abzupassen, ohne ihre Mutter und erst recht ohne ihren strengen Vater. Schon seit einiger Zeit musste er immer wieder an die schöne Nachbarstochter denken, und immer wieder richtete er es ein, wie zufällig auf dem Wurzbacher-Hof vorbeizukommen. Da erschien es ihm wie ein glücklicher Zufall, dass Leni gerade draußen war.
»Na komm, nun lach doch wieder! Tränen stehen dir net gut«, versuchte er, sie aufzumuntern.
»Ach, wenn du wüsstest, Beni!«, sagte Leni leise. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen.
»Was liegt dir denn auf dem Herzen, hm? Mir kannst du alles sagen. Hat dich wer geärgert? Sag’s mir, dann hau ich demjenigen eins auf die Mütze!«
Unter Tränen musste Leni beinahe lächeln. So kannte sie Beni schon aus der Zeit, als sie gemeinsam die Schulbank gedrückt hatten. Immer mit dem Mundwerk schnell vorweg, manchmal auch mit den Fäusten.
»Lass nur gut sein!«, wehrte sie ab. Ihr großer Kummer und ihr Streit mit dem Vater gingen den jungen Bauern nun wahrhaftig nichts an. Über Familiendinge sprach man nicht mit anderen Leuten. »Wolltest du zu meinem Vater?«
Beni zuckte ein wenig verlegen die Schultern. Wie sollte er Leni beibringen, dass er eigentlich zu ihr wollte und dass ihm der Besuch beim Wurzbacher-Bauern höchstens einen Vorwand lieferte?
»Ach, das eilt net, das kann ich auch morgen mit ihm besprechen oder nächste Woche«, wehrte er leichthin ab. »Viel wichtiger ist es doch, dass du deinen Kummer vergisst. Das gibt nur hässliche Falten, und das wäre doch schad für ein so bildsauberes Madl. Weißt du was? Komm mit mir ins Dorf, wir trinken einen Kaffee. Ich lade dich ein!« Er lächelte aufmunternd.
»Ich weiß net, Beni.« Leni zögerte. Einerseits wäre sie liebend gern für eine Weile dem Hof ferngeblieben, und ein Ausflug ins Dorf wäre da gerade recht. Außerdem wäre es eine Ablenkung von ihren Sorgen. Andererseits wusste sie nicht, was der Vater dazu sagen würde.
»Geh, sei net fad!«, drängte er. »Oder musst du etwa erst deine Eltern fragen?« Er schien ihre Gedanken lesen zu können. Spöttisch zog er die Brauen hoch. Seine dunklen Augen in dem gebräunten Gesicht blitzten. »Lebt ihr hier auf dem Wurzbacher-Hof etwa noch im Mittelalter? Sie werden schon nix dagegen haben, wenn du mit mir ins Café gehst. Wenn du willst, dann frage ich für dich.«
Alles nur das nicht!, durchzuckte es Leni heiß. Nicht auszudenken, wenn der Nachbar in den Streit ihrer Eltern hineinplatzte.
»Also schön«, stimmte sie, noch immer zögernd, zu. »Aber nur kurz.«
»Mit dir tät ich’s auch den ganzen Tag lang aushalten. Und noch viel, viel länger.« Beni suchte ihren Blick.
»Geh, hör auf!« Dem Mädchen schoss das Blut in die Wangen. »Du machst mich ja ganz verlegen. Vielleicht sollte ich doch lieber net mitkommen.«
»Nun steig schon ein«, drängte Beni. »Ich bring dich nachher auch wieder brav zurück. Dann schaut die Welt schon wieder anders aus.«
Er hat recht, dachte die Bauerntochter. Ich muss wirklich auf andere Gedanken kommen. Und den Beni kenne ich schon so lange. Da ist wirklich nichts dabei, auch wenn er auf einmal so seltsame Andeutungen macht. Konnte es etwa sein, dass Beni sich Hoffnungen machte?
Sie sah den Burschen von der Seite an, als er ein wenig zu schnell die Straße entlangfuhr, dass der Schneematsch zu beiden Seiten hochspritzte. Fesch sah er aus, der Niedertaler-Beni, mit seinem schwarzen, ein wenig widerspenstigen Haar, der Sonnenbräune, die er während des Winters auf den Skipisten erworben hatte, und den dunklen Augen. So einer musste jedem Madl gefallen. Aber da gab es seit einigen Wochen einen anderen, der Lenis Herz schneller klopfen ließ, immer wenn sie sich begegneten …
Beni schien ihren Blick zu spüren, wandte den Kopf und lächelte siegessicher. Er war sich seines guten Aussehens sehr wohl bewusst und wusste auch, dass die Mädchen ihn bewunderten. Da machte Leni wohl keine Ausnahme. Es wäre doch gelacht, wenn er ausgerechnet bei ihr keine Chance hätte! Da wäre sie die Erste, die ihm einen Korb gab.
Jedenfalls ist der Anfang gemacht, dachte er, zufrieden mit sich und der Welt. Erst einmal trinken wir Kaffee miteinander. Der Rest findet sich dann von ganz allein.
***
Im Dorf Obersteinbach klopfte sich der junge Holzschnitzer Kilian Adler die Späne von der blauen Schürze, die er bei der Arbeit trug. Zufrieden betrachtete er das Holz, das in seiner Werkbank eigespannt war und an dem er seit einigen Tagen arbeitete. Jetzt zeichneten sich die Falten eines langen Gewandes in dem hellen Lindenholz ab, und auch die feinen Gesichtszüge einer Frau, umrahmt von langen Haarflechten.
»Ja, jetzt erkennt man es schon«, murmelte er. »Das wird die schönste Muttergottes, die ich je geschnitzt hab.« Nur gut, dass niemand wusste, dass es für Marias Gesicht eine lebendige Vorlage gab! Ein Madl, das Kilian einfach nicht aus dem Kopf ging und das er sogar in seinen Träumen vor sich sah. Da machte es ihm doppelt Freude, es in Holz zu verewigen und die schmalen Wangen, die hohen Brauen und die sanft geschwungenen Lippen mit seinen feinen Schnitzmessern zu gestalten. Sacht fuhr er mit den Händen über das noch unvollkommene Gesicht, als wollte er es streicheln.
»Wenigstens das kann mir niemand verwehren«, seufzte er. Er räumte noch seine Messer ordentlich in die Lade, fuhr sich durch die braunen Locken, klopfte die letzten Holzspäne ab und hängte die blaue Schürze an einen Nagel.
Im Winter und auch im zeitigen Frühling hatte er viel Zeit. Da musste er sich nicht beeilen, ein Werkstück schnell fertigzubekommen. Er schnitzte sozusagen auf Vorrat: Kobolde und allerlei Tiere aus Wurzelholz, Heiligenfiguren, Kruzifixe, die er im Sommer an die Urlauber verkaufte, die ins Tal kamen und originelle Andenken suchten. Aber eben nur im Sommer – zu anderen Zeiten verirrte sich kaum jemand in den kleinen Laden, der zu seiner Werkstatt gehörte.
Die Holzschnitzerei war ein mühsames Geschäft, das den jungen Burschen kaum ernährte. Aber für ihn war es die schönste Arbeit auf der Welt, und er hätte sich keine andere vorstellen mögen. Freilich machte er sich in der letzten Zeit ungewöhnlich oft Gedanken über die Zukunft.
Sorgfältig verschloss Kilian den Laden und die Werkstatt. Nicht, dass er Diebe fürchtete – Reichtümer waren bei ihm wahrhaftig keine zu holen. Aber sein Werkzeug war alles, was er besaß, und dafür hatte er lange sparen müssen. Geld war schon immer knapp gewesen für Kilian, schon sein ganzes junges Leben lang.
Er wollte auf die Straße treten, als ein schwarzer Geländewagen im viel zu hohen Tempo vorbeifuhr.
»Kruzifünflerl!«, schimpfte er und sprang zurück. »Kannst du net aufpassen!« Ärgerlich sah er dem Wagen nach, der ein Stück weiter hielt und dabei zwei Parkplätze blockierte. Der Bursch, der ausstieg, scherte sich nicht darum. Er lief zur Beifahrertür und half einem Mädchen beim Aussteigen.
»Lackl, eingebildeter!«, knurrte der Holzschnitzer, als er den Niedertaler-Beni erkannte. Dann blieb ihm beinahe das Herz stehen, als er sah, um wessen Schultern der andere da besitzergreifend seinen Arm gelegt hatte und auf das Café am Dorfplatz zusteuerte. Das war doch die Leni vom Wurzbacher-Hof!
Heftig kickte Kilian einen Stein weg. Seine gute Laune vom Vormittag war mit einem Mal verflogen. Er kehrte er dem Paar den Rücken zu und eilte zur Bushaltestelle. Seine Mutter erwartete ihn, da wollte er nicht zu spät kommen.
***
Lenis Cafébesuch mit Beni Niedertaler verlief recht schweigsam. Das lag keineswegs an dem Burschen, der alles tat, um das Mädchen aufzumuntern, und dabei seinen ganzen, sonst so unwiderstehlichen Charme spielen ließ. Trotzdem wollte keine richtige Unterhaltung in Gang kommen.
Beni schob das auf Lenis offenbar immer noch angegriffenen Zustand und bereute schon, dass er nicht einen anderen, günstigeren Tag für seinen Vorstoß abgewartet hatte. Er konnte ja nicht ahnen, dass noch ein anderer Grund zu der nachdenklichen Stimmung des Mädchens beitrug.
So hatte er wenig einzuwenden, als Leni zum Aufbruch drängte. Auch die Rückfahrt zum Hof verlief schweigend, und Beni musste sich Mühe geben, sich seine Verstimmung nicht anmerken zu lassen. Niederlagen war er nicht gewöhnt, und er konnte nur schwer damit umgehen. Einige Male versuchte er, doch noch ein Gespräch mit Leni in Gang zu bringen, vergebens.
Dabei ist sie doch freiwillig mit mir gekommen, dachte er verärgert. Ich hab sie je nicht gedrängt oder gar entführt. Versteh einer die Weiber! Sogar den Kaffee hat sie sich von mir zahlen lassen. Aber jetzt bin ich auf einmal Luft für sie.
»Auf bald dann!«, verabschiedete er sich, als sie vor der Einfahrt zum Wurzbacher-Hof hielten, und während er noch überlegte, ob er Leni nicht wenigstens ein Abschiedsbusserl auf die Wange drücken und einen konkreten Termin für ihr Wiedersehen verabreden sollte, war sie schon aus dem Geländewagen gesprungen.
»Danke für den Kaffee!«
Damit lief sie geradewegs zum Haus. Der junge Bauer zuckte die Schultern. Er würde wiederkommen, das stand jetzt fester denn je. So leicht gab ein Niedertaler nicht auf, und im Grunde reizte es ihn, dass Leni so spröde war. Und sie war wirklich eine Schönheit, das stand fest. Und als Erbin des Nachbarhofs auch eine gute Partie.
Endlich einmal eine, die nicht so leicht zu haben ist, dachte er. Aber wart nur, Madl! Jetzt erst recht! Wir sehen uns wieder, und das schon bald.
***
Maria Adler sah ihrem Sohn gleich an, dass etwas nicht stimmte. Schon als er zur Tür hereinkam und sie unnötig fest hinter sich zuschlug. Dabei hatte sie sich so auf seinen Besuch gefreut. Seit Kilian seine Werkstatt in Obersteinbach eröffnet hatte, war es einsam geworden in dem ehemaligen Austragshaus, in dem sie wohnte.
»Schön, dass du da bist!« Sie umarmte ihren Sohn herzlich. »Groß bist du geworden«, neckte sie ihn. Er überragte sie um einen Kopf, und durch die körperliche Arbeit waren seine Muskeln hart geworden. Er war wirklich ein stattlicher Bursche, ihr Kilian! Und das hatte sie ganz allein geschafft, nachdem sich sein Vater schon vor Kilians Geburt davongemacht hatte.
»Geh, Mutter, ich bin dreiundzwanzig, da wächst man nimmer!«, wehrte er ab und versuchte zu lächeln. Es wollte ihm nicht recht gelingen. Besorgt betrachtete Maria sein Gesicht.
»Jetzt setz dich erst einmal an den Tisch! Ich hab dir Speckbrote gemacht, die isst du doch so gern.« Gehorsam ließ sich der junge Holzschnitzer auf seinem Stammplatz am Tisch nieder. Er hatte keinen richtigen Hunger, aß aber gehorsam, um die Mutter nicht zu enttäuschen.
Kilian liebte sie sehr, und er wusste recht gut, unter welchen Entbehrungen sie ihn großgezogen hatte. Solange er denken konnte, hatte sie für andere Leute genäht. Jetzt freilich hatte sie Arthritis in den Gelenken, auch in den Händen, und so war das Leben für sie noch viel schwieriger geworden. Ihr Sohn versuchte, sie zu unterstützen, so gut er konnte. Aber er hatte ja selbst kaum genug. Erst im Sommer würde es besser gehen. Das hoffte er jedenfalls.
Dann konnte die Mutter vielleicht auch die Kammer vermieten, die er früher bewohnt hatte. Hergerichtet war sie schon. Doch um diese Jahreszeit ließ sich kein zahlender Gast im Hochtal blicken.
»So, jetzt sag mir, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist!« Maria wartete, bis er den Löffel ablegte und sich zurücklehnte. »Ich seh’s dir doch an, dass du was hast.«
»Ach. Es könnte besser sein mit dem Geschäft«, wich Kilian aus. »Jetzt nach Weihnachten geht nix. Im Dezember hab ich ein paar Krippenfiguren verkauft. Aber nun? Kruzifixe haben die Leut schon genug, und Andenken kaufen halt nur die Sommergäste.«
»Das hast du doch von vornherein gewusst, als du dich mit dem Laden selbstständig gemacht hast«, wunderte sich die Mutter. Sie ahnte, dass das nicht der wahre Grund war.
Kilian sah hinaus zum Fenster, um dem forschenden Blick seiner Mutter auszuweichen. So bescheiden der Austragshof war – der Ausblick war einfach atemberaubend. Von der Stube aus sah man den noch tief verschneiten Gipfel des Zirbelhorns, das sich vor dem blassblauen, winterlichen Himmel abzeichnete. Darunter die noch schneebedeckten Almen und den Bergwald.
»Es macht mich traurig, dich so bedrückt zu sehen«, seufzte die Adler-Maria. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Bub. Manchmal hilft es auch, wenn man sich nur ausspricht. Bei mir findest du allweil ein offenes Ohr.«
»Das weiß ich doch, Mutter.« Jetzt seufzte auch Kilian. »Mach dir keine Sorgen. Es ist wirklich nix Schlimmes. Ich hab mich da wohl in was verrannt. In ein paar Tagen hab ich’s mir ganz gewiss aus dem Kopf geschlagen.«
Prüfend schaute sie ihren Sohn in die offenen, braunen Augen. Ihr hatte er noch nie etwas vormachen können. Sie lächelte voller Wärme und Verständnis. »Gell, es ist ein Madl?«
»Woher weißt du das?«, fuhr der Bursch auf. Seine Wangen wurden brennend rot. Wie konnte die Mutter seine geheimsten Gefühle erraten und ihm auf den Kopf zusagen?
»Das seh ich dir an. Und? Wagst du es net, ihr deine Liebe zu gestehen? Oder bist du dir noch net sicher, dass sie die Richtige ist?«
»Die Richtige ist es, auf jeden Fall! Sie hat so ein liebes Gesichterl wie ein Engel, das kannst du dir gar net vorstellen. Und ihre Augen sind wie zwei Sterne am Himmel«, schwärmte Kilian hitzig.
»Dann hast du sie wohl sehr gern«, schmunzelte Maria. »Und warum schaust du dann so finster drein?«
»Weil ich sie nie im Leben bekommen werde. Höchstens im Traum. Sie ist unerreichbar. Außerdem hab ich sie mit einem anderem gesehen, und der passt auch viel besser zu ihr«, schloss er bitter.
»Und wahrscheinlich weiß sie net einmal, dass du dich in sie verguckt hast.«
Kilians Wangen wurden noch heißer. »Das darf sie auch net. Niemals! Auch du darfst es keiner Menschenseele verraten, Mutter.«
»Da kannst du dich drauf verlassen. Ich weiß doch net einmal, wer sie ist. Deine Beschreibung war ja nicht sonderlich genau. Du hast wirklich den Kopf verloren, Bub.« Maria schüttelte den Kopf. »Überleg dir nur gut, wem du dein Herz schenkst, ehe du dich unglücklich machst! Es muss halt passen. Sonst kann nix draus werden. Das lass dir von deiner Mutter gesagt sein! Ich wünsch dir so sehr, dass du mehr Glück im Leben hast als ich.«
»Schön wär’s. Aber daraus wird wohl nix. Ich bin ja nur ein armer Holzschnitzer. Was kann ich da vom Leben verlangen? Pfüat di, Mutter, und bis recht bald!«
Es wurde Zeit, sich auf den Rückweg nach Obersteinbach zu machen. Ein wenig besorgt sah ihm seine Mutter nach.
***
Leni stellte fest, dass die Eltern noch nicht zu Mittag gegessen hatten, obwohl es schon recht spät war. Die Suppe stand noch auf dem Ofen. Sie hastete in die Stube. Dort war niemand. Aber auf dem Tisch lag das Kruzifix aus dem Herrgottswinkel. Ein Stück war abgebrochen. Offenbar war es herunterfallen. Leni erinnerte sich, dass sie während des Streits ein Poltern gehört hatte.
»Du lieber Himmel«, flüsterte sie erschrocken. »Das bringt Unglück. Wenn’s net schon geschehen ist.« Sie hatte es plötzlich eilig, in den Stall zu kommen. Die ganze Zeit über hatte sie die Sorge um die Mutter keine Sekunde lang vergessen können. Wenn der Vater ihr in seinem maßlosen Zorn nur nichts angetan hatte!
Der warme, vertraute Geruch nach Tieren und frischem Mist schlug ihr entgegen, als sie die Stalltür öffnete. Sie atmete auf, als sie das Zischen der Melkmaschine hörte und im nächsten Moment das blau getupfte Kopftuch der Mutter erkannte, die das Milchgeschirr über die Stallgasse zur nächsten Kuh schleppte.
»Mutter! Ist alles in Ordnung?« Forschend versuchte Leni, im blassen Gesicht der älteren Frau zu lesen.
»Du kennst doch deinen Vater. Wenn er seine Launen hat, muss man ihn gewähren lassen.« Anna zuckte die Schultern.
Fast schämte sich Leni, dass sie insgeheim im Gesicht ihrer Mutter nach Spuren von Misshandlung Ausschau hielt. Schließlich war Veit ihr Vater. Aber sie konnte ihm einfach nicht vertrauen, und im Grunde traute sie ihm alles zu.
»Es tut mir leid, dass ich so spät komme. Wart, ich zieh mir rasch den Kittel und die Stiefel an, dann helfe ich dir!« Sie konnte nicht zuschauen, wie die Mutter sich ganz allein mit dem schweren Melkgeschirr abmühte. Ihr Vater war nirgends zu sehen, und Leni war froh darüber. In Gummistiefeln und einer geblümten Kittelschürze über der Jeanshose kam sie kurz darauf zurück. Nun ging es mit dem Melken flotter vorwärts.
Während Leni die Schläuche anlegte, wusch die Mutter schon das Euter der nächsten Kuh, kontrollierte und behandelte, wenn nötig, Verletzungen und wunde Zitzen.
»Ist der Vater nicht da?«, fragte Leni schließlich doch.
»Er füttert die Kälber.«
»Was?« Das Mädchen glaubte, sich verhört zu haben. »Ich dachte, es ist nix mehr da.«
»Einen Rest gab’s wohl noch. Ich hab auch schon beim Händler angerufen und neues Futter bestellt, zum Glück wird es morgen schon geliefert.«
»Oh, danke! Eigentlich wäre das meine Aufgabe gewesen«, meinte Leni schuldbewusst.
»Lass nur gut sein! Wir wollen den Vater doch net noch mehr reizen. Je eher er sich wieder beruhigt, desto besser ist es für uns alle. Es tut mir so leid, Leni, dass er allweil so hart zu dir ist!«
»Mach dir um mich keine Sorgen! Ich komme schon zurecht. Ich bin jung, und eines Tages …« Sie brach ab, erschrocken über sich selbst.
Was hatte sie sagen wollen? Dass sie irgendwann genug hatte von den Beschimpfungen und den Ungerechtigkeiten? Und was dann? Würde sie fortgehen? Die Mutter allein lassen mit dem jähzornigen Vater? Den Hof im Stich lassen, wo sie doch das einzige Kind und damit Hoferbin war? Darüber brauchte sie gar nicht nachzudenken, das war ganz und gar unmöglich.
»Ach, Leni!« Die Mutter trat zu ihr, nahm sie in die Arme, und einen Moment lang standen die beiden Frauen so aneinandergelehnt, als könnten sie sich auf diese Weise gegenseitig Kraft geben. »Die Männer sind halt so.«
»Alle?« Zweifel standen dem Mädchen ins Gesicht geschrieben. Die Blicke der Bäuerin wanderten in die Ferne, und ein Schatten flog über ihr Gesicht. Sekundenlang glaubte Leni, ihre Mundwinkel zucken zu sehen. Dann war der Moment vorüber, und die Mutter trat einen Schritt zurück.
»Jedenfalls musst du dir sehr gut überlegen, wem du einmal dein Herz schenkst. Sonst wirst du dein Leben lang bitter dafür büßen müssen.«
»So wie du?«, fragte Leni leise, doch die Mutter tat, als hätte sie nichts gehört, und begann, mit dem Eimer und dem Lappen zu fuhrwerken.
Wie so oft fragte sich Leni wieder einmal, wie ihre Mutter wohl an ihren Vater geraten war. Ob er als junger Mann anders gewesen war? Netter? Sanftmütiger? Sie versuchte, ihn sich als Burschen vorzustellen, doch es wollte ihr nicht richtig gelingen. Oder hatten vielleicht die Großeltern die Mutter zu der Heirat gedrängt? Aber sie war doch die Hoferbin gewesen, und er hatte eingeheiratet. Es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ihre Eltern sprachen nie über ihre Jugendzeit. Bis dahin war ihr das noch gar nicht aufgefallen.
Wenn sie einmal heiraten würde, dann auf jeden Fall den Richtigen. Da war sie fest entschlossen. Und dann musste auch der Vater sie in Frieden lassen, dann hatte er ihr nichts mehr zu sagen. Aber wer war der Richtige fürs Leben? Und wie fand man ihn?
Unwillkürlich musste Leni wieder an den Niedertaler denken, der sich solche Mühe gegeben hatte, sie aufzuheitern. Jetzt tat es ihr schon fast leid, dass sie so abweisend und schweigsam gewesen war. Aber da gab es auch den anderen, den sie im Dorf ganz kurz aus dem Augenwinkel gesehen hatte, ehe sie und Beni das Café betreten hatten. Der Bursch, der ihr Herz in solch seltsame Unruhe versetzte.
***
Am nächsten Tag schnitzte Kilian weiter an der Marienfigur. Da fiel es ihm schwer, sich ihr lebendiges Vorbild aus dem Kopf zu schlagen, denn immer wieder musste er sich das Gesicht und die schlanke Gestalt des Mädchens vorstellen, und dabei geriet er ins Träumen. Wenn er doch wenigstens ein erfolgreicher Bildhauer wäre, der mit seinen Arbeiten gutes Geld verdiente! Dann hätte er vielleicht eine Chance. Aber er musste ja schon froh sein, wenn er im Sommer ein paar Andenken verkaufte.
Er erschrak geradezu, als er die Klingel an der Ladentür hörte. Kundschaft? Jetzt, um diese Zeit? Noch mehr wunderte er sich, als er den Bäckermeister Anton Bruckner erkannte, der gleichzeitig der Bürgermeistermeister von Obersteinbach war.
»Grüß dich Gott, Kilian!«, begrüßte ihn der Mann freundlich. »Fleißig bei der Arbeit? Wie läuft das Geschäft?«
»Es könnte besser sein«, seufzte der junge Mann und strich sich die Locken aus der Stirn. Dabei rieselten einige Holzspäne herab.
»Ja, ja, es ist schwer, wenn man sich mit einem Handwerk selbstständig macht. Ich erinnere mich noch gut, wie ich selbst angefangen hab mit meiner Bäckerei. Das war auch net leicht.«
»Brot essen die Leut jeden Tag, aber Holzschnitzereien sind wohl net so gefragt.«
»Manchmal aber doch.« Der Mann lächelte geheimnisvoll. »Mir gefällt es, wenn ein Bursch wie du es wagt, sich auf eigene Füße zu stellen. Auch für das Dorf ist es ein Gewinn, wenn ein Holzschnitzer hier ansässig ist. Da bin ich gern zur Unterstützung bereit.«
Der macht’s aber spannend!, dachte Kilian. Dabei geht es wahrscheinlich eh nur um eine Kleinigkeit. Aber immerhin, nett von ihm.
»Was soll es denn sein?« Ein Kruzifix? Oder eine Heiligenfigur? Ich hab einige schöne Exemplare vorn im Laden. Außerdem hab ich eine Maria in Arbeit, aber die ist noch net ganz fertig.« Und er war sich auch gar nicht sicher, ob er sie wirklich verkaufen wollte, aber das sagte er natürlich nicht laut. »Ich schnitze selbstverständlich auch gern etwas nach persönlichen Wünschen«, fügte er stattdessen hinzu, als er das Kopfschütteln des Bürgermeisters sah.
»Nein, kein Heiliger. Darum geht es net. Du weißt doch wohl, dass wir hier im Hochtal jedes Jahr zur Fastnachtszeit den Perchtenlauf veranstalten. Das ist eine uralte Tradition, die wir in Ehren halten. Ein verwurzelter Brauch. Auch unsere Holzmasken, die dabei getragen werden, haben ein beträchtliches Alter. Einige von ihnen sind recht abgenutzt und im Laufe der Jahre sogar beschädigt worden. Zwei oder drei müssten wohl sogar neu geschnitzt werden, darunter die Maske der Percht.«
Kilians Lippen hingen wie gebannt an den Lippen des Bruckners, und mit jedem Wort wurden seine Augen größer. »Du meinst …?«
»Genau. Du hast es erraten. Wir haben im Gemeinderat beschlossen, dass sie restauriert werden sollen, und dafür auch etwas Geld lockergemacht. Für mich liegt es nahe, dass wir uns erst in der eigenen Gemeinde umschauen, wenn’s um die Vergabe des Auftrags geht. Da bist nun einmal du der einzige Holzschnitzer. Traust du dir so etwas zu?«
»Es wär mir eine Ehre.« Kilian strahlte. »Und, ja! Ich tät mein Bestes geben.«
»Das will ich hoffen. Ich hab mich nämlich persönlich für dich eingesetzt, weil es mir gefällt, mit welchem Mut du hier dein Geschäft eröffnet hast. Wie gesagt, tüchtige junge Leut sollte man unterstützen. Freilich gab es auch Gegenstimmen im Gemeinderat, die meinten, eine solche Aufgabe wär zu groß für dich, und du könntest es net bis zur Fastnacht schaffen. Es liegt jetzt an dir, ob du dich des Vertrauens würdig erweist.«
»Ganz bestimmt, Bürgermeister!« Kilians Wangen glühten. »Sobald ich die Masken in der Werkstatt hab, werde ich mit der Arbeit beginnen, und dann sind sie auch ganz sicher bis zur Fastnacht fertig. Es ist ja jetzt eh eine ruhige Zeit, da kann ich meine ganze Kraft den Holzmasken widmen. Du wirst es net bereuen, dass du mich als Schnitzer für diese fantastische Aufgabe ausgewählt hast!«
»Dann sind wir uns also einig.« Der Bürgermeister lächelte wohlgefällig und reichte den Burschen die Hand. »Ich werde dafür sorgen, dass dir spätestens morgen die Masken gebracht werden. Sie werden ja das Jahr über in einer Truhe im Gemeindeamt verwahrt und sind weggeschlossen, damit kein Schabernack damit getrieben wird und ihnen nix passiert. Sie sind ja recht wertvoll. Auch du musst sie gut verwahren, und bis zur Fastnacht sollte sie auch kein Unbefugter zu Gesicht bekommen.«
»Ich werde sie hüten wie einen Schatz. Bei mir sind die Masken in guten Händen. Das verspreche ich«, versicherte Kilian eifrig.
Der Bürgermeister wandte sich zum Gehen. Kilian rief ihm einen Dank nach.
»Danke mir erst, wenn alles zu einem guten Abschluss gekommen ist!« Der Bruckner hob grüßend die Hand.
»Das wird es«, flüsterte Kilian. »Dafür werd ich alles tun, was ich kann. Das ist mehr als nur ein willkommener Auftrag. Es ist meine ganz große Chance zu beweisen, was ich kann.«
***
Der Alltag auf dem Wurzbacher-Hof ging wieder seinen Gang, als wäre nichts gewesen. Der Lastwagen des Futtermittelhändlers war gekommen und hatte diesmal das richtige Futter für die Kälber geladen. Das hatte offenbar auch das Gemüt des Bauern beruhigt. Trotzdem ging ihm Leni vorsichtshalber aus dem Weg, um ihn nicht erneut zu reizen.
Sie war deshalb gleich einverstanden, als die Mutter sie rief, um sie ins Dorf zu schicken. Die Bäuerin hatte das beschädigte Kruzifix in ein Stück Papier geschlagen und drückte dem Mädchen das Paket in die Hand.
»Das kannst du zu dem jungen Holzschnitzer bringen, damit er es repariert. Es soll recht bald wieder im Herrgottswinkel hängen.«
Das ließ sich Leni nicht zweimal sagen. Ihre Füße flogen nur so dahin, und nicht einmal die großen Pfützen voller Schneematsch störten sie. Die Sonne nagte an den Schneebergen, die der Räumer während des Winters rechts und links der Straße aufgetürmt hatte.
Der Blick des Mädchens wanderte zum majestätischen Gipfel des Zirbelhorns, der das Hochtal überragte. Tief atmete sie die frische Luft ein. Diesmal hielt kein Auto, um sie mitzunehmen. Sie lief den ganzen Weg zu Fuß, doch die Zeit verging wie im Flug.
Ihr Herz klopfte, als sie die Tür zum kleinen Laden des Holzschnitzers öffnete. Ein Glockenspiel erklang, aber von dem Burschen selbst war nichts zu sehen. Dafür war von nebenan aus der Werkstatt ein Klopfen und Schaben zu hören. Sicher war er bei der Arbeit und hatte die Türglocke überhört.
Zaghaft trat sie in den Durchgang zur Werkstatt. Da stand Kilian über ein Werkstück gebeugt, ganz vertieft in seine Arbeit. Er schien so konzentriert, dass er sie selbst jetzt noch nicht einmal bemerkte. Was für ein fescher Bursch er ist!, dachte sie und betrachtete ihn ausgiebig. So schöne Locken! Und wie geschickt seine Hände sind!
Was für ein Glück, dass die Mutter sie zu ihm geschickt hatte! Schon oft hatte sie sich heimlich solch ein Zusammentreffen gewünscht. Aber es hatte sich bisher nie ergeben. Nur gut, dass er ihr Herzklopfen nicht hören konnte.
»Hallo?«, sagte sie. Der Kopf des Burschen fuhr hoch, und eine jähe Röte flog über seine Wangen. »Du bist der Kilian, gell? Ich kenne dich bisher nur vom Sehen. So lange bist du ja noch net im Dorf«, fuhr Leni fort und merkte selbst, wie belegt ihre Stimme klang. »Ich bin die Leni vom Wurzbacher-Hof.«
Der junge Schnitzer sah sie nur unverwandt an, wie eine Erscheinung. Kein Wort brachte er heraus. Leni fand das ein wenig seltsam, aber auch sie spürte eine ungewohnte Befangenheit. Sie legte das Paket mit dem Kruzifix auf die Werkbank.
»Die Mutter schickt mich und fragt, ob du das richten kannst.«
Endlich löste sich Kilian aus seiner Erstarrung. Er wickelte das Kruzifix aus und begutachtete es fachmännisch. Als seine Arbeit gefragt war, fing er sich allmählich wieder. Inzwischen schaute sich Leni neugierig in der Werkstatt um. Ihr Blick fiel auf die Marienstatue, die der Schnitzer in die Werkbank eingespannt hatte. Ihre Augen wurden groß, und ihr Blick flog zwischen dem jungen Holzschnitzer und seinem Werk hin und her.
Die Statue war wunderschön, das sah man schon jetzt, obwohl sie noch nicht fertig war. Aber das war es nicht, was Leni den Atem raubte. »Das ist ja – deine Madonna schaut ja aus wie ich!«, stieß sie verblüfft hervor. »Was für ein Zufall!«
»Ja.« Kilian räusperte sich. Seine Kehle war eng, und vor Verlegenheit wäre er am liebsten im Boden versunken. »Du hast es gleich bemerkt? Dann hab ich wohl meine Arbeit gut gemacht. Aber ein Zufall ist es net.«
»Was sagst du da? Ich versteh gar nix mehr.« Leni sah ihn an. Auch ihre Wangen waren jetzt flammend rot. Konnte es denn wahr sein, dass Kilian die gleichen heimlichen Gefühle für sie hegte wie sie für ihn? Sie hatten sich doch noch nicht einmal wirklich kennengelernt. Gab es so etwas nicht nur in Romanen?
»Ich hab tatsächlich dich als Modell für die Maria genommen. Schon als ich dich das erste Mal gesehen hab, hat’s mich wie ein Blitz getroffen. Und seither hab ich dich nimmer aus dem Kopf bekommen. Aber was red ich? Du musst entschuldigen. Mir ist ganz wirr im Kopf. Heut ist nämlich ein Glückstag. Ich wollte dich net in Verlegenheit bringen.«
Ganz durcheinander war er. Der große Auftrag musste schuld daran sein, dass er nicht wie sonst auf seine Worte achtete und sein Herz auf der Zunge trug!
»Ach, Kilian. Wenn du wüsstest, dass auch ich heimlich an dich gedacht hab!« Das Geständnis kostete Leni all ihren Mut. Aber jetzt war es heraus.
»Wirklich? Ist das wahr?« Ungläubig sah er sie an. »Doch ich dachte, ein Madl wie du tät einen armen Holzschnitzer gar net beachten.«
»Wie kommst du denn darauf? Was zählt, ist schließlich allein der Mensch und net, ob er ein Bauer oder ein Bäcker oder eben ein Holzschnitzer ist.«
»So denken aber net alle.« Das wusste Kilian nur zu gut. In Obersteinbach gab es ganz sicher genug Leute, die da ganz anderer Meinung waren. Aber im Moment war Kilian viel zu aufgeregt, um weiter darauf einzugehen. »Doch da ist noch was.« Er brach ab und schaute zu Boden.
»Sag’s nur!«, forderte Leni ihn auf.
»Ich hab dich mit einem anderen gesehen. Grad gestern erst.«
»Ach, das war doch der Niedertaler-Beni«, lachte Leni. »Der ist halt ein Nachbar, und er kam gestern zufällig daher.«
»Wenn das so ist, dann bin ich froh. Dann sehen wir uns wieder, Leni?«
»Freilich.« Sie zwinkerte ihm übermütig zu. »Du hast doch einen Auftrag zu erledigen. Schon vergessen? Ich werde dafür sorgen, dass ich das Kruzifix persönlich abhole.«
Eigentlich hatte Kilian auf ein richtiges Stelldichein gehofft. Aber immerhin würde er Leni wiedersehen. Schon bald! Zu viel durfte er wahrhaftig nicht verlangen. Noch vor einer halben Stunde hätte er es für ganz und gar unmöglich gehalten, das Mädchen jemals um ein Wiedersehen zu bitten.
»Ich werde mich noch heute an die Arbeit machen. Bis du kommst, hab ich ja zum Glück die Madonna, die ich mir allweil anschauen kann.«
»Dass du mich nur darüber net vergisst!«
»Wie könnte ich?«, beteuerte Kilian entrüstet. Schon jetzt bedauerte er es, dass Leni sich auf den Heimweg machen musste. Aber auch er hatte auf einmal mehr als genug zu tun. Heute war wirklich sein Glückstag! So schnell hatte sich sein Schicksal gewendet.
***
Tatsächlich brachte ein Bote am nächsten Abend eine schwere Kiste mit den alten Holzmasken. Kilian half ihm, sie in die Werkstatt zu tragen. Er konnte es kaum erwarten, sie zu begutachten, um einzuschätzen, was zu tun war.
Voller Ehrfurcht nahm er eine Maske nach der anderen aus der Kiste. Er sah gleich, dass der Bruckner recht hatte: Die Maske der Percht und zwei andere mussten neu geschnitzt werden. Aber das schreckte ihn nicht. Schließlich hatte er sein Handwerk gelernt!
Mit Feuereifer stürzte er sich in die Arbeit. Das Kruzifix für den Wurzbacher-Hof hatte er bereits fertig, und Leni hatte es wie versprochen abgeholt. Allerdings hatten sie nur einen kurzen Augenblick miteinander gehabt, weil Leni rasch wieder heimgemusst hatte. Immerhin war es ihm gelungen, sich mit ihr für den Samstagabend zu einem heimlichen Stelldichein am alten Stadl außerhalb des Dorfes zu verabreden. Kilian war überglücklich. So glücklich, dass er seine Freude unbedingt mit einem Menschen teilen musste.
So schneite er ein paar Tage später während seiner Mittagspause überraschend bei seiner Mutter herein. Die Adler-Maria rührte gerade in einem Topf auf dem Herd. Dabei summte sie vor sich hin.
»Hm, das riecht aber gut!« Kilian trat zu ihr und linste über ihre Schulter in den Topf. Er war froh, dass es der Mutter gut zu gehen schien. An manchen Tagen machten ihr die Schmerzen arg zu schaffen.
»Kilian! Du schon wieder!« Maria freute sich, ihren Sohn zu sehen.
»Ich hab Neuigkeiten!«, platzte der Bursch heraus. »Du ahnst net, was geschehen ist!«
»Wie es scheint, sind es gute Neuigkeiten.« Die Frau wandte sich um und musterte ihren Sohn eingehend. So strahlend und übermütig hatte sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Lass mich raten. Das Madl? Seid ihr zwei euch einig?«
»Noch soll es ein Geheimnis bleiben. Aber sie hat gesagt, sie ist mir gut, und ganz bald seh ich sie wieder. Oh, Mutter, ich bin ganz aus dem Häusl vor lauter Glück! Ich könnte den ganzen Tag jubeln und singen.«
»Dann ist’s dir also ernst? Du bist doch hoffentlich net so ein Hallodri, der ein Madl unglücklich macht? Das könnte ich nämlich net ertragen, wenn mein Sohn so ein Schürzenjäger wär.« Beide mussten in dem Moment wohl an Kilians Vater denken, der sich damals davongemacht und seine schwangere Freundin im Stich gelassen hatte.
»Du weißt doch, dass ich net so einer bin«, erwiderte Kilian treuherzig.
»Wenn das so ist, dann solltest du sie bald einmal mit herbringen und auch mit ihren Eltern reden. Das gehört sich so hier im Tal.«
»Geh, Mutter, immer mit der Ruhe! Das hat doch nun wirklich noch Zeit«, wehrte Kilian ab.
Der Gedanke, dem Wurzbacher-Bauern gegenüberzutreten, verursachte ihm Unbehagen. Er konnte sich schon denken, dass der Bauer von einem armen Holzschnitzer als künftigem Schwiegersohn nicht gerade begeistert sein würde. Anderseits stand er bald in den Augen der Dörfler ganz anders da. Wenn erst die Masken fertig waren, dann hatte er nicht nur Geld in der Tasche, sondern war auch als Handwerker angesehen und erfolgreich. Das musste dann auch der Wurzbacher anerkennen.
»Gib mir noch ein bisserl Zeit, Mutter!«, fuhr er fort, als er ihre zweifelnde Miene sah. »Noch ein paar Wochen. Bis dahin soll es ein Geheimnis bleiben. Und dann kann ich auch ihrem Vater ins Gesicht schauen.«
»Was soll sich denn bis dahin ändern?« Maria schüttelte den Kopf.
»Das darf ich dir net sagen«, wehrte Kilian ab, obwohl es ihm geradezu auf der Zunge brannte, seiner Mutter von seinem großen Auftrag zu erzählen. Er platzte ja geradezu vor Stolz.
»So? Du bist ja heute ein richtiger Geheimniskrämer.« Die Mutter war etwas beunruhigt. Es sah Kilian gar nicht ähnlich, so schweigsam zu sein. Schon als Kind hatte er nie etwas für sich behalten können. Doch diesmal blieb er hart und verriet nichts.
Hoffentlich ist der Bub net in ungute Machenschaften verstrickt!, dachte sie besorgt. Er ist ja ein junger Bursch, da ist man schon mal leichtsinnig. Andererseits vertraute sie ihrem Sohn, und bisher hatte sie keinen Grund zur Klage gehabt.
»Auch ich hab Neuigkeiten«, lenkte sie schließlich ein, als das Schweigen in der Küche anhielt. »Du wirst es net glauben, aber ich hab schon einen Gast, der in deiner alten Kammer wohnt. Sogar mit Verpflegung.« Für ihn war also die Leberknödelsuppe bestimmt.
»Was! Das ging ja schnell!«, wunderte sich Kilian. Jetzt verstand er die gute Laune seiner Mutter. »Wer ist es denn? Und was tut er um diese Zeit hier im Hochtal?«
»Na, was schon? Ruhe sucht er. So hat er’s mir erklärt. Er kommt aus der Stadt und will eine Weile aus dem Trubel und dem Stress heraus und unsere schöne Bergwelt genießen. Da ist er hier genau richtig. Schau nur aus dem Fenster! Wo gibt’s schon so einen großartigen Ausblick?«
»Schon«, gab Kilian zu. Er wusste selbst nicht, warum er die Begeisterung seiner Mutter nicht richtig teilen konnte. Schließlich hatte er selbst geholfen, die Kammer herzurichten, und er wusste auch, wie knapp das Geld im alten Austragshaus war. Doch jetzt, da der erhoffte Gast so plötzlich hier war, spürte er ein seltsames Unbehagen. Maria sah es ihm an.
»Freust du dich denn net?«, fragte sie enttäuscht. »Oder warum schaust du so skeptisch?«
»Na ja, wenn ich mir vorstelle, dass du hier ganz allein bist mit einem wildfremden Mann, dann ist mir net wohl«, räumte Kilian ein.
»Ach was!« Die Adler-Maria lachte auf. »Ein Mannsbild kommt mir nimmer zu nah. Das hab ich mir damals hoch und heilig geschworen. Und glaub mir, ich weiß mich zu wehren. Aber dieser Mann ist ein ganz netter. Er macht kaum Arbeit, ist schnell zufrieden, und den ganzen Tag über ist er unterwegs, oft mit den Langlaufskiern. Er interessiert sich für alles, was im Tal passiert, und ist sehr interessiert. Mit dem hab ich wirklich Glück.«
»Hoffentlich!« Kilian war noch immer nicht ganz überzeugt. Aber natürlich gönnte er seiner Mutter das Zubrot.
»Manchmal kommt es mir vor, als hätt ich ihn schon mal gesehen. Aber das liegt wohl daran, dass man so rasch vertraut mit ihm wird. Wenn du noch bleibst, dann lernst du ihn kennen und siehst, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«
»Das tät ich gern. Vielleicht ein anderes Mal. Aber ich muss zurück. Ich hab überhaupt keine Zeit. Die Arbeit wartet!«
Die Arbeit? Maria glaubte, sich verhört zu haben. Bei seinem letzten Besuch hatte Kilian sich doch noch beklagt, dass er kaum etwas zu tun hatte. Er hatte sich in der kurzen Zeit sehr verändert. Hoffentlich macht er net doch irgendwelche Dummheiten!, dachte sie, und ihre Sorge flammte erneut auf.
***
Leni konnte den Samstagabend kaum erwarten. Sehnsüchtig zählte sie die Stunden. Nach dem Melken und dem Nachtessen schützte sie Müdigkeit vor. Doch anstatt in ihre Kammer zu gehen, schlich sie sich mit klopfendem Herzen aus dem Haus. Zum Glück schwebten immer wieder schwarze Wolken über den Himmel und verdunkelten den Mond.
Niemand durfte wissen, dass sie sich heimlich mit einem Burschen traf, erst recht nicht der Vater! Hastig lief sie über die schneebedeckten Wiesen. Der Schnee war in der Abendkälte wieder gefroren und knirschte unter ihren Schritten. Würde Kilian da sein? Was, wenn er sie versetzte?
Ihr Herz krampfte sich zusammen. Das würde sie nicht ertragen!
»Pst! Leni! Bist du das?« Ein Flüstern in der Schwärze hinter dem alten Stadl.
»Wer denn sonst? Wartest noch auf eine andere?«, gab sie zurück.
»Du Dummerl! Wissen deine Eltern, wo du bist?«
»Bist du narrisch?«, fuhr Leni auf. »Das dürfen sie net erfahren. Der Vater wär außer sich.«
Kilian sank das Herz. »Hör zu! Wenn du’s dir anders überlegt hast, also, wenn du lieber mit einem anderen …«
Weiter kam er nicht. Denn Leni küsste ihn so unvermittelt und verschloss ihm damit die Lippen, dass er völlig überrumpelt war und erst einmal nicht reagierte. Dann kam Leben in ihn, und leidenschaftlich erwiderte er ihren Kuss. Fest nahm er sie in seine Arme, als wollte er sie nie mehr loslassen.
»Oh, Madl!«, stöhnte er, als sie endlich einmal zu Atem kamen. »Ich kann dir gar net sagen, wie gut ich dir bin.«
»Und ich erst.« Im Mondlicht, das sich in diesem Moment hell über die silbrigen Wiesen ergoss, versuchte sie, ihm in die Augen zu schauen. »Ich bin so froh, dass unser Kruzifix aus dem Herrgottswinkel zerbrochen ist. Ich weiß, das sollte ich net sagen, aber es ist die Wahrheit. Zuerst hab ich befürchtet, dass es Unglück bringt. Aber das Gegenteil ist passiert. Es hat Glück gebracht, weil es uns in deiner Werkstatt zusammengeführt hat.«
Keiner von ihnen ahnte, auf welch schwankenden Füßen ihre junge Liebe stand. Immer wieder fanden sich ihre Lippen, und für einen seligen Abend schienen alle Sorgen weit entfernt zu sein.
***
In den nächsten Tagen war Leni hin und her gerissen. Mal jauchzte ihr Herz, und zwar immer dann, wenn es ihr gelang, sich mit Kilian zu einem heimlichen Treffen zu verabreden. Dann wieder befielen sie Zweifel, denn der Bursch hatte kaum Zeit für sie.
Immer wieder schützte er Arbeit vor. Doch was hatte er denn während all der Stunden so Dringendes in seiner Werkstatt zu tun? Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, und er wollte es ihr nicht verraten.
Ging er ihr etwa aus dem Weg? War seine Liebe doch nicht so aufrichtig, wie er immer wieder beteuerte? Oder gab es einen anderen Grund für seine Heimlichkeiten?
Immer wieder zerbrach sich Leni den Kopf, wenn Kilian ein Stelldichein verschob oder es geradeheraus ablehnte. Dann wieder waren seine geflüsterten Worte herzergreifend, seine so Küsse so leidenschaftlich, dass sie in seinen Armen alle Zweifel vergaß.
Zum Glück gab es auf dem Wurzbacher-Hof genug Arbeit, sodass sie sich ablenken konnte. Als die Mutter sie mit einer Besorgung ins Dorf schicken wollte, stimmte sie freudig zu. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, rasch bei Kilian in der Werkstatt vorbeizuschauen. Wenigstens auf ein Wort …
Leni zog ihre Winterstiefel an und machte sich beschwingt auf den Weg. Auf halber Strecke hörte sie ein Auto kommen und wich zur Seite, um es vorbeizulassen. Doch der Wagen stoppte.
»So ein Zufall, dass wir uns treffen! Willst du ins Dorf? Soll ich dich ein Stück mitnehmen, Leni?« Es war der Niedertaler-Beni. »Oder vielleicht hast du ja wieder einmal Zeit für einen Kaffee?«
Ganz bestimmt nicht, dachte Leni erschrocken. Schon einmal hatte der Cafébesuch mit Beni fast zu einem fatalen Missverständnis geführt, und wenn Kilian sie zufällig noch einmal zusammen mit dem jungen Bauern sah, was musste er dann von ihr denken?
»Danke, das ist nett von dir. Aber wirklich net«, wehrte sie daher ab.
»Was?« Der Bursch runzelte die Brauen. »Du gibst mir einen Korb?«
»Nix für ungut, Beni.« Leni schüttelte den Kopf.
»Also das musst du mir jetzt aber erklären. So leicht kommst du mir net aus.«
Zorn regte sich in dem Niedertaler. Seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte er gegrübelt, wie er die schöne Nachbarstochter zu einem Wiedersehen überreden könnte. Bisher hatte es freilich der Zufall nicht gewollt, dass sie sich über den Weg liefen, und dreist auf dem Hof zu erscheinen und nach ihr zu fragen hatte er dann doch nicht gewagt. Die Begegnung auf der Straße kam ihm daher gerade recht.
»Was soll denn das, Beni?« Leni sah ihn verständnislos an. »Zwischen uns ist doch nix. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
Anstatt ihn zu beschwichtigen, reizten ihn ihre Worte nur noch mehr.
»Das seh ich aber ganz anders. Erst machst du mir Hoffnungen und lässt dich einladen, und auf einmal soll nix gewesen sein? Das kannst du mit mir net machen.« Er stieg aus, ließ den Wagen einfach stehen und baute sich vor ihr auf. »Wenigstens eine Erklärung bist du mir schuldig.«
Leni wich einen Schritt zurück und geriet in den Schneehaufen, den der Räumer am Straßenrand aufgetürmt hatte. Sie hatte ja nicht geahnt, dass der Bursch mehr in ihrem harmlosen Cafébesuch gesehen hatte als sie! Nun war er offensichtlich gekränkt. Das hatte sie nicht gewollt.
»Also schön.« Sie seufzte. Sie musste wohl ein klares Wort sprechen. »Ich hoffe nur, dass du ein Geheimnis für dich behalten kannst. Es gibt einen anderen, dem mein Herz gehört. Ich bin mir mit dem Kilian einig.«
»Ach, so ist das also! Erst macht du mir schöne Augen, und dann gibt’s auf einmal einen anderen?« Jähe Eifersucht schoss in Beni auf, und da war es ihm egal, dass seine Worte nicht ganz den Tatsachen entsprachen. Auch Leni war sich sicher, dass sie Beni keinen Anlass zu falschen Hoffnungen gegeben hatte, und das sagte sie ihm auch. Doch davon wollte der junge Bauer nichts hören.
»Ausgerechnet dieser Habenichts! Dieser Zugereiste, der net einmal aus Obersteinbach ist. Und diesen windigen Kerl ziehst du mir vor? Wegen dieses Haderlumpen willst du auf einmal nix mehr von mir wissen? Ja, bist du denn noch ganz gescheit?« Er sah nur noch rot. Wie eine Welle packte ihn die Wut. »Du Flitscherl!«, stieß er hervor und machte drohend einen Schritt auf Leni zu.
Erschrocken wich sie weiter zurück, stolperte im tiefen Schnee und stürzte. Gleich war Beni über ihr und packte sie hart am Arm. Sein wutverzerrtes Gesicht war dicht über ihr.
»Das lass ich mir net bieten! Verstehst mich!«
»Hör auf! Lass mich!«, schrie Leni auf. Sie bekam es mit der Angst zu tun.
In dem Moment tauchte eine hochgewachsene Gestalt hinter dem Burschen auf, packte ihn an beiden Armen und riss ihn zurück. Der Mann trug Skikleidung und eine Wollmütze auf dem Kopf. Seine Skibrille hatte er in die Stirn geschoben. Leni hatte ihn noch nie gesehen.
»Was fällt dir ein, Bürscherl! Lass sofort das Madl in Frieden!«, verlangte der Fremde.
Beni war zu überrumpelt, um sich zu wehren. Er fuhr herum und starrte den Mann an. Einen Augenblick ballte er die Hände zu Fäusten und schien auf den anderen losgehen zu wollen. Doch dann besann er sich. Er stampfte auf, um den Schnee von den Schuhen abzuschütteln, warf Leni noch einen bösen Blick zu und ging zu seinem Auto. Dabei fluchte er leise vor sich hin, aber was er sagte, war nicht zu verstehen. Härter als nötig schlug er die Autotür zu und gab Gas.
Das alles ging so schnell, dass die verblüffte Leni gar nicht wusste, wie ihr geschah. Sie wollte sich bei dem Fremden bedanken. Doch der hatte sich schon abgewandt, war in seine Langlaufskier geschlüpft, die er am Rand der verschneiten Wiese zurückgelassen hatte, und schon ein Stück weit entfernt. Schnurgerade führte seine Spur über die Weide.
Leni schüttelte fassungslos den Kopf. Dann machte sie sich auf den Weg ins Dorf. Kilian traf sie an diesem Tag nicht mehr.
***
Tatsächlich arbeitete Kilian Adler mit Feuereifer an der Restaurierung der Holzmasken für den Perchtenlauf. Zu gern hätte er Leni häufiger gesehen und mehr Zeit für sie gehabt. Doch er durfte seinen großartigen Auftrag nicht gefährden und musste sich auf jeden Fall der Ehre und des Vertrauens würdig erweisen, dass der Gemeinderat in ihn setzte. Da musste die junge Liebe notgedrungen ein wenig zurückstehen.