Heimkehr nach Windermere - Mary Crestwick Blythemore - E-Book

Heimkehr nach Windermere E-Book

Mary Crestwick Blythemore

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Beschreibung

Sie dachte, er wäre der Eine. Sie dachte, es wäre für immer. Sie dachte, sie hätte ihr Glück gefunden. Doch dann ging er weg. Mit seiner Frau. Und Claudia steht nun nach fast zwanzig Jahren wieder ganz alleine da. Als sich nach fast 20 Jahren On- und Off-Beziehung ihr Liebhaber und väterlicher Mentor John von der Londoner Ärztin Claudia trennt, um in die Vereinigten Staaten umzuziehen und der Ehe mit seiner Frau eine neue Chance zu geben, bricht für Claudia eine Welt zusammen. Soll sie Johns alte und nur ihr angebotene Stelle als Chefärztin des Camden Hospitals annehmen und damit möglicherweise auf privates Glück für immer verzichten? Claudia fragt sich, ob das schon alles war. Claudia fragt sich, wann sie eigentlich zum letzten Mal richtig glücklich war. Kurzentschlossen nimmt sie den Zug in Richtung Norden, nach Windermere im Lake District im Nordwesten Englands, von wo sie vor 20 Jahren zum Studium nach London aufgebrochen ist. Sie geht auf die Suche nach Kindheitserinnerungen, alten Freunden und ehemaligen Liebhabern. Und auf die Suche nach dem, was sie wirklich will. Zwei Wochen, um herauszufinden, wer sie wirklich ist. Zwei Wochen, um alte Freunde und Liebhaber wieder zu treffen. Zwei Wochen, um zu entscheiden, was sie wirklich will. Zwei Wochen, um endlich ihr Glück zu finden.   Erstveröffentlichung: 19. August 2019

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Mary Crestwick Blythemore

Heimkehr nach Windermere

Roman

Copyright © 2019 Mary Crestwick BlythemoreCopyright © 2019 Umbelico Media & Entertainmentwww.umbelico.com/maryfacebook.com/mary.crestwick.blythemore

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Sämtliche Figuren dieses Buches sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Covergestaltung unter Verwendung des Fotos ”Lake Windermere from Orrest Head, Lake District” von Gary Campbell-Hall unter der Lizenz von Creative Commons Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en

www.umbelico.com/mary

Heimkehr nach Windermere

Das Video zum Buch

www.tiny.cc/mcbhnw

John

Claudia rannte über den zugigen Bahnsteig von London Euston Station und erreichte den Zug in Richtung Norden gerade noch im letzten Moment, bevor sich die Türen schlossen und er sich langsam aber stetig in Bewegung setzte. Wagen für Wagen bahnte sie sich unter den genervten Blicken der bereits sitzenden Reisenden mit ihrem kleinen Rollkoffer den Weg zu ihrem reservierten Platz, während der Zug laut ratternd über die Weichen vor dem Bahnhof schwankte. Sie fand ihren Sitz schließlich am entgegengesetzten Ende des Zuges, schob ihren Koffer hastig auf die Ablage und setzte sich. Claudia nahm ihren Schminkspiegel aus der Handtasche und wischte sich mit ihrem Taschentuch über die verweinten Augen.

Warum hatte ausgerechnet sie geweint? Claudia, beinahe 40, war eine erfolgreiche Frau, mitten im Leben stehend. Nach glanzvollem Medizinstudium war sie seit Jahren am Londoner Camden Hospital als Ärztin tätig, erst in der Fortbildung,  dann als General Practitioner. Und nun war ihr sogar der Chefposten als Consultant angeboten worden! Wäre da nicht noch die Sache mit John. John, ihrem Professor an der Universität, ihrem väterlichen Mentor während der letzten 15 Jahre am Camden Hospital, dem bisherigen Chefarzt und ihrem heimlichen Geliebten. Seit fast zwanzig Jahren.

Als sie sich zum ersten Mal nach den Vorlesungen an der Universität heimlich trafen, da war alles noch verwegen und aufregend. Ihre heimliche Affäre folgte keinem Plan und sie genossen unbeschwert jeden Moment des Zusammenseins: Die verführerische junge Studentin und ihr verheirateter Professor. “Meine Frau darf nichts wissen.” wurde ihr gemeinsames Mantra durch die Universitätsjahre. Später folgte sie ihm an sein Hospital in London. Da hatte seine Frau wohl schon so eine Ahnung. Und das ganze Ärzteteam zumal. Auf betrieblichen Veranstaltungen kam sie bald ganz offiziell mit als seine Partnerin. Auch wenn sie nie jemand offen darauf ansprach. Und danach ging John wieder nach Haus zu seiner Frau. 

Für eine Zeit hatte dieses Arrangement sehr gut funktioniert. Oder hatte Claudia sich da etwas vorgemacht? Schon als Kind hatte sie die Nachbarsjungen immer wieder gezwungen, weiße Hochzeit mit ihr zu feiern. Mit den alten Gardinen vom Dachboden, den Girlanden und Lampions vom Sommerfest und dem altersschwachen grau-gefleckten Shetlandpony als stolzem weißen Pferd. Insgeheim hatte Claudia wohl immer gehofft, John würde sie irgendwann in ein gutes Restaurant einladen, vor ihr niederknien und ihr eröffnen, dass er seine Frau verlassen und sie heiraten würde.

Die Jahre vergingen, Johns Haare wurden grauer, sie fand morgens die ersten Fältchen im Spiegel und riss verlegen die ersten grauen Haare aus ihren langen schwarzen Locken. Doch ansonsten änderte sich nichts. John und Claudia lebten ihren Alltag im Krankenhaus und danach ging John wieder zurück in seine andere Welt. Zu seiner Frau. Nur selten blieb er in Claudias kleiner Wohnung über Nacht.

Mehrmals hatte Claudia John verlassen, in der Hoffnung auf einen Neuanfang und neues Glück. Doch sie war immer wieder schwach geworden und zu ihm zurückgekehrt. Hatte seinen Liebesschwüren geglaubt, dass er nur sie liebe und mit seiner Frau nur der Kinder wegen zusammen bleibe. Und dass eines Tages, wenn die Kinder aus dem Haus wären, sie die Einzige für ihn sein würde.

Darauf hatte sie auch vor genau einer Woche wieder gehofft, als John sie ins trendige Sushi-Restaurant mit Blick über die alte Kanalschleuse vom Camden Lock einlud. Zwischen den rustikalen alten Fabrikgebäuden und der altertümlichen Schleuse standen kleine Tische mit Stühlen. Und der einzige Tischschmuck waren eine Flasche Sojasauce und ein Becher mit Essstäbchen und roten Servietten. Das junge und trendbewusste Publikum aus der weiteren Umgebung traf sich gerne abends hier auf einen Snack oder eine Portion Sushi. Für Claudia und John war es einfach nur ein in jeder Hinsicht naheliegender Ort. Nicht zu weit vom Krankenhaus, um sich nach der Arbeit schnell auf einen Happen zu treffen. Und zudem ein Ort, den Johns Frau von sich aus nie besuchen würde.

Es war ein schon fast sommerlicher Spätfrühlingstag. Seit mehreren Tagen hatte es nicht mehr geregnet und es war warm genug, um auch abends noch ohne Jacken und Pullover draußen zu sitzen. Claudia wusste, dass Belinda, Johns jüngste Tochter,  gerade die Schule verlassen hatte und zum Studium nach Oxford gegangen war. Eigentlich wäre das jetzt genau ihr Tag gewesen, wo er endlich frei für sie sein würde und sein altes Leben hinter sich lassen könnte, um nur noch ihr zu gehören. 

Johns Blick war ernst und unruhig, als sie sich an diesem Abend trafen. Mit seinem blauen Poloshirt, den karierten Golfhosen und dem Duft des nicht mehr ganz aktuellen Herrenparfüms aus der Vorsaison wirkte er hier im trendigen Szeneviertel Camden Lock etwas deplaziert. Claudia lächelte erwartungsvoll. Er setzte an zu sprechen, doch er druckste herum und griff dann nervös nach der Karte, um etwas zu bestellen.

“Du weißt, dass Belinda jetzt nach Oxford gegangen ist?”, begann er wenige Augenblicke später zögerlich. Claudia kam es vor wie Stunden. Sie nickte. Natürlich wußte sie das. Nach all seinen Erzählungen und den Fotos in seinem Portemonnaie hatte sie seine Kinder fast wie eigene aufwachsen sehen. Auch wenn sie sich persönlich nie begegnet waren. “Ja, und da haben meine Frau und ich uns jetzt endlich mal gründlich ausgesprochen, weißt du.”, fuhr John fort. Claudia lächelte verhalten. “Und wir haben uns darauf verständigt, dass wir uns nochmal eine Chance geben wollen. Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten und haben vielleicht nur noch diese eine Chance.” Claudias Blick verfinsterte sich abrupt. “Und dann kann das hier leider nicht mehr weitergehen.”, presste John hastig heraus.

Seine Worte trafen sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hatte sie gerade noch erwartet, dass er gleich vor ihr auf die Knie gehen würde, um ihr in aller Form einen Heiratsantrag zu machen, so hatte er jetzt mit zwei kurzen Sätzen all ihre Träume zerstört. “Das hier!” Ihre jahrelange Beziehung, ihre Liebe war für ihn ein “das hier?” Sie fühlte sich, als hätte jemand einen Eimer eiskalten Wassers über ihr ausgeleert. “Ihr wollt was?”, fragte sie, während erste Tränen in ihre Augen schossen. “Schau, Claudia.”, antwortete er: “Wir wussten beide immer, dass dieser Tag kommen würde.” “Nichts wußte ich!”, brauste Claudia auf: “Von Heirat und einem gemeinsamen Leben haben wir immer gesprochen!”

Er schaute nervös um sich. Ihre Tränen waren ihm sichtlich unangenehm. “Es ist halt so, wie es ist.”, stammelte er trocken: “Ich habe dir nie wirklich Versprechungen gemacht.” “Von Heirat haben wir gesprochen!”, schrie Claudia laut und alle Gäste des Restaurants schauten jetzt auf ihren Tisch. “Sei doch still!”, fauchte John peinlich berührt: “Das waren doch nichts als Hirngespinste. Geschichten nur für den Moment.” “Nur für den Moment?” Claudia sah ihn mit großen verweinten Augen an. John nickte. “Es ist halt jetzt so, wie es ist. Ich habe eine Stelle in den Staaten angeboten bekommen. Die habe ich angenommen. Wir wollen dort neu anfangen. Meine Frau und ich.” “Du gehst weg?”, fragte Claudia erschrocken und einen Tonfall zu laut. John schaute sich nervös um und stand auf. “Es war schön mit dir. Mach es gut!” Er nestelte in seiner Geldbörse, legte einen Geldschein für die Rechnung auf den Tisch, ging und ließ Claudia allein zurück im Restaurant.

Während Claudia die Szene jetzt eine Woche später im Zug Richtung Norden noch einmal vor ihrem geistigen Auge abspielen ließ, wunderte sie sich, dass er nur einen Schein für die Bedienung liegen gelassen hatte und nicht auch einen für sie. So billig war dieses Schlussmachen, so eiskalt seine Absage an sie gewesen. Jahrelang hatte sie davon geträumt, eines Tages mit John ein gemeinsames Leben zu beginnen. Und nun fühlte sie sich um all die Jahre des Wartens betrogen. Abserviert, wie die heimliche Geliebte, die sie für ihn wohl immer nur war. Ein gehässiges “Ha!” entfuhr ihr laut, als sie darüber im Zug nachdachte. Und die ältere Lady und das kleine Mädchen, die ihr gegenüber saßen, musterten sie erschrocken mit argwöhnischen Blicken.

Gleich am nächsten Tag hatte ihr der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses Johns Chefarztstelle angeboten. Chefärztin zu werden, das war eigentlich immer ihr großer Traum gewesen. Doch unter den aktuellen Umständen fühlte sich das durch und durch falsch an. Falsch, weil sie auf Johns altem Bürostuhl sitzend jeden Tag aufs Neue an die gemeinsame Zeit erinnert würde. Falsch, weil sie den Eindruck hatte, dass sie für die Klinikleitung nur eine bequeme Schnelllösung für den plötzlich frei gewordenen Posten von John an der Spitze zu sein schien. Und falsch, weil ihr schon ihre jetzige Arbeit jenseits der Schäferstündchen mit John kaum Zeit für ein Privatleben gelassen hatte. Wie sollte sie in dem neuen Job mit noch mehr Arbeit und Verantwortung denn überhaupt noch Zeit finden, einen Partner zu finden oder gar eine Familie zu gründen?

Claudia bat um zwei Wochen Bedenkzeit, die ihr wenig begeistert gewährt wurde. Man hatte wohl mit einer sofortigen und freudigen Zustimmung gerechnet. Doch Claudia stand der Sinn jetzt nicht nach Entscheidungen. Wie paralysiert saß sie abends am Küchentisch ihrer Stadtwohnung vor ihrem eilig zubereiteten Fertiggericht und konnte immer noch nicht verstehen, wie ihr das alles zustoßen konnte. Das ging so noch mehrere Tage. Im Job war sie anwesend, doch ansprechbar war sie für niemanden. Und Fragen nach ihrem Befinden lächelte sie standhaft weg. Doch ein jeder konnte ihre verweinten Augen unter ihrem aufgesetzten Lächeln sehen. Und die Nachricht von Johns Weggang in die Staaten hatte sich wie ein Lauffeuer unter den Angestellten verbreitet.

Sie begann sich zu fragen, wie sie es soweit hatte kommen lassen können. Wann war sie vor John eigentlich jemals richtig glücklich gewesen? Das lag  alles so unglaublich weit zurück, dass sie sich kaum noch erinnern konnte. Er war ihre erste große Liebe in der Stadt gewesen. Vor ihm hatte sie nur ein paar kurze Affären mit Mitstudenten gehabt. Nichts Ernstes. Ein paar Flirts im ersten Semester, kaum mehr.

Zum Studium war sie aus Windermere gekommen. In der beschaulichen Kleinstadt im Lake District im Nordwesten Englands, wo sich noch jeder beim Namen kannte und auf der Straße grüßte, hatte sie ihre Kindheit und Jugend verbracht. Spontan, wie es ihre Art war, hatte sie sich seinerzeit von einem Tag auf den anderen für das Medizinstudium in London entschieden und ihre Jugendfreunde Thomas und Alec gleichermaßen überrascht wie unvorbereitet zurückgelassen. 

Ihr Tanzstundenpartner Alec war stets der perfekte Gentleman zu ihr gewesen, immer höflich, immer freundlich, ihr allerbester Freund. Und für ihren Geschmack manchmal leider zu reserviert. Doch selbst den ersten Schritt zu machen, das hätte sie sich damals noch nicht getraut. Thomas war das ganze Gegenteil von Alec. Ein rücksichtsloser Draufgänger. Ein Macho, wie er im Buche steht. Kein Mann, mit dem sie sich eine Zukunft hätte vorstellen können. Damals zumindest nicht. Doch wenn sie zusammen waren, dann bebte die Erde.

Als sie nach der Trennung von John nachts um zwei mit einem Weinglas vom Balkonfenster ihrer Londoner Wohnung ins Dunkle starrte, begann sie sich zu fragen, was geschehen wäre, wenn sie damals nicht so überstürzt aus Windermere abgereist wäre. Wenn sie sich nicht in London in John verliebt hätte, sondern sie Alec oder Thomas daheim in Windermere eine Chance gegeben hätte. 

So schnell, wie sie sich damals für die Abreise aus Windermere entschieden hatte, wuchs nun ihr Entschluss, dass es nur einen Weg gäbe, dieses Was-wäre-wenn aufzulösen: Nämlich noch einmal nach Windermere zu fahren, um sich den alten Dämonen zu stellen. Oder einfach nur die alten Freunde zu treffen.