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Diese Kurzgeschichte aus dem Jahr 1922 behandelt die Lebensgeschichte des Medizinstudenten Herbert West, der eine Methode zur Wiederbelebung von Toten entwickelt hat. Zusammen mit seinem Mitbewohner und dem namenlosen Erzähler der Geschichte, experimentiert West mit verschiedenen Leichen, um seine Wiederbelebungstheorien zu beweisen. Die Handlung ist geprägt von einer düsteren Atmosphäre und einer zunehmend verstörenden Darstellung der Wiederbelebungsversuche. Im Laufe der Geschichte eskalieren die Experimente von West und seinem Assistenten, und ihre Bemühungen, Tote zum Leben zu erwecken, führen zu tragischen und entsetzlichen Konsequenzen. "Herbert West - Reanimator" ist eine der bekanntesten Geschichten von Lovecraft und ein klassisches Beispiel seines Schaffens im Bereich des Horror-Genres. Sie besticht durch ihre Mischung aus wissenschaftlicher Spekulation und übernatürlichen Schauerelementen und ist zugleich eine düstere Meditation über die Grenzen des menschlichen Wissensdurstes und die Konsequenzen unkontrollierter Forschung.
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Seitenzahl: 65
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Herbert West – Der Wiedererwecker
Herbert West – Reanimator (1922)
von H. P. Lovecraft
Übersetzung: Stefan Gresse (2023)
Inhaltsverzeichnis:
I. Aus dem Dunkel
II. Der Dämon der Pest
III. Sechs Schüsse um Mitternacht
IV. Der Schrei des Toten
VI. Die Legion aus dem Grab
I. Aus dem Dunkel
Über Herbert West, der auf der Universität und auch später im Leben ein Freund von mir war, kann ich nur mit extremem Entsetzen berichten. Dieses Entsetzen kommt jedoch durchaus nicht von der unheilvollen Art seines kürzlichen Verschwindens, sondern mehr von der ganzen Natur seines Lebenswerks und zeigte sich zuerst deutlich vor mehr als siebzehn Jahren, als wir uns im dritten Jahr unseres Studiums an der Medizinischen Fakultät der Miskatonic Universität in Arkham aufhielten. Während wir dort zusammen wohnten und ich sein engster Freund war, faszinierten mich die Wunder seiner diabolischen Experimente über alle Maßen. Seit jedoch sein Fluch gebrochen und er selbst verschwunden ist, ist meine Furcht nur noch größer geworden. Erinnerungen und die daraus erwachsenden Ahnungen sind jetzt tatsächlich noch scheußlicher als die Realität.
Das erste schreckliche Ereignis unserer Bekanntschaft war der größte Schock, den ich je erlebte und ich erinnere mich nur ungern daran. Wie ich schon sagte, passierte es, als wir auf der medizinischen Fakultät studierten, wo West bereits für seine wilden Theorien über die Natur des Todes und die Möglichkeit seiner bewussten Überwindung bekannt war. Seine Ansichten, die von der Fakultät und seinen Kommilitonen vielfach verspottet wurden, beruhten auf der weitgehend mechanistischen Natur des Lebens und handelten von Methoden, die organische Maschinerie der Menschheit nach dem Versagen der natürlichen Vorgänge durch gezielte chemische Vorgänge in Gang zu halten. In seinen Experimenten mit verschiedenen belebenden Lösungen hatte er schon eine große Zahl von Kaninchen, Meerschweinchen, Katzen, Hunden und Affen behandelt und getötet, bevor er zum größten Ärgernis der Universität wurde. Einige Male hatte er tatsächlich Lebenszeichen bei anscheinend toten Tieren festgestellt; in vielen Fällen sogar starke Anzeichen. Er hatte jedoch sehr bald erkannt, dass eine Vervollkommnung dieses Vorgangs, wenn überhaupt möglich, notwendigerweise lebenslange Forschungen erfordern würde. Gleichermaßen wurde klar, dass für einen weiteren und gezielten Fortschritt Experimente an Menschen nötig sein würden. An diesem Punkt geriet er natürlich in Konflikt mit den Autoritäten der Universität und weitere Experimente wurden ihm vom ehrenwerten Dekan der Medical School, dem hochgebildeten und eigentlich wohlwollenden Professor Dr. Allan Halsey untersagt, dessen Werke über die Behandlung von Verwundeten jedem älteren Studenten in Arkham bekannt waren.
Ich war immer sehr tolerant gegenüber Wests Bestrebungen gewesen und wir diskutierten häufig über seine Theorien, die fast unendlich viele Auswirkungen und Folgen hatten. Haeckel zufolge war alles Leben nur ein chemischer und physikalischer Prozess und die sogenannte Seele nur ein Mythos. Daher glaubte mein Freund, die Möglichkeit der künstlichen Wiederbelebung eines Toten hänge ausschließlich vom Zustand seines Gewebes ab. Falls der Zerfall des Gewebes einer Leiche noch nicht begonnen hätte, die Organe also noch voll erhalten waren, so glaubte er, könnte sie mit den richtigen Methoden wieder zum Leben erweckt werden. West erkannte dabei klar, dass das psychische und intellektuelle Leben dann von einem geringfügigen Zerfall der empfindlichen Gehirnzellen beeinträchtigt werden könnte, was selbst eine nur kurze Zeit des Todes mit sich bringen würde. Er hatte zunächst die Hoffnung, ein Reagenz zu finden, welche die Lebenskraft vor dem eigentlichen Eintreten des Todes wiederherstellen konnte, aber das wiederholte Scheitern seiner Versuche mit Versuchstieren hatte ihm gezeigt, dass das natürliche und das künstliche Leben inkompatibel miteinander waren. Er suchte danach nur noch nach extrem frischen Versuchstieren und injizierte ihnen seine Lösungen in den Blutkreislauf unmittelbar nach dem Erlöschen ihres Lebens. Dieser Umstand machte die Professoren überaus skeptisch, denn sie meinten, dass der Tod vielleicht nicht in jedem Fall bereits definitiv eingetreten war.
Sie beobachteten die Experimente Wests sehr streng und mit gewissem Argwohn.
Kurze Zeit darauf hatte die Fakultät West weitere Arbeiten zu dem Thema verboten und er vertraute mir nun seine Methode an, wie er an frisches Menschenfleisch gelangen könnte, um seine inzwischen verbotenen Experimente insgeheim fortführen zu können. Es war geradezu gespenstisch, wie er über Mittel und Wege sprach, an Gewebeproben zu gelangen, denn an der Medical School hatten wir uns nie um die Beschaffung anatomischer Proben kümmern müssen. Immer wenn die Leichenhalle uns nichts zur Verfügung stellen konnte, kümmerten sich zwei ansässige Schwarze um die Sache und wir stellten keine weiteren Fragen. West war zu dieser Zeit ein kleiner schlanker und feingliedriger Jüngling mit Brille und blonden Haaren, blassblauen Augen und sanfter Stimme und es war geradezu unheimlich, ihn über die Vorzüge der Friedhöfe Christchurch und Potters Field reden zu hören. Wir entschieden uns am Ende für Potters Field, weil praktisch alle in Christchurch beerdigten Toten einbalsamiert wurden, was für Wests Experimente natürlich verheerend war.
Ich war zu dieser Zeit sein aktivster und enthusiastischster Assistent und half ihm, alle Entscheidungen zu treffen; nicht nur, was die Herkunft der Leichen betraf, sondern auch bei der Suche nach Räumlichkeiten für unser abscheuliches Werk. Ich hatte dabei an das einsame Chapman Bauernhaus jenseits von Meadow Hill gedacht, in dessen Erdgeschoss wir einen Operationssaal und ein Labor einrichteten. Beide Räume hatten dunkle Vorhänge, um unsere mitternächtlichen Arbeiten zu verbergen. Der Ort lag weit weg von jeder Straße und den anderen Häusern; trotzdem waren gewisse Vorsichtsmaßnahmen notwendig, denn Gerüchte über merkwürdige Lichter, die von nächtlichen Wanderern beobachtet wurden, hätte unser Unternehmen leicht in einer Katastrophe enden lassen können. Wir waren übereingekommen, das Ganze ein Chemielabor zu nennen, falls wir entdeckt werden sollten. Allmählich statteten wir unseren finsteren wissenschaftlichen Lieblingsplatz mit Materialien aus, die wir entweder in Boston kauften oder uns insgeheim von der Universität ausborgten – Materialien, die wir sorgfältig auch für Experten unkenntlich machten – und besorgten uns auch Spaten und Spitzhacken für die vielen Gräber, die wir in dem Keller ausheben mussten. An der Universität benutzten wir eine Verbrennungsanlage, die jedoch zu kostspielig für unser unerlaubtes Laboratorium war. Die toten Körper zu beschaffen, war immer eine lästige Angelegenheit – selbst wenn es nur die von kleinen Meerschweinchen waren, die West für seine illegalen Experimente im Studentenwohnheim verwendet hatte.
Wir verfolgten die lokalen Todesanzeigen wie Leichenfledderer, denn unser Leichenmaterial musste besondere Eigenschaften haben. Wir benötigten Leichen, die gleich nach ihrem Tod ohne künstliche Konservierung begraben worden waren, die noch alle Organe enthielten und vorzugsweise keine deformierenden Krankheiten hatten. Unfallopfer waren unsere beste Chance. Viele Wochen lang fanden wir nichts Passendes, obwohl wir uns an das Leichenschauhaus und an die Krankenhäuser wandten, vorgeblich im Interesse der Universität und so oft wie es nur möglich war, ohne Verdacht zu erregen. Wir fanden heraus, dass die Universität auf jeden Fall die erste Adresse war, so dass es vielleicht sinnvoll wäre, über den Sommer in Arkham zu bleiben, wenn nur sehr wenige Vorlesungen abgehalten werden. Am Ende hatten wir großes Glück, denn eines Tages hörten wir von einem für uns praktisch idealen Fall: Ein kräftiger junger Arbeiter war am Tag zuvor frühmorgens im Sumners Teich ertrunken. Er war auf Kosten der Stadt unverzüglich und ohne Einbalsamierung beerdigt worden. Am selben Nachmittag fanden wir das frische Grab und fassten den Entschluss, kurz nach Mitternacht mit der Arbeit zu beginnen.
Es war eine widerwärtige Tätigkeit, die wir in den Stunden nach Mitternacht angingen, auch wenn wir zu dieser Zeit noch keine besondere Abscheu vor Friedhöfen empfanden, die uns erst spätere Erfahrungen einbrachte. Wir hatten Spaten und Öllampen dabei. Es gab zwar auch schon elektrische Taschenlampen, aber sie waren noch nicht so hell wie die heute verwendeten Lampen. Das Ausgraben