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Folge 15 - Herr Heiland hat mörderischen Weihnachtsstress: Es weihnachtet sehr in Sonntal am See. Doch während Pfarrer Heiland das feierliche Hochamt plant und der Frauenverein den ersten Sonntaler Weihnachtsmarkt aller Zeiten organisiert, kommt es zu einem bestürzenden Zwischenfall: Wer hat die Puppe des Jesu-Kinds aus dem Diorama vor dem Altar stibitzt? Und warum taucht der entführte Heiland - also die Puppe, nicht der Pfarrer - ausgerechnet auf dem Weihnachtsmarkt wieder auf, im Arm des ermordeten Glühwein-Verkäufers Werner Zeitinger? Die Ermittlungen führen den cleveren Dorfpfarrer und Polizist Kern hinter die Kulissen einer gewaltigen Intrige ... und zum wahren Geist der Weihnacht.
Über die Serie: Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin, dem überambitionierten Bürgermeister und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen ...
Herr Heiland - ein himmlischer Wohlfühl-Krimi für alle Fans von gemütlichen Ermittlungen.
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Seitenzahl: 154
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Herr Heiland hat mörderischen Weihnachtsstress: Es weihnachtet sehr in Sonntal am See. Doch während Pfarrer Heiland das feierliche Hochamt plant und der Frauenverein den ersten Sonntaler Weihnachtsmarkt aller Zeiten organisiert, kommt es zu einem bestürzenden Zwischenfall: Wer hat die Puppe des Jesu-Kinds aus dem Diorama vor dem Altar stibitzt? Und warum taucht der entführte Heiland – also die Puppe, nicht der Pfarrer – ausgerechnet auf dem Weihnachtsmarkt wieder auf, im Arm des ermordeten Glühwein-Verkäufers Werner Zeitinger? Die Ermittlungen führen den cleveren Dorfpfarrer und Polizist Kern hinter die Kulissen einer gewaltigen Intrige … und zum wahren Geist der Weihnacht.
Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin Fräulein Dimpel, dem überambitionierten Bürgermeister Moritz Mindenfeld und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen …
JOHANN SIMONS
»… und so wollen wir diesen Advent daher begehen«, kam Pastor Klaas Heiland zum Schluss. »Als Zeit der inneren Besinnung und der gemeinschaftlichen Vorfreude auf die Ankunft unseres Herrn. Amen.«
»Amen«, wiederholte die zahlreich erschienene Gemeinde im Chor. Einen Herzschlag später setzte die Orgel ein.
Es war ein früher Freitagabend in Sonntal am See, jenem beschaulichen Fleckchen tief im bayerischen Nirgendwo. In gerade einmal zwei Tagen würde man hier und auch überall sonst die zweite Kerze am Adventskranz entzünden, und im Inneren von Heilands Pfarrkirche St. Hilarius war bereits alles bereit dafür. Festlich geschmückt waren die Kirchenschiffe, die Umrandung der Empore und auch die Deckenbalken. Goldene Sterne, gebastelt von den Mädchen und Jungs des örtlichen Kindergartens, prangten an den weiß gestrichenen Wänden. Kunstvolle Gestecke aus Tannenzweigen, roten Schleifen und allerlei anderem Zierrat standen in breiten Blumenkübeln, und in der Luft schien nahezu ständig ein ebenso sanfter wie angenehmer Hauch von Weihrauch zu hängen. Heiland liebte die Vorweihnachtszeit und genoss jeden Gottesdienst, den er in ihr halten durfte. Zwar waren die letzten Wochen eines Kalenderjahres für Geistliche wie ihn stets besonders arbeitsreich, doch sie besaßen auch einen ganz besonderen Zauber, den der Zweiundsechzigjährige mit nichts vergleichen konnte. Weihnachten war … besonders. Und das im Besten aller Sinne.
»Tochter Zion, freue dich«, drang es aus den Kehlen der versammelten Gläubigen, als Heiland seinen Ministrantinnen und Ministranten gen Sakristei folgte. »Jauchze laut, Jerusalem.«
Heiland sang nur zu gern mit. Grüßend ließ er beim Auszug den Blick über die Kirchenbänke schweifen, nickte hier und lächelte dort. Nahezu alle »üblichen Verdächtigen« des Dorfes waren gekommen. Dort saß Severin Winkelhuber, der penible Bahnhofsvorsteher, da Magdalena Schönbach, die Vorsitzende des Frauenvereins. Landarzt Doktor Loibl hatte einen Platz in der letzten Reihe des Seitenschiffs ergattert, und neben ihm konnte Heiland die Direktorin der Grundschule ausmachen, Jenny Jessen. Auch Bürgermeister Mindenfeld gehörte an diesem Abend wieder zur Schar der Kirchgänger. Der Advent ging an niemandem spurlos vorüber.
»Sieh, dein König kommt zu dir«, schallte der Gesang zur pyramidenförmigen Decke von St. Hilarius empor. »Ja, er kommt, der Friedensfürst.«
Heiland sah zurück zum Altar und zu der großen Krippe, die schon seit voriger Woche neben demselben aufgebaut war. Sie war eine echte Schönheit – ein XXL-Puppenhaus-Diorama, gezimmert aus Birkenästen aus dem Sonntaler Wald und »garniert« mit weichem Moosboden, Wegen aus kleinen Kieselsteinen, einem gemauerten Mini-Brunnen und einer Rückwand aus armlangen Fichten. Ein Stoffochse und sein eseliger Kumpan standen bereits neben dem nach vorn offenen Häuschen bereit, und in seinem Inneren, auf Heu und auf Stroh, standen Maria und Josef, geduldig wartend wie der Rest der Christenheit. Ja, in der Tat. Es gab Grund zur Freude.
»Tochter Zion«, ging die Strophe schallend weiter. »Freue dich. Jauchze laut, Je…«
Die komplette Gemeinde verstummte wie ein Mann, so falsch war der folgende Orgelton. Küster Xaver Hufnagl, der auch der Organist des Gotteshauses war, musste sich massiv vergriffen haben.
Die Unterbrechung dauerte nur einen Sekundenbruchteil. Dann setzte Hufnagl das Lied makellos fort, und die versammelten Sonntalerinnen und Sonntaler stimmten ein, als wäre nichts gewesen. Auch Heiland ließ mit Innbrunst die zweite Strophe des Adventsgesangs erklingen. Doch hinter seiner Stirn wunderte er sich schon. Hufnagl nahm seine Orgel sehr ernst. Grundlos verspielte der sich ganz gewiss nicht.
Ich frage mich, dachte der Pastor, während er sich der Sakristei näherte, ob bei dem Guten alles in Ordnung ist.
In der Sakristei angekommen, schloss Heiland die Tür hinter sich und den Messdienern. Sofort verstummte die Musik. Draußen auf den Kirchenbänken, das wusste er, würden die Dorfbewohner nun ihre Habseligkeiten zusammensuchen und in den angebrochenen Abend verschwinden, sobald das Lied verklang. Er selbst würde ihnen bald nachfolgen, doch zunächst musste er sich umziehen.
Zufrieden trat er an den Schrank, der seine Talare beherbergte, und schälte sich aus seiner »Dienstkleidung«. Darunter trug er bereits sein übliches Hemd mit dem Priesterkragen sowie die dunkle Hose. Als er fertig war, nahm er Hut und Mantel vom Haken der kleinen Garderobe und dankte den letzten Ministranten für ihren gewohnt guten Einsatz am Altar. Dann trat er zurück ins Kircheninnere.
Die Sitzreihen waren inzwischen verwaist. Nur noch wenige Menschen standen nahe der beiden Ausgänge von St. Hilarius, vertieft in freundliches Geplauder. Heiland drehte sich ebenfalls in Richtung Ausgang … und stutzte.
An der Krippe neben dem Altar stand Küster Hufnagl. Der kahlköpfige Mann hatte nahezu den halben Oberkörper in Maria und Josefs birkenhölzerne Behausung gesteckt, wühlte mit beiden Händen in selbiger umher und ließ dabei Heu und Strohhalme wild hinter sich fliegen.
»Äh«, machte Heiland. Verwirrt trat er neben das Diorama. »Herr Hufnagl? Ist alles in Ordnung?«
»Was?« Hufnagl zuckte zusammen und stieß sich prompt den Schädel an der Krippendecke. »Herr Schmitzbauer, sind Sie’s?«
Dann kam er aus dem Schmuckstück heraus. Fragend sah er Heiland an, den er nach wie vor mit dem Namen seines Amtsvorgängers ansprach – warum auch immer.
»Ob alles in Ordnung ist, hatte ich gefragt«, wiederholte der Pastor sanft. »Bitte verzeihen Sie, falls ich Sie erschreckt habe, mein Lieber.«
»Nee, nee«, winkte Hufnagl ab. »Alles gut, Herr Pfarrer. Ich such nur den Jesus.«
Sie und Millionen anderer Menschen, dachte Heiland und verkniff sich ein Schmunzeln.
»Wieso denn das?«, fragte er stattdessen. Neugierig sah er zur Krippe. »Ist er nicht irgendwo da drin versteckt?«
So war es meistens in den Kirchen, denen er bislang hatte vorstehen dürfen: Die Puppe des Jesuskinds wurde versteckt gehalten bis zum Heiligen Abend. Kurz vor Beginn der Christmette legte eine helfende Hand sie dann in Marias wartend ausgestreckte Arme, und das Wunder der Weihnacht war einmal mehr geschehen.
»Ja, freilich ist er das«, meinte Hufnagl grimmig. »Aber ich find den Schlawiner nicht mehr!«
Während Heiland noch tadelnd die Brauen hob, setzte der Küster zu einer ebenso knappen wie knurrig vorgetragenen Erklärung an. Er hatte, so ließ er den Pastor wissen, schon beim Auszug irgendwie das Gefühl gehabt, der kleine Erlöser sei aus seinem Versteck verschwunden. Die Vorstellung habe ihn derart irritiert, dass er sich kurz im Orgelton vergriffen habe. Gleich nach dem Gottesdienst sei er dann von der Empore hinabgekommen, um zu überprüfen, ob ihn sein Adlerauge betrogen habe oder ob die Krippe tatsächlich, wie er es ausdrückte, »einen Mann über Bord« verloren habe.
»Hm.« Erstaunt kratzte Heiland sich am Kinn. »Über Bord ist gut. Ich sehe die Figur auch nirgendwo unter der Krippe. Wenngleich auch dort inzwischen eine Menge Heu liegt …«
Der leichte Tadel prallte unbemerkt an Hufnagl ab. »Aber wie kann das sein? Wer stiehlt denn den Jesus?«
Heiland sah erneut zu Marias und Josefs spärlicher Unterkunft. Die ausgebreiteten Arme der Gottesmutter hatten inzwischen etwas Anklagendes, und die vier Heiligen Könige, die bereits auf dem Kiesweg neben dem Stall des Weges kamen, wirkten auf einmal, als wäre ihr strapaziöser Marsch nach Bethlehem ganz und gar unnötig gew…
Moment mal!, unterbrach Heiland sich selbst. Vier Heilige Könige?
Tatsächlich. Erst jetzt fiel ihm auf, dass da gleich vier weise Männer aus den Weiten des Dioramas kamen. Kaspar, Melchior und Balthasar hatten neben den altbekannten Gaben offenbar noch einen … Skatbruder mitgebracht?
»Äh«, sagte er erneut. Sein ausgestreckter Zeigefinger deutete auf König Nummer vier, einen beleibten Herrn mit Zwirbelschnäuzer und größerer Krone als alle anderen. »Herr Hufnagl? Wer in aller Welt ist denn das?«
»Hm?« Der Küster sah kurz zu den Figuren. »Ach, der Hilarius natürlich. Der darf nicht fehlen.«
Heiland blinzelte. »Verzeihung, aber … Der Hilarius?«
Er wollte gerade zu einer weiteren, nicht minder ratlosen Frage ansetzen, da näherte sich Tobias Kern von der Seite. Der Mittdreißiger leitete die Polizeiwache unten am Bahnhof und war schon als Kind durch die Straßen und Gassen Sonntals gegangen. Heiland half ihm des Öfteren bei seinen Ermittlungen, denn in dem beschaulichen Dorf am Stausee sagten sich nicht nur Fuchs und Hase gute Nacht, sondern es gaben sich auch allerlei Mörder die sprichwörtliche Klinke in die Hand.
»Bedaure«, meldete Kern gerade. »Aber in der Abstellkammer hinter dem Taufbecken ist er auch nicht, Xaver. Ich habe echt alles durchsucht, jede einzelne Kiste. Keine Spur von unserem Jesus.«
»Sag ich doch«, murmelte Hufnagl. Es klang niedergeschlagen. »Der ist weg.«
»Hallo, Herr Heiland«, grüßte Kern. »Das war eine sehr schöne Abendmesse, heute. Schade, dass sie so traurig endet. Können Sie sich vorstellen, dass jemand eine Krippenfigur stiehlt?«
Heiland schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, dass der Erlöser gestohlen wurde, meine Herren. Der taucht sicher wieder auf, meinen Sie nicht? Und überhaupt: In meinen Augen hat unsere Krippe eher einen Mann zu viel als einen zu wenig!«
»Nanu?« Kern runzelte die Stirn. »Meinen Sie den König Hilarius? Der gehört da hin, jedenfalls in Sonntal.«
Hufnagl grunzte zustimmend.
»Nehmen Sie es einem alten Gottesmann nicht übel«, sagte Heiland. »Aber ein König mit dem Namen unseres Kirchenpatrons ist mir in vier Jahrzehnten Bibelstudien noch nicht untergekommen. Es waren drei Weise aus dem Morgenland, nicht vier!«
»In Sonntal schon«, erläuterte der Polizist. Dabei zuckten seine Mundwinkel amüsiert. »Ich glaube, der Kollege geht auf einen Ihrer Amtsvorgänger zurück. Richtig, Xaver?«
»Wohlig«, nickte der Angesprochene. »Das ist schon Jahrzehnte her. Dem Pfarrer Wohlig war die Kirche zu leer, Herr Schmitzbauer. Deshalb hat er einen vierten König erfunden. Einen aus Sonntal.«
»Der Hilarius stammt von hier«, fuhr Kern fort. »Pfarrer Wohlig hoffte wohl, die Gemeinde komme wieder verstärkt zu den Messen, wenn einer der ihren in der Liturgie mitspiele. Das ging auf, soweit ich weiß – und seitdem hat das Dorf einen Narren am vierten König gefressen. Der kommt zwar in keinem Evangelium vor, aber ohne ihn wär’s bei uns keine richtige Weihnacht.«
Heiland traute seinen Ohren kaum. In all den Monaten, die er nun schon in der bayerischen Provinz lebte, hatte er so manche Sonntaler Eigenart kennen- und sogar ein Stück weit lieben gelernt. Er wusste, dass nicht nur die Uhren in seiner neuen Heimat ein wenig anders tickten als an anderen Orten. Doch dass Sonntal – noch dazu ein Sonntaler Pfarrer! – die Weihnachtsliturgie umtextete, um selbst darin vorzukommen, war ihm völlig neu. Und völlig fremd.
Ist das nicht Hochmut?, zuckte es ihm durch den Kopf. Von Frevel gar nicht erst zu sprechen … Und dann hält der noch die Bayernfahne in den Händen!
»Der Hilarius passt schon zu der Krippe«, meinte Hufnagl gerade. Es klang nicht sonderlich interessiert. »Der steht, wo er hingehört. Aber, Kruzifix noch mal, wo ist der Bub abgeblieben?«
Heiland und Kern packten mit an, als der Küster das Bethlehem-Diorama einmal mehr auf links drehte. Selbst im Schacht des kleinen Brunnens suchten sie nach dem kleinen Herrn Jesus, dabei war der Schacht kaum tiefer als eines der Obstlergläser in der Dorfgaststätte.
Dann hob Hufnagl betrübt die Schultern. »Weg«, murmelte er. »Der Bub ist einfach weg.«
Heiland legte ihm eine beruhigend gemeinte Hand auf dieselben. »Keine Sorge, mein Lieber. Der taucht schon noch auf. Ich bin sicher, das klärt sich alles. Bis zum Heiligen Abend ist es ja auch noch ein Weilchen hin. Hier bei uns mögen mitunter die verrücktesten Verbrechen passieren«, dabei sah er kurz zu Kern, der stumm nickte, »aber dass jemand das Jesulein aus der Weihnachtskrippe stibitzt … Nein, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Erst recht nicht in Sonntal.«
»Na«, meinte der Küster nur. »Sie sind der Pfarrer, Herr Pfarrer. Sie müssen’s wissen. Aber Ihren Glauben möchte ich haben …«
Das Pfarrhaus lag gleich neben der Kirche und zählte zu den ältesten Bauwerken in ganz Sonntal. Es hatte zwei Etagen, einen kleinen Vorgarten und einen größeren auf seiner Rückseite, von dem aus man direkt aufs Grundstück von St. Hilarius überwechseln konnte. Im Erdgeschoss befanden sich Heilands vollgestopftes Büro, die Küche und das altmodisch-gemütliche Wohnzimmer, in dem der Pastor liebend gern die Abende bei einem guten Buch verbrachte. Im ersten Stock warteten die beiden Schlafzimmer sowie das Bad. Ein geräumiger Keller und ein besserer Kriechspeicher rundeten das Bild ab. Genau wie die Gemeinde selbst, hatte Klaas Heiland auch das Haus von seinen Amtsvorgängern »geerbt« – und den alten Dienstwagen, der in der kleinen Garage parkte und aus für ihn unerfindlichen Gründen Rüdiger hieß.
Erste Schneeflocken rieselten vom Himmel, als Heiland die Haustür aufschloss. »Fräulein Dimpel? Ich bin wieder da.«
Er schüttelte sich, als er in den Flur trat. Der Schnee setzte keinen Tag zu früh ein, denn draußen wurde es schon seit einigen Wochen bitter kalt, sobald die Sonne über dem Wald unterging. Der Winter schaltete ganz eindeutig in den nächsten Gang, und das pünktlich zur Adventszeit.
»Herr Pfarrer, sind Sie das?«, kam eine Frauenstimme aus Richtung des Wohnzimmers.
Nein,dachte er. Sondern Hilarius, der König von Sonntal.
Heiland behielt den unnützen Kommentar wohlweislich für sich. Fräulein Dimpel konnte mit Sarkasmus herzlich wenig anfangen – es sei denn, er kam aus ihrem eigenen Mund. »Ja, meine Liebe«, antwortete er stattdessen. »Pünktlich zum Abendbrot, wie immer.«
Elvira Dimpel, die auf das Fräulein bestand wie der alttestamentarische Gott auf die Einhaltung der Zehn Gebote, war die gute Seele des Pfarrhauses. Die Einundsiebzigjährige war katholischer als der Papst, zumindest gefühlt, und führte den Haushalt »ihres« Pfarrers so effizient, wie sie ihre grauen Locken wickelte. Wenn sie mal nicht mit Kittelschürze am Herd stand oder zu lauten Schlagerklängen aus dem Radio irgendwelche Fußböden wischte, dann fand man sie meist in der Kirche oder beim Kaffeekränzchen mit ihren stets bestens informierten Freundinnen aus dem Dorf. Aktuell fand Heiland sie allerdings im Wohnzimmer, wo der Esstisch gedeckt war.
»Nehmen Sie ruhig Platz, Herr Pfarrer«, lud sie ihn ein und deutete dabei auf einen Stuhl. »Ich habe Brote für uns, dazu eine warme Tasse Bouillon und etwas Tee. Es muss ja heute auch schnell gehen.«
Heiland hatte keinen blassen Schimmer, warum hier irgendetwas schnell gehen sollte. Doch er hütete sich, einen entsprechenden Kommentar abzugeben, denn geschenkten Gäulen schaute man nicht ins Maul.
Eigentlich hielt Dimpel ihn auf Schonkost. Seit seinem Einzug war die gute Dame von der ihr heiligen Mission gepackt, seine Ernährung in gesündere Bahnen zu lenken. Wo Heiland von Sahnetorten, Bratensoßen und Nudelgerichten schwärmte, präsentierte Dimpel ihm in aller Regel nur Knäckebrote und Gemüse. Stand ihm der Sinn nach fettigen kleinen Sünden, bekam er Haferflocken, und wann immer sich sein Blick sehnsuchtsvoll im Schaufenster des Dorfbäckers verfing, wo himmlische Torten und Teilchen warteten, stand Dimpel gefühlt schon am heimischen Herd und wärmte den Rosenkohl auf. Seine Blutwerte, so ahnte Heiland, waren ein Traum, seit das strenge Fräulein ihm den Haushalt führte. Doch nur von Blutwerten allein wurde der Mensch nicht glücklich.
Umso dankbarer nahm er die Sauerteigscheiben und die kräftige Rinderbrühe nun an. Heiland strich sich Butter auf sein Brot – richtige, echte Butter – und krönte die Scheibe mit frischer Jagdwurst. »Sie haben sich einmal mehr selbst übertroffen, meine Liebe«, murmelte er schwärmerisch, bevor er abbiss.
Dimpel ließ das Lob gar nicht erst Wurzeln schlagen. »Papperlapapp. Dass Sie sich ja nicht daran gewöhnen, Herr Pfarrer. Das ist nur so, weil es heute ja schnell gehen muss. Da fehlt mir die Zeit, uns noch Gurken und Möhren zu schälen.«
Heiland stutzte. »Das sagen Sie jetzt schon zum zweiten Mal. Haben Sie Pläne für den angebrochenen Abend? Gehen Sie aus?«
Sein Gegenüber lachte, als stelle er sich absichtlich dumm. »Sie sind gut, Sie alter Spaßvogel. Erzählen Sie mir lieber, was Sie noch so lang in der Kirche aufgehalten hat. Die Messe ist doch schon längst vorüber.«
»Ach, das.« Er winkte ab. »Das ist kaum der Rede wert, denke ich. Unser verehrter Küster kann das Jesulein nicht finden, das aus der Krippe am Altar.«
»Hm.« Dimpel hatte gerade ihre Tasse an die Lippen setzen wollen, ließ sie nun aber sinken. »Der Heiland ist fort?«
»Mitnichten«, erwiderte Heiland. »Mein Namensvetter wird nur vermisst.«
»Das ist eigenartig«, murmelte die Haushälterin. Ihr Blick ging ins Leere. »Wer stiehlt denn einen Jesus?«
»Die Frage ist berechtigt, aber hoffentlich irrelevant«, meinte der Pastor. »Ich bezweifle, dass man die Puppe tatsächlich gestohlen hat. Vermutlich liegt sie nur an einem Ort, an den der gute Hufnagl bislang nicht gedacht hat.«
Er unterließ es, sie darauf hinzuweisen, dass auch Tobias Kern besorgt um den kleinen Kerl war. Fräulein Dimpel musste nicht alles wissen. Erst recht nichts, das sich mit der Zeit schon in Wohlgefallen auflösen würde.
Denn das wird es, sagte er sich. Ganz bestimmt.
»Möglich«, gab die Dame auch prompt zu. »Aber der Hufnagl Xaver ist eigentlich sehr gründlich in diesen Dingen. Der verliert nichts.«
»Es gibt immer ein erstes Mal«, parierte Heiland und schenkte Dimpel ein Lächeln, das entspannt und sorgenfrei wirken sollte. »Und bis zur Christmette ist ja auch noch Zeit. Vorher brauchen wir den Racker sowieso nicht. Vielleicht hat Bauer Billen ihn auch mitgenommen, um Schönheitsreparaturen an der Puppe durchzuführen. Herr Billen ist doch verantwortlich für all das Moos und das Birkenholz in unserem Diorama, richtig?«
Dimpel nickte zögernd. »Wie jedes Jahr, das schon.«