Herr Heiland und die letzte Fahrt eines Unbekannten - Johann Simons - E-Book

Herr Heiland und die letzte Fahrt eines Unbekannten E-Book

Johann Simons

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Folge 9 - Herr Heiland ist derangiert: Ein herrenloser Zugwaggon steht auf Bahnvorsteher Winkelhubers Abstellgleis - und darin befindet sich eine Leiche! Niemand in Sonntal scheint den Toten zu kennen ... Doch eigentlich hat Heiland ganz andere Probleme: Denn seine Haushälterin Fräulein Dimpel hat gekündigt, weil er sich einfach nicht an ihren strengen Diätplan hält! Dabei meint sie es doch nur gut. Ohne Dimpel ist der Pfarrer aufgeschmissen, und den unerwarteten Besuch seiner Brieffreundin aus Italien kann er da erst recht nicht brauchen ... oder etwa doch?

Psst ... Herr Heilands italienische Brieffreundin hat übrigens auch ihre eigene Serie: Schwester Isabella ermittelt gemeinsam mit Carabiniere Matteo in der Toskana. "Kloster, Mord und Dolce Vita" - als E-Book und digitales Hörbuch. Natürlich von beTHRILLED.

Über die Serie: Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin, dem überambitionierten Bürgermeister und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen ...

Herr Heiland - ein himmlischer Cosy-Krimi für alle Fans von gemütlichen Ermittlungen.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsHerr Heiland – Die SerieÜber diese FolgeTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Über den AutorWeitere Titel des AutorsLeseprobeImpressum

 

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Herr Heiland – Die Serie

Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin Fräulein Dimpel, dem überambitionierten Bürgermeister Moritz Mindenfeld und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen …

Über diese Folge

Herr Heiland ist derangiert: Ein herrenloser Zugwaggon steht auf Bahnvorsteher Winkelhubers Abstellgleis – und darin befindet sich eine Leiche! Niemand in Sonntal scheint den Toten zu kennen … Doch eigentlich hat Heiland ganz andere Probleme: Denn seine Haushälterin Fräulein Dimpel hat gekündigt, weil er sich einfach nicht an ihren strengen Diätplan hält! Dabei meint sie es doch nur gut. Ohne Dimpel ist der Pfarrer aufgeschmissen, und den unerwarteten Besuch seiner Brieffreundin aus Italien kann er da erst recht nicht brauchen … oder etwa doch?

Psst … Herr Heilands italienische Brieffreundin hat übrigens auch ihre eigene Serie: Schwester Isabella ermittelt gemeinsam mit Carabiniere Matteo in der Toskana. »Kloster, Mord und Dolce Vita« – als E-Book und digitales Hörbuch. Natürlich von beTHRILLED.

JOHANN SIMONS

Kapitel 1

Es fährt kein Zug nach Irgendwo

Die Stimme war leise und zischend, jede Silbe eine einzige Drohung. »Ganz ehrlich: Manchmal könnte ich dir mit bloßen Händen den Hals umdrehen!«

Klaas Heiland stand im Eingang der Sonntaler Bahnhofswartehalle und riss die Augen auf. Für einen kurzen Moment wagte er es nicht einmal zu atmen.

Hatte er das eben richtig gehört? Da wollte jemand morden?

Das ebenso schmucke wie kleine Bahnhofshäuschen lag am östlichen Rand seiner nicht minder kleinen Gemeinde. Heiland hatte es noch nicht oft betreten, erst recht nicht am Abend. Sein fragender Blick fiel auf Wände, an denen sorgsam gerahmte Fahrpläne hingen, auf menschenleere Sitzbänke und den vielleicht saubersten Fußboden des gesamten Ortes. Ein klobig-beigefarbener Fahrkartenautomat wartete vergebens auf einen Ansturm von Kunden, ebenso der noch klobigere Snackautomat daneben. An der Tür der Toilette hing ein Schild, das ein gezeichnetes Duo von Zugbegleitern zeigte. Herr und Frau Schaffner winkten Heiland so fröhlich entgegen, als seien Mordgedanken das Letzte, das ihnen durch die Cartoonköpfe ging. Vor den Fenstern, die zumeist auf den jenseits der Halle gelegenen Bahnsteig wiesen, herrschte finsterste Abenddunkelheit.

Nur eines sah der Dorfpastor nicht: einen echten Menschen.

Ich hab mir das doch nicht eingebildet?, wunderte er sich. Vorsichtig trat er ein.

Nahezu die gesamte rechte Seite der Wartehalle gehörte dem Kundenschalter. Das Licht, das durch dessen gläserne Scheibe fiel, erhellte das Halleninnere leidlich. Heiland musste ein paar Schritte in den Raum machen, bevor er in die Kabine hineinschauen konnte. So fand er den Besitzer der drohenden Stimme.

Severin Winkelhuber saß an einem uralten Schreibtisch und starrte auf ein Telefon. Der Bahnhofsvorsteher und alleinige Herr des Sonntaler Schienenreiches sah ausgesprochen frustriert aus. Sein sonst so blasses Gesicht war puterrot, und Heiland hätte sich nicht gewundert, wenn die Hitze seiner Wangen das Glas seiner dicken Brille hätte beschlagen lassen. Als der Pastor hinübersah, fuhr Winkelhuber sich gerade seufzend über den blonden Vollbart.

»Herr Winkelhuber?«, fragte Heiland vorsichtig. »Ist … Ist alles in Ordnung?«

Sofort schaltete der Bahnmitarbeiter um. Er sah überrascht auf, kam dann aber schnurstracks an die Scheibe getreten.

»Willkommen am Bahnschalter Sonntal am See«, grüßte er durch die kleinen Sprechlöcher in der Scheibe. »Mein Name lautet Winkelhuber, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Äh«, stutzte Heiland. Der Text gehörte wohl zum Standardprogramm seines Gegenübers, das ihm so wohlbekannt war wie fast alle Einwohner seiner Gemeinde. »Ich frage mich eher, ob ich Ihnen helfen kann. Sie wollen also jemanden erwürgen?«

»Was?« Winkelhuber hob entsetzt die Brauen. Dann schlich Verständnis über seine Züge. »Ach, das meinen Sie. Nein, nein, Herr Pfarrer. Ich habe mich nur geärgert. Über die Frau in der Zentrale, mit der ich eben telefonierte, verstehen Sie? Die ist mitunter sehr störrisch, wenn man mit Anliegen kommt, die nicht ihrem Plan entsprechen. Hätte ich gewusst, dass jemand in der Halle ist, hätte ich das natürlich nie und nimmer laut ausgesprochen. Das war nur laut gedacht, nicht ernst gemeint. Also: Sie möchten verreisen?«

Heiland nickte langsam. »Vielleicht, ja. Ich … Ich frage mich, was eine Fahrkarte von hier bis Niendorf kosten würde. Aber sind Sie sicher, dass …«

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. »Niendorf an der Ostsee«, wusste Winkelhuber sofort. Ein begeistertes Funkeln trat in seinen Blick. »Kleinen Moment, ich schau mal für Sie nach.«

Der Mann in der makellos sitzenden Bahnuniform war nun voll in seinem Element. Seine Finger flogen nur so über die Tastatur seines Computers, und in wenigen Sekunden hatte er eine stattliche Auswahl an möglichen Verbindungen auf seinem Monitor.

»Geht’s zurück in die alte Heimat, ja?«, fragte er dabei. Es klang halb interessiert und halb nach reinem Small Talk. »Zu Verwandten, vielleicht? Oder zu Freunden von früher?«

Heiland lebte noch nicht allzu lange in der bayerischen Provinz. Bevor er auf die Sonntaler Kanzel getreten war, hatte er der katholischen Kirche seines Heimatortes Niendorf vorgestanden, einer ehemaligen Fischersiedlung direkt am Meer. Seit seinem Amtsantritt in Sonntal hatte er die alte Gemeinde nicht wieder besucht. Die Arbeit – und, zugegeben, die verblüffend vielen Mordfälle – hatten es einfach nicht zugelassen. Jedenfalls in seinen Augen.

»Ich spiele zumindest mit dem Gedanken«, antwortete Heiland. »Nur mal so ins Blaue gefragt: Wie aufwendig wäre solch ein Ausflug eigentlich?«

Heiland verreiste ausgesprochen ungern. Wer ständig das Weite suchte, hatte in seinen Augen schon das Nahe nicht genügend verstanden. Wo lag der Nutzen darin, unterwegs zu sein und die Welt zu sehen? Das kostete doch Mühe und Zeit, und außerdem war die Welt per se überbewertet. Für ihn gab es nichts Schöneres als ein gemütliches Zuhause, in dem man sitzen und aus dem Fenster schauen konnte. Mehr Welt brauchte kein Mensch – und wenn doch, dann reichte der Griff ins Bücherregal. Zwischen zwei Buchdeckeln hatte Heiland noch stets die nötige Zerstreuung gefunden, und das, ohne auch nur aus dem bequemen Sessel aufstehen zu müssen.

Der Gedanke an eine Stippvisite in der alten Heimat hatte allerdings selbst für ihn einen gewissen Reiz. Ob die Fischbude am Hafen noch stand? Schmeckten die Sahnetorten im Café des Vogelparks so köstlich wie früher? Und hatten die Enten im Kurteich vielleicht inzwischen Junge bekommen?

»Aufwendig?«, wiederholte Winkelhuber. »Ach was, das schaffen Sie mit links. Schauen Sie mal, Sie fahren von hier bis Bad Blümchen. Dann steigen Sie um in den Regionalexpress und …«

Das laute Schrillen des Telefons riss ihn aus seinen Erläuterungen, die Heiland schon jetzt erschreckend aufwendig vorkamen.

»Entschuldigen Sie mich kurz, ja?«, bat Winkelhuber.

Er verschwand wieder hinter seinem Schreibtisch, strich sich kurz über die Uniform und straffte die schmalen Schultern. Dann erst hob er den Hörer ab. »Bahnhof Sonntal am See, Winkelhuber?«

Eine ebenso kurze wie entspannte Pause folgte. Winkelhuber hörte zu.

Dann nickte er. »Ja, das war ich, ganz genau.«

Noch eine Pause, schon weit weniger entspannt.

»Nein, an der Sachlage hat sich nichts geändert. Wie sollte es auch, ich habe ja erst vor einer Minute wieder deswegen …«

Pause drei kam unfreiwillig. Sie fühlte sich an, als könne sie die Luft zum Brennen bringen. Aufgeladen.

»Na, jetzt hören Sie mal!«, donnerte der Bahnperfektionist in den Hörer. »Ich weiß ganz genau, wo meine Kompetenzen enden und die Ihren beginnen. Exakt deswegen rufe ich ja an – zum wiederholten Male, wie ich betonen möchte. Ich erwarte, dass Sie sich unverzüglich darum kümmern, dass der unnütze Waggon von meinem Abstellgleis verschwindet. Nicht erst ›in den nächsten Tagen‹, sondern jetzt und heute. Mir ist auch egal, wie spät es inzwischen geworden ist. Der hat hier bei uns nichts zu suchen, weil … Hallo? Hallo?«

Die Gegenseite schien das Gespräch beendet zu haben. Auch das geschah offenbar nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Als Winkelhuber den Hörer sinken ließ, sah er einmal mehr frustriert aus.

»Probleme?«, fragte Heiland.

Der andere seufzte. »Diese elenden Bürokraten. Die sitzen in Ihrer Konzernzentrale und schmieden die tollsten Pläne, aber von der Arbeit hier draußen am Gleis haben sie nicht die geringste Ahnung.«

»Was ist denn passiert?«

Der Mann in Uniform trat wieder zur Scheibe. »Da steht ein Waggon, Herr Pfarrer«, sagte er brummend. »Auf meinem Abstellgleis. Und so leid es mir für die Zentrale tut: Der hat da nichts verloren. Wir hier in Sonntal sind kein Keller, in dem man wahllos Zeug abstellen und vergessen kann. Ich kenne meine Pappenheimer. Wenn ich da nicht sofort Protest einlege, bleibt der Waggon hier stehen bis zum Jüngsten Gericht. Aus den Augen, aus dem Sinn – so denkt die Zentrale. So und nicht anders. Und an die Ordnung auf meinem Bahnhof denkt natürlich niemand.«

Winkelhuber führte ein strenges Regiment, das wusste jeder im Ort. Der kleine Bahnhof des Dorfes war besser in Schuss als so mancher Operationssaal und mindestens so sauber. Winkelhuber duldete keinen Unrat auf dem Bahnsteig, nahm jeden verspäteten Zug persönlich und konnte vermutlich selbst nachts um drei und nach tiefstem Schlaf noch jede beliebige Verbindung auswendig aufsagen. Klar, dass ein herrenloser Waggon ihm da besonders übel aufstieß.

»Seit wann steht der denn hier?«, fragte Heiland. Es interessierte ihn nicht sonderlich, doch er wollte irgendetwas sagen, um dem anderen Mann zu helfen. »Und wo soll er stattdessen hin?«

»Ach, wissen Sie?«, erwiderte Winkelhuber. Er griff spontan nach seiner Mütze, die an der Kabinentür hing – sorgsam an einem Kleiderhaken – und seine Uniform komplettierte. »Am besten zeige ich’s Ihnen. Haben Sie kurz Zeit?«

Ehe Heiland richtig wusste, wie ihm geschah, war er auch schon im Freien. Der Bahnhof lag um diese Uhrzeit verlassen da, und die einzelne Laterne vor dem Wartesaal tat wenig, um die Nacht auf Abstand zu halten. Kies knirschte unter den Schuhen des Pastors, als er Severin Winkelhuber folgte.

»So etwas passiert immer mal wieder, leider«, gestand der jüngere Mann. Der Schein seiner Taschenlampe wies voraus, war aber zu schwach, um sonderlich viel auszurichten. »Die Kollegen haben einfach keine Ahnung mehr, wie man vernünftig rangiert. Außerdem haben sie keine Eile, wenn es um Gleise wie dieses geht. Wir sind ja Provinz. Da steht so ein Klotz ja niemandem im Weg, denken sie. Da hat so etwas Zeit. Aber das stimmt nicht. Mir steht es im Weg. Sagen Sie selbst, Herr Pfarrer: Das sieht doch nach nichts aus, wenn überall Waggons vor sich hin rosten.«

Heiland schlug den Kragen seines Mantels höher. Kam ihm das nur so vor, oder war diese Nacht außergewöhnlich kalt? »Selbstverständlich, mein Lieber«, sagte er. Winkelhuber schien eine Antwort zu erwarten. »Und wie lange, ähm, belästigt Sie der vergessene Wagen schon?«

»Seit vorgestern«, erwiderte der Uniformierte. Es klang knurrend. »Und ja, seit vorgestern telefoniere ich mir deswegen auch schon die Finger wund. Nicht, dass es irgendetwas nützen würde.«

Sie ließen das »bewirtschaftete« Gelände der Bahnanlagen hinter sich. Hier, mehrere Dutzend Meter nördlich, nahm das Gestrüpp zu. Wild wucherndes Buschwerk und hohes Gras übernahmen das Terrain. Wann immer die Wolken am Himmel dem Mondschein eine Lücke ließen, sah Heiland die Umrisse von windschief gewordenen Zäunen und von Signalen, die wirkten, als seien sie schon zu Zeiten Mose außer Betrieb genommen worden. Winzige Nagetiere huschten über die alten Gleise und verkrochen sich in den Rissen und Ritzen, die das trockene Erdreich ihnen bot.

»Und da«, sagte Winkelhuber, »hätten wir den Übeltäter.«

Die Männer blieben stehen. Heiland erkannte einen klobigen, länglichen Umriss vor sich. Doch erst als Winkelhuber den Lichtkegel darüber wandern ließ, wurden Details sichtbar.

Der Waggon aus der Ersten Klasse war alt, mindestens ein paar Jahrzehnte. Dunkle Fenster, weiße Türklinken. Heiland war kein besonderer Kenner der Materie, aber nicht zuletzt durch den Sonntaler Bahnhof fuhren solche Gefährte ganz gewiss nicht. Das war sogar ihm klar.

»Wie gesagt«, fuhr der Vorsteher fort. »Vor zwei Tagen hat man den einfach hier abgestellt. Ich bin natürlich sofort hergekommen, um ihn zu inspizieren. Aber das hat damals niemanden interessiert, genau wie sich seitdem niemand um meine Proteste schert. Hier, wollen Sie mal reingehen?«

Heiland hegte kein Interesse an einer Führung, doch Winkelhuber öffnete bereits die sichtlich unverschlossene Eingangstür.

»Das ist noch einer der ganz alten Schule«, erläuterte der Bahnkenner. »Schöne Sechserkabinen, dazu ein schmaler Korridor. Und die WCs sind topp in Schuss. Es gibt sogar ein Sonderabteil für den Schaffner, in dem … Nanu?«

Winkelhuber hatte den Waggon betreten, stutzte nun aber und sah den Gang hinunter, der durch selbigen führte.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Heiland.

»Das kann man wohl sagen«, fuhr sein Begleiter auf. »Da hockt jemand! He, das hier ist kein Obdachlosenheim. Sie befinden sich in Eigentum der Deutschen Bahn und …« Wieder stutzte er. »Hallo? Schlafen Sie hier drin, oder was ist los? Der Kerl rührt keinen einzigen Muskel.«

Heiland stieg ebenfalls in den Waggon. Über Winkelhubers Schulter sah er den Gang hinab. Tatsächlich: Im vorderen Sechserabteil saß ein Mann. Der Fremde hatte grau meliertes Haar und einen Ziegenbart. Sein kantiges Kinn ruhte auf seiner Brust, und sein regloser Körper steckte in einem unmodischen Anzug, der ähnlich alt wirkte wie der Waggon selbst.

»Sind Sie sicher, dass er schläft?«, fragte Heiland.

Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf. Irgendetwas stimmte hier nicht.

»Was denn sonst?« Winkelhuber trat forsch voraus. »Also wirklich. Erst parken die ihren Plunder auf meinem Gelände, und dann schleicht sich auch noch Gesindel in selbigen. Hallo! Aufstehen! Sie begehen Hausfriedensbruch, Meister!«

Der Fremde saß direkt an der Tür, die die Kabine vom Korridor trennte. Als Winkelhuber die Tür mit einem Ruck aufzog, kam endlich Bewegung in den ehemals Reglosen. Er plumpste nämlich vom Sitz und landete vor den Füßen des Bahnhofsvorstehers.

»Grundgütiger!«, erschrak Winkelhuber.

Er ließ die Taschenlampe fallen. Ihr Lichtschein fiel nun direkt auf das Gesicht des Fremden – und auf seinen Hals, an dem ein paar dunkle und ausgesprochen verdächtige Abdrücke prangten.

Heiland reagierte sofort. In Windeseile war er an Winkelhuber vorbei, kniete sich neben den Fremden und tastete nach einem Puls. Vergebens. Der Mann am Boden war ebenso leblos wie kalt.

»Nicht schon wieder«, murmelte Heiland.

Dann schloss er die Augen und sprach in Gedanken ein kleines Gebet. Als er sie wieder öffnete, hielt Winkelhuber sich am Griff des Abteils fest, als wäre der Bahnwagen auf hoher See und schwanke stark.

»Soll ich …« Winkelhuber schluckte hörbar, setzte dann neu an. Sein Tonfall wurde mit jeder Silbe leiser. »Soll ich die Polizei für Sie rufen? Herrn Kern? Oder vielleicht einen Arzt?«

Tobias Kern war der Dorfpolizist von Sonntal am See. Seine Wache befand sich ganz in der Nähe, in einer ehemaligen Lagerhalle des Bahnhofes.

Heiland nickte langsam. »Seien Sie so gut, mein lieber Winkelhuber. Die Polizei wäre hier ausgesprochen nützlich. Aber dabei sollten wir es nicht belassen. Dieses Mal nicht.«

Der Bahnmitarbeiter sah ihn verwirrt an. »Was meinen Sie?«

»Sobald Sie mit Kern gesprochen haben«, erklärte Heiland, »gehen Sie bitte hoch in die stolze Kaiserkrone. Es ist zwar schon spät, aber wenn Sie dem Wirt erklären, was vorgefallen ist, lässt er Sie sicher herein.«

»Gerd Söhnchen?«, wunderte sich Winkelhuber. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Pfarrer. Ich gehe auch gern zur stolzen Kaiserkrone, wenn Sie das möchten. Aber was soll uns Gerd in dieser Angelegenheit nutzen?«

»Ich meine nicht Herrn Söhnchen selbst«, verneinte Heiland. »Sondern einen seiner Hausgäste. Sagen Sie Herrn Söhnchen, er möge für mich an Zimmer sechs seines Hauses anklopfen. Und die Person dort drin bitten, ebenfalls schnellstmöglich hierher auf das Abstellgleis zu kommen. Kern und ich sind um jede Hilfe dankbar, und in diesem Fall werden wir die ihre dringend nötig haben. Das wette ich.«

»Einen Touristen?« Winkelhuber kratzte sich ratlos am Hinterkopf. »Sie wollen den Mordfall mit einem Touristen lösen?«

»Nicht mit irgendeinem, mein Bester«, erwiderte der Pastor. »Warten Sie nur ab. Vor Schwester Isabella aus Italien ist kein Mörder sicher …«

Einen Tag früher

Heiland war noch nicht durch die Tür, da schlug ihm schon der vertraute Geruch entgegen: süßlich und beißend. Hygiene pur. Ob alle Arztpraxen so rochen?

»Prrrrrraxisdokterloiblschönengutentag«, flötete Frau Braumüller am Empfang gerade in ihr Telefon. Es klang wie ein einziges Wort, jedenfalls aus dem Mund der allzeit bestens gelaunten Schwarzhaarigen. Während sie sprach, winkte sie Heiland auffordernd zu sich. »Bedaure, der Herr Doktor ist momentan nicht zu sprechen. Möchten Sie einen Termin vereinbaren?«

»Ich, äh«, stammelte Heiland. Er hielt sein Krankenkassenkärtchen in der Hand und präsentierte es der Dame nun, als wäre es ein Beweis. »Ich habe einen Termin.«