Herr Heiland und ein erholsamer Mord - Johann Simons - E-Book

Herr Heiland und ein erholsamer Mord E-Book

Johann Simons

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Beschreibung

Folge 4 - Herr Heiland spannt aus. Zumindest besteht Fräulein Dimpel auf einem gemeinsamen Wellness-Wochenende im benachbarten Bad Blümchen. Aber derartiger Müßiggang ist nicht nach Pfarrer Heilands Geschmack: Zu viel Sauna, zu wenig Sahnetorte. Und überhaupt wird er in der Gemeinde dringend benötigt! Doch dann stolpert er mitten in einen verbitterten Machtkampf zweier verfeindeter Kurbetriebe hinein - und bald auch über einen waschechten Mord! Bei so viel Dramatik kann sich niemand erholen ... es sei denn, er heißt Klaas Heiland.

Über die Serie: Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin, dem überambitionierten Bürgermeister und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen ...

Herr Heiland - ein himmlischer Cosy-Krimi für alle Fans von gemütlichen Ermittlungen.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Inhalt

CoverHerr Heiland– Die SerieÜber diese FolgeÜber den AutorTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6In der nächsten FolgeImpressum

Herr Heiland – Die Serie

Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin Fräulein Dimpel, dem überambitionierten Bürgermeister Moritz Mindenfeld und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen …

Über diese Folge

Herr Heiland spannt aus. Zumindest besteht Fräulein Dimpel auf einem gemeinsamen Wellness-Wochenende im benachbarten Bad Blümchen. Aber derartiger Müßiggang ist nicht nach Pfarrer Heilands Geschmack: Zu viel Sauna, zu wenig Sahnetorte. Und überhaupt wird er in der Gemeinde dringend benötigt! Doch dann stolpert er mitten in einen verbitterten Machtkampf zweier verfeindeter Kurbetriebe hinein – und bald auch über einen waschechten Mord! Bei so viel Dramatik kann sich niemand erholen … es sei denn, er heißt Klaas Heiland.

Über den Autor

Johann Simons ist ein deutscher Autor, der bereits viele Romane unter vielen Namen verfasst hat. Unter diesem Pseudonym lebt er seine Vorliebe für gemütliche Krimis mit charmantem Schmunzelhumor aus.

JOHANN SIMONS

Kapitel 1

Uns bleibt immer Paris …

Die Neonröhren flackerten nervös. Immer wieder tauchten sie den fensterlosen Gang in stockfinstere Dunkelheit, verbargen nackte Betonwände und graue Heizungsrohre für die Dauer von winzigen Sekundenbruchteilen. Heißer Dampf stieg aus verrosteten Dichtungsstellen, und in der Luft lag ein mechanisches Zischen und Stampfen, das ebenfalls auf die gewaltige alte Heizungsanlage zurückzuführen war. Hier unten, tief im Bauch des alten Hotels, war allein sie die Königin – und ihre Leibgarde hieß Angst.

Klaas Heiland schluckte trocken. Mit jedem neuen Schritt wurden seine Knie weicher. Seine Fingerkuppen kribbelten, als krieche ein Stamm wild gewordener Ameisen darüber. Er hörte das Zischen aus den grauen Rohren kaum noch, die in diesem gottverlassenen Winkel des Kellers nahezu überall an der Decke verliefen, denn in seinen Ohren hallte sein eigener Herzschlag wider. So laut, als wolle er den Rest dieser unterirdischen Welt übertönen.

Was mache ich da eigentlich?, fragte Heiland sich nicht zum ersten Mal, seit er den Keller betreten hatte. Warum gehe ich nicht zurück und rufe die Polizei? Ich könnte den Rest mühelos den Profis überlassen.

Sein alter Bekannter Tobias Kern lebte ja schließlich direkt hier in Bad Blümchen, oder etwa nicht? Und er wusste bereits, um was es bei dieser traurigen Angelegenheit ging!

Doch auch wenn die Vernunft eine andere Sprache sprach: Heiland kehrte nicht um. Er konnte einfach nicht anders.

Ich bin schon weit gekommen, dachte der Pastor und schluckte wieder. Ganz ohne fremde Hilfe. Und jetzt muss ich es auch allein beenden. Um seinetwillen.

Denn er konnte mit dem Mörder reden. Daran glaubte er ganz fest. Wenn er es nur richtig anstellte, konnte er diesen Wahnsinnigen auf den rechten Pfad zurückführen. Ihm helfen. Dafür waren Seelsorger doch da, oder? Um die verlorenen Schafe zurück zur Herde zu begleiten?

Auf jeden Fall, dachte er und spürte, wie er sogleich von neuem den Mut verlor. Dieses eine Schaf ist allerdings sehr verloren.

Heiland atmete tief durch und zwang seine Nervosität in ihre Schranken. Irgendwo weiter vorn hatte Joshua Leutze gerade erneut zu Schreien begonnen. Sein wirres Gebrüll hallte aus den Schatten des von allen guten Geistern verlassenen Heizungskellers wie ein Echo aus Höllentiefen.

»Sie werden mich nie kriegen, verstanden?«, verkündete der alte Mann lautstark. »Niemals! Eher nehme ich sie alle mit in den Tod, als dass ich das zulasse. Jeden Einzelnen von ihnen.«

Heiland setzte einen weiteren Fuß vor den anderen, langsam und vorsichtig. Bloß kein Geräusch machen, warnte er sich und schickte ein stummes Gebet an seinen Schöpfer. Noch weiß Leutze nicht, dass ich ihm auf den Fersen bin. Noch wähnt er sich allein und in Sicherheit.

»Das hätte ich von Anfang an tun sollen«, zeterte der Wahnsinnige weiter. »Ich war viel zu gnädig mit diesen Narren. Ein Mord? Pah! Ich hätte mit einem ganzen Dutzend anfangen sollen, in jener Nacht. Vielleicht hätten sie dann begriffen, mit wem sie sich hier anlegen!«

Leutze befand sich in einem der vielen kleinen Zimmer dieses wahren Irrgartens von einem Keller. Je näher Heiland ihm kam, desto lauter wurde er. Der Pastor brauchte nur der Stimme zu folgen, sie würde ihn ans Ziel führen.

»Aber den Fehler begehe ich kein zweites Mal«, versprach Leutze seinem stillen Versteck. Seine Stimme überschlug sich beinahe, und jede Silbe troff vor Erregung. »Wenn ich erneut zuschlage – und ich werde wieder töten –, dann wird daran kein Zweifel mehr bestehen. Dann werden sie mich alle kennenlernen. Mich … und meine Waffen!«

Heiland erreichte eine Ecke, an der der schmale Gang nach rechts bog. Die Neonröhren flackerten noch immer, doch wenige Meter vor sich sah er nun eine Tür, die einen Spalt offen stand und aus der Licht auf den Gang fiel. Dort musste Leutze sein.

Mit angehaltenem Atem schlich der Pastor näher. Er hielt sich dicht an der Wand, spürte den kalten Beton an seinen Händen. Im Licht, das über die Schwelle fiel, konnte er Leutzes Schatten erkennen. Der Alte ging offenbar auf und ab und fuchtelte dabei wild mit den Armen, schnaufte und zeterte.

Jetzt oder nie, dachte Heiland. Er sah kurz zur Decke und sandte ein weiteres schnelles Gebet nach oben. Hilf mir, ja?

Es gab keine hoffnungslosen Fälle, davon war er fest überzeugt. Jedes Kind Gottes verdiente es, dass man ihm half. Vor allem jene, die die Liebe des Herrn vergessen hatten.

Deshalb trat er vor, direkt ins Licht. »Herr Leutze? Hier spricht Pastor Heiland. Ich komme als Freund und würde Ihnen sehr gerne helfen. Bitte, lassen Sie uns einfach reden und …

Die Tür ging weiter auf. Joshua Leutze erschien auf der Schwelle. Der Mann mit dem schlohweißen Schnurrbart wirkte vollkommen verblüfft, als er Heiland erblickte. Doch sein Staunen wich in Sekundenschnelle einem nahezu spöttischen Grinsen.

»Herr Heiland«, sagte der Mörder. Der Lauf der mattschwarzen Pistole in seiner rechten Hand deutete auf den ungebetenen Gast. Sein Finger zuckte am Abzug. »Mit Ihnen hätte ich nie und nimmer gerechnet. Aber wo Sie schon einmal hier sind, kann ich auch mit Ihnen anfangen …«

Klaas Heiland sah in den dunklen Lauf der Waffe und sprach sein letztes Gebet.

Dreißig Stunden zuvor

Das Bett glich einem Schlachtfeld. Rings um den offenen Koffer lagen wahre Berge an sorgsam gefalteten Kleidungsstücken. Socken und Unterhemden schmiegten sich an blassblaue Hemden, schwarze Ledergürtel hatten sich zu polierten schwarzen Halbschuhen gesellt. Sogar den weißen Priesterkragen hatte sie nicht vergessen.

»Nein.« Klaas Heiland starrte auf das Chaos, in das sein Schlafzimmer sich während seines kurzen Spaziergangs verwandelt hatte, und schüttelte den Kopf. »Nein, auf keinen Fall.«

Sein Kleiderschrank, der die Wand neben dem Bett und dem kleinen Waschbecken säumte, war nahezu leer geräumt worden. Seine Kleidung befand sich auf dem Bett und wartete auf ihn. Doch er hatte andere Pläne.

»Fräulein Dimpel?«, fasste er seinen Mut zusammen. »Sind Sie hier irgendwo?«

Die Schlafzimmer lagen im Obergeschoss des alten Pfarrhauses von St. Hilarius. Heiland trat aus dem seinen und in den Flur, der zur Treppe führte. An der obersten Stufe angekommen, blieb er wieder stehen.

»Fräulein Dimpel?«, rief er erneut.

Einen Sekundenbruchteil später klapperte etwas in der Küche. »Hier unten, Herr Pfarrer.«

Heiland ging ins Erdgeschoss. Die schmale Treppe, die an der rechten Außenwand des Gebäudes entlanglief, endete nahe der Haustür und in einem weiteren kleinen Korridor. Von diesem ging das Pfarrbüro ab, weiter hinten folgten die Küche und das gemütliche Wohnzimmer. Die Tür zur Küche stand offen, wie nahezu immer, und Elvira Dimpel stand – ebenfalls wie nahezu immer – auf ihrer Schwelle.

Die einundsiebzigjährige Dame mit den grauen Locken war die Haushälterin des Pfarrhauses und hatte dieses Amt seit Jahrzehnten inne. Sie galt als gute Seele des Gebäudes, regierte in ihm aber auch mit strenger Hand. Dimpel gehörte noch zur alten Schule und kam Pastor Heiland mitunter katholischer vor als der Papst. Ihr Herz saß definitiv am rechten Fleck, allerdings schien gleich daneben ein mit Dornen bestückter Rosenkranz zu sitzen. Und vielleicht eine kleine Karaffe voller Weihwasser. Etwa eine aus Plastik, geformt wie die Jungfrau Maria persönlich.

»Suchen Sie mich?«, fragte Dimpel freundlich. Sie hielt einen Kochlöffel in der Rechten, das Zepter ihres ganz eigenen Thronsaals. »Sind Sie etwa schon fertig?«

»Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht einmal angefangen«, gestand er und kam näher. »Hören Sie, muss das wirklich sein? Wir können doch auch einfach zu Hause bleiben und …«

Dimpel ließ ihn gar nicht erst ausreden. »Seien Sie nicht albern, Herr Pfarrer«, erwiderte sie. Dabei lachte sie, aber der Kochlöffel winkte tadelnd. »Das Taxi ist bereits bestellt und in einer halben Stunde hier. Ich an Ihrer Stelle würde mich daher beeilen. Nicht, dass Ihnen nachher noch die feine Hose für das abendliche Buffet fehlt – oder der bequeme Morgenmantel für den Gang zum Pool.«

Heiland war ein Mann der Küste und mit dem Meer vor der Haustür aufgewachsen. Dennoch – oder vielleicht genau deshalb – sträubte er sich vor dem Gedanken, in irgendeinen chlorverseuchten Swimmingpool zu steigen. Ohnehin war ihm der gesamte Ausflug – für den Dimpel sogar ein Taxi geordert hatte, obwohl das Pfarrhaus über ein Auto verfügte – zutiefst suspekt.

Seit Monaten lebte das einstige Nordlicht nun schon in seiner neuen Gemeinde. Sonntal am See lag gewissermaßen am anderen Ende des Landes, unterschied sich aber bei Weitem nicht nur geographisch von der Ostsee und ihren Traditionen. Wo Heiland früher blaue See und grenzenlose Weite gesehen hatte, blickte er nun auf dunkle Wälder und grüne Hügel. Die Kutter und Segelboote von einst waren Schafen und Traktoren gewichen, und anstelle der frischen Meeresbrise atmete er heute nicht selten den herben Duft ein, der von den Kuhweiden am Rand der bayerischen Gemeindegrenzen herüberwehte, wo Bauer Billen sein Vieh grasen ließ.

Und das war längst noch nicht alles: Von vielen der nahezu alltäglich scheinenden Sonntaler Gepflogenheiten und Bräuche hatte Heiland bis zu seinem Amtsantritt in St. Hilarius noch nie gehört gehabt, nicht einmal während seines Theologiestudiums. Wenngleich der Großteil der Einwohner seiner neuen Heimat ihm sympathisch und freundlich vorkam, traf er doch auch immer wieder auf vereinzelte Typen, die so skurril und mitunter sogar absonderlich wirkten, als lebten sie in einer ganz eigenen Welt.

Selbst Elvira Dimpel stellte da keine Ausnahme dar. Die gute Seele des Pfarrhauses liebte ihre geblümt gemusterten Kittelschürzen über alles und trug sie an jedem Tag, an dem kein Gottesdienst in der gleich neben dem Pfarrhaus gelegenen Kirche auf dem Programm stand. Außerdem bestand sie – zur Not auch mit Nachdruck, wie Heiland bei seinem Einzug schnell gelernt hatte – auf die Anrede »Fräulein« und betrachtete ihre Pastöre nicht selten als mittelschwere Sozialfälle, um die sie sich mit Sorgfalt und voller Energie kümmern musste. Heiland hatte sich beispielsweise nie als Mann mit ausgesprochen ungesundem Lebenswandel betrachtet, doch seit das rüstige Fräulein Dimpel für ihn den Haushalt führte, bekam er seine geliebten Leibspeisen kaum noch zu Gesicht. Statt Sahnetorten, saftigem Braten und hausgemachten Knödeln musste er nun Knäckebrot und Möhren knabbern, und er hatte in der Zeit, die er inzwischen schon mit Dimpel unter demselben Dach lebte, mehr Salatsorten kennengelernt als der biblische Abraham Nachfahren kannte.

Und dann war da noch die Sache mit dem Ausflug …

»Stellen Sie es sich doch nur mal vor«, kam Dimpel erneut ins Schwärmen. »Ein ganzes langes Wochenende ohne Arbeit und Alltag. Wir müssen uns um absolut gar nichts kümmern und können uns nach allen Regeln der Kunst erholen. Und natürlich die gesunden Anwendungen mitmachen, versteht sich.«

Letzteres bekümmerte Heiland vor allem: die Anwendungen. Der gemütliche Pastor verreiste ausgesprochen ungern, noch ungerner ließ er sich aber auf diesen Reisen durchkneten, bevormunden und – wenn auch unter dem Deckmantel der Medizin – nach Strich und Faden foltern. Die Anzeige in der lokalen Tageszeitung, auf die das Fräulein vor Kurzem gestoßen war, verhieß zwar einen »gelungenen Kurzurlaub zum Aufladen der körpereigenen Akkus«, aber Heiland wusste genau, was sich der Adressat dieser Anzeige unter Urlaub vorstellte – nämlich etwas ganz anderes als er selbst.

Ein Kurhotel war kein Hotel, sondern eine Turnhalle mit angrenzendem Wohnheim. Ein Ort des Sports und des Verzichts. Erholung sah anders aus.

»Zugegeben, Bad Blümchen ist nicht Paris«, schwärmte Dimpel ungehindert weiter. »Weder Coco Chanel noch Moulin Rouge. Aber es ist auch nicht Sonntal, nicht wahr? Und wenn ich nicht kochen muss und mich ausruhen darf, ist schon viel gewonnen. Finden Sie nicht auch? Da wäre der Eiffelturm nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen, und zur Not geht’s auch ohne die.«

Paris. Dimpel redete seit einer geraumen Weile schon davon, dass sie die französische Metropole besuchen wollte. Heiland hatte ihr mehrfach angeboten, sie dürfe jederzeit gern Urlaub nehmen und einen Zug nach Frankreich besteigen. Doch die rüstige Dame hatte stets dankend abgelehnt. »Wer soll sich denn dann um Sie kümmern, hm?«, hatte sie gefragt und gelacht. »Nein, nein. Wenn ich mal in Urlaub fahre, dann nehme ich Sie selbstredend mit.«

So gesehen konnte er sich vermutlich glücklich schätzen, dass nur das Kurhotel Bad Blümchen in der Sonntaler Lokalzeitung inserierte und nicht irgendeine Nobelabsteige zwischen Louvre und dem Ufer der Seine. Bad Blümchen war die Kreisstadt hier in Heilands neuer Heimat und eine gute halbe Stunde mit Auto oder Bahn entfernt. Genau wie der Rest dieses bayerischen Niemandslandes lebte sie vom Tourismus. Doch wo beispielsweise Sonntal mit einem reizenden Stausee und idyllischen Waldspaziergängen wuchern konnte, verließ sie sich primär auf das »Bad« in ihrem Namen, um Umsatz zu generieren. Wer nach Bad Blümchen fuhr, dem standen Wasserkuren ins Haus, medizinisch betreute Gymnastik oder wochenlange Schonkost. Gerd Söhnchen, der Inhaber der Sonntaler Dorfgaststätte Zur stolzen Kaiserkrone, hatte einmal gescherzt, in der Kreisstadt trüge die Hälfte der Menschen einen weißen Ärztekittel und die andere Hälfte Morgenmantel und Birkenstocks. Und wie jeder wusste, scherzte Gerd Söhnchen selbst dann nicht, wenn er scherzte. Auch deshalb rechnete Heiland mit dem Schlimmsten.

»Wissen Sie, Fräulein Dimpel«, versuchte er es erneut. »Ich brauche eigentlich gar keine Erholung. Fahren Sie doch einfach ohne mich. Mir geht es wunderbar, und ich habe hier auch alle Hände voll zu tun, damit …«

Sein Gegenüber erstickte auch diesen Widerspruch im Keim. »Sie? Ich bitte Sie, Herr Pfarrer. Nach all den Mordgeschichten der vergangenen Wochen haben Sie sich eine Auszeit mehr als nur verdient.«

Da hatte sie nicht ganz Unrecht, das musste er ihr lassen. Heiland wusste selbst nicht, woran es lag, aber seit seiner Ankunft in Sonntal am See plumpsten ihm die Leichen geradezu vor die Füße. Alle Mörder dieser Erde schienen sich ausgerechnet die idyllische kleine Gemeinde am Waldrand für ihre Machenschaften auszusuchen, und ausgerechnet ihm oblag es dann, diese Täter zu überführen. Dabei hatte er mit Kanzel und Beichtstuhl schon mehr als genug am Hals.

Doch auch wenn er es ungern zugab: Insgeheim genoss er es, den Ermittler zu spielen. Heiland war ein ausgesprochener Fan von Kriminalromanen. Auch wenn er auf realen Nervenkitzel verzichten konnte, erfüllte es ihn doch mit Stolz, sich mitunter mit seinen literarischen Helden zu messen und in die Fußstapfen von Sherlock Holmes, Miss Marple und seinem persönlichen Favoriten zu treten: Chief Inspektor Timothy Smart, dem besten Mann von Scotland Yard.

Vielleicht war es ja auch das, was ihn davon abhielt, endlich den Koffer zu packen: Was, wenn es während seiner Abwesenheit zu – Gott bewahre! – einem weiteren Mord kam?

Kaum hatte er den Gedanken formuliert, klopfte es so prompt an die Haustür, als hätte draußen auf der Schwelle nur jemand auf sein Stichwort gewartet.

»Nanu?« Heiland sah skeptisch in Richtung Tür. »Das kann aber noch nicht Ihr Taxi sein, Fräulein Dimpel. Oder?«

Die Haushälterin ließ die Küche hinter sich und stampfte durch den schmalen Flur. »Auf keinen Fall. Dreißig Minuten, hat der Mann am Telefon gesagt. Das hier ist …« Sie öffnete die Tür und klang gleich weniger begeistert. »… nur der kleine Moritz.«

Moritz Mindenfeld war über fünfzig und alles andere als klein. Doch Dimpel kannte ihn seit seinen Kindertagen und hatte ihn seitdem so abgespeichert.

»Guten Morgen, mein liebes Fräulein Dimpel«, ließ Sonntals Ortsbürgermeister sofort seinen Charme spielen. Er hatte schwarz gefärbtes Haar und ein sonnenbankbraunes Gesicht. Sein in einem maßgeschneiderten Anzug steckender Körper war der eines Ex-Profisportlers, allerdings mit der Betonung auf Ex. »Ist unser geschätzter Herr Pfarrer Heiland zufällig zu sprechen?«

Dimpel trat beiseite, um den Weg freizumachen. »Aber nicht lange aufhalten, klar?«, warnte sie den ungeladenen Gast. »Der Pfarrer muss noch seinen Koffer packen.«

Mindenfeld hob eine Braue und trat ein. »Geht’s auf Reisen?«, fragte er und streckte Heiland lächelnd seine rechte Hand entgegen.

Heiland schüttelte sie seufzend. »Nach Bad Blümchen, fürchte ich. Über das Wochenende.«