Herzklopfen - Vicky Schnee - E-Book

Herzklopfen E-Book

Vicky Schnee

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Beschreibung

Narviks hasserfüllten Worte und Silas’ Betrug hängen Nelly nach. Wie hat sie sich nur so in den beiden Männern täuschen können? Obwohl der doppelte Verrat schmerzt, kämpft sie tapfer weiter. Mit Mila an ihrer Seite, die zu einer guten Freundin mit klugen Ratschlägen wird, und mit Max, der ihr ein ganz besonderes Tattoo stechen soll. Wäre da nur nicht Narvik, der im absolut falschen Moment auftaucht …

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Impressum
Vorwort
Prolog
Kapitel 1 Sa, 03.09.2022
Kapitel 2 Di, 06.09.2022
Kapitel 3 Do, 08.09.2022
Kapitel 4 Mo, 12.09.2022
Kapitel 5 Do, 15.09.2022
Kapitel 6 Do, 15.09.2022
Kapitel 7 Sa, 17.09.2022
Kapitel 8 So, 18.09.2022
Kapitel 9 So, 18.09.2022
Kapitel 10 Mo, 19.09.2022
Kapitel 11 So, 19.09.2022
Kapitel 12 Di, 20.09.2022
Kapitel 13 Di, 20.09.2022
Kapitel 14 Fr, 23.09.2022
Kapitel 15 Fr, 23.09.2022
Kapitel 16 Sa, 01.10.2022
Kapitel 17 Mo, 03.10.2022
Kapitel 18 Mi, 05.10.2022
Kapitel 19 Mi, 05.10.2022
Kapitel 20 Sa, 08.10.2022
Kapitel 21 Sa, 08.10.2022
Kapitel 22 Sa, 08.10.2022
Kapitel 23 Sa, 08.10.2022
Kapitel 24 Sa, 08.10.2022
Kapitel 25 So, 09.10.2022
Kapitel 26 Mo, 10.10.2022
Kapitel 27 Mi, 12.10.2022
Kapitel 28 Sa, 15.10.2022
Kapitel 29 Do, 20.10.2022
Kapitel 30 Fr, 21.10.2022
Kapitel 31 Sa, 22.10.2022
Norwegisch für Verliebte
Nachwort
Content Notes
Hilfe für Betroffene
Ausflugsziele
Danksagung

Vicky Schnee

 

Herzklopfen

Zwischen Tag und Nacht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Band 2

Roman

Impressum

 

Viktoria Schneeberg

Bebenhäuser Str. 19

71034 Böblingen

[email protected]

www.bunterschnee.de/buecher

Instagram: vickyschnee

 

Veröffentlicht über tolino media

 

Coverdesign und Umschlaggestaltung:

Florin Sayer-Gabor

www.100covers4you.com

Unter Verwendung von Grafiken von Adobe Stock: Watercolor_Concept, netrum78

 

Grafikdesign Kapitelverzierung, Charakterillustration:

Arianna

Fiverr: ariannaesp

 

© 2023 Vicky Schnee

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vicky Schnee wurde 1996 in Nordrhein-Westfalen geboren und lebt inzwischen in der Nähe von Stuttgart.

Die Liebe zum Schreiben lebt sie aus, seit sie das Alphabet beherrscht. Insbesondere das Verfassen von Romanen ist für sie nicht nur ein Hobby, sondern eine unbändige Leidenschaft.

Sie liebt es, neue Welten zu gestalten, in sie einzutauchen und sich von ihnen mitreißen zu lassen. Einerseits kann sie im Geschriebenen sich selbst und ihre Erlebnisse einbringen, andererseits kann sie vor ebendiesen fliehen und etwas vollkommen Neues erschaffen.

Für sie ist Schreiben der Schlüssel zu endlosen Möglichkeiten und somit zur Freiheit.

Vorwort

Hallo,

 

ich freue mich, dass du dich für den zweiten Teil meiner »Zwischen Tag und Nacht«-Reihe interessierst. Auch dieser Roman enthält mehrere potenziell triggernde Elemente. Eine Übersicht findest du unter »Content Notes«. Eine (ggf. aktualisierte) Version befindet sich zudem auf meiner Website unter www.bunterschnee.de/buecher/herzklopfen (Bitte beachte, dass diese Spoiler für das gesamte Buch enthalten!)

Ich wünsche dir viel Vergnügen beim Lesen.

 

Deine Vicky Schnee

PS: Wenn du in einer bestimmten Szene kein Wort mehr verstehst, schau mal unter „Norwegisch für Anfänger“! ;-)

 

Prolog

Dieses große Schlafzimmer ist immer kleiner geworden, hat mich zu zerquetschen gedroht, doch hier draußen, im Garten, kann ich endlich wieder die Weite wahrnehmen. Ich renne weiter, brauche mehr Abstand, will dieses verfluchte Haus hinter mir lassen. Ich spüre die Tränen, die sich in meinen Augen sammeln, aber blinzle sie zornig fort. Ich will nicht weinen, nicht um Narvik. Ich war so unfassbar dumm. Wie konnte ich bloß glauben, dass ein Bad Boy so nett und verständnisvoll sein kann? Scheiße, ich bin einfach nur naiv gewesen, und ich kann nicht begreifen, dass ich darauf hereingefallen bin. Narvik war doch von Anfang an viel zu gut, um wahr zu sein. Es gibt keine Männer, die meine kaputte Gefühlswelt verstehen. Er hat nur so getan als ob. Es war alles nur ein Spiel für ihn. Eine Herausforderung.

O Gott, ich fühle mich so dreckig, so benutzt. Er hat mich während einer Panikattacke erlebt, er weiß von meiner übertrieben Angst vor dem Meer, ich habe ihm von peinlichen Wünschen und Zukunftsvisionen berichtet. Ich bereue alles davon. Er hätte all das niemals sehen und hören, niemals so viel Privates über mich erfahren dürfen. Wahrscheinlich ist sein Interesse nur geheuchelt gewesen, all sein Verständnis gespielt und die Geschichten, die er erzählt hat, waren nichts weiter als Märchen. Trotzdem hat er es geschafft, mir Freiheit, Glück und Hoffnung zu schenken, aber all das entpuppt sich nun als bittere Lüge. Ich habe wie ein gutgläubiges Mädchen vollkommen naiv an dieser Illusion festgehalten. Seine Märchen haben mir gutgetan, doch nun fühlen sie sich umso schlimmer an. Ich schmecke Galle und Schmerz. Jede Menge Schmerz.

 

 

Fr, 02.09.

Musiktherapie war gut. Morgen holt mich meine Mutter ab. Vielleicht lerne ich ihren neuen Freund kennen.

Ich habe Narvik in Simons Haus getroffen und mit ihm »geredet«. Ich war so dumm. Immerhin weiß ich jetzt, dass er ein Arschloch ist und alles nur gelogen war.

Kapitel 1 Sa, 03.09.2022

Irgendwie ist alles beim Alten und dennoch vollkommen anders. Ich stehe an derselben Stelle wie immer, bewaffnet mit Handy und Reisetasche, und warte auf ein Auto, das mich abholt. Der Unterschied ist jedoch, dass es diesmal ein alter Kleinwagen und kein neuerer Golf ist, der vor mir hält. Außerdem steigt nicht Silas aus, um mich zu begrüßen, sondern meine Mutter. Ich spüre wieder das beklommene Gefühl tief in mir drin und wundere mich über all die Emotionen, die ich in letzter Zeit empfinde. Wo ist das gefühlstaube Roboter-Ich hin? Ein bisschen vermisse ich es, durch Watte zu laufen. Das, was ich zurzeit erlebe und fühle, ist mir zu viel.

Vielleicht sollte ich darüber mit meinem Psychiater sprechen und die Dosis des Antidepressivums erhöhen, obwohl ich das im Grunde gar nicht will. Wahrscheinlich ist es gut, endlich wieder etwas zu fühlen, denn genau das gehört zu einem normalen Leben dazu. Und was will ich mehr, als ein normales Leben zu führen? Ich bin schon viel zu lange krank, es wird Zeit, dass ich mich wieder richtig freuen kann – und wer starke, positive Empfindungen hat, kann leider ebenso Traurigkeit wahrnehmen. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Aber wieso fühle ich nur all den negativen Scheiß? Warum kann ich meine Mutter nicht mit einem ehrlichen, breiten Lächeln begrüßen? Alles ist so verhalten. Die Traurigkeit und der Schmerz überlagern jede einzelne Situation, jedes Gefühl, jeden Gedanken. Sie vermischen sich mit der Gefühlstaubheit und der Erschöpfung, und übrig bleibt nur ein abartiger Brei negativer Emotionen, die sich nicht mehr klar benennen lassen. Wahrscheinlich sollte ich diese Tabletten endgültig absetzen, damit ich alles richtig fühlen kann, egal, wie weh es tut.

Zum Glück glaubt meine Mutter, dass ich noch unter der Trennung von Silas leide, und nervt mich nicht mit aufdringlichen Fragen. Sie summt bei einem fröhlichen Lied im Radio mit, während ich gedankenverloren aus dem Fenster starre. Narvik fehlt mir mehr, als er sollte. Er hat mich tierisch verletzt, und dennoch vermisse ich die Person, die ich einst in ihm gesehen habe. Keine Ahnung, wieso ich so naiv gewesen bin. Mir hätte klar sein sollen, dass er bloß mit mir spielt. Wo bitte schön gibt es Bad Boys mit einem derart weichen Kern? Er ist ein ausgesprochen guter Schauspieler, aber das war Silas ja auch. Beide Männer haben es geschafft, mich zu verarschen, und ich darf mit meiner Mutter über keinen von beiden reden. Ich darf mit niemandem über das sprechen, was wirklich in mir vorgeht, und das macht mich verrückt. Ich will, dass dieser Schmerz verschwindet. Ich will ihn nicht mithilfe irgendeiner Chemie in Tablettenform betäuben, sondern ihn von mir schütteln und davonjagen. Ich will mich nicht länger betrogen, angelogen, ausgenutzt, entblößt und dumm fühlen.

Aber vielleicht gehört das dazu, wenn man richtig lebt. Man macht Fehler, sammelt Erfahrungen, schöne wie schmerzhafte, und man muss immerzu weitermachen. Blöd nur, dass ich darin nicht besonders gut bin, sonst wäre ich ja nicht in einer Psychiatrie gelandet. Ich wünschte, ein Fingerschnippen würde reichen, um zu einer anderen Person zu werden. Ich will nicht mehr so sensibel und empfindlich sein, sondern mehr Spaß an Kleinigkeiten haben können. Ich will nicht länger bloß vegetieren, sondern wieder richtig leben. Ich möchte stark genug für die Welt da draußen sein. Doch davon bin ich meilenweit entfernt.

Meine Mutter erzählt mir von ihren Unternehmungen der letzten Tage, von der Karriere ihrer Freundin und dem Tanzkurs, an dem Jakob und sie ab nächster Woche teilnehmen.

Ich zwinge mich dazu, ihr zuzuhören und mich endlich ins Gespräch einzuklinken, indem ich aufrichtig sage: »Ich freue mich darauf, Jakob kennenzulernen.« Na gut, freuen ist vielleicht etwas zu viel gesagt, aber ich möchte tatsächlich wissen, wer es schafft, meine Mutter so zum Strahlen zu bringen. Ich wünschte, dass auch ich ein bisschen mehr Glück mit Männern hätte. Eines Tages habe ich das vielleicht ja.

»Oh, das freut mich so! Er ist auch schon ganz nervös, aber er wollte heute unbedingt Lasagne für uns machen. Ich habe ihm nämlich erzählt, dass du die früher immer so gerne gegessen hast.«

Ja, das ist der Punkt: früher. Doch weil meine Mutter es nur gutgemeint hat, versuche ich, dankbar zu lächeln. »Ihr wohnt aber noch nicht zusammen, oder?«, frage ich sie.

Sie zögert einen Moment zu lang, ehe sie verneint. Ich betrachte sie prüfend. Lügt sie etwa? Wieso? Muss ich mich in letzter Zeit ernsthaft von allen Menschen, die mir wichtig sind, anlügen und verarschen lassen?

»Sei ruhig ehrlich«, brumme ich gereizt. Sie soll mich nicht in Watte packen, denn darin stecke ich ja längst fest. Sie soll einfach nur ehrlich zu mir sein, selbst wenn sie befürchtet, dass ich die Antwort nicht hören will.

Seufzend gibt sich meine Mutter geschlagen. »Offiziell nicht. Aber wir haben darüber nachgedacht, dass er bei mir einzieht. Meine Wohnung ist groß genug, und Jakob ist sowieso kaum noch bei sich zuhause.«

Ich nicke und versuche, die Enttäuschung herunterzuschlucken. Ich darf kein Egoist sein, sonst bin ich nicht besser als die Menschen um mich herum. Es ist ihr gutes Recht, mit ihrem Freund zusammenzuziehen, selbst wenn dann kein Platz mehr für mich ist. Ich habe ja insgeheim gehofft, nach dem Klinikaufenthalt eine Weile bei meiner Mutter einziehen zu dürfen, ehe ich etwas Eigenes gefunden habe, aber wahrscheinlich brauche ich nun einen Plan B. Egal. Das ist mein Problem, nicht das meiner Mutter. Sie soll einfach nur glücklich sein und sich keine Gedanken um mich machen, ich werde schon irgendwie meinen Weg gehen. Momentan ist an eine Entlassung sowieso nicht zu denken.

»Du darfst natürlich trotzdem weiterhin jedes Wochenende zu uns kommen«, versichert mir meine Mutter, die offenbar spürt, dass ich enttäuscht bin. Dass diese eine Nacht pro Woche keine große Sache ist, weiß ich. Aber was mache ich, wenn ich die Klinik verlassen darf? Kann ich von Anfang an wieder auf eigenen Beinen stehen? Ich habe keine Ahnung, ob ich das hinbekomme, doch so wie es aussieht, muss ich das schaffen. Oh, Mann. Im Moment befürchte ich, rein gar nichts mehr zu erreichen. Ich fühle mich so ausgelaugt und niedergeschlagen wie schon lange nicht mehr.

»Okay«, sage ich bloß. Ich fühle mich nicht dazu im Stande, ihr mein Herz auszuschütten. Es ist so schwer, dass es mich gen Boden drückt, aber es beherbergt viel zu viele Geheimnisse. Sie denkt, dass ich mich brav an die Therapie halte und keinerlei Regeln breche. Ich darf sie nicht enttäuschen. Meine Hand wandert unwillkürlich zu meinem Bauch, tastet nach der Narbe einige Zentimeter unter meinem Nabel. Ich habe meine Mutter in gewisser Weise längst enttäuscht. Als in meinem Leben plötzlich nichts mehr so wie früher war, habe ich auch ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen zerstört. Jetzt ist Jakob da, der ihr wieder das Lachen zurückgegeben hat. Und Silas hat die andere rothaarige Frau. Sie retten, was ich verbockt habe.

Ich muss an Max denken und die Tattoos, die ich mir stechen lassen möchte. Ich habe es nicht getan, weil Silas sie gesehen hätte, doch nun stellt er kein Hindernis mehr dar. Keine Ahnung, ob die Farbe auf der Haut wirklich so guttut, wie ich es mir vorstelle, aber irgendetwas muss ich tun, oder? Irgendwie muss ich mein Leben wieder in die Hand nehmen und anfangen, es nach eigenen Wünschen zu gestalten. Ich beschließe, Max noch heute zu kontaktieren. Irgendwo in meiner Tasche müsste seine Visitenkarte stecken, und weil ich das dringende Bedürfnis habe, mein Leben wieder in die korrekte Richtung zu lenken, sollte ich wenigstens mit derartigen Kleinigkeiten anfangen. Zu viele große Schritte auf einmal sind zu viel verlangt, aber mehrere kleine sollten möglich sein. Dass ich mich um die Scheidung kümmere, ist die eine Sache. Das Tattoo wieder eine andere.

»Schaust du manchmal nach, na ja, nach ihren Gräbern?«

Meine Mutter starrt mich viel zu lange perplex an, wenn man bedenkt, dass sie gerade mit 100 km/h auf der Landstraße unterwegs ist. »Ähm, ja, Nelly, natürlich. Ich bin jede Woche da«, stottert sie, nachdem sie den kleinen Schock über meine unerwartete Frage verdaut hat. Wir haben vor einigen Monaten zuletzt darüber geredet.

Anfangs wollten mich alle möglichen Leute dazu bewegen, auf den Friedhof zu gehen, damit ich mit der ganzen Sache besser abschließen kann. Irgendwann haben sie eingesehen, dass man mich dazu nicht überredet bekommt. Ich weiß, dass ich das früher oder später stellen muss. Ich werde es eines Tages tun, doch es sind nur kleine Schritte möglich. Ich muss überhaupt erst einmal lernen, die Gedanken zuzulassen, die Fakten zu akzeptieren und mit den Erinnerungen zu leben. Leider weiß ich noch nicht so genau, wie das gehen soll.

Meine Mutter zögert einen Moment, ehe sie vorsichtig fragt: »Möchtest du sie mal sehen?«

»Nein«, sage ich sofort entschieden und schüttle heftiger mit dem Kopf, als ich müsste. Mir genügt es momentan vollkommen, zu wissen, dass sich meine Mutter nach wie vor um die Grabpflege kümmert. Ich will jetzt nicht weiter darüber nachdenken, die Bilder schiebe ich lieber weit von mir, sonst droht ein Nervenzusammenbruch, den ich wirklich nicht gebrauchen kann.

Ich springe aus dem kleinen Wagen und atme tief durch. Die Erleichterung hält nicht lange an, denn nun steht mir ein Kennenlernen mit Jakob bevor, das mich nervös macht. Wahrscheinlich ist er ein netter Mann, der mehr über mich weiß, als mir lieb ist, aber immerhin bereichert er das Leben meiner Mutter. Ich werde mich ihr zuliebe zusammenreißen, ganz gleich, wie anstrengend das Mittagessen wird.

Ich folge meiner Mutter in die Wohnung, in der es unbestreitbar nach Lasagne riecht. Kaum fällt die Tür hinter uns ins Schloss, biegt ein Mann um die Ecke, der eine blau-weiß-karierte Schürze mit roten Tomatensoßenspritzern trägt. Meine Mutter begrüßt ihn mit einem Schmatzer. Obwohl es ein schneller, nahezu flüchtiger Kuss ist, schließt Jakob einen Moment lang die Augen. Dann legt er einen um ihre Taille und lächelt mich freundlich an, wahrt aber einen gewissen Abstand. Er sieht anders aus, als ich erwartet habe. Nicht so ordentlich-spießig, sondern mit dichtem Rauschebart und langem, dunklen Zopf. Er hat sogar ein Tattoo an seinem Unterarm. Okay, ich gebe es zu: Er ist mir sofort sympathisch. Doch dann erinnere ich mich wieder an meine schmerzhaften Erfahrungen mit Narvik, die mich frösteln lassen. Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass ich vorsichtig sein sollte. Der nette Eindruck könnte täuschen. Dennoch gebe ich mir einen Ruck, gehe auf ihn zu und strecke ihm meine Hand entgegen. »Hi, ich bin Nelly. Freut mich, dich kennenzulernen.«

Sein Lächeln ist so aufrichtig, dass mir wieder bewusst wird, wie oft ich mit halbherzigen Gesten abgespeist werde. »Die Freude ist ganz meinerseits«, erwidert er mit tiefer Stimme und festem Händedruck. »Ich heiße Jakob und ich hoffe, meine Lasagne schmeckt dir.«

»Oh, ja, bestimmt«, sage ich unsicher, aber weiterhin um ein freundliches Lächeln bemüht. Wenn ich ihm jetzt erzähle, dass ich keinen richtigen Appetit mehr habe, seit ich mit Antidepressiva vollgepumpt werde, wird das seine Stimmung sicherlich trüben.

Ich folge ihm ins Esszimmer, wo bereits Teller, Gläser und Besteck an unseren Plätzen stehen. Meine Mutter schenkt uns Zitronenwasser ein, während Jakob die dampfende Lasagne auf den Tisch stellt. Ich muss zugeben, dass sie gut aussieht, aber ich kann mich darüber trotzdem nicht so freuen, wie ich wahrscheinlich sollte.

Mir kommen plötzlich Narviks Worte in den Sinn: »Wenn du auch schöne Empfindungen und positive Reize nicht mehr richtig wahrnehmen kannst, macht das ja auch nicht glücklich.« Ich schlucke schwer. Wieso spukt dieser Kerl ständig in meinem Kopf umher? Ich weiß, unser letztes Aufeinandertreffen ist erst wenige Stunden her und ich habe die Ereignisse der Nacht noch längst nicht verarbeitet, aber wieso hat mein Hirn nicht einmal verstanden, dass dieser Typ darin keinen Platz mehr hat? Alles, was er gesagt oder getan hat, war eine Lüge. Er hat sich nur einen Spaß daraus gemacht, mich auf diese Art und Weise rumzukriegen, und ich bin auf ihn hereingefallen. Selbst diese Weisheit ist im Grunde nicht mehr als irgendein bedeutungsloser Satz. Mag sein, dass er damit etwas Wahres gesagt hat, aber hat at er mich und meine Probleme wirklich verstanden? Konnte er tatsächlich nachempfinden, was in mir vorgeht? Oder hat er mir das nur erfolgreich weisgemacht?

Ach, Mann, jetzt lasse ich mir schon wieder von ihm die Laune verderben! Er hat mich als Schlampe bezeichnet und mir überdeutlich zu verstehen gegeben, dass er mich nur ins Bett kriegen wollte. Ich sollte diesen Idioten so schnell wie möglich vergessen und mich auf meine eigenen Angelegenheiten konzentrieren.

Ich sehe zu, wie meine Mutter die Lasagne auf unseren Tellern verteilt, ehe wir einander einen guten Appetit wünschen. Ja, den hätte ich wirklich gern. Ich kann ein Seufzen nur mit Mühe unterdrücken. Die Lasagne ist heiß und schmeckt gut, aber nicht besser als die meisten anderen Mahlzeiten, die ich tagtäglich zu mir nehme. Alles ist ein bisschen fad, nichts schmeckt mehr so wie früher. Früher, als Wasser noch kein Feind war und ich ein völlig normales, durchschnittliches Leben geführt habe. Ich vermisse diese Zeit.

»Die ist lecker«, sage ich nach dem zweiten Bissen, um das beklemmende Schweigen zu durchbrechen.

Meine Mutter und Jakob beginnen im selben Moment zu lächeln. »O ja, wirklich köstlich«, pflichtet sie mir bei.

»Danke, das freut mich«, sagt Jakob und schenkt meiner Mutter ein Lächeln, dessen Wärme sogar mich erreicht. So einen Gesichtsausdruck kann man unmöglich faken, oder?

Meine Mutter nimmt einen Schluck Wasser, ehe sie mich fragt: »Wie war deine Woche, Nelly?«

Die Frage ist vermutlich bewusst sehr allgemein gehalten, weil sie mich nicht dazu drängen will, vor Jakob etwas zu erzählen, das er nicht hören soll. Wahrscheinlich würde sie am liebsten fragen, ob ich mit meinen Therapeuten über die bevorstehende Scheidung gesprochen habe und wie ich mich mit diesem Entschluss fühle. Vielleicht wüsste sie auch gern, wie viele Panikattacken ich in den letzten Tagen hatte oder ob ich schon Fortschritte mache. Aber meine Mutter ist zu taktvoll, um all das vor einem Fremden zu fragen, und mal wieder muss ich an Narvik denken. Er ist auch immer so rücksichtsvoll gewesen. Bis gestern. Bis er sein wahres Ich gezeigt hat.

Verdammt, ich kann noch immer nicht glauben, was er zu mir gesagt hat. Und wie böse er dabei ausgesehen hat. Bei der Erinnerung legt sich ein Ring um meine Kehle. Ich schaffe es kaum, die Lasagne in meinem Mund herunterzuschlucken.

Irgendwie bringe ich es fertig, die Lasagne hinunterzuwürgen, ehe ich antworte: »Sie war okay. Ich habe mich mehr oder weniger mit der Neuen angefreundet und weiter Klavierspielen geübt.« Das ist nur die halbe Wahrheit, aber ich kann meiner Mutter unmöglich von Narvik erzählen und ich will ihr ebenso wenig von meinen Panikattacken und Albträumen berichten.

Zum Glück spielt meine Mutter mit und stellt ein paar Fragen über Mila, obwohl sie bestimmt merkt, dass ich ihr allerhand verheimliche. Auch Jakob versucht, sich an dem Gespräch zu beteiligen, indem er mir erzählt, dass er ein bisschen Gitarre spielen kann und eine schreckliche Gesangsstimme hat, jedoch gerne tanzt. Beide schwärmen daraufhin von dem Tanzkurs, den sie nun belegen. Ich gebe mir Mühe, ihm so nett und interessiert wie möglich zu begegnen, dabei bin ich einfach nur müde und ausgelaugt. Ich habe in den letzten Tagen viel zu viel über Narvik nachgedacht und naive Hoffnungen aufgebaut, die er mit nur wenigen Sätzen vollkommen zerstört hat. Tja, und jetzt ist dieser Mistkerl schon wieder in meinem Kopf.

Nach dem Essen verkünde ich, dass ich eine Weile draußen unterwegs sein werde. »Ich brauche ein bisschen Luft und Zeit für mich, ich muss einen freien Kopf bekommen«, erkläre ich. Zum Glück nickt Christina verständnisvoll, doch ich merke, dass sie besorgt ist. Ich kann meiner eigenen Mutter unmöglich etwas vormachen, sie spürt einfach alles. Schuldbewusst schnappe ich mir mein Notizbuch und einen Stift, ehe ich förmlich aus der Wohnung fliehe. Sie ist großzügig geschnitten, aber mich erdrücken die Wände trotzdem. Ich ertrage die verkrampfte Stimmung nicht länger, die hier herrscht, weil niemand in ein Fettnäpfchen treten will. Mann, ich bin doch nicht aus Zucker! Ich bin krank, ja, aber nicht vollkommen verblödet. Man kann mit mir durchaus normal reden.

Da meine Mutter hier seit über zehn Jahren wohnt und auch ich hier einige Zeit gelebt habe, ist mir die Umgebung vertraut. Ich weiß, welche Orte so gut besucht sind, dass ich sie lieber meiden sollte, und welcher Weg besonders verlassen ist. Natürlich entscheide ich mich für den ruhigen Pfad, der auf die Felder hinausführt. Der Tag ist nur halb so reizvoll wie die Nacht, aber durchaus ebenfalls schön. Ich finde rasch einen sonnigen Platz inmitten einer Wiese, die so verlassen daliegt, dass sie zum Verweilen einlädt. Ich muss unbedingt auf andere Gedanken kommen und Narviks verletzenden Worte vergessen, daher schlage ich mein Notizbuch auf und notiere die aktuelle Wochenaufgabe: »Dankbarkeit für die Erde«. Letztes Mal, als es um Dankbarkeit für eine bestimmte Person ging, habe ich zwar pflichtbewusst über Silas geschrieben, in Wahrheit den Eintrag jedoch ausschließlich Narvik gegönnt. Jetzt bin ich keinem der Männer mehr dankbar. Keiner von ihnen hat meine Dankbarkeit verdient, doch es fällt mir nicht schwer, im Gras zu sitzen und der Erde zu danken. Diesen Text kann ich guten Gewissens mit Kugelschreiber verfassen, ausnahmsweise benötige ich keinen Bleistift. Ich muss gar nicht lange über die Worte nachdenken, sie sprudeln förmlich aus mir heraus.

Es fühlt sich überraschend gut an, der Erde für ihre Schönheit und ihre kleinen Wunder zu danken. Am Ende danke ich ihr sogar für das Wasser. Ausgerechnet ich bedanke mich, weil die Erde voller Wasser ist. Aber so ist das wohl, wenn man seit Monaten in einer Klinik festsitzt: Irgendwann wird man verrückt.

 

 

Sa, 03.09.

Jakob scheint nett zu sein und meine Mutter wirklich zu lieben. Er ist zum Glück kein Spießer und seine Lasagne war nicht schlecht. Es war einfach, der Erde für ihre Schönheit zu danken.

Ich habe Max kontaktiert, um mit ihm einen Termin zu vereinbaren. Er war irritiert, aber dazu bereit, mich erst nach Mitternacht im Studio zu empfangen.

 

So, 04.09.

Ich habe lange geschlafen. Einfach so. Wahrscheinlich war ich zu müde, zu ausgelaugt, zu erschöpft, und es ist schlichtweg passiert. Ich hatte unruhige Träume, aber keine allzu schlimmen. Manchmal lohnt es sich wohl, ganz unten zu liegen.

Es gibt gerade keinen besseren Ort als die Nestschaukel. Okay, ich war erst kürzlich mit Narvik hier, und diese Erinnerung tut weh, aber ich bin momentan zu erschöpft, um weitere Strecken zurückzulegen. Hier ist es ruhig, und das ist gut so.

 

Mo, 05.09.

Mila hat mit mir zusammen geraucht. Keine Ahnung, warum, aber das war ein schöner, friedlicher Moment.

Die zweite Zigarette habe ich unweit der Klinik geraucht, während ich in einer Bushaltestelle saß. Mir fehlt die Energie für weitere Wege und größere Ausflüge.

Kapitel 2 Di, 06.09.2022

 

Regentropfen prasseln auf das Vordach der Klinik und erinnern mich schmerzlich daran, wie sehr ich den Herbst hasse. Das ist früher anders gewesen, da habe ich mich über das Suchen von Kastanien ebenso gefreut wie über die vielen bunten Blätter auf den Wegen. Aber dieser ständige Regen macht mich fertig. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Regenjacke nach oben, setze die Kapuze auf und hole tief Luft. Ich kann nicht leugnen, dass die frische, kühle Nachtluft eine herrlich belebende Wirkung auf meinen müden, erschöpften Geist hat, aber allein das Geräusch des Regens macht mich nervös. Ich weiß, dass dieses Wasser absolut harmlos ist, aber er spannt dennoch meine Nerven bis aufs Äußerste an. Immerhin regnet es nicht in Strömen, sodass ich mir endlich einen Ruck gebe und unter dem schützenden Vordach hervortrete. Ein Tropfen landet auf meiner Wange und bringt mich zum Erschaudern, doch ich laufe eilig weiter.

Ich kann es nicht lassen, nach Narviks gelben Aston Martin Ausschau zu halten, während ich den Supermarktparkplatz passiere. Ich würde mich dafür am liebsten ohrfeigen. Natürlich ist er nicht da, und selbst wenn, würde es keine Rolle spielen. Ich will nichts mehr mit diesem hinterlistigen Verräter zu tun haben, daher setze ich Scheuklappen auf und laufe eilig weiter. Ich versuche, auf meinem Weg durch die Stadt Schutz unter ausladenden Bäumen und Dächern zu finden, gehe nah an Hauswänden und Baumalleen entlang. Ich spüre trotzdem, dass das Wasser überall um mich herum ist, und das spannt jeden einzelnen Muskel an.

Das geliebte Knirschen der Kieselsteine unter meinen Füßen, das ertönt, sobald ich den Park betrete, beruhigt mich heute nicht. Ich versuche zwar, mich auf den Klang des Schotterwegs bei jedem Schritt zu konzentrieren, aber der prasselnde Regen ist zu penetrant und drängelt sich förmlich in meine Gehörgänge.

Verwundert stelle ich fest, dass trotz des Schietwetters schon wieder die kleine Männergruppe auf der Parkbank am Wegesrand sitzt, Bier trinkt und quatscht. Wer setzt sich denn bitte freiwillig bei dem Regen nach draußen? Ich werfe einen flüchtigen Blick auf die Gruppe. Nicht jeder von ihnen trägt wasserdichte Kleidung, einer von ihnen sitzt sogar in T-Shirt und Shorts da. Ich frage mich, ob die auch irgendwelche Drogen konsumieren, die das Kältegefühl auslöschen. Meine Schultern verkrampfen sich, als mir auffällt, dass mich der schmierige Typ mit den langen Haaren erkannt hat. Es bringt offenbar nichts, die Hände in die Jackentasche zu stopfen und die Kapuze tief ins Gesicht zu ziehen, ich falle trotzdem auf. Sofort erhebt er sich und ruft: »He, Mädel, warte doch mal. Ich muss mit dir reden.«

»Ich aber nicht mit dir«, gebe ich zurück. Ausnahmsweise strecke ich ihm nicht meinen Mittelfinger entgegen, denn ich will nicht mehr Regentropfen als unbedingt nötig abbekommen.

»Lass sie doch endlich mal in Ruhe«, sagt der Typ mit den kurzgeschorenen Haaren, und gibt ein genervtes Stöhnen von sich.

Aber obwohl ich stur weiterlaufe, sprintet der Langhaarige hinter mir her und packt mich an meiner Schulter. Ich wirble zu ihm herum und ziehe nun doch die Hand aus meiner Jackentasche, um seinen Arm wegzuschlagen. Er funkelt mich wütend an, aber diesen Blick erwidere ich ebenso zornig. Dieser Idiot soll bloß seine dreckigen Pfoten von mir lassen. »Wie wär’s mit Wegzoll?«, fragt er provokant. »Jedes Mal, wenn du an uns vorbeilaufen willst, bekomme ich einen Kuss von dir.«

Was will dieser Idiot eigentlich von mir? Er hat eine widerliche Alkoholfahne und eine unmögliche Art, auf fremde Frauen zuzugehen. »Fick dich«, zische ich und will endlich weitergehen, aber er zieht mich grob an meinem Arm zurück. Ehe ich ihn wegschlagen kann, mischt sich sein kurzhaariger Kumpel ein und stellt sich schützend zwischen uns. »Es reicht jetzt echt, Lukas. Ich bin nicht dein verdammter Babysitter«, knurrt er.

»Dann lass mich doch einfach mit der Kleinen allein, die wird schon noch auftauen«, erwidert der Ekel mit einem dämlichen Grinsen.

»Das werde ich garantiert nicht tun. Willst du wieder eine Anzeige aufgrund sexueller Belästigung bekommen?«

Wieder? Na, das sieht dem Widerling ähnlich. Obwohl ich das Gesicht meines Beschützers nicht erkennen kann, ist mir doch klar, dass sich die beiden gerade ein Blickduell liefern. Der betrunkene Lukas verliert, wendet sich fluchend von uns ab und beschimpft nicht nur mich, sondern auch seinen Kumpel. Dieser kann darüber nur verächtlich mit dem Kopf schütteln, ehe er sich mir zuwendet und fragt: »Bist du okay?«

Ich nicke. »Danke. Nicht nur für jetzt, sondern für jedes einzelne Mal.«

Er grinst, woraufhin kurz seine weißen Zähne aufblitzen. Seine leuchtendgrünen Augen erinnern mich an die einer Katze. Mir fällt gerade zum ersten Mal auf, dass er ziemlich gut aussieht, obwohl seine Haare so kurzgeschoren sind, dass er auch gleich eine Glatze tragen könnte. Ich mag lange Haare mehr, aber die Frisur steht ihm. Ein einzelner Ring ziert sein linkes Ohr, ansonsten scheint er zumindest im Gesicht keine Piercings zu haben. Vermutlich ist er ein netter Kerl, sonst würde er mir nicht konsequent diesen aufdringlichen Widerling vom Hals halten.

»Kein Problem«, erwidert mein Gegenüber lächelnd, ehe er einen Schritt zurückgeht. »Also, ich will dich nicht aufhalten. Mach’s gut.«

»Danke. Du auch«, antworte ich und sehe zu, wie er sich umdreht und zurück zu den anderen läuft.

Verwirrt setze ich mich in Bewegung. Das war eine seltsame Unterhaltung. Na gut, ich habe es immerhin endlich geschafft, mich bei ihm zu bedanken, aber ich wünschte, ich hätte nach seinem Namen gefragt. Jetzt weiß ich zwar, wie der langhaarige Idiot heißt, aber nicht, der einzige Mann der Gruppe, der noch einen Hauch von Anstand zu besitzen scheint, bleibt für mich ein Namenloser. Ach, was solls. Seinen Namen zu kennen ändert doch eh nichts. Ich will ohnehin nichts weiter mit ihm zu tun haben, und ob er so nett ist, wie er tut, sei eh dahingestellt. Ich scheine viel zu schnell irgendwelche Menschen sympathisch zu finden und sollte dringend darauf achten, nicht allen zu vertrauen. Wo das hinführt, habe ich ja erst kürzlich schmerzlich erfahren müssen.

 

Das Tattoostudio ist hell erleuchtet. Bereits von draußen kann ich Max erkennen, der hinter dem Tresen sitzt und dort an irgendetwas zu arbeiten scheint. Als ich die Tür aufstoße und mich die trockene Wärme empfängt, fällt sogleich eine Last von meinen Schultern. Max sieht auf, lächelt und ruft: »Aha, da ist ja die Nachteule!«

Ich bin all die bescheuerten Spitznamen leid, die mir ständig irgendwelche Typen geben, aber ich schlucke den bissigen Kommentar hinunter, der bereits auf meiner Zunge liegt. Ich will was von diesem Mann, also sollte ich nett zu ihm sein. Andernfalls kann ich mein Tattoo endgültig vergessen.

Ich nehme die Kapuze ab, gehe zum Tresen herüber und sage: »Danke, dass das geklappt hat.« Es ist definitiv nicht selbstverständlich, mitten in der Nacht einen Termin zur Besprechung bei einem Tätowierer zu erhalten.

»Ich gehe, wann immer möglich, auf individuelle Kundenwüsche ein.« Er zwinkert mir zu, ehe er mit einem geschäftlichen Tonfall fragt: »Also, du hast gesagt, dass das Tattoo über eine Narbe gehen soll. Kannst du mir die mal zeigen, damit ich weiß, was mich erwartet?«

Ich zögere, deute auf die Glasfront hinter mir und antworte: »Ja, aber vielleicht lieber nicht hier?«

Er wirkt zunächst verwirrt, dann lacht er amüsiert. »Ähm, okay, klar, wir können auch rüber gehen ins Tätowierzimmer. Ich wusste nicht, dass du so ... na, egal.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Dass ich nicht so prüde bin, oder was wollte er sagen? Mist, dieser Kerl ist mir nur halb so sympathisch wie der Typ aus dem Park, und selbst bei dem bin ich vorsichtig. Aber ich werde garantiert keinen anderen Tätowierer finden, der nachts Termine vergibt, also verdränge ich meinen Frust und folge ihm in den kleinen Nebenraum. Ich sehe vor meinem geistigen Auge noch immer Narvik rücklings auf der Liege liegen, während ich auf dem Stuhl daneben sitze.

Ärgerlich schiebe ich diese Bilder fort, ziehe meine Leggings ein wenig nach unten und hebe mein Oberteil soweit an, dass Max sich die Narbe genauer ansehen kann. Ich fühle mich schrecklich unwohl und entblößt, während er meinen Bauch mustert. Mein Herz hat einen schnelleren Takt angeschlagen. Mann, ist das unangenehm. Ich hoffe nur, dass es besser wird, wenn es dann tatsächlich ans Tätowieren geht.

»Die ist von einem Kaiserschnitt, oder?«, fragt Max und fährt mit seinem Finger darüber. Ich zucke unwillkürlich zusammen, die überraschende Berührung lässt mich erschaudern. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du ein Baby hast. Wie alt ist die Narbe? Sie scheint verheilt zu sein.«

Ich beiße meine Zähne fest zusammen, um bloß nicht zu schreien, und zwinge mich dazu, ruhig stehen zu bleiben. Dieser Typ besitzt kein Feingefühl, so viel ist sicher. Ich kämpfe gegen den Kloß in meinem Hals an, ehe ich antworte: »Über ein Jahr. Ich denke nicht, dass sich die Narbe noch irgendwie verändert.«

»Okay.« Max nickt und wendet sich von meinem Bauch ab. Ich stoße erleichtert die Luft aus. Mir fällt erst jetzt auf, dass ich sie viel zu lange angehalten habe. »Und was genau willst du darüber tätowieren lassen?«

Ich ziehe das gefaltete Blatt Papier aus meiner Jackentasche. Während Max die Skizze – ein in Engelsflügeln gebettetes Baby – betrachtet, erkläre ich ihm: »Ich bin nicht die beste Zeichnerin, also, es muss definitiv nicht exakt so aussehen, sondern gerne etwas ordentlicher und proportionaler.«

Er nickt mal wieder, nachdem er das Bild eine Weile nachdenklich betrachtet hat. Dann fragt er: »Und wie groß soll es in etwa werden?«

»Das Baby soll ungefähr so lang sein wie die Narbe, der Rest ergibt sich ja dann von allein.«

»Okay. Das bekomme ich hin. Darf ich deine Zeichnung als Vorlage behalten? Ich kann dann ein bisschen an den Details feilen.«

»Natürlich«, antworte ich und werde allmählich etwas entspannter, weil das vorerst Schlimmste überstanden zu sein scheint.

Max geht wieder zurück zu seinem Tresen, wo er in einem Kalender blättert. »Wann hast du denn Zeit fürs Stechen?«

»Ähm, nachts«, antworte ich zögernd.

Max sieht mit einem merkwürdigen Ausdruck zu mir auf, den ich nicht richtig deuten kann. »Du bist also wirklich eine reine Nachteule, hm? Hätte mir ja denken können, dass Narvik keine ganz normalen, durchschnittlichen Frauen anschleppen kann.«

Ich runzle die Stirn, hake aber nicht hinterher. Soll er doch von mir und Narvik halten, was er will. Hauptsache, ich bekomme von ihm zeitnah mein Wunschtattoo gestochen. Ich bilde mir ein, dass es Teil des Genesungsprozesses ist. Ich schiebe dieses Thema viel zu konsequent von mir weg, nun werde ich dazu gezwungen, mich endlich mal wieder damit auseinanderzusetzen. Das ist hart, aber sicherlich richtig und wichtig.

»Also gut, ich will ja mal nicht so sein, weil Narvik ein wirklich guter Freund von mir ist«, gibt sich Max seufzend geschlagen. Ich sollte wohl besser nicht erwähnen, dass Narvik und ich uns zerstritten haben, sonst werde ich diese Vorteile sicherlich nicht länger genießen können. »Ab wann kannst du denn?«

»Ab halb eins«, antworte ich.

Max schüttelt mal wieder halb verwirrt, halb amüsiert den Kopf. Ja, er hält mich eindeutig für verrückt, aber solange er mitspielt, ist mir das egal. »Na gut, dann nächste Woche Donnerstag? Bis dahin habe ich die Zeichnung sicherlich fertig und ich habe freitagfrüh keine Termine, sodass ich dir zuliebe lang wach bleiben kann.«

»Klingt gut. Danke.«

»Also, das macht dann schon mal fünfzig Euro im Voraus. Der Rest folgt nächste Woche. Das Ganze wird dich in Summe wahrscheinlich etwa hundertfünfzig Euro kosten.«

Ich nicke und ziehe den Fünfziger aus meiner Jackentasche, den ich in weiser Voraussicht eingesteckt habe. Scheinbar ist die Anzahlung von fünfzig Euro ein Klassiker. Max nimmt den Schein entgegen, schreibt irgendetwas in seinen Kalender und reicht mir dann eine Terminkarte, auf der das Datum, als auch die Anzahlung, notiert sind.

»Findest du tagsüber niemanden, der auf dein Baby aufpassen kann, oder wieso kannst du nur nachts?«, will Max plötzlich wissen. Die unerwartete Frage überrumpelt mich so sehr, dass ich einen Moment lang vergesse zu atmen. Ein eiskalter Schauer rinnt meine Wirbelsäule hinab und Bilder blitzen vor meinem inneren Auge auf, die ich eilig beiseiteschiebe.

Ich muss einige Male heftig schlucken, ehe ich endlich mit belegter Stimme herausbringe: »Äh, ja, sozusagen.« Das ist zwar Unsinn, aber ich habe keine Lust auf eine vernünftige Erklärung. Soll Max doch glauben, was er will. Er macht auf mich einen überaus unsensiblen Eindruck, mit der brutalen Wahrheit sollte ich ihn lieber nicht konfrontieren.

»Na gut, also, dann bis Donnerstag.«

Ich verabschiede mich von Max und bin mehr als erleichtert, endlich wieder in die kühle Nacht treten zu dürfen. Der Regen hat zwar nicht nachgelassen, aber ausnahmsweise stellt er das kleinere Übel dar. Der Besuch im Tattoostudio war anstrengender als erwartet, was nicht zuletzt an Max’ Taktlosigkeit liegt. Mir fällt es ohnehin schon unglaublich schwer, anderen Leuten meine Narbe zu zeigen. Dass er auch noch unmögliche, neugierige Fragen dazu gestellt hat, hat mir jede Menge Energie geraubt. Ich ertrage dieses Thema einfach nicht, doch ich weiß, dass ich es nicht ewig meiden kann. Ich muss dazu stehen, die Narbe und ihre Geschichte gehören wohl oder übel zu mir. Ich dachte, dieses Tattoo sei ein Anfang, eine gute Möglichkeit, um mich dem Ganzen langsam anzunähern. Aber vielleicht sollte ich mich doch lieber an den offiziellen Therapieplan der Klinik halten und mich nicht nachts auf eigene Faust therapieren? Keine Ahnung.

Ich seufze, ziehe die Kapuze auf und laufe ziellos durch den Regen. Jetzt werde ich keinen Rückzieher mehr machen, jetzt werde ich mir von Max dieses Tattoo stechen lassen. Und dann? Ich weiß es nicht. Ich habe noch immer einen unfassbar weiten, harten Weg von mir, aber ich kann nur einen Schritt nach dem nächsten machen. Jetzt ist erst einmal der Tattootermin dran, alles weitere wird sich ergeben.

 

 

Di, 10.09.

Einzeltherapie ist ausgefallen. Gut so, das wird mir sonst wahrscheinlich zu viel.

Ich habe mich endlich bei dem Typen im Park bedanken können, der mich ständig vor seinem schmierigen Kumpel beschützt. Max war unsensibel, aber ich hab’s überstanden und der Tattootermin steht.

 

Wochenaufgabe: Dankbarkeit für die Erde

Ich bin der Erde dankbar für die Wechsel aus Tag und Nacht, für das Laute und das Leise, für Helligkeit und Finsternis. Ich mag das Singen der Vögel am Tage, aber auch die Rufe der Eulen bei Nacht. Ich bin ebenso froh um spielende Eichhörnchen wie um die Feldmäuse, die abends aus ihren Löchern kommen.

Ich bin dankbar für den Duft der Tannennadeln, von frisch gemähtem Gras und sogar von warmen Regen auf Asphalt. Ich mag die Stille, die Weite, das Gefühl von Freiheit. Draußen kann ich tief durchatmen, die Natur auf mich wirken lassen und mich endlich wach, lebendig und unabhängig fühlen.

Ich mag, dass die Welt keine natürlichen Grenzen aufweist. Die Endlosigkeit ist gigantisch. Ich liebe den Wind, der durch meine Haare weht und mir Gänsehaut beschert, aber ebenfalls die Sonne, die meinen Körper erwärmt. Ich danke der Erde für jede einzelne Blume, jedes Tier, jedes noch so kleine Naturspektakel. Alles ist irgendwie schön.

Ich bin sogar dankbar für das Wasser, obwohl ich den Regen und das Meer kaum ertragen kann, aber ich weiß, dass es kostbar und lebensnotwendig ist, selbst für mich.

 

 

Mi, 11.09.

Die neue Wochenaufgabe »Dankbarkeit für ein negatives Erlebnis« zu entwickeln, scheint wie gerufen zu kommen. Erst klang das total albern, aber dann habe ich doch ein paar gute Gründe gefunden.

Ich habe die Übung zweimal anwenden können: für Silas, aber auch für Narvik. Jetzt bin ich fast froh, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Die Übung war besser als erwartet.

Kapitel 3 Do, 08.09.2022

Wahrscheinlich kann man jedem Scheiß etwas Positives abgewinnen. Ich klappe mein Notizbuch wieder zu, nachdem ich immer wieder die Punkte durchgelesen habe, die ich mir im Rahmen der aktuellen Wochenaufgabe notiert habe. Dass mir die Scheidung guttun wird, habe ich im Grunde bereits gewusst, doch selbst das Aus von Narvik und mir scheint einige unerwartete Vorteile mit sich zu bringen. Vielleicht mache ich mir da aber auch nur etwas vor. Ja, höchstwahrscheinlich ist das so. Ich vermisse ihn nämlich trotz allem, oder besser gesagt den Mann, mit dem ich bis dato so schöne Stunden verbringen konnte. Die gemeinsamen Ausflüge scheinen ewig zurückzuliegen und gleichzeitig erinnere ich mich noch so gut an sie, als hätte ich Narvik erst gestern zuletzt gesehen. Aber es ist im Grunde egal, wie lang die wundervolle Zeit mit ihm her ist: Fakt ist, dass sie endgültig vorbei ist und ich das endlich akzeptieren sollte.

Schwer seufzend lege ich das schlichte, schwarze Buch in die Schublade meines Schreibtisches und lasse mich wieder aufs Bett sinken. Vermutlich hätte ich diese Übung nicht anhand der aktuellen Geschehnisse ausprobieren sollen. Die Situation, die mich in die jetzige Lage gebracht hat, wäre wohl besser dafür geeignet. Ich sollte zurück zum Ursprung gehen und dort ansetzen, schätze ich. Bei Hanna und Enno und ... Nein. Ich kann das nicht. Ich fühle mich nicht bereit dazu. Mag sein, dass das Ergebnis ein riesiger Erfolg wird, aber ich weigere mich, jenem Erlebnis etwas Positives abzugewinnen. Das war der schlimmste Tag meines Lebens und ich bin davon überzeugt, dass ich nie wieder etwas Vergleichbares erleben muss. Das Geschehene schönzureden, indem ich mir positive Aspekte überlege, die den Scheiß relativieren könnten, kann ich nicht. Es gibt rein gar nichts, das aufheben kann, was damals passiert ist. Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Sicher, wenn ich ganz ehrlich bin, kann man jeder noch so großen Katastrophe etwas Positives abgewinnen. Aber ich kann all das unmöglich mithilfe einer einzigen, albernen Übung abarbeiten und verharmlosen.

Ich stehe auf und verlasse das Zimmer, weil ich die Enge des Raumes nicht länger ertrage. Ich weiß nicht genau, wo ich stattdessen hingehen soll. Heute habe ich keine Therapie mehr, doch zum Abendessen ist es zu früh. Der Flur ist lang, aber im Moment ist er mir viel zu schmal. Es regnet in Strömen, sodass ich unmöglich nach draußen gehen kann. Schon wieder fühle ich mich gefangen und sehne mich nach der Freiheit, die mir nur die Nächte schenken können. Ich beschließe, einen Rundgang durch das Klinikgebäude zu unternehmen. Es ist nicht besonders groß, aber wenn man langsam geht und jeden Winkel aufsucht, ist man durchaus eine Weile beschäftigt. Frau Fuchs hat uns mal den Tipp gegeben, bei jedem einzelnen Schritt darauf zu achten, wo wir unsere Füße hinsetzen. Wann immer ich einen Fleck, einen Schatten oder eine andere Besonderheit auf dem Boden entdecke, stelle ich mich darauf und halte einen kurzen Augenblick inne. Erst danach setze ich meinen Weg weiter fort. Auf diese Weise brauche ich eine Ewigkeit, um die Therapie- und Besucherräume, das Wohn- und Kreativzimmer, den Tischkickertisch sowie die beiden Telefonzellen zu passieren. Ich komme an der Küche, den Toiletten und dem Arztzimmer vorbei. All die Bilder, die zwischen den Türen an der Wand hängen, nehme ich nur am Rande wahr. Vielleicht sollte ich mir irgendwann mal die Zeit nehmen und sie in aller Ruhe studieren, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ich muss über mich selbst den Kopf schütteln, als mir bewusst wird, dass ich seit über einem halben Jahr hier bin und mir trotzdem nie die hiesigen Bilder genauer angesehen habe.

In der kleinen Cafeteria, die ich als Nächstes erreiche, ist immer etwas los. Hier gibt es eine Art Kiosk, an dem man sich Chips, Zigaretten und andere Kleinigkeiten kaufen kann, die den Klinikalltag versüßen sollen. Ich habe keine Lust auf die Menschen, die sich dort tummeln, und biege nach links ab. Hier gibt es einen Raum mit einem Billardtisch, außerdem eine kleine Holzwerkstatt. Ich bin sehr selten hier, aber es fühlt sich gar nicht schlecht an, ausnahmsweise hier entlang zu laufen und mal etwas anderes zu sehen als die immergleichen Wände und Möbel in den Räumen, in denen ich mich normalerweise aufhalte.

Als mich ein seltsames, undefinierbares Geräusch aufschreckt, bleibe ich stehen und lausche. Was war das? Nein, was ist das? Es ist leise, unterdrückt, aber doch zu laut, um es zu überhören. Allmählich dämmert mir, dass das eine Mischung aus nach Luft schnappen und ersticken ist. Alarmiert setze ich mich in Bewegung und folge dem beunruhigenden Klang, ohne Notiz von den kleinen Besonderheiten des Bodens zu nehmen. Je lauter das Geräusch wird, desto schneller tragen mich meine Beine.

Ich biege um die Ecke, hinter der sich nur noch eine Abstellkammer und der Fahrstuhl befinden. Dabei stolpere ich fast über Mila, die auf allen vieren auf dem Boden kniet. Einen Moment lang halte ich erstarrt inne, ehe mein Hirn die Einzelteile zu einem vollständigen, verständlichen Bild zusammensetzen kann. Sie ringt verzweifelt um Atem, Schweißperlen glitzern auf ihrer Stirn, mit zittrigen Armen stützt sie ihren gekrümmten Oberkörper vom Boden ab. Mila scheint meine Anwesenheit gar nicht zu bemerken. Hilfesuchend sehe ich mich um, aber außer uns ist niemand hier. Fuck. Ich weiß, wie es ist, eine Panikattacke zu erleiden, habe diese aber noch nie bei anderen Menschen erlebt. Es ist jedoch mehr als offensichtlich, dass Mila gerade mit einer unbändigen Angst zu kämpfen hat, ganz gleich, wie irrational diese sein mag.

Ich schlucke, ehe ich mich neben Mila knie und ruhig sage: »Mila, hörst du mich? Ich bin’s, Nelly. Ich bin da für dich, okay? Du bist nicht allein, ich helfe dir.«

Ich bin mir nicht sicher, ob mich Mila wirklich versteht, die Panik hat sie noch immer voll im Griff. Ich weiß, wie stark diese Klauen der Angst sind und dass es schwerfällt, zurück in die Gegenwart zu finden. Ihre Augen sind glasig. Sie scheint nur panisch ein-, aber nicht mehr auszuatmen, sodass ich sie vorsichtig stütze, ihre linke Hand auf meinen Bauch lege und mit möglichst ruhiger Stimme zu ihr sage: »Atme durch die Nase ganz langsam und tief ein, Mila.« Ich mache es ihr vor und lasse sie spüren, wie sich mein Bauch beim Einatmen mit Luft füllt.

»Und dann durch den Mund wieder aus«, sage ich, nachdem ich die Luft wieder ausgestoßen habe. »Noch einmal. Langsam ein.« Ich atme erneut langsam ein und aus. »Spürst du, wie mein Bauch sich hebt und senkt?« Ich lege ihre Hand schließlich auf ihren eigenen Bauch und fordere sie dazu auf, die Übung zu wiederholen. Mir fällt auf, wie schwer sich Mila damit tut, aber ihre Atmung wird in der Tat allmählich ruhiger und kontrollierter, sodass die hektischen Atemversuche von vorhin endlich aufhören und sich die Panik langsam zurückzieht.

Wir sitzen eine ganze Weile nebeneinander im Flur, während wir konzentriert ein- und ausatmen. Meine verkrampften Muskeln lockern sich Stück für Stück, doch unsere Herzschläge finden nur zaghaft zurück zu ihrem üblichen Tempo. Es dauert einige Minuten, bis sich ihr Puls wieder normalisiert hat und sie erschöpft seufzt. »Danke, Nelly. Du kamst gerade richtig. Ich habe es noch immer nicht richtig geschafft, von selbst aus so einer Panikattacke zu kommen.«

»Das ist auch nicht einfach«, versuche ich, sie zu trösten. »Komm, du solltest ein bisschen Wasser trinken.«

Mila zögert, nickt aber und lässt sich von mir aufhelfen. Sie wirkt noch immer ganz schön durcheinander, während sie langsam neben mir herläuft. Ich habe Mila stets taff und witzig erlebt, doch obwohl ich von ihrer Angststörung wusste, hat mich der Anblick mehr aufgewühlt, als ich zugeben will. Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, was sie gefühlt haben muss, als sie kaum noch Luft bekommen hat. Eigentlich ist es so einfach, regelmäßig ein- und auszuatmen, immerhin ist das ein Automatismus, den wir von Geburt an beherrschen. Aber in derartigen Extremsituationen sind plötzlich die einfachsten Dinge unmöglich umzusetzen. Sie hat verzweifelt ausgesehen, fast so, als würde sie jetzt wirklich sterben müssen, und noch immer wirkt Mila erschreckend erschöpft. Sehe ich auch so aus, wenn ich eine Panikattacke habe? Wahrscheinlich.

Ich muss schon wieder an Narvik denken, der diese einmal miterlebt hat. Er ist so cool damit umgegangen, obwohl es eine völlig fremde Situation für ihn gewesen ist. Ich bin im Grunde vertraut mit solchen Anfällen, trotzdem hat mich Milas Panikattacke aufgewühlt. Herrje, dieser Kerl war so wunderbar, hat sich irgendwie immer perfekt verhalten und ist mit den schlimmsten Situationen souverän umgegangen. Wie ist es möglich, dass all das nur Show war? Hat ihn mein Angstanfall einfach nur kaltgelassen, weil ich ihm ohnehin nichts bedeutet habe? Nein, ich will nicht schon wieder an ihn denken! Er ist Geschichte und hat in meinem Leben nichts mehr zu suchen. Es ist egal, was war oder auch nicht war. Es ist egal, was gespielt und was echt war. Nichts davon ist jetzt noch von Bedeutung. Ich sollte endlich aufhören, mir über ihn den Kopf zu zerbrechen und mich stattdessen auf Mila konzentrieren.

Ich begleite sie nach oben in ihr Zimmer, setze sie aufs Bett und reiche ihr eine Wasserflasche. Gierig nimmt sie einige große Schlucke, gibt mir die halbleere Flasche zurück und versucht, ihren verschwitzten Pullover auszuziehen. Der Stoff verfängt sich in ihren langen, krausen Haaren, daher helfe ich ihr dabei, das Oberteil über den Kopf zu ziehen. Ich schlucke schwer, als mein Blick unweigerlich an ihren vernarbten Armen hängenbleibt. Schnell wende ich mich von Mila ab und lege den Pullover über ihren Stuhl, damit sie sich nicht beobachtet fühlt. Doch der Anblick hat mich schockiert, auch wenn ich das vor ihr nicht zugeben will. Ich habe nicht gewusst, dass sie sich selbstverletzt hat, und so, wie diese Narben aussehen, hat sie das sehr oft und sehr intensiv getan. Mein einziger kleiner, schwacher Trost ist, dass mir keine frische Wunde an ihren Armen aufgefallen ist, doch die vorhandenen Wundmale genügen bereits vollkommen, um eine lange, traurige Geschichte zu erzählen.

Ich ziehe für Mila einen neuen Pullover aus dem Schrank, den sie dankbar entgegennimmt. Der dicke Stoff bedeckt wieder ihre Narben, und das Geheimnis, das sie darunter versteckt hält, ist wieder nur ihres. Ich seufze schwer. Wir alle haben unser Päckchen zu tragen, jeder von uns hat etwas erlebt, das ihn nachhaltig geprägt hat. Ich habe meine Vergangenheit, Mila ihre eigene. Tja, wahrscheinlich hat auch Narvik so seine Geschichte, die ihn zu dem gemacht hat, der er nun mal ist. Wir alle sind irgendwie Opfer, und manchmal macht uns das Erlebte zu Tätern.

»Geht es dir wieder etwas besser?«, frage ich vorsichtig, während Mila mit den Fingern durch ihre widerspenstigen Haare fährt.

»Ja, ich denke schon«, antwortet sie mit schwacher Stimme und lässt sich rücklings aufs Bett sinken. Sie klopft neben sich. Ich zögere, lege mich dann aber zu ihr und starre zur weißgestrichenen Decke empor. Was würde ich jetzt dafür geben, in einen Sternenhimmel schauen zu können.

»Möchtest du darüber reden?«, erkundige ich mich zögerlich. Manchmal tut es gut, über die Ängste und Attacken zu sprechen, manchmal will man die Erinnerungen einfach nur weit von sich schieben.

Mila scheint einen Moment darüber nachzudenken, ehe sie erzählt: »Ich bin Aufzug gefahren. Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen, aber ich dachte, ich muss es versuchen. Ich will schließlich Fortschritte machen und hier wieder raus kommen ...« Ihre Stimme bricht und sie braucht ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. Ich warte geduldig, bis sie weiterspricht. »Das war viel zu übereilt. Ich bin noch nicht so weit, doch das frustriert mich. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich diese irrationale Angst einfach nicht in den Griff bekomme.«

Das verstehe ich sehr gut. Meine Angst ist wahrscheinlich genauso albern wie ihre, aber sie ist so fest in unseren Köpfen verankert, dass unser Reptilienhirn die angebliche Gefahr für echt und lebensgefährlich hält. Angst zu spüren ist ein wichtiger, natürlicher Schutzmechanismus, der unser Überleben sicherstellt. Leider meint es unsere Amygdala jedoch zu gut und wir haben viel zu oft vor irgendeinem Mist Todesangst.

»Wir müssen leider ganz, ganz kleine Schritte gehen.« Ich seufze traurig. »Ich wünschte auch, dass große Sprünge möglich wären, aber das funktioniert leider nicht. Im Gegenteil, diese werfen uns oft eher zurück. Hältst du dich an die Reihenfolge deiner Angstsituationenliste? Ich weiß, dass das albern klingt, aber sie hat tatsächlich ihre Daseinsberechtigung.«

Mila schnaubt verächtlich. »Bis ich beim letzten Punkt angelangt bin, dauert es doch ewig.«

»Manche Dinge brauchen einfach viel Zeit. Ich habe die Geduld eigentlich auch nicht, aber irgendwie muss ich sie wohl aufbringen.«

Mila wirft mir einen skeptischen Blick zu, ehe sie fragt: »Wo stehst du gerade auf deiner Liste?«

»Punkt drei«, gebe ich beschämt zu. »Da hänge ich schon seit Monaten fest.«

»Oh«, macht Mila. Sie ist erst seit Kurzem hier, aber ich weiß dank der Angsttherapiestunden bei Frau Fuchs, dass auch sie bereits am dritten Punkt arbeitet. Ich kenne ihre konkreten Ängste und die einzelnen beängstigenden Situationen kaum, doch meines Wissens hat sie in einem Aufzug mal etwas Schlimmes erlebt, einen Überfall oder Angriff oder so. Dass es für sie daher jede Menge Überwindung kostet, in einen Fahrstuhl zu steigen, wundert mich keineswegs.

»Hm, was hältst du davon, wenn wir uns bei der Abarbeitung der Punkte gegenseitig helfen?«, fragt Mila zögerlich, aber mit einer gewissen Begeisterung in der Stimme. »Mein Punkt drei ist, mit unbekannten Männern in der Nähe eines Aufzugs zu stehen. Und deiner?«

»Duschen.« Ich zögere, weil ich ihre Hoffnungen nicht zerstören will, gebe aber zu bedenken: »Ich glaube nicht, dass wir uns dabei helfen können. Ich kann keine Fremden organisieren, und ich will auch nicht mit dir zusammen duschen ... Aber wie übst du das bitte mit unbekannten Männern?«

Mila lacht unsicher und freudlos. »Keine Ahnung. Das ist ja der Scheiß. Ich kann das eigentlich gar nicht richtig üben. Die ersten beiden Punkte waren einfach, weil man ja überall in der Öffentlichkeit auf fremde Männer trifft, an denen man einfach vorbeilaufen kann oder so. Das war okay, damit kam ich bereits gut klar. Aber die Kombi aus fremden Männern und Aufzügen macht mich fertig. Na ja, und alleine Aufzug zu fahren ist auch nicht ohne.« Sie verzieht ihr Gesicht zu einer gequälten Grimasse.

»Egal. Wir schaffen das trotzdem«, beschließe ich. Ich weiß nicht, ob ich damit vor allem Mila oder doch eher mir selbst Mut machen will. »Wir werden schon eine Lösung finden und irgendwann über all die Punkte auf dieser albernen Liste lachen.«

»Okay. Dein Wort in Gottes Ohr«, sagt Mila und schenkt mir endlich ein ehrliches, hoffnungsvolles Lächeln.

 

 

Do, 08.09.

Ich habe Mila während/ nach ihrer Panikattacke geholfen. Sie so zu erleben war schlimm, aber dass ich helfen und wir reden konnten, war schön.

Aufgrund des Regens habe ich wieder die Scheune aufgesucht, zu der mich einst Narvik gebracht hat. Sie war nicht abgeschlossen, und im Heu war es schön, aber die Erinnerungen an ihn und seine Berührungen waren so präsent, dass es schmerzte. Ich sehe es jedoch als »Drüber-hinwegkomm-Therapie« an.

 

Fr, 09.09.

Mila ging es heute wieder viel besser. Endlich kein Regen mehr!

Ich bin stundenlang durch die Stadt gelaufen, außerdem bin ich in einer Baustelle herumgeklettert. Es war unspektakulär, aber friedlich.

 

Sa, 10.09.

Meine Mutter hat mir ein Buch geschenkt, von dem sie dachte, dass es mir gefallen könnte: »Ansonsten perfekt« von Mia Strömer.

Jakob war nett und kein bisschen aufdringlich. Wir haben alle zusammen Karten gespielt. Ich verstehe, dass sich meine Mutter in ihn verliebt hat, und seine zahlreichen dezenten, liebevollen Gesten zeugen davon, dass Jakob wie sie empfindet. Ein klitzekleines bisschen tut ihr Glück mir weh, aber in erster Linie freut es mich.

 

So, 11.09.

Ich habe den Roman durchgelesen, statt zu schlafen. Er war wirklich gut. Spannend, tiefgründig, schön und herzzerreißend zugleich. Ich habe mich in der Protagonistin wiedergefunden. Das hat es besonders erschwert, das Buch wieder aus der Hand zu legen.

Einer der Protagonisten, Jonathan, hat mich ein bisschen an Narvik erinnert. Wann vergesse ich diesen Kerl endlich? Vielleicht ist auch das Teil der »Drüber-hinwegkomm-Therapie«.

Kapitel 4 Mo, 12.09.2022

Mila wedelt mit einem karierten Zettel vor meinem Gesicht herum und ruft: »Auf geht’s, wir müssen uns mal wieder unseren Ängsten stellen.«

Erst jetzt erkenne ich die Angstsituationenliste auf dem Blatt in ihrer Hand. Ich stöhne genervt, denn auf diese Therapie kann ich wirklich gut verzichten. Wieso ist Mila dafür umso motivierter? Ich weiß, dass sie die Klinik ernst nimmt und hier so schnell wie möglich rauskommen will, aber muss sie deswegen jede Therapiestunde feiern, als würden sie ihr unfassbar große Fortschritte bescheren? Ich wünschte, dass ein Teil ihrer Euphorie auf mich überspringen könnte, aber das ist leider nicht der Fall. Dennoch erhebe ich mich mühsam vom Sofa, auf dem ich die vergangene Stunde mit Nichtstun verbracht habe. Ich folge der gutgelaunten Mila, die förmlich aus dem Wohnzimmer hüpft.

»Sag mal, war dein Wochenende überragend toll, oder wieso bist du so gut drauf?«, frage ich sie, während ich neben ihr herlaufe. Die Gruppentherapie findet im Erdgeschoss statt, aber der Weg dorthin ist nicht weit.

»Yep«, antwortet sie fröhlich, »Justus schafft es einfach immer wieder, mich zum Strahlen zu bringen.«

Ich nicke verständnisvoll, weil ich bereits selbst erfahren habe, dass Männer manchmal Wunder bewirken können. »Und wie hat er das diesmal geschafft?«

Mila zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung, er hat eigentlich nichts Besonderes gemacht, aber es war trotzdem wunderschön mit ihm. Ich tanke ja schon Energie, wenn ich einfach nur in seinen Armen liege, weißt du?«

Ich spüre, wie mich die Sehnsucht packt, zwinge mich aber zu einem Lächeln und nicke erneut. Ich gönne Mila dieses Glück, aber wenn sie so fröhlich davon berichtet, wie toll es mit ihrem Freund war, hält sie mir damit schmerzlich vor Augen, was ich nicht habe. Scheiße, Mann, ich hatte das irgendwann mal. Es scheint ewig her zu sein. Silas hat mir schon lange keine Energie mehr schenken können, auch wenn er immer nett und zuvorkommend gewesen ist, aber die Flamme der Leidenschaft und das Prickeln der Liebe haben uns vor langer Zeit verlassen. Und Narvik ... ach, über den darf ich eigentlich gar nicht nachdenken. Er hat mir gutgetan, besser, als ich zugeben will. Trotz der Lügen, trotz des Verrats, haben mir die Stunden mit ihm so viel Kraft und Zuversicht geschenkt, wovon ich noch immer profitiere. Aber diese gemeinsame Zeit ist längst vorbei und ich weiß, dass es gut so ist. Ich brauche kein weiteres hinterlistiges Arschloch in meinem Leben.

Ich bin erleichtert, als wir den Therapieraum betreten und Mila nicht länger von ihrer wundervollen Beziehung schwärmt. Ich wünschte, ich könnte mich ein bisschen mehr mit ihr mitfreuen, genauso wie mit meiner Mutter, aber das lässt meine karge Gefühlspalette einfach nicht zu. Wie immer hat Frau Fuchs einen Stuhlkreis gebildet, in dem sich Mila und ich zwei freie Plätze suchen. Schweigend starre ich auf die Mitte des Bodens, spiele mit dem Ring in meiner Lippe und hoffe, dass die Stunde schnell vergeht. Anfangs hat es mich motiviert, den Erfolgen der anderen Patienten zu lauschen, aber mittlerweile halten sie mir nur meine eigene Unfähigkeit vor Augen. Seit zig Monaten kämpfe ich noch immer regelmäßig gegen Panikattacken unter der Dusche an. Manchmal klappt es, raubt mir jedoch jede Kraft. Manchmal muss ich mich dem Schicksal ergeben, dann bringen all die einstudierten Mantras und Atemübungen nichts. Es frustriert, dass ich nicht mehr vorankomme, während mich immer wieder neue Angstpatienten problemlos zu überholen scheinen.

Frau Fuchs begrüßt die Runde wie üblich überschwänglich und ich klinke mich weitestgehend aus. Ich höre trotzdem, dass Ralf vergangenes Wochenende sogar einen Hund gestreichelt hat, trotz seiner Phobie. Eine Frau erzählt froh, dass sie sich nun voller Zuversicht dem nächsten und somit vorletztem Punkt ihrer Liste widmen kann. Ich habe jetzt schon genug gehört, dabei dauert die Therapie erst wenige Minuten an. Am liebsten würde ich einfach aufstehen und gehen, denn noch mehr fröhliche Geschichten geheilter Menschen ertrage ich nicht. Vermutlich hat Frau Fuchs ebenfalls genug Positives gehört und daher beschlossen, sich wieder ihrem Problemfall zu widmen. »Frau Schneider, können Sie uns auch von Ihren Erfolgen berichten?«, fragt sie mit einem aufmunternden und dennoch falschen Lächeln. Sie kennt die Antwort. Sie weiß, dass ich bei dieser bescheuerten Liste auf ganzer Ebene versage.

»Nein«, sage ich bloß mit gepresster Stimme.

Frau Fuchs hakt unbeirrt hinterher: »Wo stehen Sie denn gerade?«

»Punkt drei. Seit fünf verfluchten Monaten«, füge ich genervt hinzu, weil das sowieso ihre nächste Frage gewesen wäre.

Ein leises Raunen und wehmütiges Seufzen geht durch die Runde, ehe Frau Fuchs fragt: »Haben Sie eine Idee, woran das liegt? Warum Sie nicht mit Ihrem aktuellen Punkt vorankommen?«

Weil ich zu schwach bin? Weil meine Psyche zu kaputt ist, um weiteren Belastungen standzuhalten? Weil die Angst so dermaßen tief verankert ist, dass ich sie nicht einfach überlisten kann? Ich zucke bloß mit den Schultern. Die Antwort ist doch bekannt. Ich bin die, die zu kaputt ist. Die, die nicht einfach so therapiert werden kann. Ich bin unheilbar. Bruchware. Manche Dinge schaffen es nun mal nicht am Stück durchs Leben, so ist das eben, irgendeinen trifft es immer.

Frau Fuchs lässt nicht so schnell locker und fragt weiter: »Haben Sie schon einmal überlegt, einen Zwischenschritt einzuführen? Vielleicht ist der Sprung von Punkt zwei auf drei einfach zu groß und Sie benötigen etwas für den Übergang?«

Ich betrachte sie mit gerunzelter Stirn. »Und wie soll das gehen? Soll ich mich nur halb duschen, oder was?«

Mein bissiger Kommentar bringt sie kurzzeitig aus dem Konzept, aber Frau Fuchs ist zu professionell, um die Situation nicht sogleich wieder in den Griff zu bekommen. »Ich kenne Ihre genauen Punkte und deren Reihenfolge nicht«, erwidert sie ruhig. »Wenn Sie möchten, können wir am Ende der Stunde überlegen, wie wir Ihre Liste optimieren. Oder Sie überlegen für sich, was Sie an ihrer Liste verändern könnten. Möglicherweise ist der Punkt drei für Sie schwieriger als zum Beispiel Punkt vier? Oder es gibt tatsächlich etwas vollkommen anderes, das schwieriger als Punkt zwei ist, jedoch erträglicher als Punkt drei?«