Heureka & Der Rabe - Edgar Allan Poe - E-Book

Heureka & Der Rabe E-Book

Edgar Allan Poe

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Beschreibung

Rabenschwarzer Anfang: Einblicke in die Universaltheorie eines Genies Niemand Geringerer als Charles Baudelaire sorgte mit seiner fünfbändigen Edition dafür, dass das revolutionäre Werk von Edgar Allan Poe nach dessen Tod weltweit Beachtung fand. In diesem Band stehen poetische und theoretische Texte nebeneinander und bieten in der Neuübersetzung von Andreas Nohl einen einzigartigen Einblick in die Kreativität und das Selbstverständnis eines außergewöhnlichen Autors. ›Heureka‹ ist Poes letztes Werk, ein gewagtes Essay, in dem er seine Sicht vom Ursprung und Ziel des Universums darlegt und sich seiner Zeit weit voraus zeigt. Und auch Poes berühmtestes Gedicht ›Der Rabe‹ liest sich zusammen mit seinen Reflektionen über den Schaffensprozess und seine ästhetischen Überzeugungen neu und anders.

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Seitenzahl: 303

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Über das Buch

Band 4 der Werkausgabe Edgar Poes nach Charles Baudelaire in Neuübersetzung von Andreas Nohl

 

Im Februar 1848 lud Edgar Allan Poe in der Society Library in New York zu einem Vortrag über die Kosmografie des Universums ein und erwartete viele neugierige Zuhörer – es kamen lediglich sechzig und nicht wenige verschwanden noch vor Ende seiner Ausführungen. Aber Poe, noch in tiefer Trauer über den Tod seiner Frau Virginia, ließ das Thema über die Beziehung des Menschen zu Gott und dem Universum nicht los. Aufbauend auf seinen Vortrag verfasste er ›Heureka‹ und betrachtete den Essay als den Höhepunkt seines Schaffens.

 

›Der Rabe‹ aus dem Jahr 1844, erstmals 1845 unter einem Pseudonym in einer Zeitschrift veröffentlicht, zählt nach wie vor zu den berühmtesten erzählenden Gedichten der amerikanischen Literatur. Wenig später, nachdem Poe sich mit dem Gedicht einen Namen machte, entwickelte er mit der ›Genese eines Gedichts. Theorie einer Komposition‹ eine ästhetische Theorie über das Ziel und die Methode von Literatur. Mit diesem Text beeinflusste er zahlreiche Schriftstellergenerationen nach ihm.

Edgar Allan Poe

Heureka & Der Rabe

Herausgegeben von Charles Baudelaire

Aus dem amerikanischen Englischübersetzt von Andreas Nohl

Mit einem Nachwort und Anmerkungendes Übersetzers

Inhaltsverzeichnis

Heureka – Ein Prosagedicht

Vorwort

HEUREKA: Ein Essay über das materielle und geistige Universum

Die Entstehung eines Gedichts (von Charles Baudelaire)

The Raven/Der Rabe

THE RAVEN

DER RABE

Theorie der Komposition

»Le Corbeau« von Charles Baudelaire

Le Corbeau

»Der Rabe« – Eine Auswahl deutscher Übersetzungen von 1862 bis 1996

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

I

II

Danksagung

Heureka – Ein Prosagedicht

In tiefster Verehrung

ist dieses Werk

ALEXANDERVONHUMBOLDT[1]

gewidmet

Vorwort

Den Wenigen, die mich schätzen und die ich schätze – eher denen, die fühlen, als denen, die denken – den Träumern und jenen, die an Träume als einzige Wirklichkeit glauben – widme ich dieses BUCHDERWAHRHEITEN. Nicht in seiner Eigenschaft als Mittler der Wahrheit, sondern wegen der allfälligen Schönheit, die in seiner Wahrheit liegt und es damit als wahr erweist. Ihnen überreiche ich diese Schrift allein als Kunstwerk: – sagen wir, als Erzeugnis der Phantasie; oder, wenn dies nicht zu hoch gegriffen ist – als Gedicht.

Was ich hier darlege, ist wahr: – also kann es nicht untergehen; oder es wird – sollte es niedergetreten werden und sterben – »zum Ewigen Leben wieder auferstehen«.

Gleichwohl: Nur als Gedicht möchte ich dieses Werk nach meinem Tod beurteilt wissen.

    E.A.P.

HEUREKA: Ein Essay über das materielle und geistige Universum

Mit ungeheuchelter Demut – ja, sogar mit einem Gefühl der Ehrfurcht – schreibe ich den ersten Satz dieses Werks nieder: denn von allen denkbaren Gegenständen konfrontiere ich den Leser mit dem ernstesten, dem umfassendsten, dem schwierigsten, dem hehrsten.

Welche Begriffe sind einfach genug in ihrer Erhabenheit – erhaben genug in ihrer Einfachheit, um meinen Gegenstand auch nur angemessen zu benennen?

Ich will über das physische, metaphysische und mathematische, über das materielle und spirituelle Universum sprechen: – über sein Wesen, seinen Ursprung, seine Schöpfung, seine gegenwärtige Verfassung und seine Bestimmung.Ich bin dabei so tollkühn, die Schlussfolgerungen und damit die Weisheit vieler der größten und zu Recht verehrtesten Männer in Frage zu stellen.

Lasst mich zu Beginn so klar wie möglich – nicht das Theorem, das ich zu beweisen hoffe (denn so etwas wie ein Beweis, was immer die Mathematiker dagegen einwenden mögen, existiert zumindest in dieser Welt nicht) –, sondern die Grundidee darlegen, die ich im Verlauf dieses Buches dem Leser nahezubringen versuche.

Meine Hauptthese ist also folgende: – In der ursprünglichen Einheit des Ersten Dings gründet die sekundäre Ursache Aller Dinge, verbunden mit dem Keim ihrer unvermeidlichen Vernichtung.

Um diese Idee zu veranschaulichen, beabsichtige ich, das Universum dergestalt einer Gesamtschau zu unterziehen, dass der Geist in die Lage versetzt wird, einen umfassenden Eindruck des individuellen Ganzen zu empfangen und wahrzunehmen.

Wer vom Gipfel des Ätna seinen Blick in die Runde schweifen lässt, ist vor allem von der Weite und Vielfalt der Landschaft fasziniert. Nur wenn er sich schnell auf seinem Absatz um die eigene Achse drehen würde, könnte er hoffen, das ganze Panorama in seiner erhabenen Einheit zu erfassen. Da aber niemand auf dem Gipfel des Ätna daran gedacht hat, um sich selbst zu kreiseln, hat auch niemand die Einheit der Aussicht zur Gänze in sich aufgenommen; und welche Erwägungen auch immer mit dieser Einheit verbunden sein mögen, sie haben bisher keine praktische Konsequenz für die Menschheit gehabt.

Ich kenne keine Abhandlung, in der das Universum – das Wort in seiner umfassendsten und einzig legitimen Bedeutung genommen – einer Gesamtschau unterzogen würde; – und es mag durchaus schon hier erwähnt werden, dass ich mit dem Begriff »Universum«, wo immer er in diesem Essay ohne nähere Bestimmung gebraucht wird, die äußerste denkbare Ausdehnung des Raums meine, mit allen geistigen und materiellen Dingen, deren Existenz innerhalb der Reichweite dieser Ausdehnung vorstellbar ist. Wenn ich allerdings davon spreche, was gemeinhin mit dem Begriff »Universum« gemeint ist, werde ich mich des einschränkenden Ausdrucks »das Universum der Sterne« bedienen. Warum diese Unterscheidung notwendig erscheint, wird im Folgenden deutlich.

Aber selbst unter den Abhandlungen über das tatsächlich begrenzte, wenn auch immer als unbegrenzt angenommene Universum der Sterne kenne ich keine einzige, in der eine Gesamtschau selbst dieses begrenzten Universums in einer Weise vorgenommen worden wäre, dass man Schlüsse aus seiner Ganzheit ziehen könnte. Die größte Annäherung an ein solches Werk ist der »Kosmos« von Alexander von Humboldt. Er stellt den Forschungsgegenstand jedoch nicht in seiner Ganzheit dar, sondern in der Allgemeinheit seiner Einzelteile. Sein Thema ist letztendlich das Gesetz eines jeden Teils des nur physischen Universums in Bezug auf die Gesetze allerübrigen Teile ebendieses physischen Universums. Sein Entwurf ist schlicht synoezistisch.[1] In einem Wort, er diskutiert die Universalität materieller Beziehungen und enthüllt dem philosophischen Blick die Folgerungen, welche bislang hinter dieser Universalität verborgen lagen. Doch so bewundernswert die Prägnanz auch ist, mit der er jeden spezifischen Punkt seines Themas abhandelt, führt die bloße Vielfalt dieser Punkte notwendig zu einer solchen Menge an Details und damit zu einer geistigen Verwirrung, welche jede ungeteilte Ganzheit des Eindrucks ausschließt.

Mir scheint, wenn wir diesen letztgenannten Effekt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen anstreben – die Schlussfolgerungen, die Eingebungen, die Spekulationen oder, wenn sich nichts Besseres anbietet, die bloßen Annahmen, die daraus resultieren mögen –, benötigen wir etwas wie eine geistige Rotation auf dem Absatz. Wir brauchen eine so schnelle Drehung aller Dinge um den zentralen Bezugspunkt, dass die geringfügigen Einzelheiten komplett verschwinden und selbst die deutlicher ins Auge fallenden Gegenstände zu einem Ganzen verschmelzen. Zu den geringfügigen Einzelheiten würden bei einer solchen Gesamtschau alle ausschließlich irdischen Dinge gehören. Die Erde würde allein in ihren planetarischen Beziehungen betrachtet. Ein Mensch wird in dieser Perspektive zur Menschheit; die Menschheit ein Teil der kosmischen Familie intelligenter Wesen.

Doch bevor wir nun zu unserem eigentlichen Gegenstand übergehen, darf ich die Aufmerksamkeit des Lesers auf den einen oder anderen Auszug aus einem bemerkenswerten Brief lenken, der offenbar in einer Flaschenpost im Mare Tenebrarum[2] trieb – einem Meer, das von dem nubischen Geographen Ptolemäus Hephaistion[3] hinlänglich beschrieben wurde, das aber in unserer heutigen Zeit von nur wenigen, außer von den Transzendentalisten[4] und einigen anderen Grillentauchern, aufgesucht wird. Ich muss gestehen, das Datum dieses Briefes erstaunt mich noch mehr als sein Inhalt; denn er scheint im Jahre 2848 abgefasst worden zu sein. Die Passagen, die ich nun transkribiere, sprechen meines Erachtens für sich selbst:

»Wissen Sie, mein lieber Freund«, beginnt der Briefschreiber, der sich zweifellos an einen Zeitgenossen wendet, »wissen Sie, dass es kaum acht- oder neunhundert Jahre her ist, seit die Metaphysiker sich zum ersten Mal herbeiließen, die Menschen von dem seltsamen Wahn zu erlösen, es gebe nur zwei gangbare Wege zur Wahrheit? Es ist kaum zu glauben! Doch vor langer, langer Zeit, in dunkelster Vergangenheit, lebte anscheinend ein türkischer Philosoph namens Aries,[5] der mit Familiennamen Totteles hieß.« (Hier meint der Schreiber wahrscheinlich Aristoteles; die schönsten Namen werden ja in zwei- oder dreitausend Jahren entsetzlich entstellt.) »Der Ruhm dieses großen Mannes beruhte hauptsächlich auf seinem Nachweis, dass Niesen eine natürliche Vorkehrung ist, mittels derer allzu tiefschürfende Denker in die Lage versetzt werden, überflüssige Ideen durch die Nase auszuscheiden; doch kaum weniger berühmt wurde er als Begründer – oder jedenfalls als Hauptverbreiter – der sogenannten deduktiven oder a priori-Philosophie.[6] Sein Ausgangspunkt waren die von ihm sogenannten Axiome oder selbstevidenten Wahrheiten: – und die inzwischen wohlbekannte Tatsache, dass keine Wahrheit selbstevident ist, widerspricht nicht im Geringsten seinen Spekulationen: – es war für seinen Zweck ausreichend, dass die in Rede stehenden Wahrheiten überhaupt evident waren. Von den Axiomen kam er in logischen Schritten zu Ergebnissen. Seine berühmtesten Schüler waren ein gewisser Tuclid, Geometer« (das ist Euklid[7]), »und ein gewisser Kant, ein Hohlländer[8] und der Begründer jener Art von Transzendentalismus, die durch den bloßen Austausch des K durch ein C[9] nunmehr seinen Namen trägt.

Nun, Aries Totteles hatte enormen Erfolg, bis ein gewisser Hog[10] mit dem Spitznamen ›Der Schäfer von Ettrick‹ auftrat, der ein vollständig anderes System predigte, das er a posteriori oder induktiv nannte.[11] Sein Konzept basierte allein auf Sinneserfahrung. Er ging so vor, dass er Tatsachen – instantiae Naturae, wie sie ein wenig affektiert genannt wurden – beobachtete, analysierte und klassifizierte und sie allgemeinen Gesetzmäßigkeiten zuordnete. Kurzum: Während die Methode von Aries auf noumena[12]basierte, verwies die von Hog auf phenomena; und so groß war die Bewunderung, die dieses letztere System hervorrief, dass Aries bei der ersten Vorstellung desselben allgemein in Verruf geriet. Doch schließlich gewann er wieder an Boden und durfte sich das Reich der Philosophie mit seinem moderneren Rivalen teilen: – die Gelehrten einigten sich darauf, alle anderen Konkurrenten, seien es vergangene, gegenwärtige oder zukünftige, zu ächten, womit sie – durch den Erlass eines Median-Gesetzes[13] – die ganze Kontroverse über das Thema dahingehend beendeten, dass der Aristotelische und der Bacon’sche Weg die einzig möglichen und rechtmäßigen Zugänge zur Erkenntnis seien: – ›Bacon[14]‹, müssen Sie wissen, mein werter Freund«, fügt der Briefschreiber an dieser Stelle an, »war eine Zuschreibung, die als Synonym für Hog erfunden wurde, weil sie vornehmer und gleichzeitig wohllautender klang.

Jetzt versichere ich Ihnen ausdrücklich«, fährt der Brief fort, »dass ich diese Dinge ausgewogen darstelle; und Sie können leicht nachvollziehen, wie solch platterdings absurde Beschränkungen damals die Entwicklung der wahren Wissenschaft behindert haben, deren wichtigste Fortschritte – wie die ganze Geschichte lehrt – sich in scheinbar intuitiven Sprüngen vollziehen. Diese urtümlichen Vorstellungen verurteilten die Forschung zum Kriechgang; ich muss Ihnen nicht erklären, dass das Kriechen neben anderen Fortbewegungsarten eine durchaus schätzenswerte Sache ist; – doch müssen wir, nur weil die Schildkröte sicher zu Fuß ist, deswegen dem Adler die Flügel beschneiden? Viele Jahrhunderte hindurch war man besonders in Hog dermaßen vernarrt, dass alles Denken, das diesen Namen verdient, praktisch zum Erliegen kam. Kein Mensch wagte noch, eine Erkenntnis zu äußern, die er allein seiner Seele verdankte. Es spielte keine Rolle, ob die Erkenntnis als solche beweisbar war; denn die dogmatischen Philosophen jener Epoche kümmerte nur der Weg, auf dem man die Erkenntnis erlangt hatte. Der Zweck war für sie ganz und gar bedeutungslos: – ›die Mittel!‹, zeterten sie – ›wir müssen uns die Mittel ansehen!‹ – und wenn die Untersuchung ergab, dass die Mittel weder der Kategorie Hog noch der Kategorie Aries (was so viel wie Widder bedeutet) entsprachen, dann ließen sich die Gelehrten nicht weiter darauf ein, nannten den Denker einen Trottel, brandmarkten ihn als ›Theoretiker‹ und wollten fürderhin weder mit ihm noch mit seinen Erkenntnissen das Geringste zu schaffen haben.

Nun, mein lieber Freund«, fährt der Verfasser des Briefes fort, »wird man nicht behaupten können, dass der Mensch durch die ausschließliche Anwendung des Kriechgang-Systems das Maximum an Erkenntnis erreicht, auch in einem noch so langen Zeitraum nicht; denn die Unterdrückung der Phantasie war ein Übel, das auch von absoluter Gewissheit im Schneckentempo nicht aufgewogen werden konnte. Doch war dieser Leute Gewissheit sehr weit davon entfernt, absolut zu sein. Der Irrtum unserer Vorfahren war ganz ähnlich dem des Neunmalklugen, der glaubt, er werde einen Gegenstand notwendig umso deutlicher sehen, je näher er ihn sich vor die Augen hält. Sie blendeten sich zudem mit dem hauchfeinen, die Nase kitzelnden schottischen Schnupftabak des Details; und so waren denn die angeblichen Tatsachen der Hogianer keineswegs immer Tatsachen – an sich eine Feststellung von geringer Bedeutung, wäre nicht immer das Gegenteil behauptet worden. Der eigentliche Makel des Baconianismus – die beklagenswerteste Quelle seiner Irrtümer – lag in seiner Tendenz, Macht und Ansehen in die Hände von lediglich wahrnehmenden Menschen zu legen – jener Winzlinge unter den Kleinwüchsigen, den mikroskopischen Gelehrten, die winzig kleine, meist naturwissenschaftliche Fakten ausgruben und damit hausieren gingen – Fakten, die sie alle zum gleichen Preis auf der Landstraße feilboten, wobei ihr Wert, wie man annahm, schlicht auf dem Fakt ihrer Faktizität beruhte, ohne ihre Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit in der Entwicklung solcher letzten und einzig legitimen Fakten, die man als Gesetze bezeichnet, in Rechnung zu stellen.

Diese Personen«, fährt der Brief fort, »die so plötzlich von Hogs durchwachsener Philosophie in eine Position gehoben wurden, für die sie untauglich waren; diese Personen, die aus der Spülküche in die feinen Salons der Wissenschaft befördert wurden, aus den Speisekammern auf die Lehrstühle – ein dümmeres und unerträglicheres Pack von Heuchlern und Tyrannen hat das Antlitz der Erde nie gesehen. Ihr Glaube, ihr Text und ihre Predigt bestanden gleichermaßen aus dem einen Wort ›Faktum‹ – doch großenteils kannten sie nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes. Wer es wagte, ihre Fakten durcheinanderzurütteln, um sie zu ordnen und nutzbar zu machen, mit dem hatten die Hogjünger keinerlei Nachsicht. Alles Streben nach Verallgemeinerung wurde sofort mit Begriffen wie ›theoretisch‹, ›Theorie‹, ›Theoretiker‹ attackiert – kurzum, alles Denken wurde recht eigentlich als persönlicher Angriff verübelt. Viele dieser Philosophen in der Hog-Nachfolge, die – eindimensional, einseitig und auf einem Bein humpelnd – die Naturwissenschaften unter Ausschluss von Metaphysik, Mathematik und Logik kultivierten, waren gegenüber allen konkreten Gegenständen des Wissens von einer jämmerlicheren Hilflosigkeit und erbärmlicheren Ignoranz als ein ungebildeter Bauerntölpel, der aber immerhin eines weiß, wenn er zugibt, dass er nichts weiß.

Auch hatten unsere Vorfahren kein größeres Recht, über Gewissheit zu reden, wenn sie in blindem Vertrauen dem a priori-Pfad der Axiome, nämlich dem des Widders, folgten. An unzähligen Stellen war dieser Pfad kaum so gerade wie ein Widderhorn. Die schlichte Wahrheit ist, dass die Aristotelianer ihre Wolkenkuckucksheime auf einem Fundament errichteten, das wesentlich schlechter trägt als Luft; denn so etwas wie Axiome hat es nie gegeben, es kann sie gar nicht geben. Es gehört ein beträchtliches Maß an Blindheit dazu, dies nicht zu sehen oder mindestens zu ahnen; denn sogar schon zu ihrer Zeit waren viele von ihren lange anerkannten »Axiomen« über Bord geworfen worden: – zum Beispiel ›ex nihilo nihil fit‹,[15] oder: ›es gibt keine Wirkung von etwas, wo es nicht ist‹; oder: ›es kann keine Gegensätze geben‹; oder: ›Dunkelheit kann nicht aus Licht entstehen‹. Diese und zahlreiche ähnliche Thesen, die früher unbedenklich als Axiome oder unbestreitbare Wahrheiten akzeptiert wurden, galten schon in der Zeit, von der ich spreche, als absolut unhaltbar: – wie widersinnig war es demnach, wenn diese Leute unverdrossen auf eine vorgeblich unwandelbare Grundlage bauten, deren Wandelbarkeit sich wiederholt erwiesen hatte!

Doch bereits durch Beweismittel, die sie gegen sich selbst ins Feld führen, ist es ein Leichtes, diese a priori-Vernünftler der krassesten Unvernunft zu überführen – ein Leichtes, die Unsinnigkeit und Nichtigkeit ihrer Axiome insgesamt nachzuweisen. Ich habe jetzt« – man wird sich erinnern, dass wir immer noch mit dem Brief fortfahren – »ich habe hier ein Buch vor mir liegen, das vor etwa tausend Jahren gedruckt wurde. Die Gelehrten versichern, es handle sich eindeutig um das klügste Werk zum Thema, nämlich dem der ›Logik‹. Der Autor, zu seiner Zeit hoch geachtet, hieß Miller oder Mill,[16] und es wird, als nicht ganz unbedeutende Tatsache, von ihm berichtet, dass er auf einem Mühlenpferd ritt, welches er Jeremy Bentham[17] nannte: – aber werfen wir einen Blick in das Buch selbst!

Ach! – ›Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, sich etwas vorzustellen oder es zu begreifen‹, schreibt Mr. Mill sehr treffend, ›darf in keinem Fall das Kriterium für eine axiomatische Wahrheit sein.‹ Nun, dass dies eine mit Händen zu greifende Binsenweisheit ist, wird niemand, der bei Sinnen ist, bestreiten wollen. Dieser Aussage nicht zuzustimmen, wäre so, als würde man der Wahrheit ein hohes Maß an Veränderlichkeit unterstellen, während sie doch der Inbegriff der Unwandelbarkeit ist. Wenn die Fähigkeit, zu begreifen als ein Kriterium für Wahrheit genommen würde, dann wäre eine Wahrheit für David Hume[18] nur selten eine Wahrheit für Joe – und neunundneunzig Prozent dessen, was im Himmel für unbestreitbar gilt, wäre auf Erden nachweislich falsch. Die Aussage von Mr. Mill ist damit bestätigt. Ich will ihr nicht den Status eines Axioms einräumen, und zwar aus dem einfachen Grunde, da ich gerade den Nachweis führe, dass es Axiome nicht gibt; aber mit einer Einschränkung, an der selbst Mr. Mill nichts zu nörgeln gefunden hätte, bin ich bereit, zuzugestehen, dass, wenn es Axiome gäbe, dann die Aussage, von der wir reden, das vollste Recht hätte, als Axiom anerkannt zu werden – dass es kein absoluteres Axiom gibt –, und infolgedessen muss jede nachfolgende Aussage, die sich mit dieser vorangegangenen im Widerspruch befindet, entweder in sich selbst falsch (das heißt: kein Axiom) sein oder, wenn anerkanntermaßen axiomatisch, unmittelbar sich selbst und ihre Vorgängerin aufheben.

Und nun wollen wir uns, angeleitet von der Logik seines eigenen Verfechters, ein dergestalt verfochtenes Axiom einmal näher ansehen. Wir wollen Mr. Mill unbedingt Gerechtigkeit widerfahren lassen und die Sache nicht anhand eines banalen Beispiels entscheiden. Wir wollen für unsere Untersuchung kein x-beliebiges Axiom auswählen – kein Axiom, das er groteskerweise, obschon nur implizit, als zweitrangig klassifiziert, als ob eine per definitionem sichere Wahrheit mehr oder weniger sicher sein könnte: – wir werden, sage ich, kein Axiom auswählen, das in seiner Unbezweifelbarkeit so bezweifelbar ist wie stellenweise bei Euklid. Wir sprechen nicht über Aussagen wie die, dass zwei gerade Linien keinen Raum umschließen können oder dass das Ganze größer ist als eines seiner Teile. Wir werden dem Logiker jedes Zugeständnis machen. Wir kommen sofort zu einer Aussage, die er als Inbegriff des Unfraglichen betrachtet – als Quintessenz der axiomatischen Unbestreitbarkeit. Hier ist sie: – ›Sich widersprechende Aussagen können nicht beide wahr sein – id est, sie können in der Natur nicht nebeneinander bestehen.‹ Hier meint Mr. Mill zum Beispiel – und ich gebe das beredtste Beispiel, das sich denken lässt –, dass ein Baum entweder ein Baum sein muss oder kein Baum – dass er nicht zur gleichen Zeit ein Baum und kein Baum sein kann: – was alles an und für sich vollkommen vernünftig ist und ausgesprochen gut als Axiom taugt, bis wir es mit einem anderen Axiom konfrontieren, auf dem wenige Seiten davor herumgeritten wird – mit anderen, auch oben schon verwendeten Worten: bis wir es mit der Logik ihres eigenen Verfechters einer Prüfung unterziehen. ›Ein Baum‹, versichert Mr. Mill, ›muss entweder ein Baum oder kein Baum sein.‹ Sehr schön: – und jetzt wollen wir ihn fragen: warum? Auf diese kleine Frage gibt es nur eine Antwort: – ich gehe jede Wette ein, dass niemand eine zweite erfinden kann. Die einzige Antwort ist diese: – ›Weil wir uns unmöglichvorstellen können, dass ein Baum irgendetwas anderes als ein Baum oder kein Baum sein kann.‹ Dies, ich wiederhole, ist Mr. Mills einzige Antwort: – er gibt nicht vor, eine andere parat zu haben: – und doch ist nach seiner eigenen Beweisführung seine Antwort offensichtlich überhaupt keine Antwort; denn hat er uns nicht die Bestätigung abgerungen, es sei ein Axiom, dass die Fähigkeit oder Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen oder zu begreifen, in keinem Fall als Kriterium für eine axiomatische Wahrheit aufzufassen sei? Somit gerät seine gesamte – absolut seine ganze Argumentation ins Schwimmen. Lassen wir uns nicht aufschwatzen, eine Ausnahme von der Regel gelte in Fällen, bei denen die ›Unmöglichkeit, sich etwas vorzustellen‹ so besonders groß ist wie etwa die Zumutung, dass ein Baum sowohl ein Baum als auch kein Baum sein soll. Lassen wir uns keinesfalls auf solch einen Blödsinn ein. Denn erstens gibt es keine Grade der ›Unmöglichkeit‹, und so kann keine Vorstellung unmöglicher sein als eine andere unmögliche Vorstellung: – und zweitens hat Mr. Mill – zweifellos nach gründlicher Überlegung – klar und deutlich jede Möglichkeit einer Ausnahme ausgeschlossen, und zwar durch seine nachdrückliche Feststellung, in keinem Fall dürfe die Fähigkeit oder Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen, als Kriterium für axiomatische Wahrheit dienen: – und drittens bleibt, selbst wenn Ausnahmen überhaupt zulässig wären, immer noch nachzuweisen, inwiefern hier eine Ausnahme zulässig wäre. Dass ein Baum sowohl ein Baum als auch kein Baum sein kann, ist eine Vorstellung, die vielleicht Engel oder Teufel hegen und die jedenfalls manch ein irdischer Bedlamit[19] oder Transzendentalist[20] tatsächlich hegt.

Nun streite ich mit diesen Altvorderen«, fährt der Briefschreiber fort, »nicht so sehr wegen der durchschaubaren Oberflächlichkeit ihrer Logik – die, um es klar zu sagen, unbegründet, wertlos und ganz und gar aus der Luft gegriffen ist – als vielmehr wegen ihrer aufgeblasenen und verblendeten Ächtung aller anderen Wege zur Wahrheit außer dieser beiden schmalen, gewundenen Pfade – dem Kriech- und dem Schneckengang –, in die sie in ihrer perversen Ignoranz die Seele zwängen wollten – die Seele, die nichts so sehr liebt wie das Schweben in jenen Regionen unbegrenzter Intuition, wo ›Pfade‹ gänzlich unbekannt sind.

Nebenbei bemerkt, lieber Freund: Ist es nicht ein Beweis für die geistige Sklaverei, der diese bigotten Leute von ihren Hogs und Böcken unterworfen wurden, dass trotz des ewigen Geschwafels ihrer Gelehrten über die Wege zur Wahrheit kein einziger von ihnen, nicht einmal per Zufall, auf die breiteste, geradeste und zugänglichste aller Straßen verfallen ist – die große Hauptverkehrsader –, den majestätischen Boulevard der Konsistenz? Ist es nicht verwunderlich, dass sie es nicht vermochten, aus den Werken Gottes die entscheidende Erkenntnis abzuleiten, dass eine vollkommene Konsistenz eine absolute und unbestreitbare Wahrheit sein muss? Wie deutlich, wie schnell war unser Fortschritt seit der jüngst erfolgten Präsentation dieser These! Mit ihrer Hilfe wurde die Forschung den Maulwürfen entrissen und als Pflicht, eher denn als Aufgabe, den wahrhaften – den einzig wahrhaften Denkern übergeben – den umfassend gebildeten Menschen mit glühender Imaginationsgabe. Diese Letzteren – unsere Keplers oder Laplaces[21] – ›spekulieren‹ – ›theoretisieren‹ – so lauten die Begriffe. Kannst Du Dir wohl den Zornesschrei vorstellen, mit dem sie von unseren Vorfahren aufgenommen würden, wenn diese mir beim Schreiben über die Schulter blicken könnten? Die Keplers, ich wiederhole es, spekulieren – theoretisieren – und ihre Theorien werden lediglich korrigiert – kondensiert – überprüft – nach und nach von der Spreu des Inkonsistenten gereinigt – bis am Ende eine reine Konsistenz zum Vorschein kommt – eine Konsistenz, von der selbst die Stumpfsinnigsten zugeben – weil es eben eine Konsistenz ist –, dass es sich um eine absolute und unbezweifelbare Wahrheit handelt.

Ich habe mir oft gedacht, mein Freund, dass es diesen Dogmatikern vor tausend Jahren einiges Kopfzerbrechen bereitet haben muss, wenn sie entscheiden wollten, auf welchem der beiden empfohlenen Wege der Kryptograph wohl die Lösung der komplexeren Chiffren erlangt – oder auf welchem von ihnen Champollion[22] die Menschheit zu jenen zahllosen wichtigen Wahrheiten führte, die so viele Jahrhunderte in den phonetischen Hieroglyphen Ägyptens geschlummert haben. Hätte es diesen Frömmlern nicht besondere Mühe gemacht, zu entscheiden, auf welchem ihrer beiden Wege die folgenreichste und großartigste all ihrer Erkenntnisse – die Wahrheit – die Tatsache der Gravitation entdeckt wurde? Newton leitete sie aus den Gesetzen Keplers[23] ab. Kepler gestand, dass er diese Gesetze vermute – die Gesetze, deren Erforschung dem größten britischen Astronomen dieses eine Prinzip offenbarte – die Grundlage aller (existierenden) physikalischen Prinzipien, hinter denen wir sogleich das nebulose Königreich der Metaphysik betreten. Jawohl! – diese entscheidenden Gesetze hatte Kepler vermutet – das heißt: er hatte sie sich vorgestellt. Wäre er gebeten worden, zu erklären, ob er auf deduktivem oder induktivem Wege darauf gekommen war, hätte er vermutlich geantwortet: ›Ich weiß nichts über Wege – was ich aber kenne, ist die Mechanik des Universums. Hier ist sie. Ich habe sie mit meiner Seele erfasst – nur vermöge der Intuition bin ich zu der Erkenntnis gelangt.‹ Ach, der arme unwissende alte Mann! Konnte ihm denn nicht irgendein Metaphysiker erklären, dass das, was er ›Intuition‹ nannte, nur ein Glaube war, der aus Deduktionen und Induktionen resultierte, deren Prozesse so schemenhaft waren, dass sie seinem Bewusstsein entgingen, sich seiner Vernunft entzogen oder seiner Ausdrucksgabe widersetzten? Wie außerordentlich schade ist es, dass kein ›Moralphilosoph‹ ihn über all das aufgeklärt hat! Wie tröstlich wäre es auf dem Sterbebett für ihn gewesen, wenn er gewusst hätte, dass er, statt nur intuitiv und somit ungebührlich vorzugehen, vielmehr anständig und legitim – das heißt hogmäßig, oder zumindest bockmäßig – in die weiten Hallen vorgedrungen war, wo – funkelnd, sich selbst überlassen und von keiner sterblichen Hand berührt, von keinem sterblichen Auge je gesehen – die unvergänglichen und unschätzbaren Geheimnisse des Universums lagen.

Ja, Kepler war im Innersten ein Theoretiker; aber dieser Titel, der heute so heilig gehalten wird, war in jenen alten Tagen Ausdruck äußerster Verachtung. Erst heute beginnen die Menschen den göttlichen alten Mann zu würdigen – die prophetische und dichterische Rhapsodie seiner unvergesslichen Worte empathisch zu verstehen. Was mich anbelangt«, fährt der unbekannte Briefschreiber fort, »so empfinde ich ein heiliges Feuer in mir, wann immer ich an sie denke, und ich werde nie müde, sie zu wiederholen: – erlaube mir am Ende dieses Briefes die Freude, sie noch einmal abzuschreiben: – ›Es schert mich nicht, ob mein Werk jetzt oder erst von der Nachwelt gelesen wird. Ich kann es mir leisten, ein Jahrhundert auf Leser zu warten, wenn Gott selbst sechstausend Jahre auf einen Beobachter gewartet hat. Ich triumphiere. Ich habe das goldene Geheimnis der Ägypter geraubt. Ich werde meiner heiligen Raserei frönen.‹«

Hiermit beende ich mein Zitat aus diesem höchst sonderbaren und vielleicht auch etwas impertinenten Brief; und vermutlich wäre es töricht, in irgendeiner Hinsicht die übersteigerten, um nicht zu sagen revolutionären Phantasien des Schreibers (wer es auch sei) zu kommentieren – Phantasien, die so radikal den wohlerwogenen und gefestigten Ansichten unserer Zeit zuwiderlaufen. Lassen Sie uns also zu unserem eigentlichen Thema übergehen: dem Universum.

Dieses Thema erlaubt die Wahl zwischen zwei Zugängen: – Wir können uns ihm von unten oder von oben nähern. Wenn wir von unserer eigenen Perspektive aus beginnen – von der Erde aus, auf der wir stehen – können wir zu den anderen Planeten unseres Systems aufsteigen – dann zur Sonne – dann zu unserem System als Ganzem – und schließlich durch andere Systeme hindurch immer weiter in unendliche Weiten; oder wir können von einem Punkt aus beginnen, so deutlich wir ihn bestimmen oder uns vorstellen können, und zum Lebensraum des Menschen hinabsteigen. Gewöhnlich – das heißt in den üblichen Aufsätzen über Astronomie – wird, mit einem gewissen Vorbehalt, die erste der beiden Zugangsweisen gewählt: – aus dem schlichten Grund, dass sich rein astronomische Fakten und Prinzipien am besten untersuchen lassen, indem man vom Bekannten, weil Nahen, Schritt für Schritt zu dem Punkt fortschreitet, wo alle Sicherheit sich im Fernen verliert. Doch für den vorliegenden Zweck – nämlich, den Geist zu befähigen, sich wie von weitem und mit einem Blick ein ungeteiltes Bild vom Universum zu machen, ist ein Hinabsteigen vom Großen zum Kleinen – vom Zentrum zur Peripherie (wenn wir ein Zentrum festlegen könnten) – vom Anfang zum Ende (wenn wir uns einen Anfang vorstellen könnten) – als Verfahren natürlich zu bevorzugen, wenn nicht dabei die Schwierigkeit oder sogar Unmöglichkeit bestünde, dem Nichtastronomen überhaupt ein einsichtiges Bild vor Augen zu führen, das ihm in Bezug auf quantitative Überlegungen – also solchen, die Zahl, Größe und Entfernung betreffen – verständlich ist.

Nun ist aber Deutlichkeit – Verstehbarkeit in jeder Hinsicht – ein Hauptanliegen meines Gesamtentwurfs. Bei wichtigen Themen empfiehlt es sich, eher weitschweifig als auch nur im Geringsten unklar zu sein. Doch ist Unverständlichkeit keine Eigenschaft, die Gegenständen per se anhaftet. Alle sind gleich leicht zu verstehen, wenn man sich ihnen Schritt für Schritt nähert. Nur wenn hier und da auf unserem Weg zur Differentialrechnung ein Trittstein unbedacht ausgelassen wird, ist sie nicht ganz so einfach wie, sagen wir, ein Sonett von Mr. Solomon Seesaw.[24]

Um also jedes Missverständnis auszuschließen, ist es meines Erachtens ratsam, so vorzugehen, als seien dem Leser selbst die offensichtlichsten astronomischen Fakten unbekannt. Durch die Kombination der beiden schon erwähnten Zugangsweisen beabsichtige ich, mir die spezifischen Vorteile beider zunutze zu machen – und insbesondere die der Wiederholung im Detail, die als Folge meines Vorhabens unvermeidlich sein wird. Wir beginnen mit dem Hinabstieg, und für die Rückkehr nach oben behalte ich mir jene unverzichtbaren quantitativen Überlegungen vor, auf die bereits hingewiesen worden ist.

Fangen wir also ohne Verzug mit dem leeren Wort »Unendlichkeit« an. Dies ist – wie »Gott«, »Geist« und mancher andere Begriff, von denen es in allen Sprachen Entsprechungen gibt – keineswegs Ausdruck einer Idee, sondern der Versuch einer Annäherung an eine solche. Er steht für den möglichen Versuch, ein unmögliches Konzept auszudrücken. Der Mensch brauchte einen Begriff, mit dem sich die Richtung dieses Bemühens angeben ließ – die Wolke, hinter der sich, auf ewig unsichtbar, der Gegenstand dieses Versuchs verbirgt. Kurzum, es bedurfte eines Wortes, mit dem sich ein menschliches Wesen mit einem anderen menschlichen Wesen und zugleich mit einer bestimmten Tendenz des menschlichen Geistes in Beziehung setzen konnte. Aus diesem Bedürfnis entstand das Wort »Unendlichkeit«, das somit den Gedanken eines Gedankens repräsentiert.

Was nun diese Unendlichkeit betrifft, mit der wir uns hier befassen, die Unendlichkeit des Raums, so hören wir oft, »ihre Vorstellung wird vom Bewusstsein anerkannt – wird geduldet – wird vertreten, weil es viel schwieriger ist, sich eine Begrenztheit vorzustellen«. Aber dies ist nur eine der Phrasen, mit denen selbst tiefe Denker seit unvordenklichen Zeiten sich gelegentlich selbst zu täuschen belieben.

Die Krux liegt hier in dem Wort »schwierig«. »Das Bewusstsein«, sagt man uns, »verfolgt die Idee des unbegrenzten Weltraums,weil ihm die Idee des begrenzten Alls größere Schwierigkeiten bereitet.« Nun, würde die Aussage nur angemessen formuliert, läge ihre Absurdität sofort auf der Hand. Offenkundig geht es in diesem Fall nicht um eine bloße Schwierigkeit. Ihrer eigentlichen Intention nach und ohne Sophisterei würde die Behauptung so lauten: – »Das Bewusstsein akzeptiert die Vorstellung des grenzenlosen Alls, weil die Vorstellung eines begrenzten Alls weit unmöglicher ist.«

Man wird sicher gleich einsehen, dass es hier nicht um zwei Aussagen geht, über deren jeweilige Glaubwürdigkeit – oder zwei Argumentationsstränge, über deren jeweilige Validität – die Vernunft zu entscheiden hat: – es geht hier um zwei sich unmittelbar widersprechende Konzeptionen, beide eingestandenermaßen unmöglich, wobei der Intellekt aber angeblich die eine vertreten kann, weil es noch unmöglicher sei, die andere zu vertreten. Die Wahl wird nicht zwischen zwei Schwierigkeiten getroffen; – es wird einfach angenommen, sie fände zwischen zwei Unmöglichkeiten statt. Nun gibt es bei Schwierigkeiten graduelle Abstufungen, bei Unmöglichkeiten hingegen nicht, wie unser anmaßender Briefschreiber bereits ausgeführt hat. Eine Aufgabe mag schwieriger oder weniger schwierig sein; aber sie ist entweder möglich oder nicht möglich: – hier gibt es keine Abstufungen. Es magschwieriger sein, die Anden über den Haufen zu werfen als einen Ameisenhügel; aber es kann nicht unmöglicher sein, die Materie der einen zu annihilieren als die Materie des anderen. Ein Mensch mag unter geringeren Schwierigkeiten zehn Fuß weit springen als zwanzig, aber die Unmöglichkeit, zum Mond zu springen, ist für ihn um kein Gran geringer als die, zum Hundsstern[25] zu springen.

Da all dies unbestreitbar ist; da das Bewusstsein zwischen unmöglichen Konzeptionen wählen muss; da eine Unmöglichkeit nicht größer als eine andere sein und somit auch einer anderen nicht vorgezogen werden kann: beweisen jene Philosophen, die nicht nur aus den erwähnten Gründen die menschliche Idee der Unendlichkeit verfechten, sondern aufgrund einer solch hypothetisch angenommenen Idee die Unendlichkeit selbst, schlicht und einfach, dass ein Ding der Unmöglichkeit sehr wohl möglich ist, indem sie darauf verweisen, dass etwas anderes – ebenfalls unmöglich ist. Dies, so wird man einwenden, ist Blödsinn, was zutreffen mag – ich für meinen Teil halte es für kapitalen Blödsinn, verzichte aber darauf, ihn für mich selbst zu reklamieren.

Die naheliegendste Methode freilich, um den Fehlschluss der philosophischen Argumentation in dieser Frage aufzuzeigen, ist der schlichte Hinweis auf ein damit zusammenhängendes Faktum, das bisher gänzlich übersehen wurde – das Faktum, dass die besagte Argumentation ihre eigene These sowohl beweist als auch widerlegt. »Der Geist sieht sich genötigt«, sagen Theologen und andere, »eine erste Ursache vorauszusetzen, weil er sich sonst mit der größeren Schwierigkeit konfrontiert sieht, endlos Ursache an Ursache zu reihen.« Die Krux liegt wie schon zuvor in dem Begriff »Schwierigkeit« – aber was soll er hier stützen? Eine erste Ursache. Und was ist eine erste Ursache? Ein ultimativer Schlusspunkt der Ursachenreihe? Und was ist ein ultimativer Schlusspunkt der Ursachenreihe? Endlichkeit – das Endliche. So dient also die gleiche Wortklauberei in zwei argumentativen Prozessen Gott weiß wie vielen Philosophen dazu, einmal die Idee der Endlichkeit und einmal die Idee der Unendlichkeit zu behaupten – könnte es dann nicht dazu dienen, auch noch etwas anderes zu behaupten? Was die Argumente betrifft – sie zumindest sind nicht zu halten. Doch um sie hinter uns zu lassen: – was sie in dem einen Fall beweisen, ist dasselbe Nichts, das sie im anderen demonstrieren.

Natürlich wird mir niemand unterstellen wollen, ich würde behaupten, dass das, was wir mit dem Wort »Unendlichkeit« auszudrücken versuchen, absolut unmöglich sei. Ich beabsichtige lediglich, zu zeigen, welche Eselei es ist, mit solch stümperhafter Logik, wie man sie gewöhnlich anwendet, die Unendlichkeit an sich oder auch nur unsere Konzeption davon zu beweisen.

Gleichwohl sei mir als Einzelnem zu sagen erlaubt, dass ich mir die Unendlichkeit nicht vorstellen kann und davon überzeugt bin, dass kein Menschenwesen dazu in der Lage ist. Ein Bewusstsein, das nicht zutiefst reflektiert, nicht daran gewöhnt ist, die eigenen Denkvorgänge kritisch zu analysieren, wird freilich oft irrtümlich glauben, es habe das erwähnte Konzept tatsächlich selbst erkannt. Im Bemühen, es zu erkennen, gehen wir Schritt für Schritt voran – wir stellen uns hinter jedem Punkt einen weiteren vor; und solange wir so fortschreiten, lässt sich tatsächlich sagen, dass wir uns der Erkenntnis der Idee annähern; die Stärke des Eindrucks, den wir gewinnen oder gewonnen haben, entspricht dabei der Dauer unserer geistigen Anstrengung. Doch in dem Augenblick, da unsere Anstrengung zum Ende kommt – oder wir (wie wir glauben) die Idee vollenden – oder ihrem Konzept (wie wir annehmen) den letzten Schliff geben –, zerreißen wir das ganze Gewebe unserer Phantasie, indem wir an einem letzten und daher endgültigen Punkt stehen bleiben. Diese Tatsache nehmen wir jedoch nicht wahr, weil unser Halt an jenem letzten Punkt zeitlich mit der Beendigung unsere Denkbemühung zusammenfällt. – Würden wir andererseits versuchen, die Idee eines begrenzten Raums zu entwickeln, würden wir nur die Prozesse einschließlich ihrer Unmöglichkeit umkehren.

Wir glauben an einen Gott. Wir glauben vielleicht an einen endlichen oder unendlichen Raum, vielleicht auch nicht; aber hier handelt es sich eben um Glauben, was sich tief gehend unterscheidet von wirklicher Überzeugung – von intellektueller Überzeugung, die eine geistige Konzeption zur Voraussetzung hat.

Wenn wir einen Begriff der Kategorie »Unendlichkeit« verwenden – jener Kategorie, die Gedanken über das Denken repräsentiert –, dann wird jemand, der mit Recht behaupten darf, dass er überhaupt denkt, sich tatsächlich nicht bemüßigt fühlen, eine Konzeption zu entwickeln, sondern schlicht, seinen geistigen Blick auf einen gegebenen Punkt am intellektuellen Firmament zu richten, wo ein Nebelfleck liegt, der sich niemals ergründen lässt. Und er wird auch keine Anstalten machen, ihn zu ergründen; denn instinktiv erkennt er, dass dies nicht nur unmöglich, sondern hinsichtlich aller menschlichen Zwecke unwesentlich ist. Er erkennt, dass die Gottheit den Nebel nicht zur Ergründung vorgesehen hat. Er sieht mit einem Blick, dass der Nebelfleck außerhalb der Reichweite des menschlichen Intellekts liegt – und sogar wie, wenn auch nicht genau warum, er außerhalb derselben liegt. Gewisse Menschen, darüber bin ich mir im Klaren, versuchen eifrig, das Unerreichbare zu erreichen, und reüssieren mit ihrem Jargon sehr leicht bei Leuten, die zu denken glauben und Dunkelheit mit Tiefe verwechseln; sie erlangen so eine Art Tintenfisch-Reputation der Tiefgründigkeit. Aber die edelste Eigenschaft des Denkens ist seine Selbsterkenntnis; und mit ein wenig Hintersinn lässt sich sagen, dass kein Gedankennebel sich weiter ausdehnen kann als der, welcher bis an die Grenzen der geistigen Reichweite stößt und damit ebendiese Grenzen dem Verständnis entzieht.

So wird jetzt klar, dass ich mit der Wendung »Unendlichkeit des Raums« dem Leser keineswegs zumute, sich das unmögliche Konzept absoluter Unendlichkeit vorzustellen. Ich meine damit schlicht und einfach die »allergrößte denkbare Ausdehnung« des Raums – eine schemenhafte und wandelbare Region, die sich mal zusammenzieht, mal ausdehnt, je nach den wechselnden Energien der Vorstellungskraft.

Bisher ist das Universum der Sterne immer als deckungsgleich mit dem Universum an sich betrachtet worden, wie ich es zu Beginn dieser Ausführungen definiert habe. Es wurde immer, ob direkt oder indirekt, unterstellt – zumindest seit den Anfängen der vernunftgemäßen Astronomie –, dass wir an jedem gegebenen Punkt des Weltraums, könnten wir ihn erreichen, rings um uns immer noch auf allen Seiten eine unendliche Zahl von Sternen vorfinden würden. Dies war die nicht sonderlich haltbare Idee Pascals[26], als er den vielleicht erfolgreichsten Vorstoß aller Zeiten unternahm, zu umschreiben, was wir mit dem Wort »Universum« zu fassen versuchen. »Es ist eine Kugel«, sagt er, »deren Mittelpunkt überall ist, deren Oberfläche aber nirgendwo.« Doch auch wenn dieser Versuch einer Definition in Wahrheit keine