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Seitenzahl: 39
In einem alten weitlaeufigen Hause wohnten Herr Hinzelmeier und die schoene Frau Abel: sie waren nun schon ins zwoelfte Jahr verheiratet, ja die Leute in der Stadt zaehlten ihnen nach, dass sie zusammen schon fast an die achtzig Jahre auf dem Nacken haetten und noch immer waren sie jung und schoen und hatten weder ein Faeltchen vor der Stirn, noch ein Hahnepfoetchen unter den Augen. Dass dies nicht mit rechten Dingen zugehe, war nun freilich klar genug und wenn die Hinzelmeierschen aufs Tapet kamen, so tranken die Stadtkaffeetanten drei Naepfchen mehr als am ersten Ostersonntagnachmittage. Die Eine sagte: "Sie haben einen Jungbrunnen im Hofe!" Die Andere sagte: "Es ist eine Jungfernmuehle!" Die Dritte sagte: "Ihr Bube, das Hinzelmeierlein, ist mit einer Glueckshaube auf die Welt gekommen und nun tragen die Alten sie wechselweise, Nacht um Nacht!" Das kleine Hinzelmeierlein dachte nun freilich nicht dergleichen; es kam ihm im Gegenteil ganz natuerlich vor, dass seine Eltern immer jung und schoen waren; aber gleichwohl bekam auch er sein Nuesschen, das er vergeblich zu knacken suchte.
Eines Herbstnachmittags, da es schon gegen das Zwielicht ging, sass er in dem langen Korridor des oberen Stockwerks und spielte Einsiedler; denn weil die silbergraue Katze, welche sonst bei ihm zur Schule ging, eben in den Garten hinabgeschlichen war, um nach den Buchfinken zu sehen, so hatte er mit dem Professorspiel fuer heute aufhoeren muessen. Er sass nun als Einsiedler in einem Winkel und dachte sich Allerhand, wohin wohl die Voegel floegen und wie die Welt draussen wohl aussehen moege und noch viel Tiefsinnigeres; denn er wollte der Katze darueber auf den andern Tag einen Vortrag halten - als er seine Mutter, die schoene Frau Abel, an sich voruebergehen sah. "Heisa, Mutter!" rief er; aber sie hoerte ihn nicht, sondern ging mit raschen Schritten an das Ende des Korridors; hier blieb sie stehen und schlug mit dem Schnupftuch dreimal gegen die weisse Wand. - Hinzelmeier zaehlte in Gedanken "eins" - "zwei" und kaum hatte er "drei" gezaehlt, als er die Wand sich lautlos oeffnen und seine Mutter dadurch verschwinden sah; kaum konnte der Zipfel des Schnupftuches noch mit hindurchschluepfen, so ging alles mit einem leisen Klapp wieder zusammen und der Einsiedler dachte nun auch noch darueber nach, wohin doch wohl seine Mutter durch die Wand gegangen sei. Darueber ward es allmaehlich dunkler und das Daemmern in seinem Winkel war schon so gross geworden, dass es ihn ganz verschlungen hatte, da machte es, wie zuvor, einen leisen Klapp, und die schoene Frau Abel trat aus der Wand wieder in den Korridor hinein. Ein Rosenduft schlug dem Knaben entgegen, wie sie an ihm vorueberstrich. "Mutter, Mutter!" rief er; aber er hielt sie nicht zurueck; er hoerte, wie sie die Treppe hinab und in das Zimmer des Vaters ging. Wo er am Vormittag sein Schaukelpferd an den messingenen Ofenknopf gebunden hatte. Nun hielt es ihn nicht laenger, er sprang durch den Korridor und ritt wie der Wind das Treppengelaender hinab. Als er ins Zimmer trat, war es voller Rosenduft und es schien ihm fast, als waere seine Mutter selber eine Rose, so leuchtend war ihr Antlitz. Hinzelmeier wurde ganz nachdenklich.
"Liebe Mutter", sagte er endlich, "weshalb gehst du denn immer durch die Wand?" Und als Frau Abel hierauf verstummte, sagte der Vater: "Ei nun, mein Sohn, weil die anderen Leute immer durch die Tuer gehen."
Das war dem Hinzelmeier schon einleuchtend; bald aber wollte er mehr erfahren. "Wohin gehst du denn, wenn du durch die Wand gehst", fragte er weiter, "und wo sind die Rosen?"
Aber ehe er sich's versah, hatte der Vater ihn kopfueber aufs Schaukelpferd gestuelpt und die Mutter sang das schoene Lied: